-
Die Schule versagtErwachet! 1980 | 22. Februar
-
-
Die Schule versagt
In den Vereinigten Staaten gibt die Gesellschaft der Schule die Schuld und die Schule den Schülern. Die Schüler wiederum bekommen schlechte Noten.
„ICH bin betrogen worden!“ klagt ein High-School-Absolvent, der nach zwei Jahren das College verlassen mußte. „Was war verkehrt? Warum war ich nicht vorbereitet?“ fragt er und fährt fort:
„Als ich zur High-School ging, war gerade die fortschrittliche Bewegung im Gange. Pädagogen sprachen von ,fröhlichen Klassenzimmern‘, und wir alle forderten Fächer, die ,relevant‘ (was immer das bedeutete) waren. Wenn ich zurückblicke, bestand meiner Meinung nach das Problem darin, daß die Lehrer zuviel Nachsicht übten. ... Sie versuchten, uns die ,Freude‘ und die ,Relevanz‘ zu geben, die wir forderten. Aber eigentlich gebraucht hätten wir Satzbau und so manches Mal auch einen festen Tritt in den Hintern.“
Die Klage eines anderen Schülers wurde in einer Zeitung wie folgt wiedergegeben:
„Ich bin in der 10. Klasse, und meine Rechtschreibung ist keinen Pfifferling wert. Die High-School, die ich besuche, soll eine der besten unseres Bundesstaates sein. Seit der 5. Klasse bin ich nicht ein einziges Mal in Rechtschreibung unterrichtet worden. Unser Klassenleiter bittet uns jedes Jahr, die Fächer aufzuführen, die wir gern im Angebot sehen würden. In fünf aufeinanderfolgenden Jahren habe ich ,Rechtschreiben‘ und ,Grammatik‘ vorgeschlagen. Aber was ist uns geboten worden? Ich muß mir verrückte Filme ansehen, die als ,Lehrfilme‘ bezeichnet werden.“
Die USA geben für den Unterricht an weiterführenden Schulen mehr Geld aus als je zuvor — etwa 75 000 000 000 Dollar im Jahr. Dennoch versagen diese Schulen kläglich. Die Ergebnisse bei den Aufnahmeprüfungen für das College haben sich in den vergangenen 15 Jahren ständig verschlechtert.
Die Noten werden „nachgeworfen“, und das Versetzen geschieht von selbst
Experten geben folgenden Bericht zur Situation: Fortschrittliche Lehrmethoden und bedeutungslose Wahlfächer haben die Grundfertigkeiten — Lesen, Schreiben und Rechnen — verdrängt. Die Kinder sind nicht nur unfähig zu lesen, sondern können auch nicht schreiben, addieren und subtrahieren. Der Englischunterricht wurde durch Science-fiction und durch Filmvorführungen ersetzt. Das Schreiben von Aufsätzen ist aus der Mode gekommen. Die Lehrbücher fordern den Schüler nicht mehr so — mehr Bilder, breitere Seitenränder, einfachere Wörter und kürzere Sätze. Verglichen mit früher, müssen nur noch halb soviel Hausaufgaben gemacht werden. Über das Schuleschwänzen — bis zu 25 Prozent — wird hinweggesehen. Die Noten werden „nachgeworfen“. Das Versetzen in die nächste Klasse geschieht von selbst, also unabhängig davon, ob es verdient ist oder nicht. Das High-School-Diplom bestätigt 12 Jahre Schulbesuch, nicht schulische Leistungen.
Da das Diplom bedeutungslos geworden ist, haben sich die Gerichte eingeschaltet. Im Wall Street Journal vom 9. Mai 1978 hieß es: „Wenn eine Schule einem Schüler ein Diplom verleiht ohne Rücksicht darauf, was er gelernt hat, dann kann sie verklagt werden. Gegen amerikanische Schulen sind ein halbes Dutzend Anklagen vorgebracht worden, die im wesentlichen auf Verletzung des Bildungsauftrags lauten.“ Demzufolge wird in vielen US-Bundesstaaten „von den Schülern verlangt, ein Mindestmaß an Fertigkeiten unter Beweis zu stellen, indem sie sich Lese-, Schreib- und Rechenprüfungen unterziehen. Wenn sie sie nicht bestehen, kann ihnen das High-School-Diplom verwehrt werden.“
Doch die Experten, die über das Versagen der Schulen berichten, dehnen ihre Vorwürfe noch weiter aus. Wenn die Familie zerrüttet ist, ein Elternteil fehlt, beide Eltern arbeiten oder sie zu freizügig sind, dann sind die Kinder durcheinander, verhalten sich in der Schule undiszipliniert und sind schwierig zu unterrichten.
Das Fernsehen macht den Geist träge, doch „bis zum 16. Lebensjahr haben die meisten Kinder zwischen 10 000 und 15 000 Stunden vor dem Fernseher verbracht, mehr Zeit als in der Schule“. Einer der Experten sagte: „Das Fernsehen ist zum Stellvertreter der Eltern und zum Ersatz des Lehrers geworden.“
Ein anderer Pädagoge sagte unverblümt: „Wenn Sie denken, daß ein ernsthaftes Bildungsproblem besteht, und möchten, daß die Kinder eine bessere Bildung erhalten, dann schlage ich Ihnen vor, Fernseher, Radio und Telefon abzuschalten und Eltern zu engagieren, die eifrige Leser und produktive Schreiber sind und in angemessenem Wohlstand leben.“
Dieses Zitat weist auf einen weiteren Faktor hin — die wirtschaftlichen Lebensumstände. In der New Yorker Zeitung Daily News vom 8. März 1979 erschien unter dem Titel „Der Erfolg hängt davon ab, wo Sie wohnen“ folgender Bericht über öffentliche Schulen der Stadt New York:
„Die Schule Nr. 131 in Queens ist von ruhigen Straßen, von teuren Einfamilienhäusern und von Leuten umgeben, die sich zulächeln und sich zuwinken, wenn sie sich auf der Straße begegnen Die Schüler haben bei den Lesetests am besten von der ganzen Stadt abgeschnitten.
Die Schule Nr. 75 in Bronx steht mitten in einem Slum. Lehrer wie Schüler müssen sich, sobald sie das Schulgelände verlassen, vor Gewaltverbrechern und Heroinsüchtigen in acht nehmen. Diese Schüler haben bei den Lesetests am schlechtesten abgeschnitten.
,Ich möchte gern, daß Sie das wissen‘, sagte Evelyn Leakey, deren Sohn in der Schule Nr. 75 die 5. Klasse besucht. ,In dieser Schule wird nichts gelernt, aber ich kann es mir nicht leisten, ihn in eine andere zu schicken.‘“
Die Gesellschaft ist schuld
Willard Wirtz, ein Mitglied der Kommission, die sich mit dem Schwund schulischer Leistungen befaßt, bemerkte, daß Schwarze, auch wenn man ihre benachteiligte soziale und wirtschaftliche Situation berücksichtigt, in der Schule schlechter abschneiden als Weiße. „Die Verantwortung“, folgerte er, „kann nicht nur auf der Schule ruhen. Die gesamte Gesellschaft ist schuld.“
High-School-Absolventen, denen grundlegende Fertigkeiten fehlen, sind in der Arbeitswelt benachteiligt. Einige Wirtschaftsfachleute, die ein Seminar für Lehrer leiteten, führten folgende Punkte an:
„Machen wir uns nichts vor — wenn sie die Arbeit nicht schaffen, können wir sie nicht behalten.“
„Aus einer Gruppe von 180 Bewerbern, deren ich mich annahm, mußten annähernd 20 Prozent ausscheiden, weil ich ihre Schrift nicht lesen konnte.“
„Etwa 80 Prozent aller entlassenen Arbeitskräfte haben ihren Arbeitsplatz deshalb verloren, weil sie oft fernblieben oder unpünktlich waren.“
„Wir tun unser möglichstes, um unser Urteil nicht von der äußeren Erscheinung der Bewerber beeinflussen zu lassen. Aber wenn Sie einige der Leute sehen würden, die wir zu sehen bekommen, dann würden Sie verstehen, daß man unweigerlich davon beeinflußt wird.“
Die Wirtschaft gibt 40 000 000 000 Dollar im Jahr aus, um das Versagen der Schule auszubügeln. Ein Firmensprecher klagte:
„Wir machen das, was die Schulen machen sollten. College-Absolventen können keine Berichte abfassen; High-School-Absolventen können kaum lesen oder schreiben; Schreibkräfte können nicht mehr als 150 Anschläge pro Minute tippen — und sie alle haben einen kleinen Wortschatz. Zwölf Jahre in der Schule zuzubringen, ohne das Grundlegende mitzubekommen, das ist viel vergeudete Zeit.“
Es ist ein trauriges Bild, daß eine Nation, die das Atom gespalten, Menschen zum Mond geschickt und mit Hilfe eines Raumschiffes Aufnahmen vom Jupiter gemacht hat, noch nicht einmal allen erwachsenen Bürgern beibringen konnte, wie man das Formular für eine Stellenbewerbung ausfüllt oder an der Kasse eines Supermarktes das Wechselgeld nachrechnet. Da muß es doch unbedingt ein Heilmittel geben!
Aber worin besteht es?
-
-
Lehrer tätlich angegriffenErwachet! 1980 | 22. Februar
-
-
Lehrer tätlich angegriffen
Einige sind zweifellos für ihren Beruf ungeeignet. Andere müssen als Sündenbock herhalten. Sie alle sind einem großen Berufsrisiko ausgesetzt.
„HANS und Susi können nicht lesen, schreiben und rechnen, weil ihre Lehrer es nicht können.“ Dieser Vorwurf war im vergangenen Jahr im Wall Street Journal zu lesen. Als Bestätigung wurden einige Beispiele angeführt. In New Orleans trugen streikende Lehrer ein Transparent, auf dem ein verkehrt geschriebenes Wort stand. In einer gedruckten Lernhilfe für Drittklässer steht ein Rechtschreib- und ein Grammatikfehler. Ein Lehrer in Alabama schrieb den Eltern eines Schülers eine Mitteilung und leistete sich dabei mehrere Rechtschreib- und Grammatikfehler. Nach einem Rechtschreibtest strich ein Lehrer im Testbogen eines Mädchens ein richtig geschriebenes Wort als Fehler an und „korrigierte“ es, indem er es falsch schrieb.
Unfähigkeit — wenn man sie auch nicht allen Lehrern nachsagen kann — ist eine landesweite Erscheinung. Daher will man jetzt in vielen US-Bundesstaaten neue Lehrer dazu zwingen, sich verschiedenen Eignungstests zu unterziehen. Einige Vertreter der Lehrergewerkschaft protestieren dagegen, daß die Lehrer zum Sündenbock für den landesweiten Leistungsschwund gemacht werden. Dieser Protest ist berechtigt. Das Versagen der öffentlichen Schulen hat nämlich mehr als nur eine Ursache, und viele Lehrer sind fähige Pädagogen. Allerdings gibt es auch viele, von denen man das nicht behaupten kann; es
-