Das allgemeine Priestertum — die von der Christenheit vergessene Lehre
„Ihr aber seid ... eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk.“ — 1. Petr. 2:9, Alb.
1. Wieso kann die Lehre vom allgemeinen Priestertum als die von der Christenheit vergessene Lehre bezeichnet werden?
DIE christliche Lehre vom „allgemeinen Priestertum“ gehört wahrscheinlich nicht zu den Lehren, die du in der Schule oder in der Sonntagsschule gelernt hast. Viele unserer Leser mögen überhaupt noch nie davon gehört haben. Sie kann mit Recht als die von der Christenheit vergessene Lehre bezeichnet werden. Sie ist jahrhundertelang von der Kanzel herab kaum erwähnt worden, die Jugend hörte nichts davon im Konfirmandenunterricht, die Theologiestudenten fanden höchstens ein bis zwei Seiten in ihren umfangreichen Lehrbüchern und der Laie mußte in der Abteilung für religiöse Literatur in Buchläden und Bibliotheken lange suchen, bis er — wenn überhaupt — etwas darüber fand. Die ersten Christen dagegen kannten diese Lehre und hielten sich auch daran.
2. Welchen Wechsel konnte man in bezug auf das Interesse an dieser Lehre in den letzten Jahren jedoch beobachten?
2 In den letzten Jahren konnte man in dieser Hinsicht jedoch einen Wechsel beobachten. Die alte Lehre vom allgemeinen Priestertum ist von der internationalen theologischen Welt wieder hervorgeholt, zurechtgemacht und mit anderen wichtigen Themen wie der Lehre vom Wesen und der Einheit der christlichen Kirche auf die Tagesordnung bedeutender Konferenzen gesetzt worden. „Es gibt kaum ein Thema“, sagte ein Theologieprofessor, „das vor allem von der römisch-katholischen Kirche, aber auch von den evangelischen Kirchen so eingehend und ernsthaft diskutiert wird.“ Was ist denn unter der Lehre vom allgemeinen Priestertum zu verstehen? Kurz gesagt, die biblische Lehre, daß jeder vom Geist gezeugte Christ ein Priester ist. Einige geschichtliche Tatsachen werden dem Leser verstehen helfen, von welch großer Bedeutung diese Lehre ist.
3. (a) Was ist ein Priester? (b) Wer bildete die levitische Priesterschaft? (c) Worin bestanden die zwei grundlegenden Priesterpflichten der Leviten?
3 Ein Priester ist ein Diener Gottes. Beim Volk Israel waren durch das Gesetz Vorkehrungen für eine Priesterschaft getroffen worden. „Die Priester, die Söhne Levis, sollen herzutreten; denn s i e hat Jehova, dein Gott, erwählt, ihm zu dienen.“ Deshalb spricht man in diesem Zusammenhang oft vom levitischen Priestertum. Der offizielle Dienst der Leviten teilte sich in zwei Aufgaben. Moses faßte ihn in folgenden Worten zusammen: „Sie werden Jakob lehren deine Rechte und Israel dein Gesetz, sie werden Weihrauch legen vor deine Nase und Ganzopfer auf deinen Altar.“ Somit amteten die Leviten als Diener Gottes, indem sie das Volk lehrten: „Sie lehrten in Juda, indem sie das Buch des Gesetzes Jehovas bei sich hatten, und zogen umher durch alle Städte Judas und lehrten unter dem Volke.“ Und die levitischen Söhne Aarons wirkten als Diener Gottes, indem sie für das Volk auf dem Altar Jehovas Weihrauch, Getreide und Tiere opferten. — 5. Mose 21:5; 33:10; 2. Chron. 17:9; Mal. 2:7; 3. Mose, Kapitel 1 bis 7 und 16.
4. (a) Was wurde durch die Tieropfer, die die levitischen Priester darbringen mußten, vorgeschattet? (b) Warum endete das levitische Priestertum, und wie ließ Jehova diese Tatsache erkennen?
4 Dem Hebräerbrief entnehmen wir, daß das levitische Priestertum mit seinem Hohenpriester, seinen Opfern, seiner Lehre und seinen Zeremonien in Verbindung mit dem Tempeldienst und der Tempel selbst mit allem, was dazu gehörte, ein Vorbild von etwas weit Größerem waren, was noch kommen sollte. Die meisten Opfer, besonders jene, die am Versöhnungstag dargebracht wurden, veranschaulichten das große Opfer Christi Jesu, der sein Leben als Sühnopfer für die Menschen dahingab. Als somit Jesus nach seinem Tod und seiner Auferstehung in den Himmel auffuhr und Jehova Gott den Wert seines Lebens als Lösegeld annahm, hatte das levitische Priestertum seine prophetische Rolle ausgespielt. Den besten Beweis dafür sehen wir darin, daß in dem Augenblick, als Jesus starb, der große Vorhang im Tempel, der die beiden Räume, das „Heilige“ und das „Allerheiligste“, voneinander trennte, auf übernatürliche Weise von oben bis unter zerriß. Dadurch zeigte Jehova, daß die Sühnopfer, die der jüdische Hohepriester von da an noch darbrächte, wertlos und die Dienste der levitischen Priester nicht mehr nötig wären, da jenes Haus, der Tempel, nun verödet war. — Matth. 27:51; 23:38; Hebr. 9:1-15.
5. Wie wurde dem Dienst der levitischen Priester schließlich ein Ende gemacht?
5 Da die levitischen Priester das alles nicht verstanden, fuhren sie auch nach dem Tod Jesu fort, ihren Dienst im Tempel zu verrichten und Tieropfer darzubringen, aber sie hatten dafür keine rechtliche Grundlage mehr. Der Gesetzesbund war in Gottes Augen ungültig geworden, und als die Römer im Jahre 70 Jerusalem eroberten, ließ Gott erkennen, daß ihr Priestertum überflüssig geworden war, indem er ihm auch de facto ein Ende machte. Sie selbst wurden getötet oder zerstreut und ihr Tempel zerstört. Eine neue levitische Priesterschaft wird nie mehr aufgestellt werden können, da heute kein Jude mehr sagen kann, aus welchem Stamm Israels er stammt. — Kol. 2:14.
EIN NEUES PRIESTERTUM
6, 7. Bedeutete die Beseitigung des levitischen Priestertums, daß sich von da an ein Priestertum auf der Erde erübrigen würde? Begründe deine Antwort.
6 Wollte Gott durch die vollständige Beseitigung der levitischen Priesterklasse zu verstehen geben, daß sich ein Priestertum auf der Erde nun erübrige? Keineswegs! Er beseitigte dadurch lediglich ein Vorbild, eine Veranschaulichung oder ein Sinnbild, weil die Zeit für das Gegenbild, die Wirklichkeit, gekommen war. Da die levitischen Priester Jesus als den von Gott nach einer anderen Ordnung bestimmten Hohenpriester verwarfen und nicht anerkennen wollten, daß ihre Zeit abgelaufen war, ja da sie sich weigerten, größere Vorrechte zu übernehmen, mußten sie gewaltsam beseitigt werden. — Hebr. 10:1.
7 Paulus sagt über die Veränderung im Priestertum und in dessen rechtlicher Grundlage, dem Gesetz, folgendes: „Wäre nun durch das levitische Priestertum Vollkommenheit erreicht worden [das Volk Israel hat ja durch die Leviten das Gesetz bekommen], dann wäre es doch nicht nötig gewesen, einen ganz neuen Priester nach der Weise Melchisedeks aufzustellen. Warum heißt es nicht einfach: nach der Weise Aarons? Tritt nun eine Veränderung im Priestertum ein, dann wird notwendigerweise auch eine Veränderung im Gesetz die Folge sein.“ Der Hohepriester dieses neuen Priestertums, der nach der Weise Melchisedeks, nicht nach der Weise Aarons aufgestellt wurde, ist Christus Jesus, und als Hoherpriester hat er auf der Erde seine Unterpriester. — Hebr. 7:11, 12, Br.
8. Wer trat in Gottes Ordnung an die Stelle der levitischen Priesterschaft? Beweise es.
8 Wer sind diese Unterpriester, die das Gegenbild der levitischen Priesterschaft sein sollen? In seinem Brief an die Hebräer (Kapitel 7 bis 10) vergleicht Paulus zunächst Aaron, den Hohenpriester des alten Bundes, mit Christus Jesus, dem Hohenpriester des neuen Bundes. Dann wendet er sich den Unterpriestern oder Leviten und ihrem Dienst zu und zeigt, daß sie von einer Priesterschaft abgelöst wurden, die keine Tieropfer darbringt. Er sagt: „Da wir also, liebe Brüder, die freudige Zuversicht haben, durch das Blut Jesu in das Heiligtum einzugehen — das ist der neue, lebendige Weg, den er uns durch den Vorhang hindurch, das heißt durch sein Fleisch, eingeweiht hat —, und da wir einen großen Priester haben, der über das Haus Gottes gesetzt ist, so laßt uns mit aufrichtigem Herzen in voller Glaubensgewißheit hinzutreten, nachdem wir uns durch Besprengung der Herzen vom bösen Gewissen befreit und unsern Leib mit reinem Wasser gewaschen haben.“ Indem Paulus sagt: „Laßt uns mit aufrichtigem Herzen hinzutreten ... und unsern Leib mit reinem Wasser gewaschen haben [eine Anspielung auf die levitischen Reinigungszeremonien]“, fordert er seine christlichen Brüder auf, die Nachfolge der levitischen Priesterschaft anzutreten. Somit kennzeichnet er die Christenversammlung als eine neue Priesterschaft, eine neue Klasse irdischer Diener Gottes, die geistliche Schlachtopfer — Opfer des Lobes und gute Werke — darbringt. — Hebr. 10:19-22, Me; 13:15, 16; 3. Mose 16:4; 4. Mose 8:6, 7.
PARALLELEN
9. Wieso kann gesagt werden, der Christ sei — wie der levitische Priester — ein Diener Gottes?
9 Die vielen Parallelen zwischen dem alten und dem neuen Priestertum lassen die enge Verbindung zwischen den beiden erkennen. Der Christ ist — wie damals der levitische Priester — ein Diener des Wortes Gottes: „Er [Gott] hat uns ... den Dienst übertragen, die Versöhnung zu verkündigen. Denn Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnte: er rechnet den Menschen ihre Übertretungen nicht zu, und er hat uns den Auftrag gegeben, die Versöhnung kundzumachen. So treten wir in Christi Namen als Gesandte auf, ja, Gottes Stimme tönt durch unsern Mahnruf. Wir bitten in Christi Namen: ‚Laßt euch mit Gott versöhnen!‘“ — 2. Kor. 5:18-20, Alb.
10. Wie zieht Petrus eine Parallele zwischen der levitischen und der christlichen Priesterschaft?
10 Der Apostel Petrus weist auf einige dieser Parallelen hin und bezeichnet die Christenversammlung direkt als eine Priesterschaft. Er führt als Vergleich den buchstäblichen Tempel und die buchstäblichen Opfer der levitischen Priesterschaft an und sagt dann zu seinen Mitchristen: „Laßt euch ... als lebendige Steine erbauen zu einem geistlichen Hause! Dann seid ihr auch eine heilige Priesterschaft und fähig, geistliche Opfer darzubringen, die Gott durch Jesus Christus wohlgefällig sind ... Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, ein Volk des Eigentums, damit ihr die herrlichen Eigenschaften dessen verkündigt, der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Lichte berufen hat. Einst waret ihr kein Volk, nun aber seid ihr Gottes Volk.“ — 1. Petr. 2:5, 9, 10, Alb.
11. (a) Worin bestehen die in 1. Petrus 2:5 erwähnten „geistlichen Opfer“? (b) Welche Priesterpflichten haben Christen nach Hebräer 10:23-25?
11 Die „geistlichen Opfer“, die die christliche Priesterschaft darbringt, bestehen vor allem darin, „die herrlichen Eigenschaften“ Gottes zu verkündigen. Das bestätigt auch Paulus, indem er in seinem Brief an die Hebräer diese Opfer als „die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen“, bezeichnet. Dann fügt er noch hinzu: „Des Wohltuns aber und Mitteilens vergesset nicht, denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen.“ (Hebr. 13:15, 16) In demselben Brief (Hebr. 10:23-25, NW) erwähnt Paulus, nachdem er die neue unter Christus stehende Priesterschaft gekennzeichnet hat, mindestens drei ausgeprägte Priesterpflichten dieser neuen Priesterschaft: „Laßt uns an der öffentlichen Erklärung unserer Hoffnung ohne Wanken festhalten, denn treu ist er, der die Verheißung gegeben hat. Und laßt uns aufeinander achtgeben, damit wir uns zur Liebe und zu vortrefflichen Werken anspornen, indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen, wie es bei einigen Gewohnheit geworden ist, sondern einander ermuntern, und das um so mehr, als ihr den Tag herannahen seht.“ — Röm. 12:1.
EIN UNTERSCHIED
12. Warum wird das levitische Priestertum als ein „besonderes“ Priestertum bezeichnet?
12 In einem Punkt besteht aber doch ein Unterschied: Das levitische Priestertum war kein sogenanntes „allgemeines“, sondern ein „besonderes“ Priestertum. Es war in keiner Hinsicht allgemein. Das Priesteramt war auf die männlichen Glieder des Stammes Levi und das Amt eines opfernden Priesters sogar auf die männlichen Nachkommen Aarons, des ersten Hohenpriesters, beschränkt. Die Priesterschaft bildete nicht nur in Verbindung mit ihrem Amt, sondern auch in anderen Beziehungen vor dem Gesetz eine Klasse oder Ordnung für sich. Die Leviten erhielten zum Beispiel kein Erbteil im Land, ihr Lebensunterhalt war durch besondere Vorkehrungen gesichert. Nachdem ihr Stamm zum Priesterdienst ausgesondert worden war, zählte er nicht mehr zu den zwölf Stämmen; die Stämme Ephraim und Manasse, die Nachkommen Josephs, vervollständigten die Zahl. Die Leviten bildeten somit eine besondere Klasse oder einen besonderen Stand innerhalb der jüdischen Gesellschaft. Es bestand ein klarer Unterschied zwischen der Priesterschaft und dem Volk. Israels Priesterschaft war eine Klasse für sich. — 4. Mose 8:14; 18:20-24.
13. (a) Was ist unter einem „allgemeinen“ Priestertum zu verstehen? (b) Ist das christliche Priestertum nach den Worten Petri ein allgemeines oder ein besonderes Priestertum? Wie stützt Petrus deine Antwort?
13 Ganz anders verhält es sich mit der neuen Priesterschaft. Petrus nennt sie „eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, ein Volk des Eigentums“. Er bezeichnet die christliche Priesterschaft als ein Volk. Dieses Volk ist das neue „Israel Gottes“, bei dem Priesterschaft und Volk identisch sind, sie bilden nicht zwei getrennte Klassen. Jeder, der zu diesem Volk gehört, ist ein Priester. Deshalb kann man in diesem Fall von einem „allgemeinen“ Priestertum sprechen. — Gal. 6:16.
14. Welche weiteren Beweise haben wir dafür, daß das christliche Priestertum ein allgemeines Priestertum ist?
14 Der Gedanke, daß es zwischen Christen keine Unterschiede gibt, ist nicht neu. Wir begegnen ihm schon in dem Bild, in dem die Christen als Glieder des Leibes Christi dargestellt werden, und in diesem Leib „gibt es weder Juden noch Griechen ... weder Sklaven noch Freie ... weder Mann noch Weib“. Wir wissen auch, daß alle zu diesem Leib gehörenden Christen Söhne Gottes sind und demzufolge durch den Hohenpriester Jesus Christus direkt Zutritt zu ihrem himmlischen Vater haben. Sie benötigen keinen Menschen als Mittler oder Priester, da Jesus Christus der Mittler ist. — Gal. 3:28, NW; 4:5-7; Hebr. 4:16; 1. Tim. 2:5.
DER URSPRUNG DES ALLGEMEINEN PRIESTERTUMS
15. Wer führte das allgemeine Priestertum bei der Christenversammlung ein? Wie?
15 Jehova Gott führte das allgemeine Priestertum bei der neugegründeten Christenversammlung auf sehr eindrucksvolle Weise selbst ein, indem er zu Pfingsten seinen Geist auf die ersten Glieder dieser Versammlung ausgoß. Dadurch wurden sie zu Unterpriestern gesalbt, und Gottes Geist half ihnen auch, sogleich mit der Erfüllung ihrer Priesterpflichten zu beginnen, denn unter seinem Einfluß fingen sie an, geistliche Opfer darzubringen, das heißt, Gott und sein Vorhaben zu verkündigen. Von den etwa 120 Anwesenden wurden nicht nur einige von Gott dazu bestimmt, eine Geistlichkeit oder Priesterschaft zu bilden, während die übrigen eine Klasse von Zuhörern oder Laien hätten werden sollen. Nein, sie „wurden alle vom Heiligen Geiste erfüllt und begannen ... von den großen Taten Gottes [zu] reden“. — Apg. 2:4, 11, Alb.
16. Wie bereitete Jesus seine Nachfolger schon vor Pfingsten auf die Pflichten des allgemeinen Priestertums vor?
16 Es gibt viele Beweise dafür, daß die ersten Christen die Lehre vom allgemeinen Priestertum verstanden und sich auch daran hielten. Sie wurden aufgefordert, den Fußstapfen ihres Hohenpriesters Christi Jesu zu folgen. Er kam als neuer Hoherpriester den mit diesem Amt verbundenen Pflichten nicht nur selbst nach, sondern lehrte auch seine Nachfolger, Priesterpflichten zu erfüllen, und bereitete sie so auf das allgemeine Priestertum vor. — Luk. 10:1-12.
17—19. Wieso wissen wir, daß der Predigtbefehl Jesu, den wir in Matthäus 28:19 lesen, nicht nur den elf Aposteln galt?
17 Von gewisser Seite wird zwar darauf hingewiesen, daß, als Jesus seinen Nachfolgern den berühmten Predigtbefehl, den wir in Matthäus 28:19 lesen, gegeben habe, nur die elf Apostel zugegen gewesen seien, folglich hätten nur die Apostel diesen Auftrag empfangen. Man nimmt jedoch an, daß „mehr als fünfhundert“ Brüder ebenfalls anwesend waren. (1. Kor. 15:6) Es ist eine Tatsache, daß die Apostel wie kaum jemand sonst an der Gründung neuer Versammlungen in anderen Ländern beteiligt waren, aber sie waren nicht allein daran beteiligt. Alle trugen dazu bei. Pauli erster Besuch in Rom galt nicht der Gründung einer Versammlung, denn es bestand dort bereits eine, und die Brüder kamen ihm entgegen, bevor er die Stadt erreichte. — Röm. 1:8, 13; Apg. 28:14-16.
18 Die Apostel selbst faßten den Predigtbefehl nicht so auf, als gälte er nur ihnen. Paulus lobte zum Beispiel die Brüder in Thessalonich mit den Worten: „Denn von euch aus ist das Wort des Herrn erschollen, nicht allein in Mazedonien und in Achaja, sondern an jedem Orte ist euer Glaube an Gott ausgebreitet worden, so daß wir nicht nötig haben, etwas zu sagen.“ — 1. Thess. 1:8.
19 Titus und Timotheus waren Lehrer, aber Lehrer von Lehrern. Sie waren nicht als Prediger ausgesandt worden, um Laien zu belehren. Paulus schrieb Timotheus: „Was du von mir in Gegenwart vieler Zeugen gehört hast, das vertraue treuen Leuten an, welche tüchtig sein werden, auch andere zu lehren.“ (2. Tim. 2:2) Das stimmt auch mit dem überein, was wir in Offenbarung 22:17 lesen: „Der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm!“ Als die Hebräer nicht recht vorankamen und die Pflichten, die ihnen das allgemeine Priestertum auferlegte nicht erfüllten, war Paulus enttäuscht. „Denn die ihr der Zeit nach Lehrer sein solltet“, schrieb er ihnen, „habt wieder nötig, daß man euch die Anfangsgründe der Worte Gottes lehrt.“ Es sollte unter ihnen keine Laien geben. — Hebr. 5:12, AB.
20. Wie beweist die Geschichte, daß die Urkirche das allgemeine Priestertum kannte?
20 Auch die Geschichte beweist uns das. Der dänische Professor Hal Koch sagt in seiner Kirchengeschichte: „Nur in den Tagen der Apostel und in den Jahrzehnten unmittelbar danach hören wir von richtigen Missionaren die sich die Ausbreitung des Evangeliums zur Lebensaufgabe gemacht hatten, im übrigen aber wurden der Gemeinde durch ganz einfache Christen, Kaufleute, Handwerker, Sklaven usw. neue Glieder zugeführt.“ Das allgemeine Priestertum war somit ein charakteristisches Merkmal der frühchristlichen Kirche. Jeder Gläubige war ein Priester, der sich verpflichtet fühlte, Gottes Wort in der Gemeinde und außerhalb zu verkündigen und zu lehren, und alle wurden von Gottes Geist, der auf sie ausgegossen worden war, unterstützt. Es gab in dieser Kirche keine Laien. Wieso kennen denn die heutigen Kirchen der Christenheit fast nur noch eine von der Kanzel herab predigende Geistlichkeit und eine passive Laienschaft?
EINE VOM TEUFEL INSPIRIERTE ÄNDERUNG
21. Bildeten die Diener in den Versammlungen der Urkirche eine Priesterschaft?
21 Da die frühzeitliche Christenversammlung eine tätige Organisation war, mußten einige Glieder mit besonderen Diensten betraut werden. Bevor jemand zu einem Diener ernannt wurde, mußte er ein reifer älterer Mann oder ein sogenannter „Ältester“ (griechisch: presbyteros) sein. Aus den älteren Männern wurden Versammlungsaufseher (griechisch: episkopoi) und ihre Gehilfen oder Diener (griechisch: diakonoi) ausgewählt. Gestützt auf das, was wir bereits über das allgemeine Priestertum in der Urkirche erfahren haben, wurden diese Männer nicht zu Priestern ernannt, die eine Klasse für sich bildeten, sie waren einfach die Diener ihrer christlichen Brüder. — Apg. 6:1-7; Tit. 1:5; 1. Petr. 5:2, 3; Matth. 20:25-28.
22. Wie kam es, daß die Diener der Versammlungen später zu einer Priesterschaft wurden?
22 Der Apostel Paulus sagte jedoch voraus: „Ich weiß, daß nach meinem Abschiede verderbliche Wölfe zu euch hereinkommen werden, die der Herde nicht schonen. Und aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her.“ Diese Worte erfüllten sich, und eine der traurigen Folgen des verderblichen Einflusses dieser selbstsüchtigen Männer war das Verschwinden des allgemeinen Priestertums. Wie die Kirchengeschichte zeigt, erhob man die Diener in den Versammlungen im zweiten Jahrhundert langsam, aber sicher in einen besonderen Stand und machte sie zu einer Klasse für sich. Die Versammlungsaufseher oder episkopoi legten das Gewand eines Bischofs an, die Ältesten oder presbyteroi waren mit der Zeit nicht mehr nur reife, ältere Männer, aus denen man die Diener auswählte, sondern bekleideten das Amt eines Priesters, und aus den Dienern oder Gehilfen wurden unsere heutigen Diakone. Aus dieser Entwicklung ging allmählich eine Hierarchie hervor, die jahrhundertelang eine strenge geistliche und weltliche Herrschaft über die Laien ausübte. — Apg. 20:29, 30.
23. (a) Wieso ist die katholische Kirche ein auffallendes Beispiel dafür, wie eine sogenannte christliche Kirche vom allgemeinen zum besonderen Priestertum zurückgekehrt ist? (b) Warum kann diese Rückkehr als eine vom Teufel inspirierte Änderung bezeichnet werden?
23 Die römisch-katholische Kirche ist hierfür ein auffallendes Beispiel. Sie hat nicht nur eine besondere Priesterklasse geschaffen, die sich durch ihren Einfluß, ihre Bildung und ihre äußere Erscheinung deutlich von der Laienschaft abhebt und somit die Nachahmung einer besonderen Priesterordnung ist, sondern hat auch buchstäbliche Tempel mit buchstäblichen Altären gebaut, und sie kleidet ihre Priester in besondere Gewänder, um sie von den gewöhnlichen Gläubigen zu unterscheiden. Sie ist in ihrer Rückkehr zum besonderen Priestertum sogar noch weiter gegangen: Sie behauptet, ihre Priester hätten durch besondere Weihung die Macht, Christus Jesus jederzeit auf ihre Altäre herabkommen zu lassen, um sein buchstäbliches Fleisch und Blut während der Messe immer wieder neu zu opfern. Die Rückkehr zum besonderen Priestertum hätte kaum noch vollkommener erfolgen können, wenn das christliche Aussehen noch gewahrt werden sollte. Dadurch, daß die Geistlichkeit die Gläubigen ihres Rechts beraubte, Gottes Diener und Prediger seines Wortes zu sein, und aus ihnen eine Klasse unwissender Kirchgänger machte, von denen viele nicht einmal lesen und schreiben können, unterdrückte sie den Geist Gottes in der Kirche und entzog ihr die dynamische Kraft, die sie ursprünglich belebte und die Ausbreitung der guten Botschaft bewirkte, ja sie verhinderte dadurch die richtige Wiedergeburt, durch die die Wahrheit über Gott und Christus die Welt hätte erobern sollen — wirklich, eine vom Teufel inspirierte Änderung.