Babylon die Große — gefallen und gerichtet
„SIE ist gefallen! Babylon die Große ist gefallen, sie, die alle Nationen veranlaßt hat, von dem Wein der Wut ihrer Hurerei zu trinken!“ „Babylon die Große ist gefallen, und sie ist eine Wohnstätte von Dämonen und ein Versteck jeder unreinen Ausdünstung und ein Versteck jedes unreinen und gehaßten Vogels geworden!“ (Offenbarung 14:8; 18:2).
Welch eine aufsehenerregende Prophezeiung! „Babylon die Große ist gefallen!“ Diese symbolhafte Erklärung hat Erforscher der Bibel schon seit Jahrhunderten brennend interessiert. Warum sollte sie auch dich interessieren? Weil sich gemäß der Voraussage der Bibel das Geschick Groß-Babylons bald auf die ganze Menschheit auswirken wird. In den Wachtturm-Ausgaben vom 1. und 15. April 1989 wurde diese einflußreiche Hure deutlich als Satans Weltreich der falschen Religion identifiziert.a
Doch auf welche Weise ist sie gefallen? Und wann?
Babylon ist gefallen, aber nicht vernichtet
Um zu verstehen, was es mit dem Fall Groß-Babylons auf sich hat, ist es gut zu wissen, was geschah, als das alte Babylon 539 v. u. Z. fiel. Damals befanden sich die Israeliten, Gottes Volk, schon nahezu 70 Jahre in Gefangenschaft. Nun erwarteten sie den Worten ihrer Propheten entsprechend eine Befreiung (Jeremia 25:11, 12; 29:10). Wie begeistert die Juden doch gewesen sein müssen, als Cyrus, der Perser, den Sturz Babylons herbeiführte, ihnen die Freiheit gab und sie in ihre heilige Stadt Jerusalem zurückkehren ließ! (Jesaja 45:1-4).
Babylons Macht über die Juden war nun zwar gebrochen, doch das bedeutete nicht das Ende des alten Babylon. Die Historikerin Joan Oates schreibt in ihrem Buch Babylon: „Cyrus zog im Triumph in Babylon ein, er verbot Plünderungen und setzte einen persischen Statthalter ein; er ließ die religiösen Kulte und die zivile Verwaltung bestehen. ... Nach außen schien sich das private Leben der babylonischen Bevölkerung unter der persischen Herrschaft kaum geändert zu haben. Die religiösen Kulte blieben erhalten, und der Handel blühte.“ Babylon war also gefallen, bestand aber immer noch, allerdings mit dem großen Unterschied, daß die Israeliten, Gottes Volk, nicht mehr gefangengehalten wurden. Sie kehrten nach Jerusalem zurück, um die wahre Anbetung wiederherzustellen.
Als dann um das Jahr 331 v. u. Z. der griechische Feldherr Alexander der Große in Babylon einzog, wurde er von der Bevölkerung herzlich willkommen geheißen. Er beschloß, Babylon zu seiner östlichen Hauptstadt zu machen, starb aber, bevor er seinen ehrgeizigen Plan verwirklichen konnte. Das zeigt, daß Babylon zur damaligen Zeit immer noch eine blühende Stadt war.
Somit hörte Babylon, als es 539 v. u. Z. fiel, nicht zu existieren auf. Es blieb noch jahrhundertelang bestehen. Wie hat sich dies in der neuzeitlichen Erfüllung der prophetischen Aussprüche über Babylon die Große widergespiegelt?
Babylon die Große ist gefallen
Mit dem Fall des sinnbildlichen Babylon, des Weltreiches der falschen Religion, verhielt es sich ähnlich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vor 1919, mußten die Bibelforscher, wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden, von einer Art geistiger Gefangenschaft, von gewissen Ansichten und Gebräuchen der falschen Religion, befreit werden. Sie hatten sich zwar von Irrlehren, wie der Lehre von der Dreieinigkeit und der Unsterblichkeit der Seele, abgewandt, hielten aber immer noch an babylonischen Gebräuchen fest. Viele hatten in Verbindung mit der Charakterentwicklung eine selbstgerechte Einstellung entwickelt. Einige trieben Menschenverehrung, in deren Mittelpunkt Charles T. Russell, der erste Präsident der Watch Tower Bible and Tract Society, stand. Ohne eine biblische Grundlage zu haben, feierten sie Geburtstage und Weihnachten. Das Kreuz nahm in ihrem Denken immer noch einen vorrangigen Platz ein. Einige trugen sogar Anstecknadeln mit Kreuz und Krone, und andere strebten nach Ansehen, wie es in der Christenheit üblich ist. Dann, im Jahr 1917, kurz nach dem Tod Russells, trat eine bedeutende Wende ein.
In jenem Jahr veröffentlichte die Watch Tower Society einen Kommentar zur Offenbarung unter dem Titel Das vollendete Geheimnis. Dieses Buch stellte die Geistlichkeit der Christenheit bloß und wies auf ihre Einmischung in den Ersten Weltkrieg hin, der damals in Europa tobte. Einige protestantische Geistliche, Vertreter Groß-Babylons in Kanada, machten ihre politischen Freunde in der kanadischen Regierung auf dieses Buch aufmerksam und stellten die Bibelforscher als staatsfeindlich hin. Am 12. Februar 1918 wurde die Watch Tower Society in Kanada verboten.
Die Geistlichkeit der Vereinigten Staaten ahmte das Beispiel ihrer kanadischen Brüder prompt nach. Schon nach wenigen Tagen wurden in Los Angeles (Kalifornien) biblische Schriften der Watch Tower Society beschlagnahmt. Im Mai 1918 wurden dann Haftbefehle gegen J. F. Rutherford, den neuen Präsidenten der Watch Tower Society, und sieben andere ihrer offiziellen Vertreter erlassen. Überraschend schnell, bereits im Juni, wurden diese christlichen Männer vor Gericht gestellt und verurteilt. Sieben wurden mit 20 Jahren Gefängnis bestraft und einer mit 10 Jahren. Wie reagierte die Geistlichkeit? Martin Marty schreibt in seinem Buch Modern American Religion—The Irony of It All: „Die Geistlichkeit wandte sich gegen die Russelliten [später als Zeugen Jehovas bekannt] und jubelte, als sie erfuhr, daß die für schuldig befundenen Führer der Zeugen Jehovas zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt werden sollten.“ Die Vertreter Groß-Babylons lachten. Sie vergaßen, daß es heißt: Wer zuletzt lacht, lacht am besten.
Dadurch wurde 1918 die sinnbildliche babylonische Gefangenschaft für einige vom Volk Jehovas zur buchstäblichen Gefangenschaft. Eine Welle der Verfolgung der Bibelforscher fegte über die Vereinigten Staaten, Kanada und andere Länder hinweg. Nationalistische Geistliche organisierten Pöbelrotten, um die Bibelforscher aus ihren Gemeinden zu jagen. Man teerte und federte sie und schlug sie mit Knüppeln. Von der ungerechten Behandlung dieser Minderheit aufrichtiger Christen legen die Gerichtsakten in beschämender Weise Zeugnis ab.b
Im Jahr 1919 trat dann eine unerwartete Wende ein. Der Erste Weltkrieg war im November 1918 zu Ende gegangen. Gegen die Verurteilung der offiziellen Vertreter der Watch Tower Society wurde wegen Justizirrtums Berufung eingelegt. Zum Verdruß ihrer religiösen Feinde wurden Rutherford und seine Gefährten aus dem Gefängnis entlassen. Marty schreibt: „Es gab keinen Jubel bei den orthodoxen Kirchenmitgliedern.“ Schließlich wurden alle Angeklagten völlig rehabilitiert. Der voreingenommene katholische Richter Martin T. Manton (der später von Papst Pius XI. zum „Ordensritter St. Georgs des Großen“ geschlagen wurde) hatte die Annahme einer Kaution für die acht Angeklagten verweigert und dadurch veranlaßt, daß sie widerrechtlich neun Monate eingesperrt wurden. Sein wahrer Charakter zeigte sich später, im Jahr 1939, als er wegen Annahme von Bestechungsgeldern ins Gefängnis mußte.
Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis kehrten Rutherford und seine Mitarbeiter nach Brooklyn in die Zentrale der Watch Tower Society zurück. Sie gingen daran, den größten Feldzug zur Verkündigung des Königreiches zu organisieren, den die Welt bis dahin gesehen hatte. Die Bibelforscher hatten die Fesseln der Menschenfurcht gesprengt und sahen nun ganz deutlich, in welchem Verhältnis sie zur gesamten falschen Religion standen. Babylon die Große war ihr unnachgiebiger Feind und mußte als gefallen bloßgestellt werden. Die wahre Anbetung sollte unter den Nationen wiederhergestellt werden.
Jene unerschrockenen Christen verstärkten ihre Predigttätigkeit von Haus zu Haus. Sie stellten die falsche Religion bloß, indem sie durch die Straßen zogen mit Plakaten, die die Aufschrift trugen: „Religion ist eine Schlinge und ein Gimpelfang“ und: „Dient Gott und Christus, dem König“. Wie im alten Babylon, so bestand die falsche Religion immer noch und gedieh weiterhin, aber für Jehovas Zeugen war Babylon die Große 1919 gefallen. Sie waren von babylonischen Einschränkungen frei.
Babylons schwindender Einfluß
Heute, 70 Jahre später, kann man feststellen, daß der Einfluß Groß-Babylons in vielen Ländern geschwunden ist. In den Vereinigten Staaten, wo ein besonders gefühlsseliger Teil der Bevölkerung von TV-Evangelisten und religiösen Psychologen ausgebeutet wird, scheint die Religion zwar noch zu blühen, doch in letzter Zeit sind einige dieser Scharlatane entlarvt worden und in Ungnade gefallen. Auch in der Republik Korea, wo sich die Kirchen der Christenheit offenkundig in die Politik einmischen, scheint die Religion zu blühen. Babylon die Große besteht also immer noch, obwohl sie „gefallen“ ist.
Als Folge der Weltkriege hat die orthodoxe Religion in Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Schweden und Großbritannien jedoch die Massen nicht mehr hinter sich. Selbst katholische Länder wie Italien, Spanien und Frankreich haben einen Rückgang an Beichtwilligen und Besuchern der Messe zu verzeichnen. Die Zahl angehender Priester ist zurückgegangen. Und allein die Tatsache, daß der gegenwärtige Papst es für nötig hält, mehr als irgendeiner der früheren Päpste in der Welt umherzureisen, ist ein Symptom für eine Kirche in der Krise.
Außerdem spielt die Religion in den meisten sozialistischen Ländern seit 1917 nur noch eine untergeordnete Rolle und hat ihren früheren Einfluß auf die Politik eingebüßt. In der ganzen Welt gibt die traditionelle Religion immer noch Anlaß zu so viel Haß und Blutvergießen, daß viele denkende Menschen von Religion — ob westlich oder östlich — nichts mehr wissen wollen. Ja, die sinnbildlichen Wasser, auf denen Babylon die Große sitzt (die unter ihrem Einfluß stehenden Menschen), sind am Vertrocknen. Babylon die Große ist gerichtet, und ihre Hinrichtung steht kurz bevor (Offenbarung 16:12; 17:1, 15).
Babylon — warum gerichtet
Welchen Grund hat Jehova, das Weltreich der falschen Religion zu richten? Einige denken vielleicht, er sollte sich doch freuen, die vielen Schulen und Krankenhäuser zu sehen, die von den verschiedenen Religionsgemeinschaften unterhalten werden, sowie ihre wohltätigen Werke. Aber in welchem Vergleich steht dies alles zu der Anklage, die Jehova gegen die Religionen der Welt erhebt? Prüfen wir kurz diese Anklage und das Strafregister der Religion.c
„Einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen hatten, kam und redete mit mir, indem er sprach: ‚Komm, ich will dir das Gericht über die große Hure zeigen, die auf vielen Wassern sitzt, mit der die Könige der Erde Hurerei begingen, während die, welche die Erde bewohnen, mit dem Wein ihrer Hurerei trunken gemacht wurden‘“ (Offenbarung 17:1, 2). Wie wir in unseren Ausgaben vom 1. und 15. April gezeigt haben, läßt sich das Verhalten der Religion, die sich in der Vergangenheit zum Schaden des Volkes als Handlanger der nationalen Herrscher (der „Könige der Erde“) erwiesen hat, mit dem Verhalten einer selbstsüchtigen, Unzucht treibenden Hure vergleichen. Die Anklage enthält aber noch weitere Punkte.
„Und ich sah, daß die Frau trunken war vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen Jesu.“ „Ja, in ihr wurde das Blut von Propheten und Heiligen und von all denen gefunden, die auf der Erde hingeschlachtet worden sind“ (Offenbarung 17:6; 18:24). Babylon der Großen muß Blutschuld angelastet werden, weil sie im Laufe der Jahrhunderte wahre Christen zu Tode gequält hat, unter ihnen einige, die es gewagt hatten, die Bibel in die Sprache des Volkes zu übersetzen, sowie viele, die es gewagt hatten, eine Bibel zu besitzen und zu lesen. Auch was die wahren Christen betrifft, die in jüngerer Zeit unter dem Nationalsozialismus, dem Faschismus oder unter anderen totalitären Regierungen in Gefängnissen und Konzentrationslagern umgebracht wurden, hat Groß-Babylon Blutschuld auf sich geladen. Bemerkenswert ist, daß in der Anklage „von all denen ..., die auf der Erde hingeschlachtet worden sind“, die Rede ist; dazu gehören auch die Hunderte von Millionen, die im Laufe der Geschichte Opfer von Kriegen und anderen Feindseligkeiten geworden sind, deren Teilnehmer vorgaben, religiös zu sein. (Vergleiche Matthäus 23:34-36; 2. Timotheus 3:5.)
Babylon die Große ist von Gott noch wegen etwas anderem gerichtet worden. Die Urteilsbegründung lautet: „Durch deine spiritistischen Bräuche wurden alle Nationen irregeführt“ (Offenbarung 18:23). Interessanterweise wird mit dem Ausdruck „spiritistische Bräuche“ das griechische Wort pharmakíai (sprich: pharmakía) wiedergegeben, das „in erster Linie den Gebrauch von Medizin, Drogen, Bannsprüchen [bezeichnet]; dann: vergiften; dann: Zauberei“.d Die falsche Religion hat die Nationen in geistigem Sinn vergiftet, indem sie sie zum Glauben an falsche Götter und zur Annahme von Lehren verleitete, die ihre Aufmerksamkeit von Jehova und der Streitfrage um die universelle Souveränität ablenkte. Durch ihre Irrlehre von der Unsterblichkeit der Seele hat die falsche Religion auch den Grund gelegt für jede Art von Spiritismus und Zauberei sowie für die Furcht vor den Toten und die Ahnenverehrung. Gottes Verurteilung Groß-Babylons ist völlig gerechtfertigt. Es ist so, wie Johannes schrieb: „Ihre Sünden haben sich aufgehäuft bis zum Himmel, und Gott hat ihrer Taten der Ungerechtigkeit gedacht“ (Offenbarung 18:5).
Was müssen wir tun?
In Anbetracht dessen, daß Babylon die Große gefallen und gerichtet ist, erhebt sich die Frage: Was müssen wahrheitsliebende Menschen jetzt tun? Folgende Prophezeiung Jesajas, die sich auf das alte Babylon bezog, ist hinsichtlich der falschen Religion heute von noch weit größerer Bedeutung: „Weichet, weichet, zieht von dort aus, rührt nichts Unreines an; geht aus ihrer Mitte hinaus, haltet euch rein, die ihr die Geräte Jehovas tragt“ (Jesaja 52:11). Dieser dringende Aufruf entspricht dem aus Offenbarung 18:4: „Und ich hörte eine andere Stimme aus dem Himmel sagen: ‚Geht aus ihr [Babylon der Großen] hinaus, mein Volk, wenn ihr nicht mit ihr teilhaben wollt an ihren Sünden und wenn ihr nicht einen Teil ihrer Plagen empfangen wollt.‘“
Ja, es ist höchste Zeit, jede Verbindung zur falschen Religion abzubrechen. Wohin sollen wir uns aber wenden, wenn wir Babylon die Große verlassen? Wir müssen uns der wahren Anbetung Jehovas in Verbindung mit seinen Zeugen zuwenden. Bereits strömen Millionen aus allen Nationen zu dem symbolischen „Berg Jehovas“. Auch du bist eingeladen, die Bibel mit Jehovas Zeugen zu studieren und dich der wahren Anbetung anzuschließen (Jesaja 2:2-4; 43:10-12).
Jetzt bleibt noch die Frage: Wenn Babylon die Große doch gefallen und gerichtet ist, was steht dann als nächstes auf der göttlichen Tagesordnung? Was wird mit Satans Weltreich der falschen Religion geschehen? In unserer nächsten Ausgabe (15. Mai) werden wir diese Frage anhand biblischer Prophezeiungen untersuchen.
[Fußnoten]
a Babylon die Große kann weder die politischen Mächte noch die Geschäftswelt sinnbildlich darstellen, da von diesen gesagt wird, sie würden ihren Fall beklagen (Offenbarung 18:9-11). Das einzige andere Hauptelement des Weltsystems Satans ist die Religion. Ihre Verbindung zum Spiritismus bestätigt diese Identifizierung (Offenbarung 18:23).
b Weitere Einzelheiten über diese Verfolgung sind im Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1975, S. 92—118 zu finden.
c Eine eingehende Betrachtung dieses Themas ist in dem 1988 von der Wachtturm-Gesellschaft veröffentlichten Buch Die Offenbarung — Ihr großartiger Höhepunkt ist nahe! (S. 235—271) zu finden.
d W. E. Vine, Expository Dictionary of New Testament Words, Bd. 4, S. 51, 52.
[Bild auf Seite 7]
Obwohl Babylon 539 v. u. Z. fiel, blieb es als Stadt noch Jahrhunderte bestehen