Kapitel 13
Ein Vorbild der künftigen Dinge
1. Weshalb ist es unter der heutigen Rechtsordnung nicht leicht, zu seinem Recht zu kommen?
HEUTE gibt es in den meisten Nationen eine solch verwirrende Vielfalt von Gesetzen, daß der einzelne, der zu seinem Recht kommen möchte, besser nicht versucht, sein eigener Rechtsanwalt zu sein. Außerdem gibt es Lücken im Gesetz, die gewöhnlich den Reichen zugute kommen. Wäre es nicht angenehm, unter einem einfachen und klar formulierten Gesetz zu leben — einem Gesetz, unter dem ein Gerichtsfall nicht zu kostspielig wäre, nicht einmal für den Mann von der Straße, und unter dem jeder, arm und reich, seinen Fall ohne große Formalitäten vor Gericht vortragen und eine unparteiische Anhörung erwarten könnte?
2, 3. Weshalb ist es nützlich, sich mit dem Gesetz zu befassen, das Gott Israel gab?
2 Das war bei dem mosaischen Gesetz der Fall, das Gott der Nation Israel gab. Über dieses Gesetz heißt es in der Bibel: „Die richterlichen Entscheidungen Jehovas sind wahr; sie haben sich allesamt als gerecht erwiesen“ (Psalm 19:9). Wie gut Jehovas richterliche Entscheidungen waren, kann man erkennen, wenn man einige der Satzungen untersucht, die diesen Kodex von etwas mehr als 600 Gesetzen bilden.
3 Christen unterstehen nicht dem Gesetz, das Israel gegeben wurde, aber es ist trotzdem nützlich, sich einmal damit zu befassen. Weshalb? Weil das Gesetz deutlich zeigt, wie Jehova über viele Dinge denkt, und weil es die Grundsätze enthält, nach denen er zu jeder Zeit mit seiner Schöpfung verfährt.
4. Welche Stellung und Gewalt hatte Jehova im alten Israel inne?
4 Israel hatte eine einzigartige Regierungsform, denn Jehova war der höchste und absolute Herrscher der Nation. Er war ihr König und gleichzeitig ihr Gott, ihr religiöses Oberhaupt. Der Prophet Jesaja sagte: „Jehova ist unser Richter, Jehova ist unser Satzungsgeber, Jehova ist unser König; er selbst wird uns retten“ (Jesaja 33:22).
5. Wieso war in Israel der Gehorsam gegenüber dem Gesetz gleich bedeutend mit dem Ausüben der wahren Anbetung?
5 Götzendienst, das heißt die Verehrung eines anderen Gottes, war daher gleichzeitig auch Hochverrat, ein Vergehen gegen die Regierung. Dementsprechend war eine offenkundige Übertretung des Landesgesetzes auch an Akt der Mißachtung Gottes, des religiösen Oberhauptes der Nation. Eine willentliche Übertretung des Gesetzes war gleichbedeutend mit Gotteslästerung. Der Gehorsam gegenüber dem Gesetz war somit ein Bestandteil der wahren Anbetung.
BÜRGERRECHTE
6, 7. Erkläre, wie die Bürgerrechte geschützt wurden.
6 Unter dem Gesetz gab es keine Bürgerrechtsprobleme, solange die Richter und die Herrscher Gott gehorchten. Das Gesetz schützte den Bürger, den als Fremdling Ansässigen und auch den Ausländer, der sich vorübergehend im Land aufhielt (2. Mose 22:21; 23:9; 3. Mose 19:33, 34).
7 Unter dem Gesetz wurde weder dem Armen das Recht vorenthalten, nur weil er arm war, noch dem Reichen, nur weil er reich war (3. Mose 19:15; 2. Mose 23:3).
RÜCKSICHT AUF DIE ARMEN
8. Welche Rücksicht nahm das Gesetz auf die Armen?
8 Die Wirtschaft Israels beruhte hauptsächlich auf Ackerbau und Viehzucht, denn jeder hatte seinen eigenen Erbbesitz. Es konnte vorkommen, daß einige Israeliten wegen Mißwirtschaft oder finanzieller Rückschläge verarmten und ihr Land verkaufen mußten. Auch einige als Fremdlinge Ansässige konnten in Schwierigkeiten geraten. Mit Rücksicht auf sie wurde die Vorkehrung getroffen, daß die Bauern beim Ernten nicht die Ränder ihrer Felder abernten durften. Sie sollten auch jede Getreidegarbe stehenlassen, die von den Schnittern übersehen worden war (3. Mose 19:9, 10; 5. Mose 24:19-21). Dadurch wurde den Armen Gelegenheit gegeben, Ähren zu lesen (Ruth 2:15, 16).
9, 10. Wieso zogen alle Nutzen aus den Gesetzen zum Schutz der Armen?
9 Das bedeutete für die Armen natürlich Arbeit, denn das Ährenlesen ist nicht leicht. Folglich gab es auch keine unbeschäftigten Armen, die dem Staat zur Last gefallen wären — es gab kein Stempelgeld und keinen Wohlfahrtsstaat (5. Mose 15:11; Ruth 2:3, 7). Das entspricht dem christlichen Grundsatz aus 2. Thessalonicher 3:10, wo wir lesen: „Wenn jemand nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen.“
10 Doch es gab nicht nur Vorkehrungen, die es den Armen ermöglichten, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern alle Bürger waren auch verpflichtet, Bedürftige großzügig zu behandeln. Dadurch wurden sowohl der Geist der Brüderlichkeit als auch die Einheit der Nation gefördert (3. Mose 25:35-38).
EINE „SKLAVEREI“, DIE NICHT BEDRÜCKEND WAR
11. Weshalb war die Sklaverei im alten Israel nicht hart und bedrückend, wie es in späterer Zeit der Fall war?
11 Die „Sklaverei“ in Israel hatte nichts mit der bedrückenden Sklaverei zu tun, die aus späterer Zeit bekannt ist. Sie diente in Wirklichkeit dem Schutz einer Familie, die durch finanzielle Rückschläge oder durch irgendein Unglück gezwungen war, ihren Erbbesitz zu verkaufen, und die schließlich den Erlös aus dem Verkauf aufgebraucht hatte und dann mittellos war. Oder jemand mochte in große Schulden geraten. Dann konnte die Familie oder gewisse Glieder der Familie ihre Selbständigkeit aufgeben und in die „Sklaverei“ gehen. Aber diese Sklaverei hatte große Ähnlichkeit mit dem heutigen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis, das für viele eine Form von „wirtschaftlicher Sklaverei“ ist.
12. Welche Vorkehrung gab es für hebräische „Sklaven“?
12 Zum Beispiel durfte ein hebräischer „Sklave“ nicht als Besitztum betrachtet werden, sondern er mußte wie ein „Lohnarbeiter“ behandelt werden. Außerdem sollte er nach sechs Jahren Knechtschaft entlassen werden (3. Mose 25:39-43). Bei seiner Entlassung mußte ihm sein Herr oder „Arbeitgeber“ je nach Vermögen materielle Dinge mitgeben, um ihm und seiner Familie zu einem neuen Anfang zu verhelfen (5. Mose 15:12-15). Durch diese Vorkehrung konnte verhindert werden, daß eine Familie mittellos wurde; sie hatte auf diese Weise Nahrung und Kleidung, bis sie auf eigenen Füßen stehen konnte.
13. (a) Welche Möglichkeit gab es, freizukommen, bevor die üblichen sechs Jahre der Knechtschaft abgelaufen waren? (b) Welcher Schutz wurde hebräischen jungen Mädchen gewährt, die Sklavinnen geworden waren?
13 Außerdem konnte sich jemand, während er sich in „Sklaverei“ befand, an irgendwelchen Projekten, Geschäften oder Investitionen beteiligen, so daß einige in der Lage waren, sich aus der Knechtschaft loszukaufen. Es war auch möglich, daß ein naher Verwandter alle Schulden bezahlte und dadurch den Betreffenden loskaufte, so daß er wieder ein freier Mensch war (3. Mose 25:47-54). Wenn eine Tochter in die „Sklaverei“ ging, wurde sie oft von ihrem Herrn zur Frau genommen. Ihr mußte genauso die volle Ehepflicht geleistet werden wie jeder anderen Ehefrau (2. Mose 21:7-11).
SCHUTZ FÜR FRAUEN
14. Wie wurde eine geschiedene Frau geschützt?
14 Frauen wurden durch die Ehegesetze geschützt. Ein Mann mußte stichhaltige Gründe haben, um sich von seiner Frau scheiden lassen zu können, und außerdem mußte er ihr ein Scheidungszeugnis geben. Das Scheidungszeugnis schützte sie vor falschen Anklagen im Fall einer Wiederverheiratung (5. Mose 24:1; siehe auch Jesu Erklärung über die Ehescheidung in Matthäus 19:3-9).
15. Welche Gesetze dienten zur Abschreckung von Hurerei?
15 Ein Mann, der eine unverlobte Jungfrau verführte, mußte sie heiraten, wenn ihr Vater einwilligte, und durfte sich nie von ihr scheiden lassen (5. Mose 22:28, 29; 2. Mose 22:16, 17). Ein verlobtes Mädchen wurde vor Vergewaltigung geschützt, da einem Mann dafür die Todesstrafe drohte, denn dieses Vergehen wurde genauso schwerwiegend wie Mord angesehen (5. Mose 22:25-27).
16. (a) War die Polygamie von Anfang an eine Einrichtung Gottes? (Matthäus 19:4-6). (b) Weshalb duldete Gott die Polygamie im alten Israel?
16 Zwar war Polygamie gestattet, aber sie wurde zum Nutzen der Frau geregelt. Die Polygamie, ein Brauch, der schon lange eingebürgert war, wurde geduldet, weil die Zeit noch nicht gekommen war, in der Gott alles richtigstellen würde. Gott wartete mit der Wiederherstellung des ursprünglichen Standes der Monogamie bis zur Einführung des Christentums (1. Korinther 7:2). Gott hat sein Volk immer so belehrt und geführt, daß es imstande war, eine Berichtigung seiner Lebensweise zu verstehen und durchzuführen. Jesus sagte gemäß Johannes 16:12 zu seinen Jüngern: „Ich habe euch noch vieles zu sagen, aber ihr vermögt es jetzt nicht zu tragen.“ Daher wurde nach Jesu Tod und Auferstehung vieles klargestellt und berichtigt.
17. Wie wurde die weniger geliebte Frau in einer Vielehe geschützt?
17 In einer Vielehe wurde oft eine der Frauen vom Ehemann begünstigt. Aber das Gesetz schützte auch die weniger geliebte Frau. Wenn zum Beispiel ihr Sohn der Erstgeborene des Vaters war, durften ihm die Erstgeburtsrechte nicht vorenthalten werden, denn der Vater konnte sie nicht einem Sohn zusprechen, der später von seiner Lieblingsfrau geboren wurde (5. Mose 21:15-17).
18. Wie wurden sogar unter den Feinden Israels Frauen geschützt?
18 Sogar Frauen in feindlichen Städten wurden nicht belästigt. Auch gab es keine Prostituierten in der Umgebung von Heerlagern, denn im Krieg waren den Soldaten Geschlechtsbeziehungen verboten (5. Mose 21:10-14).
STRAFGESETZE
19. Welchen Vorteil hatte es, daß es im alten Israel keine Gefängnisse gab?
19 Die Strafgesetze waren viel besser als die heutigen. Unter dem Gesetz waren keine Gefängnisse vorgesehen. Erst später, in der Zeit der Könige, wurden in Israel unrechtmäßigerweise Gefängnisse eingeführt (Jeremia 37:15, 16; 38:6, 28). Da es für kein Vergehen eine Gefängnisstrafe gab, wurden auch keine Straftäter auf Kosten der hart arbeitenden gesetzestreuen Bevölkerung mit Nahrung und Obdach versorgt.
20. Wie wurde Diebstahl bestraft, und welchen Nutzen hatte dies?
20 Wenn jemand seine Mitmenschen bestahl, wurde er nicht ins Gefängnis gesteckt. Er mußte arbeiten und bezahlen, was er gestohlen hatte. Der Bestohlene erlitt keinen Verlust. Außerdem wurde von dem Dieb verlangt, mindestens das Doppelte dessen, was er gestohlen hatte, zu bezahlen, je nachdem, was er gestohlen und was er damit gemacht hatte (2. Mose 22:1, 4, 7). Wenn er nicht bezahlte, wurde er in die Sklaverei verkauft. Er mußte dann für den Bestohlenen oder für einen anderen Israeliten arbeiten, bis er den Betrag, der im Gerichtsurteil festgelegt worden war, abbezahlt hatte (2. Mose 22:3). War er vermessen und weigerte sich, dem Urteil zu entsprechen, so wurde er zu Tode gebracht (5. Mose 17:12). Dieses Gesetz half nicht nur dem Bestohlenen, sondern diente auch zur Abschreckung von Diebstahl.
21. (a) Wie wurde Mord bestraft? (b) Welche Vorkehrung gab es für unabsichtliche Totschläger?
21 Das Leben wurde unter dem Gesetz als heilig betrachtet. Ein Mörder konnte auf keine Weise entlastet werden. Er mußte unweigerlich zu Tode gebracht werden. In 4. Mose 35:30-33 lesen wir daher: „Jeder, der eine Seele erschlägt, sollte als Mörder auf die Aussage von Zeugen getötet werden, und ein einzelner Zeuge darf nicht gegen eine Seele zeugen, daß sie sterbe. Und ihr sollt für die Seele eines Mörders, der zu sterben verdient, kein Lösegeld annehmen, denn er sollte unweigerlich zu Tode gebracht werden. ... Und ihr sollt das Land, in dem ihr seid, nicht entweihen; denn Blut, das entweiht das Land, und für das Land darf es keine Sühne hinsichtlich des darauf vergossenen Blutes geben, ausgenommen durch das Blut dessen, der es vergossen hat.“ Durch dieses Gesetz wurde solch ein böser Mensch aus der Gesellschaft der Israeliten entfernt. Er wurde nicht freigelassen und konnte somit auch keine weiteren Morde begehen. Dem unabsichtlichen Totschläger konnte jedoch Barmherzigkeit erwiesen werden (4. Mose 35:9-15, 22-29).
22. Wie wurde die Heiligkeit des Lebens besonders betont?
22 Sogar ein unaufgeklärter Mord durfte nicht ungesühnt bleiben. Die Stadt, die dem Tatort am nächsten war, galt als blutschuldig und verflucht, wenn die Ältesten der Stadt nicht eine vorgeschriebene Zeremonie erfüllten, um die gemeinschaftliche Blutschuld vor Gott zu beseitigen. Auf diese Weise wurde den Menschen die Heiligkeit des Lebens tief eingeprägt (5. Mose 21:1-9).
23. Beschreibe das Gesetz über Menschenraub.
23 Die Person galt als unverletzlich. Menschenraub war ein Kapitalverbrechen. Der Entführer, bei dem der Entführte gefunden wurde oder der ihn in die Sklaverei verkauft hatte, mußte unbedingt zu Tode gebracht werden (2. Mose 21:16; 5. Mose 24:7).
KEINE KRIMINALITÄT
24. Wie wurde die Achtung vor der Familie gefördert, und mit welchem Ergebnis?
24 Wenn sich die Nation an das Gesetz hielt, gab es nur wenige Fälle von Jugendkriminalität. Die wichtigste Einheit der Nation war die Familie. Kinder wurden gelehrt, große Achtung vor ihren Eltern und vor den Vorstehern der Nation zu haben (2. Mose 20:12; 22:28). Pöbelaktionen wurden verurteilt (2. Mose 23:1, 2). Ein volljähriger Sohn, der ein unverbesserlicher Rebell, vielleicht ein Schlemmer und ein Trinker, geworden war, mußte hingerichtet werden (5. Mose 21:18-21). Jemand, der seinen Vater oder seine Mutter schlug oder Böses auf sie herabrief, sollte zu Tode gebracht werden (2. Mose 21:15, 17; 3. Mose 20:9). Wer es gelernt hatte, Heim und Familie zu achten, achtete auch die Herrscher der Nation, besonders ihren höchsten Herrscher, Jehova Gott.
ACHTUNG VOR EIGENTUMSRECHTEN
25. Wie wurden Fundgegenstände behandelt?
25 In der heutigen Zeit handelt man mit Fundgegenständen im allgemeinen nach dem Motto „Wer’s findet, behält’s“. Doch in Israel wurde von jedem, der ein Tier oder irgendeinen Gegenstand fand, verlangt, dem Eigentümer wieder zu seinem Besitz zu verhelfen. Falls der Eigentümer nicht in der Nähe lebte und unbekannt war, mußte der Gegenstand so lange aufbewahrt werden, bis der Eigentümer danach suchte (5. Mose 22:1-3). Damit dem Eigentümer, der ins Dorf kam, um nach seinem verlorenen Eigentum zu suchen, geholfen werden konnte, mußte der Finder natürlich den Ältesten des Ortes seinen Fund melden.
26, 27. (a) Wie wurde Achtung vor dem Heim und dem Eigentum eines Mannes bekundet? (b) Von welchem Nutzen waren diese Gesetze für die Armen?
26 Die Unverletzlichkeit des Heimes wurde hochgeachtet. Niemand durfte Schulden eintreiben, indem er in das Haus des Schuldners ging, um sich das zu holen, was als Pfand dienen sollte. Der Gläubiger mußte draußen warten, bis ihm der Mann den gepfändeten Gegenstand brachte (5. Mose 24:10, 11). Auch durfte der Gläubiger keine Ansprüche auf direkte Erwerbsmittel oder auf notwendige Kleidungsstücke erheben, da ein Armer vielleicht nur wenig Getreide zum Mahlen hatte, um seine Familie zu ernähren, oder nur ein einziges äußeres Gewand, um sich zu bekleiden.
27 Diesbezüglich heißt es in 5. Mose 24:6, 12, 13: „Niemand sollte eine Handmühle oder deren oberen Mühlstein als Pfand ergreifen, denn eine Seele ist es, die er als Pfand ergreift. Und wenn der Mann in Not ist, sollst du dich nicht mit seinem Pfand zu Bett legen. Du solltest ihm auf alle Fälle das Pfand, sobald die Sonne untergeht, zurückgeben, und er soll sich in seinem Kleidungsstück zu Bett legen, und er soll dich segnen; und es wird für dich Gerechtigkeit vor Jehova, deinem Gott, bedeuten.“
RÜCKSICHT AUF TIERE
28. Wie bekundete Gott in seinen Gesetzen über die Behandlung der Tiere Rücksicht?
28 Auch auf Tiere sollte Rücksicht genommen werden. Wenn jemand ein Haustier in Not sah, mußte er ihm helfen, selbst wenn es einem Feind gehörte (2. Mose 23:4, 5; 5. Mose 22:4). Lasttiere durften nicht überbeansprucht oder mißhandelt werden (5. Mose 22:10; Sprüche 12:10). Dem Stier durfte das Maul nicht verbunden werden, so daß er beim Dreschen von Getreide die Früchte seiner Arbeit genießen konnte (5. Mose 25:4). Auch wilden Tieren sollte Güte erwiesen werden. Es war nicht erlaubt, eine Vogelmutter und ihre Eier wegzunehmen, denn dadurch wäre die ganze Familie ausgerottet worden (5. Mose 22:6, 7). Was die Haustiere betraf, so durfte ein Rind oder ein Schaf nicht an ein und demselben Tag mit seinem Jungen geschlachtet werden. Dadurch sollte einem Geist der Grausamkeit vorgebeugt werden (3. Mose 22:28; vergleiche damit auch Gottes Rücksicht auf Tiere, die in Jona 4:11 und 3. Mose 25:4, 5, 7 zum Ausdruck kommt).
EIFER FÜR DIE WAHRHEIT
29, 30. Welche Gesetze galten für Zeugen in Gerichtsfällen?
29 Im Interesse des Rechts und der Barmherzigkeit wurde von einem Zeugen in einem Gerichtsfall verlangt, über alles auszusagen, was er über den Fall wußte. Wenn er dies nicht tat, mußte er damit rechnen, von den Richtern öffentlich verflucht zu werden. Ein solcher Fluch wurde dann von Gott erfüllt (3. Mose 5:1; Sprüche 29:24). Er durfte auch keinen Meineid ablegen, denn sonst hätte er „vor Jehova“ gelogen. Wenn festgestellt wurde, daß jemand einen anderen vorsätzlich falsch angeklagt hatte, mußte der Ankläger die gleiche Strafe erleiden, die an dem falsch Angeklagten vollstreckt worden wäre.
30 Demzufolge lesen wir in 5. Mose 19:16-19: „Falls ein Zeuge, der auf Gewalttat sinnt, sich gegen einen Mann erheben sollte, um gegen ihn eine Anklage auf Auflehnung vorzubringen, dann sollen die zwei Männer, die den Streit haben, vor Jehova treten, vor die Priester und die Richter, die in jenen Tagen amten werden. Und die Richter sollen gründlich nachforschen, und wenn der Zeuge ein falscher Zeuge ist und eine Falschanklage gegen seinen Bruder vorgebracht hat, dann sollt ihr ihm so tun, wie er seinem Bruder zu tun gedachte, und du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen.“
31. Welche anderen Gesetze förderten den Eifer für Gerechtigkeit und beugten auch unbedachten Zeugenaussagen vor Gericht vor?
31 Niemand konnte allein aufgrund von Umstandsbeweisen zu Tode gebracht werden. Es mußten mindestens zwei Augenzeugen vorhanden sein, um die Wahrheit nachzuweisen (5. Mose 17:6; 19:15). Diejenigen, die als Zeugen gegen einen Mann ausgesagt hatten, der eines Kapitalverbrechens beschuldigt wurde, mußten sich als erste daran beteiligen, den Täter zu steinigen. Durch dieses Gesetz wurde in Israel der Eifer für Gerechtigkeit gefördert. Nicht nur die Richter, sondern alle Bürger mußten ihren Wunsch beweisen, das Land vor Gott von Blutschuld rein zu halten. Durch dieses Gesetz sollten die Israeliten auch davon abgehalten werden, falsche, voreilige oder unüberlegte Zeugenaussagen zu machen. Das Gesetz in 5. Mose 17:7 erfüllte somit einen guten Zweck. Es lautete: „Die Hand der Zeugen sollte zuallererst über ihn kommen, um ihn zu Tode zu bringen, und danach die Hand des ganzen Volkes; und du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen.“
VERBOTENE GESCHLECHTSBEZIEHUNGEN
32. Welche gesetzwidrigen Geschlechtsbeziehungen wurden mit dem Tod bestraft?
32 Auf Ehebruch stand für beide Parteien die Todesstrafe (3. Mose 20:10). Abstoßende Praktiken, wie homosexuelle Handlungen und Sodomie, zogen ebenfalls die Todesstrafe nach sich. In 3. Mose 20:13, 15 lesen wir diesbezüglich: „Wenn ein Mann bei einer männlichen Person liegt, ebenso wie man bei einer Frau liegt, so haben sie beide eine Abscheulichkeit begangen. Sie sollten unweigerlich zu Tode gebracht werden. Ihr eigenes Blut ist auf ihnen. Und wenn ein Mann seinen Samenerguß einem Tier gibt, sollte er unweigerlich zu Tode gebracht werden, und ihr solltet das Tier töten.“ (Siehe auch 3. Mose 20:16, 17; Römer 1:24-28.)
REINHEIT
33, 34. Wie förderte das Gesetz körperliche Reinheit?
33 Das Gesetz verlangte vom Volk nicht nur sittliche, sondern auch körperliche Reinheit. Gemäß den Reinheitsgesetzen mußten die Israeliten irdene Gefäße vernichten, die mit einem verendeten Tier in Berührung gekommen waren. Wenn es sich um andere Gefäße oder um Kleidungsstücke handelte, mußten sie gewaschen werden. Durch diese Gesetze wurde den Israeliten die Notwendigkeit eingeprägt, darauf zu achten, daß sie rein waren. Personen, die ansteckende Krankheiten hatten, kamen in Quarantäne (3. Mose 13:4, 5, 21, 26). Infizierte Kleidungsstücke und Häuser wurden ebenfalls unter Quarantäne gestellt und in einigen Fällen sogar vernichtet oder zerstört (3. Mose 13:47-52, 55; 14:38, 45). Es durfte kein Blut gegessen werden (3. Mose 7:26).
34 Vom medizinischen Standpunkt aus waren die sanitären und die Quarantänegesetze sowie die Sittengesetze und das Blutverbot ein wunderbarer Schutz vor Typhus, Flecktyphus, Beulenpest, Hepatitis, Tripper, Syphilis und vor einer Menge anderer Krankheiten.
BARMHERZIGKEIT FÜR REUMÜTIGE
35. Hatten die Richter bei Gerichtsfällen die Freiheit, je nach den Umständen Barmherzigkeit zu erweisen?
35 Das Gesetz war nicht hart oder starr. Die Richter hatten die Freiheit, Barmherzigkeit zu erweisen. Wenn jemand gegen seinen Mitmenschen sündigte und dann bereute, konnte er Gottes Gunst wiedererlangen, indem er zunächst die Sache mit dem Geschädigten bereinigte und dann Jehova ein Schuldopfer darbrachte (3. Mose 6:2-7). Auf dieses Gesetz spielte Jesus Christus an, als er sagte: „Wenn du nun deine Gabe zum Altar bringst und dich dort erinnerst, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so laß deine Gabe dort vor dem Altar und geh weg; schließe zuerst mit deinem Bruder Frieden; und dann, wenn du zurückgekommen bist, bringe deine Gabe dar“ (Matthäus 5:23, 24). Auch heute können Diener Gottes keinen Frieden mit Gott haben, wenn sie ihren Mitmenschen unrecht tun.
DAS JUBELJAHR
36. Welche guten Auswirkungen hatte das Jubeljahrgesetz?
36 Das Jubeljahr, das in jedem fünfzigsten Jahr wiederkehrte, war eine Zeit der Freude. Jeder Erbbesitz, der „verkauft“ worden war, wurde an den Besitzer zurückgegeben. Hebräische Sklaven wurden freigelassen, selbst wenn ihre sechs Jahre der Knechtschaft noch nicht abgelaufen waren (3. Mose 25:8-13, 39-41). Dieses Gesetz hatte die großartige Auswirkung, daß die Wirtschaft wieder in den ursprünglichen ausgeglichenen Zustand gebracht wurde, für den Gott gesorgt hatte, als Israel in das Verheißene Land eingezogen war. Dadurch wurde der Situation vorgebeugt, die wir heute in vielen Ländern vorfinden — nämlich, daß es extrem reiche Großgrundbesitzer und extrem arme „Leibeigene“ gibt. Solange das Gesetz eingehalten wurde, konnte es kein Landmonopol geben.
37. Zusammenfassend könnten wir welchen Grund dafür angeben, daß wir uns mit dem mosaischen Gesetz befassen sollten?
37 Das Gesetz machte den Bürger somit zu einem freien Menschen. Keine Familie brauchte zu befürchten, für immer in Armut zu geraten. Die Würde der Familie wurde aufrechterhalten und der Familiengeist gefördert. Der Vater konnte seiner Familie Zeit widmen, denn die Sabbattage und die Sabbatjahre gaben Vätern die Möglichkeit, ihre Kinder zu belehren. Obwohl Christen nicht unter dem mosaischen Gesetz stehen, vermittelt es ihnen doch einen Einblick in Gottes Ansichten und in seine Handlungsweise. Außerdem ist es ein „Schatten der künftigen guten Dinge“ (Hebräer 10:1).
[Bild auf Seite 144]
Das Gesetz nahm Rücksicht auf die Armen; es verlangte, daß die Ränder der Felder für sie zum Ährenlesen stehengelassen wurden.
[Bild auf Seite 154]
Wenn das Jubeljahr ausgerufen wurde, mußte jeder Landbesitz an den ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben werden.