Unsere erstaunliche Sprache — Wie wir sie uns aneignen

HABEN dir je die Worte gefehlt? Solche Augenblicke sind selten, da es uns gewöhnlich Freude bereitet, unsere Gedanken und Gefühle mitzuteilen. Die Sprache ermöglicht uns dies. Ein Experte behauptet: „Das Denken ist ohne Sprache unmöglich.“

In der Tierwelt geht der Austausch von Informationen ohne Worte vor sich: Vögel singen, Löwen brüllen, Delphine pfeifen, und Bienen tanzen. Andere Tiere verständigen sich durch ihre Körperhaltung, durch Bewegungen, durch Berührung und durch Schall — und sogar durch Gerüche. „Bleib weg!“ „Sieh dich vor!“ „Komm mit!“ Dies sind unmißverständliche Mitteilungen unter den Tieren.

Die Verständigung der Tiere ist jedoch sehr begrenzt. Dem Menschen hingegen ermöglicht es die Sprache, über alles zu sprechen, was er beobachtet oder sich vorstellt. Dennis Child, Professor für Pädagogik, sagte: „Die Sprache ist der höchste Vorzug des Menschen.“ Aber wie eignen wir uns diesen wunderbaren Vorzug an? Und wie können Eltern ihren Kindern helfen, ihn zu erlangen?

Gehirn und Sprache

Gelehrte zerbrechen sich seit Jahrhunderten den Kopf darüber, wie wir das Sprechen lernen. Bemerkenswerterweise lernen kleine Kinder, die kaum laufen oder selbständig essen können, sprechen, ohne die Regeln der Grammatik zu kennen und ohne besonders dafür geschult zu werden. Der Sprachwissenschaftler Ronald W. Langacker schreibt: „[Das Kind] beherrscht ... ein Sprachsystem. Es stützt sich dabei auf indirekte und bruchstückhafte Beweise, und das in einem Alter, in dem es noch nicht des logischen und analytischen Denkens fähig ist.“

Die meisten Wissenschaftler sind daher der Meinung, daß nicht eine bestimmte Sprache, sondern die Fähigkeit, eine Sprache zu erlernen, angeboren ist, eine Fähigkeit, die sich in den ersten Lebensjahren entfaltet.

Zunächst ist das Gehirn eines Kindes jedoch zu unausgereift für die Sprachentwicklung. Dies hält das Kind allerdings nicht davon ab, sich im Sprechen zu versuchen. Tatsächlich sind einige Forscher der Meinung, das Geplapper eines Babys sei ein Teil seiner Sprachentwicklung, eine Art Einübung für das spätere Aussprechen von Wörtern. Während sich das Kind mit dem Aussprechen von Lauten abmüht, bereitet sich auch sein Gehirn rasch auf die Sprache vor. Zwar entwickelt sich der Körper eines Kindes vor Erreichen des zehnten Lebensjahres relativ langsam, doch sein Gehirn hat im Alter von fünf Jahren bereits 90 Prozent seines endgültigen Gewichts erreicht. (Das volle Gewicht wird im Alter von 12 Jahren erreicht.) Das bedeutet, daß die ersten fünf Lebensjahre eine entscheidende Lernperiode sind, vor allem die ersten beiden Jahre.

Während dieser Zeit wachsen und verzweigen sich Milliarden von Nervenzellen in der Großhirnrinde und bilden ein dicht verknüpftes Netz. Zwischen dem 15. und dem 24. Lebensmonat geht ein sprunghaftes Wachstum der Gehirnzellen vor sich. Nun ist das Gehirn für das Erlernen einer Sprache bereit. Somit ist es entscheidend, das Kind während dieser ersten Jahre mit der Sprache vertraut zu machen.

Interessanterweise spricht die Bibel von einem jungen Mann namens Timotheus, der „von frühester Kindheit an“ in der Bibel unterwiesen wurde (2. Timotheus 3:15).

Kindern helfen, ihre sprachlichen Fertigkeiten zu entwickeln

Die Mutter spielt in der Sprachentwicklung des Kindes eine wichtige Rolle. Eine feinfühlige Mutter erkennt die Signale ihres Babys und spricht oft mit ihm, lange bevor es versteht, was sie sagt. So wird ein Fundament für die Sprache gelegt. Bald reagiert das Kind auf die Worte der Mutter mit eigenen Worten. Der Forscher M. I. Lisina sagt: „Es ist offenkundig, daß die Sprache des Kindes hauptsächlich ein Mittel zur Interaktion mit Menschen aus seiner Umgebung ist.“ Der Vater, Geschwister, Großeltern und Freunde können also durch Gespräche, durch das Erzählen von Geschichten und durch Vorlesen bei der Sprachentwicklung des Kindes mitwirken.

Der schwedische Psychologe C. I. Sandström beobachtete außerdem, daß die Kinder, die sich mit dem Sprechen am leichtesten taten, „durchschnittlich einen wesentlich besseren Kontakt zu Erwachsenen hatten. Die Familie frühstückte gewöhnlich gemeinsam, und die Kinder durften an den Gesprächen teilnehmen.“ Kinder mit dürftigen sprachlichen Fähigkeiten hingegen „frühstückten meist allein“ und „beteiligten sich kaum an den Gesprächen beim Abendessen“. Das Einnehmen der Mahlzeiten als Familie fördert demnach die Sprachentwicklung.

Gemeinsame Ausflüge bieten ebenfalls eine gute Möglichkeit, sprachliche Fertigkeiten auszubilden, indem man dem Kind mit einfachen Worten etwas erklärt. Schaut gemeinsam in eine Blüte, seht der Raupe zu, wie sie ein Blatt frißt, oder der Spinne, wie sie ihr Netz spinnt. Nutzt die natürliche Wißbegierde des Kindes, um seinen Wortschatz zu bereichern. Sprecht über die Tiere im Zoo, über die Schneckenhäuser und die Kieselsteine am Wegesrand und über die verschiedenen Speisen, die ihr genießt. All das erfordert zwar Zeit und Geduld, aber das Ergebnis wiegt alle Mühe auf.

Eltern haben festgestellt, daß es eine weitere wertvolle Hilfe gibt, Kinder früh das Sprechen zu lehren. Sie besteht darin, daß man sie regelmäßig die Kassettenaufnahmen der Publikation Mein Buch mit biblischen Geschichtena anhören läßt.

Neue Wörter, neue Redewendungen, neue Ausdrucksmöglichkeiten und ein tieferes Verständnis werden nicht nur auf die Sprache deines Kindes abfärben, sondern auch seine intellektuelle Aufnahmefähigkeit wachsen lassen. Und wenn du deinem Kind zeigst, in welcher Beziehung Naturwunder zu ihrem Konstrukteur stehen, oder Gottes Vorsätze mit ihm besprichst, vertieft sich zudem seine Liebe und Dankbarkeit gegenüber dem Schöpfer (5. Mose 6:6-9).

Glücklicherweise ist die Möglichkeit, den Wortschatz zu vergrößern und sprachgewandter zu werden, nicht auf die Jugendjahre beschränkt. Wir können von Tag zu Tag unsere Sprachfertigkeit vervollkommnen, indem wir neue Wörter lernen und uns grammatisch korrekt ausdrücken. Auf diese Weise fahren wir unaufhörlich fort, unsere erstaunliche Sprache zu erweitern, und uns werden selten die Worte fehlen.

[Fußnote]