GEFANGENSCHAFT
In der biblischen Geschichte werden verschiedene Gefangenschaften erwähnt (4Mo 21:29; 2Ch 29:9; Jes 46:2; Hes 30:17, 18; Da 11:33; Nah 3:10; Off 13:10; siehe GEFANGENER). Doch mit dem Begriff „die Gefangenschaft“ ist gewöhnlich die große Aussiedlung der Juden aus dem Land der Verheißung durch die assyrische und die babylonische Weltmacht im 8. und im 7. Jahrhundert v. u. Z. gemeint, auch „das Exil“ und „die Wegführung“ genannt (Esr 3:8; 6:21; Mat 1:17; siehe EXIL).
Jeremia, Hesekiel und andere Propheten warnten vor diesem großen Unheil zum Beispiel mit folgenden Worten: „Wer immer für die Gefangenschaft [bestimmt ist], zur Gefangenschaft!“ „Was dich betrifft, o Paschhur, und alle Bewohner deines Hauses, ihr werdet in die Gefangenschaft gehen; und nach Babylon wirst du kommen.“ „Da ist dieser prophetische Spruch gegen Jerusalem und das ganze Haus Israel ... ‚Ins Exil, in die Gefangenschaft werden sie gehen‘“ (Jer 15:2; 20:6; Hes 12:10, 11). Später erklärt Nehemia (7:6) bezüglich der Rückkehr aus der Babylonischen Gefangenschaft: „Dies sind die Söhne des Gerichtsbezirks, die aus der Gefangenschaft der ins Exil Weggeführten hinaufzogen, welche Nebukadnezar, der König von Babylon, ins Exil weggeführt hatte und die später nach Jerusalem und nach Juda zurückkehrten.“ (Siehe auch Esr 2:1; 3:8; 8:35; Ne 1:2, 3; 8:17.)
Assyrien führte wahrscheinlich als erste Nation die Politik ein, die gesamte Bevölkerung eroberter Städte aus ihrer Heimat auszusiedeln und das Gebiet mit Gefangenen aus anderen Ländern des Reiches neu zu besiedeln. Diese Deportationspolitik Assyriens wurde nicht nur bei den Juden angewandt, denn als Damaskus, die Hauptstadt Syriens, unter dem Ansturm der zweiten Weltmacht fiel, wurden seine Einwohner, wie vom Propheten Amos vorhergesagt, nach Kir verbannt (2Kö 16:8, 9; Am 1:5). Dieses Verfahren hatte eine zweifache Wirkung: Die wenigen Zurückgebliebenen wurden davon abgehalten, sich subversiv zu betätigen, und die umliegenden Nationen, die zu der ehemaligen Bevölkerung freundliche Beziehungen gehabt haben mochten, waren weniger geneigt, der neuen, fremden Bevölkerung Hilfe und Unterstützung zu gewähren.
Sowohl beim n. Zehnstämmereich Israel als auch beim s. Zweistämmereich Juda war die Grundursache für die Gefangenschaft dieselbe: Sie hatten die wahre Anbetung Jehovas zugunsten falscher Götter aufgegeben (5Mo 28:15, 62-68; 2Kö 17:7-18; 21:10-15). Jehova sandte zwar ständig seine Propheten, um beide Königreiche zu warnen, doch umsonst (2Kö 17:13). Keiner der Könige des Zehnstämmereiches Israel merzte jemals völlig die falsche Anbetung aus, die Jerobeam, der erste König dieser Nation, eingeführt hatte. Juda, das im S gelegene Schwesterkönigreich, missachtete sowohl die direkten Warnungen Jehovas als auch das warnende Beispiel, das es durch die Gefangenschaft Israels erhalten hatte (Jer 3:6-10). Die Bewohner beider Königreiche wurden schließlich ins Exil weggeführt, jede Nation in mehr als einer großen Deportationswelle.
Beginn des Exils. Während der Herrschaft des israelitischen Königs Pekach in Samaria (ca. 778–759 v. u. Z.) zog der Assyrerkönig Pul (Tiglath-Pileser III.) gegen Israel, eroberte ein großes Gebiet im N und siedelte dessen Bewohner im O seines Reiches an (2Kö 15:29). Derselbe Monarch eroberte auch Gebiete ö. des Jordan, und von dort führte er „die von den Rubenitern und von den Gaditern und vom halben Stamm Manasse ins Exil ... und [brachte] sie nach Halach und Habor und Hara und an den Fluss Gosan ..., damit sie dort blieben bis auf diesen Tag“ (1Ch 5:26).
Im Jahr 742 v. u. Z. belagerte das assyrische Heer unter Salmanassar V. Samaria (2Kö 18:9, 10). Als Samaria 740 v. u. Z. fiel und damit das Zehnstämmereich zu Ende ging, wurden seine Bewohner ins Exil geführt und „in Halach und in Habor am Fluss Gosan und in den Städten der Meder“ angesiedelt. Der Grund dafür war, wie die Bibel sagt, dass „sie nicht auf die Stimme Jehovas, ihres Gottes, gehört hatten, sondern seinen Bund ständig übertraten, ja alles, was Moses, der Knecht Jehovas, geboten hatte. Sie hatten weder darauf gehört noch danach getan“ (2Kö 18:11, 12; 17:6; siehe SARGON).
Gefangene aus anderen, weit auseinander liegenden Gebieten wurden dann in die Städte Samarias gebracht und dort angesiedelt. „Danach brachte der König von Assyrien Leute aus Babylon und Kutha und Awa und Hamath und Sepharwajim und ließ sie statt der Söhne Israels in den Städten Samarias wohnen; und sie begannen Samaria in Besitz zu nehmen und in dessen Städten zu wohnen“ (2Kö 17:24). Diese Ausländer brachten ihre heidnischen Götter mit. „Indes machte sich jede einzelne Nation schließlich ihren eigenen Gott.“ Da sie aber Jehova nicht respektierten oder achteten, „sandte Jehova Löwen unter sie, und sie wurden zu Todbringern unter ihnen“. Daraufhin schickte der König von Assyrien einen israelitischen Priester zurück nach Samaria, „und er wurde ihnen zum Lehrer, der sie lehrte, wie sie Jehova fürchten sollten“. In dem Bericht heißt es dann weiter: „Jehova war es, den sie schließlich fürchteten, doch erwies es sich, dass sie ihre eigenen Götter anbeteten, gemäß der Religion der Nationen, aus denen man sie ins Exil geführt hatte“ (2Kö 17:25-33).
Nach dem Sturz des Nordreiches kam es im Lauf von mehr als 100 Jahren zu anderen erwähnenswerten Wegführungen. Vor der demütigenden Niederlage Sanheribs im Jahr 732 v. u. Z., die durch Gottes Hilfe zustande kam, griff er verschiedene Orte in Juda an. Sanherib behauptete in seinen Annalen, er habe in den Städten und Festungen Judas 200 150 Personen gefangen genommen, doch nach dem Ton zu urteilen, den er in seinen Annalen anschlug, ist die Zahl wahrscheinlich übertrieben (2Kö 18:13). Sein Nachfolger Esar-Haddon (Asarhaddon) und der darauffolgende Assyrerkönig, Asenappar (Assurbanipal), führten beide die Gefangenen in fremde Gebiete weg (Esr 4:2, 10).
Im Jahr 628 v. u. Z. legte der ägyptische Pharao Necho den Sohn Josias, Jehoahas vom Südreich, in Fesseln und führte ihn gefangen nach Ägypten weg (2Ch 36:1-5). Doch erst mehr als 10 Jahre später, im Jahr 617 v. u. Z., wurden Gefangene von Jerusalem nach Babylon ins Exil geführt. Nebukadnezar zog gegen die rebellische Stadt herauf und deportierte die Oberschicht der Bevölkerung, unter anderem König Jojachin und seine Mutter, außerdem Männer wie Hesekiel, Daniel, Hananja, Mischael, Asarja und „alle Fürsten und alle tapferen, starken Männer ... – zehntausend führte er ins Exil – und auch jeden Handwerker und Ersteller von Bollwerken. Keiner war zurückgelassen worden, mit Ausnahme der geringen Klasse des Volkes des Landes ... Seine Hofbeamten und die Vornehmsten des Landes führte er als Weggeführte aus Jerusalem ins Exil nach Babylon. Was all die tapferen Männer betrifft, siebentausend, und die Handwerker und die Ersteller von Bollwerken, eintausend, all die starken, Kriegsdienst leistenden Männer, der König von Babylon führte sie dann als ins Exil Weggeführte nach Babylon.“ Auch nahm er einen Großteil des Tempelschatzes mit (2Kö 24:12-16; Est 2:6; Hes 1:1-3; Da 1:2, 6). Jojachins Onkel Zedekia wurde als Vasallenkönig zurückgelassen. Ein paar andere bedeutende Persönlichkeiten, unter anderem der Prophet Jeremia, blieben ebenfalls in Jerusalem. In Anbetracht der großen Zahl von Gefangenen, die in 2. Könige 24:14 genannt wird, bezieht sich die in Jeremia 52:28 erwähnte Zahl von 3023 Gefangenen anscheinend auf Personen von Rang oder auf die Familienoberhäupter, während ihre Frauen und Kinder, die in die Tausende zählten, nicht mitgezählt wurden.
Die letzte Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar ereignete sich im Jahr 607 v. u. Z. nach 18-monatiger Belagerung (2Kö 25:1-4). Diesmal mussten fast alle Bewohner die Stadt verlassen. Einige der Geringen des Landes durften „als Winzer und als Fronarbeiter“ zurückbleiben. Über sie wurde Gedalja in Mizpa als Statthalter eingesetzt (Jer 52:16; 40:7-10; 2Kö 25:22). Zu denen, die gefangen nach Babylon geführt wurden, gehörten ‘einige der Geringen des Volkes und der Rest des Volkes, die in der Stadt Übriggebliebenen, und die Überläufer ... und der Rest der Werkmeister’. Der Ausdruck „die in der Stadt Übriggebliebenen“ deutet an, dass eine große Zahl der Bewohner entweder durch Hungersnot, Seuchen oder Feuer umgekommen oder im Krieg gefallen war (Jer 52:15; 2Kö 25:11). Die Söhne Zedekias, die Fürsten Judas, Hofbeamte, gewisse Priester und viele andere prominente Bürger wurden auf Befehl des Königs von Babylon zu Tode gebracht (2Kö 25:7, 18-21; Jer 52:10, 24-27). All das erklärt möglicherweise die sehr geringe Zahl der tatsächlich ins Exil Weggeführten, die mit 832 angegeben wird. Wahrscheinlich bezog sich diese Zahl auch nur auf die Familienoberhäupter, die Frauen und Kinder nicht eingeschlossen (Jer 52:29).
Etwa zwei Monate später, nach der Ermordung Gedaljas, flohen die in Juda zurückgebliebenen Juden nach Ägypten und nahmen Jeremia und Baruch mit (2Kö 25:8-12, 25, 26; Jer 43:5-7). Einige Juden mögen auch in andere umliegende Länder geflohen sein. Aus diesen Ländern stammten wahrscheinlich die 745 Gefangenen (Familienoberhäupter), die fünf Jahre später ins Exil geführt wurden, als Nebukadnezar als Jehovas symbolische Keule die Nachbarvölker Judas zerschmetterte (Jer 51:20; 52:30). Josephus schreibt, dass Nebukadnezar fünf Jahre nach dem Sturz Jerusalems Ammon und Moab überrannte und dann weiterzog, um an Ägypten Rache zu üben (Jüdische Altertümer, 10. Buch, Kap. 9, Abs. 7).
Mit Jerusalem verhielt es sich anders als mit anderen eroberten Städten, wie beispielsweise Samaria, wo Gefangene aus anderen Teilen des Assyrischen Reiches angesiedelt wurden. Im Gegensatz zur Politik, die die Babylonier sonst in eroberten Städten verfolgten, blieben Jerusalem und seine Umgebung unbewohnt und verödet, genau wie Jehova es vorherbestimmt hatte. Bibelkritiker mögen bezweifeln, dass das einst blühende Land Juda plötzlich „zu einer wüsten Einöde ... ohne Bewohner“ wurde, aber es gibt keine geschichtlichen Beweise oder Aufzeichnungen aus dieser Zeit, die das Gegenteil beweisen (Jer 9:11; 32:43). Der Archäologe G. Ernest Wright erklärt: „Die Vernichtung, die über Juda hereinbrach, ist nicht nur eindeutig durch die Ausgrabungen ... bezeugt, sondern es liegen auch archäologische Übersichtskarten vor, die zeigen, dass eine Stadt nach der andern in dieser Zeit aufgegeben wurde, und viele nie wieder besiedelt worden sind“ (Biblische Archäologie, 1958, S. 178). William F. Albright stimmt damit überein: „Es ist im eigentlichen Juda kein einziger Fall bekannt, wo eine Stadt durch die ganze Zeit der Gefangenschaft hindurch ständig bewohnt gewesen wäre“ (Archäologie in Palästina, 1962, S. 141).
Zustand der ins Exil Weggeführten. Die Gefangenschaft wurde im Allgemeinen als eine Zeit der Bedrückung und der Knechtschaft angesehen. Jehova sagte, dass Babylon kein Erbarmen mit den Israeliten hatte, sondern ‘auf dem alten Mann das Joch sehr schwer werden ließ’ (Jes 47:5, 6). Zweifellos mussten sie genauso wie andere Gefangene gewisse Zahlungen (Steuern, Tribut, Abgaben) leisten, gestützt auf das, was sie produzieren oder verdienen konnten. Auch der Umstand, dass der große Tempel Jehovas in Jerusalem geplündert und zerstört worden war, dass seine Priesterschaft entweder getötet oder ins Exil geführt worden war und seine Anbeter in die Gefangenschaft gebracht und zu Untertanen einer fremden Macht geworden waren, war gewiss bedrückend.
Doch im Exil zu leben war nicht so schlimm wie, für immer in grausame Sklaverei verkauft oder auf sadistische Weise hingerichtet zu werden, wie es bei assyrischen und babylonischen Eroberungen typisch war (Jes 14:4-6; Jer 50:17). Die im Exil lebenden Juden hatten ein gewisses Maß an Bewegungsfreiheit, und sie konnten ihre inneren Angelegenheiten teilweise selbst verwalten (Esr 8:1, 16, 17; Hes 1:1; 14:1; 20:1). „Dies ist, was Jehova ... zu allen ins Exil Weggeführten gesprochen hat, die ich von Jerusalem nach Babylon ins Exil habe ziehen lassen: ‚Baut Häuser, und bewohnt sie, und pflanzt Gärten, und esst ihren Fruchtertrag. Nehmt euch Frauen, und werdet Väter von Söhnen und von Töchtern; und nehmt Frauen für eure eigenen Söhne, und gebt eure eigenen Töchter Männern, damit sie Söhne und Töchter gebären; und werdet dort viele, und werdet nicht wenige. Auch sucht den Frieden der Stadt, in die ich euch ins Exil habe gehen lassen, und betet für sie zu Jehova, denn in ihrem Frieden wird sich selbst für euch Frieden finden‘“ (Jer 29:4-7). Einige von ihnen erwarben Geschick in verschiedenen Berufen, was sich nach Beendigung des Exils als nützlich erwies (Ne 3:8, 31, 32). Geschäftsunternehmen und der Handel im Allgemeinen wurden ihre Spezialitäten. Viele jüdische Namen wurden in den Geschäftsunterlagen gefunden. Solche Wirtschaftsbeziehungen und gesellschaftlichen Kontakte mit Nichtjuden führten dazu, dass das Aramäische die hebräische Sprache allmählich beeinflusste.
Die Zeit der Gefangenschaft, die für einige 80 Jahre betrug, wirkte sich natürlich auf die gemeinschaftliche Anbetung des wahren Gottes Jehova aus. Ohne Tempel, ohne Altar und ohne organisierte Priesterschaft war es nicht möglich, täglich Opfer darzubringen. Doch die treuen Juden konnten trotz der Verachtung und des Spottes anderer am Brauch der Beschneidung festhalten, sich unreiner Speisen enthalten, den Sabbat einhalten und beständig Gebete darbringen. Dass Daniel während der Gefangenschaft seinem Gott ‘mit Beharrlichkeit diente’, war König Darius und anderen gut bekannt. Selbst als eine Verfügung legalisiert wurde, die es unter Todesstrafe verbot, an irgendjemand anders als den König eine Bitte zu richten, „kniete er [Daniel] sich sogar dreimal am Tag auf seine Knie und betete und brachte Lobpreis dar vor seinem Gott, wie er es zuvor regelmäßig getan hatte“ (Da 6:4-23). Eine solche Treue in Bezug auf ihre eingeschränkte Anbetung half den im Exil lebenden Juden, ihre nationale Identität nicht zu verlieren. Es war für sie auch nützlich, den Gegensatz zwischen der reinen Einfachheit der Anbetung Jehovas und dem aufwendigen, götzendienerischen Materialismus Babylons zu beobachten. Zweifellos kam ihnen außerdem die Anwesenheit der Propheten Jehovas, Hesekiel und Daniel, zugute (Hes 8:1; Da 1:6; 10:1, 2).
Als die Juden die Synagoge einführten, wurden in den jüdischen Exilgemeinden in ganz Medien, Persien und Babylonien vermehrt Abschriften der Heiligen Schrift benötigt. Esra war als ein „geschickter Abschreiber im Gesetz Mose“ bekannt, was zeigt, dass aus Juda Abschriften des Gesetzes Jehovas mitgenommen worden waren, von denen dann weitere Abschriften angefertigt wurden (Esr 7:6). Ohne Zweifel war in diesen kostbaren Schriftrollen vergangener Generationen auch das Buch der Psalmen enthalten, und wahrscheinlich wurde der 137. Psalm und vielleicht auch der 126. Psalm während oder kurz nach der Gefangenschaft komponiert. Die sechs sogenannten Hallelpsalmen (113 bis 118) wurden anlässlich der großen Passahfeiern nach der Rückkehr des Überrestes aus Babylon gesungen.
Wiederherstellung und die Zerstreuung. Babylons Politik, keine Gefangenen freizulassen, ließ jegliche Hoffnung auf Rückkehr schwinden. Ägypten, auf dessen Hilfe Israel einst gehofft hatte, war weder militärisch noch sonstwie in der Lage zu helfen, und die anderen Nationen waren ebenfalls unfähig einzugreifen, wenn nicht sogar ausgesprochen feindlich gegenüber den Juden eingestellt. Nur Jehovas prophetische Verheißungen lieferten einen Grund zur Hoffnung. Jahrhunderte zuvor hatten Moses und Salomo von der Wiederherstellung gesprochen, die der Gefangenschaft folgen würde (5Mo 30:1-5; 1Kö 8:46-53). Auch andere Propheten sicherten eine Befreiung aus dem Exil zu (Jer 30:10; 46:27; Hes 39:25-27; Am 9:13-15; Ze 2:7; 3:20). In den letzten 18 Kapiteln (49–66) seiner Prophezeiung brachte Jesaja dieses Wiederherstellungsthema zu einem überwältigenden Höhepunkt. Es stellte sich jedoch heraus, dass die falschen Propheten gelogen hatten, als sie eine frühe Freilassung voraussagten, und jeder, der ihnen vertraute, wurde bitter enttäuscht (Jer 28:1-17).
Schließlich zeigte es sich, dass der treue Jeremia recht gehabt hatte, als er die Zahl der Jahre, in denen Jerusalem und Juda verwüstet sein würden, genau mit 70 angegeben und eine anschließende Zeit der Wiederherstellung vorhergesagt hatte (Jer 25:11, 12; 29:10-14; 30:3, 18). Im ersten Jahr des Meders Darius „bemerkte ... Daniel durch die Bücher die Zahl der Jahre, über die das Wort Jehovas an Jeremia, den Propheten, ergangen war, um die Verwüstungen Jerusalems zu erfüllen, nämlich siebzig Jahre“ (Da 9:1, 2).
Wie viele kehrten 537 v. u. Z. aus dem Babylonischen Exil nach Jerusalem zurück?
Zu Beginn des Jahres 537 v. u. Z. gab der persische König Cyrus II. einen Erlass heraus, der es den Gefangenen gestattete, nach Jerusalem zurückzukehren und den Tempel wieder aufzubauen (2Ch 36:20, 21; Esr 1:1-4). Bald waren Vorbereitungen im Gange. Unter der Leitung des Statthalters Serubbabel und des Hohen Priesters Jeschua machten sich die Rückkehrer, die 42 360 Männer sowie 7537 Sklaven und Sänger zählten, auf die 4-monatige Reise. Esra und Nehemia geben zwar bei den einzelnen zurückkehrenden Familien unterschiedliche Zahlen an, stimmen aber bei der Gesamtzahl überein. (Siehe NEHEMIA [BUCH].) Im 7. Monat, im Herbst, hatten sie sich in ihren Städten niedergelassen (Esr 1:5 bis 3:1). Durch göttliche Fügung war die königliche Linie Davids, die zu Christus führte, durch Jojachin (Jechonja) und Serubbabel erhalten geblieben. Auch die Geschlechtslinie des levitischen Hohen Priesters wurde nicht unterbrochen, sondern verlief über Jozadak und seinen Sohn Jeschua (Mat 1:11-16; 1Ch 6:15; Esr 3:2, 8).
Später kehrten weitere Gefangene nach Palästina zurück. 468 v. u. Z. wurde Esra von über 1750 Personen begleitet; diese Zahl schließt anscheinend nur die erwachsenen Männer ein (Esr 7:1 bis 8:32). Ein paar Jahre später reiste Nehemia mindestens zweimal von Babylon nach Jerusalem, doch wie viele Juden mit ihm zurückkehrten, wird nicht berichtet (Ne 2:5, 6, 11; 13:6, 7).
Die Gefangenschaft beendete die Trennung Judas und Israels. Die Eroberer machten keinen Unterschied, was die Stammeszugehörigkeit betraf, als sie die Exilierten deportierten. „Die Söhne Israels und die Söhne Judas werden zusammen bedrückt“, erklärte Jehova (Jer 50:33). Unter den ersten Heimkehrern im Jahr 537 v. u. Z. befanden sich Vertreter aller Stämme Israels. Nachdem der Wiederaufbau des Tempels vollendet war, wurden als Opfer 12 Ziegenböcke dargebracht, „gemäß der Zahl der Stämme Israels“ (Esr 6:16, 17). Auf diese Wiedervereinigung nach der Gefangenschaft wurde schon in den Prophezeiungen hingewiesen. Zum Beispiel verhieß Jehova, ‘Israel zurückzuführen’ (Jer 50:19). Des Weiteren sagte er: „Ich will die Gefangenen Judas und die Gefangenen Israels zurückbringen, und ich will sie bauen so wie zu Beginn“ (Jer 33:7). Hesekiels Vergleich, in dem zwei Stäbe zu einem werden (Hes 37:15-28), deutete an, dass die beiden Königreiche wieder eine Nation werden würden. Jesaja sagte voraus, dass Jesus Christus „für beide Häuser Israel“ ein Stein des Anstoßes werden würde, was wohl kaum bedeuten kann, dass Jesus oder die 12, die er während seiner dritten Predigtreise durch Galiläa aussandte, die im weit entfernten Medien angesiedelten Nachkommen der Israeliten des Nordreiches aufsuchten, um ihnen zu predigen (Jes 8:14; Mat 10:5, 6; 1Pe 2:8). Die Prophetin Anna, die zur Zeit der Geburt Jesu in Jerusalem lebte, war aus dem Stamm Ascher, der einst zum Nordreich zählte (Luk 2:36).
Nicht alle Juden kehrten mit Serubbabel nach Jerusalem zurück, sondern „nur ein Überrest“ (Jes 10:21, 22). Von den Zurückkehrenden hatten nur ganz wenige den ursprünglichen Tempel gesehen. Viele wagten wegen ihres vorgerückten Alters die beschwerliche Reise nicht mehr. Andere, die körperlich noch dazu in der Lage gewesen wären, beschlossen, in Babylon zu bleiben. Manche hatten zweifellos im Lauf der Jahre einen gewissen materiellen Wohlstand erreicht und wollten dort bleiben, wo sie waren. Da der Wiederaufbau des Tempels Jehovas in ihrem Leben nicht den ersten Platz einnahm, waren sie nicht gewillt, die gefährliche Reise zu unternehmen und einer ungewissen Zukunft entgegenzugehen. Und natürlich verspürten Abgefallene keinerlei Antrieb zurückzukehren.
Folglich blieb ein Teil der Juden zerstreut und wurde schließlich als die Diasporá oder „Zerstreuung“ bekannt. Im 5. Jahrhundert v. u. Z. gab es in allen 127 Gerichtsbezirken des Persischen Reiches jüdische Gemeinden (Est 1:1; 3:8). Manche Nachkommen der Exilierten bekleideten sogar hohe Regierungsämter, z. B. Mordechai und Esther unter dem persischen König Ahasverus (Xerxes I.) und Nehemia als königlicher Mundschenk bei Artaxerxes Longimanus (Est 9:29-31; 10:2, 3; Ne 1:11). Als Esra die Chronika zusammenstellte, schrieb er, dass viele dieser in der Zerstreuung Lebenden in verschiedenen östlichen Städten „blieben bis auf diesen Tag“ (ca. 460 v. u. Z.) (1Ch 5:26). Mit dem Aufstieg des griechischen Weltreiches wurden Juden von Alexander dem Großen in seine neue ägyptische Stadt Alexandria gebracht, wo sie Griechisch sprechen lernten. Dort begann man im 3. Jahrhundert v. u. Z., die Hebräischen Schriften ins Griechische zu übersetzen, woraus die Septuaginta entstand. Als Folge der Kriege zwischen Syrien und Ägypten wurden viele Juden nach Kleinasien und Ägypten zerstreut. Als Pompejus 63 v. u. Z. Jerusalem einnahm, nahm er Juden als Sklaven mit nach Rom.
Die große Zerstreuung der Juden im ganzen Römischen Reich trug zur schnellen Verbreitung des Christentums bei. Jesus Christus beschränkte seine eigene Predigttätigkeit auf das Gebiet Israels, aber er gebot seinen Nachfolgern, ihren Dienst „bis zum entferntesten Teil der Erde“ auszudehnen (Apg 1:8). Juden aus verschiedenen Teilen des Römischen Reiches waren 33 u. Z. in Jerusalem beim Pfingstfest anwesend, und sie hörten die geistgezeugten Christen über Jesus reden, und zwar in den Sprachen der Bewohner von Parthien, Medien, Elam, Mesopotamien, Kappadozien, Pontus, dem Bezirk Asien, Phrygien, Pamphylien, Ägypten, Libyen, Kreta, Arabien und Rom. Tausende nahmen bei der Rückkehr in ihr Heimatland ihren neu gefundenen Glauben mit (Apg 2:1-11). In den meisten Städten, die Paulus besuchte, fand er Synagogen, wo er freimütig mit den in der Zerstreuung lebenden Juden reden konnte. In Lystra traf Paulus Timotheus, dessen Mutter eine Jüdin war. Aquila und Priscilla waren gerade aus Rom gekommen, als Paulus um das Jahr 50 u. Z. Korinth besuchte (Apg 13:14; 14:1; 16:1; 17:1, 2; 18:1, 2, 7; 19:8). Da in Babylon und Umgebung viele Juden lebten, begab sich Petrus dorthin, um seinen Dienst unter den „Beschnittenen“ fortzusetzen (Gal 2:8; 1Pe 5:13). Die jüdische Gemeinde in der Gegend von Babylon galt noch geraume Zeit nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 u. Z. als wichtigstes Zentrum des Judaismus.