Myanmar (Birma/Burma)
ASIENS Riesen Indien und China umrahmen ein Land faszinierender Kontraste — Myanmar.a In der größten Stadt Rangun (birmanisch Yangon) lärmt der Verkehr, Hochhäuser ragen in den Himmel und die Geschäfte wimmeln von Leben. Doch verlässt man Rangun, betritt man ein Land, wo in den Dörfern der Boden mit Wasserbüffeln bearbeitet wird, wo Fremde Aufsehen erregen und die Jahreszeiten den Takt angeben.
Myanmar versprüht den Charme des Asiens von gestern. Klapprige Busse bahnen sich auf holprigen Straßen ihren Weg vorbei an Hirten, die ihre Ziegenherden auf die Weiden treiben, und an voll beladenen Ochsenkarren, die Früchte und Gemüse zum Markt bringen. Die meisten Männer tragen wie eh und je das Lunghi, eine Art Wickelrock. Die Frauen benutzen als Make-up Thanaka, eine Paste aus geriebener Baumrinde. In Myanmar spielt die Religion im Leben der Menschen eine große Rolle. Man schaut mehr zu buddhistischen Mönchen auf als zu Berühmtheiten. Täglich belegen Gläubige die glänzenden Buddhastatuen mit Blattgold als Opfergabe.
Die Menschen in Myanmar haben ein sanftes, rücksichtsvolles Wesen und sind von Natur aus neugierig. Sie gehören acht Hauptvolksgruppen und mindestens 127 Untergruppen an, die sich alle in Sprache, Kleidung, Ernährung und Kultur unterscheiden. Der größte Teil der Bevölkerung lebt in der weiten Ebene Zentralmyanmars, die von dem gewaltigen Irawadi (birmanisch Ayeyarwady) gespeist wird. Dieser etwa 2 000 Kilometer lange Fluss windet sich vom schneebedeckten Himalaja bis zu der warmen Andamanensee. Weitere Millionen bewohnen das ausgedehnte Irawadi-Delta, das sich bis an die Küste erstreckt, sowie die Hochlandkette, die an Bangladesch, Indien, China, Laos und Thailand grenzt.
Die bald 100-jährige Geschichte von Jehovas Zeugen in Myanmar erzählt von ihrem ungebrochenen Glauben und Ausharren. Sie bewahrten ihre neutrale Haltung in Zeiten gewalttätiger Unruhen und politischer Umwälzungen (Joh. 17:14). Weder harte Lebensbedingungen noch Angriffe auf ihren Glauben noch der eingeschränkte Kontakt zu ihren Glaubensbrüdern in aller Welt konnten sie davon abhalten, unermüdlich die gute Botschaft vom Königreich Gottes zu predigen. Uns erwartet ein Bericht, der wirklich sehr zu Herzen geht.
Die bald 100-jährige Geschichte unserer Brüder in Myanmar erzählt von ihrem ungebrochenen Glauben und Ausharren
Das Predigen beginnt
Im epochemachenden Jahr 1914 traf in Birma ein Dampfschiff ein. An Bord zwei Engländer. Hendry Carmichael und seinen Pionierpartner empfing die stickige Hitze des Hafens von Rangun. Sie waren von Indien nach Birma geschickt worden, um hier das Predigtwerk in Angriff zu nehmen. Ihr Gebiet: das ganze Land.
„Selbstverständlich, wenn du dann auch jemand für dich in die neue Welt lässt“
Zu denen, die in Rangun gleich zu Beginn ihrer Predigtreise ausgesprochen positiv reagierten, gehörten zwei Anglo-Inderb: Bertram Marcelline und Vernon French. Auf der Stelle kehrten sie der Christenheit den Rücken und fingen an, ihren Freunden von der Wahrheit zu erzählen. Schon bald trafen sich bei Bertramc regelmäßig an die 20 Personen, die sich mithilfe des Wacht-Turms in die Bibel vertieften.
1928 betrat noch ein Pionier birmanischen Boden: der Engländer George Wright. Er kam von Indien und unternahm eine fünfmonatige Reise durch das Land, auf der er viel Literatur unters Volk brachte. Dazu gehörte sicher auch die 1920 herausgegebene Broschüre Millionen jetzt lebender Menschen werden nie sterben — die allererste Veröffentlichung, die von uns ins Birmanische übersetzt wurde.
Zwei Jahre später fanden die Pioniere Claude Goodman und Ronald Tippin bei ihrer Ankunft in Rangun eine kleine Gruppe vor, die treu Zusammenkünfte abhielt, aber nicht predigen ging. „Wir ermunterten die Brüder, sonntags mit uns in den Dienst zu kommen“, erzählt Claude. „Ein Bruder fragte, ob nicht jemand für ihn predigen gehen könnte. Er würde uns Pioniere dafür auch finanziell unterstützen. Darauf Ron: ‚Selbstverständlich, wenn du dann auch jemand für dich in die neue Welt lässt.‘ “ Das war genau der Schubs, den die kleine Gruppe brauchte. Bald hatten Claude und Ronald jede Menge Predigtdienstpartner.
„Rachel, das ist die Wahrheit!“
Im gleichen Jahr sprachen Ron und Claude mit Sydney Coote, einem Bahnhofsvorsteher in Rangun. Sie gaben ihm zehn Bücher, die man wegen ihrer Vielfarbigkeit auch „Regenbogensatz“ nannte. Nachdem er ein wenig in einem der Bücher gestöbert hatte, rief er seiner Frau zu: „Rachel, das ist die Wahrheit!“ Nicht lange und die ganze Familie Coote diente Jehova.
Sydney konnte sich bei seinen Studien der Bibel so richtig verlieren. Seine Tochter Norma Barber, eine langjährige Missionarin, die jetzt in Großbritannien im Bethel ist, erinnert sich: „Mein Vater legte sein eigenes Nachschlagewerk zur Bibel an. Immer wenn er auf einen Text stieß, der eine bestimmte Lehre belegte, schrieb er ihn in sein Buch unter ein bestimmtes Stichwort. Er nannte sein Buch: Wo stehts?“
So gern wie Sydney wissen wollte, was die Bibel lehrt, so gern wollte er auch anderen davon erzählen. Er schrieb an das indische Zweigbüro und fragte, ob es irgendwo in Birma Zeugen gebe. Als Antwort kam eine große Kiste Literatur sowie eine Liste mit Namen. Norma berichtet: „Jeder Einzelne auf der Liste erhielt von meinem Vater einen Brief mit der Bitte, uns für einen Tag zu besuchen. Es kamen auch fünf oder sechs Brüder, die uns zeigten, wie man informell predigt. Und sofort fingen meine Eltern an, bei ihren Freunden und Nachbarn Literatur zu verteilen. Sie schickten auch Briefe mit etwas Lesestoff an alle Verwandten.“
Einer der Briefe mit der Broschüre Das Königreich — die Hoffnung der Welt erreichte Sydneys Schwester Daisy D’Souza in Mandalay. Unverzüglich schrieb sie zurück und bat um noch mehr Literatur und eine Bibel. Daisys Tochter Phyllis Tsatos erzählt: „Meine Mutter vertiefte sich in die Bücher und hörte bis in die frühen Morgenstunden nicht mehr damit auf, so begeistert war sie. Dann trommelte sie uns sechs Kinder zusammen und verkündete feierlich: ‚Ich trete aus der katholischen Kirche aus, denn ich habe die Wahrheit gefunden.‘ “ Daisys Mann und die Kinder entschieden sich später auch für die Wahrheit. Heute setzen sich vier Generationen der Familie D’Souza treu für Jehova ein.
Unerschrockene Pioniere
In den frühen 30er- Jahren konzentrierten sich engagierte Pioniere beim Predigen vor allem auf die Bevölkerung entlang der Eisenbahnstrecke, die Rangun im Süden mit Myitkyina hoch im Norden nahe der chinesischen Grenze verbindet. Sie predigten auch in zwei Küstenstädten, nämlich Mawlamyine (Moulmein) östlich von Rangun und Sittwe (Akyab) nordwestlich davon. In kürzester Zeit wurden in Mawlamyine und Mandalay kleine Versammlungen gegründet.
Ab 1938 unterstand die Arbeit in Birma dann nicht mehr dem indischen Zweigbüro, sondern dem australischen. Und so trafen nach und nach Pioniere aus Australien und Neuseeland ein. Zu diesen treuen Kämpfern gehörten Fred Paton, Hector Oates, Frank Dewar, Mick Engel und Stuart Keltie. Das waren im wahrsten Sinne des Wortes Pioniere.
Fred Paton erzählt: „Die vier Jahre in Birma brachten mich fast in jeden Winkel des Landes. In dieser Zeit machten mir unter anderem Malaria, Typhus und Ruhr zu schaffen. Oft hatte ich nach einem langen Predigttag nicht einmal einen Platz zum Schlafen. Aber von Jehova bekam ich immer alles, was ich brauchte, und er half mir durch seine Kraft weiterzumachen.“ Frank Dewar, ein kerniger Neuseeländer, sagt: „Da gab es Banditen, Rebellen und außerdem Beamte, die nicht zimperlich waren. Aber selbst die kompliziertesten Probleme haben sich in Luft aufgelöst, wenn man höflich, sanft und stets entgegenkommend blieb. Die meisten merkten bald, dass von Jehovas Zeugen keine Gefahr ausgeht.“
Die Einheimischen wurden von den Pionieren immer liebevoll und mit Respekt behandelt. Das war so ganz anders als die Verachtung, die ihnen sonst von Einwanderern entgegenschlug. Durch ihre freundliche Art erreichten die Pioniere das Herz der demütigen Birmanen, die eine zurückhaltende Art immer einer direkten Konfrontation vorziehen. An dem, was die Pioniere sagten und taten, konnte man erkennen, dass Jehovas Zeugen echte Christen sind (Joh. 13:35).
Erster Kongress in Birma!
Einige Monate nachdem die Pioniere ins Land gekommen waren, begann man im australischen Zweigbüro mit den Planungen für einen Kongress in Rangun. Die City Hall, ein feudales Gebäude mit Marmortreppen und großen Bronzetüren, bot sich dafür geradezu an. Es kamen Delegierte aus Thailand, Malaysia, Singapur und eine Gruppe aus Sydney, die den australischen Zweigdiener Alex MacGillivray begleitete.
Überall wurde der öffentliche Vortrag „Universeller Krieg nahe“ angekündigt. Das erregte großes Aufsehen, brauten sich doch am Horizont Kriegswolken zusammen. Fred Paton sagt: „Dass sich ein Saal so schnell füllen kann! Kaum hatte ich die Eingangstüren geöffnet, schon stürmten die Massen wie wild die Treppen hoch und ins Auditorium. Keine zehn Minuten und mehr als tausend Leute hatten sich in den 850-Sitze-Saal gequetscht.“ Frank Dewar ergänzt: „Bei dem Ansturm blieb uns nichts anderes übrig, als die Eingangstüren zu schließen. Leider mussten an die tausend Leute draußen bleiben. Ein paar waghalsige junge Männer schafften es aber trotzdem durch kleinere Seitentüren in den Saal.“
Die große Resonanz war begeisternd, aber auch, dass so viele Besucher aus den verschiedenen Volksgruppen anwesend waren. Nur wenige Einheimische hatten sich bis dahin für die Wahrheit interessiert, denn ihre Religion war hauptsächlich der Buddhismus. Und die Völker, die eher in die christliche Richtung tendierten (vorwiegend Karen, Kachin und Chin), lebten so weitab vom Schuss, dass die gute Botschaft kaum zu ihnen vorgedrungen war. Da lag ein Feld, reif zur Ernte! Bald würden auch Menschen aus den vielen Volksgruppen Birmas zu der angekündigten „großen Volksmenge“ aus Offenbarung 7:9 gehören.
Die ersten Karen entscheiden sich für Jehova
An einem Tag im Jahr 1940 war die Pionierin Ruby Goff in Insein unterwegs, einer kleinen Stadt außerhalb von Rangun. Irgendwie lief es aber nicht so gut und sie betete: „Jehova, ich möchte doch wenigstens ein einziges Schaf finden, bevor ich wieder nach Hause gehe.“ Prompt traf sie im nächsten Haus Hmwe Kyaing, eine baptistische Karen, die ihr gern zuhörte. Hmwe Kyaing und ihre Töchter Chu May (Daisy) und Hnin May (Lily) waren ziemlich schnell mit einem Bibelstudium einverstanden und machten gute Fortschritte. Leider starb Hmwe Kyaing kurze Zeit später. Doch Lily ließ sich als eine Zeugin Jehovas taufen — die allererste vom Volk der Karen — und auch ihre ältere Schwester Daisy.
Lily und Daisy wurden Pioniere und hinterließen durch ihren ungebremsten Einsatz wirklich etwas Bleibendes. Von ihren Verwandten und denen, mit denen sie die Bibel studierten, setzen sich bis heute Unzählige sowohl in Myanmar als auch im Ausland treu für Jehova ein.
Harte Zeiten
Als 1939 der Zweite Weltkrieg in Europa ausbrach, hielt die ganze Welt den Atem an. In dieser aufgeheizten Atmosphäre erhöhten die Kirchenführer in Birma den Druck auf die Kolonialregierung, unsere Literatur endlich zu verbieten. Daraufhin wurde Mick Engel, der sich um das Literaturlager in Rangun kümmerte, bei einem hohen Beamten der US-Regierung vorstellig, von dem er die amtliche Erlaubnis erhielt, zwei Tonnen Literatur mit Armeetrucks über die Birmastraße nach China zu schaffen.
Fred Paton und Hector Oates fuhren mit der Literatur zum Verladebahnhof in Lashio nahe der chinesischen Grenze. Der für die Konvois nach China zuständige Beamte bekam fast einen Anfall. „Was?“, schrie er. „Mein kostbarer Laderaum für eure dämlichen Traktate? Ich hab noch nicht mal genug Platz für den dringend benötigten Nachschub! Die Medikamente und die militärische Ausrüstung verrotten hier im Freien ja schon.“ Fred schaute ihn einen Augenblick an, öffnete seine Aktentasche, zückte in aller Ruhe das Schreiben und überreichte es mit dem Hinweis, dass es sicher Konsequenzen hätte, wenn die Order aus Rangun nicht befolgt würde. Und siehe da, die Brüder bekamen einen kleinen Lastwagen mit Fahrer und Proviant für ihre Reise nach Zentralchina. Sie fuhren rund 2 400 Kilometer bis in das im Süden gelegene Chongqing (Tschungking) und verbreiteten dort ihre kostbare Fracht. Sogar der Präsident der nationalchinesischen Regierung, Chiang Kai-shek höchstpersönlich, hörte sich an, was sie zu sagen hatten.
Als man das Lager räumen wollte, war nichts mehr zum Räumen da
Im Mai 1941 kam dann tatsächlich die offizielle Anweisung aus Indien, unsere Literatur zu beschlagnahmen. Zwei Brüder, die im Telegrafenamt in Rangun arbeiteten, sahen das Telegramm und alarmierten sofort Mick Engel. Mick rief Lily und Daisy an, sauste zum Literaturlager und zusammen brachten sie die letzten 40 Kartons in verschiedenen Häusern rund um Rangun in Sicherheit. Als man das Lager räumen wollte, war nichts mehr zum Räumen da.
Nur vier Tage nachdem die Japaner Pearl Harbor angegriffen hatten, starteten sie am 11. Dezember 1941 ihren Bombenhagel auf Birma. Am Ende derselben Woche traf sich eine kleine Gruppe Zeugen in einer winzigen Wohnung über dem Hauptbahnhof von Rangun. Bei dieser Gelegenheit besprachen sie einige Bibeltexte, bevor Lily in einer Badewanne feierlich getauft wurde.
Zwölf Wochen später marschierten japanische Truppen in Rangun ein. Sie fanden eine nahezu leere Stadt vor, denn über Hunderttausend waren auf der Flucht nach Indien. Tausende kamen dort aber nie an, denn Hunger, Erschöpfung und Krankheit forderten ihren Tribut. Sydney Coote, der sich mit seiner Familie auch aufgemacht hatte, starb kurz vor der indischen Grenze an heftiger Malaria. Ein anderer Bruder wurde von japanischen Soldaten erschossen. Und als das Haus eines Bruders bombardiert wurde, verloren seine Frau und seine Familie ihr Leben.
In Birma blieb nur eine Handvoll Zeugen übrig. Lily und Daisy zogen nach Pyin Oo Lwin (Maymyo), einem ruhigen Ort in den Bergen nahe Mandalay. Auch dort hörten sie nicht auf, über die Wahrheit zu sprechen, und das trug später gute Früchte. Cyril Gay, ein dritter Zeuge, ließ sich in dem kleinen Dorf Thayarwaddy, circa 100 Kilometer nördlich von Rangun, nieder und wartete dort das Ende des Krieges ab.
Wieder glücklich zusammen
Nach Kriegsende kamen die meisten Brüder und Schwestern, die nach Indien geflohen waren, nach Birma zurück. Im April 1946 waren in der Versammlung Rangun wieder 8 Verkündiger aktiv. Zum Jahresende waren es schon 24 und die Brüder entschieden, einen Kongress zu organisieren.
Er sollte zwei Tage dauern und in einer Schule in Insein stattfinden. Theo Syriopoulos, der die Wahrheit 1932 in Rangun kennengelernt hatte, erzählt: „Ich kam von Indien zurück und erfuhr, dass ich den einstündigen Vortrag für die Öffentlichkeit halten sollte. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich erst zwei 5-Minuten-Aufgaben in der Versammlung in Indien gehabt. Trotzdem war der Kongress ein voller Erfolg und es kamen über 100 Besucher.“
Ein paar Wochen später kam ein Mann, der sich für die Wahrheit interessierte und ein Dorfoberhaupt vom Volk der Karen war, auf die Brüder zu und bot ihnen ein Stück Land an. Es lag im flussnahen Stadtteil Ahlone. Dort, dicht am Zentrum, entstand ein Königreichssaal aus Bambus, in dem rund 100 Personen Platz fanden. Alle waren ganz aus dem Häuschen und wollten jetzt mit neuem Schwung ans Predigen gehen. Eins kann man wirklich sagen: Der Glaube unserer Brüder und Schwestern hatte im Krieg keinen Schaden genommen.
Die ersten Missionare kommen
Anfang 1947 erwartete eine Gruppe von Brüdern am Hafen von Rangun ganz aufgeregt Robert Kirk — den ersten Missionar in Birma. Es dauerte nicht lange und drei weitere folgten: Norman Barber, Robert Richards und Hubert Smedstad. Mit ihnen kam auch Frank Dewar aus Indien zurück, der dort während des Krieges mit dem Pionierdienst weitergemacht hatte.
Es empfing sie eine vom Krieg gezeichnete Stadt. Wo man auch hinsah, Überreste ausgebombter Häuser, die Straßen gesäumt von notdürftigen Bambushütten, in denen Tausende Unterschlupf gefunden hatten. Man hauste quasi auf der Straße, kochte dort, wusch dort ... Die Missionare arrangierten sich mit der Situation und konzentrierten sich voll auf ihre Aufgabe: Die Menschen mussten die Wahrheit aus der Bibel erfahren.
Am 1. September 1947 wurde im Missionarheim in der Signal Pagoda Road, nahe dem Stadtkern, ein Zweigbüro der Watch Tower Society eröffnet. Robert Kirk wurde Zweigaufseher. Kurz darauf zog die Versammlung Rangun aus dem Bambussaal in Ahlone in eine Etagenwohnung in der Bogalay Zay Street. Nur wenige Minuten Fussmarsch entfernt lag das Sekretariat, ein imposantes Gebäude, in dem die britische Kolonialverwaltung ihren Sitz hatte. Doch die Tage dieser Regierung waren gezählt.
Bürgerkrieg!
Am 4. Januar 1948 übergaben die Briten der neuen birmanischen Regierung die Macht. Nach 60 Jahren Kolonialherrschaft wurde Birma in die Unabhängigkeit entlassen. Doch im Land herrschte Bürgerkrieg.
Ethnische Gruppen erhoben sich und forderten gewaltsam ihre staatliche Unabhängigkeit. Privatarmeen und bewaffnete Banden kämpften erbittert um die Kontrolle verschiedener Territorien. Anfang 1949 war der größte Teil des Landes in der Hand Aufständischer und in den Außenbezirken von Rangun brachen Kämpfe aus.
Während der immer wieder aufflammenden Gefechte predigten die Brüder vorsichtig weiter. Das Zweigbüro wurde in eine sicherere Gegend verlegt, von der Signal Pagoda Road in eine große Etagenwohnung in der 39. Straße. In dieser Straße befanden sich mehrere Botschaften und man konnte das Hauptpostamt in nur drei Minuten zu Fuß erreichen.
Stück für Stück drängte die birmanische Armee die Rebellen in die Berge zurück und machte so immer mehr ihren Einfluss geltend. Mitte der 1950er-Jahre hatte die Regierung einen Großteil des Landes wieder unter Kontrolle. Doch das bedeutete keineswegs das Ende des Bürgerkriegs. Bis heute bricht er in der einen oder anderen Form immer wieder aus.
In Birmanisch Herzen erreichen
Bis in die 1950er-Jahre sprachen die Brüder die Menschen hauptsächlich auf Englisch an, das von gebildeten Leuten in den größeren Städten gesprochen wurde. Aber Millionen verständigten sich ausschließlich in Birmanisch beziehungsweise Myanmar oder einer Stammessprache wie Karenisch, Katschinisch oder Chin. Diese Menschen mussten auch von der guten Botschaft hören.
1934 organisierte Sydney Coote, dass ein Lehrer vom Volk der Karen verschiedene Broschüren ins Birmanische und ins Karenische übersetzte. Später nahmen einige Verkündiger die Übersetzung des Buchs „Gott bleibt wahrhaftig“ und mehrerer Broschüren ins Birmanische in Angriff. Ab 1950 sollten dann auch die Wachtturm-Studienartikel übersetzt werden. Damit beauftragte Robert Kirk Bruder Ba Oo. Die handschriftliche Übersetzung wurde an Druckereien in Rangun zum Setzen und Drucken weitergegeben und anschließend an alle verteilt, die zu den Zusammenkünften kamen. Irgendwann kaufte das Zweigbüro eine Schreibmaschine mit birmanischen Schriftzeichen, damit es mit dem Übersetzen schneller ging.
Damals standen die Übersetzer vor den verschiedensten Herausforderungen. „Tagsüber ging ich arbeiten, ich hatte ja eine Familie zu ernähren. Abends machte ich mich dann im trüben Licht einer Glühbirne an die Artikel und übersetzte bis spät in die Nacht“, erzählt Naygar Po Han, der als Übersetzer arbeitete, nachdem es Bruder Ba Oo nicht mehr möglich war. „Meine Englischkenntnisse waren so schlecht, dass ich eine ziemlich miserable Übersetzung abgeliefert haben muss. Aber es sollten doch unbedingt so viele Menschen wie möglich unsere Zeitschriften in die Hände bekommen.“ Als Robert Kirk dann Doris Raj bat, den Wachtturm ins Birmanische zu übersetzen, war sie so überwältigt, dass sie tränenüberströmt zusammenbrach. „Ich war nur ein paar Jahre zur Schule gegangen und hatte überhaupt keine Erfahrung im Übersetzen. Aber Bruder Kirk redete mir gut zu. Also betete ich zu Jehova und machte mich an die Arbeit“, erzählt Doris. Sie arbeitet heute, 50 Jahre später, immer noch in der Übersetzung im birmanischen Bethel. Der inzwischen 93-jährige Naygar Po Han gehört auch zur Bethelfamilie. Ihm liegt wie eh und je alles, was mit dem Königreich zu tun hat, sehr am Herzen.
1956 kam Nathan Knorr aus der Weltzentrale nach Birma und gab bekannt, dass Der Wachtturm zukünftig auch in Birmanisch erscheint. Den Missionaren riet er dringend, Birmanisch zu lernen, um im Dienst mehr erreichen zu können. Das gab ihnen die Motivation, sich von nun an richtig auf die Sprache zu konzentrieren. Ein Jahr später fand ein fünftägiger Kongress in der Railway Institute Hall in Rangun statt. Gastredner war Frederick Franz aus Brooklyn. Er empfahl den Brüdern, das Predigtwerk dadurch voranzutreiben, dass sie Pioniere in andere Regionen sandten, wo sie zunächst in Städten predigen sollten. Die ersten Pioniere wurden nach Mandalay geschickt, in die zweitgrößte Stadt und ehemalige Hauptstadt Birmas.
Mandalay: ein ergiebiges Gebiet
In Mandalay stießen Anfang 1957 sechs neu ernannte Sonderpioniere zu dem frischgebackenen Missionarehepaar Robert und Baby Richards. Baby war vom Volk der Karen. An dem Gebiet hatten die Pioniere aber ziemlich zu knabbern. Die Stadt ist ein Zentrum des Buddhismus und hier lebt ungefähr die Hälfte aller buddhistischen Mönche Birmas. Doch die Pioniere merkten, dass Jehova „viel Volk in dieser Stadt“ hat, so wie einst auch in Korinth (Apg. 18:10).
Da war zum Beispiel der 21-jährige Student Robin Zauja vom Volk der Kachin. Er erinnert sich: „Frühmorgens standen auf einmal Robert und Baby Richards vor meiner Tür und sagten, sie seien Zeugen Jehovas. Sie würden die gute Botschaft von Haus zu Haus predigen, so wie Jesus es in Matthäus 10:11-13 geboten hat. Ich hörte ihnen eine Weile zu, sie gaben mir ihre Adresse, einige Zeitschriften und Bücher. Abends nahm ich mir dann eins der Bücher vor und las es in einem Rutsch bis Sonnenaufgang durch. Noch am gleichen Tag ging ich zu Robert und überschüttete ihn mehrere Stunden mit Fragen. Jede Frage beantwortete er mit der Bibel.“ Robin Zauja war der erste Kachin, der ein Zeuge Jehovas wurde. Später predigte er viele Jahre als Sonderpionier in Nordbirma und half fast hundert Menschen, sich für Jehova zu entscheiden. Zwei seiner Kinder sind heute im birmanischen Zweigbüro.
Oder nehmen wir die 17-jährige Pramila Galliara. Sie hatte gerade erst in Rangun die Wahrheit kennengelernt und war nun eine fleißige Predigerin. Sie sagt: „Mein Vater gehörte dem Dschainismus an und war ein heftiger Gegner meines neuen Glaubens. Zweimal verbrannte er meine Bibel und meine Literatur. Er schlug mich mehrmals in aller Öffentlichkeit. Er schloss mich auch zu Hause ein, damit ich nicht mehr zu den Zusammenkünften gehen konnte, und drohte sogar, das Haus von Bruder Richards anzuzünden. Aber als er merkte, dass ich festblieb, ließ sein Widerstand langsam nach.“ Pramila ging von der Universität ab und startete als Pionierin voll durch. Später heiratete sie den Kreisaufseher Dunstan O’Neill. Durch sie haben bis jetzt 45 Menschen den Weg der Wahrheit kennengelernt.
In Mandalay tat sich also richtig etwas. Unterdessen schickte das Zweigbüro Missionare und Pioniere in andere dichter besiedelte Gebiete wie Pathein (Bassein), Kalaymyo, Bhamaw, Myitkyina, Mawlamyine und Myeik (Mergui). Ihr Einsatz wurde wirklich gesegnet, denn in jeder Stadt entstanden starke Versammlungen.
Missionare müssen das Land verlassen
Während das Predigen gut voranging, steuerten die politischen und ethnischen Konflikte im Land immer mehr einem Höhepunkt zu. Im März 1962 übernahm das Militär schließlich die Macht. Hunderttausende Inder und Anglo-Inder wurden nach Indien und Bangladesch (früher Ostpakistan) deportiert. Für Ausländer, die einreisen wollten, wurden nur noch 24-Stunden-Visa ausgestellt. Birma war eindeutig dabei, sich von der Außenwelt abzukapseln.
Die Brüder verfolgten diese Entwicklung mit wachsender Besorgnis. Zwar garantierte die Militärregierung Religionsfreiheit, doch nur unter der Bedingung, dass sich die Religionen nicht in die Politik einmischten. Wie immer wollten die kirchlichen Missionare natürlich doch ein Wörtchen mitreden. Im Mai 1966 reichte es der Regierung dann endgültig und sie verwies alle eingereisten Missionare des Landes. Unsere Missionare hatten sich peinlichst neutral verhalten, doch auch sie mussten Birma verlassen.
Das war für die Brüder vor Ort ein Schock, aber sie ließen den Kopf nicht hängen. Sie wussten, dass Jehova sie nicht alleine lassen würde (5. Mo. 31:6). Trotzdem war da die Frage, wie es weitergehen sollte.
Und Jehova sorgte sehr schnell für eine Antwort. Dem ehemaligen Kreisaufseher Maurice Raj wurde sofort die Aufsicht über das Zweigbüro übertragen, denn er war mit der Arbeit dort schon etwas vertraut gemacht worden. Obwohl indischstämmig, war er nicht wie andere Inder ausgewiesen worden. Er hatte nämlich einige Jahre zuvor die birmanische Staatsbürgerschaft beantragt. Maurice erzählt, wie das zustande kam: „Dafür hätte ich 450 Kyatd bezahlen müssen. Da ich das Geld nicht hatte, war die Sache für mich erst mal gestorben. Eines Tages, als ich am Büro meiner früheren Firma vorbeiging, sah mich mein ehemaliger Chef und rief mir zu: ‚Hallo Raj, du hast noch Geld zu kriegen!‘ Ich hatte doch glatt vergessen, das Geld abzuholen, das mir durch mein Ausscheiden aus der Firma noch zustand. Es waren 450 Kyat!
Auf dem Weg nach draußen fielen mir gleich tausend Sachen ein, für die ich das Geld hätte ausgeben können. Weil es aber haargenau die Summe war, die ich für die Einbürgerung brauchte, war für mich klar: Jehova wollte, dass ich es dafür verwende. Und wie gut das doch war! Andere Inder mussten Birma verlassen, aber mich konnte keiner des Landes verweisen. Ich konnte ungehindert reisen, Literatur einführen und noch allerhand anderes für das Predigtwerk abwickeln, alles, weil ich birmanischer Staatsbürger war.“
Maurice ging mit Dunstan O’Neill auf eine Tour durch Birma, um allen Versammlungen und abgelegenen Gruppen Mut zuzusprechen. „Wir sagten den Brüdern: ‚Macht euch keine Sorgen. Jehova steht hinter uns. Wenn wir fest zu ihm halten, wird er für uns da sein‘ “, erzählt Maurice. „Und Jehova half uns wirklich. Schon bald gab es eine Menge neuer Sonderpioniere und das Predigen ging besser voran als je zuvor.“
Heute, mehr als 46 Jahre später, reist Maurice als Mitglied des Zweigkomitees immer noch durch Myanmar, um die Brüder zu ermuntern. Er hat viel mit Kaleb gemeinsam, der sich ja auch trotz fortgeschrittenen Alters ungebremst für die Sache Jehovas einsetzte (Jos. 14:11).
Das Predigen im Chin-Staat in Angriff genommen
Einige der neu ernannten Sonderpioniere wurden in den Chin-Staat geschickt, eine bergige Gegend an der Grenze zu Bangladesch und Indien. Baptistische Missionare brachten während der britischen Kolonialzeit den christlichen Glauben in diese Region. Deshalb haben die meisten vom Volk der Chin hohe Achtung vor der Bibel und Bibellehrern.
Ende 1966 ging Lal Chhana, ein ehemaliger Soldat, der jetzt Sonderpionier war, nach Falam, in die damals größte Stadt im Chin-Staat. Ihm schlossen sich Dunstan und Pramila O’Neill und Than Tum an, der vorher auch Soldat gewesen war und sich erst kurz zuvor hatte taufen lassen. Ihr unermüdlicher Einsatz lohnte sich, denn sie stießen bei etlichen Familien auf echtes Interesse. Es entstand eine zwar kleine, aber fleißige Versammlung.
Im Jahr darauf ging Than Tum nach Hakha, südlich von Falam. Dort startete er mit dem Pionierdienst und gründete eine kleine Verkündigergruppe. In den folgenden Jahren führte ihn sein Predigteifer durch den ganzen Chin-Staat, und er konnte auch bei der Gründung von Versammlungen mithelfen, zum Beispiel in Vanhna, Surkhua und Gangaw. Inzwischen sind 45 Jahre vergangen und Than Tum ist nach wie vor ein tüchtiger Sonderpionier in seinem Heimatdorf Vanhna.
Als Than Tum aus Hakha wegging, sprang der 20-jährige Sonderpionier Donald Dewar für ihn ein. Seine Eltern Frank und Lily (vorher Hnin May) Dewar waren erst kürzlich des Landes verwiesen worden, darum zog sein 18-jähriger Bruder Samuel zu ihm. Donald sagt: „Wir wohnten in einer kleinen Blechhütte, wo sich im Sommer die Hitze staute und wir im Winter fast erfroren wären. Aber mir machte die Einsamkeit viel mehr zu schaffen. Meistens ging ich alleine in den Dienst. Den lokalen Dialekt, Haka Chin, beherrschte ich nur sehr schlecht. Bei den Zusammenkünften waren wir nur eine Handvoll, also Samuel, ich und noch ein, zwei andere Verkündiger. Irgendwann war ich so deprimiert, dass ich sogar darüber nachdachte, einfach wegzuziehen.
In dieser Zeit las ich einen bewegenden Bericht im Jahrbuch über unsere Brüder in Malawi, die trotz brutalster Verfolgung treu geblieben waren.e Da dachte ich mir: ‚Wenn du noch nicht mal mit Einsamkeit fertig wirst, wie willst du dann mit Verfolgung fertig werden?‘ Ich vertraute alle meine Ängste und Sorgen Jehova an und fühlte mich langsam besser. Ich nahm mir Zeit zum Bibellesen und dachte auch intensiv über Artikel aus dem Wachtturm nach. Das gab mir Kraft. Dann tauchten plötzlich Maurice Raj und Dunstan O’Neill bei mir auf. Das war, als kämen zwei Engel zu Besuch! Langsam, aber sicher kehrte meine Freude zurück.“
Donald konnte später als Kreisaufseher anderen, die in einer ähnlichen Lage waren, aus eigener Erfahrung viel Mut machen. Und sein treuer Dienst in Hakha hat sich wirklich gelohnt. Heute gibt es dort eine blühende Versammlung und in regelmäßigen Abständen finden Kongresse statt. Zwei von denen, die damals die Zusammenkünfte besuchten, Johnson Lal Vung und Daniel Sang Kha, wurden eifrige Sonderpioniere. Sie verbreiteten die gute Botschaft in großen Teilen des Chin-Staats.
„Wie man Berge erklimmt“
Der Chin-Staat liegt auf einer Höhe von 900 bis 1 800 Metern über dem Meeresspiegel und es gibt hier Berge, die bis zu 3 000 Meter erreichen. Viele sind überzogen von dichten Wäldern, in denen riesige Teak- und imposante Nadelbäume wachsen. Farbenfroher Rhododendron schmückt das Unterholz und überall entdeckt man prächtige Orchideen. Das Gebiet beeindruckt durch seine Wildheit. Reisen ist hier keine Kleinigkeit. Unbefestigte Wege schlängeln sich von Ort zu Ort. Oft verwandeln sie sich durch das Wetter in einen einzigen Morast und auch Erdrutsche machen sie oft völlig unpassierbar. Viele Dörfer erreicht man nur zu Fuß. Doch Jehovas Diener lassen sich durch nichts daran hindern, so viele Menschen wie möglich mit der guten Botschaft zu erreichen.
Aye Aye Thit reiste mit ihrem Mann im Kreisdienst im Chin-Staat. Sie erzählt: „Ich bin im flachen Irawadi-Delta aufgewachsen und war überwältigt von den wunderschönen Chin-Bergen. Mit Schwung nahm ich meinen ersten Hügel und brach völlig außer Atem auf der Kuppe zusammen. Ein paar Hügel weiter war ich dermaßen erschöpft, dass ich dachte, ich müsste sterben. Bald lernte ich, wie man Berge erklimmt: sich Zeit lassen und die Kräfte einteilen. Und dann schaffte ich sogar bis zu 30 Kilometer am Tag, selbst wenn wir sechs Tage oder länger unterwegs waren.“
Im Lauf der Jahre haben die Brüder im Chin-Staat alle möglichen Transportmittel genutzt: Maulesel, Pferd, Fahrrad und in neuerer Zeit auch Motorräder, Allradfahrzeuge oder Pick-ups, auf denen man eine Mitfahrgelegenheit ergattern kann. Doch meistens wird gelaufen. Die Sonderpioniere Kyaw Win und David Zama mussten sich zum Beispiel zig Kilometer mühsam bergauf, bergab kämpfen, um die Dörfer rund um Matupi besuchen zu können. Wollte die Versammlung Matupi den 270 Kilometer entfernten Kongress in Hakha besuchen, bedeutete das einen sechs- bis achttägigen Fußmarsch hin und wieder zurück. Auf dem Weg sangen sie Königreichslieder und ihre Stimmen hallten in den malerischen Hügeln wider.
Auf solchen Gewalttouren waren die Brüder nicht nur dem rauen Wetter in den Bergen ausgeliefert, sondern auch Moskitoschwärmen und allen möglichen anderen Plagegeistern, besonders in der Regenzeit. Myint Lwin, ein Kreisaufseher, erzählt: „Als ich so durch den Wald ging, sah ich auf einmal Blutegel an meinen Beinen. Kaum hatte ich sie abgeschüttelt, waren schon wieder zwei da. Ich sprang auf einen umgestürzten Baumstamm, aber da kamen sie auf einmal scharenweise aus ihren Löchern gekrochen. Panisch rannte ich durch den Wald. Endlich auf der Straße angekommen, war ich übersät mit Blutegeln.“
Doch Blutegel sind nicht das Einzige, was einem auf den Touren durch den Chin-Staat über den Weg laufen kann. Da gibt es Wildschweine, Bären, Leoparden, Tiger, und manche sagen, Myanmar hätte mehr Giftschlangenarten als irgendein anderes Land der Erde. Wenn Gumja Naw und seine Frau Nan Lu im Bezirksdienst von Versammlung zu Versammlung wanderten und nachts unter freiem Himmel schliefen, legten sie überall um sich herum Feuerstellen an. So hielten sie sich die wilden Tiere vom Leib.
Diese Brüder haben sich wirklich nicht geschont, und was sie geleistet haben, wirkt bis heute nach. Maurice Raj sagt: „Sie haben für Jehova alles gegeben. Trotz der Schwierigkeiten, mit denen sie im Chinland fertig werden mussten, waren sie bereit, jederzeit wieder dorthin zu gehen. Ihr Einsatz machte Jehova alle Ehre!“ Obwohl der Chin-Staat die am wenigsten besiedelte Region Birmas ist, gibt es dort heute sieben Versammlungen und einige vereinzelte Gruppen.
„Keine ‚Schafe‘ in Myitkyina“
Myitkyina, ein kleines Bilderbuchstädtchen im Kachin-Staat, schmiegt sich in eine Biegung des Irawadi. Dort, nahe der Grenze zu China, kamen 1966 einige Sonderpioniere an. Sechs Jahre zuvor hatten schon Robert und Baby Richards einen Abstecher hierher gemacht, mit dem Resümee: „Es gibt keine ‚Schafe‘ in Myitkyina.“ Doch jetzt stießen die Pioniere auf Menschen, die nach der Wahrheit hungerten.
So zum Beispiel der 19-jährige Baptist Mya Maung. Er hatte zu Gott gebetet, weil er die Bibel verstehen wollte. Er erzählt: „Die Pioniere sprachen mich auf meinem Arbeitsplatz an und fragten, ob ich die Bibel studieren möchte. Darüber war ich total glücklich! Damit hatte ich die Antwort auf meine Gebete. Mein kleiner Bruder San Aye und ich trafen uns mit den Brüdern zweimal die Woche und es ging richtig gut mit uns voran.
Wir hatten einen ausgezeichneten Lehrer: Wilson Thein. Er sagte uns nicht einfach, was wir zu tun hatten, sondern machte es uns vor. Er übte mit uns, wie man die Bibel gut einsetzt, wie man im Predigtdienst überzeugt auftritt, wie man auf Widerstand reagiert, wie man Aufgaben vorbereitet und wie man sie gut hält. Er hörte sich jede Ausarbeitung an und machte Verbesserungsvorschläge. Er meinte es wirklich gut mit uns, und das motivierte uns, weitere Ziele anzusteuern.
In Namti, Hopin, Mohnyin und Katha gibt es heute starke Versammlungen
San Aye und ich fingen 1968 mit dem Pionierdienst an. Damit waren wir in Myitkyina acht Pioniere. Die Ersten, mit denen wir die Bibel studierten, waren unsere Mutter und sieben unserer Geschwister. Später ließen sie sich alle taufen. Wir predigten auch in den Städten und Dörfern entlang der Bahnlinie Myitkyina—Mandalay. Solche Touren dauerten normalerweise ein bis drei Tage. So konnten wir die Grundlage für späteres Wachstum legen. In Namti, Hopin, Mohnyin und Katha gibt es heute starke Versammlungen.“
Als San Aye in Myitkyina einmal Geschäfte und Büros bearbeitete, traf er Phum Ram, einen Baptisten vom Volk der Kachin, der bei der Regierung angestellt war. Phum Ram war sofort Feuer und Flamme für die Wahrheit. Er zog nach Putao, in einen kleinen Ort am Fuß des Himalaja, und predigte dort seinen vielen Verwandten. Es dauerte nicht lange und 25 Personen kamen zu den Zusammenkünften. Phum Ram wurde Pionier und half seiner Frau, seinen sieben Kindern und anderen aus seiner großen Familie, sich für Jehova zu entscheiden. Heute ist er Ältester und Pionier in Myitkyina.
Abgehängt!
Im Kachin-Staat gab es ein so überraschend starkes Wachstum, dass das Zweigbüro umdisponierte und der internationale Kongress „Friede auf Erden“ 1969 in Myitkyina stattfand — nicht in Rangun, der üblichen Kongressstadt. Um Delegierte von Rangun die über 1100 Kilometer in den Norden zu bringen, wollten die Brüder bei der birmanischen Bahngesellschaft sechs Waggons mieten. Das war ziemlich ungewöhnlich. Der Kachin-Staat galt als Rebellenhochburg und Ein- und Ausreise wurden strengstens kontrolliert. Überraschenderweise bekamen unsere Brüder die Genehmigung aber problemlos.
An dem Tag, als die Kongressbesucher in Myitkyina ankommen sollten, gingen Maurice Raj und eine Gruppe von Brüdern zum Bahnhof, um die Besucher willkommen zu heißen. Maurice berichtet: „Während wir noch warteten, kam der Bahnhofsvorsteher angerannt. Es wäre gerade ein Telegramm gekommen, in dem stehen würde, dass die sechs Wagen mit unseren Delegierten irgendwo zwischen Mandalay und Myitkyina abgehängt worden wären. Die Lok hätte es mit den sechs zusätzlichen Wagen einfach nicht den Berg rauf geschafft.
Da standen wir nun. Unser erster Gedanke war, den Kongress zu verlegen. Aber dann hätten wir noch mal alle möglichen Genehmigungen einholen müssen und das hätte Wochen gedauert. Wir beteten inständig zu Jehova und just in dem Moment kam der Zug angefahren. Wir waren sprachlos! Da rollten sechs Wagen an, voll besetzt mit unseren Brüdern. Sie strahlten übers ganze Gesicht und winkten uns zu. Wir wollten natürlich wissen, was los war, und einer sagte: ‚Ja, die haben sechs Wagen abgehängt, aber nicht unsere!‘ “
„Die haben sechs Wagen abgehängt, aber nicht unsere!“
Und was das für ein Kongress war! Drei neue Veröffentlichungen in Birmanisch und fünf in Englisch! Nachdem die Missionare drei Jahre zuvor des Landes verwiesen worden waren, war die geistige Speise nur noch tröpfchenweise gekommen. Und jetzt überflutete sie Birma geradezu.
Bei den Naga
Vier Monate nach dem Kongress in Myitkyina erreichte das Zweigbüro ein Brief aus Khamti, einem am Fuße von Hügeln gelegenen Flussstädtchen. In diesem Gebiet an der Nordwestgrenze zu Indien wohnen die Naga — ein Zusammenschluss von Stämmen, die früher gefürchtete Kopfjäger waren. Der Schreiber des Briefes war Ba Yee, ein Postangestellter und ehemaliger Siebenten-Tags-Adventist, der um Hilfe bat. Sofort schickte das Zweigbüro zwei Sonderpioniere los, Aung Naing und Win Pe.
Win Pe kann sich noch lebhaft erinnern: „Wir bekamen es richtig mit der Angst zu tun, als wir auf der Landebahn in Khamti die gefürchteten Nagakrieger sahen, lediglich mit Lendenschurzen bekleidet. Ba Yee schoss sofort auf uns zu, um uns zu begrüßen, und schob uns schnell zu einigen Interessierten. Bald hatten wir fünf Bibelstudien.
Dann verdächtigte man uns aber von amtlicher Seite, Baptistenprediger zu sein, die mit den Aufständischen in dem Gebiet gemeinsame Sache machen würden. Unsere Beteuerungen, politisch völlig neutral zu sein, stießen auf taube Ohren und wir mussten innerhalb von vier Wochen wieder abreisen.“
Drei Jahre später waren andere Regierungsvertreter für das Gebiet zuständig und Biak Mawia, ein 18-jähriger Pionier, machte da weiter, wo seine Vorgänger aufgehört hatten. Ba Yee kündigte schon bald seine Stelle bei der Post und wurde Pionier. Außerdem zogen weitere Pioniere zu. Diese fleißige Truppe gründete recht schnell eine Versammlung in Khamti und in den umliegenden Dörfern mehrere kleine Gruppen. Biak Mawia sagt: „Hier im Nagaland hatten die Brüder und Schwestern keine große Schulbildung und konnten oft nicht einmal lesen. Aber sie liebten die Bibel und waren beim Predigen nicht zu bremsen. Und wie geschickt sie die Bilder aus unserer Literatur gebrauchten! Außerdem lernten sie die Königreichslieder auswendig und kannten viele Bibelstellen aus dem Kopf.“
Heute finden in Khamti regelmäßig Bezirkskongresse statt. Sogar Brüder aus dem weit im Süden liegenden Homalin fahren dafür 15 Stunden mit dem Flussboot.
Heftige Schwierigkeiten im Goldenen Dreieck
Unterdessen versuchten die Brüder auf der anderen Seite des Landes alles ihnen Mögliche, um die Wahrheit auch ins Hochland, das an China, Laos und Thailand grenzt, zu bringen. Dieses Hochland bildet das Herzstück des Goldenen Dreiecks, einer wunderschönen Landschaft, durchzogen von lieblichen Hügeln und fruchtbaren Tälern, aber auch gezeichnet von Opiumanbau, den Umtrieben Aufständischer und anderen illegalen Aktivitäten. In dieser unruhigen Gegend gingen die Pioniere besonders umsichtig vor (Mat. 10:16). Doch von einer Seite legte man ihnen ständig Steine in den Weg: von den Geistlichen.
So wurden die Pioniere Robin Zauja und David Abraham bei ihrer Ankunft in dem quirligen Städtchen Lashio im Shan-Staat gleich von ihnen beschuldigt, zu den Aufständischen zu gehören. Robin erzählt: „Wir wurden verhaftet und zum Gefängnis gekarrt, wo die Polizei unsere Papiere sehen wollte. Plötzlich kam ein Major zur Tür rein und rief: ‚Hallo Mister Zauja! Wie ich sehe, sind Jehovas Zeugen in Lashio angekommen.‘ Ich war mit ihm zur Schule gegangen und er ließ uns sofort frei.“
Die zwei machten sich an die Arbeit und schon bald entstand eine recht große Versammlung. Wenig später wurde ein Königreichssaal gebaut. Zwei Jahre danach wurden sie vor eine Abordnung von mehr als 70 Militärs, Stammesoberhäuptern und Geistlichen zitiert. Robin erinnert sich: „Die Geistlichen warfen uns wütend vor, dass wir die Leute dazu drängen würden, ihre religiösen Traditionen aufzugeben. Als der Vorsitzende uns dazu hören wollte, fragte ich ihn, ob ich mich mit der Bibel verteidigen dürfe. Er war einverstanden. Ich sprach ein Stoßgebet und erklärte dann, wie die Bibel zu falschen religiösen Traditionen, dem Militärdienst und nationalistischen Zeremonien steht. Nach meiner Stellungnahme erhob sich der Vorsitzende und verkündete, dass das Recht auf Religionsfreiheit in Birma für jede Religion gilt. Wir durften gehen und konnten mit dem Predigen weitermachen. Da machten die Geistlichen natürlich ein langes Gesicht.“
In Mongpaw, einem kleinen Dorf an der chinesischen Grenze, steckte ein aufgebrachter Mob von Baptisten einen Königreichssaal in Brand. Als sie sahen, dass sich die Brüder davon aber nicht einschüchtern ließen, brannten sie das Haus eines Sonderpioniers nieder und terrorisierten auch die Brüder und Schwestern zu Hause. Die Brüder wandten sich an das Oberhaupt der Region, doch dieser Mann stand auf der Seite der Baptisten. Letzten Endes schritt man von oberster Stelle ein und erteilte die Baugenehmigung für einen neuen Königreichssaal, und zwar nicht auf dem ursprünglichen Grundstück, sondern absolut zentral, mitten im Dorf.
Etwas weiter südlich im Karen-Staat in Leiktho, einem abgeschiedenen Bergdorf an der Grenze zum Goldenen Dreieck, wurde Gregory Sarilo heftig von der katholischen Kirche angegriffen. „Auf Anordnung des Dorfgeistlichen verwüsteten seine ‚Schäfchen‘ meinen Gemüsegarten“, erzählt Gregory. „Danach schenkten sie mir dann etwas zu essen. Doch zum Glück sagte mir ein Freund rechtzeitig, dass es vergiftet war. Eines Tages fragten mich die Komplizen des Geistlichen, welchen Weg ich morgen nehmen würde. Nur weil ich dann einen anderen Weg nahm, konnte ich ihrem hinterhältigen Mordanschlag entgehen. Als ich bei höherer Stelle Bericht erstattete, kam die offizielle Order, mich in Ruhe zu lassen. Jehova beschützte mich wirklich vor denen, ‚die meiner Seele nachjagten‘, ganz im Sinne von Psalm 35:4.“
An ihrer Neutralität eisern festgehalten
Über die Jahre wurde die Treue der Brüder und Schwestern in Birma auf noch andere Art schwer geprüft. Ethnische Konflikte und politische Unruhen stellten ihre neutrale Haltung oft auf eine harte Probe (Joh. 18:36).
So zum Beispiel im südlich gelegenen Thanbyuzayat, wo sich die westliche Endstation der von Thailand nach Birma verlaufenden „Death Railway“ (Todesbahn) befindet, die durch den 2. Weltkrieg bekannt geworden ist. Hier tobten Kämpfe zwischen separatistischen Rebellen und Regierungstruppen. Der Sonderpionier Hla Aung erzählt, wie er das erlebte: „Nachts fielen Soldaten in Dörfer ein, trieben die Männer zusammen, führten sie mit vorgehaltener Waffe ab und zwangen sie, als Waffenträger fürs Militär zu arbeiten. Viele hat man nie wieder gesehen. Als die Truppen eines Nachts unser Dorf überfielen, war Donald Dewar gerade bei mir zu Hause und wir unterhielten uns. Nur weil meine Frau uns schnell durch einen lauten Ruf warnte, konnten wir mit knapper Not in den Wald entkommen. Danach sorgte ich für ein Geheimversteck in unserem Haus, falls uns die Soldaten nochmals überfallen würden.“
Der Sonderpionier Rajan Pandit zog nach Dawei, etwas südlich von Thanbyuzayat. Bald hatte er mehrere Bibelstudien in einem Dorf ganz in der Nähe — ein Stützpunkt der Aufständischen. Er berichtet: „Auf meinem Heimweg wurde ich von Soldaten festgenommen und geschlagen. Sie beschuldigten mich, mit den Rebellen unter einer Decke zu stecken. Als ich ihnen sagte, dass ich ein Zeuge Jehovas bin, wollten sie wissen, wie ich nach Dawei gekommen sei. Ich zeigte ihnen mein Flugticket, das ich als Souvenir behalten hatte. Damit hatten sie den Beweis, dass ich per Flugzeug gekommen war — was einem Rebellen nie einfallen würde. Das ersparte mir weitere Schläge und man ließ mich gehen. Die Soldaten vernahmen auch einen Mann, mit dem ich die Bibel studierte. Er bestätigte ihnen, dass wir lediglich die Bibel betrachtet hatten. Danach ließen mich die Soldaten in Ruhe und einige nahmen sogar regelmäßig Zeitschriften.“
Manchmal wollten Beamte die Brüder von ihrer Neutralität abbringen, indem sie von ihnen verlangten, sich an Wahlen oder nationalistischen Zeremonien zu beteiligen. In Zalun, einem Flussstädtchen rund 130 Kilometer nördlich von Rangun, wurden die Brüder unter Druck gesetzt, an einer Wahl teilzunehmen. Doch sie blieben fest und begründeten ihren Standpunkt mit der Bibel (Joh. 6:15). Da wandten sich die Beamten an die höhere Instanz. Dort waren Jehovas Zeugen aber für ihre Neutralität bekannt und die Brüder wurden umgehend von den Wahlen freigestellt.
In Khampat an der Grenze zu Indien kam es dazu, dass die Schulleiterin 23 Kinder von Zeugen Jehovas der Schule verwies, weil sie sich nicht vor der Fahne verbeugten. Sie zitierte zwei Älteste vor eine große Gruppe von Beamten, zu denen auch der Richter und der regionale Kommandeur gehörten. Dazu Paul Khai Khan Thang, einer der Ältesten: „Als wir unsere Ansicht mit der Bibel begründeten, spürte man die Feindseligkeit einiger Beamter. Dann zeigten wir ihnen die Ausfertigung eines Regierungserlasses, der Jehovas Zeugen erlaubt, ‚respektvoll und still während der Fahnengrußzeremonie dazustehen‘. Das verschlug den Beamten die Sprache. Als sie sich wieder gefangen hatten, befahl der Kommandeur der Schulleiterin, die Kinder wieder am Unterricht teilnehmen zu lassen. Die Schulleiterin ließ allen Lehrern und anderen Verantwortlichen eine Kopie des Erlasses zukommen.“
Heute ist die neutrale Haltung von Jehovas Zeugen bis in die höchsten Regierungsebenen Myanmars bekannt. Jehovas Diener haben durch ihr festes Eintreten für biblische Grundsätze ein gutes Zeugnis gegeben, so wie Jesus es gesagt hat (Luk. 21:13).
Soldaten werden Christen
Während der turbulenten Geschichte Myanmars haben bis heute viele aufseiten der Regierung oder der Aufständischen gekämpft. Unter ihnen waren auch Männer wie einst der römische Offizier Kornelius, der „ein gottergebener Mann“ war und „Gott fürchtete“ (Apg. 10:2). Kamen sie mit der Wahrheit in Berührung, setzten sie alles daran, ihr Leben darauf abzustimmen.
Sie hatten die Ketten des Hasses dank der befreienden Kraft des Wortes Gottes gesprengt und waren jetzt durch das Band der Liebe vereint
So auch Hlawn Mang, der als Obermaat bei der Marine in Mawlamyine stationiert war. Er erzählt, wie das Neugelernte auf ihn wirkte: „Ich wollte sofort anfangen zu predigen und deswegen meinen Rücktritt einreichen. Ausgerechnet da hatte man mich für eine Beförderung vorgesehen und ich sollte ein Stipendium für eine Schule in einem reichen westlichen Land erhalten. Ich wollte mich aber auf keinen Fall von meinem Entschluss abbringen lassen, mich für Jehova einzusetzen. Deshalb reichte ich meinen Rücktritt trotzdem ein, was meine Vorgesetzten absolut nicht nachvollziehen konnten. Bis heute, 30 Jahre später, bin ich davon überzeugt, dass ich genau das Richtige getan habe. Denn was könnte besser sein, als dem wahren Gott zu dienen!“
La Bang Gam lag in einem Militärkrankenhaus, als Robin Zauja ihm das Buch Vom verlorenen Paradies zum wiedererlangten Paradiesf zeigte. Diese Lektüre fesselte ihn so sehr, dass er es gern behalten wollte. Allerdings war das Robins einziges Exemplar. Doch er lieh es ihm für eine Nacht. La Bang Gam empfing Robin am nächsten Tag mit den Worten: „Hier ist dein Buch. Ich hab jetzt auch eins!“ Er hatte die ganze Nacht daran gearbeitet, das komplette 250-seitige Buch in mehrere Notizbücher zu übertragen! Kurz darauf verließ La Bang Gam das Militär und gebrauchte sein „Paradiesbuch“, um vielen die Wahrheit näherzubringen.
Als im bergigen Shan-Staat die Kämpfe im Dschungelgebiet tobten, stand auf der einen Seite Sa Than Htun Aung als ein Hauptmann der birmanischen Armee und auf der anderen Seite Aik Lin als ein Kommandeur der United Wa State Army. Nachdem ein Waffenstillstand ausgehandelt worden war, blieben beide im Shan-Staat. Unabhängig voneinander lernten sie die Wahrheit kennen, verließen das Militär und ließen sich taufen. Einst Feinde, umarmten sie sich auf einem Kreiskongress herzlich als Brüder. Sie hatten die Ketten des Hasses dank der befreienden Kraft des Wortes Gottes gesprengt und waren jetzt durch das Band der Liebe vereint (Joh. 8:32; 13:35).
„Alle Arten von Menschen“ erreichen
In Birma stieg die Verkündigerzahl zwischen 1965 und 1976 um über 300 Prozent. Die meisten, die positiv auf die Botschaft reagierten, hatten vorher zur Christenheit gehört. Doch die Brüder waren sich bewusst, dass es Gottes Wille ist, dass „alle Arten von Menschen gerettet werden und zu einer genauen Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim. 2:4). Also gingen sie ab Mitte der 70er- Jahre noch gezielter auf die vielen Buddhisten, Hinduisten und Animisten zu.
Das war gar nicht so leicht. Buddhisten ist der Glaube an einen Gott oder Schöpfer völlig fremd, Hindus verehren Millionen Götter und die Animisten in Birma mächtige Geister, die Nats. Diese Religionen sind durchdrungen von Aberglauben, Wahrsagerei und Spiritismus. Und obwohl viele die Bibel als heiliges Buch betrachten, wissen sie wenig oder gar nichts über ihren Inhalt.
Doch die Brüder wussten, dass die Wahrheit aus Gottes Wort die Macht hat, jedes Herz zu berühren (Heb. 4:12). Sie mussten sich nur auf Gottes Geist verlassen und die „Kunst des Lehrens“ einsetzen, das heißt durch vernünftige Argumente das Herz der Menschen ansprechen, damit sie sich motiviert fühlen, ihr Leben zu ändern (2. Tim. 4:2).
Die erfahrene Sonderpionierin Rosaline schildert, wie sie bei Buddhisten vorgeht: „Wenn man Buddhisten erklärt, dass es einen Schöpfer gibt, kommt meistens die Frage: ‚Aber wer hat dann den Schöpfer erschaffen?‘ Weil sie glauben, dass Menschen als Tiere wiedergeboren werden, nehme ich Haustiere als Beispiel, um sie zu dem richtigen Schluss zu bringen, und zwar so:
‚Weiß ein Tier, dass sein Besitzer lebt?‘
‚Ja.‘
‚Weiß es denn auch etwas über seine Arbeit, seine Ehe oder seine Herkunft?‘
‚Nein.‘
‚So ist es auch mit den Menschen und Gott. Gott ist ein Geist und wir Menschen können bestimmt nicht erwarten, alles über ihn zu wissen, oder?‘
Dann sagen sie meistens: ‚Das stimmt.‘ “
Ich erlebte die innige Liebe der Brüder. Das war wie „Sirup auf Sirup“
Auf diese Art wurden schon viele zugängliche Buddhisten dazu angeregt, sich weiter mit der Existenz Gottes auseinanderzusetzen. Kommt dann noch vonseiten der Brüder aufrichtiges Interesse und Liebe dazu, kann man Herzen gewinnen. Ohn Thwin, der früher Buddhist war, erzählt: „Ich fand die Aussicht auf ein Leben im Paradies auf der Erde viel ansprechender als meinen vorherigen Glauben an das Nirwana. Allerdings dachte ich, dass viele Wege zur Wahrheit führen, und ich sah keine Veranlassung, bei mir etwas zu ändern. Als ich aber anfing, zu den Zusammenkünften zu gehen, erlebte ich die innige Liebe der Brüder. Das war wie ‚Sirup auf Sirup‘ — eine birmanische Redewendung, die etwas unglaublich Süßes beschreibt. Diese Liebe gab mir den Anstoß, das, was ich gelernt hatte, auch umzusetzen.“
Natürlich ist viel Geduld und Feingefühl gefragt, wenn man Menschen helfen will, ihre religiösen Ansichten zu korrigieren. Kumar Chakarabani war 10 Jahre alt, als sein Vater, ein strenger Hindu, dem Bethelit Jimmy Xavier erlaubte, ihm Leseunterricht zu geben. Er erzählt: „Mein Vater riet ihm dringend, mir nur Lesen beizubringen. Religion sei tabu. Jimmy sagte daraufhin zu ihm, dass Mein Buch mit biblischen Geschichten ganz hervorragend für Kinder geeignet ist, die Lesen lernen wollen. Wenn meine Lesestunde vorbei war, nahm sich Jimmy dann immer noch Zeit für meinen Vater und unterhielt sich mit ihm. Irgendwann fing mein Vater an, ihm auch Fragen über Religion zu stellen. Dann meinte Jimmy ganz höflich: ‚Die Antworten findet man in der Bibel. Wir können ja zusammen nachschlagen.‘ Mit der Zeit wurde nicht nur mein Vater ein Zeuge Jehovas, sondern noch 63 andere aus unserer Familie.“
Ein Aufstand, trotzdem Kongresse
Mitte der 1980er- Jahre wurde die politische Lage in Birma immer instabiler. 1988 gingen schließlich Zehntausende auf die Straße und protestierten gegen die Regierung. Die Proteste wurden niedergeschlagen und in weiten Teilen des Landes wurde das Kriegsrecht verhängt.
Kyaw Win, der im Bethel ist, erinnert sich: „Die strikte Ausgangssperre und das Versammlungsverbot für mehr als fünf Personen stellten uns vor die Frage, ob wir die geplanten Bezirkskongresse überhaupt abhalten sollten. Voll Vertrauen auf Jehova wandten wir uns an den Militärkommandeur der Region Rangun und baten um Erlaubnis für einen Kongress mit 1000 Besuchern. Zwei Tage später bekamen wir die Erlaubnis tatsächlich! Damit gingen wir auch zu offiziellen Stellen in anderen Regionen und erhielten die Genehmigung für Kongresse in diesen Gebieten. Dank der Hilfe Jehovas wurde die Kongressserie ein gewaltiger Erfolg!“
Das Zusammenkommen hat Priorität
Die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich nach dem Aufstand von 1988 kontinuierlich. Doch die Brüder und Schwestern verließen sich ganz auf Jehova und setzten das Königreich in ihrem Leben weiter an die erste Stelle (Mat. 6:33).
Da ist zum Beispiel Cin Khan Dal, der mit seiner Familie in einem abgelegenen Dorf in Sagaing lebte. Sein Bericht: „Wir wollten zu dem Bezirkskongress in Tahan — das hätte 2 Tage per Boot und Kleinlaster bedeutet. Allerdings hatten wir für die Zeit niemand, der nach unseren Hühnern sah. Doch wir legten alles in Jehovas Hände und besuchten den Kongress. Als wir wieder nach Hause kamen, waren es 19 Hühner weniger. Das war ein Riesenverlust! Ein Jahr darauf war unsere kleine Hühnerschar dann aber auf 60 angewachsen. Und obwohl bei unseren Nachbarn in dem Jahr viele Hühner an Krankheiten starben, verloren wir nicht ein einziges Huhn.“
Auch Aung Tin Nyunt und seine Frau Nyein Mya konzentrierten sich weiter voll auf das Königreich. Sie lebten mit ihren neun Kindern in dem kleinen Dorf Kyonsha, circa 65 Kilometer nordwestlich von Rangun. Aung Tin Nyunt erzählt: „Meistens aßen wir nur Reisschleim und Gemüse. Wir hatten kein Geld und auch nichts, was wir in Geld hätten umsetzen können. Doch wir ließen den Kopf nicht hängen. Ich sagte zu meiner Familie: ‚Jesus hatte nicht einmal einen Ort, wo er sein Haupt hinlegen konnte. Also bleibe ich Jehova treu, selbst wenn ich unter einem Baum leben oder vor Hunger sterben müsste.‘
„Jehova ist mein Helfer; ich will mich nicht fürchten. Was kann mir ein Mensch antun?“ (Heb. 13:6)
Eines Tages hatten wir nichts mehr zu essen. Meiner Frau und meinen Kindern stand die Sorge ins Gesicht geschrieben. ‚Macht euch keine Gedanken‘, sagte ich. ‚Gott wird uns helfen.‘ Nach dem Predigtdienst am Vormittag ging ich mit meinen Söhnen fischen. Unser Fang reichte aber nur für eine Mahlzeit. Wir ließen unsere Körbe am Fluss bei einem kleinen Seerosenteppich zurück und ich sagte zu meinen Jungs: ‚Wir kommen nach der Zusammenkunft noch mal hierher.‘ Nachmittags wurde es sehr windig. Als wir zurückkamen, sahen wir, dass viele Fische unter den Seerosen Schutz gesucht hatten. Wir ließen unsere Körbe ins Wasser und fingen so viel, dass wir von dem Erlös eine ganze Woche leben konnten.“
Immer wieder erlebten Jehovas treue Diener in Myanmar, dass er sich an sein liebevolles Versprechen hält: „Ich will dich keineswegs im Stich lassen noch dich irgendwie verlassen.“ Sie können wirklich sagen: „Jehova ist mein Helfer; ich will mich nicht fürchten. Was kann mir ein Mensch antun?“ (Heb. 13:5, 6).
Neuerungen im Verlagswesen
Durch die birmanische Ausgabe des Wachtturms kam seit 1956 regelmäßig geistige Speise ins Land. Trotz andauernder ethnischer Auseinandersetzungen, Bürgerkrieg und wirtschaftlicher Turbulenzen fehlte nicht eine einzige Ausgabe. Wie wurden die Zeitschriften eigentlich hergestellt?
Viele Jahre lang schickte man zunächst mehrere Abschriften des übersetzten Textes an die staatliche Zensurbehörde. Wurde der Text freigegeben, bat das Zweigbüro um die Genehmigung, Druckpapier zu kaufen. Stand das Papier dann zur Verfügung, brachte ein Bruder Manuskript und Papier zu einer Druckerei, die jede Seite im Handsatz herstellte: Letter für Letter in birmanischer Schrift. Danach las der Bruder Korrektur und die Zeitschrift ging auf einer klapprigen Presse in Druck. Einige Ausgaben davon wurden wiederum an das Zensurbüro gesandt, das ein nummeriertes Zertifikat ausstellte und so die Veröffentlichung der Zeitschrift genehmigte. Diese umständliche Prozedur zog sich über Wochen hin. Und die Papier- und Druckqualität ließ sehr zu wünschen übrig.
1989 wurde im Zweigbüro in Myanmar allerdings eine umwälzende Neuerung eingeführt: das vielsprachige elektronische Fotosatzsystem (MEPS), das in der Weltzentrale entworfen und hergestellt worden war. Man konnte jetzt mithilfe von Computern, Software und Fotosetzmaschinen Texte in 186 Sprachen druckfertig machen — auch in Birmanisch.g
„Jehovas Zeugen waren offensichtlich die Ersten in Myanmar, die Computer nutzten, um birmanische Veröffentlichungen herzustellen“, sagt Mya Maung, der damals im Bethel war. „MEPS war in der Druckbranche in Myanmar etwas Revolutionäres. In unserem Zweig waren für MEPS die schön geschwungenen birmanischen Buchstaben gezeichnet und digitalisiert worden. Die Leute konnten es nicht fassen, wie wir die Zeichen so akkurat hinbekommen hatten.“ Mit MEPS wurde es auch möglich, vom Hochdruckverfahren auf den Offsetdruck überzugehen, was eine enorme Verbesserung bedeutete. Außerdem konnte man jetzt Bildmaterial in hoher Qualität verarbeiten, wodurch Der Wachtturm noch ansprechender wurde.
1991 genehmigte die Regierung die Veröffentlichung von Erwachet!, worüber die Brüder überglücklich waren. Und auch die Öffentlichkeit war begeistert! Ein hoher Beamter des Informationsministeriums bringt auf den Punkt, was viele Leser dachten: „Erwachet! ist so ganz anders als andere religiöse Schriften. Die Themen sind breit gefächert, alles ist interessant und einfach zu verstehen. Ich mag es wirklich sehr.“
In den letzten 20 Jahren hat sich die Zeitschriftenauflage um nahezu 900 Prozent gesteigert!
In den letzten 20 Jahren hat sich die Zeitschriftenauflage um nahezu 900 Prozent gesteigert, von 15 000 auf über 141 000 monatlich. Wachtturm und Erwachet! sind in Rangun ein vertrauter Anblick und sie werden überall im Land gern gelesen.
Ein neues Zweiggebäude dringend nötig
Nachdem das Militär nach den Umwälzungen von 1988 die Macht übernommen hatte, wurden soziale und religiöse Organisationen aufgefordert, sich staatlich registrieren zu lassen. Dem kamen die Brüder nur zu gerne nach. Zwei Jahre später, am 5. Januar 1990, wurden Jehovas Zeugen in Myanmar als „Jehovas Zeugen (Wachtturm) Gesellschaft“ registriert.
Mittlerweile war das Zweigbüro von der 39. Straße in die Inya Road gezogen, die in einem wohlhabenden Vorort im Norden Ranguns liegt. Doch das zweistöckige Gebäude mit circa 2 000 Quadratmeter Land platzte inzwischen aus allen Nähten. Viv Mouritz, der in dieser Zeit als Zonenaufseher in Myanmar war, erinnert sich: „Die 25-köpfige Bethelfamilie arbeitete unter schwierigen Bedingungen. In der Küche gab es keinen Herd: Eine Schwester kochte alles auf einer Kochplatte. In der Wäscherei gab es keine Waschmaschine: Eine Schwester wusch alles in einer Art Waschbecken im Boden. Die Brüder wollten Herd und Waschmaschine kaufen, aber man konnte sie schlichtweg nicht importieren.“
Man benötigte eindeutig ein größeres Zweigbüro. Also gab die leitende Körperschaft das Okay, das alte abzureißen und ein vierstöckiges Wohn- und Bürogebäude zu bauen. Bevor man das in Angriff nehmen konnte, musste allerdings so manche gewaltige Hürde genommen werden. Erstens: Es waren Genehmigungen von 6 Regierungsstellen einzuholen. Zweitens: Die Bauunternehmer vor Ort konnten die Arbeit nicht übernehmen, da sie keine Erfahrung in der Stahlbauweise hatten. Drittens: Bauhelfer aus anderen Ländern konnten nicht einreisen. Und dazu kam noch, dass man Baumaterialien weder im Land beschaffen noch einführen konnte. Es sah ganz danach aus, als ob das Projekt zum Scheitern verurteilt war. Doch die Brüder vertrauten auf Jehova. Wenn es sein Wille wäre, würden sie bauen (Ps. 127:1).
Nicht durch „Kraft, sondern durch meinen Geist“
Kyaw Win aus der Rechtsabteilung im Zweigbüro erzählt, wie es weiterging: „Unser Bauantrag durchlief zügig fünf der sechs staatlichen Instanzen, sogar das Ministerium für religiöse Angelegenheiten. Doch das Komitee, das für die Stadtentwicklung von Rangun zuständig war, wies den Antrag zurück, weil ein vierstöckiges Gebäude zu hoch sei. Wir reichten den Antrag erneut ein; er wurde wieder abgewiesen. Das Zweigkomitee ermunterte mich, am Ball zu bleiben. Ich betete intensiv zu Jehova und reichte den Antrag ein drittes Mal ein. Und er wurde genehmigt!
Dann ging es zum Amt für Einwanderung und Bevölkerung, wo wir erfuhren, dass Touristenvisa nur für 7 Tage erteilt werden. Als wir aber erklärten, dass Fachkräfte aus dem Ausland kommen würden, um Einheimische in fortschrittlichen Bautechniken zu schulen, bewilligte man Visa für 6 Monate!
Als Nächstes wandten wir uns an das Ministerium für Handel, wo man uns wissen ließ, dass eine absolute Einfuhrsperre bestand. Doch nachdem wir geschildert hatten, um was für ein Projekt es sich handelt, erlaubte man uns, Baumaterialien im Wert von über einer Million Dollar einzuführen. Aber da war noch der Einfuhrzoll. Ein Besuch beim Ministerium für Finanzen und Steuern ergab schließlich, dass wir alles zollfrei importieren durften. Wir erlebten in noch vielen anderen Situationen, wie wahr die Worte aus Sacharja 4:6 sind: ‚ „Nicht durch eine Streitmacht noch durch Kraft, sondern durch meinen Geist“, hat Jehova der Heerscharen gesagt.‘ “
1997 trafen dann die Bauhelfer ein. Die meisten Materialien wurden von Brüdern aus Australien gespendet, aber vieles kam auch aus Malaysia, Singapur und Thailand. Bruce Pickering, einer der Verantwortlichen, erzählt: „Einige Brüder aus Australien fertigten die komplette Stahlrahmenkonstruktion vor, reisten nach Myanmar und setzten sie Stück für Stück zusammen. Und es passte tatsächlich jeder Bolzen!“ Es kamen auch Bauhelfer aus Deutschland, Fidschi, Griechenland, Großbritannien, Neuseeland und den USA.
Zum ersten Mal nach 30 Jahren konnten die Brüder aus Myanmar wieder ungehindert mit ihren Brüdern und Schwestern aus anderen Ländern zusammen sein. Donald Dewar sagt: „Wir waren so aufgeregt. Es war wie ein Traum! Die Liebe der Brüder zu Jehova und zu uns gab uns unheimlich Auftrieb und auch, wie bereitwillig sie alles gaben, um uns zu helfen.“ Ein anderer Bruder erzählt: „Außerdem konnten wir Bauerfahrung sammeln. Manche, die bis dahin nur Kerzen benutzt hatten, legten jetzt Kabel für elektrisches Licht. Andere, die bis dahin nur Fächer benutzt hatten, installierten Klimaanlagen. Wir lernten sogar mit Elektrowerkzeug umzugehen!“
Aber auch die Bauhelfer wurden durch den Glauben und die Liebe ihrer Brüder und Schwestern in Myanmar tief berührt. Bruce Pickering erinnert sich: „Die Brüder hatten so wenig, aber so viel Herz! Oft wurden wir zum Essen eingeladen. Was die Familien dabei auftischten, hätte für sie mehrere Tage zum Leben gereicht. Das erinnerte uns an das, was wirklich zählt: die Familie, unser Verhältnis zu Jehova, die Bruderschaft und der Segen Jehovas.“
Am 22. Januar 2000 wurde das neue Zweigbüro bei einer besonderen Zusammenkunft im National Theatre der Bestimmung übergeben. Und wie überglücklich die Brüder doch waren, dass John E. Barr von der leitenden Körperschaft die Ansprache zur Bestimmungsübergabe hielt.
Neue Königreichssäle
Noch etwas wurde dringend benötigt: neue Königreichssäle. 1999, also kurz bevor die Bauarbeiten am Zweiggebäude beendet waren, traf Nobuhiko Koyama mit seiner Frau Aya aus Japan ein, um dafür zu sorgen, dass der Bereich Königreichssaalbau im Zweigbüro in Myanmar eingerichtet wurde. Er berichtet: „Wir Brüder reisten zunächst durch das Land und sahen uns an, wo die Versammlungen zusammenkamen. Von einem Ort zum nächsten kamen wir mit dem Bus, Flugzeug, Motorrad, Fahrrad, Boot oder zu Fuß. Weil in vielen Gebieten ein Zutrittsverbot für Ausländer bestand, mussten wir oft eine staatliche Reiseerlaubnis einholen. Nachdem wir festgestellt hatten, wo neue Säle nötig waren, genehmigte die leitende Körperschaft fürsorglicherweise, Myanmar in das Bauprogramm für Länder mit begrenzten Mitteln aufzunehmen.
Dann stellten wir ein Team von Bauhelfern zusammen. Voller Tatendrang fingen sie an, in Shwepyitha, einem Vorort von Rangun, den ersten Königreichssaal zu bauen. Auf der Baustelle arbeiteten Brüder aus dem Ausland und einheimische Brüder Hand in Hand. Doch das war der örtlichen Polizei nicht ganz geheuer. Sie stoppten den Bau mehrere Male, um sich bei ihren Vorgesetzten zu vergewissern, ob so eine Zusammenarbeit überhaupt erlaubt sei. Andere waren voll des Lobes. Ein Mann sagte beeindruckt: ‚Ich hab vorher noch nie gesehen, dass Ausländer Toiletten putzen! Ihr seid wirklich anders!‘
Auch in Tachileik, das nahe an Thailand liegt, wurde unterdessen mit dem Bau eines Königreichssaals begonnen. Viele Brüder kamen jeden Tag über die Grenze und halfen mit. Die Brüder aus Myanmar und die aus Thailand bildeten trotz unterschiedlicher Sprachen wirklich eine Einheit. Das stand im krassen Gegensatz zu dem, was um sie herum passierte. Kurz vor Ende des Baus hatten nämlich feindliche Truppen beider Länder angefangen, im Grenzgebiet zu kämpfen. Um den Saal herum flogen Geschosse und es hagelte Bomben, aber der Saal überstand alles unbeschadet. Als sich die Kämpfe beruhigt hatten, kamen 72 Personen zur Bestimmungsübergabe. Der Königreichssaal gehörte nun Jehova, dem Gott des Friedens.“
Seit 1999 wurden im ganzen Land fast 70 neue Königreichssäle gebaut
Seit 1999 wurden im ganzen Land fast 70 neue Königreichssäle gebaut. Wie berührte das die Brüder? Viele empfinden wie eine Schwester, die mit Tränen in den Augen und Dankbarkeit im Herzen sagte: „Ich hätte nie gedacht, dass wir so einen wunderschönen neuen Saal bekommen würden. Jetzt will ich mich noch viel mehr anstrengen, alle, die interessiert sind, zu den Zusammenkünften einzuladen. Ich bin Jehova und seiner Organisation sehr dankbar! Sie sind so gut zu uns!“
Es kommen wieder Missionare
Nach Jahrzehnten der Isolation öffnete sich Myanmar in den 1990er- Jahren langsam wieder der Außenwelt. Das Zweigbüro bemühte sich daraufhin um die Genehmigung, wieder Missionare ins Land zu holen. Im Januar 2003 war es dann so weit. Hiroshi und Junko Aoki aus Japan waren nach über 36 Jahren die ersten Missionare, die einreisen durften.
„Weil es so wenige Ausländer im Land gab, mussten wir besonders vorsichtig vorgehen, sonst hätten die Behörden unsere Tätigkeit falsch einordnen können“, sagt Hiroshi. „Also gingen wir erst mal mit den einheimischen Brüdern und Schwestern zu ihren Rückbesuchen und Bibelstudien. Uns fiel schon an unserem ersten Diensttag auf, dass sich die Menschen in Myanmar sehr gerne über Glaubensfragen unterhalten: Nur einen Vormittag unterwegs und schon hatten wir 5 Bibelstudien!“
Junko erzählt: „Jehova hat uns wirklich geleitet! Als wir einmal mit dem Motorrad von einem Bibelstudium nahe Mandalay zurückfuhren, hatten wir in der Nähe einer Fabrik einen Platten. Wir schoben das Motorrad dorthin und fragten den Wachmann, ob uns jemand helfen könnte. Er ließ Hiroshi mit dem Motorrad passieren, aber ich musste im Wachhäuschen warten.
Der Wachmann war neugierig. Er fragte: ‚Warum sind Sie hier?‘
‚Wir besuchen Freunde.‘
‚Weswegen?‘, bohrte er. ‚Ein religiöses Treffen?‘
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, und überging seine Frage.
‚Nun sagen Sie schon! Zu welcher Organisation gehören Sie?‘, hakte er nach.
Ich griff in meine Tasche und zeigte ihm einen Wachtturm.
‚Hab ichs doch gewusst!‘, rief er ganz aufgeregt und drehte sich zu seinen Arbeitskollegen um: ‚Guckt mal! Ein Engel hat für einen Platten gesorgt, damit Jehovas Zeugen vorbeikommen.‘
Der Wachmann zog aus seiner Tasche eine Bibel und eins unserer Traktate. Er hatte mit Jehovas Zeugen studiert, aber den Kontakt verloren, als er nach Mandalay gezogen war. Auf der Stelle fingen wir ein Bibelstudium an und später studierten auch einige seiner Kollegen.“
2005 kamen 4 weitere Missionare nach Myanmar. Sie hatten nicht die Gileadschule, sondern die Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung (jetzt Bibelschule für ledige Brüder) auf den Philippinen besucht. Einer von ihnen, Nelson Junio, hatte mit etwas zu kämpfen, was viele Missionare kennen: Heimweh. „Vor dem Einschlafen weinte und betete ich oft“, sagt er. „Ein besorgter Bruder zeigte mir Hebräer 11:15, 16, wo steht, dass Abraham und Sara sich nicht nach ihrer Heimatstadt Ur zurücksehnten. Sie wollten völlig nach dem Willen Jehovas leben. Von da an musste ich nicht mehr weinen. Und mit der Zeit sah ich meine Zuteilung als mein Zuhause.“
Es kommt auf das Beispiel an
Im 1. Jahrhundert empfahl der Apostel Paulus Timotheus: „Die Dinge, die du von mir ... gehört hast, diese Dinge vertraue treuen Menschen an, die ihrerseits hinreichend befähigt sein werden, andere zu lehren“ (2. Tim. 2:2). Getreu diesem Prinzip versuchten die Missionare den Versammlungen in Myanmar zu helfen, sich noch enger an das zu halten, was Jehovas Organisation den Brüdern weltweit empfiehlt.
Den Missionaren war zum Beispiel aufgefallen, dass viele Verkündiger bei ihren Bibelstudien eine Methode anwandten, die in den meisten Schulen in Myanmar üblich war: Sie wollten die Antworten so hören, wie sie im Buch standen. Joemar Ubiña berichtet: „Geduldig ermunterten wir die Brüder, doch Fragen nach dem Standpunkt zu stellen, um herauszufinden, wie ihr Gegenüber denkt und fühlt. Die Brüder setzten das gern um und wurden dadurch noch bessere Lehrer.“
Außerdem gab es in den Versammlungen oft nur einen Ältesten oder Dienstamtgehilfen. Diese Brüder waren wirklich treu und gaben ihr Bestes, doch manche neigten dazu, sehr autoritär aufzutreten. So eine Tendenz bestand wohl schon im 1. Jahrhundert, denn der Apostel Petrus riet den Ältesten: „Hütet die Herde Gottes, die in eurer Obhut ist ... nicht als solche, die über die herrschen, die Gottes Erbe sind, sondern indem ihr Vorbilder für die Herde werdet“ (1. Pet. 5:2, 3). Wie konnten die Missionare da helfen? „Wir bemühten uns, ein gutes Beispiel zu geben und besonders freundlich, zuvorkommend und zugänglich zu sein“, sagt Benjamin Reyes. Das färbte allmählich auf die Brüder ab und viele Älteste änderten sich. Sie kümmerten sich mit der Zeit viel einfühlsamer um die Herde.
Verbesserte Übersetzung zeigt Wirkung
Jahrelang gebrauchten die Brüder eine Bibel, die im 19. Jahrhundert von einem kirchlichen Missionar mit der Hilfe von buddhistischen Mönchen übersetzt worden war. Darin stehen viele veraltete Ausdrücke in Pali und sie ist sehr schwer zu verstehen. Als 2008 dann die Neue-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften in Birmanisch freigegeben wurde, waren die Brüder ganz außer sich vor Freude. Maurice Raj weiß noch: „Der Applaus hörte gar nicht mehr auf, und viele weinten vor Freude, als sie ihre eigene Bibel in der Hand hielten. Die neue Übersetzung gebraucht eine klare, einfache Sprache und ist genau. Selbst Buddhisten, die eigentlich gar nicht mit der Bibel vertraut sind, können sie verstehen.“ Nach der Freigabe stieg die Zahl der Bibelstudien schon bald um mehr als 40 Prozent.
Wie viele andere Sprachen hat auch das Birmanische zwei Stilebenen: eine gehobene, die aus dem Pali und Sanskrit hervorgegangen ist, und eine umgangssprachliche, in der sich die Menschen im Alltag unterhalten. Texte können in beiden Stilebenen verfasst werden. Die meisten unserer älteren Publikationen wurden im gehobenen Stil übersetzt, der heute für viele schwer verständlich ist. Deshalb entschied das Zweigbüro unlängst, beim Übersetzen auf das umgangssprachliche Birmanisch überzugehen.
Diese Neuerung zeigte sofort Wirkung. Der Aufseher der Übersetzungsabteilung Than Htwe Oo sagt dazu: „Die Leute meinten oft: ‚Eure Literatur hat eine hohe Qualität, aber ich kann nichts verstehen.‘ Wenn sie jetzt unsere Literatur sehen, leuchten ihre Augen und sie fangen sofort an zu lesen. Viele sagen: ‚Das ist so schön einfach zu verstehen!‘ “ Sogar das Kommentargeben in den Zusammenkünften hat sich verbessert, weil jetzt auch die Brüder alles leichter erfassen können.
Zurzeit arbeiten 26 Übersetzer Vollzeit in der Übersetzungsabteilung. Die Teams übersetzen in die Sprachen Birmanisch, Haka Chin und Sgaw Karenisch. Außerdem ist Literatur in 11 weitere Stammessprachen übersetzt worden.
Zyklon Nargis
Am 2. Mai 2008 fegte der Zyklon Nargis mit einer Geschwindigkeit von 240 Kilometern pro Stunde über Myanmar hinweg und hinterließ vom Irawadi-Delta bis an die thailändische Grenze eine Schneise der Verwüstung und des Todes. Von der Katastrophe waren mehr als 2 Millionen Menschen betroffen und es gab etwa 140 000 Tote oder Vermisste.
In dem betroffenen Gebiet wohnten Tausende Zeugen Jehovas, doch nicht ein einziger wurde verletzt. Viele überlebten, weil sie sich in die neu gebauten Königreichssäle retten konnten. In dem Dorf Bothingone, das im Irawadi-Delta an der Küste liegt, drängten sich 20 Zeugen und 80 andere in den Deckenhohlraum eines Königreichssaals. Sie harrten dort 9 Stunden auf den Balken aus, während das Wasser bedrohlich stieg, dann aber wieder zurückging.
Das Zweigbüro schickte sofort ein Hilfsteam in das Mündungsgebiet des Deltas, wo der Sturm am heftigsten gewütet hatte. Ausgerüstet mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten, machten sich die Helfer auf zu ihren Brüdern nach Bothingone. Ihr Weg führte sie durch verwüstetes Gebiet, in dem überall Leichen lagen. Sie waren die ersten Helfer, die dort eintrafen. Zunächst verteilten sie die Hilfsgüter und dann machten sie ihren Brüdern und Schwestern durch Vorträge Mut. Sie hatten auch Bibeln und Literatur mitgebracht, denn den Brüdern war durch den Zyklon alles genommen worden.
Um den immensen Arbeitsaufwand bewältigen zu können, setzte das Zweigbüro Katastrophenhilfskomitees in Rangun und Pathein ein. Von da aus wurden Hunderte von Freiwilligen organisiert, die Wasser, Reis und andere Hilfslieferungen verteilten. Außerdem wurden Teams gebildet, die in den Katastrophengebieten herumreisten und dort halfen, die Häuser der Zeugen zu reparieren oder wieder aufzubauen.
Tobias Lund, der damals mithalf, erzählt: „Meine Frau Sofia und ich fanden die 16-jährige May Sin Oo, die mitten in den Ruinen ihres Elternhauses ihre Bibel in der Sonne trocknete. Sie war die einzige Zeugin in ihrer Familie. Als sie uns sah, lächelte sie, aber es kullerte ihr auch eine Träne über die Wange. Schon bald traf eins der Wiederaufbauteams mit seinen Werkzeugen, Schutzhelmen und Baumaterialien ein und baute für die Familie ein nagelneues Haus. Die Nachbarn kamen aus dem Staunen nicht heraus. Tagelang hockten die Leute um die Baustelle herum. Das war die Attraktion! Manche sagten: ‚So etwas haben wir noch nicht gesehen! Eure Organisation vereint wirklich und kümmert sich so liebevoll um euch. Wir würden auch gern Zeugen Jehovas werden.‘ May Sin Oos Eltern und Geschwister kommen inzwischen zu den Zusammenkünften und machen gute Fortschritte.“
Die Hilfsmaßnahmen dauerten Monate. Von den Brüdern wurden tonnenweise Hilfsgüter verteilt und 160 Häuser und 8 Königreichssäle wieder aufgebaut oder repariert. Der Zyklon Nargis brachte viel Leid und Elend mit sich, aber durch ihn kam auch etwas überaus Kostbares ans Tageslicht — das Band der Liebe, das Jehovas Volk vereint, wodurch sein Name verherrlicht wird.
Ein unvergessliches Erlebnis
Anfang 2007 löste ein Brief im Zweigbüro große Aufregung aus. „Die leitende Körperschaft bat uns, einen internationalen Kongress in Rangun zu organisieren“, erzählt Jon Sharp, der ein Jahr zuvor mit seiner Frau Janet ins Bethel nach Myanmar gekommen war. „Der Kongress war für 2009 geplant und es sollten Hunderte Delegierte aus zehn verschiedenen Ländern anreisen. So etwas hatte es in unserer Geschichte noch nie gegeben!“
Weiter berichtet er: „Zig Fragen gingen uns durch den Kopf: Wo könnte so ein großer Kongress überhaupt abgehalten werden? Würden auch Brüder aus abgelegenen Gebieten kommen? Wo würden sie schlafen? Wie anreisen? Würden sie sich das leisten können? Und was würden die Behörden sagen? Würden sie so eine Zusammenkunft überhaupt genehmigen? Und so weiter und so weiter. Doch wir dachten an Jesu Worte aus Lukas 18:27: ‚Die Dinge, die bei Menschen unmöglich sind, sind bei Gott möglich.‘ Also fingen wir im vollen Vertrauen auf Jehova mit den Planungen an.
Wir machten binnen Kurzem einen geeigneten Platz ausfindig: das National Indoor Stadium von Myanmar mit 11 000 Sitzplätzen und Klimaanlage, ganz in der Nähe des Stadtzentrums. Wir wandten uns sofort an die zuständige Stelle. Doch Monate später, nur ein paar Wochen vor dem Kongress, hatten wir immer noch keine Antwort. Dann kam die schockierende Mitteilung, dass die Stadionverwaltung für genau dasselbe Datum ein Kickboxturnier angesetzt hatte. Uns blieb keine Zeit, eine andere Örtlichkeit zu suchen. Also verhandelten wir geduldig mit dem Veranstalter und unzähligen Beamten, um irgendwie einen Ausweg zu finden. Der Veranstalter lenkte schließlich ein und sagte zu, das Turnier zu verschieben, aber nur unter der Bedingung, dass alle 16 Profiboxer damit einverstanden wären. Als die Boxer erfuhren, dass Jehovas Zeugen das Stadion für einen besonderen Kongress mieten wollten, änderten alle ihren Vertrag.“
„Wir benötigten allerdings immer noch die Genehmigung der Regierung, um das Stadion mieten zu können, waren aber schon vier Mal abgewiesen worden“, ergänzt Kyaw Win, der im Zweigkomitee ist. „Bis zum Kongress blieben uns nur noch zwei Wochen. Wir beteten zu Jehova und gingen zu dem General, der für sämtliche Stadien in Myanmar verantwortlich war. Es war das erste Mal, dass wir in so eine hohe Regierungsetage vorgelassen wurden. Und als er unseren Antrag dann auch noch genehmigte, waren wir völlig überrascht!“
Ohne zu wissen, was alles im Hintergrund ablief, machten sich Tausende Delegierte aus ganz Myanmar und dem Ausland auf den Weg nach Rangun. Sie kamen mit dem Flugzeug, der Bahn, dem Boot, dem Bus, dem Pick-up oder zu Fuß. Viele Familien aus Myanmar hatten monatelang für den Kongress gespart. Sie hatten Feldfrüchte angebaut, Schweine gezüchtet, Kleider genäht und einige hatten im Fluss Gold gewaschen. Viele waren noch nie in einer großen Stadt gewesen oder hatten jemals jemand aus einem anderen Land gesehen.
Über 1 300 Delegierte aus dem Norden Myanmars trafen sich am Bahnhof in Mandalay, um mit einem Sonderzug nach Rangun zu fahren. Zwei von einer Gruppe aus den Naga-Bergen, die 6 Tage unterwegs gewesen war, kamen huckepack an, weil ihre selbst gebauten Rollstühle schon früh kaputtgegangen waren. Auf dem Bahnsteig kampierten Hunderte. Überall hörte man die Brüder erzählen, lachen und Königreichslieder singen. „Alle waren total aufgeregt“, sagt Pum Cin Khai, der mit für die Beförderung der Kongressbesucher zuständig war. „Wir verteilten Essen, Wasser und Schlafmatten. Als der Zug endlich eintraf, dirigierten Älteste alle zu den entsprechenden Waggons. Dann plärrte es aus dem Lautsprecher: ‚Der Zeugen-Jehovas-Zug fährt ab.‘ Ich warf einen Blick auf den Bahnsteig wegen etwaiger Nachzügler und sprang auf.“
In Rangun hatten sich inzwischen ungefähr 700 Delegierte aus dem Ausland in Hotels eingecheckt. Aber da waren ja noch die über 3 000 Delegierten aus Myanmar. Wo sollten sie unterkommen? Myint Lwin, der in der Unterkunftsabteilung mitarbeitete, erzählt: „Jehova bewegte das Herz der Brüder und Schwestern in Rangun und sie nahmen ihre Glaubensbrüder gerne bei sich auf, manche Familien sogar bis zu 15 Besucher. Sie bezahlten sogar die geforderte Gebühr für die Registrierung ihrer Gäste, machten ihnen Frühstück und sorgten dafür, dass sie jeden Tag zum Stadion kamen. Zig Delegierte schliefen in Königreichssälen; für Hunderte wurden in einer großen Fabrik Schlafplätze hergerichtet. Aber trotzdem blieben noch 500 ohne Dach über dem Kopf. Wir traten an die Stadionverwaltung heran und bekamen die Erlaubnis, die Delegierten im Stadion schlafen zu lassen — etwas noch nie Dagewesenes!“
„Jehova bewegte das Herz der Brüder und Schwestern in Rangun und sie nahmen ihre Glaubensbrüder gerne bei sich auf“
Für den Kongress musste das Stadion aber noch auf Vordermann gebracht werden. Das wurde von 350 Freiwilligen innerhalb von 10 Tagen bewältigt. Der Kongressaufseher Htay Win erzählt: „Wir brachten die Wasserleitungen, die elektrischen Anlagen und die Klimaanlage in Ordnung. Dann putzten und strichen wir alles. Das hinterließ einen tiefen Eindruck. Der Offizier, der für das Stadion verantwortlich war, sagte: ‚Vielen, vielen Dank! Ich bete darum, dass Sie jedes Jahr kommen!‘ “
Der Kongress dauerte vom 3. bis zum 6. Dezember 2009 und über 5 000 waren anwesend. Am letzten Tag kamen viele in ihrer typischen Tracht — ein faszinierendes Farbenschauspiel! „Schon vor dem Programm lagen sich alle in den Armen und weinten“, erzählt eine Schwester. Nach dem Schlussgebet, das Gerrit Lösch von der leitenden Körperschaft sprach, klatschten und winkten die Brüder minutenlang. Viele fühlten sich genauso wie eine 86-jährige Schwester, die sagte: „Für mich war das wie in der neuen Welt!“
Auch viele Regierungsbeamte waren beeindruckt. Einer sagte: „Das ist einmalig! Niemand flucht, raucht oder kaut Betelnuss. Dieser Frieden unter den verschiedenen Volksgruppen! So etwas habe ich noch nicht gesehen.“ Und Maurice Raj erzählte, sogar der Oberbefehlshaber von Rangun habe zu den Brüdern gesagt, er und seine Mitarbeiter hätten noch nie etwas Derartiges erlebt.
Die Delegierten waren sich einig: Dieser Kongress war etwas ganz Besonderes. Ein einheimischer Bruder sagte: „Vor dem Kongress hatten wir immer nur gehört, dass wir eine internationale Bruderschaft sind. Jetzt haben wir es hautnah erlebt! Nie werden wir die Liebe unserer Brüder vergessen.“
„Vor dem Kongress hatten wir immer nur gehört, dass wir eine internationale Bruderschaft sind. Jetzt haben wir es hautnah erlebt!“
Weiß zur Ernte
Vor fast 2 000 Jahren sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Erhebt eure Augen, und schaut die Felder an, dass sie weiß sind zur Ernte“ (Joh. 4:35). Das trifft auch auf Myanmar zu. Mit 3 790 Verkündigern kommen dort auf einen Verkündiger 15 931 Einwohner — wirklich ein riesiges Feld! Und da im Jahr 2012 beim Gedächtnismahl 8 005 anwesend waren, kann man auf großes Wachstum hoffen.
Das wird auch an dem deutlich, was im Rakhine-Staat geschieht. In dieser Küstenregion an der Grenze zu Bangladesch leben ungefähr 4 Millionen Menschen, aber nicht ein einziger Zeuge Jehovas. Doch Maurice Raj berichtet: „Jeden Monat gehen zig Briefe aus dieser Gegend bei uns ein. Viele bitten um Literatur oder stellen Fragen zur Bibel und zu Gott. Auch immer mehr Buddhisten, besonders junge Leute, interessieren sich für die Wahrheit aus der Bibel. Wir beten weiter darum, dass der Herr mehr Arbeiter in die Ernte aussendet“ (Mat. 9:37, 38).
„Wir beten weiter darum, dass der Herr mehr Arbeiter in die Ernte aussendet“
Vor fast 100 Jahren wagten sich zwei unerschrockene Pioniere mit der guten Botschaft in dieses überwiegend buddhistische Land. Seither haben sich Tausende aus den verschiedensten Volksgruppen für die Wahrheit entschieden. Von ihrer unverbrüchlichen Treue zu Jehova und seinem Sohn Jesus Christus konnte sie nichts abbringen, auch nicht gewalttätige Ausschreitungen, politische Unruhen, religiöser Widerstand, nationale Isolation, Armut oder Naturkatastrophen. Sie sind entschlossen, weiter die gute Botschaft vom Königreich zu verkünden, „völlig auszuharren und mit Freuden langmütig zu sein“ (Kol. 1:11).
a Myanmar hieß früher Birma nach der größten ethnischen Volksgruppe, den Bamar (Birmanen). Um die vielen ethnischen Gruppen in den Landesnamen einzubeziehen, wurde er 1989 auf Union von Myanmar geändert. In diesem Bericht verwenden wir für Ereignisse vor 1989 die Bezeichnung Birma, ansonsten Myanmar.
b Anglo-Inder sind britisch-indischer Herkunft. Während der britischen Kolonialzeit kamen aus Indien Tausende in die damals zu Britisch-Indien zählende Provinz Birma.
c Bertram Marcelline war der Erste in Birma, der sich taufen ließ. Er starb als treuer Zeuge Ende der 1960er- Jahre in Birma.
d Das entsprach damals rund 95 Dollar — eine beachtliche Summe.
e Siehe Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1966, Seite 191.
f Herausgegeben von Jehovas Zeugen; wird nicht mehr aufgelegt.
g MEPS verarbeitet inzwischen über 600 Sprachen.
Jehova bahnte den Weg
MAURICE RAJ
GEBURTSJAHR: 1933
TAUFE: 1949
KURZPORTRÄT: Seit über 50 Jahren in Myanmar im Vollzeitdienst, davon lange Zeit als Zweigaufseher. Heute gehört er immer noch zum Zweigkomiteeh
◆ 1988 erschütterten gewaltsame Proteste Rangun. Tausende gingen auf die Straße und forderten politische Reformen. Als die Staatsgewalt zu zerfallen drohte, putschte sich das Militär an die Macht. In weiten Teilen des Landes verhängte man das Kriegsrecht. Tausende Demonstranten wurden umgebracht.
Das geschah in dem Monat, als unser Zweigbüro seinen jährlichen Bericht an unseren Hauptsitz in New York weiterleiten sollte. Aber alle Verbindungen nach außen waren gekappt und wir sahen keine Chance, den Bericht abzuliefern. Dann erfuhr ich, dass die US-Botschaft ihre Diplomatenpost per Hubschrauber aus dem Land schaffte. Das war die Gelegenheit! Ich zog meinen besten Anzug an, band meine schönste Krawatte um und machte mich auf den Weg.
Als ich durch die vom Regen aufgeweichten Straßen fuhr, fiel mir auf, wie beängstigend still es in der Stadt war. Plötzlich eine Straßensperre — jede Menge Holzstämme türmten sich vor mir auf. Ich parkte mein Auto und ging zu Fuß weiter.
Vor der Botschaft standen Hunderte, die lautstark Einlass forderten. Doch finster dreinblickende Soldaten ließen niemand durch. Ich blieb stehen und betete still für mich. Ein Student, der sah, wie gut ich gekleidet war, schrie laut: „Da ist einer von der Botschaft!“ Schnell drängte ich mich durch die Menge. Jetzt stand ich vor dem Tor und damit auch vor einem Soldaten, gebaut wie ein Schrank, der mich misstrauisch musterte.
„Wer sind Sie und was wollen Sie?“, herrschte er mich an.
„Ich möchte bitte den Botschafter sprechen. Ich muss eine wichtige Meldung nach Amerika weiterleiten.“
Er fixierte mich eine ganze Weile ziemlich streng, riss dann plötzlich das Tor auf, zog mich rein und schlug es dermaßen wieder zu, dass der nachdrängenden Menge keine Chance blieb.
„Mitkommen“, knurrte er.
An der Eingangstür übergab er mich an einen abgespannt wirkenden Beamten. Er fragte nach meinem Anliegen.
„Ich komme von dem örtlichen Büro der Watch Tower Society. Ich habe einen wichtigen Bericht für unser Hauptbüro in New York, der noch diesen Monat ankommen muss. Können Sie ihn bitte mit der Diplomatenpost versenden?“ Damit gab ich dem Herrn meinen kostbaren Umschlag und fügte hinzu: „Es tut mir schrecklich leid, aber ich habe keine Briefmarke.“
Ich gab dem Herrn meinen kostbaren Umschlag und fügte hinzu: „Es tut mir schrecklich leid, aber ich habe keine Briefmarke“
Etwas irritiert stellte der Beamte mir einige Fragen und versprach mir dann, den Bericht weiterzuleiten. Und er kam tatsächlich rechtzeitig an.
h Der Bericht über Bruder Raj erschien im Wachtturm vom 1. Dezember 2010.
Ein Richter nimmt die Wahrheit ernst
MANG CUNG
GEBURTSJAHR: 1934
TAUFE: 1981
KURZPORTRÄT: Bekannter Schulleiter und Richter, aus dem ein eifriger Pionier wurde
◆ ALS mir ein Pionier einen Wachtturm anbot, sagte ich: „Ich habe keine Zeit zum Lesen, ich habe viel zu viel zu tun.“ Dann nahm ich die Zeitschrift aber doch, weil ich als ein starker Raucher überlegte: „Eigentlich könnte ich mit den Seiten ja meine Zigarren drehen.“
Beim Herausreißen einer Seite dachte ich dann: „Es wäre doch Verschwendung, wenn ich das jetzt nicht lese.“ So lernte ich den Wachtturm kennen und lieben. Was ich las, motivierte mich, das Rauchen aufzugeben und mein Leben auch sonst auf Gottes Willen abzustimmen. Bald ließ ich mich taufen.
Kaum kam ich nach meiner Taufe wieder in mein Dorf, traten der Pastor und Kirchenälteste an mich heran. Mit Geld wollten sie mich in den Schoß der Kirche zurückholen. Weil ich mich nicht darauf einließ, erzählten sie überall herum, dass ich von den Zeugen für meine Taufe Geld bekommen hätte. Diese Lügengeschichte beeindruckte mich aber nicht weiter. Ich war stolz darauf, den wahren Gott zu kennen und ihm zu dienen.
Jehova hat meine Ausdauer wirklich belohnt!
AH SHE
GEBURTSJAHR: 1952
TAUFE: 1998
KURZPORTRÄT: Katholischer Laienprediger entscheidet sich für die Wahrheit
◆ ICH war jahrelang katholischer Laienprediger mitten im Goldenen Dreieck. Als ich Jehovas Zeugen traf und sah, wie fachmännisch sie die Bibel gebrauchten, fing ich einen Bibelkurs an.
So kam es, dass ich sonntags morgens die Predigt in der Kirche hielt und nachmittags in den Königreichssaal ging. Nicht lange und ich baute nach und nach die wahren Lehren der Bibel in meine Predigten ein. Das sorgte in der Gemeinde für Aufregung — und erst beim Priester! Als ich dann von meinem Amt als Laienprediger zurücktrat, brachten mich die Gläubigen vor Gericht und verlangten, dass ich das Dorf verlasse. Der Schiedsmann erklärte ihnen aber, ich könne meinen Glauben durchaus frei wählen. Meine Frau beruhigte das kein bisschen. Sie schrie: „Verschwinde! Nimm deine Tasche und deine Bibel und hau ab!“ Sie ließ mich ihren Zorn richtig spüren, doch ich zahlte ihr nie mit gleicher Münze heim, sondern sorgte weiter für sie und die Kinder. Und Jehova hat meine Ausdauer wirklich belohnt! Dank ihm sind meine Frau Cherry und unsere Kinder heute auch glückliche Diener Jehovas.
Mein Misstrauen war wie weggeblasen
GREGORY SARILO
GEBURTSJAHR: 1950
TAUFE: 1985
KURZPORTRÄT: Ehemaliger Kirchenmitarbeiter, der dachte, dass Jehovas Zeugen falsche Propheten sind
◆ ICH war jahrelang ein überzeugter Anhänger der römisch-katholischen Kirche und kümmerte mich in unserem Dorf um kirchliche Aktivitäten. In dieser Zeit beobachtete ich, wie Geistliche über Unmoral hinwegsahen, Naturgottheiten opferten und sich auf Spiritismus einließen. Weil mich die Heuchelei der Geistlichen anwiderte, hörte ich auf, für die Kirche zu arbeiten, blieb der katholischen Lehre aber treu.
1981 kam ich mit Zeugen Jehovas in Kontakt. Weil sie sich so gut in der Bibel auskannten, wollte ich mit ihnen die Bibel studieren. Trotzdem war ich ihren Lehren gegenüber sehr skeptisch und forderte sie ständig heraus. Aber die Zeugen blieben ruhig und beantworteten mir meine Fragen mit der Bibel.
Ich ging zu einem Bezirkskongress, um herauszufinden, ob Jehovas Zeugen eine einheitliche Lehrmeinung haben. In einer Pause vergaß ich meine Tasche mit allen Papieren, meinem Geld und anderen Wertsachen unter dem Sitz. Ich dachte: „Die Tasche ist bestimmt gestohlen worden!“ Aber die Brüder beruhigten mich: „Keine Angst. Sie wird noch da sein.“ Ich rannte zu meinem Platz und tatsächlich — alles war noch da! Mein Misstrauen gegenüber den Zeugen war wie weggeblasen.
Was ich gefunden habe, übertrifft alles
SA THAN HTUN AUNG
GEBURTSJAHR: 1954
TAUFE: 1993
KURZPORTRÄT: Lebte eine Zeit als buddhistischer Mönch, war beim Militär, lernte die Wahrheit kennen und war später viele Jahre Pionier
◆ ALLE in meiner Familie waren Buddhisten und ich lebte eine Zeit lang als Mönch. Ich glaubte nicht an einen persönlichen Gott oder Schöpfer. Dann nahm mich ein Freund einmal mit in seine Kirche, wo ich hörte, dass wir Menschen einen Vater im Himmel haben. Ich sehnte mich danach, diesen Vater kennenzulernen und ihm nahe zu sein.
Nach meiner Zeit als Mönch ging ich zum Militär. Ich fing an, Tagebuch zu führen, und begann jeden Eintrag mit „Vater, Gott im Himmel“. Als ich aus dem Militär ausscheiden wollte, um Pastor zu werden, ließ man mich nicht gehen. Mit der Zeit brachte ich es dann zum Hauptmann. Mein Ansehen und mein Einfluss stiegen und finanziell stand ich auch ganz gut da. Trotzdem spürte ich eine innere Leere.
1982 heiratete ich Htu Aung. Ihre ältere Schwester war eine Zeugin Jehovas. Sie gab uns das Buch Vom verlorenen Paradies zum wiedererlangten Paradies, in dem stand, dass der Name Gottes Jehova ist — was ich aber bezweifelte. Ich sagte zu meiner Frau: „Wenn du mir diesen Namen in der birmanischen Bibel zeigen kannst, werde ich ein Zeuge Jehovas.“ Sie blätterte überall in der Bibel herum, fand ihn aber nicht. Ihrer Freundin Mary, die auch eine Zeugin Jehovas war, reichte ein Griff und sie zeigte mir den Gottesnamen Jehova in der Bibel. Letztendlich ging ich mit meiner Frau und meinen Kindern zu den Zusammenkünften und fing mit einem Bibelstudium an.
Je mehr ich aus der Bibel erfuhr, desto mehr wollte ich Gott dienen. 1991 beantragte ich erneut, aus dem Militärdienst ausscheiden zu dürfen — dieses Mal, um ein Zeuge Jehovas zu werden. Es dauerte zwei Jahre, bis ich endlich entlassen wurde. Noch im gleichen Jahr ließen wir, meine Frau und ich, uns taufen.
Um meine Familie zu versorgen, verkaufte ich dann Lebensmittel auf dem Markt. Verwandte und Freunde sagten mir, ich sei verrückt, meine vielversprechende Karriere aufzugeben und jetzt eine Arbeit zu machen, die doch eigentlich unter meiner Würde sei. Ich erzählte ihnen von Moses, der den Königshof verlassen hatte und Schafhirt geworden war, weil er Gott dienen wollte (2. Mo. 3:1; Heb. 11:24-27). Einige Zeit später erreichte ich mein ganz großes Ziel: Ich wurde allgemeiner Pionier.
Einige meiner ehemaligen Freunde wurden hohe Offiziere, was ihnen beachtliches Vermögen einbrachte. Aber was ich gefunden habe, übertrifft alles. Mein „Reichtum“ besteht darin, meinen himmlischen Vater zu kennen und ihm zu dienen (Eph. 2:7). Heute sind mehrere meiner Nichten und Neffen Vollzeitdiener und mein ältester Sohn ist im Bethel in Myanmar.
Mein Herz wurde durch Freundlichkeit gewonnen
ZAW BAWM
GEBURTSJAHR: 1954
TAUFE: 1998
KURZPORTRÄT: Das Herz dieses ehemaligen Drogendealers und heftigen Gegners wurde durch Freundlichkeit gewonnen
◆ ALS meine Frau Lu Mai anfing, mit Zeugen Jehovas die Bibel zu betrachten, war ich damit absolut nicht einverstanden und machte ihr das Leben richtig schwer. Ihre biblische Literatur warf ich in die Toilette. Und die Zeugen setzte ich vor die Tür.
Irgendwann stieg ich in den Drogenhandel ein und kam dafür ins Gefängnis. Kaum hatte ich dort die erste Nacht hinter mich gebracht, bekam ich von meiner Frau einen aufmunternden Brief mit lauter Bibelstellen und eine Bibel. Solche Briefe kamen dann häufiger. Mir ging langsam auf, dass ich eigentlich nicht hier im Gefängnis sitzen müsste, wenn ich mich an die Bibel gehalten hätte.
Dann bekam ich überraschend Besuch von zwei Zeugen Jehovas. Meine Frau hatte sie geschickt, damit sie mir Mut zusprachen. Sie hatten zwei Tage für die Reise zu mir gebraucht. Wie mir das zu Herzen ging! Keiner meiner vielen Verwandten besuchte mich — aber Zeugen Jehovas, denen ich so aggressiv begegnet war, kamen und besuchten mich.
Kurz danach wurde ich mit Typhus ins Krankenhaus eingeliefert, konnte die Behandlung aber nicht bezahlen. In dieser Zeit bekam ich wieder überraschend Besuch — ein Zeuge Jehovas, den meine Frau gebeten hatte, nach mir zu schauen. Meine Situation berührte ihn so sehr, dass er mir die Behandlung bezahlte. Ich war beschämt und musste mir eingestehen, dass ich den Zeugen Unrecht getan hatte. Da schwor ich mir, ein Zeuge Jehovas zu werden. Als ich meine Strafe fünf Jahre später abgesessen hatte, machte ich mein Versprechen wahr.
Ich werde „klettern wie ein Hirsch“
LIAN SANG
GEBURTSJAHR: 1950
TAUFE: 1991
KURZPORTRÄT: Verlor als Soldat im Krieg seine Beine. Er wurde ein Zeuge Jehovas und ist heute Dienstamtgehilfe
◆ GEBOREN und aufgewachsen bin ich in Matupi, einem abgelegenen Bergdorf im Chin-Staat. Als Familie verehrten wir Nats, mächtige Geister, von denen gesagt wird, dass sie bestimmte Wälder und Berge unserer Region bewohnen. Wurde jemand in unserer Familie krank, opferten wir auf unserem Hausaltar Speisen und baten einen Nat, sie anzunehmen. Wir glaubten, er könnte die Krankheit wegnehmen.
Mit 21 wurde ich Soldat. Während meiner Militärzeit kämpfte ich in 20 Gefechten. 1977 überfielen kommunistische Rebellen unser Camp bei Muse, einer Stadt im Shan-Staat. Die Kämpfe dauerten 20 Tage. Bei einem heftigen Gegenangriff trat ich auf eine Landmine. Da, wo vorher meine Beine waren, starrte ich jetzt auf Knochen. Sie fühlten sich ganz heiß an und ich war unheimlich durstig, aber ich hatte keine Angst. Man brachte mich schleunigst in ein Krankenhaus, wo beide Beine amputiert wurden. Vier Monate später verließ ich das Krankenhaus als Zivilist.
Im Paradies werde ich nicht nur „klettern wie ein Hirsch“, sondern rennen und vor Freude springen!
Ich zog mit meiner Frau Sein Aye nach Sagaing in die Nähe von Mandalay. Geld verdiente ich durch das Flechten von Bambusstühlen. Einmal traf ich einen Baptistenprediger, der mir sagte, es sei Gottes Wille, dass ich meine Beine verloren habe. Später lernten meine Frau und ich Rebecca kennen. Sie war eine Vollzeitpredigerin von Jehovas Zeugen und erzählte uns, dass die Erde bald ein Paradies wird und ich wieder gesunde Beine haben könnte. Da wollten wir uns die Bibel dann doch lieber von Rebecca erklären lassen als von dem Baptistenprediger.
Inzwischen sind fast 30 Jahre vergangen. Nicht nur meine Frau und ich, sondern auch unsere sieben Kinder haben sich taufen lassen. Wir wohnen zusammen in einem kleinen Dorf in den Bergen bei Pyin Oo Lwin, einem netten Städtchen ungefähr 60 Kilometer von Mandalay entfernt. Ich bin Dienstamtgehilfe in unserer Versammlung in Pyin Oo Lwin und drei meiner Kinder sind im Pionierdienst. Sein Aye und ich haben alles getan, um unseren Kindern die Wahrheit ins Herz zu legen. Und es ist ein echter Segen, dass sie so gut darauf reagiert haben.
In unserem Dorf gehe ich meist im Rollstuhl predigen und zur Versammlung fahre ich hinten auf dem Motorrad mit. „Laufen“ kann ich auch. Dazu benutze ich zwei „Holzbänkchen“ als Stützen.
Meine Lieblingsbibelstelle ist Jesaja 35:6, wo steht: „Zu jener Zeit wird der Lahme klettern wie ein Hirsch.“ Wie ich mich darauf freue, endlich wieder Beine zu haben! Dann werde ich nicht nur „klettern wie ein Hirsch“, sondern rennen und vor Freude springen!
Reisende Aufseher — unermüdlich dabei
Landauf, landab sind reisende Aufseher unermüdlich dabei, ihre Brüder zu stärken. Was nehmen sie bei ihren Reisen durch dieses abwechslungsreiche Land alles auf sich? Reisen wir doch einmal mit einem Kreisaufseher durch die entlegenen Naga-Berge. Dort sind Bruder Myint Lwin und seine Frau Lal Lun Mawmi unterwegs. Er schreibt: „Für uns geht es vormittags von Kalaymyo los. Wir sitzen eingezwängt auf der Ladefläche eines Pick-ups. Unsere Beine stecken zwischen Stapeln von Kisten mit Gemüse und sonstigen Sachen. Andere haben einen Platz auf dem Dach oder an der Heckklappe erwischt. Der Wagen holpert auf der unbefestigten Straße von einem Schlagloch zum nächsten. Wir sind in eine einzige Staubwolke gehüllt. Um nicht zu ersticken, tragen wir Schutzmasken.
Nach 2 Stunden sind wir in Kalaywa, von wo aus wir mit dem Boot weiterwollen. Wir sprechen mit Ladenbesitzern und anderen, die wie wir warten, über die Bibel. Die meisten haben noch nie von Jehovas Zeugen gehört. Da legt unser Boot an. Passagiere steigen aus, neue steigen ein und stürzen zu den leeren Sitzen. Jetzt sind an die 100 Leute auf dem Boot. Es ist so voll, dass es leicht kentern könnte. Vorsichtshalber stopfen wir Plastikflaschen in unsere Reisetaschen, damit sie auf dem Wasser treiben, falls wir über Bord fallen.
Fünf Stunden später kommen wir in Mawlaik an, wo wir in einem winzigen Gästehaus übernachten. Am nächsten Morgen geht es um fünf Uhr weiter. Weil Trockenzeit ist, führt der Fluss nur wenig Wasser und unser Boot sitzt viermal auf einer Sandbank fest. Dann müssen alle Männer raus und mit anpacken, um das Boot wieder freizubekommen. Als wir nach 14 Stunden in Homalin einlaufen, sind wir völlig erschöpft. Doch die ganze Versammlung erwartet uns schon. Bei den strahlenden Gesichtern der Brüder und Schwestern ist unsere Müdigkeit wie weggeblasen und wir genießen den Abend mit ihnen. Am nächsten Tag haben wir eine 15-stündige Fahrt nach Khamti vor uns.
Das heißt wieder früh aufstehen. Diesmal ist das Boot nicht so überfüllt. Während wir flussaufwärts tuckern, bietet sich uns eine neue Szenerie. Auf der ganzen Strecke sehen wir Hunderte Dorfbewohner, die im Fluss Gold suchen. Als wir in Khamti ankommen, sind wir ganz steif und uns tut alles weh. Niemand ist da, um uns abzuholen. Wahrscheinlich ist unser Brief, in dem unser Besuch angekündigt wurde, irgendwie verloren gegangen. Wir nehmen ein Motorrad-Taxi zu unserer Unterkunft am Königreichssaal und fallen todmüde ins Bett.
Am nächsten Morgen begrüßen wir 25 Brüder und Schwestern, die vom Königreichssaal aus predigen gehen wollen. Die meisten sind vom Volk der Naga, das hier in den Bergen, die sich bis nach Indien erstrecken, lebt. Wir gehen zusammen nach Khamti. Die kleine Stadt schmiegt sich in eine weite Flussbiegung, umgeben von aufragenden Hügeln. Mein Partner und ich steuern ein Bambushaus an und rufen etwas zur Begrüßung. Ein Mann vom Volk der Naga taucht auf und bittet uns rein. Seine Frau und er hören uns aufmerksam zu und nehmen gerne Literatur. Viele Naga bekennen sich zum christlichen Glauben und sind sehr an der Botschaft der Bibel interessiert. Später am Nachmittag haben wir dann die erste Zusammenkunft für diese Woche.
Bei den strahlenden Gesichtern der Brüder und Schwestern ist unsere Müdigkeit wie weggeblasen
In der folgenden Woche geht es über den Fluss nach Sinthe, einer kleinen Stadt mit 12 Verkündigern. Außerdem besuchen wir 3 abgelegene Gruppen zu Fuß. Zur am weitesten entfernten Gruppe sind es über 10 Kilometer. Wir gehen mit ihnen in den Predigtdienst und ich halte einen Vortrag. Unsere Brüder hier sind sehr arm und viele haben mit Malaria und Tuberkulose zu kämpfen. Auch von religiöser Seite gibt es massiven Widerstand. Trotzdem sind sie sehr eifrig. Wir sind ganz begeistert, als am Sonntag 76 Zuhörer zum Vortrag kommen. Viele sind dafür stundenlang gelaufen.
Die Zeit ist viel zu schnell vergangen. Es fällt uns wirklich schwer, wieder abzureisen. Zu sehen, wie sehr unsere Brüder und Schwestern hier Jehova lieben, hat uns tief berührt. Während wir mit dem Boot wieder nach Süden fahren, unterhalten wir uns über den starken Glauben der Brüder. Sie sind zwar arm, aber doch so reich Jehova gegenüber! Wir können es gar nicht erwarten, sie wiederzusehen.“
Am liebsten würde ich der ganzen Welt predigen!
SAGAR RAI
GEBURTSJAHR: 1928
TAUFE: 1968
KURZPORTRÄT: Wurde als Soldat mit verschiedenen Orden ausgezeichnet, entschied sich für die Wahrheit und ließ sich trotz heftigem Widerstand in seinem Heimatort nicht vom Predigen abhalten
◆ GEBOREN wurde ich im Shan-Staat — eine bergige Gegend im Nordosten Myanmars. Meine Familie stammt aus Nepal und gehört zu den Gurkha. Obwohl wir Hindus waren, übernahmen wir auch den birmanischen Geisterglauben. Gurkha sind traditionell Krieger, also wurde ich Soldat wie schon mein Vater und vier meiner älteren Brüder. Während meiner 20 Jahre in der birmanischen Armee war ich an zahllosen Kämpfen beteiligt. Es ist kaum zu fassen, dass ich dabei nie ernsthaft verwundet wurde.
Als ich das erste Mal einen Wachtturm in die Hände bekam, las ich, dass in der Bibel nur von einem einzigen wahren Gott — Jehova — die Rede ist. Das faszinierte mich. Als Hindu glaubte ich an Millionen Götter. Ich schlug den Namen Jehova in verschiedenen Wörterbüchern nach. Sowohl in Nepali, Hindi, Birmanisch als auch Englisch fand ich die Erklärung: Jehova ist der Gott der Bibel.
Einige Zeit später zogen meine Frau Jyoti und ich nach Pathein. Dort bot mir der Missionar Frank Dewar ein Bibelstudium an. Ich und auch meine Frau waren einverstanden. Recht schnell überzeugten wir uns davon, dass Jehova der allein wahre Gott ist, und wir wollten nur ihm dienen. Alle unsere Götzen warfen wir in den Fluss Pathein — für jeden unerreichbar (5. Mo. 7:25; Offb. 4:11).
Kurz darauf verließ ich das Militär und wir zogen mit den Kindern wieder in meinen Heimatort. Dort wurden wir in einer kleinen Verkündigergruppe im Predigen geschult. Außerdem bauten wir vor unserem Haus einen kleinen Königreichssaal mit Materialien aus dem Wald. Das löste in der Gurkha-Gemeinschaft heftigen Protest aus: „Wer hat Ihnen erlaubt, hier bei uns Hindus eine christliche Kirche zu bauen? Hören Sie auf, Leuten zu predigen, die längst eine Religion haben!“
Das Gurkha-Komitee wandte sich an die Behörden. Daraufhin wurde ich gefragt, ob ich in der Gegend predigen und die Leute überreden würde, Christen zu werden.
Meine Antwort war: „Ich bin ein Zeuge Jehovas. Am liebsten würde ich der ganzen Welt predigen und nicht nur hier! Ob jemand seine Religion wechselt oder nicht, das muss aber jeder selbst entscheiden.“
In den letzten 40 Jahren konnten Jyoti und ich über 100 Menschen helfen, die Wahrheit anzunehmen
Zum Glück erlaubten uns die Behörden, weiter ungehindert zu predigen. In den letzten 40 Jahren konnten Jyoti und ich über 100 Menschen helfen, die Wahrheit anzunehmen. Viele von ihnen sind jetzt Sonderpioniere, reisende Aufseher oder im Bethel. Und wir sind überglücklich, dass die meisten unserer Kinder mit ihren Familien Jehova treu dienen.
Ich kann Jehovas Königreich nicht finden!
SOE LWIN
GEBURTSJAHR: 1960
TAUFE: 2000
KURZPORTRÄT: Er las als Buddhist von „Jehovas Königreich“ und wollte dort hinreisen
◆ ICH arbeitete in Tachileik, einer Stadt nahe der thailändischen Grenze. Auf dem Weg zur Arbeit fand ich eines Tages auf der Straße ein paar Wachttürme. Darin stand etwas über die herrlichen Verhältnisse unter „Jehovas Königreich“. Als Buddhist hatte ich noch nie etwas von Jehova gehört und dachte mir, dass Jehovas Königreich wohl ein Land in Afrika ist. Also suchte ich in einem Atlas danach, konnte es aber nicht finden und andere Leute konnten mir auch nicht weiterhelfen.
Irgendwann hörte ich, dass ein junger Arbeitskollege mit Jehovas Zeugen die Bibel studiert, und fragte ihn: „Weißt du, wo Jehovas Königreich ist?“ Ich erfuhr, dass Jehovas Königreich eine Regierung im Himmel ist, die die Erde zu einem Paradies machen wird. Daran hatte ich ja überhaupt nicht gedacht und war total begeistert. Ich ließ mir die Haare schneiden, hörte mit dem Betelnusskauen auf, nahm keine Drogen mehr und kehrte dem Buddhismus den Rücken. Heute sehne ich mich mehr denn je danach, unter Jehovas Königreich zu leben (Mat. 25:34).