„Die Zunge der Weisen ist Heilung“
DER richtige Gebrauch der Zunge ist eine Kunst. Ein weises Wort kann oft Kummer und Enttäuschung mildern und Bedenken und Sorgen zerstreuen. „Da ist einer, der unbesonnene Worte redet gleich Schwertstichen, aber die Zunge der Weisen ist Heilung“, lautet ein Sprichwort. (Spr. 12:18) Da die Zunge zum Guten oder Bösen gebraucht werden kann, sollten wir, bevor wir sprechen, überlegen, welche Folgen unsere Worte haben und wie sie unsere Mitmenschen berühren könnten. Tust du das?
Wir können die Zunge in mancher Hinsicht zur Erbauung anderer gebrauchen. Denken wir zum Beispiel an einen jungen Menschen, der zum erstenmal in der Fremde ist und vielleicht unter Heimweh leidet. Statt ihn deswegen zu tadeln oder zu necken, sollten ihm seine älteren Kameraden, die das beobachten, durch ein freundliches Wort erkennen helfen, warum er an dem betreffenden Ort ist und warum er da bleiben sollte. Auf diese Weise können sie ihn vielleicht von dem unwiderstehlichen Verlangen, ohne einen triftigen Grund nach Hause zurückzukehren (wodurch er möglicherweise manche gute Gelegenheit versäumen würde), befreien.
Vielleicht bist du auch schon an einen neuen Arbeitsplatz gestellt worden und mußtest einen schwierigen Arbeitsvorgang erlernen oder eine komplizierte Maschine bedienen lernen. Ein ermunterndes Wort deines Vorgesetzten tat dir gut und stärkte dein Vertrauen und deinen Entschluß, dein Bestes zu tun. Wieviel leichter fiel dir doch die Arbeit und wieviel besser konntest du sie tun nach einem heilsamen, stärkenden Wort!
Oft endet eine Freundschaft nur wegen eines gedankenlos gesprochenen Wortes. Deshalb sollten wir streng über unsere Zunge wachen. Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Warum? Weil die Zunge wahrscheinlich das widerspenstigste, ungefügigste Organ unseres Körpers ist. Ein Bibelschreiber sagte: „Wer nicht im Worte strauchelt, der ist ein vollkommener Mann.“ Vögel und andere Tiere könne der Mensch zähmen, schrieb er weiter, die Zunge aber könne kein Mensch zähmen. „Ein widerspenstiges, schädliches Ding voll todbringenden Giftes ist sie.“ (Jak. 3:2, 8, NW) Das heißt aber nicht, daß wir uns im Gebrauch der Zunge nicht verbessern könnten. Wenn es uns auch nicht gelingt, sie vollkommen zu beherrschen, so könnten doch die meisten von uns sie in vermehrterem Maße zum Heilen gebrauchen, als sie es bis jetzt getan haben.
Besonders wenn einer unserer Angehörigen krank oder leidend ist, sollten wir unsere Zunge so gebrauchen, daß sie heilend wirkt. Wenn jemand um einen lieben Angehörigen trauert, der ihm durch den Tod entrissen wurde, können Worte den Verlust natürlich nicht ersetzen, aber sie können sehr trostreich sein, wenn sie mit Liebe gesprochen werden und auf Wahrheit beruhen. Dann gibt es auch viele Menschen, die sich vor allem möglichen fürchten und wegen jeder Kleinigkeit beunruhigt sind. Sie sorgen sich um ihre Gesundheit, fühlen sich bedroht, jammern über ihre Unzulänglichkeit oder bilden sich ein, andere könnten sie nicht leiden oder würden sie nicht anerkennen. Sie haben auch keine richtige Vorstellung vom Sinn und Zweck des Lebens. Solchen Menschen kann der Einsichtige und Verständige eine große Hilfe sein. Er kann mit ihnen über die wahren Werte des Lebens sprechen und ihre Befürchtungen zerstreuen.
Unter dem Druck der heutigen Verhältnisse leiden auch viele, besonders ältere Menschen, unter Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit. Viele ihrer Altersgenossen, mit denen sie von Jugend auf verbunden waren, sind vielleicht schon tot, weshalb sie sich nun verlassen fühlen. Welche Hilfe kann die Zunge der Weisen doch solchen Menschen sein! „Kummer im Herzen des Mannes beugt es nieder, aber ein gutes Wort erfreut es.“ (Spr. 12:25) Kannst du ein solch „gutes Wort“ sprechen, wenn einer deiner Nächsten es dringend benötigt? Könntest du zum Beispiel logisch erklären, warum sich die Menschheit heute in einem solch bedauernswerten Zustand befindet und warum ihre Lebensspanne so kurz ist? Weißt du, daß uns die Heilige Schrift die Hoffnung gibt, daß es bald anders wird? Wenn du deinen Nächsten liebst und die Hoffnung, die uns Gott durch sein Wort gibt, kennst, dann kannst du durch ein „gutes Wort“ wirklich heilen.
Die Zunge kann aber auch noch auf eine andere Art heilend wirken, auf eine Art, die im Augenblick schmerzlich sein kann wie die Desinfektion einer Wunde. Das trifft zum Beispiel beim Tadel zu. Eine Zurechtweisung oder Züchtigung ist manchmal unerläßlich. Gottes Wort sagt: „Besser offener Tadel als verhehlte Liebe.“ (Spr. 27:5) Obwohl eine Zurechtweisung wehtun kann, ist sie heilsam, weil sie verhütet, daß der Betreffende auf Abwege gerät.
Jemand merkt vielleicht gar nicht, daß er etwas tut, was einer Zurechtweisung bedarf. Er arbeitet vielleicht und merkt nicht, daß er mangelhafte Arbeit leistet und sich verbessern sollte. Vielleicht hat er das Gefühl, ein Rat erübrige sich, da er nichts verkehrt mache. Er hört nicht auf den guten Rat, da er glaubt, eine Änderung sei nicht nötig. Es ist ungefähr so, wie wenn man einem Kind sagt, es müsse artig sein, und es dann doch immer wieder unartig ist, weil es sich gar nicht bewußt ist, daß es verkehrt handelt. Das Kind muß deshalb in seinem Interesse durch Worte und wenn nötig auch durch Schläge gezüchtigt werden. Auch Erwachsene, die etwas verkehrt machen, mögen manchmal vielleicht durch heilsame Worte in Form eines taktvollen, aber unmißverständlichen Tadels zurechtgewiesen werden müssen, selbst wenn es sie im Augenblick schmerzlich berühren mag. Der Tadel wird ihnen helfen, sich zu verbessern.
Nur ein echter Freund, der wirklich an deinem Wohl interessiert ist, wird dich aufmerksam machen, wenn du etwas tust, was dir schaden könnte. Du solltest deshalb seine Zurechtweisung ohne Widerrede annehmen, da sie Güte zum Ausdruck bringt und eine heilsame Wirkung hat. Aber auch du kannst durch den weisen Gebrauch deiner Zunge anderen helfen, wenn du einen Tadel nicht zurückhältst, sofern er nötig ist. Wer seine Zunge dazu gebraucht, andere wenn nötig zurechtzuweisen, ist auch gegen sich selbst gütig, denn sein geistiges Wohl wird gefördert, wenn er das tut, was recht ist.
Unsere Zunge ist gleichsam das Fenster unseres Herzens und unserer Gedanken. Sie läßt unseren sittlichen und geistigen Gesundheitszustand erkennen, denn was in unserem Herzen ist, zeigt sich früher oder später in unserer Rede. Die Bibel sagt: „Denn aus der Fülle des Herzens redet der Mund.“ (Matth. 12:34, 35, NW) Wenn wir unser Herz mit den wahren Schätzen aus Gottes Wort anfüllen, können wir durch den weisen Gebrauch unserer Zunge Heilung und Gutes bewirken.