War Petrus je in Rom?
VIELE, die glauben, daß Petrus der erste Papst war und die Grundlage der Kirche sei, behaupten auch, daß Petrus in Rom war, von dort aus schrieb und dort den Märtyrertod erlitt. Durch solche Behauptungen wird natürlich der Anschein erweckt, als ob Rom der Mittelpunkt des religiösen Lebens der Christenheit sei. Stimmt es, daß Petrus in Rom war? Gründete er die Christenversammlung dort? Ist das Babylon, von dem aus Petrus schrieb, ein geheimnisvoller Name für Rom, wie einige sagen?
Diese Fragen scheinen einigen Personen unwichtig zu sein, aber die Antworten darauf zu verstehen oder mißzuverstehen heißt soviel wie eines der wichtigsten Themen der Bibel zu verstehen oder mißzuverstehen, und wir mögen unser Leben verlieren, wenn wir verfehlen, dem Gebot „Geht aus ihr [Babylon der Großen] hinaus“ zu gehorchen, um unserer eigenen Vernichtung zu entgehen.
Obgleich es wahr ist, daß Petrus die „Schlüssel des Königreiches der Himmel“ gebrauchte und die Erkenntnis einer Gelegenheit, in das Königreich der Himmel einzugehen, am Pfingsttag des Jahres 33 u. Z. den Juden in Jerusalem und später, im Jahre 36 u. Z., den Heiden enthüllte, als er Kornelius und seinen Hausgenossen in Cäsarea, ungefähr achtzig Kilometer entfernt, diese Erkenntnis eröffnete, war Paulus derjenige, den Christus erwählt hatte, der „Apostel für die Nationen“ oder Heiden zu sein. (Apg. 9:15; 22:17-21) Paulus selbst erklärt die Aufteilung des Gebiets, wodurch den Aposteln verschiedene Teile der Welt zugewiesen wurden, in denen sie predigen und neue Christenversammlungen gründen sollten, in folgenden Worten:
EINE GEBIETSZUTEILUNG
„Dann, nach vierzehn Jahren [nach einem früheren Besuch], ging ich wieder nach Jerusalem hinauf mit Barnabas und nahm auch Titus mit. Ich begab mich aber zufolge einer Offenbarung hinauf. Und ich legte ihnen die gute Botschaft vor, die ich unter den Nationen predige, ... als sie sahen, daß ich mit der guten Botschaft für die Unbeschnittenen betraut war, so wie Petrus für die Beschnittenen damit betraut war — denn der, welcher Petrus Vollmacht gab, wie sie für ein Apostelamt für die Beschnittenen notwendig ist, gab auch mir Vollmacht für die von den Nationen; ja, als sie die unverdiente Güte kennenlernten, die mir verliehen worden war, gaben Jakobus und Kephas [Petrus] und Johannes, sie, die Säulen zu sein schienen, mir und Barnabas die rechte Hand der Mitteilhaberschaft, damit wir zu den Nationen gehen sollten, sie [Jakobus, Petrus und Johannes] aber zu den Beschnittenen.“ — Gal. 2:1-9.
Damals, im ersten Jahrhundert, lebten die meisten Juden in östlichen Gegenden, einschließlich Babylon. Daher würde Petrus seine Tätigkeit auf diese Gebiete konzentrieren. Andererseits bedeutete das für Paulus, in westliche Richtung nach Europa zu gehen. Daß Gott diese Gebietsaufteilung billigte, geht aus der Tatsache hervor, daß Paulus, als er sich in Troas an der Westspitze Kleinasiens befand, von Gott nach dem Westen gerufen wurde. „Während der Nacht hatte Paulus eine Vision: ein gewisser mazedonischer Mann stand da, bat ihn inständig und sprach: ‚Komm nach Mazedonien herüber und hilf uns!‘“ (Apg. 16:9) Die erste Versammlung, die als Ergebnis der Tätigkeit Pauli dort gegründet werden sollte, lag in der mazedonischen Stadt Philippi. Danach wurden Christenversammlungen in Athen, Korinth und anderen europäischen Städten gegründet.
PETRUS STAND NICHT ÜBER ALLEN ANDEREN
In seinem Brief an die Korinther bestätigte Paulus, daß es in dieser westlichen Stadt Korinth eine Versammlung gab, die als Ergebnis der Tätigkeit Pauli dort gegründet worden war; er zeigte auch, daß man Petrus nicht als Haupt der Christenversammlung betrachtete; Paulus mußte den Korinthern wegen einer Streitfrage schreiben, denn sie hatten unter sich Sekten gebildet. Einige sagten: „Ich gehöre zu Paulus.“ Andere sagten: „Ich aber zu Apollos“, „Ich aber zu Kephas [Petrus]“, „Ich aber zu Christus.“ Paulus tadelte sie in scharfen Worten: „Ihr seid noch fleischlich. Denn solange es Eifersucht und Streit unter euch gibt, seid ihr da nicht fleischlich und wandelt ihr nicht wie Menschen? Denn wenn einer sagt: ‚Ich gehöre zu Paulus‘, ein anderer aber sagt: ‚Ich zu Apollos‘, seid ihr da nicht einfach Menschen? Was ist denn Apollos? Ja, was ist Paulus? Diener sind sie, durch die ihr gläubig geworden seid, so wie der Herr es einem jeden gewährt hat. Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber hat es fortwährend wachsen lassen, so daß weder der Pflanzende etwas ist noch der Begießende, sondern Gott, der es wachsen läßt. Folglich rühme sich niemand der Menschen; denn alles gehört euch, sei es Paulus oder Apollos oder Kephas [Petrus] oder die Welt oder Leben oder Tod oder Gegenwärtiges oder Zukünftiges, alles gehört euch; ihr aber gehört Christus; Christus aber gehört Gott.“ — 1. Kor. 1:12; 3:3-7, 21-23.
Diese Männer, mit deren Hilfe sie gläubig geworden waren und die ihnen halfen, ihr geistiges Wachstum zu fördern — einige gehörten zu der leitenden Körperschaft —, waren Diener der Versammlung, die Gott durch Christus bereitet hatte. Sie waren „Gaben in Form von Menschen“. So war gewiß kein Mann, beispielsweise Paulus oder Petrus, die Grundlage oder der Oberste der Kirche. Sie wurde auf Jesus Christus gegründet. Wie Paulus den Korinthern berichtete, kann „kein Mensch ... einen anderen Grund legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“. (1. Kor. 3:11) Christen, die einen Menschen für die Grundlage hielten, waren „einfach Menschen“, „fleischliche“ Menschen, die ihre geistige Gesinnung aufgaben und statt dessen die Gesinnung niedriger, materialistischgesinnter Menschen annahmen.
PAULUS BEGIBT SICH NACH ROM
In dem Buch der Bibel, das Apostelgeschichte genannt wird, wird uns der Bericht über die Tätigkeit des Paulus wiedergegeben und gezeigt, daß er derjenige war, der im Westen unter den Heidennationen tätig war und natürlich den Juden, die in diesen Ländern waren, predigte. Dennoch war Paulus, der „Apostel für die Nationen“, nicht der Gründer der Versammlung in Rom, und noch weniger Petrus. Als Paulus in Ephesus, Kleinasien, weilte und sich über einen geplanten Besuch in Jerusalem unterhielt, erklärte er: „Nachdem ich dorthin gekommen bin, muß ich auch Rom sehen.“ (Apg. 19:21) Er schrieb an die Versammlung in Rom, nicht in Lateinisch, sondern in Griechisch, und teilte ihr mit: „[Ich wurde] oftmals verhindert, zu euch zu kommen. Jetzt aber, da ich in diesen Gegenden kein unberührtes Gebiet mehr habe und seit einigen Jahren Sehnsucht danach gehabt habe, zu euch zu kommen, hoffe ich vor allem, wenn ich je auf meinem Wege nach Spanien bin, euch auf der Durchreise zu sehen und von euch ein Stück Weges dorthin geleitet zu werden, nachdem ich erst durch eure Gesellschaft einigermaßen gesättigt worden bin.“ — Röm. 15:22-24.
Nachdem Paulus in Jerusalem eingesperrt und von jüdischen Religionisten dort tätlich angegriffen worden war, legte er in bezug auf seinen Rechtsfall beim Cäsar Berufung ein, und folgendem Bericht gemäß billigte Christus sein Vorgehen: „Der Herr [stand] bei ihm und sprach: ‚Sei guten Mutes! Denn so wie du über die Dinge mich betreffend in Jerusalem ein gründliches Zeugnis abgelegt hast, so sollst du auch in Rom Zeugnis ablegen.‘“ (Apg. 23:1-11) Diese Tatsachen sollten darauf hinweisen, daß Paulus die Versammlung in Rom nicht gegründet hat, sondern daß sie ohne Zweifel von den Juden in Rom gegründet worden war, die an jenem bemerkenswerten Pfingsttag des Jahres 33 u. Z. in Jerusalem und unter den dort Bekehrten gewesen waren. Als sie nach Rom zurückkehrten, predigten sie dort die gute Botschaft vom Königreich. — Apg. 2:1-10.
Nachdem Paulus viele Schwierigkeiten überwunden hatte, kam er in Rom an. Der Bericht in Apostelgeschichte 28:14-16 lautet wie folgt: „Hier [in Puteoli] fanden wir Brüder, die uns inständig baten, sieben Tage bei ihnen zu bleiben; und so kamen wir Rom näher. Und von dort kamen uns die Brüder, als sie die Nachricht über uns hörten, bis zu dem Marktplatz von Appius und den Drei Schenken entgegen, und als Paulus sie erblickte, dankte er Gott und faßte Mut. Als wir schließlich nach Rom hineinkamen, wurde es Paulus erlaubt, für sich zu bleiben bei dem Soldaten, der ihn bewachte.“ Nirgends wird erwähnt, Petrus sei von Rom herbeigekommen, um Paulus zu treffen, und die nachfolgenden Aufzeichnungen enthalten nichts über einen Besuch, den Petrus dem Apostel Paulus abgestattet hätte, während er dort in Haft war, bevor er vor Kaiser Nero, den Pontifex maximus, geführt wurde. Petrus wird auch nicht in dem langen Brief erwähnt, den Paulus an die Römer schrieb und der viele Grüße enthält. — Röm. 16:3-23.
DER DIENST DES PETRUS IN DEN ÖSTLICHEN VERSAMMLUNGEN
Wo verrichtete Petrus in der Zwischenzeit sein Missionarwerk? Nun, er amtete seinem Auftrag gemäß als Apostel für die Beschnittenen. (Gal. 2:8) Deshalb konzentrierte er seine Anstrengungen auf die Diaspora, die „Zerstreuung“.a Babylon würde in der östlichen „Zerstreuung“ der Juden der Konzentrierungspunkt sein. Darüber lesen wir folgendes:
Zur Zeit Christi konnte Josephus von den Juden Babyloniens als von „viel tausend Menschen“ sprechen, die „nicht zu zählen sind“. (Jüdische Altertümer, XI, v, 2) Er berichtet uns auch von 2000 jüdischen Familien, die Antiochus von Babylonien und Mesopotamien nach Phrygien und Syrien übersiedeln ließ ... Babylonien blieb jahrhundertelang ein Sammelpunkt des östlichen Judaismus, und aus den Besprechungen an den Rabbinerschulen entstand im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung der jerusalemische Talmud und ein Jahrhundert später der babylonische Talmud. Die beiden wichtigsten Zentren des mesopotamischen Judaismus waren Nehardea, eine Stadt am Euphrat, und Nisibis am Mygdonios, einem Nebenfluß des Chaborâs, wo sich auch Zentren des syrischen Christentums befanden. — International Standard Bible Encyclopaedia, Ausgabe 1955, Band 2, Seite 856a.
Während Paulus sich in westliche Richtung, nach Europa, begab, dienten Jakobus und Kephas und Johannes in Übereinstimmung mit der in Galater 2:9 erwähnten Übereinkunft in der östlichen Welt. Jakobus stimmt in dem von ihm verfaßten Brief damit überein. Er führt seinen Brief mit folgenden Worten ein: „Jakobus, ein Sklave Gottes und des Herrn Jesus Christus, an die zwölf Stämme, die überall zerstreut sind: Grüße!“ (Jak. 1:1) Der Apostel Johannes, der das letzte Buch der Bibel schrieb, adressierte es mit folgenden Worten an die im Osten befindlichen Versammlungen: „Johannes an die sieben Versammlungen, die in dem Bezirk Asien sind.“ Der auferstandene Christus, der Johannes die Vision gab, gebot ihm: „Was du siehst, schreibe in eine Buchrolle und sende es den sieben Versammlungen, in Ephesus und in Smyrna und in Pergamon und in Thyatira und in Sardes und in Philadelphia und in Laodicea.“ (Offb. 1:4, 11) Nun, an wen schrieb Petrus? Petrus führt seinen ersten Brief mit folgenden Worten ein: „Petrus, ein Apostel Jesu Christi, an die zeitweilig Ansässigen, die zerstreut sind in Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien.“ (1. Petr. 1:1) Keiner der hier erwähnten Orte liegt in Europa.
BABYLON IST KEIN GEHEIMNISVOLLER NAME FÜR ROM
Petrus erwähnt Rom in seinem Brief überhaupt nicht; dagegen weist er deutlich darauf hin, daß der Brief von Babylon aus geschrieben wurde. In 1. Petrus 5:13 heißt es: „Es grüßt euch die mitauserwählte Gemeinde in Babylon und Markus, mein Sohn.“ (Rösch) Aber Verfechter des Gedankens, daß Petrus von Rom aus schrieb, argumentieren, er habe Rom symbolisch erwähnt und unter dem Namen Babylon getarnt. Zum Beispiel heißt es in der Einleitung zum ersten Petrusbrief einer von James Kardinal Gibbons approbierten Übersetzung (englisch), gedruckt von dem Herausgeber, der John Murphy Company, auszugsweise wie folgt:
Er schrieb ihn von Rom aus, das er sinnbildlich Babylon nennt, etwa fünfzehn Jahre nach unseres Herrn Himmelfahrt.
Die bereits zitierte Rösch-Übersetzung führt zu 1. Petrus 5:13 folgende Fußnote an: „Die mitauserwählte Gemeinde in Babylon ist die römische Christengemeinde.“ Das Neue Testament, übersetzt von Monsignore R. A. Knox (1944), schreibt in der Fußnote zu diesem Text: „Es können kaum Zweifel darüber bestehen, daß mit Babylon Rom gemeint ist; vergleiche Apokalypse xvii, 5.“
Wenn Petrus seinen ersten Brief etwa fünfzehn Jahre nach der Himmelfahrt Jesu geschrieben hätte, müßte nach katholischer Ansicht der Brief des Petrus mindestens vor dem Jahre 48 u. Z. verfaßt worden sein. The Catholic Encyclopedia, Band 11 (Ausgabe 1911), schreibt jedoch auf Seite 753b:
Die zutreffendste Ansicht ist die, die vom Ende des Jahres 63 oder dem Anfang des Jahres 64 ausgeht; und wenn der hl. Petrus im Jahre 64 (67?) in Rom den Märtyrertod starb, kann der Brief nicht nach diesem Zeitpunkt geschrieben worden sein; nebenbei läßt der Brief erkennen, daß die von Kaiser Nero gegen Ende des Jahres 64 begonnene Verfolgung noch nicht ausgebrochen war ... Der Brief konnte nicht vor dem Jahre 63 verfaßt worden sein ...
Folglich schrieb Petrus seinen Brief gemäß Schätzungen von katholischer Seite, bevor Rom anfing, die Christenversammlung zu verfolgen. Was sollte daher der Zweck oder zwingende Grund sein, daß Petrus den Namen Rom verbergen oder Babylon als Decknamen für Rom gebrauchen wollte, bevor die Christen durch die Römer verfolgt wurden? Diesbezüglich lesen wir in der Cyclopædia von M’Clintock und Strong, Band 8, Seite 18, folgendes:
Warum sollte man in einen Namen, der als Abfassungsort eines Briefes angegeben wird, einen mystischen Sinn hineinlegen? Dafür besteht kein größerer Anlaß, als daß man auch den geographischen Namen in [Kapitel] 1, [Vers] 1, eine ähnliche Bedeutung zuschreibt. Wie konnten seine Leser in dem Ausdruck ἡ συνεκλεκτὴ [he syneklekté: die miterwählte Kirche] in Babylon die Kirche zu Rom entdecken? Und wenn Babylon eine feindlichgesinnte geistige Macht darstellen soll, wie in der Apokalypse (xviii, 21), dann erscheint es seltsam, wenn katholische Kritiker hier allgemein diese Deutung akzeptieren und zulassen, daß man durch Schlußfolgerungen dieses Kennzeichen ihrer geistigen Metropole zuschreibt. Dr. Brown von Edinburgh führt einen Fall an, der etwa parallel liegt: „Unsere Stadt nennt man manchmal Athen wegen ihrer Lage und weil es dort etwas zu lernen gibt. Man könnte deswegen aber nicht argumentieren, ein Brief komme aus Edinburgh, weil im Briefkopf der Ort Athen genannt wird.“ (Expository Discourses on 1st Peter, i, 548)
... Die natürliche Interpretation ist die, daß man den Namen Babylon auf die wohlbekannte Stadt bezieht. Es stimmt, wir haben keinen Bericht darüber, daß Petrus irgendeine Missionsreise nach Chaldäa unternommen hätte, denn nur weniges erfahren wir aus dem Neuen Testament über den letzten Teil seines Lebens. Wir wissen aber von Josephus, daß viele Juden in Babylon wohnten — οὐ γαρ ὀλίγοι μυριάδες [ou gar olígoi myriádes: nicht wenige (Myriaden) Tausende]. War nicht gerade ein solcher Ort, der zu einem großen Teil eine jüdische Kolonie oder Niederlassung war, dazu angetan, den Apostel der Beschneidung anzuziehen? ... Wenn man einräumt, daß das Parthische Reich [in dem damals Babylon lag] seine eigene Regierung hatte, schreibt er an Personen in anderen Provinzen, die der römischen Gerichtsbarkeit unterstanden, und er schärft ihnen ein, dem Kaiser als dem Obersten und den verschiedenen Beamten, die er zum Zwecke der örtlichen Verwaltung bestellte, zu gehorchen. Darüber hinaus werden, wie schon oft vermerkt worden ist, die Länder der in dem Brief (i, 1) angesprochenen Personen der Reihe nach aufgezählt, in der Ordnung, die eine von Babylon aus schreibende Person natürlicherweise wählen würde — die am nächsten liegenden zuerst und dann kreisförmig auf die im Westen und Süden in größerer Entfernung liegenden Gegenden übergehend. An der buchstäblichen Bedeutung der Bezeichnung Babylon halten Erasmus, Calvin, Beza, Lightfoot, Wieseler, Mayerhoff, Bengel, De Wette, Bleek und vielleicht die Mehrheit der modernen Kritiker fest.
Als Stütze für das vorher Dargelegte haben wir ein Werk, betitelt A Commentary, Critical and Explanatory, on the Old and New Testaments (Ein kritischer und erklärender Kommentar zum Alten und Neuen Testament), von den Doktoren R. Jamieson, A. R. Fausset und D. Brown aus Großbritannien, Ausgabe 1873, Teil 2, das auf Seite 514b über Babylon folgendes ausführt:
Das chaldäische Babylon am Euphrat. Siehe Einführung, ÜBER DEN ORT DER ABFASSUNG dieser Epistel, als Beweis dafür, daß nicht Rom damit gemeint ist, wie Papisten versichern. Vergleiche damit die Predigt von LIGHTFOOT. Wie unwahrscheinlich ist es doch, daß in einem freundlichen Grußwort ein in der Prophezeiung (Johannes, Offenbarung 17.5) doppeldeutiger Titel gebraucht wurde! Babylon war das Zentrum, von dem die asiatische Zerstreuung, an die sich Petrus wendet, herstammte. PHILO, Legatio ad Caium, Abschnitt 36, und JOSEPHUS, Jüdische Altertümer, 15, 2.2; 23:12, unterrichten uns darüber, daß in Babylon zur Zeit der Apostel eine große Anzahl Juden lebte (in Rom dagegen lebten verhältnismäßig wenige, etwa 8000, JOSEPHUS, 17.11); so war es ganz natürlich, daß es von dem Apostel der Beschneidung besucht wurde. Dort befand sich das Zentrum derer, die er mit so viel Erfolg zu Pfingsten angesprochen hatte, Apostelgeschichte 2:9, jüdische „Parther ... Bewohner von Mesopotamien“ (die Parther waren damals die Herren im mesopotamischen Babylon); diesen diente er in persona. Seinen anderen Zuhörern, den jüdischen „Bewohnern von Kappadozien, Pontus, Asien, Phrygien, Pamphylien“, diente er nun brieflich. Das erste eindeutige Zeugnis über den Märtyrertod des Petrus in Rom liefert DIONYSIUS, der Bischof von Korinth (letzte Hälfte des zweiten Jahrhunderts). Der Wunsch, Petrus und Paulus, die beiden führenden Apostel, als Gründer der Kirche der Metropole hinzustellen, scheint „der Vater“ dieser Tradition gewesen zu sein. CLEMENS VON ROM (1. Epistola ad Corinthios, Abschnitte 4, 5), DER OFT ZITIERT WIRD, SPRICHT IN WIRKLICHKEIT DAGEGEN. Er erwähnt Paulus und Petrus zusammen, führt jedoch als Unterscheidungsmerkmal an, daß Paulus sowohl im Osten als auch im Westen predigte, womit er andeutet, daß Petrus nie im Westen war.b
In 2. Petrus 1:14 sagt er: „Ich weiß, daß das Ablegen meiner Hütte nahe bevorsteht.“ Damit deutet er die Nähe seines Märtyrertodes an, erwähnt jedoch nichts von Rom, auch nichts von irgendeiner Absicht, Rom zu besuchen.c
DIE WAHRHEIT, NICHT DIE TRADITION, MACHT FREI
Was ist, wenn jene religiösen Schreiber von Schriften, die kein Teil der Bibel bilden, dennoch behaupten, daß Babylon Rom bedeute — daß Babylon der Deckname für Rom sei? Jene Männer waren nicht inspiriert, so wie es Gottes Diener waren, die die Heilige Schrift aufgezeichnet haben. Petrus war einer dieser inspirierten Bibelschreiber. (2. Petr. 1:21) Wenn Petrus Babylon sagt, in Wirklichkeit aber Rom gemeint hätte, dann hätte Gottes Geist, der Petrus inspirierte, unrecht gehabt, was natürlich nicht denkbar ist, denn Babylon ist nicht Rom und wird auch nicht sinnbildlich für Rom gebraucht, wie wir in später veröffentlichten Artikeln dieser Serie noch erkennen werden. Was Gott sagt, ist immer wahr, und seine inspirierten Schreiber zeichneten die Wahrheit auf. Deshalb ist in der Aussage des Petrus in 1. Petrus 5:13 nicht Rom gemeint, sondern die buchstäbliche Stadt Babylon in Mesopotamien.
Was das Bestehen Babylons zu jener Zeit betrifft, so geht aus The Westminster Historical Atlas to the Bible, revidierte Ausgabe 1956, von Wright und Filson (Seite 89, Landkarte mit der Überschrift „Die römische Welt um Christi Geburt“), hervor, daß es zu jener Zeit noch eine Stadt Babylon gab. Mit dem Ausdruck „die mitauserwählte Gemeinde in Babylon“, der in 1. Petrus 5:13 (Rösch) vorkommt, mag eine Versammlung, dort gemeint sein, aber „sie“ konnte Babylon nicht davor bewahren, in Erfüllung der Prophezeiung zu einer vollständigen Öde zu werden.
Christen sehen in unseren Tagen Christus Jesus als die Grundlage der Christenversammlung und die Apostel als treue Männer an, die Christus, ihr Herr und Meister, gebraucht und die auf die Grundlage aufgebaut sind. Sie sehen nicht irgendeine Stadt auf der Erde als den Mittelpunkt ihres Glaubens an, so, als ob sie in Gottes Augen zum gegenwärtigen Zeitpunkt wichtiger wäre als eine andere Stadt. Ob ein gewisser Mann, selbst einer der Apostel Jesu Christi, eine besondere Stadt besucht hat oder nicht, ist hier nicht das Wichtige. Es ist jedoch wichtig zu wissen, daß Petrus nicht Rom meinte, als er Babylon sagte, denn wenn Babylon ein geheimer Name für Rom wäre, dann wäre Babylon die Große Rom. Aber die Bibel zeigt uns, daß Babylon die Große etwas weitaus Wichtigeres ist und einen viel weitreichenderen Einfluß ausübt, als Rom es jemals getan hat oder die Religion, die von Rom aus verbreitet wurde. Babylon die Große ist das Weltreich der falschen Religion, das nicht nur die Religionen der Christenheit, sondern auch die des Heidentums einschließt. Um dem Gebot der Bibel, aus Babylon hinauszugehen, nachzukommen, braucht man nicht in Rom zu sein; man kann sich irgendwo auf der Erde befinden und ein Gefangener in geistigem Sinne sein, der unter dem Einfluß Groß-Babylons steht. Daraus muß man fliehen. Man muß klar erkennen, was Babylon die Große ist, damit man sie verlassen und sein Leben retten kann. Um das zu tun, muß man ein klares Verständnis über das haben, was die Bibel über Babylon sagt. Vertrauen wir deshalb auf Gottes inspiriertes Wort mehr als auf die Traditionen der Menschen, die nicht inspiriert sind und versuchen, eine vorgefaßte Meinung zu unterstützen. Es ist allein die Wahrheit, die die Menschen frei macht. — Joh. 8:32.
[Fußnoten]
a „Bezieht sich auf Juden, die freiwillig oder gezwungenermaßen außerhalb des Heiligen Landes im ‚Exil‘ lebten, insbesondere in dem Zeitabschnitt nach der Zerstörung Jerusalems durch die Hände des Titus (70 u. Z.), als sie aus ihrem Heimatgebiet vertrieben worden waren.“ — Concise Dictionary of Judaism, von Dagobert D. Runes, 1959.
b In seinem ersten Brief an die Korinther (Abschnitt 5) schreibt Clemens: „... Stellen wir uns die guten Apostel vor Augen: den Petrus, der wegen ungerechter Eifersucht nicht eine oder zwei, sondern viele Fährlichkeiten [Gefahren] ertrug und so nach Ablegung seiner Zeugenschaft zu dem ihm gebührenden Orte der Herrlichkeit wanderte. Wegen Eifersucht und Streitsucht zeigte Paulus den (Weg zum) Kampfpreise geduldigen Ausharrens: in Banden war er siebenmal, verjagt, gesteinigt wurde er, als Herold trat er im Osten und im Westen auf, und deswegen hat er herrlichen Ruhm für seinen Glauben geerntet. Denn die ganze Welt hat er Gerechtigkeit gelehrt, bis zum äußersten Westen ist er vorgedrungen, und vor den Machthabern hat er sein Zeugnis abgelegt: so ward er dann aus der Welt genommen und wanderte an den heiligen Ort, das größte Vorbild von Geduld.“ — A Translation of the Epistles of Clement of Rome. Polycarp and Ignatius, von Temple Chevallier, B. D., Ausgabe 1833, London, England, Seite 6. Siehe auch The Apostolic Fathers — An American Translation, von Edgar J. Goodspeed, Ausgabe 1950, Seite 51, 52.
c Über den obenerwähnten Dionysius sagt die Cyclopædia von M’Clintock und Strong, Band 8, Seite 14, folgendes: „Eusebius (iii, 25, in Erwähnung eines Zitates von Dionysius, dem Bischof von Korinth) fügt hinzu, daß sie [Petrus und Paulus] gemeinsam den Märtyrertod erlitten ... Doch beruht die ganze Geschichte auf dem alleinigen Zeugnis des Dionysius, der etwa um das Jahr 176 n. Chr. gestorben sein muß. (Die Ausführungen des Clemens Romanus in seinem ersten Brief an die Korinther, v, und die des Ignatius [an die Römer, v] sind nicht gewichtig.) ... Epiphanius (xxvii, 7) nennt sogar Paulus den Bischof (ἐπίσκοπος) der Christen in Rom.“