VORHERBESTIMMUNG, VORHERWISSEN
Vorherwissen bedeutet, etwas zu wissen, bevor es geschieht oder vorhanden ist; auch Voraussicht genannt. In der Bibel wird der Begriff in erster Linie – wenn auch nicht ausschließlich – mit Jehova Gott, dem Schöpfer, und seinen Vorsätzen in Verbindung gebracht. Vorherbestimmung bedeutet, etwas im Voraus bestimmen, festsetzen, festlegen; die Eigenschaft oder der Zustand des Zuvorbestimmtseins.
Die Begriffe im Urtext. Die Wörter, die im Allgemeinen mit „im Voraus erkennen“, „Vorherwissen“ und „vorherbestimmt“ wiedergegeben werden, kommen in den Christlichen Griechischen Schriften vor; dieselben grundlegenden Vorstellungen sind auch in den Hebräischen Schriften zu finden.
Das Wort „Vorherwissen“ ist eine Übersetzung des griechischen Ausdrucks prógnōsis (von pro, „vor“, und gnṓsis, „Erkenntnis“, „Wissen“) (Apg 2:23; 1Pe 1:2). Das entsprechende Verb proginṓskō wird in zwei Fällen auf Menschen angewandt, und zwar von Paulus, der von gewissen Juden sagte, sie hätten ihn „von früher her ... gekannt“, und von Petrus, der den Empfängern seines zweiten Briefes schrieb: „... die ihr dies im Voraus wisst“ (Apg 26:4, 5; 2Pe 3:17). In letzterem Fall war dieses Vorauswissen offensichtlich eingeschränkt; es bedeutete nicht, dass jene Christen alle Einzelheiten wussten in Bezug auf Ort, Zeit und Ablauf der von Petrus erörterten künftigen Ereignisse und Situationen. Sie hatten aber aufgrund dessen, was Petrus und andere Bibelschreiber ihnen unter göttlicher Inspiration mitgeteilt hatten, einen allgemeinen Überblick über das erhalten, was zu erwarten war.
Das Wort „vorherbestimmen“ ist eine Wiedergabe des griechischen Verbs proorízō (von pro, „vor“, und horízō, „vorzeichnen“, „Grenze festsetzen“). (Das deutsche Wort „Horizont“ wird von dem griechischen Wort horízōn, „Abgrenzender“ oder „Begrenzender“, abgeleitet.) Die Bedeutung des griechischen Verbs horízō kommt in den Worten Jesu Christi zum Ausdruck: „Der Menschensohn [Jesus] geht hin, wie es vorgezeichnet [hōrisménon] ist.“ Paulus sagte: „Er [Gott] verordnete [zeichnete vor, horísas] die bestimmten Zeiten und die festgesetzten Wohngrenzen“ (Luk 22:22; Apg 17:26). Dasselbe Verb wird auf Menschen bezogen, um auszudrücken, dass sie etwas bestimmen. So „bestimmten [hṓrisan]“ beispielsweise die Jünger, dass ihren Not leidenden Brüdern eine Unterstützung gesandt werde (Apg 11:29). Wo aber in den Christlichen Griechischen Schriften von Vorherbestimmung die Rede ist, wird ausschließlich auf Gott Bezug genommen.
Faktoren, die zum Verständnis beitragen. Die auf Gott bezogenen Begriffe Vorherwissen und Vorherbestimmung können nur unter Berücksichtigung gewisser Faktoren richtig verstanden werden.
Zunächst geht aus der Bibel deutlich hervor, dass Jehova Gott die Fähigkeit hat, etwas vorherzuwissen und vorherzubestimmen. Er selbst führt als Beweis seiner Göttlichkeit an, dass er Ereignisse, bei denen es um Rettung und Befreiung oder um die Vollstreckung eines Urteils oder einer Strafe geht, vorherwissen und vorherbestimmen und sie dann auch eintreten lassen kann. Sein auserwähltes Volk kann dies bezeugen (Jes 44:6-9; 48:3-8). Auf der göttlichen Fähigkeit, Dinge vorherzuwissen und vorherzubestimmen, beruhen alle wahren Prophezeiungen (Jes 42:9; Jer 50:45; Am 3:7, 8). Gott fordert die Nationen auf, die sich seinem Volk entgegenstellen, den Beweis für die angebliche Göttlichkeit ihrer Mächtigen und ihrer Götzen zu liefern, und zwar dadurch, dass sie ähnliche Rettungstaten oder Urteilsvollstreckungen voraussagen und eintreten lassen. Ihr Unvermögen in dieser Hinsicht zeigt, dass ihre Götzen bloß „Wind und Unwirklichkeit“ sind (Jes 41:1-10, 21-29; 43:9-15; 45:20, 21).
Des Weiteren muss der freie Wille der vernunftbegabten Geschöpfe Gottes in Betracht gezogen werden. Die Bibel zeigt, dass Gott ihnen das Vorrecht einräumt und ihnen die Verantwortung auferlegt, frei zu wählen, d. h., von ihrem freien Willen Gebrauch zu machen (5Mo 30:19, 20; Jos 24:15), wodurch sie ihm allerdings für ihre Handlungen rechenschaftspflichtig werden (1Mo 2:16, 17; 3:11-19; Rö 14:10-12; Heb 4:13). Sie sind also keine Automaten oder Roboter. Der Mensch wäre nicht wirklich im „Bilde Gottes“ erschaffen worden, wenn er keinen freien Willen hätte (1Mo 1:26, 27; siehe FREIHEIT). Folglich dürfte zwischen Gottes Vorherwissen (sowie seiner Vorherbestimmung) und der Willensfreiheit seiner vernunftbegabten Geschöpfe auch kein Gegensatz bestehen.
Ein weiterer Faktor, der zu berücksichtigen ist, der aber oft außer Acht gelassen wird, sind Gottes sittliche Normen und Eigenschaften, zu denen seine Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Unparteilichkeit, Liebe, Barmherzigkeit und Güte gehören. Das Verständnis darüber, wie Gott seine Fähigkeit anwendet, Dinge vorherzuwissen und vorherzubestimmen, muss daher nicht nur mit einigen, sondern mit allen diesen Faktoren übereinstimmen. Fest steht, dass alles, was Gott vorherweiß, eintreten muss; Gott kann also ‘die nicht vorhandenen Dinge rufen, als ob sie vorhanden wären’ (Rö 4:17).
Weiß Gott im Voraus alles, was Menschen tun werden?
Es entstehen deshalb folgende Fragen: Macht er von seinem Vorherwissen uneingeschränkten oder vollen Gebrauch? Sieht er sämtliche Handlungen seiner himmlischen und irdischen Geschöpfe voraus, ja sind diese Handlungen alle von ihm vorherbestimmt, oder prädestiniert er gar das endgültige Geschick seiner Geschöpfe, schon bevor sie ins Dasein kommen?
Oder macht Jehova wahlweise oder nach Gutdünken von seinem Vorherwissen Gebrauch, d. h., beschränkt er seine Voraussicht und sein Vorherwissen auf das, was er voraussehen und vorauswissen will, während er in anderen Fällen darauf verzichtet? Wartet er mit der Bestimmung des endgültigen Geschicks seiner Geschöpfe, bis eine Beurteilung ihrer Lebensweise und ihrer durch Prüfungen erprobten Gesinnung möglich ist, statt es im Voraus festzulegen? Die Antworten auf diese Fragen enthält natürlich nur die Bibel, unter anderem durch die Hinweise, die sie über Gottes Handlungsweise mit seinen Geschöpfen gibt, das eingeschlossen, was sein Sohn, Jesus Christus, offenbart hat (1Ko 2:16).
Prädestinationslehre. Die Ansicht, dass Gott von seinem Vorherwissen uneingeschränkt Gebrauch macht und dass er das Leben und das Geschick jedes Menschen vorherbestimmt, ist als Prädestinationslehre bekannt. Die Verfechter dieser Lehre folgern, dass Gott wegen seiner Göttlichkeit und Vollkommenheit allwissend sein müsse, und zwar nicht nur hinsichtlich der Vergangenheit und der Gegenwart, sondern auch hinsichtlich der Zukunft. Würde er nicht alles bis ins kleinste Detail vorherwissen, so wäre das gemäß dieser Ansicht ein Beweis für Unvollkommenheit. Beispiele wie der Fall der Zwillingssöhne Isaaks, Esau und Jakob, werden als Beweis dafür angeführt, dass Gott das Leben gewisser Menschen schon vor ihrer Geburt vorherbestimmt (Rö 9:10-13), und Texte wie Epheser 1:4, 5 werden zitiert, um zu beweisen, dass Gott die Zukunft aller seiner Geschöpfe schon vor Beginn der Schöpfung vorherwusste und vorherbestimmte.
Diese Auffassung kann natürlich nur dann richtig sein, wenn sie mit allen bereits erwähnten Faktoren übereinstimmt, einschließlich der biblischen Darlegungen über die Eigenschaften, Maßstäbe und Vorsätze Gottes sowie seiner gerechten Handlungsweise mit seinen Geschöpfen (Off 15:3, 4). Daher ist es angebracht, sich mit den Konsequenzen der Prädestinationslehre zu beschäftigen.
Gemäß dieser Auffassung hat Gott, bevor er die Engel oder Menschen schuf, seine Fähigkeiten des Vorauswissens und Vorhersehens benutzt und im Voraus alles gewusst, was nach der Schöpfung geschehen würde, so auch die Rebellion eines seiner Geistsöhne, die darauf folgende Auflehnung des ersten Menschenpaares in Eden (1Mo 3:1-6; Joh 8:44) und sämtliche daraus resultierenden schlimmen Folgen bis zum heutigen Tag und noch darüber hinaus. Das würde letztlich bedeuten, dass jegliche Schlechtigkeit im Lauf der Geschichte (Verbrechen und Unmoral, Unterdrückung und sich daraus ergebendes Leid, Lüge und Heuchelei, falsche Anbetung und Götzendienst) einst, vor Beginn der Schöpfung, nur in Gottes Sinn existierte, in Form seines Vorherwissens jeder kleinsten Einzelheit der Zukunft.
Hätte der Schöpfer der Menschheit aufgrund seiner Fähigkeit des Vorherwissens tatsächlich alles vorhergesehen, was sich seit der Erschaffung des Menschen abgespielt hat, dann hätte er mit den Worten „Lasst uns Menschen machen“ absichtlich den Anstoß zu all dem Bösen gegeben, was danach geschehen ist (1Mo 1:26). Dieser Sachverhalt stellt die Logik und Stichhaltigkeit der Prädestinationslehre infrage, und das umso mehr, als der Jünger Jakobus zeigt, dass Unordnung und alles Schlechte nicht vom Himmel, von Gottes Gegenwart, stammen, sondern ‘irdischen, animalischen, dämonischen’ Ursprungs sind (Jak 3:14-18).
Uneingeschränkte Anwendung des Vorherwissens? Die Behauptung, Gott wäre nicht vollkommen, wenn er nicht alle künftigen Ereignisse und Situationen bis ins Einzelne vorherwüsste, verrät in Wirklichkeit eine willkürliche Ansicht über Vollkommenheit. Vollkommenheit im eigentlichen Sinn des Wortes verlangt keine solch absolute, uneingeschränkte Anwendung, denn ob etwas vollkommen ist, hängt davon ab, inwieweit es den Maßstäben der Vortrefflichkeit entspricht, die jemand, der dafür kompetent ist, festgelegt hat. (Siehe VOLLKOMMENHEIT.) Letzten Endes sind Gottes Wille und Wohlgefallen – nicht die Meinungen oder Auffassungen von Menschen – ausschlaggebend dafür, ob etwas vollkommen ist oder nicht (5Mo 32:4; 2Sa 22:31; Jes 46:10).
Als Veranschaulichung diene Gottes grenzenlose Machtfülle, die unleugbar vollkommen ist und keinerlei Beschränkungen unterliegt (1Ch 29:11, 12; Hi 36:22; 37:23). Doch seine Vollkommenheit an Kraft erfordert nicht, dass er in jedem Fall den vollen Umfang seiner grenzenlosen Machtfülle einsetzt. Sonst wären bereits vor langer Zeit durch den Vollzug der Strafgerichte Gottes, die von machtvollen Äußerungen der Missbilligung und des Zorns begleitet waren – wie bei der Flut und bei anderen Gelegenheiten –, nicht nur bestimmte Städte und einige Nationen des Altertums vernichtet worden, sondern die Erde und alles darauf (1Mo 6:5-8; 19:23-25, 29; vgl. 2Mo 9:13-16; Jer 30:23, 24). Gottes Machtentfaltung ist daher nicht einfach eine Entladung seiner grenzenlosen Kraft; diese wird stattdessen immer durch seinen Vorsatz bestimmt und, sofern es angebracht ist, durch seine Barmherzigkeit gemildert (Ne 9:31; Ps 78:38, 39; Jer 30:11; Klg 3:22; Hes 20:17).
Wenn es Gott unter gewissen Umständen gefällt, von seinem uneingeschränkten Vorherwissen wahlweise und in beliebigem Umfang Gebrauch zu machen, hat bestimmt weder ein Mensch noch ein Engel das Recht, zu ihm zu sagen: „Was tust du?“ (Hi 9:12; Jes 45:9; Da 4:35). Es geht daher nicht um die Frage der Fähigkeit, d. h. darum, was Gott vorhersehen, vorherwissen und vorherbestimmen kann – denn „bei Gott ... sind alle Dinge möglich“ (Mat 19:26) –, sondern darum, ob Gott es für angebracht hält, etwas vorherzusehen, vorherzuwissen und vorherzubestimmen, denn „alles, was er Lust hatte zu tun, hat er getan“ (Ps 115:3).
Wahlweiser Gebrauch des Vorherwissens. Die Alternative zur Prädestination, die wahlweise oder dem Gutdünken Gottes überlassene Anwendung seiner Fähigkeit des Vorherwissens, müsste mit seinen eigenen gerechten Maßstäben und mit dem, was er über sich in seinem Wort offenbart, im Einklang sein. Entgegen der Prädestinationslehre wird in einer Reihe von Texten darauf hingewiesen, dass Gott eine aktuelle Situation untersucht und aufgrund dieser Untersuchung eine Entscheidung trifft.
So wird in 1. Mose 11:5-8 beschrieben, dass Gott seine Aufmerksamkeit der Erde zuwandte, sich mit der Situation in Babel beschäftigte und sofort beschloss, etwas zu unternehmen, um dem unlauteren Vorhaben dort ein Ende zu bereiten. Nach der Entwicklung der Bosheit in Sodom und Gomorra unterrichtete Jehova Abraham von seiner Entscheidung, (durch seine Engel) eine Untersuchung vorzunehmen, um „zu sehen, ob sie ganz nach dem darüber erhobenen Geschrei handeln, das zu mir gekommen ist, und wenn nicht, kann ich es erfahren“ (1Mo 18:20-22; 19:1). Gott sprach davon, dass er ‘mit Abraham bekannt und vertraut geworden’ war, und nachdem Abraham tatsächlich versucht hatte, Isaak zu opfern, sagte Jehova: „Jetzt weiß ich wirklich, dass du gottesfürchtig bist, indem du mir deinen Sohn, deinen einzigen, nicht vorenthalten hast“ (1Mo 18:19; 22:11, 12; vgl. Ne 9:7, 8; Gal 4:9).
Gottes wahlweiser Gebrauch seines Vorherwissens bedeutet, dass er beschließen kann, nicht alle künftigen Taten seiner Geschöpfe vorherzuwissen. Somit konnte Gott dem ersten Menschenpaar in aller Aufrichtigkeit ewiges Leben auf einer von Bosheit freien Erde in Aussicht stellen, weil alles, was sich nach der Schöpfung abspielte, nicht lediglich der Ablauf von Dingen war, die er bereits vorhergesehen und vorherbestimmt hatte. Als er seinem ersten menschlichen Sohn und seiner ersten menschlichen Tochter, die vollkommen und frei von Sünde waren, gebot, die Erde mit Nachkommen zu füllen, sie zu einem Paradies zu machen und sich die Tierwelt zu unterwerfen, gab er ihnen nicht einen Auftrag, dessen Ausführung von vornherein zum Scheitern verurteilt war, sondern er gewährte ihnen dadurch ein Vorrecht, das seine Liebe und sein aufrichtiges Interesse an ihnen bewies. Das Vorhandensein des „Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse“, den Gott als Mittel zur Prüfung benutzte, und des „Baumes des Lebens“, den er im Garten Eden wachsen ließ, wäre übrigens sinnlos und ein Ausdruck von Zynismus gewesen, wenn Gott vorhergewusst hätte, dass das Menschenpaar sündigen würde und es deshalb nie vom „Baum des Lebens“ hätte essen können (1Mo 1:28; 2:7-9, 15-17; 3:22-24).
Jemandem etwas sehr Begehrenswertes unter Bedingungen anzubieten, von denen man im Voraus weiß, dass sie nicht erfüllt werden können, gilt als heuchlerisch und grausam. Die Aussicht auf ewiges Leben wird dagegen in Gottes Wort als erreichbares Ziel für alle Menschen beschrieben. Jesus forderte seine Zuhörer auf, ‘fortwährend’ gute Dinge von Gott ‘zu erbitten und unablässig zu suchen’, und wies dann darauf hin, dass ein Vater seinem Kind, das um Brot oder Fisch bittet, weder einen Stein noch eine Schlange gibt. Um zu zeigen, wie es sein Vater betrachtet, die berechtigten Hoffnungen einer Person zu enttäuschen, sagte Jesus anschließend: „Darum, wenn ihr, obwohl ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird euer Vater, der in den Himmeln ist, denen gute Dinge geben, die ihn bitten!“ (Mat 7:7-11).
Wenn daher Gott alle Menschen einlädt und ihnen die Gelegenheit bietet, Wohltaten und ewige Segnungen zu genießen, meint er es ehrlich (Mat 21:22; Jak 1:5, 6). Er kann Menschen in aller Aufrichtigkeit auffordern, ‘sich von ihren Übertretungen abzuwenden, um am Leben zu bleiben’ – eine Aufforderung, die er an das Volk Israel richtete (Hes 18:23, 30-32; vgl. Jer 29:11, 12). Das hätte er logischerweise nicht tun können, wenn er vorhergewusst hätte, dass jeder Einzelne von ihnen dazu bestimmt gewesen wäre, in Bosheit zu sterben. (Vgl. Apg 17:30, 31; 1Ti 2:3, 4.) Jehova sagte zu Israel: „... noch sagte ich zum Samen Jakobs: ‚Sucht mich einfach umsonst.‘ Ich bin Jehova, ich rede, was gerecht ist, teile mit, was gerade ist. ... Wendet euch zu mir, und werdet gerettet, ihr alle an den Enden der Erde“ (Jes 45:19-22).
In ähnlichem Sinn schrieb der Apostel Petrus: „Jehova ist hinsichtlich seiner Verheißung [des kommenden Tages der Abrechnung] nicht langsam, wie es einige für Langsamkeit halten, sondern er ist geduldig mit euch, weil er nicht will, dass irgendjemand vernichtet werde, sondern will, dass alle zur Reue gelangen“ (2Pe 3:9). Wenn Gott bereits Jahrtausende im Voraus genau gewusst und bestimmt hätte, wer für immer gerettet und wer für immer vernichtet werden sollte, müsste man sich fragen, welchen Zweck es dann hat, dass Gott ‘geduldig ist’, und inwieweit sein Wunsch, „dass alle zur Reue gelangen“, echt ist. Der inspirierte Apostel Johannes schrieb: „Gott [ist] Liebe“, und der Apostel Paulus erklärte, dass die Liebe ‘alles hofft’ (1Jo 4:8; 1Ko 13:4, 7). Aufgrund dieser hervorragenden Eigenschaft Gottes ist zu erwarten, dass er gegenüber allen Menschen unvoreingenommen, freundlich gesinnt und auf ihre Rettung bedacht ist, bis sie sich als unwürdig, als hoffnungsloser Fall erweisen. (Vgl. 2Pe 3:9; Heb 6:4-12.) Der Apostel Paulus spricht daher von ‘Gottes gütiger Wesensart, die dich zur Reue zu führen sucht’ (Rö 2:4-6).
Schließlich könnte nicht mit Recht gesagt werden, das Loskaufsopfer Jesu Christi stehe allen Menschen zur Verfügung, wenn einige – vielleicht sogar Millionen – durch Gottes Vorherwissen schon vor ihrer Geburt vom Nutzen dieses Opfers ausgeschlossen wären und so nie die Gelegenheit erhielten, sich dieses Vorrechts als würdig zu erweisen (2Ko 5:14, 15; 1Ti 2:5, 6; Heb 2:9). Gottes Unparteilichkeit ist offensichtlich nicht nur ein Symbol. „In jeder Nation [ist für Gott] der Mensch, der ihn fürchtet und Gerechtigkeit wirkt, annehmbar“ (Apg 10:34, 35; 5Mo 10:17; Rö 2:11). Die Möglichkeit, zu wählen, steht somit allen Menschen offen; alle können „Gott suchen, ob sie ihn wohl tastend fühlen und wirklich finden mögen, obwohl er tatsächlich einem jeden von uns nicht fern ist“ (Apg 17:26, 27). Die göttliche Aufforderung am Ende der Offenbarung „Jeder, der es hört, sage: ‚Komm!‘ Und jeder, den dürstet, komme; jeder, der wünscht, nehme Wasser des Lebens kostenfrei“ erweckt daher keine falsche Hoffnung und ist kein leeres Versprechen (Off 22:17).
Was Gott vorhergewusst und vorherbestimmt hat. In der Bibel werden Gottes Vorherwissen und Vorherbestimmung immer mit seinen Vorsätzen und seinem Willen in Verbindung gebracht. Ein Vorsatz ist etwas, was man sich bewusst vorgenommen hat, eine feste Absicht. (Das mit „Vorsatz“ wiedergegebene griechische Wort próthesis bedeutet wörtlich „vor etwas setzen, legen oder stellen“.) Da Gottes Vorsätze mit Sicherheit verwirklicht werden, kann er ihre Erfüllung oder ihre endgültige Verwirklichung voraussehen und deshalb sowohl seine Vorsätze als auch die dazu erforderlichen Schritte vorherbestimmen (Jes 14:24-27). Von Jehova wird daher gesagt, dass er seinen Vorsatz bezüglich künftiger Ereignisse oder Handlungen ‘bildet’ oder „formt“ (vom hebräischen jazár, das mit dem Wort für „Töpfer“ verwandt ist [Jer 18:4]) (2Kö 19:25; Jes 46:11; vgl. Jes 45:9-13, 18). Als großer Töpfer ‘wirkt Gott alle Dinge gemäß dem Rat seines Willens’ in Übereinstimmung mit seinem Vorsatz (Eph 1:11) und lässt „alle seine Werke zum Guten derer mitwirken“, die ihn lieben (Rö 8:28). Es geht daher vor allem um Gottes eigene vorherbestimmte Vorsätze, wenn er „von Anfang an den Ausgang kundtut und von alters her die Dinge, die nicht getan worden sind“ (Jes 46:9-13).
Als Gott die ersten beiden Menschen erschuf, waren sie vollkommen, und als er das Ergebnis seines gesamten Schöpfungswerkes betrachtete, stellte er fest, dass es „sehr gut“ war (1Mo 1:26, 31; 5Mo 32:4). Statt sich argwöhnisch Gedanken darüber zu machen, wie das Menschenpaar künftig handeln würde, ‘begann er zu ruhen’, wie der Bericht sagt (1Mo 2:2). Das konnte er deshalb tun, weil aufgrund seiner Allmacht und seiner überragenden Weisheit keine künftige Handlung, kein Umstand und kein unvorhergesehenes Ereignis ein unüberwindliches Hindernis oder Problem für die Verwirklichung seines souveränen Vorsatzes darstellen würde (2Ch 20:6; Jes 14:27; Da 4:35). Somit entbehrt die Behauptung der Verfechter der Prädestination jeder biblischen Grundlage, wonach Gottes Verzicht, auf diese Weise von seinem Vorherwissen Gebrauch zu machen, letztlich die Verwirklichung seiner Vorsätze gefährden würde, „weil diese wegen der fehlenden Voraussicht ständig durchkreuzt werden könnten und er seinen Plan immer wieder entsprechend ändern müsste, wenn dieser zufolge unvorhergesehener Handlungen vernunftbegabter Geschöpfe gestört würde“. Auch würde Gottes wahlweiser Gebrauch seiner Voraussicht seinen Geschöpfen nicht die Möglichkeit geben, seine „Maßstäbe zu überschreiten, ihn ständig zu veranlassen, seine Meinung zu ändern, ihn zu ärgern und durcheinanderzubringen“, wie Befürworter der Prädestination es behaupten (M’Clintocks und Strongs Cyclopædia, 1894, Bd. VIII, S. 556). Wenn sogar für Gottes Diener auf der Erde in Wirklichkeit keine Notwendigkeit besteht, sich „Sorgen um den nächsten Tag“ zu machen, dann braucht sich ihr Schöpfer – für den mächtige Nationen wie „ein Tropfen von einem Eimer“ sind – bestimmt auch keine solchen Sorgen zu machen (Mat 6:34; Jes 40:15).
Vorherwissen in Bezug auf Personengruppen. Es werden auch Fälle angeführt, in denen Gott tatsächlich vorherwusste, welchen Weg gewisse Personengruppen, Nationen oder die meisten Menschen einschlagen würden, weshalb er ihre künftige Handlungsweise im Wesentlichen vorhersagte und im Voraus bestimmte, wie er gegen sie vorgehen werde. Durch Gottes Vorherwissen oder Vorherbestimmung werden aber die Einzelnen, die zu solchen Personengruppen oder Klassen von Menschen gehören, nicht daran gehindert, von ihrer Wahlfreiheit Gebrauch zu machen, d. h., ihren Weg selbst zu wählen. Das lassen folgende Beispiele erkennen:
Vor der Flut der Tage Noahs kündigte Jehova seine Absicht an, eine Vernichtung herbeizuführen, durch die sowohl Menschen als auch Tiere das Leben verlieren sollten. Wie der Bibelbericht aber zeigt, fasste Gott diesen Entschluss erst, als die Verhältnisse – Gewalttaten und andere Schlechtigkeiten – einen Stand erreicht hatten, der ein solches Vorgehen nötig machte. Außerdem nahm Gott, der in der Lage ist, „das Herz der Söhne der Menschen“ zu kennen, eine Prüfung vor und stellte fest, dass ‘jede Neigung der Gedanken ihres Herzens allezeit nur schlecht war’ (2Ch 6:30; 1Mo 6:5). Einzelne – Noah und seine Angehörigen – erlangten jedoch Gottes Gunst und entgingen der Vernichtung (1Mo 6:7, 8; 7:1).
Ähnlich verhielt es sich mit der Nation Israel. Jehova hatte den Israeliten zwar in Aussicht gestellt, „ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation“ zu werden, sofern sie seinen Bund hielten, doch etwa vierzig Jahre später, als sie an der Grenze des Landes der Verheißung standen, sagte er voraus, dass sie seinen Bund brechen würden und er sie deshalb als Nation verwerfen werde. Jehovas Vorherwissen beruhte auf Erfahrung, denn nationaler Ungehorsam sowie Auflehnung waren bereits offenkundig geworden. Gott sagte deshalb: „Ich kenne ihre Neigung wohl, die sie heute entwickeln, bevor ich sie in das Land bringe, das ich ihnen zugeschworen habe“ (2Mo 19:6; 5Mo 31:16-18, 21; Ps 81:10-13). Gott konnte die Folgen dieser offenkundigen Neigung, die zu vermehrter Bosheit führte, vorhersehen; er war aber dafür ebenso wenig verantwortlich, wie jemand, der den Verfall eines von unfähigen Arbeitern mit minderwertigem Material erbauten Gebäudes vorhersieht, für diesen Verfall verantwortlich gemacht werden kann. Hier gilt die göttliche Regel, dass man das, ‘was man sät, auch erntet’ (Gal 6:7-9; vgl. Hos 10:12, 13). Gott bestimmte aufgrund der bestehenden Verhältnisse und der vorherrschenden Herzenseinstellung im Voraus seine Strafgerichte und ließ die Israeliten durch Propheten warnen (Ps 7:8, 9; Spr 11:19; Jer 11:20). Auch in diesen Fällen konnten jedoch Einzelne auf Gottes Rat und Zurechtweisung sowie auf seine Warnungen hören, was manche taten und so seine Gunst verdienten (Jer 21:8, 9; Hes 33:1-20).
Gottes Sohn, der ebenfalls ins Herz der Menschen schauen konnte (Mat 9:4; Mar 2:8; Joh 2:24, 25), war von Gott mit der Fähigkeit, Dinge vorherzuwissen, ausgestattet worden, und er sagte auch künftige Verhältnisse, Ereignisse und göttliche Strafgerichte voraus. Er kündigte den Schriftgelehrten und Pharisäern als Klasse das „Gericht der Gehenna“ an (Mat 23:15, 33), aber er sagte nicht, dass jeder Pharisäer oder Schriftgelehrte von vornherein zur Vernichtung verurteilt sei; ein Beweis dafür ist der Apostel Paulus (Apg 26:4, 5). Jesus sagte für die reuelose Bevölkerung Jerusalems und anderer Städte Wehe voraus, deutete aber mit keinem Wort an, dass sein Vater vorherbestimmt habe, dass jeder Bewohner davon betroffen werde (Mat 11:20-23; Luk 19:41-44; 21:20, 21). Ebenso wusste er voraus, wozu die Neigung und die Herzenseinstellung der Menschen führen würden, und sagte sowohl die Verhältnisse, die sich bis zur Zeit des „Abschlusses des Systems der Dinge“ entwickeln würden, als auch die Verwirklichung der Vorsätze Jehovas vorher (Mat 24:3, 7-14, 21, 22). Auch seine Apostel äußerten Prophezeiungen, die erkennen ließen, dass Gott das Hervortreten bestimmter Personengruppen – beispielsweise des „Antichristen“ – vorhergesehen (1Jo 2:18, 19; 2Jo 7) und ihr Ende vorherbestimmt hat (2Th 2:3-12; 2Pe 2:1-3; Jud 4).
In Bezug auf Einzelpersonen. Abgesehen von Personengruppen berühren gewisse göttliche Vorhersagen vor allem bestimmte Einzelpersonen. Zu ihnen gehören Esau und Jakob (die bereits erwähnt wurden), der Pharao, der zur Zeit des Auszugs der Israeliten herrschte, Simson, Salomo, Josia, Jeremia, Cyrus, Johannes der Täufer, Judas Iskariot und Jesus, Gottes Sohn.
Bei Simson, Jeremia und Johannes dem Täufer machte Jehova schon vor ihrer Geburt von seinem Vorherwissen Gebrauch. Das heißt aber nicht, dass er ihr endgültiges Geschick festlegte. Stattdessen bestimmte er aufgrund seines Vorherwissens, dass Simson gemäß dem Gelübde eines Nasiräers leben und die Befreiung Israels von den Philistern einleiten sollte, dass Jeremia als ein Prophet dienen und Johannes der Täufer als Vorläufer des Messias ein Vorbereitungswerk durchführen sollte (Ri 13:3-5; Jer 1:5; Luk 1:13-17). Durch diese Vorrechte wurden sie zwar hoch begünstigt, doch das bot keine Gewähr dafür, dass sie für immer gerettet gewesen wären oder bis zum Tod treu bleiben würden (obwohl dies bei allen dreien der Fall war). Ebenso sagte Jehova voraus, dass einer der vielen Söhne Davids Salomo genannt und den Tempel bauen werde (2Sa 7:12, 13; 1Kö 6:12; 1Ch 22:6-19). Obwohl Salomo auf diese Weise besonders begünstigt wurde und sogar das Vorrecht erhielt, einige Bibelbücher zu schreiben, wurde er im Alter abtrünnig (1Kö 11:4, 9-11).
Auch bei Esau und Jakob wurde durch Gottes Vorherwissen nicht ihr endgültiges Geschick festgelegt, sondern lediglich vorherbestimmt, welche der beiden aus den zwei Söhnen hervorgehenden Völkerschaften die Vorherrschaft über die andere erlangen würde (1Mo 25:23-26). Dadurch wurde ferner darauf hingewiesen, dass Jakob das Erstgeburtsrecht erhalten würde, mit dem das Vorrecht verbunden war, Teil der Abstammungslinie zu werden, aus der der abrahamische „Same“ hervorgehen sollte (1Mo 27:29; 28:13, 14). Auf diese Weise gab Jehova deutlich zu verstehen, dass er beim Auswählen von Einzelpersonen für bestimmte Zwecke nicht – wie man erwarten könnte – an gewisse Bräuche oder Verfahrensweisen gebunden ist. Ebenso wenig werden die von Gott gewährten Vorrechte einem Menschen ausschließlich aufgrund von Werken verliehen, sodass dieser denken könnte, er hätte das Recht darauf verdient und könnte Anspruch darauf erheben. Diesen Gedanken betonte der Apostel Paulus, als er erklärte, warum Gott durch seine unverdiente Güte den nichtjüdischen Nationen Vorrechte einräumen konnte, die früher anscheinend dem Volk Israel vorbehalten waren (Rö 9:1-6, 10-13, 30-32).
Die von Paulus zitierten Worte über Jehovas Liebe zu Jakob (Israel) und seinen Hass gegen Esau (Edom) stammen aus Maleachi 1:2, 3 und sind lange nach den Tagen Jakobs und Esaus niedergeschrieben worden. Aus der Bibel geht somit nicht unbedingt hervor, dass Jehova diese Meinung über die Zwillinge schon vor ihrer Geburt hatte. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die allgemeine Wesensart und das Temperament eines Kindes zur Zeit der Empfängnis von den Erbfaktoren der Eltern bestimmt werden. Gott kann diese Faktoren selbstverständlich sehen. David sagte von Jehova: „Deine Augen sahen sogar den Embryo von mir“ (Ps 139:14-16; siehe ferner Pr 11:5). Inwieweit Jehovas Vorherbestimmung in Verbindung mit den beiden Jungen durch diesen Einblick beeinflusst wurde, kann nicht gesagt werden, aber auf alle Fälle wurden dadurch, dass Gottes Wahl nicht auf Esau, sondern auf Jakob fiel, weder Esau noch seine Nachkommen, die Edomiter, zur Vernichtung verurteilt. Selbst einige der verfluchten Kanaaniter erhielten ja das Vorrecht, sich mit Gottes Bundesvolk zu verbinden, wodurch sie gesegnet wurden (1Mo 9:25-27; Jos 9:27; siehe KANAAN, KANAANITER Nr. 2). Die „Sinnesänderung“, die Esau mit Tränen ernsthaft suchte, war jedoch lediglich ein erfolgloser Versuch, seinen Vater Isaak zu veranlassen, seine Entscheidung zu ändern und Jakob nicht den ganzen für den Erstgeborenen bestimmten Segen zu überlassen. Esau bewies dadurch also nicht, dass er seine materialistische Einstellung vor Gott bereute (1Mo 27:32-34; Heb 12:16, 17).
Was Jehova über Josia vorhersagte, setzte voraus, dass ein Nachkomme Davids diesen Namen erhalten und gegen die falsche Anbetung in der Stadt Bethel vorgehen würde (1Kö 13:1, 2). Nach über dreihundert Jahren erfüllte ein König namens Josia diese Prophezeiung (2Kö 22:1; 23:15, 16). Aber er „hörte nicht auf die Worte Nechos aus dem Mund Gottes“ und wurde deshalb getötet (2Ch 35:20-24). Obwohl Josia also von Gott im Voraus erkannt und dazu bestimmt worden war, ein besonderes Werk zu verrichten, hatte er einen freien Willen und konnte wählen, ob er einen Rat befolgen oder missachten wollte.
Desgleichen sagte Jehova fast zweihundert Jahre im Voraus, er werde die Juden durch einen Eroberer namens Cyrus aus Babylon befreien (Jes 44:26-28; 45:1-6). Aus der Bibel geht jedoch nicht hervor, dass der Perser, der schließlich diesen Namen erhielt – wodurch sich die göttliche Prophezeiung erfüllte –, ein aufrichtiger Anbeter Jehovas wurde, ja die Weltgeschichte zeigt, dass er weiterhin seine heidnischen Götter verehrte.
Diese Fälle, in denen Gott vor der Geburt der Betreffenden von seinem Vorherwissen Gebrauch machte, stehen somit nicht im Widerspruch zu seinen bezeugten Eigenschaften und seinen erklärten Maßstäben. Auch deutet nichts darauf hin, dass Gott die Betreffenden gezwungen hätte, gegen ihren eigenen Willen zu handeln. Was Pharao, Judas Iskariot und den Sohn Gottes betrifft, so spricht nichts dafür, dass Jehova von seinem Vorherwissen Gebrauch machte, bevor sie ins Dasein kamen. Diese Einzelfälle veranschaulichen bestimmte Grundsätze in Bezug auf Gottes Vorherwissen und Vorherbestimmung.
Ein Grundsatz ist, dass Gott Einzelpersonen prüft, indem er bestimmte Umstände oder Ereignisse eintreten lässt bzw. nichts dagegen unternimmt oder die Betreffenden seine inspirierten Botschaften hören lässt, sodass sie aus freien Stücken eine Entscheidung treffen müssen, durch die sie eine bestimmte Herzenseinstellung offenbaren, die von Jehova gelesen werden kann (Spr 15:11; 1Pe 1:6, 7; Heb 4:12, 13). Entsprechend der Reaktion der Personen kann Gott sie auch auf dem Weg formen, den sie aus eigenem Entschluss gewählt haben (1Ch 28:9; Ps 33:13-15; 139:1-4, 23, 24). Somit neigt sich das „Herz des Erdenmenschen“ zunächst einem bestimmten Weg zu, bevor Jehova die Schritte des Betreffenden lenkt (Spr 16:9; Ps 51:10). Unter Prüfungen kann der Herzenszustand einer Person feste Formen annehmen – sich entweder in Ungerechtigkeit und Rebellion verhärten oder in unverbrüchlicher Ergebenheit Jehova gegenüber befestigt werden (Hi 2:3-10; Jer 18:11, 12; Rö 2:4-11; Heb 3:7-10, 12-15). Da der Betreffende diesen Zustand aus eigenem Entschluss erreicht hat, ist es nun möglich, das Endergebnis seines Laufs – ohne Ungerechtigkeit und ohne seinen freien Willen außer Acht zu lassen – vorherzuwissen und vorauszusagen. (Vgl. Hi 34:10-12.)
Der bereits behandelte Fall des treuen Abraham veranschaulicht diese Grundsätze. Einen Gegensatz dazu bildet der Fall des unnachgiebigen Pharao zur Zeit des Auszugs. Jehova wusste von vornherein, dass der Pharao die Israeliten nicht ziehen lassen würde, „außer durch eine starke Hand“ (2Mo 3:19, 20), und er legte im Voraus die Plage fest, die den Tod der Erstgeburt nach sich ziehen sollte (2Mo 4:22, 23). Die Ausführungen des Apostels Paulus über Gottes Verfahrensweise mit Pharao sind oft irrtümlich so aufgefasst worden, als ob Gott das Herz Einzelner gemäß seinem festen Vorsatz verhärten würde, ohne auf ihre ursprüngliche Neigung oder Herzenseinstellung Rücksicht zu nehmen (Rö 9:14-18). So soll Gott (gemäß vielen Bibelübersetzungen) zu Moses gesagt haben, er werde Pharaos „Herz verhärten“ (2Mo 4:21; vgl. 2Mo 9:12; 10:1, 27). Nach einigen Übersetzungen des hebräischen Textes sagte Jehova jedoch, er werde „Pharaos Herz anmaßend werden lassen“ (Ro) oder „verstockt werden lassen“ (NW). Zur Unterstützung dieser Wiedergabe wird im Anhang der Übersetzung Rotherhams gesagt, dass im Hebräischen die Möglichkeit oder Zulassung eines Geschehens oft als dessen Ursache dargestellt wird und dass „sogar ausdrückliche Befehle mitunter lediglich als Zulassung aufzufassen sind“. Daher heißt es in 2. Mose 1:17 gemäß dem hebräischen Text wörtlich, die Hebammen „veranlassten die männlichen Kinder zu leben“, während sie in Wirklichkeit jedoch zuließen, dass die Kinder am Leben blieben, indem sie es unterließen, sie zu töten. Zur Bestätigung führt Rotherham dann die Hebraisten M. M. Kalisch, H. F. W. Gesenius und B. Davies an und erklärt im Weiteren die Bedeutung der sich auf Pharao beziehenden hebräischen Texte folgendermaßen: „Gott ließ zu, dass Pharao sein Herz verhärtete – er verschonte ihn –, er gab ihm die Gelegenheit oder die Möglichkeit, die ihm innewohnende Bosheit zu offenbaren. Das ist alles“ (The Emphasised Bible, Anhang, S. 919; vgl. Jes 10:5-7).
Diese Auffassung wird durch den Bericht bestätigt, der eindeutig zeigt, dass Pharao ‘sein Herz verstockte’ (2Mo 8:15, 32, EB; ‘sein Herz unempfänglich machte’, NW). Folglich handelte er nach seinem eigenen Willen, nach seiner Neigung zur Widerspenstigkeit, einer Neigung, die Jehova im Voraus genau bekannt war, sodass er vorhersagen konnte, wozu sie führen würde. Jehova zwang Pharao bei verschiedenen Gelegenheiten, Entscheidungen zu treffen, wodurch sich dessen Einstellung verhärtete. (Vgl. Pr 8:11, 12.) Wie der Apostel Paulus in Verbindung mit seinem Zitat aus 2. Mose 9:16 zeigt, ließ Jehova zu, dass sich die Angelegenheit so weit entwickelte, dass es aller zehn Plagen bedurfte, um seine Macht kundzutun und seinen Namen auf der ganzen Erde bekannt zu machen (Rö 9:17, 18).
Wurde Judas von Gott dazu vorherbestimmt, Jesus zu verraten, um die Prophezeiung zu erfüllen?
Judas Iskariots verräterisches Vorgehen war eine Erfüllung göttlicher Prophezeiungen und ein Beweis für Jehovas Vorherwissen und das Vorherwissen seines Sohnes (Ps 41:9; 55:12, 13; 109:8; Apg 1:16-20). Es kann aber nicht gesagt werden, Gott habe Judas zu einer solchen Handlungsweise prädestiniert oder vorherbestimmt. Gemäß den Prophezeiungen sollte Jesus von einem seiner Vertrauten verraten werden, es wurde aber nicht ausdrücklich gesagt, welcher von ihnen der Verräter sein würde. Auch in diesem Fall schließen biblische Grundsätze aus, dass Gott Judas’ Handlungen vorherbestimmt hatte. Der göttliche Maßstab, den der Apostel Paulus anführte, lautet: „Lege niemals deine Hände jemandem voreilig auf; auch habe nicht teil an den Sünden anderer; bewahre dich selbst keusch“ (1Ti 5:22; vgl. 3:6). Jesu Sorge, bei der Auswahl seiner 12 Apostel weise und richtig vorzugehen, zeigt sich unter anderem darin, dass er die ganze Nacht zu seinem Vater betete, bevor er seine Entscheidung bekannt gab (Luk 6:12-16). Wäre Judas von Gott bereits als Verräter vorherbestimmt worden, würde dies auf Widersprüche in Gottes Führung und Leitung hinweisen, und er würde gemäß der Regel an den Sünden, die jemand begeht, teilhaben.
Als Judas zum Apostel gewählt wurde, wies sein Herz anscheinend noch keine eindeutigen Anzeichen für die Einstellung eines Verräters auf. Er ließ zu, dass in ihm ‘eine giftige Wurzel aufspross’ und er dadurch befleckt wurde, was zur Folge hatte, dass er sich nicht mehr von Gott leiten ließ, sondern vom Teufel, und so zum Dieb und Verräter wurde (Heb 12:14, 15; Joh 13:2; Apg 1:24, 25; Jak 1:14, 15; siehe JUDAS Nr. 3). Als diese Entwicklung einen bestimmten Punkt erreicht hatte, konnte Jesus selbst sehen, was in Judas’ Herz vorging, und vorhersagen, wer ihn verraten werde (Joh 13:10, 11).
In Johannes 6:64, wo davon berichtet wird, dass einige Jünger an gewissen Lehren Jesu Anstoß nahmen, heißt es: „Jesus wusste ... von Anfang an [oder: von Beginn an], wer die waren, die nicht glaubten, und wer der war, der ihn verraten würde.“ In 2. Petrus 3:4 wird das Wort „Anfang“ (gr. archḗ) zwar auf den Beginn der Schöpfung angewandt, es kann sich aber ebenso gut auf andere Zeiten beziehen (Luk 1:2; Joh 15:27). Als z. B. der Apostel Petrus erzählte, dass der heilige Geist auf Nichtjuden gefallen sei, „wie er zu Anfang auch auf uns gefallen war“, bezog er sich offensichtlich nicht auf den Anfang seiner Jüngerschaft oder seines Apostelamtes, sondern auf einen wichtigen Zeitpunkt in seinem Dienst: auf den Pfingsttag des Jahres 33 u. Z., den „Anfang“ der Ausgießung des heiligen Geistes, die einem bestimmten Zweck diente (Apg 11:15; 2:1-4). Das Theologisch-homiletische Bibelwerk von J. P. Lange enthält zu Johannes 6:64 folgenden interessanten Kommentar: „[‚Von Anfang an‘] heißt nicht: metaphysisch vom Uranfang an ..., noch vom Anfang der jedesmaligen Bekanntschaft an ..., noch vom Anfang, da er [Jesus] Schüler um sich sammelte, oder vom Beginn seiner messianischen Wirksamkeit an ..., sondern von dem ersten geheimen Keimen des Unglaubens [das einige Jünger zum Straucheln veranlasste] an. So kannte er auch seinen Verräther vom Anfang an“ (Das Evangelium nach Johannes, 1868, S. 155; vgl. 1Jo 3:8, 11, 12).
Die Vorherbestimmung des Messias. Jehova Gott sah und sagte das Leiden des Messias, seinen Tod und seine anschließende Auferstehung voraus (Apg 2:22, 23, 30, 31; 3:18; 1Pe 1:10, 11). Wenn Gott etwas durch die Anwendung seines Vorherwissens festgelegt hat, hängt die Verwirklichung sowohl von der Ausübung seiner Macht ab als auch von der Handlungsweise der Menschen (Apg 4:27, 28). Die Menschen ließen allerdings bereitwillig zu, dass sie von Gottes Widersacher, Satan, dem Teufel, überlistet wurden (Joh 8:42-44; Apg 7:51-54). Genauso, wie in den Tagen des Paulus den Christen ‘Satans Anschläge nicht unbekannt waren’, sah Gott die bösen Absichten und Methoden voraus, die der Teufel gegen Jesus Christus, Gottes Gesalbten, ersinnen würde (2Ko 2:11). Gott hätte durch seine Macht natürlich jegliche Angriffe auf den Messias, deren Art oder Zeitpunkt nicht mit den entsprechenden Prophezeiungen in Einklang war, durchkreuzen oder sogar verhindern können. (Vgl. Mat 16:21; Luk 4:28-30; 9:51; Joh 7:1, 6-8; 8:59.)
Die Erklärung des Apostels Petrus, Christus sei als Gottes Opferlamm „vor Grundlegung [eine Form des griechischen Wortes katabolḗ] der Welt [kósmou] im Voraus erkannt“ gewesen, wird von Verfechtern der Prädestinationslehre dahin gehend ausgelegt, dass Gott von diesem Vorherwissen schon vor der Erschaffung der Menschheit Gebrauch gemacht habe (1Pe 1:19, 20). Das mit „Grundlegung“ wiedergegebene griechische Wort katabolḗ bedeutet wörtlich „ein Hinabwerfen“ und kann sich, wie beispielsweise in Hebräer 11:11, auf das ‘Empfangen von Samen’ beziehen. Wie aus Hebräer 4:3, 4 hervorgeht, fand die „Grundlegung“ der Menschenwelt zwar statt, als Gott das erste Menschenpaar erschuf, aber diese beiden büßten danach ihre Stellung als Kinder Gottes ein (1Mo 3:22-24; Rö 5:12). Dank der unverdienten Güte Gottes durften sie jedoch Samen empfangen und Nachkommen hervorbringen, von denen Abel in der Bibel besonders erwähnt wird, weil er Gottes Gunst erlangte und für ihn deshalb Aussicht auf Erlösung und Rettung besteht (1Mo 4:1, 2; Heb 11:4). Interessanterweise sprach Jesus in Lukas 11:49-51 von dem „Blut aller Propheten, das seit Grundlegung der Welt vergossen worden ist“, und zog dann eine Parallele mit den Worten „vom Blut Abels an bis zum Blut Sacharjas“. Dadurch brachte er Abel mit der „Grundlegung der Welt“ in Verbindung.
Der Messias oder Christus sollte der verheißene Same sein, durch den die gerechten Angehörigen aller Familien der Erde gesegnet werden (Gal 3:8, 14). Dieser „Same“ wurde zum ersten Mal erwähnt, nachdem die Auflehnung in Eden bereits im Gange war, aber noch vor der Geburt Abels (1Mo 3:15). Das geschah mehr als viertausend Jahre vor der Offenbarung des „heiligen Geheimnisses“ durch die eindeutige Kenntlichmachung des messianischen „Samens“. Dieses Geheimnis wurde tatsächlich „langwährende Zeiten hindurch verschwiegen gehalten“ (Rö 16:25-27; Eph 1:8-10; 3:4-11).
Zur gegebenen Zeit bestimmte Jehova Gott seinen einziggezeugten Sohn dazu, die für den „Samen“ vorhergesehene Rolle zu übernehmen und der Messias zu werden. Nichts deutet darauf hin, dass dieser Sohn schon vor seiner Erschaffung oder vor Beginn der Auflehnung in Eden für eine solche Rolle „vorherbestimmt“ worden wäre. Auch wurde er von Gott schließlich nicht ohne guten Grund dazu erwählt, die Prophezeiungen zu erfüllen. Da zwischen Gott und seinem Sohn eine enge Gemeinschaft bestanden hatte, bevor dieser auf die Erde gesandt wurde, kannte Jehova seinen Sohn zweifellos gut genug, um die Gewissheit haben zu können, dass er die prophetischen Verheißungen und Vorbilder treu erfüllen würde. (Vgl. Rö 15:5; Php 2:5-8; Mat 11:27; Joh 10:14, 15; siehe JESUS CHRISTUS [Geprüft und vervollkommnet].)
Vorherbestimmung der „Berufenen“ und „Auserwählten“. Nun verbleiben noch die Texte, die von den christlichen „Berufenen“ oder „Auserwählten“ handeln (Jud 1; Mat 24:24). Von diesen wird gesagt, sie seien „die Auserwählten nach dem Vorherwissen Gottes“ (1Pe 1:1, 2), diejenigen, die Gott „vor Grundlegung der Welt auserwählt“ und „zur Annahme an Sohnes statt für sich vorherbestimmt“ hat (Eph 1:3-5, 11) sowie ‘von Anfang an zur Rettung erwählt und gerade dazu berufen hat’ (2Th 2:13, 14). Um diese Texte zu verstehen, muss man wissen, ob sie sich auf die Vorherbestimmung gewisser Einzelpersonen beziehen oder ob darin von der Vorherbestimmung einer Personengruppe die Rede ist – der Christenversammlung, des ‘e i n e n Leibes’ (1Ko 10:17), bestehend aus denen, die Miterben Christi Jesu in seinem himmlischen Königreich sein werden (Eph 1:22, 23; 2:19-22; Heb 3:1, 5, 6).
Würden sich diese Worte auf Einzelpersonen beziehen, die für eine ewige Rettung vorherbestimmt sind, dann könnten die Betreffenden nie untreu werden oder im Hinblick auf ihre Berufung versagen, weil sich Gottes Vorherwissen über sie niemals als falsch erweisen und das von ihm für sie bestimmte Geschick keinesfalls abgewendet oder verhindert werden könnte. Doch die gleichen Apostel, die dazu inspiriert wurden, die oben angeführten Worte niederzuschreiben, machten deutlich, dass einige derer, die durch das Blut des Loskaufsopfers Christi „erkauft“ und „geheiligt“ worden waren, ja die „die himmlische freie Gabe geschmeckt“ hatten und „des heiligen Geistes teilhaftig geworden [waren] ... und die Kräfte des kommenden Systems der Dinge geschmeckt“ hatten, abfallen, keine Reue zeigen und deshalb Vernichtung über sich bringen würden (2Pe 2:1, 2, 20-22; Heb 6:4-6; 10:26-29). Beide Apostel forderten die Empfänger ihrer Briefe mit den Worten auf: „Tut ... euer Äußerstes, eure Berufung und Auserwählung festzumachen; denn wenn ihr diese Dinge beständig tut, werdet ihr auf keinen Fall jemals fehlgehen“ und: „Fahrt fort, ... mit Furcht und Zittern eure eigene Rettung zu bewirken“ (2Pe 1:10, 11; Php 2:12-16). Paulus, der „zu einem Apostel Jesu Christi berufen“ worden war (1Ko 1:1), betrachtete sich offensichtlich nicht so, als wäre er persönlich zur ewigen Rettung vorherbestimmt, denn er schrieb von seinem eifrigen Bemühen, ‘dem Ziel entgegenzujagen, dem Preis der Berufung Gottes nach oben’ (Php 3:8-15), und von seiner Befürchtung, dass er sich „selbst irgendwie als unbewährt“ erweisen könnte (1Ko 9:27).
In ähnlicher Weise hängt die Aussicht der Betreffenden, die „Krone des Lebens“ zu erhalten, davon ab, dass sie sich unter Prüfungen als treu bis in den Tod erweisen (Off 2:10, 23; Jak 1:12). Sie können ihre Krone – das Zeichen für das Königtum mit Gottes Sohn – verlieren (Off 3:11). Der Apostel Paulus äußerte die Zuversicht, dass ihm „die Krone der Gerechtigkeit aufbehalten“ war, aber er tat es erst, als er sicher war, dass er sich dem Ende seines Laufes näherte, diesen ‘vollendet hatte’ (2Ti 4:6-8).
Auf eine Gruppe angewandt, nämlich auf die Christenversammlung oder die „heilige Nation“ der Berufenen als Ganzes (1Pe 2:9), würden die angeführten Texte bedeuten, dass Gott die Entstehung einer solchen Gruppe vorhersah und vorherbestimmte (nicht die sie bildenden Einzelpersonen). Auch würden diese Texte bedeuten, dass er vorschrieb oder vorherbestimmte, welchem „Bild“ die zu dieser Gruppe Berufenen in Übereinstimmung mit seinem Vorsatz entsprechen müssen (Rö 8:28-30; Eph 1:3-12; 2Ti 1:9, 10). Auch die Werke, die sie verrichten sollen, und dass sie Prüfungen durchstehen müssen wegen der Leiden, die die Welt über sie bringen würde, hat er vorherbestimmt (Eph 2:10; 1Th 3:3, 4).
Näheres über Texte, die sich auf ‘Namen, die in dem Buch des Lebens geschrieben stehen’, beziehen, siehe unter NAME.
Schicksalsglaube und Prädestinationslehre. Viele heidnische Völker des Altertums, so auch die Griechen und die Römer, glaubten, das Schicksal einer Person, vor allem die Lebenslänge, werde von vornherein von den Göttern festgelegt. In der griechischen Mythologie lenkten drei Göttinnen das Schicksal der Menschen: Klotho (Spinnerin), die den Lebensfaden spann; Lachesis (Zuteilerin), die über die Lebenslänge entschied, und Atropos (Unabwendbare), die das Leben abschnitt, wenn die Zeit abgelaufen war. Eine ähnliche Triade gab es unter den römischen Göttern.
Gemäß dem jüdischen Historiker Josephus (1. Jahrhundert u. Z.) versuchten die Pharisäer die Vorstellung des Schicksals mit ihrem Glauben an Gott und mit dem freien Willen, der dem Menschen gewährt worden ist, in Einklang zu bringen (Geschichte des Jüdischen Krieges, 2. Buch, Kap. 8, Abs. 14; Jüdische Altertümer, 18. Buch, Kap. 1, Abs. 3). In der New Schaff-Herzog Encyclopedia of Religious Knowledge heißt es: „Vor Augustinus [d. h. im 4. und 5. Jahrhundert u. Z.] gab es im Christentum keinen ernsthaften Ansatz zur Entwicklung einer Prädestinationstheorie.“ Den sogenannten Kirchenvätern wie z. B. Justinus, Origenes und Irenäus in der Zeit vor Augustinus „ist nichts von einer uneingeschränkten Prädestination bekannt; sie lehren den freien Willen“ (Hastings, Encyclopædia of Religion and Ethics, 1919, Bd. X, S. 231). Wie verlautet, brachten sie in Verbindung mit der Widerlegung des Gnostizismus immer wieder ihren Glauben an den freien Willen des Menschen zum Ausdruck als „dem kennzeichnenden Merkmal der menschlichen Persönlichkeit, der Grundlage der moralischen Verantwortlichkeit, einer Gabe Gottes, durch die der Mensch das wählen kann, was Gott wohlgefällig ist“, und sie sprachen von „der sittlichen Selbstbestimmung des Menschen und dem Rat Gottes, der niemandem aufgezwungen wird“ (The New Schaff-Herzog Encyclopedia of Religious Knowledge, herausgegeben von S. Jackson, Bd. IX, 1957, S. 192, 193).