Die Bibel — Von Gott inspiriert?
1, 2. Warum wird die Bibel von vielen hochgeachtet, und welchen Anspruch erheben ihre Schreiber?
IN DER New Encyclopædia Britannica wird von der Bibel gesagt, sie sei „wahrscheinlich die einflußreichste Büchersammlung aller Zeiten“. Die Bibel wird wegen ihres Alters von vielen hochgeachtet; Teile davon wurden vor 3 500 Jahren geschrieben. Doch ein wesentlicher Grund, warum bisher über drei Milliarden Exemplare verbreitet und sie ganz oder teilweise in nahezu zweitausend Sprachen übersetzt worden ist — wodurch sie zum Bestseller der Welt wurde — liegt darin, daß sie besonders nützlichen, zeitgemäßen Rat enthält.
2 Von diesen ehrfurchtgebietenden Gründen abgesehen, ist die Bibel im Laufe der Jahrhunderte noch aus einem anderen Grund zu einem solch einflußreichen und geschätzten Buch geworden — wegen ihres Anspruchs, die inspirierte Offenbarung des allmächtigen Gottes zu sein. Moses, der die Thora (die ersten fünf Bibelbücher) zusammenstellte, „schrieb“ alles „nieder“, was Gott ihm sagte, auch den Schöpfungsbericht, die Erzählung von der Flut der Tage Noahs, die Geschichte Abrahams und das, was er mit Gott selbst erlebt hatte (2. Mose 24:3, 4). König David sagte: „Der Geist des Ewgen hat durch mich geredet, sein Wort, es ist auf meiner Zunge“ (2. Samuel 23:2). Auch andere Bibelschreiber erhoben den Anspruch, von Gott geleitet worden zu sein. Die Gesamtheit ihrer Schriften bildet Gottes Erklärung der Geschichte — deren wahre Bedeutung, Interpretation und ihr schließlicher Ausgang. Die vielen verschiedenen Schreiber der Bibel, zu denen unter anderem Könige, Lohnarbeiter und Priester gehörten, wirkten alle als Sekretäre; sie schrieben die Gedanken Gottes nieder, der der Autor der Bibel ist und für die Erfüllung ihrer Verheißungen bürgt.
3. Was zeigt, daß der Glaube an Gott und der Glaube an die Wissenschaft nicht unvereinbar sind?
3 Da von der Bibel gesagt wird, sie sei göttlichen Ursprungs, erhebt sich vielleicht für den einen oder anderen vor allem die Frage nach der Existenz ihres Autors. Viele leugnen die Existenz Gottes von vornherein. Andere, die den Eindruck haben, daß alle intelligenten Leute den Glauben an Gott und die Bibel ablehnen, stellen die Frage: „Warum glauben Wissenschaftler nicht an Gott?“ Entspricht diese Annahme aber den Tatsachen? In einem Artikel in der Zeitschrift New Scientist hieß es, daß die allgemein herrschende Ansicht, „Wissenschaftler seien ungläubig, . . . total falsch“ ist.2 In demselben Artikel wurde berichtet, daß durch Umfragen an Universitäten, in Forschungseinrichtungen und Industrielaboratorien ermittelt wurde, daß „von 10 Wissenschaftlern 8 gläubig sind oder an ‚nichtwissenschaftlichen‘ Lehren festhalten“. Genaugenommen, kann also nicht gesagt werden, Glaube und Wissenschaft ließen sich nicht miteinander vereinbaren oder Wissenschaftler seien ungläubig. (Siehe Kasten, Seite 4, 5.)
Gibt es Beweise für die Inspiration?
4. Welche wissenschaftlichen Wahrheiten wurden schon vor Jahrtausenden in der Bibel erwähnt?
4 Wenn man zu dem Schluß gekommen ist, daß es überzeugende Beweise für die Existenz eines Schöpfers gibt, so bleibt dennoch die Frage offen, ob er Männer dazu inspiriert hat, seine Gedanken und Vorsätze in der Bibel niederzuschreiben. Es gibt viele Gründe, weshalb man davon überzeugt sein kann; einer dieser Gründe ist die wissenschaftliche Genauigkeit der Bibel. Hiob sagte zum Beispiel vor über 3 000 Jahren, ‘Gott habe die Erde überm Nichts schweben gemacht’ (Hiob 26:7). Der Prophet Jesaja äußerte vor etwa 2 700 Jahren über Gott die Worte: „Der da thronet über dem Erdkreise“ (Jesaja 40:22, Hirsch). Wie kamen Hiob und Jesaja zu der Erkenntnis der grundlegenden wissenschaftlichen Wahrheiten, daß die Erde im Raum schwebt und eine Kugel ist? Heute mag dies zwar allgemein bekannt sein, doch als die erwähnten Worte geäußert wurden, wußte man davon noch nichts. Ist also eine göttliche Offenbarung nicht die vernünftigste Erklärung?
5, 6. Die Erfüllung welcher Prophezeiungen beweist, daß die Bibelschreiber von Gott inspiriert worden waren?
5 Prophezeiungen — in Wirklichkeit im voraus geschriebene Geschichte — sind wahrscheinlich das wichtigste Merkmal der Bibel, durch das deren Anspruch, von Gott inspiriert zu sein, bestätigt wird. Der Prophet Jesaja sagte zum Beispiel nicht nur voraus, daß Jerusalem von Babylon zerstört und die ganze jüdische Nation gefangengenommen werde, sondern auch, daß der persische Feldherr Cyrus Babylon erobern und die Juden aus der Gefangenschaft befreien werde (Jesaja 13:17-19; 44:27 bis 45:1). Wie könnte jemand die Geburt, den Namen und die Taten eines Mannes 200 Jahre im voraus genau prophezeien, außer durch göttliche Inspiration? (Siehe Kasten, Seite 7.)
6 Einige der bemerkenswertesten Prophezeiungen wurden von Daniel, einem Propheten, der im sechsten Jahrhundert v. u. Z. lebte, aufgezeichnet. Er sagte nicht nur die Eroberung Babylons durch die Meder und Perser voraus, sondern prophezeite auch Ereignisse, die lange nach seiner Zeit, erst in ferner Zukunft, eintraten, so zum Beispiel den Aufstieg Griechenlands zu einem Weltreich unter Alexander dem Großen (336—323 v. u. Z.), die Aufteilung seines Reiches nach seinem vorzeitigen Tod unter seine vier Feldherren sowie den Aufstieg des Römischen Reiches mit seiner furchterregenden Militärmacht (erstes Jahrhundert v. u. Z.) (Daniel 7:6; 8:21, 22). Alle diese Ereignisse sind heute unleugbare geschichtliche Tatsachen.
7, 8. (a) Welchen Einwand erheben einige gegen biblische Prophezeiungen? (b) Was zeigt, daß der Vorwurf des Betrugs unbegründet ist?
7 Da biblische Prophezeiungen so genau und konkret sind, wurden sie von Kritikern als Fälschungen hingestellt, das heißt als Geschichte, die erst nach den betreffenden Ereignissen niedergeschrieben und dann als Prophezeiung ausgegeben wurde. Ist es aber vernünftig anzunehmen, daß jüdische Priester es wagten, eine Prophezeiung zu erfinden? Und warum sollten sie Prophezeiungen erfinden, die die denkbar heftigste Kritik an ihnen selbst enthielten? (Jesaja 56:10, 11; Jeremia 8:10; Zephanja 3:4). Könnte man sich außerdem vorstellen, daß eine ganze Nation, die lesen und schreiben konnte und die in der Bibel, deren Inhalt ihr heilig war, geschult und unterwiesen wurde, auf einen solchen Schwindel hereingefallen wäre? (5. Mose 6:4-9).
8 Wie wäre in Verbindung mit dem Verschwinden ganzer Völker, wie Edom und Babylon, ein Betrug möglich gewesen, wenn sich doch diese Dinge erst Jahrhunderte später, nach der Vervollständigung der Hebräischen Schriften, ereigneten? (Jesaja 13:20-22; Jeremia 49:17, 18). Selbst wenn jemand behauptet, diese Prophezeiungen seien nicht zu Lebzeiten der Propheten selbst geschrieben worden, so müßten sie immerhin vor dem dritten Jahrhundert v. u. Z. aufgezeichnet worden sein, denn damals entstand mit der Septuaginta bereits eine Übersetzung dieser Schriften ins Griechische. Auch die Schriftrollen vom Toten Meer (die Teile aller prophetischen Bibelbücher umfassen), werden in das zweite und erste Jahrhundert v. u. Z. datiert. Wie bereits erwähnt, erfüllten sich viele Prophezeiungen erst nach dieser Zeit.
Ist die Bibel voll von Widersprüchen?
9—12. (a) Warum sagen manche, die Bibel widerspreche sich? (b) Wie lassen sich einige „Widersprüche“ klären?
9 Einige erheben jedoch den Einwand: „Die Bibel ist voll von Widersprüchen und Unstimmigkeiten.“ Sehr oft sind aber Personen, die das behaupten, der Sache nicht selbst nachgegangen, sondern haben lediglich ein oder zwei angebliche Beispiele von anderen gehört. In Wirklichkeit können die meisten der vermeintlichen Unstimmigkeiten geklärt werden, wenn man in Betracht zieht, daß die Bibelschreiber ihre Themen häufig in wenigen Worten zusammenfaßten. Ein Beispiel hierfür ist der Schöpfungsbericht. Bei einem Vergleich zwischen 1. Mose 1:1, 3 und 1. Mose 1:14-16 haben sich schon viele gefragt, wieso Gott am vierten Tag die Lichter „machte“, während das Licht, das offensichtlich von diesen Lichtern stammte, die Erde doch schon am ersten Schöpfungstag erreicht hatte. In diesem Fall hielt es der hebräische Schreiber nicht für nötig, eine lange Erklärung zu geben, sondern beschränkte sich auf eine sorgfältige Wortwahl. Man beachte, daß in den Versen 14-16 von „machen“ die Rede ist, nicht von „erschaffen“ wie in 1. Mose 1:1, und von „Lichtern“, nicht von „Licht“ wie in 1. Mose 1:3 (Zu). Das läßt darauf schließen, daß am vierten Schöpfungstag die Sonne und der Mond, die bereits vorhanden waren, durch die dichte Erdatmosphäre hindurch deutlich sichtbar wurden.a
10 Geschlechtsregister haben ebenfalls einige Verwirrung verursacht. Esra führt zum Beispiel gemäß 1. Chronika 5:29-40 (6:3-14, NW) im Geschlechtsregister der Priester 23 Namen an, wohingegen er in seinem eigenen Geschlechtsregister (Esra 7:1-5) für den gleichen Zeitraum nur 16 Namen verzeichnet. Dabei handelt es sich nicht um eine Unstimmigkeit, sondern lediglich um eine Kürzung. Je nachdem, welchen Zweck ein Schreiber mit der Aufzeichnung eines Ereignisses verfolgte, betonte, bagatellisierte, ergänzte oder verschwieg er gewisse Einzelheiten, so daß sein Bericht anders ausfiel als der eines anderen Bibelschreibers, der über dasselbe Ereignis berichtete. Doch das sind keine Widersprüche, sondern lediglich unterschiedliche Erzählungen, die den Standpunkt des Schreibers erkennen lassen und wen er dabei im Sinn hatte.b
11 Oft lassen sich scheinbare Widersprüche schon dadurch lösen, daß man den Kontext in Betracht zieht. Ein Beispiel ist die häufig gestellte Frage: „Woher nahm Kain seine Frau?“, eine Frage, die beweisen soll, daß der Bibelbericht in diesem Fall einen Widerspruch enthält. Die Annahme, daß Adam und Eva nur zwei Söhne — Kain und Abel — hatten, läßt sich jedoch leicht widerlegen, wenn man weiterliest. In 1. Mose 5:4 heißt es: „Dann waren die Tage Adams, nachdem er Schet [Seth] gezeugt hatte, achthundert Jahre; und er zeugte Söhne und Töchter.“ Demnach müßte Kain eine seiner Schwestern oder vielleicht eine Nichte geheiratet haben, was mit Gottes ursprünglicher Absicht, daß sich die Menschen vermehren sollten, völlig in Harmonie gewesen wäre (1. Mose 1:28).
12 Natürlich gibt es viele Einzelheiten der Menschheitsgeschichte, die in den von Gott inspirierten Aufzeichnungen nicht enthalten sind. Doch jede Einzelheit, die für den ursprünglichen Leser von Bedeutung war und die auch für uns heute wichtig ist, wurde darin aufgenommen, ohne daß der Text schwerfällig oder unverständlich wurde.
Nur für Gelehrte verständlich?
13—15. (a) Warum sind einige der Meinung, die Bibel sei für uns zu schwer zu verstehen? (b) Wieso wissen wir, daß Gott wollte, daß sein Wort verstanden wird?
13 Wer hat sich nicht schon gefragt: „Warum wird die Bibel so unterschiedlich ausgelegt?“ Wenn aufrichtige Menschen hören, wie führende Geistliche sich widersprechen, verwirrt und entmutigt sie das. Viele kommen zu dem Schluß, daß die Bibel unverständlich und widersprüchlich ist. Deswegen lehnen manche die Bibel von vornherein mit der Begründung ab, es sei zu schwer, sie zu lesen und zu verstehen. Andere lassen sich wegen der vielen unterschiedlichen Auslegungen davon abhalten, die Bibel ernsthaft zu prüfen. Wieder andere sagen: „Kluge Männer haben jahrelang an Theologieseminaren studiert. Wie könnte ich also das, was sie lehren, anzweifeln?“ Teilt aber auch Gott diesen Standpunkt?
14 Als Gott der Nation Israel das Gesetz gab, deutete er nicht an, daß es eine Gottesdienstordnung enthielt, die niemand außer theologischen Weisen oder „Gelehrten“ verstehen konnte. Gemäß 5. Mose 30:11, 14 (Zu) befahl Gott Moses zu sagen: „Denn dies Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht verborgen und ist nicht fern. Sondern sehr nahe ist dir die Sache, in deinem Munde und in deinem Herzen, es zu tun.“ Der ganzen Nation, nicht nur den Führern, wurde geboten: „Es sollen diese Worte, die ich dir heute gebiete, an deinem Herzen sein; und du sollst sie deinen Kindern einschärfen und von ihnen reden, wenn du in deinem Haus weilst und wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst“ (5. Mose 6:6, 7). Gottes Gebote, die alle niedergeschrieben wurden, waren so eindeutig, daß die ganze Nation — Eltern und Kinder — sie befolgen konnte.c
15 Schon in den Tagen Jesajas wurden religiöse Führer von Gott verurteilt, weil sie sich angemaßt hatten, Gottes Gesetze zu ergänzen und zu interpretieren. Der Prophet Jesaja schrieb: „Weil dieses Volk sich nähert mit seinem Munde, und mit seinen Lippen mich ehret, sein Herz aber hält es fern von mir und es war ihre Furcht vor mir ein angelerntes Menschengebot“ (Jesaja 29:13, Zu). Ihre Furcht vor Gott war ein Gebot von Menschen geworden, sie war nicht mehr Gottes Gebot (5. Mose 4:2). Diese „Menschengebote“, das heißt ihre eigenen Interpretationen und Erklärungen, nicht die Worte Gottes, widersprachen sich. So ist es auch heute.
Gibt es eine biblische Grundlage für die mündliche Thora?
16, 17. (a) Welche Auffassung haben einige von einem mündlichen Gesetz? (b) Was ist der Bibel in bezug auf ein mündliches Gesetz zu entnehmen?
16 Einige sind der Auffassung, Moses habe außer der „schriftlichen Thora“ noch eine „mündliche Thora“ erhalten. Nach dieser Auffassung soll Gott angeordnet haben, daß gewisse Gebote nicht niedergeschrieben wurden, sondern mündlich von Generation zu Generation weitergegeben werden und so nur durch mündliche Überlieferung erhalten bleiben sollten. (Siehe Kasten, Seite 10.) Aus dem Bibelbericht geht jedoch deutlich hervor, daß Moses nie geboten wurde, ein mündliches Gesetz zu übermitteln. In 2. Mose 24:3, 4 lesen wir: „Da kam Mosche und berichtete dem Volk alle Worte [Gebote, Henne] des Ewigen und alle Rechtsvorschriften. Und das ganze Volk antwortete einstimmig und sprach: ‚Alle Worte, die der Ewige geredet hat, wollen wir tun.‘ Und Mosche schrieb alle Worte des Ewigen nieder.“ Des weiteren lesen wir in 2. Mose 34:27: „Und der Ewige sprach zu Mosche: ‚Schreib dir diese Worte auf; denn auf Grund dieser Worte schließe ich meinen Bund mit dir und mit Jisraël.‘ “ Von einem ungeschriebenen mündlichen Gesetz war in dem Bund, den Gott mit Israel schloß, keine Rede. (Siehe Kasten, Seite 8.) In der ganzen Bibel wird nichts vom Vorhandensein eines mündlichen Gesetzes gesagt.d Und was noch wichtiger ist, die Lehren dieses Gesetzes widersprechen der Heiligen Schrift und verstärken so den falschen Eindruck, daß sich die Bibel widerspricht. (Siehe Kasten, Seite 22.) Für diese Verwirrung ist aber nicht Gott verantwortlich, sondern der Mensch (Jesaja 29:13). (Siehe Kasten, Seite 20, 21.)
17 Im Gegensatz zu den widersprüchlichen menschlichen Interpretationen ist die Bibel unmißverständlich und vertrauenswürdig. Gott hat uns in seinem Wort mit genügend Beweisen dafür versehen, daß die in Jesaja 2:2-4 vorhergesagte friedliche Welt nicht nur ein Traum, sondern nahe bevorstehende Wirklichkeit ist. Niemand anders als Gott selbst, der Gott der Prophetie, der Gott der Bibel, wird sie herbeiführen.
[Fußnoten]
a Man sollte beachten, daß sich die Worte aus 1. Mose 1:1, wo von der Erschaffung der Himmelskörper berichtet wird, nicht auf die sechs Schöpfungs„tage“ beziehen. Im übrigen läßt das hebräische Wort, das mit „Tag“ wiedergegeben wird, auch den Gedanken zu, daß sich die in 1. Mose 1:3-31 beschriebenen Ereignisse in sechs „Zeitabschnitten“ abspielten, die Tausende von Jahren hätten umfassen können. (Vergleiche 1. Mose 2:4.)
b Beispiele sind in dem Buch Die Bibel — Gottes oder Menschenwort? (Kapitel 7, „Widerspricht sich die Bibel?“) zu finden, herausgegeben von der Wachtturm-Gesellschaft.
c Schwierige Rechtsfragen wurden nach einer genau festgelegten Rechtsordnung behandelt (5. Mose 17:8-11). In jeder anderen anscheinend unklaren, aber wichtigen Sache wurde die Nation nicht auf ein mündliches Gesetz verwiesen, um Gottes Antwort zu erhalten, sondern auf die Urim und die Tummim, die sich im Besitz der Priester befanden (2. Mose 28:30; 3. Mose 8:8; 4. Mose 27:18-21; 5. Mose 33:8-10).
d Einige haben in den Text aus 5. Mose 17:8-11 eine Andeutung auf eine inspirierte mündliche Überlieferung hineingelesen. Wie aber in der Fußnote zu Abschnitt 14 bereits erwähnt wurde, handelt es sich bei diesem Text lediglich um das Vorgehen bei Rechtsfällen. Man beachte, daß es nicht darum ging, ob im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Bräuche und Überlieferungen weitergegeben würden oder nicht. Was die besondere Durchführung gewisser Einzelheiten des Gesetzes betrifft, wurden ohne Zweifel einige Traditionen überliefert. Daß eine Tradition schon sehr alt ist, beweist jedoch noch nicht, daß sie inspiriert ist. Ein Beispiel ist die Tradition, die sich in Verbindung mit der ehernen Schlange entwickelte (4. Mose 21:8, 9; 2. Könige 18:4).
[Kasten auf Seite 4, 5]
IST DIE EVOLUTION EINE TATSACHE?
GEMÄSS dem Schöpfungsbericht in 1. Mose wurden alle Lebewesen ‘nach ihren Arten’ oder Hauptgruppen erschaffen (1. Mose 1:12, 24, 25). Viele Befürworter der Evolutionstheorie haben über den Bibelbericht gespottet. Gibt es aber Beweise dafür, daß durch Kreuzung oder Mutationen je eine neue Art entstanden ist?e Seit Menschengedenken sind Hunde Hunde und Katzen Katzen. Selbst Schaben, die unter den frühesten fossilen Insekten gefunden wurden, sind im großen ganzen mit den heutigen identisch.
In der Tat, welche Beweise hat die Wissenschaft in den weit über hundert Jahren intensiver Forschung seit Darwins Werk Die Entstehung der Arten erbracht?f Zu welchen Schlußfolgerungen sind Experten gelangt?
DER FOSSILBERICHT: Der Fossilbericht wird von einigen „die letzte Berufungsinstanz“ genannt, weil er für die Wissenschaft den einzig greifbaren authentischen Werdegang des Lebens darstellt. Was beweist er?
Der Naturwissenschaftler Professor John Moore berichtete über eine umfassende Studie, die von der Geologischen Gesellschaft von London und der Paläontologischen Vereinigung Englands erstellt wurde, folgendes: „Rund 120 Wissenschaftler — alles Spezialisten — erarbeiteten ein gewaltiges Werk, das 30 Kapitel hat und über 800 Seiten umfaßt, und präsentieren darin den Fossilbericht für . . . Tier- und Pflanzengruppen . . . Von jeder größeren Form oder Art der Pflanzen und Tiere heißt es, daß sie eine von allen anderen Formen oder Arten getrennte eigene Geschichte hat. Sowohl Tier- als auch Pflanzengruppen erscheinen plötzlich im Fossilbericht. . . . Es gibt keine Spur eines gemeinsamen Vorfahren, geschweige denn die eines Bindegliedes zu irgendeinem Reptil, dem angeblichen Vorläufer“ (Should Evolution Be Taught?, 1970, Seite 9, 14).
KÖNNTEN MUTATIONEN DIE EVOLUTION BEWIRKT HABEN? Da sich Mutationen als nachteilig erweisen, wird in der Encyclopedia Americana zugegeben: „Die Tatsache, daß sich die meisten Mutationen auf den Organismus schädlich auswirken, scheint kaum mit der Ansicht vereinbar zu sein, Mutationen seien die Quelle des Rohmaterials für die Evolution. In der Tat stellen die Mutanten, die in Biologielehrbüchern abgebildet sind, eine Sammlung von Mißbildungen und Monstrositäten dar, und die Mutation scheint eher ein zerstörender als ein aufbauender Prozeß zu sein“ (1977, Band 10, Seite 742).
WIE STEHT ES MIT DEM AFFENMENSCHEN? In der Zeitschrift Science Digest hieß es: „Bemerkenswerterweise paßt das gesamte greifbare Beweismaterial, das wir für die Evolution des Menschen haben, in einen einzigen Sarg, in dem sogar noch Platz übrig wäre. . . . Die heute lebenden Menschenaffen zum Beispiel sind anscheinend aus dem Nichts entsprungen. Sie haben keine Vergangenheit, sind im Fossilbericht nicht zu finden. Der wahre Ursprung der heutigen Menschen — der aufrecht gehenden, nackten, Werkzeuge herstellenden, intelligenten Wesen — ist, wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, ebenso ein Geheimnis“ (Mai 1982, Seite 44).
EINE THEORIE IN DER KRISE: Der Molekularbiologe Michael Denton bemerkt in seinem Buch Evolution: A Theory in Crisis folgendes:
„Es steht außer Frage, daß Darwin alles andere als genügend Beweise für seine Evolutionstheorie hatte. . . . Seine allgemeine Theorie, alles Leben auf der Erde sei durch allmählich sich häufende zufällige Mutationen entstanden und habe sich so weiterentwickelt, war schon zu Darwins Zeiten — und ist heute noch — eine höchst spekulative Hypothese, die jeder Stütze durch Tatsachen entbehrt und von jenem selbstverständlichen Axiom sehr weit entfernt ist, das uns einige ihrer aggressiveren Verfechter glauben machen möchten. . . . Es wäre zu erwarten, daß eine Theorie von solch grundsätzlicher Bedeutung, eine Theorie, die die Welt buchstäblich verändert hat, etwas mehr als Metaphysik, etwas mehr als ein Märchen wäre“ (Ausgabe 1986, Seite 69, 77, 358).
[Fußnoten]
e Es sollte ein Unterschied gemacht werden zwischen der sogenannten „Mikro-Evolution“, das heißt den fortschreitenden Entwicklungen, Anpassungen und Veränderungen innerhalb einer Art, und der „Makro-Evolution“, der Lehre von der Entwicklung einer Art in eine andere. Die Verfechter der Evolution beziehen sich gewöhnlich auf die letztere.
f Eine eingehende Abhandlung ist in dem Buch Das Leben — Wie ist es entstanden? Durch Evolution oder durch Schöpfung? zu finden, herausgegeben von der Wachtturm-Gesellschaft.
[Kasten auf Seite 6]
„IM ANFANG SCHUF GOTT . . .
. . . DEN HIMMEL UND DIE ERDE“ (1. Mose 1:1, JP). Die meisten Forscher geben heute zu, daß das Universum einen Anfang hatte. Der Astronom Robert Jastrow schreibt: „Jetzt erkennen wir, daß das Beweismaterial der Astronomen zu einer biblischen Ansicht über die Entstehung der Welt führt. Die Details weichen voneinander ab, aber die wesentlichen Elemente in der Genesis der Astronomie und der Bibel sind dieselben: Die Kette von Ereignissen, die zum Menschen führte, begann plötzlich und unvermittelt an einem bestimmten Zeitpunkt — in einem Licht- und Energieblitz“ (God and the Astronomers, 1978, Seite 14).
. . . LEBENDE GESCHÖPFE“ (1. Mose 1:20, Ta). Der Physiker H. S. Lipson ist sich der Einwände gegen die spontane Entstehung des Lebens bewußt; er sagt: „Die einzig akzeptable Erklärung ist die Schöpfung. Ich weiß, daß das für Physiker, wie in der Tat auch für mich, ein Anathema bedeutet, aber wir dürfen eine Theorie, die uns nicht gefällt, nicht verwerfen, wenn sie durch experimentelle Beweise gestützt wird“ (Physics Bulletin, 1980, Band 31, Seite 138).
Könnte aber nicht doch eine Urzeugung stattgefunden haben, selbst wenn alles dagegen spricht? Der Physiker und Astronom Fred Hoyle sagt: „Es gibt nicht die geringste Spur eines objektiven Beweises zur Stütze der Hypothese, daß das Leben auf der Erde in einer Ursuppe begann.“ Weiter sagt er: „Seit . . . die Biochemiker in steigendem Maße die ehrfurchtgebietende Komplexität des Lebens entdecken, ist sein zufälliger Ursprung ganz offensichtlich so wenig wahrscheinlich, daß man diese Möglichkeit völlig ausschließen kann. Leben kann nicht zufällig entstanden sein.“ Ferner erklärt er: „Biologen [schwelgen] in aus der Luft gegriffenen Phantasien und streiten ab, was doch so offensichtlich ist, daß nämlich die 200 000 Aminosäureketten, und damit das Leben, nicht per Zufall entstanden.“ Dann fragt er dem Sinne nach, wie denn allein die zufällige Verbindung von Chemikalien in einer organischen Suppe die 2 000 lebenswichtigen Enzyme hätte hervorbringen können. Er sagt, die Wahrscheinlichkeit stehe eins zu 1040 000 oder sei „ungefähr genau so groß wie bei einer ununterbrochenen Serie von 50 000 Sechsen mit ungezinkten Würfeln“ (F. Hoyle, Das intelligente Universum, 1984, Seite 12, 17, 23). Des weiteren schreibt er: „Wenn man nicht aus Überzeugung oder durch wissenschaftliche Ausbildung für die Ansicht voreingenommen ist, das Leben sei [spontan] auf der Erde entstanden, macht diese einfache Berechnung ein solches Konzept unmöglich“ (Fred Hoyle und Chandra Wickramasinghe, Evolution aus dem All, 1981, Seite 34, 35).
[Kasten auf Seite 7]
GOTT ‘ENTHÜLLT GEHEIMNISSE’ DURCH PROPHEZEIUNGEN
DER Prophet Daniel sagte zu einem König der alten Zeit: „Das Geheimnis, nach dem der König fragt — nicht Weise, Beschwörer, Schriftkundige und Entscheider können es dem König künden. Jedoch gibt es einen Gott im Himmel, der Geheimnisse enthüllt“ (Daniel 2:27, 28). Gibt es Beweise dafür, daß Gott durch Prophezeiungen wirklich Geheimnisse enthüllt? Nachstehend einige Beispiele:
Der Fall Babylons: „So spricht der Ewige / von Koresch [Cyrus], seinem Gesalbten / des Rechte ich erfaßt / um vor ihm Völker hinzustrecken / entblößt den Königen die Lenden / um vor ihm Pforten aufzutun / und Tore, daß sie unverschlossen“ (Jesaja 45:1 [um 732 v. u. Z. prophezeit]. Siehe auch Jeremia 50:35-38; 51:30-32 [vor 625 v. u. Z. prophezeit]).
Erfüllung — 539 v. u. Z.: Die Geschichtsschreiber Herodot und Xenophon berichten, daß Cyrus, der Perser, die Wasser des Euphrat, der mitten durch Babylon floß, ableitete, seinen Truppen befahl, das Flußbett hinaufzumarschieren, daß die babylonischen Wachen völlig überrascht wurden und die Stadt in einer einzigen Nacht eingenommen wurde. Doch trotz dieser Strategie hätte Cyrus nicht in die Stadt eindringen können, wenn die in die Stadt führenden Tore an den Ufern des Euphrat nicht sorglos offengelassen worden wären. Die ‘Tore waren unverschlossen’, wie es prophetisch angekündigt worden war.
Das Schicksal der Stadt Tyrus: „Darum spricht so Gott, der Herr: Sieh, ich komme über dich, Zor [Tyrus], führe wider dich heran viele Völker, wie das Meer seine Wellen heranjagt. . . . ich fege sein Erdreich fort von ihm und mache es zum dürren Fels. . . . Sie . . . tun deine Steine und dein Holz und deinen Schutt ins Wasser“ (Hesekiel 26:3, 4, 12 [um 613 v. u. Z. prophezeit]).
Erfüllung — 332 v. u. Z.: Alexander der Große baute vom Festland aus eine Landbrücke oder einen Damm zur Inselstadt Tyrus hinaus (etwa 0,8 km lang), auf dem seine Soldaten hinüberziehen und die Inselstadt angreifen konnten. Die Encyclopedia Americana berichtet: „Mit dem Schutt des Festlandteils der Stadt, die er zerstört hatte, baute er 332 einen riesigen Damm, um die Insel mit dem Festland zu verbinden.“ Nach einer verhältnismäßig kurzen Belagerung wurde die Inselstadt zerstört, und Hesekiels Prophezeiung erfüllte sich bis in alle Einzelheiten. Selbst ‘die Steine und das Holzwerk und der Staub’ der alten Stadt Tyrus (der Festlandstadt) wurden ‘direkt mitten ins Wasser gelegt’.
Die Zerstörung Jerusalems: „Da sprach Jescha’jahu zu Hiskijahu: ‚Höre das Wort des Ewigen der Scharen! Sieh, Tage kommen, da wird alles, was in deinem Haus ist und was deine Väter aufgespeichert haben bis auf diesen Tag, nach Babel fortgetragen werden, nichts wird übrig bleiben‘ “ (Jesaja 39:5, 6 [um 732 v. u. Z. prophezeit]; siehe auch Jesaja 24:1-3; 47:6).
Jeremia, der Prophet, verkündete: „Ich . . . bringe sie [die Babylonier] über dieses Land und seine Bewohner . . . Da wird dieses ganze Land zu Wüstenei und Öde werden, und diese Völker werden dem König von Babel dienen, siebzig Jahre“ (Jeremia 25:9, 11 [vor 625 v. u. Z. prophezeit]).
Erfüllung — 607 v. u. Z. (gemäß den meisten weltlichen Chronologien 586 v. u. Z.): Nach anderthalbjähriger Belagerung wurde Jerusalem von Babylon zerstört. Die Stadt und der Tempel wurden geschleift und die Juden nach Babylon weggeführt (2. Chronika 36:6, 7, 12, 13, 17-21). Die ganze Nation war 70 Jahre in der Gefangenschaft, wie Jeremia es vorhergesagt hatte. Durch die erstaunliche Befreiung, die Cyrus der Große, der Eroberer Babylons, 537 v. u. Z. herbeiführte, erfüllte sich die Prophezeiung Jesajas, der Cyrus mit Namen erwähnt hatte (Jesaja 44:24-28). Der Prophet Daniel errechnete während der Gefangenschaft in Babylon, gestützt auf die Prophezeiung Jeremias, genau die Zeit der Befreiung seines Volkes (Daniel 9:1, 2).
[Kasten auf Seite 8]
WO WAR DAS MÜNDLICHE GESETZ . . .
. . . als Moses vor der ganzen Nation Israel alle Gebote Gottes wiederholte? Die Nation erklärte sich damals bereit, alles zu tun, was Moses wiederholt hatte, und Moses „schrieb alle Worte [Gebote, Henne] des Ewigen nieder“ (2. Mose 24:3, 4; Kursivschrift von uns).
. . . als Josua die Nation Israel nach dem Einzug in das Land der Verheißung versammelte und vor ihr wiederum alle Worte las, die zu befolgen, sie sich bereit erklärt hatte? „Es war kein Wort von allem, was Mosche geboten hatte, das Jehoschua nicht las vor der ganzen Volksschar Jisraëls“ (Josua 8:35; Kursivschrift von uns).
. . . als in den Tagen König Josias während der Instandsetzung des Tempels das ‘Buch des Gesetzes Mose’ gefunden wurde? Sobald Josia die Worte hörte, die ihm vorgelesen wurden, zerriß er, tief betrübt, seine Kleider, denn er erkannte, daß das Gesetz seit Generationen nicht eingehalten wurde gemäß dem, was geschrieben stand. Dann ordnete er die Feier des Passahfestes an, das während der ganzen Zeit der Könige und der ihr vorausgegangenen Richterzeit nicht immer ordnungsgemäß gefeiert worden war. Wo befand sich das „getreu überlieferte“ mündliche Gesetz in all jenen Jahrhunderten? Wenn es so etwas gegeben hätte, wäre es bestimmt nicht vergessen worden. Nur weil ein schriftlicher Bericht sorgfältig aufbewahrt worden war, konnte die Nation den Willen Gottes wiederum ordnungsgemäß tun (2. Könige 22:8 bis 23:25).
. . . als der Prophet Jeremia erklärte: „Vom Kleinsten bis zum Größten, alle geizen sie nach Gewinn, und vom Propheten bis zum Priester, alle üben sie Trug.“ (Jeremia 6:13, Zu)? Das war fast während der ganzen Geschichte der Nation Israel der geistige Zustand ihrer Führer, vor allem der Priester, die das Gesetz hätten lehren sollen (Maleachi 2:7, 8). Schriftliche Aufzeichnungen sprechen für sich selbst; könnte man aber von Menschen, die so untreu und unzuverlässig waren, erwarten, daß sie etwas mündlich getreu überlieferten?
. . . in den mehr als tausend Jahren, in denen die Hebräischen Schriften aufgezeichnet wurden? Von Moses bis Maleachi wird nirgends etwas davon gesagt, daß ein solches mündliches Gesetz existierte. Erst Jahrhunderte später, zur Zeit der Rabbiner, als rivalisierende religiöse Sekten aufkamen, die um Macht und Gewalt über die jüdische Nation kämpften, taucht dieser Begriff auf. Sprechen die Jahrhunderte des Schweigens zu diesem Thema und das Zeugnis der inspirierten Heiligen Schrift nicht gegen die Behauptung, daß es je ein inspiriertes mündliches Gesetz gegeben habe?
[Kasten/Bild auf Seite 9]
SCHRIFTROLLEN VOM TOTEN MEER
Die Schriftrollen vom Toten Meer, die in die Zeit vor unserer Zeitrechnung datiert werden, lassen die Zuverlässigkeit der Übermittlung des Bibeltextes durch die Jahrhunderte hindurch erkennen. Sie bestätigen auch, daß die Prophezeiungen vor ihrer Erfüllung aufgezeichnet worden sind.
[Kasten auf Seite 10]
HAT DIE THORA „SIEBZIG GESICHTER“?
IN Israel hört man heutzutage nicht selten den Ausspruch: „Die Thora hat siebzig Gesichter“, womit angedeutet werden soll, daß die Bibel ganz verschieden, ja sogar widersprüchlich ausgelegt werden kann. Das soll sowohl auf das schriftliche als auch auf das sogenannte mündliche Gesetz zutreffen. Die Encyclopedia of Judaism enthält hierzu folgenden Kommentar: „Das mündliche Gesetz ist kein festgelegter Kodex; es umfaßt viele verschiedene und sogar widersprüchliche Meinungen. Was diese betrifft, sagten die Weisen: ‚Es sind alles Worte des lebendigen Gottes‘ “ (Seite 532). Wäre es jedoch vernünftig anzunehmen, daß unter Gottes Inspiration etwas entstehen würde, was zu widersprüchlichen und unterschiedlichen Meinungen führen könnte? Wie kam es, daß diese Widersprüche akzeptiert wurden?
Während der ganzen Zeit, in der die Hebräischen Schriften aufgezeichnet wurden (um 1513 bis um 443 v. u. Z.), gab es von Gott beauftragte Männer, die irgendwelche Streitsachen klärten, wobei Gott sie sehr oft durch eine Zurschaustellung seiner Macht oder durch die Erfüllung von Prophezeiungen unterstützte, die er sie hatte äußern lassen (2. Mose 28:30; 4. Mose 16:1 bis 17:15 [16:1-50, NW]; 27:18-21; 5. Mose 18:20-22). Jemand, der damals abweichende Erklärungen und Deutungen lehrte, galt nicht als Gelehrter, sondern als Abtrünniger. Gott richtete an die ganze Nation die Warnung: „All dasjenige, was ich euch gebiete, sollt ihr beobachten zu tun; tue nichts hinzu und nimm nichts davon“ (5. Mose 13:1, Zu [12:32, NW]).
Im Laufe der Zeit trat im Denken der Nation Israel jedoch ein grundlegender Wechsel ein. Die Pharisäer, die im ersten Jahrhundert u. Z. im Judentum zu hohem Ansehen gelangten, traten für die Lehre der „mündlichen Thora“ ein, die sie bereits zweihundert Jahre früher entwickelt hatten. Sie lehrten, Gott habe der Nation Israel am Berg Sinai außer einem schriftlichen Gesetz gleichzeitig auch ein mündliches Gesetz gegeben. Gemäß dieser Ansicht erklärt und deutet dieses inspirierte mündliche Gesetz Einzelheiten des schriftlichen Gesetzes, Einzelheiten, die Moses — wie Gott ihm ausdrücklich gesagt habe — nicht aufzeichnen sollte. Das mündliche Gesetz durfte nicht schriftlich niedergelegt, sondern sollte von Mund zu Mund, vom Lehrer zum Schüler, von Generation zu Generation weitergegeben werden. Das verlieh den Pharisäern, die sich als Hüter dieser mündlichen Überlieferung betrachteten, besondere Befugnisse.g
Nach der Zerstörung des zweiten Tempels im Jahr 70 u. Z. setzte sich die pharisäische Anschauung durch, und der Judaismus wurde zu einer von Rabbinern beherrschten Form der Religion, was früher nicht der Fall war.h Da die Rabbiner nun größeres Ansehen genossen als die Priester und Propheten, wurde das mündliche Gesetz zum neuen Kernstück der jüdischen Religion. In der Encyclopedia of Judaism heißt es: „Man hielt die mündliche Thora schließlich für wichtiger als die schriftliche Thora, da die Erläuterung und das Verständnis der letzteren von der ersteren abhing“ (1989, Seite 710).
Als die Rabbiner immer mehr an Einfluß gewannen und die Überlieferungen zahlreicher wurden, hob man das Verbot, das mündliche Gesetz niederzuschreiben, auf. Ende des zweiten und Anfang des dritten Jahrhunderts u. Z. legte Jehuda Ha-Nasi (135–219 u. Z.) diese rabbinischen mündlichen Überlieferungen in einem Werk, Mischna genannt, systematisch nieder. Spätere Hinzufügungen nannte man Tosefta. Die Rabbiner ihrerseits hielten es für notwendig, Kommentare zur Mischna zu machen, und diese Deutungen der mündlichen Überlieferung bildeten dann die Grundlage einer umfangreichen Sammlung von Büchern, Gemara genannt (zwischen dem dritten und fünften Jahrhundert u. Z. zusammengestellt). Diese Sammlung wurde als der Talmud bekannt. Die darin enthaltenen rabbinischen Auffassungen werden heute noch kommentiert. Ist es angesichts dessen, daß es unmöglich ist, diese verschiedenen Ansichten auf einen Nenner zu bringen, verwunderlich, wenn sich viele damit herausreden, die Thora habe „siebzig Gesichter“?
[Fußnoten]
g Diese von den Pharisäern aufgebrachte Lehre wurde von vielen ihrer jüdischen Zeitgenossen abgelehnt. Die Sadduzäer, von denen viele Priester waren, und die Essener aus dem ersten Jahrhundert verwarfen diese pharisäische Anschauung. Heute betrachten sowohl die Karäer (seit dem achten Jahrhundert u. Z.) als auch die Reformjuden und die konservativen Juden solch ein mündliches Gesetz nicht als von Gott inspiriert. Die orthodoxen Juden dagegen halten diese Überlieferungen für inspiriert und für verbindlich.
h In der Encyclopaedia Judaica heißt es: „Der Titel Rabbi wird von dem Substantiv rab abgeleitet, das im biblischen Hebräisch ‚groß‘ bedeutet und in der [hebräischen] Bibel nicht vorkommt.“