Kapitel 5
Das „Neue Testament“ — Geschichte oder Mythos?
„Das Neue Testament [kann] heute als das mit Abstand bestuntersuchte Buch der Weltliteratur ... bezeichnet werden.“ Das schreibt Hans Küng in seinem Buch „Christ sein“. Und er hat recht. In den letzten 300 Jahren sind die Christlichen Griechischen Schriften mehr als untersucht worden. Sie sind gründlicher zerlegt und peinlicher analysiert worden als jedes andere literarische Werk.
1, 2 (und Einleitung). (a) Was hat man mit den Christlichen Griechischen Schriften in den vergangenen 300 Jahren getan? (b) Zu welchen seltsamen Schlußfolgerungen sind einige Forscher gelangt?
EINIGE Gelehrte sind zu seltsamen Schlußfolgerungen gelangt. Im 19. Jahrhundert erklärte Ludwig Noack, das Johannesevangelium sei im Jahre 60 u. Z. vom Lieblingsjünger Jesu geschrieben worden, bei dem es sich nach Auffassung Noacks um Judas gehandelt habe. Der Franzose Joseph Ernest Renan vertrat die Meinung, die Auferstehung des Lazarus sei wahrscheinlich ein von ihm selbst inszenierter Schwindel gewesen, durch den er Jesu Behauptung, Wunder zu wirken, stützen wollte, und der deutsche Theologe Gustav Volkmar bestand darauf, daß der historische Jesus unmöglich mit messianischen Ansprüchen aufgetreten sein konnte.1
2 Bruno Bauer wiederum kam zu der Überzeugung, Jesus habe es überhaupt nicht gegeben. „Er behauptete, die wirklichen schöpferischen Kräfte im frühen Christentum seien Philon, Seneca und die Gnostiker gewesen. Letztendlich erklärte er, einen historischen Jesus habe es nie gegeben ..., die christliche Religion sei Ende des zweiten Jahrhunderts entstanden, und zwar aus einem Judaismus, der vom Stoizismus beherrscht wurde.“2
3. Welche Ansicht über die Bibel vertreten immer noch viele?
3 Heute werden derart extreme Auffassungen nur noch von wenigen vertreten. Liest man aber die Werke moderner Gelehrter, so stößt man bei vielen immer noch auf die Ansicht, die Christlichen Griechischen Schriften enthielten Legenden, Mythen und Übertreibungen. Trifft das zu?
Wann wurden sie geschrieben?
4. (a) Warum ist die Frage von Bedeutung, wann die Bücher der Christlichen Griechischen Schriften geschrieben wurden? (b) Welche Meinungen werden bezüglich der Zeit ihrer Niederschrift vertreten?
4 Für die Entstehung von Mythen und Legenden ist Zeit erforderlich. Daher ist die Frage von Bedeutung, wann diese Bibelbücher geschrieben wurden. Michael Grant, ein Historiker, schreibt, man habe die Geschichtsberichte der Christlichen Griechischen Schriften „35 bis 70 Jahre nach dem Tode Jesu“ aufgezeichnet.4 Der Archäologe William Foxwell Albright zitiert C. C. Torrey, der folgert, „daß alle Evangelien vor 70 n. Chr. geschrieben wurden, und daß sie nichts enthalten, was nicht innerhalb der zwanzig Jahre nach Jesu Tod geschrieben sein könnte“. Albright selbst ist der Meinung, ihre Niederschrift sei „nicht später als ca. 80 n. Chr.“ vollendet gewesen. Die Schätzungen anderer unterscheiden sich davon geringfügig, doch geht man größtenteils darin einig, daß die Niederschrift des „Neuen Testaments“ Ende des ersten Jahrhunderts abgeschlossen war.
5, 6. Welche Schlußfolgerung liegt aufgrund dessen nahe, daß die Christlichen Griechischen Schriften nicht allzu lange nach den berichteten Ereignissen geschrieben wurden?
5 Was bedeutet das? Albright schlußfolgert: „Wir können höchstens sagen, daß in einem Zeitraum von 20—50 Jahren schwerlich eine ins Gewicht fallende Verderbnis des wesentlichen Inhalts und nicht einmal des spezifischen Wortlauts von Jesu Aussprüchen stattgefunden haben kann.“5 Professor Gary Habermas sagt diesbezüglich: „Die Evangelien kommen der Zeitperiode, über die sie berichten, ganz nahe, während alte Historiker häufig Ereignisse beschreiben, die Jahrhunderte früher stattfanden. Dennoch können moderne Historiker selbst aus diesen alten Zeitperioden die Ereignisse erfolgreich herleiten.“6
6 Mit anderen Worten: Die geschichtlichen Teile der Christlichen Griechischen Schriften sind zumindest ebenso glaubwürdig wie weltliche Geschichtsberichte. In den wenigen Jahrzehnten zwischen den Ereignissen des frühen Christentums und ihrer schriftlichen Fixierung verblieb zweifellos keine Zeit für die Entstehung und die allgemeine Verbreitung von Mythen und Legenden.
Das Zeugnis von Augenzeugen
7, 8. (a) Wer war noch am Leben, als die Christlichen Griechischen Schriften geschrieben wurden und in Umlauf waren? (b) Was müssen wir, dem Kommentar von Professor F. F. Bruce entsprechend, schlußfolgern?
7 Das ist ganz besonders deshalb der Fall, weil in vielen Berichten von der Bestätigung durch Augenzeugen die Rede ist. Der Schreiber des Johannesevangeliums erklärte: „Das ist der Jünger [der Jünger, den Jesus liebte], der von diesen Dingen Zeugnis ablegt und der diese Dinge geschrieben hat“ (Johannes 21:24). Der Schreiber des Lukasevangeliums sagte: „... wie sie uns die überlieferten, die von Anfang an Augenzeugen und Diener der Botschaft wurden“ (Lukas 1:2). Der Apostel Paulus sagte von denen, die die Auferstehung Jesu bezeugen konnten: „[Es sind] die meisten bis jetzt am Leben geblieben ..., einige aber sind im Tod entschlafen“ (1. Korinther 15:6).
8 In diesem Zusammenhang stellt Professor F. F. Bruce scharfsinnig fest: „Es kann keineswegs so leicht gewesen sein, wie manche Schriftsteller zu denken scheinen, in jenen Jahren Worte und Taten Jesu einfach zu erfinden, da so viele seiner Jünger noch lebten, die sehr wohl wußten, was geschehen war und was nicht. ... Die Jünger konnten sich Ungenauigkeiten einfach nicht leisten, (ganz zu schweigen von bewußten Verdrehungen der Tatsachen,) weil sie sofort berichtigt worden wären von denen, die nur zu sehr auf eine solche Gelegenheit warteten. Im Gegenteil: einer der Hauptpunkte der frühen apostolischen Predigt ist das zuversichtliche Appellieren an das Wissen der Zuhörer; die Apostel sagten nicht nur: ‚Wir sind Zeugen von diesen Dingen‘, sondern ‚Wie ihr selbst auch wisset‘ (Apg. 2:22).“7
Ist der Text zuverlässig?
9, 10. Wovon können wir hinsichtlich der Christlichen Griechischen Schriften überzeugt sein?
9 Kann es sein, daß die Augenzeugenberichte genau waren, aber später verderbt wurden? Anders ausgedrückt: Wurden nach Fertigstellung der Originalschriften Mythen und Legenden hinzugefügt? Nun, wir haben bereits gesehen, daß der Text der Christlichen Griechischen Schriften besser erhalten ist als der irgendwelcher anderer alter Schriften. Kurt und Barbara Aland, Gelehrte, die sich mit dem griechischen Text der Bibel befassen, weisen darauf hin, daß etwa 5 000 Handschriften aus alter Zeit noch vorhanden sind, einige davon aus dem zweiten Jahrhundert u. Z.8 Das umfangreiche Beweismaterial insgesamt bezeugt, daß der Text im wesentlichen zuverlässig ist. Außerdem gibt es viele alte Übersetzungen (die älteste stammt ungefähr aus dem Jahr 180 u. Z.), durch die sich ebenfalls die Genauigkeit des Textes beweisen läßt.9
10 Wenn wir alles in Betracht ziehen, dürfen wir davon überzeugt sein, daß in die Christlichen Griechischen Schriften keine Legenden und Mythen einflossen, nachdem die ursprünglichen Schreiber ihre Arbeit vollendet hatten. Der Text, über den wir heute verfügen, ist im wesentlichen der gleiche, den die ursprünglichen Schreiber aufzeichneten, und seine Genauigkeit wird dadurch bestätigt, daß er damals von zeitgenössischen Christen anerkannt wurde. Läßt sich die geschichtliche Genauigkeit der Bibel aber auch durch einen Vergleich mit anderen geschichtlichen Aufzeichnungen aus alter Zeit überprüfen? Ja, bis zu einem gewissen Grad.
Der dokumentarische Beweis
11. Inwieweit werden die Geschichtsberichte der Christlichen Griechischen Schriften durch außerbiblische dokumentarische Beweise gestützt?
11 Die außerbiblischen dokumentarischen Beweise für Ereignisse im Leben Jesu und seiner Apostel sind in der Tat ziemlich begrenzt. Man darf auch nichts anderes erwarten, da es sich bei den Christen des ersten Jahrhunderts um eine verhältnismäßig kleine Gruppe handelte, die sich zudem nicht in die Politik einmischte. Was aber die weltliche Geschichte an Beweisen liefert, stimmt mit dem überein, was wir in der Bibel lesen.
12. Was erfahren wir durch Josephus über Johannes den Täufer?
12 Zum Beispiel schrieb der jüdische Historiker Josephus 93 u. Z. über eine empfindliche militärische Niederlage des Herodes Antipas: „Manche Juden waren übrigens der Ansicht, der Untergang der Streitmacht des Herodes sei nur dem Zorne Gottes zuzuschreiben, der für die Tötung Joannes’ des Täufers die gerechte Strafe gefordert habe. Den letzteren nämlich hatte Herodes hinrichten lassen, obwohl er ein edler Mann war, der die Juden anhielt, nach Vollkommenheit zu streben, indem er sie ermahnte, Gerechtigkeit gegeneinander und Frömmigkeit gegen Gott zu üben.“10 Josephus bestätigt somit den Bibelbericht darüber, daß es sich bei Johannes dem Täufer um einen gerechten Mann handelte, der Reue predigte und von Herodes hingerichtet wurde (Matthäus 3:1-12; 14:11).
13. Inwiefern bestätigt Josephus, daß es sich bei Jakobus und Jesus um geschichtliche Persönlichkeiten handelte?
13 Josephus erwähnt auch Jakobus, den Halbbruder Jesu, der, wie die Bibel uns berichtet, nicht von Anfang an Jesus nachfolgte, später aber ein bekannter Ältester in Jerusalem war (Johannes 7:3-5; Galater 1:18, 19). Josephus dokumentiert die Festnahme des Jakobus mit folgenden Worten: „[Der Hohepriester Ananus] versammelte ... den hohen Rat [den Sanhedrin] zum Gericht und stellte vor dasselbe den Bruder des Jesus, der Christus genannt wird, mit Namen Jakobus, sowie noch einige andere.“11 Mit diesen Worten bestätigt Josephus außerdem, daß es sich bei „Jesus, der Christus genannt wird“, um eine geschichtliche Persönlichkeit handelte.
14, 15. Welche Stütze des Bibelberichts liefert Tacitus?
14 Auch andere frühe Schriftsteller nehmen auf Ereignisse Bezug, die in den Griechischen Schriften erwähnt werden. In den Evangelien wird beispielsweise berichtet, daß Jesu Predigen in ganz Palästina auf großen Widerhall stieß. Als er von Pontius Pilatus zum Tod verurteilt wurde, waren seine Jünger verwirrt und mutlos. Aber schon bald danach erfüllten dieselben Jünger Jerusalem mit der Botschaft, daß ihr Herr auferweckt worden war. Innerhalb weniger Jahre verbreitete sich das Christentum im ganzen Römischen Reich (Matthäus 4:25; 26:31; 27:24-26; Apostelgeschichte 2:23, 24, 36; 5:28; 17:6).
15 Die Wahrhaftigkeit dieser Vorgänge wird von dem römischen Historiker Tacitus bezeugt, der alles andere als ein Freund des Christentums war. Kurz nach 100 u. Z. berichtet er über Neros grausame Christenverfolgung und schreibt: „Der Stifter dieser Sekte, Christus, ist unter der Regierung des Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden. Der unheilvolle Aberglaube wurde dadurch für den Augenblick unterdrückt, trat später aber wieder hervor und verbreitete sich nicht bloß in Judäa, wo er entstanden war, sondern auch in Rom.“12
16. Auf welches in der Bibel berichtete geschichtliche Ereignis bezieht sich auch Sueton?
16 In Apostelgeschichte 18:2 weist der Bibelschreiber darauf hin, daß „[der römische Kaiser] Claudius befohlen hatte, daß alle Juden aus Rom wegziehen sollten“. Sueton, ein römischer Historiker des zweiten Jahrhunderts, nimmt ebenfalls auf diese Vertreibung Bezug. In seinen Kaiserbiographien berichtet er von Claudius: „Die Juden, welche, aufgehetzt von Chrestus, fortwährend Unruhen machten, vertrieb er aus Rom.“13 Wenn mit Chrestus Jesus Christus gemeint ist und die Ereignisse in Rom ebenso abliefen wie in anderen Städten, dann kam es in Wirklichkeit nicht auf Anstiften Christi (d. h. der Nachfolger Christi) zu den Unruhen, sondern es handelte sich dabei um die gewalttätige Reaktion der Juden auf die treue Predigttätigkeit der Christen.
17. Welche Quellen, die Justinus dem Märtyrer im 2. Jahrhundert zur Verfügung standen, stützten den Bibelbericht über Jesu Wunder und seinen Tod?
17 Justinus der Märtyrer schrieb Mitte des zweiten Jahrhunderts bezüglich des Todes Jesu: „Daß das so geschehen ist, könnt ihr aus den unter Pontius Pilatus angefertigten Akten ersehen.“14 Außerdem wurden gemäß Justinus dem Märtyrer in denselben Aufzeichnungen auch Jesu Wunder erwähnt, hinsichtlich deren er sagte: „Daß er das wirklich getan hat, könnt ihr aus den unter Pontius Pilatus aufgenommenen Akten ersehen.“15 Zugegeben, diese „Akten“ oder amtlichen Aufzeichnungen existieren nicht mehr. Aber offensichtlich existierten sie im zweiten Jahrhundert, und Justinus der Märtyrer forderte seine Leser zuversichtlich auf, sie einzusehen und sich der Wahrhaftigkeit seiner Worte zu vergewissern.
Die archäologischen Beweise
18. Wie stützt die Archäologie die Tatsache, daß Pontius Pilatus gelebt hat?
18 Auch archäologische Funde klären oder bestätigen Aussagen der Griechischen Schriften. 1961 hat man beispielsweise in den Ruinen eines römischen Theaters in Cäsarea einen Stein gefunden, der als Inschrift den Namen Pontius Pilatus trug.16 Bis zu dieser Entdeckung gab es außer in der Bibel kaum irgendwelche Hinweise auf die Existenz dieses römischen Statthalters.
19, 20. Die Existenz welcher von Lukas (in Lukas und in der Apostelgeschichte) erwähnten biblischen Persönlichkeiten ist von der Archäologie bestätigt worden?
19 Im Lukasevangelium lesen wir, daß Johannes der Täufer seinen Dienst begann, „als ... Lysanias Bezirksherrscher von Abilene“ war (Lukas 3:1). Einige bezweifelten diese Aussage, weil Josephus einen Lysanias erwähnte, der in Abilene herrschte und 34 v. u. Z. starb — also lange vor der Geburt des Johannes. Archäologen legten jedoch in Abilene eine Inschrift frei, in der ein weiterer Lysanias erwähnt wird. Er war Tetrarch (Bezirksherrscher) während der Regierung des Tiberius, d. h. zu der Zeit, als dieser in Rom als Cäsar herrschte und Johannes seinen Dienst begann.17 Bei diesem Lysanias könnte es sich ohne weiteres um den von Lukas erwähnten gehandelt haben.
20 Wie wir in der Apostelgeschichte lesen, wurden Paulus und Barnabas ausgesandt, um auf Zypern Missionardienst zu verrichten. Dort fanden sie einen Prokonsul namens Sergius Paulus, einen „intelligenten Mann“ (Apostelgeschichte 13:7). Mitte des 19. Jahrhunderts wurde auf Zypern eine Inschrift ausgegraben, die aus dem Jahr 55 u. Z. stammt und diesen Mann erwähnt. Der Archäologe G. Ernest Wright sagt darüber: „Es ist die einzige außerbiblische Erwähnung dieses Prokonsuls und eine interessante Bestätigung dafür, daß Lukas uns seinen Namen und Titel korrekt überliefert hat.“18
21, 22. Welche in der Bibel erwähnten religiösen Praktiken sind durch archäologische Funde bestätigt worden?
21 Paulus sagte bei seinem Aufenthalt in Athen, er habe einen Altar mit der Inschrift „Einem unbekannten Gott“ gesehen (Apostelgeschichte 17:23). In mehreren Teilen des einstigen Römischen Reiches sind Altäre gefunden worden, die gemäß ihrer lateinischen Inschrift unbekannten Göttern geweiht waren. Ein in Pergamon gefundener Altar trug — wie möglicherweise auch der in Athen — eine griechische Inschrift.
22 Als Paulus später in Ephesus war, wurde ihm von Silberschmieden heftiger Widerstand geleistet, deren Einkommen aus der Herstellung von Schreinen und Bildern der Göttin Artemis stammte. Ephesus galt als die „Tempelhüterin der großen Artemis“ (Apostelgeschichte 19:35). In Übereinstimmung damit sind an der Stätte des einstigen Ephesus Terrakotta- und Marmorstatuetten der Artemis ausgegraben worden. Im vergangenen Jahrhundert wurden sogar die Überreste des riesigen Tempels freigelegt.
Der Klang der Wahrheit
23, 24. (a) Wo finden wir den stärksten Beweis für die Wahrhaftigkeit der Christlichen Griechischen Schriften? (b) Welche Eigenheit des Bibelberichts bezeugt seine Wahrhaftigkeit? Welches Beispiel könnte man anführen?
23 Geschichte und Archäologie klären somit die geschichtlichen Elemente der Griechischen Schriften und bestätigen sie in einem gewissen Ausmaß. Doch erneut sei gesagt, daß der stärkste Beweis für die Wahrhaftigkeit dieser Schriften in den Büchern selbst zu finden ist. Sie muten beim Lesen nicht wie Mythen an. Man vernimmt den Klang der Wahrheit.
24 Besonders auffallend ist ihre Offenheit. Man denke allein an das, was über Petrus berichtet wird. Sein peinliches Versagen, auf dem Wasser zu wandeln, wird in allen Einzelheiten geschildert. Dann sagte Jesus zu diesem hochgeachteten Apostel: „Tritt hinter mich, Satan!“ (Matthäus 14:28-31; 16:23). Und nachdem Petrus mit aller Entschiedenheit Jesus versichert hatte, er würde ihn niemals verlassen, selbst wenn alle anderen es täten, fiel er während seiner Nachtwache in tiefen Schlaf und verleugnete schließlich seinen Herrn dreimal (Matthäus 26:31-35, 37-45, 73-75).
25. Welche Schwächen der Apostel werden von den Bibelschreibern in aller Offenheit aufgedeckt?
25 Aber Petrus ist nicht der einzige, dessen Schwächen aufgedeckt werden. In dem freimütigen Bericht wird nicht vertuscht, daß sich die Apostel darüber stritten, wer unter ihnen der Größte sei (Matthäus 18:1; Markus 9:34; Lukas 22:24). Auch bleibt nicht unerwähnt, daß Jesus von der Mutter der Apostel Jakobus und Johannes gebeten wurde, ihren Söhnen die meistbegünstigte Stellung in seinem Königreich einzuräumen (Matthäus 20:20-23). Der „heftige Zornausbruch“, zu dem es zwischen Barnabas und Paulus kam, ist ebenfalls getreu festgehalten (Apostelgeschichte 15:36-39).
26. Welche Einzelheit in Verbindung mit der Auferstehung wäre nicht erwähnt worden, wenn sie nicht stimmte?
26 Bemerkenswerterweise wird im Lukasevangelium davon berichtet, daß „die Frauen ..., die mit ihm aus Galiläa gekommen waren“, als erste von der Auferstehung Jesu erfuhren. In der von Männern beherrschten Gesellschaft des ersten Jahrhunderts ist das ein äußerst ungewöhnlicher Hinweis. Wie es heißt, erschienen den Aposteln die Worte der Frauen tatsächlich „wie Unsinn“ (Lukas 23:55 bis 24:11). Wenn die Erzählungen in den Griechischen Schriften nicht wahr sind, müssen sie erfunden worden sein. Warum hätte jemand aber eine Geschichte erfinden sollen, in der hochgeachtete Personen in einem wenig schmeichelhaften Licht erscheinen? Diese Einzelheiten wären sicher nicht in den Bericht aufgenommen worden, wenn es sich nicht um Tatsachen gehandelt hätte.
Jesus — eine wirkliche Person
27. Welches Zeugnis stellt ein Historiker in bezug auf die Geschichtlichkeit Jesu aus?
27 Viele halten den in der Bibel beschriebenen Jesus für ein erfundenes Ideal. Aber der Historiker Michael Grant bemerkte: „Wenn wir ... an das Neue Testament, wie wir es tun sollten, die gleichen Maßstäbe anlegen wie an andere antike Schriften, die historisches Material enthalten, dann dürfen wir die Existenz Jesu nicht mehr bezweifeln als wir die Existenz einer großen Zahl heidnischer Persönlichkeiten bezweifeln können, deren Realität als historische Gestalten nie in Frage gestellt worden ist.“19
28, 29. Wieso ist es bemerkenswert, daß die vier Evangelisten ein einheitliches Bild von der Persönlichkeit Jesu zeichnen?
28 Aber nicht nur Jesu Existenz ist unbestreitbar. Auch die Schilderung seiner Persönlichkeit in der Bibel hat eindeutig den Klang der Wahrheit. Es wäre schon nicht leicht, eine ungewöhnliche Persönlichkeit zu erfinden und sie dann in einem ganzen Buch durchweg einheitlich darzustellen. Nahezu unmöglich wäre es aber für vier verschiedene Schreiber, über dieselbe Persönlichkeit zu berichten und übereinstimmend dasselbe Bild von ihr zu zeichnen, wenn diese Persönlichkeit überhaupt nicht existiert hätte. Daß es sich bei dem in allen vier Evangelien beschriebenen Jesus augenscheinlich um ein und dieselbe Person handelt, ist daher ein überzeugender Beweis für die Wahrhaftigkeit der Evangelien.
29 Michael Grant zitiert eine sehr passende Frage: „Wie ist es möglich, daß uns aus allen Evangelien das mit erstaunlicher Sicherheit gezeichnete Porträt eines attraktiven jungen Mannes entgegentritt, der sich ganz frei in der Gesellschaft aller möglichen Frauen — unter anderem auch entschieden schlecht beleumundeter — bewegt, ohne dabei eine Spur von Sentimentalität, Unnatürlichkeit oder Prüderie zu zeigen und dabei aber doch in jedem Augenblick die schlichte Integrität seines Charakters bewahrt?“20 Die Antwort darauf kann nur lauten: Ein solcher Mensch existierte und verhielt sich tatsächlich so, wie in der Bibel berichtet wird.
Warum sie nicht glauben
30, 31. Warum wird trotz aller Beweise die geschichtliche Genauigkeit der Christlichen Griechischen Schriften von vielen nicht anerkannt?
30 Da es zwingende Beweise dafür gibt, daß es sich bei den Griechischen Schriften um wahre Geschichte handelt, erhebt sich die Frage, warum einige das Gegenteil behaupten. Wie kommt es, daß manche zwar gewisse Teile als echt akzeptieren, aber nicht den gesamten Inhalt anerkennen? Der Grund besteht hauptsächlich darin, daß die Bibel über Dinge berichtet, die moderne Intellektuelle nicht glauben wollen. Die Bibel zeigt, daß Jesus sowohl Prophezeiungen erfüllte als auch Prophezeiungen äußerte. Sie berichtet auch, daß er Wunder wirkte und nach seinem Tod auferweckt wurde.
31 In unserem vom Skeptizismus geprägten 20. Jahrhundert erscheint so etwas unglaublich. In bezug auf Wunder bemerkte Professor Ezra P. Gould: „Zu e i n e m Vorbehalt fühlen sich einige Kritiker berechtigt, ... [nämlich] daß keine Wunder geschehen.“ 21 Manche räumen zwar ein, Jesus könne Heilungen bewirkt haben, doch lediglich auf psychosomatischem Wege, d. h. unter Nutzung des engen Zusammenhangs zwischen Psyche und Körper. Bei den anderen Wundern habe es sich, wie die meisten glauben, entweder um Erfindungen gehandelt oder um wirkliche Ereignisse, die jedoch entstellt geschildert worden seien.
32, 33. Wie haben einige Jesu Wunder von der Speisung der großen Menschenmenge zu erklären versucht, und warum ist diese Erklärung unlogisch?
32 Als Beispiel diene der Bericht darüber, daß Jesus mehr als 5 000 Menschen mit nur wenigen Broten und zwei Fischen speiste (Matthäus 14:14-22). Nach Auffassung von Heinrich Paulus, einem Gelehrten des 19. Jahrhunderts, war folgendes geschehen: Jesus und seine Apostel waren von einer großen Menge umgeben, die hungrig wurde. Er beschloß daher, den Reichen unter ihnen ein gutes Beispiel zu geben. Das wenige, was er und seine Apostel hatten, teilte man an diejenigen aus, die in nächster Nähe lagerten. Sogleich ahmten andere, die Proviant bei sich hatten, sein Beispiel nach und teilten auch ihren eigenen aus. Schließlich wurde die ganze Menge gespeist.22
33 Wenn sich wirklich alles so zugetragen hätte, wäre das Geschehen doch ohnehin schon ein beachtlicher Beweis für die Macht des guten Beispiels gewesen. Weshalb sollte man dann einen derart interessanten und bedeutungsvollen Bericht auch noch entstellt haben, damit er nach einem Wunder klingt? Durch die Versuche, die Wunder nicht als übernatürliche Vorgänge zu erklären, entstehen in Wirklichkeit mehr Probleme, als gelöst werden. Und bei all diesen Versuchen geht man von einer irrigen Voraussetzung aus, nämlich von der Annahme, daß keine Wunder geschehen können. Aber warum sollte das der Fall sein?
34. Wofür wäre es ein Beweis, wenn die Bibel wirklich genaue Prophezeiungen und Berichte über echte Wunder enthält?
34 An vernünftigen Maßstäben gemessen, sind sowohl die Hebräischen als auch die Griechischen Schriften geschichtlich zuverlässig, aber beide enthalten Prophezeiungen und Berichte über Wunder. (Vergleiche 2. Könige 4:42-44.) Was ist, wenn die Prophezeiungen stimmen? Und wie verhält es sich, wenn die Wunder tatsächlich geschehen sind? Dann hat Gott unleugbar hinter der Niederschrift der Bibel gestanden, und sie ist wirklich sein Wort, nicht Menschenwort. In einem späteren Kapitel wird die Frage der Prophetie erörtert, doch zunächst sind die Wunder an der Reihe. Ist es in unserem 20. Jahrhundert vernünftig, zu glauben, daß in früheren Jahrhunderten Wunder geschahen?
[Herausgestellter Text auf Seite 66]
Würde die Bibel wohl berichten, daß Frauen als erste von der Auferstehung Jesu erfuhren, wenn dies nicht wirklich geschah?
[Kasten auf Seite 56]
Die moderne Kritik zu leicht befunden
Als Beispiel dafür, wie unsicher die moderne Bibelkritik ist, mögen folgende Bemerkungen von Raymond E. Brown über das Johannesevangelium dienen: „Ende des letzten Jahrhunderts und in den frühen Jahren dieses Jahrhunderts herrschte für die Gelehrten eine Zeit extremen Skeptizismus in bezug auf dieses Evangelium. Man hat es sehr spät datiert, sogar in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts. Als ein Erzeugnis der hellenistischen Welt hielt man es für historisch völlig wertlos und dachte, es habe wenig Beziehung zum Palästina des Jesus von Nazareth ...
Kein einziger dieser Standpunkte blieb indes unberührt von einer Reihe unerwarteter archäologischer, dokumentarischer und textlicher Entdeckungen. Diese Entdeckungen haben es ermöglicht, die beinahe orthodoxen kritischen Ansichten anzufechten und zu erkennen, wie zerbrechlich die Grundlage war, auf der die äußerst skeptische Johannesanalyse ruhte. ...
Das Evangelium ist ans Ende des 1. Jahrhunderts oder sogar noch weiter zurückdatiert worden. ... Am merkwürdigsten ist vielleicht, daß einige Gelehrte sogar wieder die Vermutung wagen, Johannes, der Sohn des Zebedäus, könnte etwas mit dem Evangelium zu tun gehabt haben.“3
Warum sollte es aber merkwürdig erscheinen, zu glauben, Johannes sei der Schreiber des Buches, das ihm herkömmlicherweise zugeschrieben wird? Nur weil es nicht zu den vorgefaßten Ansichten der Kritiker paßt.
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Nur einer von vielen Angriffen auf die Bibel
Timothy P. Weber schreibt: „Die Ergebnisse der höheren Kritik ließen viele Laien zwangsläufig an ihrer Fähigkeit zweifeln, überhaupt etwas [in der Bibel] zu verstehen. ... A. T. Pierson brachte die Frustration vieler Evangelikaler zum Ausdruck, wenn er sagte, daß ‚[die höhere Kritik] ... wie die römische Kirche dem gewöhnlichen Volk praktisch das Wort Gottes wegnimmt, indem sie behauptet, nur Gelehrte könnten es deuten; während Rom einen Priester zwischen den Menschen und das Wort stellt, setzt die Kritik einen gebildeten Ausleger zwischen den Gläubigen und seine Bibel‘.“23 Die moderne höhere Kritik hat sich somit als nichts anderes als einer von vielen Angriffen auf die Bibel entpuppt.
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Dieser Altar in Pergamon war offensichtlich „unbekannten Göttern“ geweiht
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Ruinen des einstigen herrlichen Tempels der Artemis, auf den die Epheser sehr stolz waren
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Die Bibel berichtet offen darüber, daß Petrus Jesus verleugnete
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Die Bibel berichtet offen über den „heftigen Zornausbruch“, zu dem es zwischen Paulus und Barnabas kam
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Das einheitliche Bild, das in den vier Evangelien von Jesus gezeichnet wird, ist ein zwingender Beweis für ihre Genauigkeit
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Die meisten neuzeitlichen Kritiker gehen von der Voraussetzung aus, daß keine Wunder geschehen