Nächstenliebe ist möglich
DAS Gleichnis Jesu Christi von dem Samariter zeigt, was echte Nächstenliebe in Wirklichkeit bedeutet (Lukas 10:25-37). Jesus lehrte auch: „‚Du sollst Jehova, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Sinn.‘ Dies ist das größte und erste Gebot. Das zweite, ihm gleiche, ist dieses: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘“ (Matthäus 22:37-39).
Fällt es uns wie vielen anderen Menschen schwer, unseren Nächsten zu lieben, wenn dieser einer anderen ethnischen Gruppe angehört? Vielleicht empfinden wir so, weil wir schon persönlich diskriminiert oder ungerecht behandelt wurden oder eine solche Behandlung beobachtet haben. Möglicherweise sind wir oder unsere Angehörigen sogar von Mitgliedern anderer Gruppen mißhandelt worden.
Da es, wie Jesus erklärte, ein Gebot Gottes ist, unseren Nächsten zu lieben, muß es möglich sein, solche starken Gefühle zu überwinden. Der Schlüssel dazu liegt darin, so über Menschen zu denken, wie Gott und Christus es tun. Betrachten wir, welches Beispiel Jesus und die ersten Christen in dieser Hinsicht gaben.
Das vorzügliche Beispiel Jesu
Die Juden im ersten Jahrhundert hegten starke Antipathie gegen die Samariter, ein Volk, das in dem Gebiet zwischen Judäa und Galiläa lebte. Voller Verachtung sagten jüdische Gegner bei einer Gelegenheit zu Jesus: „Sagen wir nicht mit Recht: Du bist ein Samariter und hast einen Dämon?“ (Johannes 8:48). Manche Juden verfluchten Samariter sogar öffentlich in den Synagogen und beteten täglich darum, den Samaritern möge kein ewiges Leben geschenkt werden — so ausgeprägt war die Feindseligkeit gegenüber den Samaritern.
Zweifellos veranlaßte das Wissen um jenen tiefverwurzelten Haß Jesus dazu, das Gleichnis von dem Samariter zu erzählen, der sich als echter Nächster erwies, indem er sich um den von Räubern mißhandelten Juden kümmerte. Was hätte Jesus auf die Frage des im mosaischen Gesetz bewanderten Juden „Wer ist in Wirklichkeit mein Nächster?“ erwidern können? (Lukas 10:29). Nun, Jesus hätte auf direkte Weise antworten und sagen können: „Nicht nur deine Mitjuden, sondern auch andere Menschen, sogar Samariter, zählen zu deinen Nächsten.“ Das zu akzeptieren wäre Juden allerdings sehr schwer gefallen. Deshalb erzählte Jesus eine Geschichte von einem Juden, dem ein Samariter Barmherzigkeit erwies. Auf diese Weise half Jesus seinen jüdischen Zuhörern, zu der Schlußfolgerung zu kommen, daß echte Nächstenliebe sich auch auf Nichtjuden erstreckte.
Jesus hegte keinerlei feindselige Gefühle gegenüber Samaritern. Einmal reiste er durch Samaria, und während seine Jünger in einer nahe gelegenen Stadt Lebensmittel besorgten, ruhte er sich an einem Brunnen aus. Als eine Samariterin kam, um Wasser zu schöpfen, sagte er: „Gib mir zu trinken.“ Weil die Juden nicht mit den Samaritern verkehrten, fragte die Frau: „Wie kommt es, daß du, obwohl du ein Jude bist, mich um einen Trunk bittest, da ich doch eine samaritische Frau bin?“ Jesus gab ihr Zeugnis und bekannte sogar offen, der Messias zu sein. Als Reaktion darauf ging die Frau in die Stadt zurück und forderte andere auf, zu kommen und Jesus zuzuhören. Mit welchem Ergebnis? „Viele der Samariter aus jener Stadt glaubten nun an ihn.“ Welch ein hervorragendes Resultat — und das, weil Jesus sich nicht von der vorherrschenden Einstellung seiner jüdischen Zeitgenossen hemmen ließ! (Johannes 4:4-42).
Gott ist nicht parteiisch
Gott wollte, daß Jesus hauptsächlich den Juden, „den verlorenen Schafen des Hauses Israel“, predigte (Matthäus 15:24). Aus diesem Grund waren Jesu erste Nachfolger jüdischer Herkunft. Doch nur drei Jahre nachdem zu Pfingsten 33 u. Z. der heilige Geist ausgegossen worden war, brachte Jehova deutlich zum Ausdruck, daß er von jüdischen Gläubigen erwartete, das Werk des Jüngermachens auf Menschen aus den Nationen, auf Nichtjuden, auszudehnen.
Einen Samariter wie sich selbst zu lieben wäre einem Juden schon schwer genug gefallen. Unbeschnittenen Nichtjuden Nächstenliebe zu erweisen, also Personen, die noch weniger Gemeinsamkeiten mit den Juden hatten als die Samariter, wäre ihm ungleich schwerer gefallen. In einem Kommentar über die Einstellung der Juden zu den Nichtjuden heißt es in der International Standard Bible Encyclopaedia: „In der Zeit des Neuen Testaments finden wir die extremste Form von Abscheu, Verachtung und Haß. Sie [die Nichtjuden] wurden als unrein betrachtet, was jegliche freundlichen Beziehungen untersagte. Sie waren die Feinde Gottes und seines Volkes, denen die Erkenntnis Gottes verwehrt wurde, es sei denn, sie wurden Proselyten, und selbst dann konnten sie, anders als in alter Zeit, nicht als vollwertig in die Gemeinschaft aufgenommen werden. Es war Juden verboten, ihnen Rat zu geben, und wenn sie Fragen über Göttliches stellten, waren sie zu verfluchen.“
Zwar wurde diese Auffassung von vielen vertreten, doch Jehova ließ den Apostel Petrus eine Vision sehen, in der ihm gesagt wurde, er solle aufhören, „die Dinge verunreinigt zu nennen, die Gott gereinigt hat“. Anschließend führte Gott ihn zum Haus des Nichtjuden Kornelius. Petrus gab Kornelius, dessen Familienangehörigen und anderen Nichtjuden Zeugnis über Christus. „Bestimmt merke ich“, sagte Petrus, „daß Gott nicht parteiisch ist, sondern daß für ihn in jeder Nation der Mensch, der ihn fürchtet und Gerechtigkeit wirkt, annehmbar ist.“ Noch während Petrus predigte, fiel der heilige Geist auf die neuen Gläubigen, worauf man sie taufte und sie die ersten nichtjüdischen Nachfolger Christi wurden (Apostelgeschichte, Kapitel 10).
Jesu jüdische Nachfolger nahmen diese Entwicklung an, weil sie erkannten, daß sich Jesu Gebot „Macht Jünger aus Menschen aller Nationen“ nicht auf die Juden in allen Ländern beschränkte, sondern die Nichtjuden einschloß (Matthäus 28:19, 20; Apostelgeschichte 11:18). Sie überwanden jegliche feindseligen Gefühle, die sie womöglich gegenüber Nichtjuden gehegt hatten, und organisierten eifrig einen Predigtfeldzug, um unter den Nationen Jünger zu machen. Keine 30 Jahre später konnte gesagt werden, die gute Botschaft sei „in der ganzen Schöpfung, die unter dem Himmel ist“, gepredigt worden (Kolosser 1:23).
Ein Vorkämpfer jenes Predigtwerks war der Apostel Paulus — selbst ein Christ jüdischer Herkunft. Bevor er ein Nachfolger Christi wurde, war er ein eifriges Mitglied der Sekte der Pharisäer gewesen. Diese verachteten nicht nur Nichtjuden, sondern sogar die gewöhnlichen Menschen ihrer eigenen Nation (Lukas 18:11, 12). Doch Paulus ließ sich durch derartige Ansichten nicht davon abhalten, anderen Nächstenliebe zu erweisen. Vielmehr wurde er „ein Apostel für die Nationen [Nichtjuden]“ und widmete sein Leben dem Werk des Jüngermachens in vielen Ländern rund um das Mittelmeer (Römer 11:13).
Während seines Dienstes wurde Paulus gesteinigt, geschlagen und ins Gefängnis geworfen (Apostelgeschichte 14:19; 16:22, 23). Haben solch harte Erfahrungen ihn verbittert und zu dem Schluß kommen lassen, er verschwende seine Zeit mit bestimmten Nationen und Volksgruppen? Ganz und gar nicht. Er wußte, verstreut in den vielen Volksgruppen seiner Zeit lebten einzelne ehrlichgesinnte Menschen.
Paulus lernte Nichtjuden lieben, die bereit waren, sich in Gottes Wegen unterweisen zu lassen. So schrieb er etwa an die Thessalonicher: „Wir wurden in eurer Mitte sanft, wie wenn eine nährende Mutter ihre eigenen Kinder hegt und pflegt. Da wir also eine innige Zuneigung zu euch haben, hat es uns wohlgefallen, euch nicht nur an der guten Botschaft Gottes teilhaben zu lassen, sondern auch an unseren eigenen Seelen, weil ihr uns lieb geworden wart“ (1. Thessalonicher 2:7, 8). Wie diese von Herzen kommenden Worte beweisen, liebte Paulus die nichtjüdischen Thessalonicher wirklich, und er ließ nicht zu, daß irgend etwas sein gutes Verhältnis zu ihnen störte.
Aktive Nächstenliebe
Wie im ersten Jahrhundert pflegen auch heute alle, die sich der Christenversammlung anschließen, Nächstenliebe gegenüber Menschen aller Volksgruppen. Echte Christen haben sich Gottes Ansicht über ihre Mitmenschen zu eigen gemacht und teilen ihnen die gute Botschaft vom Königreich mit. So konnten sie Menschen verstehen lernen, die sie ansonsten nie kennengelernt hätten. Ja sie empfinden ihnen gegenüber sogar brüderliche Liebe (Johannes 13:34, 35). Dasselbe kannst auch du erfahren.
Eine solche Liebe ist unter Jehovas Zeugen zu finden, obgleich sie in 229 Ländern und Inselgebieten leben und „aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Zungen“ stammen (Offenbarung 7:9). Als eine weltweite Bruderschaft vereint sie die Anbetung Jehovas, die Weigerung, sich an ethnischen Konflikten und Konkurrenzkämpfen zu beteiligen, sowie die Ablehnung aller Vorurteile, die Menschen daran hindern, sich eines herzlichen Verhältnisses zu ihren Mitmenschen zu erfreuen.
Lerne Jehovas Zeugen kennen, und du wirst beobachten können, wie Menschen aus allen Volksgruppen Gottes Willen tun. Du wirst sehen, wie sie, angetrieben von Nächstenliebe, die gute Botschaft von Gottes Königreich verkündigen. Und in ihren Versammlungen wirst du freundlichen, aufrichtigen Menschen begegnen, die durch ihr Leben zeigen, daß sie wirklich gelernt haben, ihren Nächsten zu lieben.
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In den Versammlungen der Zeugen Jehovas wirst du glücklichen Menschen aus allen Rassen begegnen
[Bildnachweis auf Seite 4]
Ankunft des Barmherzigen Samariters in der Herberge/The Doré Bible Illustration/Dover Publications, Inc.