Wie lange währte Jesu Dienstzeit?
DIE führenden Vertreter religiöser Kreise sind sich in bezug auf die Dauer der ausgedehnten Predigttätigkeit Jesu hier auf Erden nicht einig. Die einen sagen, sie habe sich auf höchstens ein Jahr erstreckt,1 andere behaupten, es seien zwei oder zweieinhalb Jahre gewesen, und wieder andere, darunter auch Jehovas Zeugen, sprechen von dreieinhalb Jahren.2 Es herrscht daher in der Christenheit auch in bezug auf das Jahr, in dem Jesus an den Pfahl geschlagen wurde, keine Übereinstimmung; man gibt dafür die verschiedenen Jahre in der Zeit von 28 bis 33 n. Chr. an.3 Welche Gründe veranlassen Jehovas Zeugen, so überzeugt zu sagen, daß sich Jesu Dienstzeit auf dreieinhalb Jahre erstreckte und daß er seine Predigttätigkeit im Herbst des Jahres 29 begonnen und diese bis zu ihrem Höhepunkt — seinem Tod am Marterpfahl, am Freitag, dem 1. April (oder 3. April nach dem Julianischen Kalender) des Jahres 33 — durchgeführt habe?
Von dem allgemein anerkannten Text in Lukas 3:1, 2 ausgehend, hat man verschiedene Jahre — von 25 bis 29 n. Chr. — als das Jahr bestimmt, in dem Johannes der Täufer im Frühjahr seinen Dienst aufgenommen und in dem Jesus sechs Monate später, im Herbst, zu wirken begonnen haben soll. Um die Namen der sieben Regenten hervorzuheben, die der sorgfältige Geschichtsschreiber Lukas erwähnt, um seinen Bericht in dem erwähnten Text zu datieren, haben wir sie in Großbuchstaben gedruckt. „Im fünfzehnten Jahre der Regierung des KAISERS TIBERIUS, als PONTIUS PILATUS Landpfleger von Judäa war, und HERODES Vierfürst [Provinzherrscher, NW] von Galiläa, und sein Bruder PHILIPPUS Vierfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis, und LYSANIAS Vierfürst von Abilene, unter dem Hohenpriestertum von ANNAS und KAIAPHAS, geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohne Zacharias’, in der Wüste.“
Wir wollen die erwähnten Personen einmal in der umgekehrten Reihenfolge betrachten. Der Geschichtsschreiber Josephus berichtet, daß KAIAPHAS, der von Valerius Gratus, dem römischen Statthalter von Judäa, in sein Amt eingesetzt worden war, ungefähr vom Jahre 18 bis zum Jahre 36 n. Chr. als Hoherpriester in Jerusalem amtete.4 ANNAS, der Schwiegervater des Kaiaphas, der im Jahre 7 n. Chr. von Kyrenius, dem römischen Statthalter von Syrien, zum Hohenpriester ernannt wurde und dieses Amt bis zum Jahre 15 bekleidete, war von Valerius Gratus abgesetzt worden.5 Annas spielte jedoch selbst nach seiner Absetzung eine große Rolle, da er das führende Mitglied der jüdischen Hierarchie war und noch aktiv war, als Jesus in Jerusalem verhört wurde, und auch später, als Petrus und Johannes vor den Sanhedrin gebracht wurden. — Joh. 18:13; Apg. 4:6.
Über LYSANIAS, den Vierfürsten von Abilene, ist wenig bekannt. In der Stadt Abila, in der Nähe von Damaskus, wurde jedoch eine aus der Zeit des Kaisers Tiberius stammende Inschrift gefunden, die den geschichtlichen Nachweis erbringt, daß Lysanias dort als Vierfürst regierte.6 Und der nichtbiblische Geschichtsschreiber Josephus bestätigt, daß PHILIPPUS und HERODES (Antipas) als römische Regenten über die von Lukas erwähnten Gebiete eingesetzt waren.7 Sie hatten ihre Regentschaft beide kurz nach der Geburt Jesu übernommen. Philippus regierte bis zum Jahre 34 und Herodes Antipas bis zum Jahre 40.8
Josephus legte auch die Dauer und Zeit der Herrschaft des PONTIUS PILATUS fest. „… zu Vitellius, einem ehemaligen Consul und nunmehrigen Prätor von Syrien, um Pilatus wegen des an den Ihrigen verübten Mordes anzuklagen … In Folge dessen übertrug Vitellius einem seiner Freunde, dem Marcellus, die Verwaltung von Judäa und gab Pilatus die Weisung, sich nach Rom zu verfügen, um dort vor dem Kaiser wegen der von den Juden erhobenen Beschuldigungen Rede zu stehen. Nach zehnjähriger Amtsführung in Judäa eilte daher Pilatus nach Rom … Ehe er indessen zu Rom ankam, war Tiberius schon gestorben.“9 Kaiser Tiberius starb am 16. März des Jahres 37.10 Demnach muß die Regentschaft des Pilatus vom Jahre 27 bis 37 gedauert haben. Da Johannes der Täufer und Jesus ihren Dienst antraten, als Pilatus fest im Sattel saß, ist das Jahr 28 das früheste, auf das der Bericht des Lukas Bezug nehmen kann. Folglich scheiden die Jahre 25, 26 und 27 als Anfangsjahre der Dienstzeit Jesu aus.
Der letzte, ausschlaggebende Faktor ist der Beginn der Herrschaft des KAISERS TIBERIUS. Alle zuverlässigen Geschichtsquellen geben das Jahr 14 n. Chr. als den Beginn seiner Herrschaft als Kaiser an. Tiberius war der Stiefsohn und der eingesetzte Nachfolger des Kaisers Augustus, der am 19. August des Jahres 14 starb.11 Demnach begann Tiberius im August des Jahres 14 zu herrschen. Trotz dieser eindeutigen historischen Tatsachen stützen sich jene, die den Beginn der Dienstzeit Jesu auf ein früheres Jahr verlegen, auf die Mutmaßung, daß Lukas das Jahr 11 oder möglicherweise das Jahr 12 als das Jahr des Beginns der Herrschaft des Tiberius betrachtet habe, da dieser angeblich kurz vor dem Tode seines Stiefvaters, Augustus, eine Zeitlang dessen Mitregent gewesen sein soll. Der Geschichtsschreiber Josephus bestätigt auch in diesem Falle einwandfrei das Jahr 14 als das Jahr, auf das Lukas Bezug nahm. „Augustus, der zweite römische Alleinherrscher [starb], nach einer Regierung von siebenundfünfzig Jahren, sechs Monaten und zwei Tagen, von welcher Zeit er vierzehn Jahre mit Antonius gemeinschaftlich regiert hatte, in einem Alter von siebenundsiebzig Jahren. Auf Augustus folgte in der Regierung Tiberius Nero, der Sohn seiner Gemahlin Julia, als der dritte römische Kaiser.“12 Demnach betrachtete man in den Tagen des Lukas den Tod des Augustus im Jahre 14 als Beginn der Regierung des Tiberius und nicht als die Zeit, während der er möglicherweise als Mitregent amtete. Man beachte auch, daß Josephus einen anderen, einen gewissen Antonius erwähnt, der Augustus bei der Ausübung seiner Regentschaft zur Seite stand.
Der 19. August des Jahres 14 ist also einwandfrei als das Datum für den Beginn der Regierung des Tiberius zu erkennen, auf das sich Lukas in seinem Berichts stützt. Lukas erwähnt, daß Johannes im fünfzehnten Jahre des Kaisers Tiberius zu predigen begann. Da diese Zahl eine Ordnungszahl ist, müssen wir vierzehn volle Jahre und einige Monate des nächsten Jahres hinzurechnen, genauso wie wir unser Jahrhundert als das zwanzigste Jahrhundert bezeichnen, was bedeutet, daß neunzehn volle Jahrhunderte vergangen sind und wir nun über achtundfünfzig Jahre des nächsten Jahrhunderts hinter uns haben. Wenn wir vom 19. August des Jahres 14 an vierzehn volle Jahre vorwärtszählen, kommen wir zum 19. August oder Sommer des Jahres 28. Da Johannes der Täufer im Frühjahr, als er das dreißigste Lebensjahr erreicht hatte, zu predigen begann, muß dies also im darauffolgenden Frühjahr oder ungefähr im März oder April des Jahres 29 — immer noch im fünfzehnten Jahre des Tiberius — gewesen sein. Da Jesus sechs Monate jünger war als Johannes, muß er im Herbst des Jahres 29 n. Chr. dreißig Jahre alt gewesen sein. (Luk. 3:21-23) Demnach steht einwandfrei fest, daß Jesus seinen aufsehenerregenden Dienst im Herbst des Jahres 29 antrat.
DREIEINHALB JAHRE
Was nun die Dauer der Dienstzeit Jesu betrifft, so stimmt es, daß die Berichte des Matthäus, Markus und Lukas nicht so deutlich zeigen, daß sie sich auf volle dreieinhalb Jahre erstreckte. Johannes jedoch, der seinen Bericht ungefähr im Jahre 98 schrieb, das heißt also, lange nachdem die anderen drei Berichte geschrieben und in Umlauf gesetzt worden waren, erbringt die fehlenden Beweise. Johannes schreibt, daß Jesus, nachdem er im Herbst des Jahres 29 zu wirken begonnen hatte, vier Passahfeste in Jerusalem besuchte. Johannes 2:13 bezieht sich auf das Passah des Jahres 30, Johannes 5:1 auf das des Jahres 31, Johannes 6:4 auf das Passah des Jahres 32 und schließlich Johannes 13:1 auf das des Jahres 33, das letzte Passah, das Jesus kurz vor seinem Tode feierte. Die Tatsache also, daß Johannes von vier Passahfeiern, die in die Dienstzeit Jesu fielen, berichtet, beweist, daß diese sich auf dreieinhalb Jahre erstreckte. Diese vernünftige Ansicht teilen außer Jehovas Zeugen noch viele andere.2
Den zweiten Beweis für die dreieinhalb Jahre liefert uns eine biblische Prophezeiung. In Daniel 9:27 wird von Jesus vorhergesagt, daß er als der Messias, der Fürst, für eine Woche von sieben Jahren mit vielen des jüdischen Überrests den abrahamischen Bund festmachen werde. Das zeigte an, daß die großartige Gelegenheit, gemäß der von Jehova gemachten abrahamischen Verheißung ein Teil des Samens Abrahams zu werden, vom Beginn der Predigttätigkeit Jesu (Herbst des Jahres 29) an allein den Juden geboten werden sollte. Diese einzigartige Gelegenheit war sieben Jahre später, im Jahre 36, vorüber; denn von da an erging der Ruf auch an die Heiden, da diese nun ebenfalls eingeladen wurden, ein Teil des Königreichssamens zu werden, der aus 144 001 Gliedern besteht. (Gal. 3:28, 29) Bezeichnenderweise fährt Daniel dann fort und sagt, daß Jesus „zur Hälfte [mitten in, Lu] der Woche“ oder in der Mitte dieser sieben Jahre, also nach dreieinhalb Jahren, die vom Gesetz vorgeschriebenen Opfer offiziell aufhören lassen werde. In Kolosser 2:14 zeigt der Apostel Paulus, daß Gott durch den Tod Jesu den Gesetzesbund mit seinen Opfern rechtlich aufhob, indem er ihn „an den Marterpfahl nagelte“. Das geschah offensichtlich im Frühjahr des Jahres 33. Somit haben wir hier einen weiteren vollständigen Beweis.
JESUS STARB IM JAHRE 33
Schließlich weisen auch alle Umstandsbeweise darauf hin, daß für den Tag des Todes Jesu am Marterpfahl nur der 14. Nisan des Jahres 33 in Frage kommt. Alle von anderer Seite verfochtenen Jahre, nämlich die Jahre 28, 29, 30, 31, 32 und 34, entsprechen den Tatsachen nicht.
Fast alle führenden Vertreter religiöser Kreise und auch Jehovas Zeugen sind sich darin einig, daß Jesus, gemäß der Heiligen Schrift, an einem Freitagnachmittag verschieden sein muß. Aus diesem Grunde bezeichnen Katholiken und Protestanten diesen Tag auch als „Karfreitag“. Johannes 19:31 beweist, daß Jesus an einem Freitag starb. Wieso? Weil dort erwähnt wird, daß der Sabbat, der drei Stunden nach dem Tode Jesu (er starb ungefähr um 3 Uhr nachmittags) begann, nicht ein gewöhnlicher wöchentlicher Sabbat war, der am Freitag um 18 Uhr beginnt und bis Sonnabend, 18 Uhr, dauert. Ferner ist zu bedenken, daß der biblische Tag um 18 Uhr beginnt, nicht um Mitternacht, wie dies bei uns der Fall ist. Johannes sagt: „Der Tag jenes Sabbats war groß.“ In anderen Worten, es fielen zwei gesetzliche Sabbattage auf den gleichen Vierundzwanzigstundentag, und somit war jener Tag ein doppelter Sabbat. Gemäß dem Gesetz Moses mußte der 15. Nisan jedes Jahr als Sabbat gefeiert werden, ungeachtet, auf welchen Wochentag er fiel (3. Mose 23:6, 7) Es war ungefähr so wie mit den nationalen heidnischen Feiertagen. Wenn ein solcher Feiertag auf einen Sonntag fällt, dann fallen für die Bevölkerung zwei Feiertage auf den gleichen Vierundzwanzigstundentag, und das kommt im Verlauf der Jahre nur ab und zu einmal vor. So fiel im Jahre 33 der 15. Nisan mit dem wöchentlichen Sabbat zusammen. Das beweist, daß der 14. Nisan an einem Donnerstagabend, nämlich um 18 Uhr begonnen und bis Freitag, 18 Uhr, gedauert haben muß, damit es möglich war, daß Jesus am Freitagnachmittag starb. Daß der 14. Nisan auf einen Freitag fällt, kommt selten zwei Jahre hintereinander vor, es geschieht höchstens einmal alle paar Jahre. Wir werden nun sehen, wie das Jahr 33 allen erforderlichen Voraussetzungen für den biblischen Bericht über den Todestag Christi entspricht.
Jesus, das Lamm Gottes, starb am Tage des Passahs, das gemäß dem Gesetz Moses am 14. Nisan gefeiert wurde. Da der 14. Nisan der vierzehnte Tag nach dem Neumond ist, der zuerst in Ägypten und Palästina sichtbar wird, muß an diesem Tage stets Vollmond sein. (2. Mose 12:2, 6) Die Astronomie kommt uns hierbei zu Hilfe, indem sie uns folgende Tabelle liefert.13
Jahr Passah-Vollmond Tag des Julian. Wochentag
Kalenders
n. Chr. Julian. Gregorian.
Kalender Kalender
28 29. März 27. März 1 731 373 Montag
29 18. April 16. April 1 731 758 Montag
30 7. April 5. April 1 732 112 Freitag
31 27. März 25. März 1 732 466 Dienstag
32 14. April 12. April 1 732 850 Montag
33 3. April 1. April 1 733 204 Freitag
34 24. März 22. März 1 733 559 Mittwoch
Alle Jahre, die möglicherweise in Frage kommen könnten, müssen, mit Ausnahme der Jahre 30 und 33, ausgeschieden werden, da der 14. Nisan in jenen Jahren nicht auf einen Freitag fiel. Auch das Jahr 30 kommt, obwohl der 14. Nisan in jenem Jahr ein Freitag war, nicht in Betracht, da die Dienstzeit Jesu in diesem Falle nur sechs Monate umfaßt hätte, was nach dem biblischen Bericht zuwenig gewesen wäre. Wie wir bereits festgestellt haben, legte Lukas den Beginn der Dienstzeit Jesu auf den Herbst des Jahres 29 fest. Folglich bleibt nur noch das Jahr 33 (in dem 14. Nisan ein Freitag war), das alle Voraussetzungen in Verbindung mit dem Opfertod Jesu am Pfahl erfüllt. In dem Buche The Works of Flavius Josephus von Whiston wird dies in einer Fußnote zu Antiquities of the Jews [Jüdische Altertümer], 18. Buch, 3. Kapitel, Abschnitt 3, auch bestätigt, indem dort der 3. April des Jahres 33 (Julianischer Kalender) als der Todestag Jesu und der 5. April jenes Jahres als sein Auferstehungstag angegeben wird. Somit ist das Jahr 33 unbestreitbar das einzige Jahr, das in Frage kommt.
Abschließend sehen wir also, daß Jehovas Zeugen nicht nur mit vollem Recht glauben, daß sich die Dienstzeit Jesu auf dreieinhalb Jahre erstreckte, sondern daß sie im Herbst des Jahres 29 begann und im Frühjahr des Jahres 33 n. Chr. endete.
QUELLENANGABE
1 The Catholic Encyclopedia, 1908 Band III, S. 736.
2 The International Standard Bible Encyclopaedia, 1957, Band III, S. 1628, 1629.
3 Biblical Cyclopaedia, 1894, von M’Clintock and Strong, Band IV, S. 874, 875, 877.
4 The International Standard Bible Encyclopaedia, 1957, Band I, S. 538.
5 Ebenda, Band I, S. 137.
6 Light from the Ancient Past, 1946, von Finegan, S. 219.
7 Jüdische Alterthümer, Josephus, XVII, 8, 1.
8 Webster’s Biographical Dictionary, 1943, S. 701, 1178.
9 Jüdische Alterthümer, Josephus, XVIII, 4, 2.
10 The International Standard Bible Encyclopaedia, 1957, Band IV, S. 2396.
11 Ebenda, Band V, S. 2979.
12 Jüdische Alterthümer, Josephus, XVIII, 2, 2.
13 Babylonian Chronology 626 B.C. — A.D. 45, 1942, von Parker und Dubberstein, S. 46, ferner Canon der Mondfinsternisse, 1887, von Oppolzer, Band II, S. 344.
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JESU TAUFE 3 1/2 JAHRE JESU TOD
HERBST 29 n. Chr. 14. NISAN 33 n. Chr.