„Mein Königreich ist kein Teil dieser Welt“
„Dazu bin ich in die Welt gekommen, damit ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“ (JOH. 18:37)
1, 2. (a) Welcher Trend ist weltweit zu beobachten? (b) Welche Fragen werden in diesem Artikel beantwortet?
„VON Kindheit an habe ich ständig Unrecht erlebt“, erinnert sich eine Schwester aus Südeuropa. „Darum lehnte ich das politische System meines Landes ab und unterstützte Vorstellungen, die viele als radikal bezeichnet hätten. Jahrelang war ich sogar mit einem Terroristen zusammen.“ Auch ein Bruder aus Afrika hielt früher Gewalt für gerechtfertigt. „Ich dachte, mein Stamm sei allen anderen überlegen, und ich schloss mich einer politischen Partei an“, sagt er. „Uns wurde beigebracht, Gegner mit Speeren zu töten — sogar unsere eigenen Stammesangehörigen, wenn sie für eine andere Partei waren.“ Eine Schwester aus Mitteleuropa räumt ein: „Ich hatte Vorurteile und hasste jeden, der eine andere Nationalität oder einen anderen Glauben hatte.“
2 Diese Aussagen spiegeln einen weltweiten Trend wider: Gewaltbereite Unabhängigkeitsbewegungen haben Zulauf, Gräben zwischen politischen Lagern werden tiefer und in vielen Ländern erleben Ausländer immer größere Feindseligkeit. Wie vorausgesagt sind die Menschen in den letzten Tagen „für keine Übereinkunft zugänglich“ (2. Tim. 3:1, 3). Wie können Christen die Einheit bewahren, während die Konflikte in der Welt immer mehr zunehmen? Auch Jesus lebte in einem politisch aufgeheizten Klima. Warum hielt er sich konsequent aus Unabhängigkeitsbestrebungen heraus? Wie zeigte er, dass Diener Gottes in politischen Fragen neutral sein sollten? Und wie machte Jesus deutlich, dass Gewalt gegen andere keine Option ist?
WIE JESUS ZU UNABHÄNGIGKEITSBEWEGUNGEN STAND
3, 4. (a) Welche politischen Erwartungen hatten die Juden zur Zeit Jesu? (b) Welchen Einfluss hatte der Zeitgeist auf die Erwartungen der Jünger?
3 Viele Juden, denen Jesus predigte, sehnten sich nach Unabhängigkeit von Rom. Zeloten, also jüdische Nationalisten, förderten dieses Denken. Einige von ihnen griffen sogar zu Gewalt. Viele dieser Extremisten waren Anhänger von Judas, dem Galiläer, einem falschen Messias des ersten Jahrhunderts, der viele irreführte. Der jüdische Historiker Josephus sagte über ihn, er verleite „seine Landsleute zum Abfall, indem er es für schmachvoll erklärte, wenn sie noch fernerhin Abgaben an die Römer entrichten“. Judas wurde schließlich von den Römern hingerichtet (Apg. 5:37).
4 Auch weniger radikal eingestellte Juden erwarteten sehnsüchtig einen politischen Messias. Er sollte sie von den Römern befreien und ihrer Nation zu Ruhm verhelfen (Luk. 2:38; 3:15). Viele glaubten, der Messias würde als König in Israel regieren. Millionen zerstreut lebender Juden würden dann in ihr Heimatland zurückkehren. Beispielsweise fragte Johannes der Täufer Jesus einmal: „Bist du der Kommende, oder sollen wir einen anderen erwarten?“ (Mat. 11:2, 3). Vielleicht wollte Johannes wissen, ob jemand anderes die Hoffnung der Juden erfüllen würde. Nach seiner Auferstehung traf Jesus auf dem Weg nach Emmaus zwei Jünger. Auch ihre Erwartungen an den Messias hatten sich nicht erfüllt. (Lies Lukas 24:21.) Und kurz darauf fragten die Apostel Jesus: „Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Königreich wieder her?“ (Apg. 1:6).
5. (a) Warum wollten die Galiläer Jesus zum König machen? (b) Wie korrigierte Jesus ihre Denkweise?
5 Diese Vorstellung vom Messias führte offensichtlich dazu, dass die Galiläer Jesus zum König machen wollten. Man kann sich vorstellen, warum sie ihn für den idealen Herrscher hielten: Er war ein herausragender Redner, konnte Kranke heilen und Hungrige mit Nahrung versorgen. Als Jesus einmal über 5 000 Menschen gespeist hatte, bemerkte er, „dass sie im Begriff waren, . . . ihn zum König zu machen“. Deshalb „zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein“ (Joh. 6:10-15). Am nächsten Tag hatte ihre erste Begeisterung vermutlich etwas nachgelassen. Jetzt erklärte Jesus der Volksmenge den eigentlichen Grund seiner Tätigkeit: Er war gekommen, um dem Volk geistig zu helfen, nicht materiell. „Wirkt nicht für die Speise, die vergeht“, sagte er, „sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt“ (Joh. 6:25-27).
6. Wie machte Jesus deutlich, dass er kein Interesse an politischem Einfluss hatte? (Siehe Anfangsbild.)
6 Kurz vor seinem Tod dachten einige seiner Jünger, Jesus würde einmal als König in Jerusalem regieren. Um das richtigzustellen, erzählte er das Gleichnis von den Minen. Darin vergleicht sich Jesus mit einem „Menschen von vornehmer Geburt“, der für lange Zeit in ein fernes Land reiste (Luk. 19:11-13, 15). Auch vor Vertretern des Römischen Reiches bekräftigte Jesus seine Neutralität. Pontius Pilatus fragte ihn: „Bist du der König der Juden?“ (Joh. 18:33). Pilatus befürchtete wohl, Jesus könnte einen Aufstand verursachen. Jesus entgegnete: „Mein Königreich ist kein Teil dieser Welt“ (Joh. 18:36). Er ließ sich nicht in die Politik hineinziehen. Sein Königreich würde im Himmel sein. Er erklärte Pilatus, er sei auf die Erde gekommen, um „für die Wahrheit Zeugnis abzulegen“. (Lies Johannes 18:37.)
7. Was macht es manchmal schwer, neutral zu bleiben?
7 Jesus hatte seinen Auftrag klar vor Augen. Wenn es bei uns genauso ist, sympathisieren wir nicht mit irgendeiner Unabhängigkeitsbewegung — auch nicht in Gedanken. Das kann schwierig sein. „In unserer Gegend werden die Leute immer radikaler“, berichtet ein reisender Aufseher. „Nationalistisches Denken ist weitverbreitet. Viele sind sich sicher, politische Unabhängigkeit würde ihre Situation verbessern. Wie gut, dass sich die Brüder auf das Predigen der guten Botschaft konzentrieren und so die Einheit bewahren. Sie vertrauen darauf, dass Gott Ungerechtigkeit beseitigen und auch alle anderen Probleme lösen wird.“
WIE JESUS MIT POLITISCHEN FRAGEN UMGING
8. Worunter hatten die Juden im ersten Jahrhundert zu leiden?
8 Ungerechtigkeit bewirkt oft, dass sich Menschen für politische Themen engagieren. Im ersten Jahrhundert waren Steuern ein brisantes Thema. Zum Beispiel kam es zu dem bereits erwähnten Aufstand von Judas, dem Galiläer, als die Römer dazu aufriefen, sich für die Steuern zu registrieren. Jesu Zuhörer mussten viele verschiedene Steuern zahlen, unter anderem auf Waren, Grundbesitz und Häuser. Und die Korruption der Steuereinnehmer verschlimmerte die Lage noch. Damals erwarben Steuereinnehmer das Recht Steuern einzutreiben bei öffentlichen Auktionen und bereicherten sich dann an den Einnahmen. Zachäus, der Obersteuereinnehmer von Jericho, war durch Erpressung reich geworden (Luk. 19:2, 8). So war es vermutlich bei vielen Steuereinnehmern.
9, 10. (a) Wie versuchten Jesu Feinde, ihn in eine politische Streitfrage zu verwickeln? (b) Was lernen wir aus Jesu Antwort? (Siehe Anfangsbild.)
9 Einmal versuchten die Parteianhänger des Herodes, Jesus eine Falle zu stellen. Sie wollten ihn dazu bringen, in einer Steuerfrage Partei zu ergreifen. Es ging um die Kopfsteuer von einem Denar, die jeder Einwohner des römischen Reiches zahlen musste. (Lies Matthäus 22:16-18.) Diese Steuer erinnerte die Juden an die römische Besatzung und war ihnen deshalb ein besonderer Dorn im Auge. Hätte sich Jesus gegen die Steuer ausgesprochen, hätte man ihn der Anstiftung zum Aufruhr beschuldigen können. Wäre er für die Steuer gewesen, hätte er vielleicht seine Anhänger verloren.
10 Jesus blieb bei diesem Thema absolut neutral: „Zahlt . . . Cäsars Dinge Cäsar zurück, Gottes Dinge aber Gott“, sagte er (Mat. 22:21). Er wusste natürlich, wie verbreitet Korruption unter Steuereinnehmern war. Trotzdem ließ er sich nicht ablenken, sondern behielt die wirkliche Lösung im Blick, Gottes Königreich. Damit gab Jesus seinen Nachfolgern ein Beispiel. Auch sie sollten sich nicht in politische Fragen hineinziehen lassen, ganz gleich wie gerecht oder ehrenwert ein Ziel zu sein scheint. Statt sich eine feste Meinung zu gewissen Ungerechtigkeiten zu bilden und sich gegen solche auszusprechen, suchen Christen Gottes Königreich und seine Gerechtigkeit (Mat. 6:33).
11. Was ist die beste Möglichkeit, sich für Gerechtigkeit einzusetzen?
11 Viele Zeugen Jehovas haben es geschafft, eine tief sitzende politische Meinung aufzugeben. „Durch die Soziologiekurse an der Uni entwickelte ich radikale Ansichten“, sagt eine Schwester aus Großbritannien. „Ich wollte die Rechte von Schwarzen verteidigen, weil wir so viel Ungerechtigkeit erlitten haben. Oft gewann ich Streitgespräche, war hinterher aber trotzdem frustriert. Ich verstand nicht, dass die Ursache von Rassismus im Herzen der Menschen liegt und dass diese zuerst beseitigt werden musste. Als ich dann die Bibel studierte, erkannte ich: Ich musste mit meinem eigenen Herzen anfangen. Letztendlich war es eine weiße Schwester, die mich auf meinem Weg begleitete. Heute bin ich Pionier in einer gebärdensprachigen Versammlung und lerne, den unterschiedlichsten Menschen zu helfen.“
„STECKE DEIN SCHWERT WIEDER AN SEINEN PLATZ“
12. Wovor sollten sich Jesu Jünger in Acht nehmen?
12 Zur Zeit Jesu vermischten sich oft Religion und Politik. In dem Buch Er kam in sein Eigentum. Die Umwelt Jesu wird bemerkt, „daß die religiösen Sekten, in die die Juden aufgespalten waren, im großen und ganzen dem entsprachen, was wir politische Parteien nennen“. Darum warnte Jesus seine Jünger: „Haltet eure Augen offen, nehmt euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes in Acht“ (Mar. 8:15). Jesus erwähnte hier verschiedene politische Lager. Mit „Herodes“ bezog er sich wohl auf seine Parteianhänger. Er nannte auch die Pharisäer, die für die jüdische Unabhängigkeit waren. Wie Matthäus berichtet, erwähnte Jesus in diesem Gespräch außerdem die Sadduzäer. Sie wollten, dass alles so blieb, wie es war. Viele von ihnen hatten unter der römischen Verwaltung großen politischen Einfluss. Jesus bezeichnete die Lehren dieser drei Lager als Sauerteig. Er warnte seine Nachfolger eindringlich davor, sich von ihnen beeinflussen zu lassen (Mat. 16:6, 12). Interessant ist: Diese Unterhaltung fand kurz nach dem Versuch statt, Jesus zum König zu machen.
13, 14. (a) Wie führte die Vermischung von Religion und Politik zu Gewalt? (b) Warum rechtfertigt Ungerechtigkeit keine Gewalt? (Siehe Anfangsbild.)
13 Die Mischung aus Religion und Politik führt leicht zu Gewalt. Jesus lehrte seine Jünger, unter allen Umständen neutral zu bleiben. Das war ein Grund dafür, warum ihn die Pharisäer und die Oberpriester umbringen wollten. Sie betrachteten ihn als politischen und religiösen Rivalen. „Wenn wir ihn so gewähren lassen“, befürchteten sie, „werden sie alle an ihn glauben, und die Römer werden kommen und sowohl unsere Stätte als auch unsere Nation wegnehmen“ (Joh. 11:48). Darum trieb der Hohe Priester Kaiphas das Komplott gegen Jesus voran (Joh. 11:49-53; 18:14).
14 Kaiphas schickte Soldaten, um Jesus bei Nacht festzunehmen. Weil Jesus das wusste, wies er seine Jünger beim letzten gemeinsamen Essen an, Schwerter mitzunehmen. Zwei wären genug für eine wichtige Lektion (Luk. 22:36-38). Später in jener Nacht verteidigte Petrus Jesus mit einem dieser Schwerter — so aufgebracht war er über die ungerechte nächtliche Verhaftung (Joh. 18:10). Aber Jesus sagte zu ihm: „Stecke dein Schwert wieder an seinen Platz, denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen“ (Mat. 26:52, 53). Das passte zu seinem vorherigen Gebet: Die Jünger sollten kein Teil der Welt sein. (Lies Johannes 17:16.) Gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen ist Gottes Sache.
15, 16. (a) Wie hat die Bibel das Leben von Menschen verändert? (b) Was sieht Jehova heute in der Welt, und was bei seinen Dienern?
15 Die eingangs erwähnte Schwester aus Südeuropa lernte die gleiche Lektion. „Ich habe gesehen, dass Gewalt keine Gerechtigkeit bringt“, bemerkt sie. „Viele, die zu Gewalt gegriffen haben, sind heute tot. Andere sind verbittert. Ich war so glücklich, aus der Bibel zu erfahren, dass nur Gott für wahre Gerechtigkeit auf der Erde sorgen kann. Seit 25 Jahren ist das meine Botschaft.“ Der Bruder aus Südafrika hat seinen Speer gegen „das Schwert des Geistes“, die Bibel, getauscht. Er spricht jetzt mit seinen Mitmenschen über eine Botschaft des Friedens, ganz egal, zu welchem Stamm sie gehören (Eph. 6:17). Die Schwester aus Mitteleuropa heiratete nach ihrer Taufe einen Bruder aus einer Volksgruppe, die sie früher hasste. Alle drei änderten sich, weil sie sein wollten wie Jesus.
16 Solche Änderungen sind lebenswichtig. Die Bibel vergleicht die Menschheit mit einem aufgewühlten Meer, das nie zur Ruhe kommt (Jes. 17:12; 57:20, 21; Offb. 13:1). Durch politische Konflikte werden Menschen aufgewiegelt, entzweit und zu sinnloser Gewalt verleitet. Aber wir arbeiten weiter an Einheit und Frieden. Wie sehr sich Jehova doch freut, die Einheit seiner Diener in dieser zerstrittenen Welt zu sehen! (Lies Zephanja 3:17.)
17. (a) Wie können wir unsere christliche Einheit bewahren? (b) Worum geht es im nächsten Artikel?
17 Wie können wir also Einheit fördern? Wir haben drei Schlüssel besprochen: 1. Wir vertrauen darauf, dass Gottes Königreich für Gerechtigkeit sorgen wird. 2. Wir ergreifen in politischen Angelegenheiten niemals Partei. 3. Wir sagen Nein zu Gewalt. Unsere Einheit kann auch durch Vorurteile gefährdet werden. Der nächste Artikel zeigt, wie Christen im ersten Jahrhundert damit umgingen und was wir von ihnen lernen können.