Transsubstantiation — Tatsache oder Erfindung?
ES GAB eine Zeit, in der es gefährlich gewesen wäre, zu fragen, ob die Transsubstantiation Tatsache oder Erfindung sei. Das war im Jahre 1410. In jenem Jahr wurde der Engländer John Badby, ein Schneider, auf dem Smithfield-Square in London auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil er nicht begreifen konnte, wie Christus beim Abendmahl anwesend sein und den Aposteln seinen eigenen Leib zum Essen anbieten konnte!
Und nicht nur von Laien, sondern auch von katholischen Priestern wird berichtet, daß sie lebendig verbrannt wurden, weil sie an der Transsubstantiation zweifelten. Ja es wird uns gesagt, die Verleugnung dieser Lehre sei die Ursache gewesen, daß Ströme von Blut geflossen seien, und daß Zweifel an dieser Lehre wahrscheinlich mehr Menschen das Leben gekostet haben als die Zweifel an irgendeiner anderen Lehre der römisch-katholischen Kirche.
Die Encyclopædia Britannica (9. Ausgabe) schreibt über die Transsubstantiation folgendes: „Die Kirche von Rom lehrt, daß bei der Eucharistie die ganze Substanz des Brotes und Weines durch Konsekration in den Leib und das Blut Christi verwandelt wird, und zwar so, daß Christus in seiner Ganzheit — was seine Menschenseele und seine göttliche Natur einschließt — in den Elementen enthalten ist, und daß durch diese gründliche Umwandlung der ganze Christus nicht nur im Wein und auch im Brot, sondern in der gleichen Vollständigkeit auch in jedem Teilchen des Brotes und in jedem Tropfen des Weines enthalten ist.“ Im Jahre 1215 faßte das Laterankonzil einen Beschluß, wonach alle verflucht wurden, die die Transsubstantiation irgendwie bezweifelten.
Es wird behauptet, daß das Wunder der Transsubstantiation in jeder Beziehung ein ebenso großes und unfaßbares Geheimnis sei wie das der Dreieinigkeit und daß diese beiden, zusammen mit der Lehre der Inkarnation — der Lehre, daß Jesus Christus, als er auf Erden weilte, Mensch und Gott zugleich gewesen sei — die drei großen „Mysterien seien, die weit über den Verstand hinausreichen“. Hinsichtlich dieser Auffassung von der Transsubstantiation erklärt Hildebert, der im dreizehnten Jahrhundert lebte: „Die menschliche Verstandeskraft scheint in bezug auf das Sakrament des Leibes und Blutes des Herrn unzureichender zu sein als in bezug auf irgendein anderes Werk der göttlichen Macht.“ Er stellt ferner die Frage: „Welcher Verstand kann erfassen, wie das Fleisch Christi täglich vom Himmel zu uns auf den Altar und vom Altar zu uns kommt, ohne jedoch den Himmel, von wo es kommt, zu verlassen?“
Kein Wunder, daß diese Lehre im Mittelalter zu so vielen Auseinandersetzungen führte und daß katholische Theologen oder Scholastiker, wie Duns Scotus, bemerkten, daß „die Worte der Heiligen Schrift freier und leichter erklärt werden könnten ohne die Transsubstantiation“. Offenbar wollte er aber Schwierigkeiten vermeiden und vertrat daher die Auffassung: „Die Hauptsache ist, daß man über das Sakrament gleicher Ansicht ist wie die Heilige Römische Kirche.“
VON DER HEILIGEN SCHRIFT NICHT GESTÜTZT
Ob die Transsubstantiation Tatsache oder Erfindung ist, hängt von der Bedeutung der Worte Jesu ab, die wir in Matthäus 26:26, 28 (Kath. Familien-Bibel) lesen: „Das ist mein Leib … das ist das Blut des (Neuen) Bundes.“ Ist es vernünftig und mit den übrigen Teilen der Bibel in Übereinstimmung, zu glauben, daß mit diesen Worten auf ein unfaßbares, geheimnisvolles Wunder von größter Bedeutung hingewiesen wurde? Nein, bestimmt nicht.
Vorerst ist zu beachten, daß wir in der Heiligen Schrift nirgends etwas von solchen unbegreiflichen, vernunftwidrigen Mysterien lesen, die als göttliche Wahrheiten hingestellt werden. Im Gegenteil, es wird stets an das Wahrnehmungsvermögen der Sinne und an die Vernunft appelliert. So dienten zum Beispiel offensichtliche Wunder dazu, die göttliche Sendung Moses und auch Jesu Christi zu bestätigen. Von Anfang bis zu Ende appellierten Gottes Diener an die Vernunft: Elihu argumentierte mit Hiob und dessen falschen Freunden; Maleachi argumentierte mit den untreuen Priestern; Paulus argumentierte mit den Juden auf den Marktplätzen und in den Synagogen und mit den griechischen Philosophen auf dem Marshügel. Er argumentierte ferner mit Erfolg zugunsten des Glaubens an das Dasein Gottes, indem er von der Wirkung auf die Ursache schloß. Und vor allem appellierte Jesus an die Vernunft.
Es ist vernunftwidrig, zu glauben, das Brot sei wirklich sein Leib geworden, als Jesus die Worte sprach: „Dies ist mein Leib“, was ja im Widerspruch zu dem stand, was die Apostel mit ihren Sinnen wahrgenommen hatten. Konnte nicht jedermann das Wunder sehen, das Mose gewirkt hatte, als er den Stab in eine Schlange verwandelte? Doch. Auch hatte Jesus zweifellos ein Wunder gewirkt, als er das Wasser in Wein verwandelte. Und als er die Fünftausend und die Viertausend speiste, war kein Glaube erforderlich, um diese Tat anzuerkennen, denn sie wurde nicht nur durch die gesättigte Volksmenge bestätigt, sondern auch noch durch die vielen Körbe voll Brocken, die übriggeblieben waren. Diese Wunder dienten alle einem nützlichen Zweck, und es war kein Glaube erforderlich, um sie anzuerkennen, sondern sie dienten dazu, den Glauben zu härten.
Lesen wir nicht in bezug auf das, woran Jesus dachte, immer wieder, daß eine bestimmte Sache dies oder jenes ist, während sie doch dem Sinne nach dies oder jenes bedeutet? Gewiß. Selbst katholische Übersetzungen bestätigen dies. So gibt zum Beispiel die Allioli-Übersetzung 1. Mose 41:26 wie folgt wieder: „Die sieben schönen Kühe und die sieben vollen Ähren sind sieben fruchtbare Jahre“, während die Katholische Familien-Bibel sagt: „Die sieben schönen Kühe bedeuten sieben Jahre, und ebenso bedeuten die sieben schönen Ähren sieben Jahre; die Träume haben denselben Sinn.“ Und in Daniel 7:17 heißt es nach der Allioli-Bibel: „Die vier großen Tiere sind vier Reiche, die auf der Erde entstehen“, während die Katholische Familien-Bibel diesen Text wie folgt wiedergibt: „Diese vier großen Tiere bedeuten vier Könige, die auf Erden erstehen werden.“
Man beachte ferner, daß Galater 4:24 nach Allioli wie folgt lautet: „Denn dies sind die zwei Testamente“, nach der Katholischen Familien-Bibel jedoch: „Diese beiden Frauen bedeuten die beiden Testamente.“ Wie wir feststellen können, bediente sich besonders Jesus der Bildersprache, ja es wird uns sogar gesagt, daß er nicht ohne Gleichnisse redete und lehrte. Er brauchte fortgesetzt übertragene Ausdrücke und Gleichnisse beim Predigen der guten Botschaft vom Königreiche seines Vaters. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Zweige.“ „Ich bin die Tür der Schafe.“ „Ich bin der rechte Hirte, und ich kenne meine Schafe.“ (Joh. 15:5; 10:7, 14, NW) Folglich geben gewisse Übersetzungen, zum Beispiel die von Moffatt (engl.) und die Neue-Welt-Übersetzung (engl.), die fraglichen Worte in Matthäus 26:26, 28 mit Recht wie folgt wieder: „Dies bedeutet meinen Leib“ und „dies bedeutet mein ‚Blut‘“.
Wäre der Wein wirklich in das Blut Jesu verwandelt worden, dann hätte Jesus nicht davon gesprochen, daß es noch vergossen werde: „… das für viele … vergossen wird.“ Auch hätte er dann den Inhalt des Bechers nicht noch als die Frucht des Weinstockes bezeichnet: „Ich aber sage euch: Von jetzt an werde ich nicht mehr von diesem Erzeugnis des Weinstockes trinken bis zu dem Tage, an dem ich es in neuer Weise mit euch im Reiche meines Vaters trinke.“ — Matth. 26:28, 29, Kath. Familien-Bibel.
WIDERSPRICHT DEM LÖSEGELD
Die erfundene Lehre von der Transsubstantiation widerspricht einer der grundlegenden Lehren der Bibel, der Lehre vom Loskaufsopfer Jesu Christi, die in Matthäus 20:28 und 1. Timotheus 2:5, 6 zum Ausdruck kommt. Wie der Apostel Paulus in Hebräer 9:22 (Kath. Familien-Bibel) zeigt, ‚gibt es ohne Blutvergießen keine Vergebung‘ der Sünden. Da es sich bei der Transsubstantiation zugegebenermaßen um ein „unblutiges Opfer“ handelt, können dadurch nicht, wie behauptet wird, Sünden getilgt werden.
Ferner sagt Paulus in Hebräer, Kapitel 9 und 10, ausdrücklich, daß Jesus Christus nur einmal gestorben ist, daß nur e i n Schlachtopfer nötig war. Zu glauben, es seien noch andere Opfer nötig, bedeutet somit, die Worte des Apostels Paulus zu verleugnen, und es ist eine Gotteslästerung, zu glauben, daß unvollkommene Menschen den göttlichen Christus täglich neu erschaffen und opfern könnten.
Das ist aber noch nicht alles. Paulus zeigt deutlich, daß ebenso wie sich der Hohepriester beim Volke Israel mit dem Blut der Opfertiere in das Allerheiligste begab, um Sühnung zu tun, sich auch Jesus Christus mit dem Wert oder Verdienst seines Opfers in den Himmel selbst begab, um für seine Nachfolger Sühnung zu tun. Kein menschlicher Priester konnte sich in den Himmel begeben und dort zugunsten anderer erscheinen, um für sie Vergebung zu erwirken, da „Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht besitzen können“. — 1. Kor. 15:50, Al.
Und wenn Jesus durch die Worte, ‚dies ist mein Leib und mein Blut‘, das Brot und den Wein durch ein Wunder in sein eigenes Fleisch und sein Blut verwandelt und damit das bemerkenswerteste Wunder in seiner Dienstzeit vollbracht hätte, wäre dies bestimmt nicht nur deutlich dargelegt, sondern überall in den Christlichen Griechischen Schriften hervorgehoben worden. Aber die Transsubstantiation wird nicht einmal erwähnt, geschweige denn erörtert, und dies, weil es sich dabei nicht um eine Tatsache, sondern nur um eine Erfindung handelt. Die Bibel lehrt die Transsubstantiation nicht.
DER URSPRUNG DIESER LEHRE
Wie konnte denn diese Lehre zu einer so wichtigen, komplizierten Lehre der umfassendsten Religion der Christenheit werden? Zufolge eines Abfalls, vor dem Jesus und seine Apostel gewarnt hatten. Es wird zugegeben, daß viele heidnische Lehren und Bräuche in die Kirche hineingebracht wurden. Bei den Griechen gab es eine Götterspeise, Ambrosia, und auch einen Göttertrank, Nektar, die ihren sagenhaften Göttern Unsterblichkeit verleihen sollten. Die Hindus glaubten etwas Ähnliches.
Die Ansicht, daß etwas eine Transsubstantiation erfahre oder von einer Substanz in eine andere verwandelt werden könne, ohne daß sich dessen Aussehen verändere, stützt sich auf die irrige Auffassung des Aristoteles, daß aller Materie eine unsichtbare Substanz zugrunde liege, aus der sie und auch ihre äußeren, sichtbaren Eigenschaften, die sogenannten „Akzidentien“, wie Farbe, Form, Beschaffenheit, Geruch, Geschmack usw., in Wirklichkeit bestehen. Es wird uns gesagt, daß die frühen alexandrinischen Theologen in ihren Philosophien über das Abendmahl des Herrn gewisse Ausdrücke „offensichtlich der Terminologie der griechischen Mysterien entnommen“ haben.
Diese Lehre entwickelte sich wie die Lehre von der Dreieinigkeit allmählich, was wir aus der Encyclopædia Britannica (1942), Band 8, S. 795—797, klar ersehen. Der Ausdruck „Transsubstantiation“ erschien erst im elften Jahrhundert. Nachdem sie im Jahre 1215 von der römisch-katholischen Kirche zu einem offiziellen Dogma erhoben worden war, setzte eine Verfolgungswelle ein, in deren Verlauf Tausende und aber Tausende von Juden wegen angeblicher „Hostienschändung“ gemartert und umgebracht wurden, und dies unter der Anklage, die Hostie mit Nadeln durchstochen oder mit den Füßen zertreten zu haben, wie wenn die Juden an die erfundene Lehre von der Transsubstantiation geglaubt hätten! Wiklif und Zwingli traten unzweideutig gegen diese Lehre auf; ebenso wird dies von Luther gesagt, obwohl er über diesen Gegenstand kein klares Verständnis hatte.
Die Erfindung der Transsubstantiation hat viel Schaden angerichtet. Sie fördert den Götzendienst, denn wenn der Priester die Worte spricht: „Hoc est autem corpus meum“, und dann mit einer Glocke klingelt, so beten Priester und Volk die „Hostie“ als den Leib Christi an. Indem die Auffassung vertreten wird, daß nur ein ordinierter Priester das Meßopfer zelebrieren und die Worte der Konsekration sprechen kann, wird das Volk, was die Vergebung der Sünden betrifft, völlig von seinen Priestern abhängig gemacht.
In der Tat: die Vernunft, die Tatsachen und die Heilige Schrift beweisen vereint, daß die Transsubstantiation keine biblische Lehre, sondern eine Erfindung, also keine Tatsache, ist.
QUELLENMATERIAL: England in the Age of Wycliffe, Trevelyan, S. 173, 174, 334, 335; History of the Doctrine of the Holy Eucharist, Stone, Band 1, S. 30, 276, 374, 376; Clarkes Commentary, Matthäus 26:26; The Catholic Encyclopedia, Band 5, S. 573; Transubstantiation, Dr. theol. F. R. Montgomery Hitchcock, S. 81, 89; The Encyclopedia Americana (1956), Band 27, S. 13; Studies in the Scriptures, Band 2, S. 99-101; The Two Babylons, Hislop, S. 161.
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