Warum man anderen vergeben sollte
Kannst du vergeben? Worin bestehen die Vorteile?
ES IST nicht immer leicht zu vergeben. Oft muß man viel Schmerz, Unrecht oder Schwierigkeiten ertragen, weil andere hart, nachlässig oder verständnislos sind. Sehr leicht könnte man Groll hegen und sich dazu berechtigt fühlen, aber die Bibel empfiehlt, daß wir vergeben. Warum?
Es gibt viele Gründe dafür. Ein sehr wichtiger Grund ist, daß wir auf Gottes Vergebung angewiesen sind. Die Bibel zeigt uns, daß wir ‘alle gesündigt haben und der Herrlichkeit Gottes ermangeln’, daß wir ständig auf seine Vergebung angewiesen sind. (Röm. 3:23; 6:23) „Wenn du, Jehova, merkst auf die Ungerechtigkeiten: Herr, wer wird bestehen?“ fragt der Psalmist. Aber er fügt hinzu: „Bei dir ist Vergebung.“ — Ps. 130:3, 4; 19:12; 32:1.
GOTTES VERGEBUNG ERLANGEN
Um Aussicht auf diese Vergebung zu haben, müssen wir anderen vergeben. So machte Jesus Christus, der Sohn Gottes, in dem Mustergebet, das er seine Nachfolger lehrte, Gottes Vergebung für uns davon abhängig, daß wir anderen vergeben haben. Ja beachte, daß Jesus nicht sagte, wir sollten darum beten, daß Gott uns unsere Schulden vergeben möge, wie wir vorhätten, anderen zu vergeben, sondern „wie auch wir unseren Schuldnern vergehen haben“. — Matth. 6:12.
Jesus wußte sehr gut, daß wir als unvollkommene, vergeßliche Menschen nur allzu schnell bereit sind, zu versprechen, daß wir anderen vergeben werden, damit uns selbst vergeben wird. Aber dann mögen wir vergessen oder uns weigern, anderen zu vergeben, da es nicht immer so leicht ist, dies zu tun. Jesus hob denselben Punkt in seiner Bergpredigt hervor, als er sagte: „Glücklich sind die Barmherzigen“, diejenigen, die Barmherzigkeit üben, „da ihnen Barmherzigkeit erwiesen wird“ — natürlich von Gott und oft auch von Menschen. — Matth. 5:7; Eph. 4:1, 2, 32; Kol. 3:12, 13.
Und in welch einer armseligen Lage wären wir doch, wenn sich unser himmlischer Vater weigerte, uns Barmherzigkeit zu erweisen! Aber Gott gab seinen eigenen Sohn als Opfer, damit er in Einklang mit seiner Gerechtigkeit reuigen Sündern, die Glauben üben, vergeben könnte, so wie wir lesen: „Durch ihn haben wir die Erlösung durch Loskauf mittels des Blutes dieses einen, ja die Vergebung unserer Verfehlungen, gemäß dem Reichtum seiner unverdienten Güte.“ (Eph. 1:7) Aber er gewährt uns diese Vergebung nur, wenn wir anderen ihre Verfehlungen uns gegenüber großzügig vergeben.
Jesus hob in einem Gleichnis hervor, wie verschieden voneinander unsere Verschuldung Gott gegenüber und die Verschuldung eines anderen uns gegenüber sind. Dieses Gleichnis erzählte er, gleich nachdem er dem Apostel Petrus gesagt hatte, er müsse nicht nur bis siebenmal vergeben, sondern: „Bis siebenundsiebzigmal.“ — Matth. 18:21, 22.
In diesem Gleichnis erzählte er von einem König, der einem seiner Sklaven die Schuld von 10 Millionen Dollar erließ oder sie tilgte. Aber jener Sklave war nicht bereit, einem Mitsklaven, der ihm nur 17 Dollar schuldete, auch nur Zeit für die Rückzahlung einzuräumen! Ja er ließ ihn ins Gefängnis werfen! Als der König dies hörte, hob er die Barmherzigkeit auf, die er dem Sklaven erwiesen hatte, der nicht zum Vergeben bereit war, und er ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er alles bezahlt hätte, was er schuldete. Jesus wies dann auf die Nutzanwendung mit den Worten hin: „In gleicher Weise wird mein himmlischer Vater auch mit euch verfahren, wenn ihr nicht ein jeder seinem Bruder von Herzen vergebt.“ — Matth. 18:23-35.
Auf diese Weise unterstrich Jesus in seinem Gleichnis nicht nur die Notwendigkeit, anderen zu vergeben, sondern auch den großen Unterschied zwischen dem, was andere uns schulden, und dem, was wir Gott schulden. Ja das, was andere uns in dem Sinne schulden mögen, daß sie eine Übertretung gegen uns begangen haben, könnte mit dem, was wir Gott schulden, weil wir seine Gesetze übertreten haben, so verglichen werden wie 17 Dollar mit 10 Millionen Dollar. Wenn Gott so viel vergeben kann, sollte dies uns dann nicht veranlassen, noch mehr als bisher zu vergeben?
VERGEBEN, WEIL ES NÜTZLICH IST
Ein weiterer Grund, aus dem uns die Bibel empfiehlt, anderen zu vergeben, ist, daß wir uns selbst lieben. Der Apostel Paulus erklärte dies treffend: „Kein Mensch hat je sein eigenes Fleisch gehaßt, sondern er nährt und hegt und pflegt es.“ Diese Pflege ist ein Ausdruck der Liebe des Menschen zu sich selbst. — Eph. 5:29; Matth. 22:39.
Da wir uns lieben, möchten wir uns nicht unnötig belasten, nicht wahr? Doch das tun wir, wenn wir Groll hegen und uns weigern, anderen zu vergeben, denn eine gewisse Person schrieb: „Groll ist zu schwer, als daß ihn irgend jemand tragen könnte.“
Gottes Wort gibt uns den weisen Rat: „Laßt die Sonne nicht über eurer gereizten Stimmung untergehen.“ (Eph. 4:26) Man sollte bewußte Anstrengungen machen, das Unrecht zu vergessen und die gestörten Beziehungen wiederherzustellen, und zwar so bald wie möglich, wenn es geht, an demselben Tag, an dem es zu dem Bruch gekommen ist.
WICHTIGKEIT DER VERGEBUNG IN DER EHE
Besonders in der Ehe ist es weise, zum Vergeben bereit zu sein. Wenn man es aufschiebt oder sich weigert zu vergeben, kann das zu Trennung und Scheidung führen, was oft ein Gefühl der Schuld und Einsamkeit zur Folge hat. Stolz mag bewirken, daß eine Ehefrau oder ein Ehemann auf einer Scheidung oder Trennung besteht, aber mit Stolz hat man wenig Gesellschaft.
Ein namhafter Schriftsteller sagte vor kurzem, er sei bereit, darüber zu berichten, was man empfindet, wenn man nach vierzehnjähriger Ehe geschieden ist. „Es ist ein Unsinn!“ sagt er. „Wenn man frei von Ehebanden ist, besonders in den mittleren Jahren, überwiegen die Nachteile bei weitem die Freuden. Zum erstenmal stellt man fest, wie laut die Stille in dem ruhigen Lärm einer leeren Wohnung sein kann. Die Einsamkeit und Stille brechen herein, wenn das Geräusch des Schlüssels, den man in der Haustür dreht, kein Geräusch als Erwiderung hervorruft. In diesem Augenblick stellt man fest, daß das Bellen eines Hundes, das Miauen einer Katze oder das Zwitschern eines Vogels kein Ersatz für die Stimme eines Menschen ist. ... Freunde können die entsetzliche Lücke nicht schließen, die einst jemand, Ehefrau oder Ehemann genannt, ausgefüllt hat. Es ist einfach nicht dasselbe.“ Diese Ehe hätte vielleicht gerettet werden können, wenn Vergebung dem Stolz vorgezogen worden wäre.
Eine geschiedene Schauspielerin, die für sich in London wohnte, hatte den Gipfel des finanziellen Erfolges erreicht. Sie war „frei“. Aber sie sagte: „Wenn ich nach dem Theater nach Hause komme und die Tür schließe und weiß, daß sich eigentlich keine Seele darum kümmert, was ich tue oder was mir körperlich oder geistig passiert, dann erkenne ich, was für eine Schlinge diese sogenannte Freiheit ist.“ Könnte es sein, daß diese Ehe gerettet worden wäre, wenn man sich vergeben hätte, statt stolz zu sein?
DER EINFLUSS DER UNWISSENHEIT
Oft fügt uns jemand aus Unwissenheit einen Schaden zu, und dies wiederum mag auf seine Umgebung und Erziehung zurückzuführen sein. Dies zu berücksichtigen wird uns helfen zu vergeben.
Eine wahre Begebenheit veranschaulicht diesen Punkt sehr gut. Eine Kellnerin hatte Schwierigkeiten mit einer Köchin, die anscheinend bei jeder Kleinigkeit schrie und fluchte. Das rohe Benehmen der Köchin war äußerst unangenehm, obwohl sie sich dessen überhaupt nicht bewußt war. Aufgrund ihrer Erziehung hatte sie nie gelernt, sich anders zu benehmen. Eines Tages verschüttete die Kellnerin eine Portion Erbsen, und die Köchin brachte sie vor allen Gästen in Verlegenheit. Was sollte sie tun? Kündigen? Die Kellnerin bat eine Zeugin Jehovas, die mit ihr die Bibel studierte, um biblischen Rat. Ihr wurde gesagt, sie solle im Sinne von Matthäus 18:15 mit der Köchin sprechen, liebevoll sein und vergeben.
Als die Zeugin Jehovas in der nächsten Woche hinging, um ihr Bibelstudium durchzuführen, war sie auch gespannt, wie es der Kellnerin mit ihrer Köchin ergangen war. „Anne, nach der Bibel zu handeln hilft wirklich!“, so wurde sie an der Tür begrüßt. „Nachdem ich mit dir darüber gesprochen hatte, wie ich mein Problem anfassen sollte, war die Köchin einfach nett zu mir. Sie ist die beste Freundin, die ich dort habe. Sie läßt mich in die Küche kommen, damit ich ein Stück Torte mit ihr esse, und gibt sich besondere Mühe, freundlich zu mir zu sein, indem sie meine Bestellungen mit besonderer Aufmerksamkeit ausführt. Ich bin ja so froh, daß ich auf dich gehört und sie nicht auch angeschrien habe.“ Die Köchin schätzte es, daß die Kellnerin bereit war zu vergeben und sich so liebevoll verhielt.
Manchmal führt Unwissenheit die Menschen dazu, große Schlechtigkeiten zu begehen. Unwissenheit spielte eine Rolle bei der Ermordung Jesu Christi. Daher sagte der Apostel Petrus zu seinen jüdischen Zuhörern, für die er eine Gelegenheit sah, sich zu ändern: „Ich weiß, daß ihr aus Unwissenheit gehandelt habt wie auch eure Vorsteher.“ (Apg. 3:17) Er forderte sie auf, zu bereuen und Vergebung ihrer Sünden zu erlangen. Viele von ihnen taten dies. Und alle, die es taten, wurden in der Christenversammlung zu Brüdern und Schwestern, ja zu den geistigen Brüdern Christi!
EINFÜHLUNGSVERMÖGEN UND LIEBE ENTSCHEIDEND
Einfühlungsvermögen und Liebe sind Eigenschaften, die uns helfen, denen, die Übertretungen gegen uns begehen, leichter zu vergeben. Einfühlungsvermögen ist die Eigenschaft, durch die wir uns in das Denken und in die Empfindungen anderer versetzen können, so daß wir gewissermaßen in ihren Schuhen stecken.
Uns in die Lage eines anderen zu versetzen hilft uns vergeben. Es läßt uns deutlicher erkennen, wie wir den von Jesus angeführten Grundsatz anwenden können: „Wie ihr wollt, daß euch die Menschen tun, so tut auch ihnen.“ (Luk. 6:31) Möchten wir, daß andere wegen eines Vergehens unsererseits einen Groll gegen uns hegen? Natürlich nicht. Wir möchten, daß andere uns vergeben, und wir schätzen es, wenn sie es tun.
Selbstlose, grundsatztreue Liebe hilft einem, deutlich zu erkennen, wie weise es ist, anderen zu vergeben. Zunächst veranlaßt sie uns, einander zu vergeben, und dann mag das Vergeben zur Folge haben, daß uns der, dem wir vergeben haben, liebt. Ein weiser König sagte vor langer Zeit: „Wer Liebe sucht, deckt die Übertretung zu.“ (Spr. 17:9) Salomo bezog sich hier auf die Übertretungen von geringerer Bedeutung, die Menschen so leicht von Tag zu Tag gegeneinander begehen.
Auch die Apostel Petrus und Paulus lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Beziehung der Liebe zur Vergebung. Petrus erteilte seinen Mitchristen Rat und schrieb: „Habt vor allem inbrünstige Liebe zueinander, denn die Liebe deckt eine Menge von Sünden zu.“ Paulus schrieb: „Kleidet euch mit Liebe.“ „So wie Jehova euch bereitwillig vergeben hat, so tut auch ihr.“ (1. Petr. 4:8; Kol. 3:12-14) In dem Ausmaß, in dem Liebe herrscht, vergibt ein Ehepartner dem anderen die Fehler, die Jehova uns bereitwillig vergibt; ein Freund vergibt seinem irrenden Gefährten, und der christliche Prediger vergibt denen, die ihn grob behandeln.
Wieso ist Liebe bereit zu vergeben? Warum trägt Liebe „das Böse nicht nach“? Weil, wie Paulus es in seiner Beschreibung der Liebe zeigt, „die Liebe ... langmütig und gütig [ist]. Die Liebe ist nicht eifersüchtig, ... blickt nicht nach ihren eigenen Interessen aus, ... hofft alles, erduldet alles.“ Gewiß erklären all diese Gesichtspunkte der Liebe, warum die Liebe bereit ist zu vergeben! — 1. Kor. 13:4-7.
Man beachte aber, daß Vergebung Barmherzigkeit ist. Derjenige, der im Irrtum ist, kann sie nicht als ein Recht fordern, ebensowenig wie Menschen von Gott Barmherzigkeit fordern können.
„VON HERZEN“ UND „BEREITWILLIG“
Wir dürfen anderen nicht nur flüchtig oder oberflächlich vergeben. Da die Vergebung von Liebe hervorgerufen wird, muß sie aufrichtig und echt sein und von Herzen kommen. Jesus erkannte das Wesentliche und betonte, daß Vergebung „von Herzen“ kommen müsse. (Matth. 18:35) Ebenso unterstrich der Apostel Paulus, daß man nicht widerstrebend, ungern, sondern „bereitwillig“ vergeben sollte. Er spornt uns an, „einander bereitwillig zu vergeben“. — Eph. 4:32; Kol. 3:13.
Ja wir sollten anderen fröhlich vergeben, denn uns wird gesagt: „Wer Barmherzigkeit erweist [was bedeutet, anderen zu vergeben], der tue es mit Fröhlichkeit.“ (Röm. 12:8) So wie „Gott ... einen fröhlichen Geber [liebt]“, schätzt es derjenige, dem vergeben wird, wenn ihm mit Fröhlichkeit vergeben wird. — 2. Kor. 9:7.
Es bestehen wirklich zwingende Gründe, warum du anderen vergeben solltest. Zwar kann derjenige, der im Unrecht ist, keine Vergebung als ein Recht fordern, doch kann er demütig um Vergebung bitten, so wie wir Gott bitten, uns zu vergeben. Und wenn es auch nicht immer leicht ist zu vergeben, ist es doch weise, dies zu tun. Es trägt zum Herzensfrieden und zur Gesundheit bei, sowohl für den, der vergibt, als auch für den, dem vergeben wird. Es ist liebevoll, so zu handeln, da es glücklich macht und eine liebevolle Erwiderung auslöst. Und denke vor allem daran, daß deine guten Beziehungen zu deinem Schöpfer, Jehova Gott, davon abhängen, daß du anderen vergibst!
‘Zwei Männer waren die Schuldner eines gewissen Geldverleihers; der eine schuldete zehnmal soviel wie der andere. Da sie nichts hatten, womit sie hätten zurückzahlen können, erließ er es beiden in freigebiger Weise. Welcher von ihnen wird ihn daher mehr lieben?’ fragte Jesus. Die Antwort: ‘Der, dem er in freigebiger Weise mehr erlassen hat.’ — Luk. 7:41-43.
[Bild auf Seite 581]
Trägt es zum Familienglück bei, wenn man sich unversöhnlich zeigt?