Ist Jesus wirklich in den Himmel aufgefahren?
ZU DEN Stätten, die dem Fremden, der Jerusalem besucht, gezeigt werden, gehört die Himmelfahrtskapelle auf dem Ölberg, östlich von Jerusalem. In dieser Kapelle liegt „ein Stein, auf dem der Abdruck des letzten Fußstapfens Jesu vor seiner Himmelfahrt“ zu sehen sein soll. Wer diese alberne Legende für wahr hält, muß schon recht leichtgläubig oder naiv sein.
Viele Geistliche der Christenheit gehen ins andere Extrem. So lesen wir in der superkritischen, 1951 erschienenen Bibelübersetzung The Interpreter’s Bible (Bd. 10, S. 633): „Was hält die Kirche heute von der Himmelfahrt Christi? Offen gestanden sehr wenig. Veröffentlichte Predigten über die Himmelfahrt sind schwer zu finden. In der Gedankenwelt der Urkirche nahm die Himmelfahrt aber einen entscheidenden Platz ein.“
Heute besteht die Tendenz, die Himmelfahrt Christi als konkretes Geschehen anzuzweifeln. Einige straucheln über die Tatsache, daß die Bibel von Jesus sagt, er sei in den Himmel aufgefahren oder in den Himmel emporgestiegen. Und in Hastings’ Dictionary of the Bible (revidierte Ausgabe) wird gesagt: „In den synoptischen Evangelien wird die Himmelfahrt unseres Herrn nicht als ein Geschehen erzählt. ... Nur in Apostelgeschichte 1:6-11 wird die Himmelfahrt als ein Geschehnis für sich erzählt. ... Fragwürdig in der Erzählung in der Apostelgeschichte ist die Andeutung, daß die Himmelfahrt ein von der Auferstehung getrenntes Ereignis sei und daß sie in die Reihe der Geschehnisse eingeordnet wird.“
Ein von der Auferstehung getrenntes Ereignis
Lukas, der Schreiber der Apostelgeschichte, macht nicht nur eine „Andeutung“, daß die Himmelfahrt Jesu ein von seiner Auferstehung getrenntes Ereignis ist, sondern er zeigt das sehr deutlich. Er schildert den Hergang der Himmelfahrt sehr genau und sagt, wann, wo und wie sie sich zutrug.
Wann hat die Himmelfahrt stattgefunden? Vierzig Tage nach Jesu Auferstehung, denn Lukas gibt eine Darstellung der Himmelfahrt Jesu, nachdem er folgendes berichtet hat: „Diesen [seinen Jüngern] zeigte er sich auch, nachdem er gelitten hatte, durch viele sichere Beweise als lebend, indem er vierzig Tage hindurch von ihnen gesehen wurde und von den Dingen über das Königreich Gottes redete.“ — Apg. 1:3.
Wo hat die Himmelfahrt stattgefunden? Auf dem Ölberg, denn Lukas schreibt, nachdem er die Himmelfahrt dargestellt hat: „Dann kehrten sie“ — seine Jünger, die Zeugen der Himmelfahrt gewesen waren — „von einem Berge, welcher Ölberg genannt wird, der nahe bei Jerusalem liegt, eine Sabbat-Tagereise davon entfernt, nach Jerusalem zurück.“ — Apg. 1:12.
Und wie ging die Himmelfahrt vor sich? Wir lesen: „Und nachdem er diese Dinge gesagt hatte, wurde er, während sie zuschauten, emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf, von ihren Augen hinweg. Und als sie unverwandt zum Himmel schauten, während er hinfuhr, siehe! da standen zwei Männer in weißen Kleidern neben ihnen, und sie sprachen: ,Männer von Galiläa, warum steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird so kommen, in derselben Weise, wie ihr ihn in den Himmel habt gehen sehen.‘“ — Apg. 1:9-11.
Wie kann man einen solchen Bericht als „fragwürdig“ bezeichnen oder von einer „Andeutung“ sprechen? In dieser Schilderung wird die Himmelfahrt wiederholt als konkretes Geschehen erwähnt. Von Jesus wird gesagt, er sei „emporgehoben“ worden. Seine Apostel schauten zu, „während er hinfuhr“. Und die beiden Engel erklärten, daß „dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist“, wiederkommen werde. Sind diese Worte nicht klar und deutlich?
Dieser allmähliche Aufstieg Jesu, sein Emporgehobenwerden vor den Augen der Jünger, sollte ihnen ohne Zweifel nachdrücklich vor Augen führen, daß er wirklich in den Himmel auffuhr und daß sie nicht erwarten durften, ihn wiederzusehen. Als er ihnen nach seiner Auferstehung erschienen war, verschwand er sehr wahrscheinlich jeweils ganz plötzlich wieder vor ihnen, wie zum Beispiel, nachdem er die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus getröstet hatte. Wir lesen, daß er sich ihnen zu erkennen gab und darauf ‘vor ihnen verschwand’. — Luk. 24:31.
Ein weiteres Zeugnis
Personen, die den Bericht in Apostelgeschichte 1 über Jesu Himmelfahrt kritisieren, ziehen die Zuverlässigkeit des Parallelberichts in Lukas 24:50, 51 in Frage, indem sie sagen, nur in der Apostelgeschichte werde von der Himmelfahrt als einem von der Auferstehung getrennten Ereignis gesprochen. Gibt es für diesen Standpunkt ausreichende, stichhaltige Gründe? Wohl trifft es zu, daß einige der alten Handschriften die Worte „und wurde zum Himmel emporgetragen“ nicht enthalten, doch in vielen anderen Handschriften sind diese Worte zu finden, so im Codex Alexandrinus, im Codex Vaticanus 1209 und im Codex Ephraemi. Der ganze Text lautet: „Er führte sie aber bis nach Bethanien [am Ölberg] hinaus, und er erhob seine Hände und segnete sie. Während er sie segnete, schied er von ihnen und wurde zum Himmel emporgetragen.“
Die Gelehrten Westcott und Hort, Herausgeber eines der zuverlässigsten griechischen Texte der Christlichen Griechischen Schriften, haben diese fraglichen Worte in ihren Text aufgenommen. Und die unterschiedliche Lesart ist, wie richtig bemerkt worden ist, „leichter als Weglassung im westlichen Text zu erklären, denn als Zusatz zum östlichen Text“.
Verschiedentlich ist auch erörtert worden, daß man aus Lukas, Kapitel 24 den Schluß ziehen könnte, Jesus sei an dem Tag seiner Auferstehung in den Himmel aufgefahren. Warum mag man zu einem solchen Schluß kommen? Weil Lukas in seinem Bericht die dazwischenliegenden Ereignisse nicht erwähnt. Aber in 1. Korinther 15:4-8 wird darüber berichtet. Wir lesen dort, daß Jesus seinen Jüngern nach seiner Auferstehung und vor seiner Himmelfahrt wiederholt erschienen ist.
Jesus sagte seinen Jüngern immer wieder, daß er zu seinem Vater im Himmel zurückkehren werde: „Ich gehe zum Vater hin.“ (Joh. 14:12, 28; 7:33; 16:5, 10, 28) Am Pfingsttage lenkte der Apostel Petrus die Aufmerksamkeit auf den Beweis dafür, daß Jesus in den Himmel aufgefahren war, indem er sagte: „Diesen Jesus hat Gott zur Auferstehung gebracht, von welcher Tatsache wir alle Zeugen sind. Da er nun zur Rechten Gottes erhöht worden ist und den verheißenen heiligen Geist vom Vater empfangen hat, hat er das ausgegossen, was ihr seht und hört.“ — Apg. 2:32, 33.
In den Schriften der Apostel Christi findet man ähnliche Zeugnisse. Darin wird gesagt, daß Jesus zur Rechten Gottes sei (Röm. 8:34; Eph. 1:20; Kol. 3:1); daß er erhöht worden sei (Phil. 2:9-11; Hebr. 7:26); daß er in den Himmeln sei. (Eph. 6:9; Phil. 3:20; Hebr. 4:14) Aus diesen Zeugnissen geht zweifelsfrei hervor, daß Jesus nach der Bibel nicht nur von den Toten auferstanden, sondern auch in den Himmel aufgefahren ist, wo er sich seither aufhält.
In welche Richtung?
Es gibt Personen, die gegen die Lehre der Bibel, daß Jesus in den Himmel aufgefahren ist, einwenden, es sei nicht vernünftig, zu meinen, der Himmel sei „über“ der Erde, ganz gleich, wo man sich befinde. Aber dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Als die New York Times über einen der Raumflüge berichtete, schrieb sie, die Astronauten seien „739 nautische Meilen aufgestiegen“, während sie sich in Wirklichkeit so viele Meilen von der Erde entfernten.
Jesu Himmelfahrt begann zweifellos, indem er von der Stelle, an der die Apostel standen, emporgehoben wurde (eigentlich nach außen) — genau wie die Astronauten. Danach schlug Jesus natürlich die Richtung ein, die erforderlich war, um in die Gegenwart seines himmlischen Vaters zu gelangen. Es ist interessant, daß die Bibel gelegentlich auch von Engeln sagt, wenn sie die Erde wieder verließen, sie seien „in den Himmel aufgefahren“. — Luk. 2:15, Ludwig Albrecht.
Wir müssen jedoch zugeben, daß unsere Kenntnisse über das geistige Reich sehr begrenzt sind. Es ist daher gut, in der Himmelfahrt Jesu nicht nur die Richtung des Aufstiegs zu sehen, sondern auch den Aufstieg zu seiner Wirksamkeit und dem Dasein im geistigen Bereich, in die Gegenwart Gottes. Dieser Bereich ist schließlich nicht durch physikalische Gesetze und Faktoren begrenzt.
In welchem Leib?
Bedeutet die Tatsache, daß Jesu Apostel Zeugen seiner Himmelfahrt waren, daß er in einem menschlichen Leib in der Gegenwart Gottes erschien? In der Christenheit wird das von vielen geglaubt, doch dem ist nicht so. Warum nicht? Aus mehreren Gründen. Wir lesen in der Bibel: „Christus ist ein für allemal ... gestorben ..., der im Fleische zu Tode gebracht, aber im Geiste lebendig gemacht wurde.“ (1. Petr. 3:18) Deshalb konnte Jesus im Kreise seiner Jünger erscheinen, obwohl die Türen verschlossen waren, und deshalb lesen wir verschiedentlich: „Und er verschwand vor ihnen.“ (Luk. 24:31; Joh. 20:26) Außerdem wird in der Bibel ausdrücklich gesagt: „Fleisch und Blut [können] Gottes Königreich nicht ererben.“ Jesus hätte also nicht mit einem Fleischesleib in den Himmel eingehen können. — 1. Kor. 15:50.
Ferner sagte Jesus, daß er sein „Fleisch zugunsten des Lebens der Welt“ geben werde. Da Jesus seinen menschlichen Leib als „ein entsprechendes Lösegeld für alle“ opferte, wäre sein Loskaufsopfer null und nichtig gewesen, wenn er in einem menschlichen Leib mit menschlichem Leben vom Tode auferweckt worden wäre. — Joh. 6:51; 1. Tim. 2:5, 6.
Doch jemand mag nun fragen: Wie ist das möglich? Ist ein Geist für den Menschen nicht unsichtbar, und kommt und geht er nicht gleich dem Wind, wie Jesus zu Nikodemus sagte? (Joh. 3:8) Doch Jesus erschien seinen Jüngern nach seiner Auferstehung in Menschengestalt. Das stimmt, aber er nahm für den Anlaß jeweils lediglich einen Menschenleib an. Deshalb erkannte Maria ihn nicht, und deshalb erkannten ihn auch seine Jünger am Strand des Galiläischen Meeres nicht. (Joh. 20:15-17; 21:4) Das war nichts Unbekanntes, denn schon früher hatten Engel bei verschiedenen Gelegenheiten Menschengestalt angenommen, z. B. als ein Engel dem Moses „erschien“, ein anderer dem Josua und ein anderer den Eltern Simsons. (Josua 5:13-15; Ri. 13:3-20; Apg. 7:35) Um seine Apostel zu überzeugen, verkehrte Jesus mit ihnen, indem er in einem Leib erschien, den sie sehen konnten, ja den sie, wie im Falle des Thomas, auch betasten konnten. — Joh. 20:26-29.
Warum fuhr Jesus in den Himmel auf?
Wenn wir bedenken, warum Jesus in den Himmel auffahren mußte, erkennen wir die Richtigkeit der erwähnten Zeugnisse und Gründe noch deutlicher. Es war das einzig Geziemende. Jesus hatte bereitwillig die himmlische Herrlichkeit verlassen, war als Mensch auf die Erde gekommen, hatte hier gelitten und sein Menschenleben geopfert. (Phil. 2:5-8; Matth. 20:28; Hebr. 5:8) Sollte Gott ihn nicht für alles das belohnt haben, sollte er ihn im Grab oder auf der Erde gelassen haben? Der Apostel Paulus versichert uns, daß Gott der Opfer gedenke, die seine Diener bringen. (Hebr. 6:10) Wir können somit zu keinem anderen Schluß kommen als zu dem, daß Gott Jesus für seine selbstlose Handlungsweise entsprechend belohnt haben wird.
Jesus erwartete, wieder die Herrlichkeit zu empfangen, die er besaß, als er beim Vater war. Das geht aus dem Gebet hervor, das er in der Nacht, in der er verraten wurde, betete. „Vater, verherrliche mich ... mit der Herrlichkeit, die ich an deiner Seite hatte, ehe die Welt war.“ (Joh. 17:5) Gott erhörte nicht nur dieses Gebet, sondern gab Jesus noch größere Herrlichkeit: „Gerade aus diesem Grunde hat Gott ihn auch zu einer übergeordneten Stellung erhöht und ihm gütigerweise den Namen gegeben, der über jedem anderen Namen ist, so daß sich im Namen Jesu jedes Knie beuge ... und jede Zunge offen anerkenne, daß Jesus Christus Herr ist zur Verherrlichung Gottes, des Vaters.“ — Phil. 2:9-11.
Es gibt jedoch noch zwingendere Gründe. Jesus opferte seinen menschlichen Leib und sein menschliches Leben für die Sünden des Menschen; aber um als Hoherpriester den Wert des Opfers der Menschheit zugänglich zu machen, mußte er von den Toten auferstehen und in den Himmel auffahren. Wir lesen deshalb: „Christus begab sich nicht an eine mit Händen gemachte heilige Stätte ..., sondern in den Himmel selbst, um nun vor der Person Gottes für uns zu erscheinen.“ Ferner lesen wir: „Wenn jemand eine Sünde begeht, so haben wir einen Helfer beim Vater, Jesus Christus, einen Gerechten.“ — Hebr. 9:24; 1. Joh. 2:1.
Außerdem können die zahllosen Millionen, die gestorben sind und in den Gedächtnisgrüften liegen, nur Nutzen aus dem Loskaufsopfer Christi ziehen, wenn sie von den Toten auferweckt werden, und dieses Vorrecht hat Gott seinem Sohn übertragen. Das große Auferstehungswunder wird eine Geistperson vollbringen, der „alle Gewalt im Himmel und auf der Erde gegeben worden“ ist. — Joh. 5:28, 29; Matth. 28:18.
Jesus sprach außerdem ständig vom Königreich Gottes; das war das Thema seiner ganzen Predigttätigkeit. In seinem Mustergebet deutete er an, daß Gottes Königreich den Namen Gottes heiligen und bewirken würde, daß Gottes Wille wie im Himmel, so auch auf der Erde geschehe. Bevor dieses Königreich über die Erde herrschen kann, müssen Jesus Christus und seine himmlischen Heerscharen das gegenwärtige böse System der Dinge, den unsichtbaren und den sichtbaren Teil, beseitigen, was, wie aus der Bibel hervorgeht, bald geschehen wird. — Matth. 6:9, 10; Offb. 16:14, 16; 19:11-21.
Außerdem lesen wir: „Er muß als König regieren, bis Gott alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Als letzter Feind wird der Tod zunichte gemacht.“ Das wird bedeuten, daß Gott durch Christus jede Träne von den Augen der Menschen abwischen wird, daß der adamische Tod nicht mehr sein wird und daß weder Trauer noch Geschrei, noch Schmerz mehr sein wird. Dieses Vorhaben Jehovas Gottes in bezug auf die Erde und den Menschen kann nur durch einen himmlischen König, den himmlischen König Jesus Christus, zur glorreichen Erfüllung gebracht werden. — 1. Kor. 15:25, 26; Offb. 21:4.
Somit zeigt Gottes Wort außer jedem Zweifel klar und deutlich, daß Jesus in den Himmel aufgefahren ist.