Spanien
Spanien! Woran denkst du, wenn du diesen Namen hörst? An Stierkämpfe? An Flamencotänze? An die Gemälde von El Greco und Goya?
Es wäre ganz natürlich, wenn dir diese Dinge bei der Erwähnung von Spanien in den Sinn kämen. Dieses Land zeichnet sich durch große Vielfalt aus. Die keltischen und maurischen Invasionen vergangener Jahrhunderte haben im Aussehen der Bevölkerung ethnische Spuren hinterlassen. Vier Sprachen und mehrere Dialekte werden hier gesprochen. Bei diesen Sprachen handelt es sich um das Spanische (Kastilische), das Baskische, das Katalanische und das Galicische, das eng mit dem Portugiesischen verwandt ist. Oft werden ganz unbewußt eine Menge arabischer Wörter verwandt, denn ein großer Teil des spanischen Wortschatzes schließt arabische Wörter ein, die nach der achthundertjährigen Besetzung der Iberischen Halbinsel durch die Araber zurückgeblieben sind.
Spanien ist fast eine Insel — westlich davon ist der Atlantik, östlich davon das Mittelmeer. Das Land wird von Frankreich und von dem übrigen Europa durch die Pyrenäen getrennt, die teilweise über 3 000 Meter hoch sind. Den mittleren Teil Spaniens nimmt ein Hochplateau, die meseta, ein, das im Norden an einen Gebirgszug grenzt, zu dem die eindrucksvollen Picos de Europa gehören, und im Süden an die berühmte schneebedeckte Sierra Nevada. Tatsächlich hat Spanien nach der Schweiz die größte durchschnittliche Höhe in Europa. Spanien hat die geringsten Niederschläge von ganz Europa zu verzeichnen; hauptsächlich regnet es im Norden des Landes. Mit gutem Grund wird es das „Land des Sonnenscheins“ genannt, und jedes Jahr strömen nordeuropäische Touristen ins Land.
Den in Spanien lebenden Erforscher der Bibel beeindruckt besonders die große Ähnlichkeit mit Palästina, was das Klima, die Geographie und die Ernährung betrifft. Spanien hat „Ölberge“, und auch heute werden Ochse und Esel gebraucht. Wer durch das Land reist, begegnet oft einem Hirten, der zusammen mit seinem Hund eine Herde von Schafen und Ziegen führt und nach einer Weide sucht. In der Erntezeit kann man noch heute Bauern begegnen, die auf einer Dreschtenne arbeiten, die dem Wind ausgesetzt ist, und den Weizen worfeln, um ihn von der Spreu zu trennen. In einigen der südlichen Städte wachsen Dattelpalmen, und in Gärten und auf öffentlichen Plätzen findet man Orangen- und Zitronenbäume.
DIE RELIGION IN SPANIEN
Das spanische Volk ist im wesentlichen religiös. Die meisten Spanier glauben an Gott, wenn auch die Mehrheit das Vertrauen zu den Priestern verloren hat. Der Bürgerkrieg, der vom Juli 1936 bis zum April 1939 dauerte, kostete mehr als eine Million Spanier das Leben. Durch diese gewaltige Zahl von Todesopfern wurden die schlechten Früchte der Religion und der Politik bloßgestellt, denn beide waren an den Morden und an den Racheakten beteiligt. Die Republikaner (Kommunisten, Sozialisten und Liberale) töteten Priester, Nonnen und kirchentreue Beamte, während die Nationalisten (die von der Armee unterstützten katholischen Faschisten) durch das Land zogen und die umbrachten, die der katholischen Kirche nicht loyal ergeben waren.
Dieser Bürgerkrieg hinterließ eine Narbe, die noch heute vorhanden ist und die sich in der Reaktion der älteren Bevölkerung auf das Predigtwerk der Zeugen Jehovas widerspiegelt. Die traditionsbewußten Katholiken, die am Bürgerkrieg, am „Kreuzzug“, teilgenommen haben, glauben, daß dem „Irrtum“ nicht die Freiheit gegeben werden sollte, sich auszubreiten, und zwar erst recht nicht in einem Land, das ein Konkordat mit dem Vatikan hat. Die Hauptunterstützer der Kirche mit ihren uneinigen Gruppierungen (Konservative, Progressive, Opus Dei usw.) sind im Mittelstand und in den höheren Klassen zu finden, deren materielle Interessen und deren Wohlstand von der Aufrechterhaltung des Status quo abhängen. Das Volk im allgemeinen jedoch und besonders die Einwohner der Städte sind der Kirche gegenüber gleichgültig und nehmen sie nur für besondere Anlässe, wie Taufe, Hochzeit und Beerdigung, in Anspruch oder für einen gelegentlichen Besuch der Messe.
Zweifellos hat sich die religiöse Atmosphäre in diesem katholischen Land seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) verändert. Zum Beispiel schrieb der spanische Erzbischof von Madrid-Alcalá am 8. Dezember 1965: „Das Zweite Vatikanische Konzil ist heute zu Ende gegangen und hat der Kirche und der christlichen Welt einen neuen Geist gegeben, einen neuen Humanismus, eine neue Hoffnung und eine neue Vision — gleichzeitig sowohl historisch als auch transzendent — von der Welt, in der wir leben.“ Dieser „neue Geist“ und die „neue Vision“ haben die religiösen und politischen Führer gezwungen, Änderungen zu akzeptieren, die viele von ihnen in Wirklichkeit nicht gewünscht haben. Dazu gehört auch das Gesetz über Religionsfreiheit vom Jahre 1967. Dieses Gesetz schuf eine völlig neue Lage in bezug auf die Predigttätigkeit der Zeugen Jehovas und trug zu einer toleranteren Einstellung von seiten der Mehrheit bei.
DER ERSTE SAME GESÄT
Nach diesem kurzen Überblick über Spanien und seine Bevölkerung, seine geographische Beschaffenheit, seine neuzeitliche Geschichte und seine Religion wollen wir nun sehen, was das wahre Christentum in diesem Land bewirkt hat. Natürlich ist es gut möglich, daß der erste christliche Zeuge Jehovas, der in Spanien predigte, der Apostel Paulus war, der so sehr den Wunsch hatte, in unberührtes Gebiet zu gehen, daß er plante, die gute Botschaft vom Königreich nach Spanien zu bringen (Röm. 15:22-29).
Doch wie steht es mit dem zwanzigsten Jahrhundert? Nun, in der Zeitschrift La Torre del Vigía (Der Wacht-Turm in Spanisch) erschien in der Ausgabe vom 1. Juli 1919 ein Brief von der jüngsten Tochter einer Christin in Spanien. In ihrem Brief schrieb María, wie sehr sie sich über die Aussicht freute, mit ihrer Mutter nach Paris zu fahren, um „den Auftrag zu erfüllen, den Gott mir und meiner Mama gegeben hat“. Wir kennen nicht den Namen der Schwester, und wir wissen auch nicht den Namen der Person, die in einem Brief erwähnt wird, der einen Monat später im spanischen Wacht-Turm abgedruckt wurde. Es handelt sich dabei um den Brief einer Schwester in Madrid, die ein anonymes Schreiben von einem ihrer katholischen Nachbarn erhalten hatte. In diesem Schreiben hieß es auszugsweise: „Nehmen Sie sich in acht, Señora, Sie sind in der Falle. Jemand beobachtet Ihre Umtriebe; zweifeln Sie nicht daran. Sie verweigern dem Stellvertreter Gottes, dem Papst, und seinen Dienern den Gehorsam und treten durch Ihre Unterhaltungen und Ihr schlechtes Beispiel den heiligen Dienst, den diese vertreten, mit Füßen. ... Stellen Sie Ihre verrückten Bemühungen ein, denn Sie werden nichts ausrichten. Ich empfehle Ihnen in Frieden, sich zurückzuziehen oder woandershin zu gehen, denn wenn Sie das nicht tun, wird Ihnen etwas Schlimmeres zustoßen.“ Offensichtlich war jemand über die Königreichsbotschaft nicht sehr glücklich.
Dennoch wurde in Spanien der Same der Wahrheit ausgesät. Bruder J. F. Rutherford, der zweite Präsident der Watch Tower Society, war sich der Notwendigkeit, dem Königreichswerk in diesem Land eine gute Grundlage zu geben, völlig bewußt. Damals lebte in Philadelphia (Pennsylvanien, USA) ein eifriger spanischer Bruder namens Juan Muñiz. Bruder Rutherford bat ihn, nach Spanien zu gehen, und gegen Ende 1920 oder Anfang 1921 reiste Bruder Muñiz auf eigene Kosten in dieses Land. Er war ein Asturier aus dem Norden Spaniens und kehrte dorthin zurück, um bei seiner Schwester zu wohnen. Sein Zeugnisgebiet? Die Bergarbeitergemeinden in Asturien.
In einem Brief, der in der spanischen Ausgabe des Wacht-Turms von April/Mai 1923 erschien, erklärte Bruder Muñiz, daß er in einer Stadt vier Tage verbracht habe, um den Männern dort, die hauptsächlich zum Sozialismus neigten, Zeugnis zu geben. Sie befürworteten eine Weltveränderung durch den Sozialismus und er durch Gottes Königreich. Einer seiner Zuhörer kam zu dem Schluß: „Der Unterschied zwischen ihm und uns ist, daß er Gott hat und wir nicht.“
In einem anderen Brief schrieb Bruder Muñiz fast ein Jahr später: „Jetzt, unter der neuen Regierung [der Militärdiktatur von General Primo de Rivera], die völlig von der Geistlichkeit abhängig ist und ,das Schwert in der Hand‘ hat, wäre die Lage furchterregend, wenn wir uns nicht der Worte des Herrn erinnerten: ,Siehe! Ich bin bei euch.‘ ... Jeder, der etwas sagt oder schreibt, was der Regierung oder der Geistlichkeit nicht gefällt, ... kommt ohne gerechtfertigten Grund ins Gefängnis“ (Matth. 28:19, 20).
Bruder Muñiz war bereits drei Jahre allein gewesen und hatte in dieser Zeit keinen Kontakt mit reifen Christen gehabt. Er war daher offensichtlich etwas deprimiert. Da er einen Ansporn brauchte, schrieb ihm Bruder Rutherford, er solle sich erkundigen, ob der Präsident der Gesellschaft in Madrid eine Ansprache halten dürfe. Bruder Muñiz hatte jedoch keinen Erfolg, und so wurde Bruder Rutherfords geplanter Besuch verschoben. Im Mai 1924 trafen sich die beiden Brüder jedoch in einem Hotel in Paris, und nachdem sie die Verhältnisse in Spanien erörtert hatten, kam Bruder Rutherford zu dem Schluß, es sei besser, Bruder Muñiz eine andere Zuteilung zu geben. Nicht lange danach erhielt er einen Brief, in dem er gebeten wurde, nach Argentinien zu ziehen.
Bedeutete das, daß Bruder Rutherford das Werk in Spanien „abgeschrieben“ hatte? Keineswegs! Nur wenige Monate später wurde Bruder George Young, der in Südamerika guten Erfolg gehabt hatte, nach Spanien gesandt. Schon nach kurzer Zeit wurden Schritte unternommen, um das Zeugniswerk im ganzen Land in Gang zu setzen.
EIN BEMERKENSWERTER BESUCH
Kurz nach dem Eintreffen in Spanien im Jahre 1925 bemühte sich Bruder Young nochmals um eine Genehmigung für einen Besuch Bruder Rutherfords — diesmal mit Erfolg. Es wurden Vorbereitungen für öffentliche Vorträge in Barcelona und Madrid sowie in Lissabon (Portugal) getroffen. Der Erfolg dieses Unternehmens war dem Umstand zu verdanken, daß Bruder Young um die Hilfe des britischen Gesandten ersucht hatte, der ihn bei Regierungsbeamten einführte. Nach einer Verzögerung von wenigen Tagen gab die Regierung eine Anordnung heraus, durch die die Zusammenkünfte genehmigt wurden.
Da Bruder Young wußte, daß die Ankündigung der Vorträge durch die Verbreitung von Flugblättern nicht erlaubt würde, setzte er Annoncen in verschiedene Zeitungen. Am Sonntagmorgen um elf Uhr sollte die Zusammenkunft in Barcelona stattfinden. Als Bruder Rutherford und seine Begleiter sich dem Theater näherten, in dem er sprechen sollte, stellten sie fest, daß mehrere berittene Polizisten sowie eine besondere Schutztruppe der Regierung anwesend waren. Als Bruder Rutherford das Privatzimmer in der Nähe der Bühne betrat, wurde er vom Vizegouverneur von Barcelona empfangen, der ihn herzlich willkommen hieß. Dieser Beamte blieb während der ganzen Ansprache auf der Bühne. Man hatte einen ausgebildeten Dolmetscher engagiert, und um die Genauigkeit zu gewährleisten, war der Vortrag im voraus übersetzt worden, und beide lasen ihn vor, Bruder Rutherford in Englisch, der Übersetzer in Spanisch. Es gab keine Störung, und am Ende der Zusammenkunft wurden die Anwesenden gebeten, ihre Anschrift zu hinterlassen. Insgesamt gingen 702 Anschriften ein. Über 2 000 Personen hatten den Vortrag gehört. Diejenigen, die ihren Namen und ihre Anschrift hinterlassen hatten, konnten nun besucht werden, um ihr Interesse an der Bibel zu fördern.
Bruder Rutherfords Ansprache in Madrid war ebenfalls durch Annoncen bekanntgemacht worden. Hier bot sich das gleiche Bild wie in Barcelona: ein militärischer Wachtposten vor dem Theater und der Vizegouverneur von Madrid im Saal. Er blieb ebenfalls während der ganzen Ansprache auf der Bühne. In einer der Logen saß der britische Gesandte. Auch andere prominente Männer, darunter spanische Regierungsbeamte, wohnten der Zusammenkunft bei. In Madrid waren etwa 1 200 Personen anwesend, und ungefähr 400 hinterließen ihre Anschrift.
Bruder Rutherford wollte seinen Vortrag in den Zeitungen abdrucken lassen, doch damals konnte in Spanien nichts von dieser Art ohne Erlaubnis der Regierung veröffentlicht werden. Doch mit der Hilfe Jehovas ergab sich eine Möglichkeit, die Wahrheit auf diese Weise zu publizieren. Im Anschluß an den Vortrag in Madrid unterhielten sich Bruder Rutherford und der Vizegouverneur in einem privaten Zimmer, als der Eigentümer einer großen Zeitung hereinkam und dem Redner vorgestellt wurde. Bruder Rutherford nahm die Gelegenheit wahr und sagte zu dem Dolmetscher: „Fragen Sie den Gouverneur, ob er nicht denkt, daß es für die Bevölkerung Spaniens gut wäre, wenn dieser Vortrag in der Presse veröffentlicht würde.“ Darauf erwiderte der Gouverneur sofort: „Ich sehe nichts, was dagegen spricht, daß der Vortrag veröffentlicht wird. Ich halte das für eine gute Idee.“ Der Zeitungseigentümer nahm die Gelegenheit für diese Erstveröffentlichung wahr, und es ließ sich ohne Schwierigkeiten einrichten, daß der Vortrag am 12. Mai 1925 in den Informaciones veröffentlicht wurde. Dieser Artikel wurde später in Traktatform gedruckt und mit der Post in ganz Spanien verbreitet, so daß auch in abgelegenen Orten Zeugnis gegeben werden konnte.
Als Bruder Rutherford seinen Vortrag im Mai 1925 in Lissabon hielt, kam ein Argentinier namens Juan Andrés Berecochea zum ersten Mal mit der Wahrheit in Berührung. Von da an setzte er sich mit Begeisterung für die Wahrheit ein und übertrug sein Interesse auf seine zwei jungen Söhne, Juan Carlos und Alvaro. Obwohl diese Familie wegen des Bürgerkrieges Spanien schließlich verlassen mußte, wurde die Verbindung mit Spanien später durch Alvaro erneuert, der die Wachtturm-Bibelschule Gilead absolvierte und im Jahre 1953 zusammen mit seiner Frau als Missionar nach Spanien geschickt wurde.
ZWEIGBÜRO ERÖFFNET
Bruder Rutherford fühlte sich durch seinen erfolgreichen Besuch ermutigt, in Spanien ein Zweigbüro der Watch Tower Society unter der Leitung von George Young einzurichten. Seine offizielle Anschrift war die Wohnung von Bruder Eduardo Alvarez Montero in Madrid. Ab August 1925 begann das neue Zweigbüro, eine vierseitige verkürzte Ausgabe des spanischen Wacht-Turms zu verbreiten, der von einer außenstehenden Firma gedruckt wurde.
Das Jahr 1925 war ein Jahr intensiver Tätigkeit für das Büro der Gesellschaft in Madrid, denn es versandte 5 000 spanische Exemplare der Harfe Gottes und 10 000 Exemplare des Buches Millionen jetzt Lebender werden niemals sterben. Außerdem wurden 247 000 Traktate verbreitet, darunter Bruder Rutherfords Ansprache und das Traktat Wo sind die Toten? Im Jahresbericht hieß es: „Die Königreichsbotschaft wird in Spanien in jeder Stadt und in jedem Dorf verbreitet, ebenso auf den Kanarischen Inseln, den Balearen und in den wichtigsten Städten der spanischen Zone in Marokko.“
Um diese Zeit (1925-1926) führte Bruder Young das „Photo-Drama der Schöpfung“ vor, eine Dia-, Ton- und Filmproduktion der Gesellschaft, die Gottes Vorsatz für die Erde und die Menschen erklärte. Im Juni 1926 wurde im Zuge der theokratischen Ausdehnung auch das Radio verwendet. Zwei der größten Radiostationen in Madrid und Barcelona übertrugen zwei Vorträge von Bruder Rutherford. Durch dieses Zeugnis wurden ganz Spanien sowie die Nachbarländer erreicht.
Im Mai 1926 nahm Gottes Volk auf einem bedeutenden Kongreß in London (England) eine Resolution an mit dem Titel „Ein Zeugnis an die Herrscher der Welt“. Bruder Young bemühte sich, sie in der spanischen Presse veröffentlichen zu lassen, und seine Bemühungen wurden schließlich von Erfolg gekrönt, als der vollständige Text am 3. Oktober 1926 in der Zeitung La Libertad abgedruckt wurde. Zusätzlich zu der normalen Auflage von 75 000 Exemplaren ließ das Zweigbüro 1 000 weitere Exemplare drucken und versandte sie an alle Regierungsbeamten, Bürgermeister, Bischöfe und Kardinäle.
WIDERSTAND DER GEISTLICHKEIT VERGEBLICH
Natürlich blieb all diese Tätigkeit der Geistlichkeit nicht verborgen, und sie begann, ihren Einfluß auszuüben. Mehrere Brüder wurden verhaftet, und ihre Literatur wurde beschlagnahmt. Einige wurden von ihrer Arbeitsstelle entlassen, und andere mußten wegen der Verfolgung ihr Dorf verlassen. Durch die Presse und von der Kanzel wurden die Menschen davor gewarnt, den Wacht-Turm zu lesen. Tatsächlich wurden die Veröffentlichungen des Wortes Gottes in einem Edikt des Bischofs von Pamplona als „häretisch, skandalös und streng verboten“ bezeichnet. In Alcoy, in der Provinz Alicante, wurden Bruder Francisco Corzo und Bruder Máximo, zwei Kolporteure oder Vollzeitprediger, verhaftet und den Behörden vorgeführt. Nachdem sie mehrere Tage überwacht worden waren, forderte man sie auf, den Ort unverzüglich zu verlassen. Der Polizeichef, der sie verhörte, nahm jedoch schließlich eine Bibel und ein Exemplar des Buches Die Harfe Gottes entgegen und abonnierte den Wacht-Turm. Im Vertrauen sagte er zu Bruder Corzo: „Ihr seid die einzigen in Spanien, die den Leuten die Wahrheit sagen.“
Im Oktober 1926 verbreitete eine kleine, aber aktive Schar von Königreichsverkündigern 22 000 Exemplare des Wacht-Turms in Valencia, der drittgrößten Stadt Spaniens. Dort reagierte die Geistlichkeit, indem sie die Brüder fälschlich beschuldigte, Freimaurer zu sein und der Mano Negra (Mafia) anzugehören. Als im November 6 000 Exemplare in Tarragona, einer alten Stadt iberischen und römischen Ursprungs, die 88 Kilometer südwestlich von Barcelona liegt, verbreitet wurden, erreichte die Verfolgung ihren Höhepunkt. Kleine Jungen, von katholischen Schulen geschickt, sammelten heimlich unsere Literatur ein. Sie wurde darauf im Hof eines Klosters in Gegenwart der Oberpriester verbrannt, und die Stadt machte aus der Gelegenheit einen Feiertag. Dennoch waren viele Bürger empört, und die zivilen Behörden verhielten sich liberal, so daß eine große Anzahl von Personen den Wacht-Turm abonnierte.
Wie war die Reaktion in Barcelona, der weltoffenen Hauptstadt Kataloniens? Bruder Saturnino Fernández, ein Kolporteur, arbeitete mit der Gruppe dort. Es gelang ihnen, 80 000 Exemplare des Wacht-Turms zu verbreiten, bevor die Zeitschrift im Dezember 1926 und im Januar 1927 verboten wurde. Zwei Brüder hatten hart gearbeitet, um eine kleine Zusammenkunftsstätte für die Gruppe in Barcelona herzurichten, doch die Behörden verweigerten die Genehmigung, sie zu eröffnen. Wer steckte hinter diesem Widerstand? Nun, niemand anders als der eigentliche Herrscher der Stadt, der Bischof von Barcelona! Trotzdem hielt Bruder Fernández weiterhin jeden Abend biblische Zusammenkünfte in der Wohnung eines Freundes ab, und es waren durchschnittlich zehn Personen anwesend.
Der Widerstand der Geistlichkeit war vergeblich, und unser Werk ging mit Jehovas Segen voran. Im Jahre 1927 wurde das Zweigbüro der Gesellschaft in die Wohnung von Bruder Francisco Corzo in Madrid verlegt. Damals waren die Kosten für die Herstellung von Literatur in Spanien sehr niedrig, und die bisher vierseitige spanische Ausgabe des Wacht-Turms wurde auf acht Seiten erweitert. Damals stand in Spanien auch die 16seitige spanische Ausgabe des Wacht-Turms zur Verfügung, die in Los Angeles (Kalifornien, USA) gedruckt wurde.
DER SAME, DER AUF GUTEN BODEN FIEL
In den 1920er Jahren konzentrierte sich das Königreichspredigtwerk auf Madrid und Barcelona, die beiden größten Städte Spaniens. Manchmal waren die Zeugnismethoden etwas ungewöhnlich. In Barcelona stellte der Kolporteur Saturnino Fernández die Bücher der Gesellschaft auf einem öffentlichen Platz zur Schau, legte eine große Karte des „Göttlichen Plans der Zeitalter“ auf dem Bürgersteig aus und unterhielt sich dann mit jedem, der Interesse zeigte. Genau auf diese Weise lernte Juan Periago im Jahre 1927 die Wahrheit kennen. Er wurde von einer hitzigen Diskussion angelockt, die Bruder Fernández mit einer anderen Person über die Höllenlehre hatte. Juan nahm Literatur entgegen, der Same der Wahrheit wurde ausgesät, und so begann sein Interesse an Gottes Wahrheit und sein Dienst für Jehova.
Beachte auch den Fall von Carmen Tierraseca Martin, einer Schneiderin. In Madrid erhielt sie von ihrem Schwager einige unserer Schriften, dachte aber bald nicht mehr daran. Im Oktober 1927 wurde sie jedoch in dem Haus einer ausländischen Dame namens Mary O’Neill angestellt, der Frau von Francisco Corzo. Übrigens bedeutet der Name „Tierraseca“ „trockene Erde“. Doch Carmen erwies sich nicht als „trockene Erde“, was den Samen der Wahrheit betraf.
Über ihre Anstellung in dieser Zeit erzählte Carmen Tierraseca: „Am Vormittag nähte ich in einem kleinen Zimmer, und nach dem Mittagessen setzte ich meine Arbeit fort. Kurz nach vier Uhr bemerkte ich, daß mehrere Leute ankamen. Ich nahm an, daß der Señor und die Señora einen Empfangstag hatten und eine Party gaben, nach der Lautstärke der Unterhaltungen zu urteilen. Dann herrschte plötzlich Stille, und darauf folgte der weiche und harmonische Klang eines Klaviers und gleich darauf Gesang. Er hörte sich an wie eine schöne Hymne. Ich hatte so etwas noch nie zuvor gehört.“
Du wirst schon erraten haben, daß die Bibelforscher (wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden) eine christliche Zusammenkunft abhielten. Ganz durch „Zufall“ hatte Carmen Tierraseca ausgerechnet in dem Haus Arbeit angenommen, in dem der Wacht-Turm in spanisch vorbereitet wurde. Damals hatte George Young bereits Spanien verlassen, und unser Werk lag in den Händen von Eduardo Alvarez und Francisco Corzo, und das Büro der Gesellschaft war bis zum Dezember 1930 im Hause Corzo untergebracht.
In den 1920er Jahren wurden einige Taufen in verschiedenen Teilen des Landes abgehalten. Zum Beispiel schrieb Manuel Oliver Rosado aus Málaga im Jahre 1927 an das Büro in Madrid und bat darum, daß jemand zu ihm kommen und ihn taufen möge. Tatsächlich wurde er erst im Jahre 1929 besucht und getauft. Francisco Corzo taufte ihn am 14. April in einem öffentlichen Badehaus.
Eine weitere Taufe, über die wir eine Aufzeichnung haben, fand im Juni 1928 statt, als eine Gruppe von Brüdern in Madrid einen Tagesausflug zum Manzanares machte. Dort wurden in einer Atmosphäre großer Freude und Einfachheit Carmen Tierraseca und ein Bruder getauft. Dies war keine rein gefühlsmäßige Entscheidung, denn zwei Tage vor der Taufe kamen die Taufbewerber mit Eduardo Alvarez und Francisco Corzo zusammen und besprachen die Wichtigkeit ihres bevorstehenden Schrittes.
UNSER WERK KOMMT IN SCHWUNG
Mit kleinen Gruppen in Madrid, Barcelona, Malaga, Huesca und anderen verstreut liegenden Städten und etwa zehn Verkündigern kam das Königreichspredigtwerk im Jahre 1929 so langsam in Schwung. Die Gesellschaft begann daher passenderweise, selbst zu drucken. Zu diesem Zweck wurde ein Miehle-Tiegel aus dem Hauptbüro in Brooklyn (New York) nach Madrid geschickt. Mit dieser Maschine wurden bis zum Jahre 1936 Zeitschriften und Broschüren gedruckt.
Ein Zweig unserer Tätigkeit war in jenen Jahren die Verkündigung der guten Botschaft von öffentlichen Bühnen. In einigen Fällen stellten protestantische Geistliche ihre Säle für diesen Zweck zur Verfügung. Nachdem ein Bruder in Málaga eine Ansprache vor Mitgliedern von vier verschiedenen Glaubensgemeinschaften gehalten hatte, sagte ein Geistlicher der Episkopalkirche: „Ich habe noch nie eine so wunderbare Erklärung über die Bibel gehört wie heute abend, und was dieser Mann sagt, ist wahr. Wir schlafen alle, und wir brauchen mehr Männer wie diesen unter uns.“ Natürlich reagierten nicht alle Protestanten so günstig. Die Baptisten hielten eine besondere Zusammenkunft ab, auf der sie sich einig wurden, daß die Bibelforscher, die „Schafe aus unseren Herden rauben und das Land mit gefährlicher Literatur überschwemmen“, ausgemerzt werden müßten.
Seit 1927 war das Zweigbüro der Gesellschaft von Eduardo Alvarez Montero geleitet worden. Im Frühling 1930 wurde jedoch Herbert F. Gabler aus seiner Zuteilung in Litauen nach Spanien versetzt und dort zum Zweigaufseher ernannt. Kurz danach wurden unsere Zusammenkünfte so organisiert, wie es auch in anderen Ländern üblich war. Und während unser Zeugniswerk bis dahin auf informeller Basis durchgeführt worden war, nahm bald die Predigttätigkeit von Haus zu Haus einen guten Anfang.
Carmen Tierraseca kann sich noch erinnern, wie sie das erste Mal von Tür zu Tür ging. Sie erzählt: „Ich betete zu Jehova und vertraute mich seinen Händen an, um sein Werk zu tun.“ Da es keine besondere Schulung für diese Tätigkeit gegeben hatte, magst du dich wohl fragen, wie es ihr erging. Nun, an der ersten Tür nahm eine Frau die Broschüre an, die Schwester Tierraseca anbot. Sie erzählt weiter: „Das tat auch die nächste und die übernächste und die überübernächste, bis ich alle acht Broschüren verbreitet hatte, die ich mitgenommen hatte. ... Meine Unsicherheit, Schüchternheit und Nervosität waren wie weggeblasen. Nun verspürte ich eine grenzenlose Freude, und ich dankte Jehova aus tiefstem Herzen für seine Güte und seine Hilfe.“
Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß unser Königreichspredigtwerk von Tür zu Tür nun im Gange war. In den bevorstehenden Jahren sollte es viele Segnungen mit sich bringen.
POLITISCHE VERHÄLTNISSE VOR DEM BÜRGERKRIEG
Vor dem Jahre 1931 war Spanien eine Monarchie; König war Alfonso XIII. Im Jahre 1930 mußte General Primo de Rivera, der Militärdiktator des Landes, zurücktreten und wurde durch General Berenguer ersetzt, dessen Amtszeit im Februar 1931 endete, als der König in dem Bemühen, seinen Thron zu retten, Admiral Aznar aufforderte, eine neue Regierung zu bilden. Diese Regierung richtete Gemeindewahlen ein, die in den größeren Städten von den Linksparteien gewonnen wurden, die eine Republik befürworteten. Als Alfonso XIII. erkannte, daß alles verloren war, und um ein Blutbad zu vermeiden, floh er aus dem Land. So wurde Spanien im April 1931 eine Republik. Das war ein schrecklicher Schlag für die katholische Kirche, die bald darauf die Auswirkungen des neuen Regimes zu spüren bekam. Noch im gleichen Jahr, im Jahre 1931, wurde Kardinal Segura y Saenz, Erzbischof von Toledo, des Landes verwiesen. Im Jahre 1932 wurden die Jesuiten verboten und aus Spanien ausgewiesen, obwohl die Ausweisung in Wirklichkeit nicht stattfand, da sie sich versteckt hielten oder anonym zurückblieben.
Der geteilte Zustand des Landes wurde im Jahre 1933 offenbar, als eine Mitte-Rechts-Regierung an die Macht kam. Diese Koalitionsregierung hob die antikirchlichen Gesetze wieder auf und blieb bis zum Jahre 1936 an der Macht, als das spanische Parlament aufgelöst wurde. Es fanden Wahlen statt, und wieder gewannen die linksstehenden Republikaner, die Volksfront der Sozialisten und Kommunisten, da das Pendel in ihre Richtung ausschlug.
Wie wirkten sich diese politischen Entwicklungen auf unser Werk aus? Nun, wo die republikanischen Parteien am stärksten waren, wurden die Brüder als faschistische Agenten der Kirche aus der Stadt vertrieben, da sie religiöse Schriften verbreiteten. Und in den Bollwerken der Faschisten und der katholischen Aktion wurden die Brüder als Protestanten oder Freimaurer betrachtet, da sie das verbotene Buch, die Bibel, verbreiteten.
Infolge der politischen Entwicklungen wurde die Macht der Geistlichkeit gebrochen, und das Volk verspürte eine größere religiöse Freiheit. Obwohl dies unsere Tätigkeit in einem gewissen Maße begünstigte, wandten sich nun viele Menschen völlig gegen jede Form der Religion und sogar gegen Gott, nachdem ihnen die Augen geöffnet worden waren und sie die früheren religiösen Täuschungen erkannt hatten. Dennoch ging unsere christliche Tätigkeit gut voran.
EINE ZEIT DES ÜBERGANGS
Francisco Corzo schien über die Anwesenheit von Bruder Gabler in Madrid nicht erfreut zu sein. Im Jahre 1931 trennte er sich von der Wahrheit und verließ schließlich seine Frau. Es war daher nötig, das Zweigbüro und die Druckerei aus Corzos Haus zu verlegen. Im Januar 1931 wurden sie in einem neuen Gebäude untergebracht.
In jenem denkwürdigen Jahr nahmen Gottes Diener den Namen „Jehovas Zeugen“ an. Im Gegensatz zu den 15 000 Personen, die die Resolution in Columbus (Ohio, USA) annahmen, trafen sich in Madrid nur 15 Personen zu diesem Zweck.
In dieser Zeit gingen auch andere Veränderungen vor sich. Zum Beispiel wurde mit der Ausgabe vom September 1931 die Veröffentlichung der Madrider Ausgabe des Wacht-Turms eingestellt. Die Brooklyner Ausgabe traf weiterhin ein. Damals war auf der Titelseite ein Turm mit kreuzförmigen Fenstern abgebildet. Über dem Titel La Torre del Vigía waren ein Kreuz und eine Krone abgebildet, ein Symbol, das von den Bibelforschern lange Zeit verwendet wurde. Doch die Ausgabe vom Januar 1932 traf mit einem völlig neuen Titelbild ein. Kreuz und Krone waren darauf verschwunden.
Diese Veränderungen hatten ihre Auswirkungen in Madrid. Beim Abendmahl des Herrn im Jahre 1932 verschwand auch eine Tischdecke, die mit dem Muster von Kreuz und Krone bestickt war, von der Bildfläche. Bruder Gabler sagte: „Brüder, das muß verschwinden. Hinaus damit! Hinaus!“ Auch die Abzeichen mit Kreuz und Krone, die wir bis dahin getragen hatten, wurden fortgeworfen. Und was geschah mit den Bildern der Präsidenten der Watch Tower Society, C. T. Russell und J. F. Rutherford? Auch sie verschwanden von den Wänden der Zusammenkunftsstätte der Zeugen in Madrid.
ENGLISCHE PIONIERE HELFEN UNS
Im Jahre 1931 hatte die Gesellschaft in verschiedenen Städten, unter anderem in London und Paris, eine Kongreßserie abgehalten. Bruder Gabler hatte auf beiden Kongressen gesprochen und über den großen Bedarf an Freiwilligen berichtet, die in dem fast jungfräulichen spanischen Gebiet helfen sollten. Darauf erklärten sich drei Pioniere bereit, die Herausforderung anzunehmen: Ernest Eden, Frank Taylor und John Cooke.
Im Juli 1932 begannen diese drei englischen Pioniere ihr Predigtwerk in der Industriestadt Bilbao, der Provinzhauptstadt von Vizcaya. Diese Provinz ist ein Teil des Baskenlandes, wo Baskisch gesprochen wird. Übrigens kennt keiner den genauen Ursprung dieser faszinierenden Sprache, die mit dem Spanischen überhaupt nicht verwandt ist.
Mit Hilfe einer spanischen Zeugniskarte, auf der ihr Auftrag erklärt wurde, gaben die Pioniere in Bilbao Zeugnis und verbreiteten viel Literatur. Wenn eine Tür zufällig offenstand, gingen sie einfach hinein. Mit diesem positiven Auftreten gab Ernest Eden eines Tages an nur einer Tür 30 Bücher ab. Wie er das machte? Nun, er sah eine Tür, die angelehnt war, stieß sie auf, ging eine Treppe hinunter und befand sich plötzlich auf einer Theaterbühne, auf der gerade eine Probe stattfand. Er nahm die Gelegenheit wahr, ein gutes Zeugnis zu geben — mehr in Englisch als in Spanisch —, ließ alle Bücher zurück, die er hatte, und kehrte später mit mehr Literatur zurück.
Bruder Eden hatte auch ein ziemlich schockierendes Erlebnis. Eine gutgekleidete Dame ließ ihn in eine schönmöblierte Wohnung mit gedämpftem Licht eintreten. „Sie bat mich in ein hübsches Zimmer herein“, erzählt er, „in dem etwa zwölf Mädchen waren, alle nackt. Es war ein Bordell für bessere Leute. Ich ignorierte die Situation, erzählte, warum ich gekommen war, und bot Literatur an. Die Matrone nahm ein Buch an, und mehrere Mädchen nahmen Broschüren. Bruder Eden fragt sich, wie viele Christen wohl unter solch ungewöhnlichen Umständen Zeugnis gegeben haben.
Während der drei Monate der Predigttätigkeit in Bilbao verbreiteten die Pioniere insgesamt 459 Bücher, 1 032 Broschüren und 509 Exemplare der Zeitschrift Luz y Verdad (Licht und Wahrheit), die der Zeitschrift Das Goldene Zeitalter (heute Erwachet!) entsprach. Das gelang ihnen trotz der Tatsache, daß die Menschen sehr religiös waren. Ein großer Teil des Gebiets bestand aus Mietshäusern, und die meisten Türen waren mit einem Bild des sogenannten „Heiligen Herzens“ geschmückt. Oft konnte man Bilder von Jesus und von Maria sehen, die ihr eigenes blutendes Herz in der Hand hielten und die denen, die dieses grausige Bild ausstellten, angeblich einige Tage Fegefeuer erließen.
AUF DEM WEGE NACH MADRID
Nachdem die Pioniere ihre Tätigkeit in Bilbao abgeschlossen hatten, begannen sie entlang der Nordküste Spaniens Zeugnis zu geben. Wie erhielten sie ihre Literatur, während sie von einem Ort zum nächsten reisten? Sie vereinbarten mit dem Büro der Gesellschaft in Madrid, daß Literatursendungen im voraus an bestimmte Bahnstationen gesandt wurden. Wenn sie auf ihrer Reise dort eintrafen, holten sie die Literatur ab, die dort auf sie wartete.
Unsere unerschrockenen Pioniere verließen die regnerische Berggegend des Nordens und begannen, sich nach Süden durchzuarbeiten, durch die Städte León, Palencia, Burgos, Valladolid, Salamanca, Segovia und Madrid. Als sie zur meseta, zum Hochland von Kastilien, kamen, waren sie von der malerischen Szenerie und dem Lebensstil, der so sehr an die biblischen Länder erinnerte, begeistert. Für die Aufbewahrung und den Transport von Wein wurden Tierhäute verwendet. Männer und Frauen trugen wassergefüllte Tonkrüge auf dem Kopf. Kleine Öllampen dienten zur Beleuchtung, und an vielen Orten waren Autos und Busse eine Seltenheit. Als Transportmittel diente der Esel oder das Maultier. Die Weinkeltern wurden immer noch von barfüßigen Männern getreten, und Ochsen zogen einen Dreschflegel, um die Spreu vom Getreide zu trennen. Viele Menschen lebten in Höhlen, und tatsächlich gibt es das heute noch in einigen Regionen, aber diese Höhlen sind sauber und nett eingerichtet. Im Sommer sind sie kühl und im Winter recht behaglich.
Als die englischen Pioniere in Madrid waren, schloß sich ihnen ein junger Schäfer namens Domingo an. Das geschah auf eine etwas ungewöhnliche Weise. Er war aus einem fernen Dorf in Navarra gekommen. Was hatte ihn nach Madrid gezogen? Nun, eines Tages, als er Schafe hütete, sah er eine Ausgabe von Luz y Verdad in einem Straßengraben liegen. Ihm gefiel die Zeitschrift so sehr, daß er alle darin erwähnten Bücher bestellte, und während des ganzen Winters las er begeistert darin. Doch die Entdeckung dieses neuen „Weges“ brachte Widerstand und verleumderische Angriffe gegen die Wahrheit mit sich (Apg. 9:2). Daher machte er sich auf den Weg nach Madrid, um etwas über diejenigen zu erfahren, die für diese Publikationen verantwortlich waren. Sein Heimatort Pamplona war über 400 Kilometer von Madrid entfernt, aber Domingo ging die ganze Strecke zu Fuß. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sein Heimatdorf verlassen. In Madrid angelangt, fand er bald das Büro der Gesellschaft und fing mit den englischen Pionieren an, die Bibel zu studieren. Überzeugt davon, daß dies die Wahrheit war, stellte er sich bedingungslos für das Predigtwerk zur Verfügung und wurde Pionier.
DIE WAHRHEIT BREITET SICH IN DREI RICHTUNGEN AUS
Im Sommer 1933 trennten sich die Wege der Pioniere John, Ernest und Frank. Ernest Eden nahm Domingo mit und ging nach Nordwesten. Frank wurde später ganz Südspanien zugeteilt, ein Gebiet, das fast so groß ist wie Portugal. Zu diesem faszinierenden Gebiet gehörte ganz Andalusien und die Südküste von Huelva bis Alicante. Unterdessen ging John Cooke von Madrid aus 64 Kilometer weiter südlich nach Toledo, einer alten Stadt. Mit ihren römischen und westgotischen Stadtmauern, ihren maurischen Moscheen und Toren und ihren jüdischen Synagogen war sie wie ein Museum, das die Geschichte Spaniens in Stein erzählte.
Wenden wir uns nun einmal der Tätigkeit der Pioniere Anfang der 1930er Jahre zu. Öffentliche Transportmittel waren in jenen Tagen Bus, Eisenbahn, Pferdekutsche und Maultier, und man mußte sich mit dem abfinden, was die anderen Fahrgäste mitnahmen: Hühner, Enten, Ziegen und bei einer Gelegenheit einen großen Schwertfisch. Einmal entgleiste der Zug wegen eines Erdbebens. Angesichts all dessen ging Frank Taylor dazu über, mit dem Fahrrad zu reisen. Das Fahrrad bot einen seltsamen Anblick: Vorn und hinten war es mit starken Gepäckträgern ausgerüstet sowie mit einer Tasche, die zwischen den Rahmen paßte, und einer Packtasche für den hinteren Gepäckträger, die zum Transport der Schallplatten diente, die damals im Predigtwerk gebraucht wurden.
Später hängte er an das Lenkrad Schleudern, die mit ausgewählten Steinen beladen waren, um herumstreunende Rudel ausgehungerter Hunde abzuwehren, die dieses seltsame Gefährt angriffen, während es durch die Geisterstädte und die alten Bergwerksgebiete der Provinz Almería fuhr. Bei einer Gelegenheit wurde Frank von hinten angegriffen, und dabei wurde seine Hose zerrissen, die einzige, die er besaß. Glücklicherweise liehen ihm mitfühlende Frauen eine Nadel und einen Faden aus. Ohne weitere Umstände setzte er sich mitten auf die Straße und behob den Schaden. Als Frank die Nadel zurückgab, predigte er den Einwohnern, und einige nahmen Publikationen entgegen, vielleicht mehr aus Mitleid als aus echtem Interesse.
Bei seiner Predigttätigkeit verfolgte Frank Taylor die Taktik, nie wieder durch die gleiche Stadt oder die gleiche Straße zu fahren, wenn dies zu vermeiden war. Das war eine Möglichkeit, unvernünftigen linksgerichteten Republikanern zu entgehen, die ihn oft für einen faschistischen Agenten hielten, der katholische Propaganda verbreitete. In Villamanrique (Ciudad Real) sprach es sich herum, daß Frank Taylor ein Faschist sei, weil die Bücher, die er bei sich trug, den Namen Gottes enthielten, und nach seinen eigenen Worten „war für diese Leute Gott gleichbedeutend mit katholisch und katholisch gleichbedeutend mit faschistisch“. Jedenfalls wurde er auf dem Markt von 50 verärgerten Kommunisten umringt, die schrien: „Nieder mit ihm! Nieder mit ihm!“ Ein Entrinnen erschien unmöglich. Doch Frank erinnerte sich an die Empfehlung einer katholischen Wirtin und begann laut einen mit scharfen Worten abgefaßten Absatz aus der Broschüre Krise vorzulesen. Er las mit äußerster Lautstärke, warf dann die Broschüre dem Anführer in die Hände und sagte: „Lies selbst.“ Was geschah? Etwas Erstaunliches. Die Männer fingen untereinander fast eine Keilerei an, da einige etwas zu seinen Gunsten schrien und andere gegen ihn. Inmitten der Verwirrung gelang es unserem Pionierbruder, mit heiler Haut zu entkommen.
Frank Taylor dankte Jehova für seine Rettung. Doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Als er am nächsten Morgen um 6.30 Uhr abfuhr, war er überrascht, etwa 200 Menschen auf dem Marktplatz zu sehen, die darauf warteten, daß er mit dem Bus abreiste. Wie dankbar war er doch für sein Fahrrad! Dann erscholl der Ruf: „Da ist er!“ „Glaubt mir“, erzählt Frank, „ich habe noch nie so fest in die Pedale getreten, und ich habe nicht eher angehalten, bis ich weit aus dem Ort heraus war und mich auf dem Weg ins nächste Dorf befand.“
SZENEN WIE DIESE
Glücklicherweise war die Lage nicht immer so gefährlich. Es gab viele Gelegenheiten, die gute Botschaft zu predigen, und eine ganze Anzahl Menschen waren bereit zu hören. Als man Mitte der 1930er Jahre anfing, mit dem Grammophon zu arbeiten, machte Frank Taylor von diesem Instrument guten Gebrauch. Tatsächlich hatte er ein kleines Taschengrammophon, das er in einigen Cafés spielen ließ. Er hielt es in seiner Hand und ging zwischen den Tischen hin und her. Am Ende des Schallplattenvortrags, den er mit einigen Worten eingeführt hatte, bot er christliche Schriften an. Das war eine ganz neue Art des Zeugnisgebens. Aber sie erforderte Vorsicht und Unterscheidungsvermögen, denn oft war ein Schild mit der Aufschrift angebracht: „Es ist verboten, über Religion und Politik zu sprechen.“
Es war eine ganz schöne Arbeit, in einige der Bergdörfer zu gelangen, besonders wenn die Straße so verfallen war, daß sie nur noch ein Lehmpfad für Packesel war. Stell dir vor, du müßtest dein Fahrrad auf der Schulter tragen, statt darauf zu fahren! Bruder Taylor kann uns ein besseres Bild vermitteln. Er schreibt: „Das Betreten eines Dorfes war zunächst ein ziemliches Erlebnis. Haushaltswaren, Gemüse und Fleisch waren gewöhnlich auf den staubigen Straßen und in dem ausgetrockneten Flußbett ausgebreitet. Jemand saß auf einem Stuhl am Straßenrand und ließ sich die Haare schneiden. Manchmal war ein Zahnarzt zu sehen, der unter den gleichen Umständen Zähne zog. Besonders fielen korpulente Priester auf, die herumlungerten. Nicht selten sah man sie zu fünft oder sechst in einer Bar oder in einem Café an einem Tisch sitzen und Zigarren rauchen. Sie trugen ihre typischen Priestergewänder, die alle staubig und schmutzig waren. Wenn ich biblische Literatur abgab, dauerte es nicht lange, bis die Priester die Seiten durchblätterten. Man konnte sehen, wie sie nach dem Stempel des katholischen Zensurbeamten suchten, und wenn sie ihn nicht fanden, unterrichteten sie schnell die Polizei, indem sie mich gewöhnlich des Kommunismus beschuldigten. Das führte zu meiner sofortigen Verhaftung, wenn sie mich finden konnten. Da mir das sehr oft passierte, wurde ich allmählich klug, und es war nicht allzu schwierig, in den engen Straßen zu verschwinden. Ich nannte es ,Katz und Maus‘.“
Das Problem war, daß, wenn sie Bruder Taylor nicht in der Stadt erwischten, sie ihn bestimmt faßten, wenn er die Stadt verließ, denn viele Orte hatten an ihrem Ausgang eine Art Zollkontrolle, und dort wartete die Polizei auf ihn. Dann vergingen bis zur Freilassung viele Stunden mit Verhören und ärgerlichen Verzögerungen. Gewöhnlich bat Bruder Taylor darum, mit dem britischen Konsul in Verbindung zu treten, da er ein britischer Staatsbürger war. Schließlich wurde er freigelassen, da keine wirkliche Anklage gegen ihn vorgebracht werden konnte.
Als Bruder Taylor in die Provinz Almería kam, wurde er mit der ausgedörrten, unwirtlichen Wüste konfrontiert, in der kein Grashalm wuchs. Nicht ein einziger Vogel war zu sehen, und außer einer trägen Eselkarawane, die zweimal am Tag den Staub aufwirbelte, gab es nichts, was sich bewegte. Almería bot jedoch auch einen Ausgleich, denn Bruder Taylor entdeckte dort eine kleine Gruppe von Bibelforschern. Trotz seiner begrenzten Spanischkenntnisse erfreute er sich zwei oder drei Monate lang der Gemeinschaft mit diesen einfachen Brüdern. In dieser Zeit verschlimmerte sich die politische Lage, und auf den Straßen von Almería kam es zu Schießereien. Nachdem Bruder Taylor dort seine letzte Zusammenkunft besucht hatte, mußte er die Kampflinien passieren und dabei ein weißes Taschentuch über seinem Kopf schwenken, um zu seiner Unterkunft zurückfahren zu können.
Nachdem Bruder Taylor in den Küstenstädten Zeugnis gegeben hatte, erreichte er im Sommer 1935 Murcia, damals eine Stadt mit 160 000 Einwohnern. Er fand Unterkunft in einem unterirdischen Keller, der in der Decke einen schmalen Lichtschlitz hatte. Dort war es wenigstens kühl, wenn der Schirokko, der aus der Sahara über das Mittelmeer kommt, mit sengender Hitze blies. In dieser Hitze zu predigen war für Frank Taylor eine echte Prüfung, und er war manchmal deswegen im Delirium.
HILFE AUS UND FÜR DEUTSCHLAND
Anfang der 1930er Jahre verschlimmerte sich in dem politisch unruhigen Deutschland für Jehovas Volk die Lage immer mehr. Infolgedessen kamen schließlich zwölf deutsche Pioniere nach Spanien, um hier zu dienen. Eine Gruppe erhielt wirklich einen „heißen“ Empfang, denn ihr Zug traf im Bahnhof von Barcelona ein, als gerade eine Revolte gegen die Regierung im Gange war. Als Ernest Eden sie abholen wollte, stellte er fest, daß das ganze Bahnhofsgebiet in ein Schlachtfeld verwandelt worden war. Um sich zu schützen, tauchte er im Postgebäude unter und mußte dort zweieinhalb Stunden warten, bis die Schießereien nachließen. Schließlich gelangte er zum Bahnhof, wo die deutschen Brüder mit stoischer Ruhe warteten. Dann fingen die wahren Schwierigkeiten an. Sie sprachen weder Englisch noch Spanisch, und er sprach nicht Deutsch. Doch nach drei Monaten Schulung waren diese deutschen Pioniere so weit, daß sie in Spanisch predigen konnten.
Die kleinen Gruppen von Zeugen Jehovas in Madrid und Barcelona waren sich der Not ihrer Brüder in Deutschland bewußt. Daher protestierten sie wie ihre Glaubensbrüder in anderen Ländern gegen die Behandlung der Zeugen durch die Nationalsozialisten, indem sie Telegramme an Adolf Hitler sandten und ihn davor warnten, was ihm und seiner nationalsozialistischen Partei widerfahren würde, wenn er die Zeugen nicht in Ruhe ließe.
Unsere vermehrte Tätigkeit in dieser Zeit rief den Widerstand jesuitisch beeinflußter Elemente hervor. In einem Ort wurden die Pioniere beschuldigt, „Literatur mit ,jüdisch-freimaurerischen Tendenzen‘ zu verbreiten“. In einem anderen Ort wurden zwei Schwestern verhaftet und beschuldigt, „Broschüren von hitleristischem Charakter“ zu verbreiten. In anderen Gebieten wurden die Brüder als Protestanten gebrandmarkt, und das war für die unwissende katholische Mehrheit das gleiche, als hätte man gesagt, sie seien die schlimmsten Treulosen oder Ketzer.
PIONIERE SETZEN IHREN AUFTRAG FORT
Ende 1934 oder Anfang 1935 verließen die Pioniere John und Eric Cooke Barcelona, um im Süden entlang der Küste zu arbeiten. Ernest Eden dagegen predigte weiterhin in den Ortschaften der Provinz Barcelona.
John und Eric Cooke reisten zunächst die Mittelmeerküste hinab bis zu der berühmten Römerstadt Tarragona und ihrer Nachbarstadt Reus. Als sie in Richtung Norden arbeiteten und die Provinz Lérida und das Dorf Pradell erreichten, machten sie Salvador Sirera ausfindig, einen Abonnenten, der die Wahrheit kennengelernt und erlaubt hatte, daß in seiner Pension in Barcelona öffentliche Zusammenkünfte abgehalten wurden.
Nachdem John und Eric einige Tage zusammen mit Salvador in umliegenden Städten und Dörfern gepredigt hatten, fuhren sie mit dem Fahrrad 145 Kilometer weiter nach Huesca. War diese Fahrt der Mühe wert? Bestimmt! Der Abonnent Nemesio Orús bereitete ihnen ein herzliches Willkommen und „sog“ die Wahrheit in sich auf. Doch in seinem Eifer und in seinem Wunsch, mit diesen Brüdern Gemeinschaft zu pflegen, handelte er ziemlich unweise, so daß seine Frau eifersüchtig wurde. Sie ging heimlich zur Polizei und brachte gegen die Brüder falsche Anschuldigungen vor. Die Guardia Civil oder Landpolizei kam darauf zur Wohnung und verhaftete John und Eric, doch im Hauptquartier der Zivilgarde wurde die Angelegenheit geklärt.
Die Cookes besuchten Nemesio mehrmals und hielten es für günstig, das Gedächtnismahl am 17. April 1935 in Huesca zu feiern, wozu sie auch Salvador Sirera einluden. John schrieb daher an Nemesio und teilte ihm diesen Vorschlag mit. Stell dir seine Überraschung vor, als er Nemesios Antwort erhielt, die lautete, daß er von der Idee begeistert sei und daß er für den Anlaß bereits das Lamm gekauft habe! Offensichtlich hatte er noch nicht ganz das richtige Verständnis über das Gedächtnismahl, obwohl sein Eifer lobenswert war. Kannst du dir vorstellen, was es bedeutet, ein lebendiges Lämmchen tagelang in einer Mietwohnung im vierten Stock zu halten? Jedenfalls wurde das Gedächtnismahl gefeiert, und es war für die kleine Gruppe von Nachfolgern Jesu Christi ein großes Ereignis. Tatsächlich war diese Zusammenkunft das einzige, was in jenen Tagen in Spanien einem Kongreß am nächsten kam.
Als John Cooke den Eindruck hatte, daß die Provinz Huesca genügend bearbeitet worden war, gingen er und Eric nach Saragossa, der Hauptstadt der Region Aragonien und dem Zentrum der spanischen Marienverehrung. Damals, im Jahre 1936, hatte die Stadt etwa 170 000 Einwohner. Der Ebro fließt durch den nördlichen Teil von Saragossa, und am Südufer befindet sich die Kathedrale Nuestra Señora del Pilar, eine riesige Kirche mit vielen Türmen, in der eine bemerkenswerte Marmorsäule steht. Dort erschien gemäß der katholischen Legende die Jungfrau Maria dem Apostel Jakobus im Jahre 40 u. Z., zu einer Zeit, in der sie vermutlich noch in Palästina lebte. Obwohl diese Legende keine geschichtliche oder biblische Grundlage hat, entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte ein blinder Glaube an La Pilarica (Die Madonna der Säule).
Damals ließen sich nur wenige Personen taufen, und die Taufen fanden an weit voneinander entfernten Orten statt. Trotzdem war John Cooke nicht bereit, jemanden ohne guten Grund zu taufen. Tatsächlich fuhr Nemesio Orús dreimal mit dem Fahrrad die 72 Kilometer von Huesca nach Saragossa, aber John sagte ihm immer wieder, er solle noch warten und sicher sein, daß sein Entschluß, sich taufen zu lassen, wirklich fest gegründet sei. Im Mai 1936 wurden dann endlich Vorkehrungen getroffen, Nemesio, Antonio Gargallo und José Romanos in der Nähe von Saragossa im Ebro zu taufen.
Die Pioniere mußten in jenen Tagen anpassungsfähig sein. Wollte jemand unsere Schriften haben, hatte aber kein Geld, so tauschten sie die Schriften gegen Nahrungsmittel ein, zum Beispiel gegen Eier, Feigen oder selbstgebackenes Brot. John Cooke sagt dazu: „Ich gewöhnte mich daran, mir einen Imbiß aus einem rohen Ei, einem Stück Brot und einem Glas Wein zuzubereiten. ... Es war ein rauhes, einfaches Leben, aber wir waren sehr glücklich. Wie begeisternd war es doch, in einem Bollwerk des Katholizismus wie Spanien richtige Pionierarbeit zu leisten und ein paar echte Schafe zu finden!“
FÜR FASCHISTEN GEHALTEN
Als Eric Cooke und Antonio Gargallo in dem Dorf Mediana Zeugnis gaben, beschuldigte sie eine Frau fälschlich, faschistische Agenten und Gegner der bestehenden spanischen Republik zu sein. Als Beweis hatte sie nichts als eine Broschüre, in der von Gott und Christus die Rede war. Wie Bruder Cooke erzählt, bestand das Dorf praktisch zu hundert Prozent aus Kommunisten, und für die Dorfbewohner war jeder, der von Gott oder Jesus Christus sprach, ein Katholik und daher ein Faschist. Es war unmöglich, sie eines Besseren zu belehren.
Zuerst kam eine große Schar Frauen zusammen. Dann sagte der Ausrufer des Ortes zu Bruder Cooke, er solle sich aus dem Dorf scheren, sonst werde er die Zivilgarde benachrichtigen. Die Brüder gingen aber nicht, und später traf die Polizei ein. Auf der Polizeiwache untersuchte der Wachtmeister die Broschüren sorgfältig und verhörte Bruder Cooke und Bruder Gargallo. Schließlich sagte er, er habe nichts Verkehrtes feststellen können, aber er müsse sich mit der Sache weiter befassen, da die Dorfbewohner Anzeige erstattet hätten. Er bat dann Bruder Cooke, einen Brief an den Polizeileutnant der nächstgelegenen Stadt mitzunehmen, da dieser wahrscheinlich besser in der Lage sei, die Gesetzlichkeit unserer Tätigkeit zu beurteilen.
Als sich Eric und Antonio auf den Weg machten und die von Wagenrädern gefurchte Straße hinabgingen, liefen mehrere Jugendliche auf den Feldern neben ihnen her. Bald tauchten ein Mann und einige Jungen hinter den Brüdern auf. An einer Stelle trafen sich zwanzig von ihnen. Bruder Cooke berichtet: „Zwei packten uns bei den Armen und beschuldigten uns, faschistische Propagandisten zu sein. Ein besonders kühner Jugendlicher stieß mir eine Mistgabel in den Bauch, um zu verhindern, daß ich weglief. Ein anderer nahm mir die englische Ausgabe des Buches Rechtfertigung weg, das ich zum Lesen bei mir trug. ,Seht ihr!‘ sagte er. ,Italienisch! Die beiden müssen faschistische Agenten sein.‘ Antonio versuchte, eine Erklärung zu geben, aber man konnte einfach nicht vernünftig mit ihnen reden.“
Antonios Büchertasche wurde vom Fahrrad gerissen, und die Literatur wurde auf dem Boden verstreut. Ein anderer Angreifer versuchte, Eric die Büchertasche vom Rücken zu reißen. Unterdessen sammelten andere Zweige für ein Feuer, und einige versuchten, die Bücher zu zerreißen, und bereiteten eine Bücherverbrennung vor.
„In diesem Augenblick, als die Lage schon hoffnungslos schien“, berichtet Eric, „änderte sich plötzlich ihr Verhalten. Die Mädchen fingen an wegzulaufen. Der Griff um unsere Handgelenke lockerte sich. Ich blickte hinter mich und sah vier Mitglieder der Guardia Civil um die Ecke kommen. Welch ein willkommener Anblick! Wie Antonio sagte, ließ Jehova zu, daß die Sache zu einem Höhepunkt kam, und griff dann ein.“
Später erschienen die Brüder vor dem Zivilgouverneur. Dieser war völlig überrascht, daß Zweifel an unserer Tätigkeit aufkommen konnten. Er wies dann auf die bestehende unruhige politische Lage hin. Damit hatte er wirklich recht. Dieses Erlebnis zeigt deutlich, welch schlüpfrigen politischen Weg das spanische Volk damals ging, einen Weg, der sie bald in ein schreckliches Blutbad stürzen sollte.
BÜRGERKRIEG!
Im Februar 1936 hatten allgemeine Wahlen stattgefunden, und die linksgerichtete Volksfront war nach zwei Jahren einer Mitte-Rechts-Regierung wieder an die Macht gekommen. Unter dieser letzten Volksfrontregierung ging ein Verfall vor sich, und die Ereignisse überstürzten sich. Am 13. Juli wurde José Calvo Sotelo, ein prominenter rechtsgerichteter Monarchist, ermordet, und dieses Attentat gab den Anstoß zum nationalen Aufstand oder Aufruhr (je nach dem politischen Standpunkt des Spaniers). Der Aufstand begann in Afrika am 17. Juli und wurde von General Francisco Franco am 18. Juli über Rundfunk verkündet. Der Spanische Bürgerkrieg hatte begonnen. Von den fünfzig Provinzen unterstützten 21 die Republik und 29 den nationalen Aufstand, während die größeren Städte wie Madrid, Barcelona, Valencia und Bilbao der Republik treu blieben.
Der Bürgerkrieg kostete über eine Million Spanier das Leben. Es war ein Krieg religiöser und politischer Racheakte. Jahrelang mußten die Menschen in ständiger Furcht leben, kaltblütig ermordet zu werden, entweder von los rojos (den Roten oder Kommunisten) oder von katholischen Scharfrichtern, die der Überzeugung waren, daß sie Gott in einem heiligen Kreuzzug dienten. Alte Schulden wurden beglichen, indem Menschen einfach anonym denunziert wurden und die Opfer schließlich auf einem einsamen Feld vor einem Hinrichtungskommando endeten.
AUSWIRKUNG AUF DIE CHRISTLICHE TÄTIGKEIT
Wie berührten diese Entwicklungen unser Werk in Spanien? Vielleicht können wir das, was die Brüder in dieser Zeit empfanden, am besten verstehen, wenn wir die Ereignisse mit den Augen jemandes betrachten, der diese Erlebnisse mitmachte, wie zum Beispiel Schwester Carmen Tierraseca. Sie schrieb:
„In Madrid brach eine Woge des Terrors, der Verwirrung und der Wut los. Die Menschen, die so viele Jahre von der Geistlichkeit unterdrückt worden waren, kannten in ihrer Wut gegen die Kirchen keine Schranken. Sie steckten einige Kirchengebäude in Brand, zerschlugen die Bilder und schleppten sie durch die Straßen. Doch trotz des Chaos, das ausgebrochen war, respektierte man uns und ließ uns in Ruhe.
Die Kaserne in Montaña befand sich in der Nähe unseres kleinen Versammlungssaales. Sie wurde der Schauplatz blutiger Gefechte, und die ganze Zone wurde vom Militär besetzt. Die ausländischen Brüder mußten sofort das Land verlassen, und wir blieben allein zurück. Bald darauf wurde in der Calle de Cadarso [wohin das Zweigbüro vorher verlegt worden war] das gesamte Eigentum der Gesellschaft beschlagnahmt und irgendwohin gebracht. Die Tausende von Büchern und Broschüren, die dort gelagert waren, wurden entweder weggenommen oder verbrannt. Das Papier, das für die gedruckte Wahrheit bestimmt war, die Maschinen, die dazu dienten, Lobpreis zu drucken, die Stühle, auf denen wir saßen, wenn wir die Bibel studierten, das Büro, von dem aus das Werk organisiert wurde — all das ging zu unserem großen Kummer verloren. ... Das Werk in Spanien war in ein Meer des Schweigens versunken. All das stimmte mich unendlich traurig, und wir waren allein, schrecklich allein; jeder kämpfte für sich, wir waren ‚zerschunden und umhergestoßen wie Schafe, die keinen Hirten haben‘ “ (Matth. 9:36).
Kurz bevor der Bürgerkrieg ausbrach, waren John und Eric Cooke nach England gereist, um dort Urlaub zu machen. Im Jahre 1936 hatte Frank Taylor seine Zeugnistätigkeit in den Provinzen Sevilla und Cádiz beendet und beschlossen, nach den Balearen zu reisen, die er über Gibraltar per Schiff zu erreichen hoffte. Er hielt sich gerade in der Grenzstadt La Línea auf, als dieses einst verschlafene Städtchen ausgeplündert und in Brand gesteckt wurde und dann den Faschisten und ihren maurischen Truppen mit ihren weißen Turbanen in die Hände fiel. Als Bruder Taylor über einen offenen Platz zum Zollhaus ging, geriet er in einen wahren Kugelhagel. Man schoß mit Maschinengewehren, Flinten und Pistolen. Doch er kam durch, und nach Einbruch der Dunkelheit floh er über das Niemandsland zur Grenze von Gibraltar. „Ein paar Kugeln schossen an mir vorbei“, erinnert er sich, „aber ich war frei und sang vor lauter Freude.“
Ernest Eden dagegen wurde des Landes verwiesen, doch erst nachdem er einige Zeit in einem unterirdischen Gefängnis zugebracht hatte, das einem Tunnel glich, der an beiden Enden zugemauert war. Dort mußten er und ein deutscher Bruder von einem Brötchen, einer Tasse Kaffee und einem halben Liter gekochten Bohnen leben, die sie täglich erhielten. „Wir waren zwei Monate da“, erzählt Bruder Eden, „und ich kann diese Kost als Abmagerungskur empfehlen.“ Nach ihrer Vertreibung aus dem Land mußten sie in die Berge steigen und kamen auf der französischen Seite laufend, stolpernd, fallend und mit Quetschungen wieder herunter. In Frankreich trennten sich die Wege der beiden Brüder, und Ernest Eden erreichte schließlich England.
Bei Ausbruch des Bürgerkrieges predigte Bruder O. E. Rosselli, ein amerikanischer Staatsbürger, gerade auf den Kanarischen Inseln, einem spanischen Territorium vor der Westküste Afrikas. Während er in Häusern, die an einer holprigen Straße verstreut lagen, Zeugnis gab, eilten plötzlich zwei Soldaten aus einem Hinterhalt und nahmen ihn fest. Er brachte zwölf Tage als Gefangener bei ihnen zu und wurde dann aus Spanien ausgewiesen. Sein „Vergehen“? Er hatte das Flugblatt „Was ist Faschismus?“ verbreitet, in dem es hieß, daß Christen weder Faschisten noch Kommunisten, sondern Zeugen des herannahenden Königreiches des Herrn seien.
Unsere Tätigkeit in Spanien wurde somit durch den Bürgerkrieg erheblich beeinträchtigt. Im Juli 1936 begann eine Zeitspanne von elf Jahren völliger Isolation und Einsamkeit. Jeder der spanischen Zeugen war wie eine flackernde Kerze und versuchte seine Flamme der Lauterkeit inmitten der erstickenden geistigen Finsternis am Brennen zu halten. Ein paar gaben auf, doch die Geschichte der Mehrheit ist ein Beweis für die unüberwindliche Kraft des Geistes Jehovas, der sie während dieser düsteren Jahre unterstützte.
PRÜFUNGEN IN DER ISOLATION
Alle, die Jehova wohlgefallen wollten, gerieten in verschiedene Prüfungen, sowohl während des Bürgerkrieges als auch danach. Doch besonders wurden die Männer geprüft. Falls sie sich zu Beginn des Krieges in einem Gebiet befanden, das von den Republikanern kontrolliert wurde, so wurde von ihnen erwartet, daß sie mit ihnen kämpften. Lebten sie dagegen im Gebiet der „Rebellen“, so sollten sie für die rechtsgerichteten katholischen Kräfte kämpfen. Vergessen wir nicht, daß diese Streitfrage im Jahre 1936 aufkam und daß die Brüder, obwohl sie ein grundlegendes Verständnis über die christliche Neutralität hatten, noch nicht den Aufschluß aus dem Wachtturm besaßen, der dieses Thema behandelte und der erst im November 1939 in Englisch erschien. Alle Brüder wußten daher, daß sie irgendwie die Lauterkeit bewahren mußten, doch es fehlte ihnen das klare Verständnis, das erst später kam, sowie der Kontakt mit der sichtbaren Organisation, die ihnen hätte helfen können, ihre Fragen zu beantworten.
Um die Schwierigkeiten jener Tage zu veranschaulichen, wollen wir das Beispiel von Nemesio Orús betrachten, einem Familienvater mit drei kleinen Kindern, der in Huesca lebte. Ein paar Tage nach Beginn des Krieges wurde er als vermutlicher Kommunist oder Freimaurer besucht, und seine Besucher versuchten, ihn zu zwingen, den Soldaten zuzujubeln, die in den Krieg zogen. Man versuchte, ihn auch zu zwingen, der faschistischen Aktionsgruppe am Ort beizutreten. Als er sich weigerte, setzte man seinen Namen auf die schwarze Liste, um ihn späteren Repressalien auszusetzen.
Im August 1936 wurde Nemesio eines Nachts verhaftet, vom Polizeiinspektor verhört und ins Gefängnis geworfen. Schließlich kam er in das Gefängnis von Saragossa, wo er zwölf Tage in einer Zelle zubrachte, in der es keine Matratze gab. Er schlief auf einem Laken, das auf dem Boden ausgebreitet war. Da er anderen Häftlingen Zeugnis gab, kam er schließlich für 13 Tage in Einzelhaft. Am 16. Dezember 1936 wurde er endlich aus dem Gefängnis freigelassen.
Damit war die Geschichte jedoch nicht zu Ende. Die Familie Orús zog nach Ansó, wo Nemesio im Winter 1937 von den Behörden eine Mitteilung erhielt, sich für den Militärdienst bereitzustellen. Da er seine christliche Neutralität bewahren wollte, weigerte er sich, wurde wieder ins Gefängnis geworfen und schließlich freigelassen, weil er aus gesundheitlichen Gründen für den Militärdienst untauglich war. Später zog die Familie Orús nach Barbastro, einem anderen Ort in der Provinz Huesca, wo Nemesio wieder eine Reparaturwerkstatt für Uhren einrichtete. Dann verlor er für etwa zehn Jahre jeglichen Kontakt mit Gottes Volk.
Die Nachkriegszeit brachte große Leiden für das spanische Volk mit sich, und auch unsere wenigen Brüder und Interessierten wurden davon betroffen. An vielen Orten waren Nahrung und Brennstoff sehr knapp. Unter diesen Umständen war es einigen Brüdern möglich, ihre christliche Liebe zu beweisen (Joh. 13:34, 35). Zum Beispiel hatte Salvador Sirera, der in dem Dorf Pradell in Lérida lebte, die Möglichkeit, ein Stück Land zu bebauen. So war ihm seine Nahrung sicher. Den Brüdern in Barcelona ging es jedoch nicht so gut. Dort wurden Affenbrotfrüchte für 1 Peseta verkauft, doch der durchschnittliche Tageslohn betrug nur 12 bis 14 Peseten, und Grundnahrungsmittel wie Brot und Olivenöl waren sehr knapp. Daher kann man sich vorstellen, wie dankbar Bruder Juan Periago war, als Salvador Lebensmittel für die bedürftigen Brüder in Barcelona brachte.
Die neuen Machthaber waren entschlossen, alle Überbleibsel der bisherigen republikanischen Herrschaft auszurotten, und so wurden Post und Presse streng zensiert. Als Schwester Natividad Bargueño und Schwester Clara Buendía beschlossen, an die Watch Tower Society in Brooklyn zu schreiben und Literatur zu bestellen, waren ihre Bemühungen vergeblich. Ihre Briefe verließen Spanien nicht, sondern wurden vom Zensor abgefangen. Ein paar Tage später wurden diese Schwestern von der Polizei aufgesucht und nach einem Verhör und einer Hausdurchsuchung aufgefordert, ihr Interesse an diesen „Lügen“ aufzugeben.
Damals wurde verlangt, daß man bei allen Briefen, die man abschickte, patriotische Sprüche auf den Umschlag schrieb. Tat man dies nicht, so wurde die Post nicht befördert. Um die Neutralität zu bewahren, schrieben Gottes Diener daher nicht an die Gesellschaft.
Außerdem mußte man jedesmal, wenn die Nationalhymne gespielt wurde — selbst wenn sie im Radio gespielt wurde —, strammstehen und den faschistischen Gruß entbieten, ungeachtet, wo man sich gerade befand. Die gleiche patriotische Haltung wurde auch gefordert, wenn jemand an einer Kaserne vorbeiging und dort gerade die Flagge gehißt oder eingeholt wurde oder wenn Truppen mit der Fahne vorbeizogen. So geschah es eines Tages, daß Antonio Brunet Fradera und Luis Medina in Barcelona eine Straße entlanggingen, als plötzlich ein Bataillon Soldaten mit der Flagge vorbeimarschierte. Jeder stand still und grüßte die Flagge, außer Antonio und Luis. Daraufhin brachte der verantwortliche Offizier das Bataillon zum Stehen und befahl den jungen Männern drohend zu grüßen. Als sie sich weigerten, packte der Offizier ihre rechte Hand und erhob sie zum Gruß. Doch einer der Brüder sagte darauf: „Wir grüßen nicht. Sie tun es, indem Sie unsere Arme hochheben.“ Wütend ließ der Offizier ihre Arme fallen, zog seine Pistole, zielte auf sie und sagte: „Jetzt werden Sie grüßen nicht wahr?“ Wieder weigerten sich die Brüder. „Sehen Sie nicht, daß ich auf Sie schießen werde, wenn Sie nicht grüßen?“ Die Antwort? „Sie werden uns nur töten, wenn Gott es zuläßt.“ Verärgert steckte der Offizier die Pistole ins Halfter zurück und führte die jungen Männer ab. Doch sie hatten ihre Lauterkeit bewahrt. Interessanterweise war Antonio Brunet nicht einmal getauft, denn er wurde erst einige Jahre später, im Juni 1951, untergetaucht.
Da die katholische Kirche wieder an der Macht war, gab es auch für die Kinder der Zeugen Jehovas Schwierigkeiten in der Schule. Um auf einer staatlichen Schule eine Ausbildung erhalten zu können, mußte man einen Taufschein vorweisen als Beweis, daß das Kind als Katholik getauft worden war. Natividad Bargueño hatte ihre Töchter nicht in der Kirche taufen lassen, und als sie ins schulpflichtige Alter kamen, mußte sie eine ganze Zeit suchen, bis sie eine Schule fand, die nicht auf dem Taufschein bestand.
Doch selbst dann gab es Schwierigkeiten, weil der Gemeindepriester gewöhnlich verlangte, daß alle Schüler am Sonntagmorgen in seine Kirche kamen. Um sicherzugehen, daß auch wirklich alle kamen, gab man jedem Schüler eine blaue Karte, die beim Betreten der Kirche gekennzeichnet wurde. Am Montagmorgen wurden dann die Karten in der Schule geprüft, um festzustellen, ob jemand nicht zur Kirche gekommen war. Über diese Zeit erzählt eine von Natis Töchtern: „Natürlich war meine Karte nie gekennzeichnet, und jeden Montag stand ich so vor dem Lehrer. An einem Montag sagte er schließlich: ,So kann es nicht weitergehen. Entweder du gehst zur Messe, oder ich werde dich meinen Vorgesetzten melden.‘ “ Natis Tochter ging nach Hause und erklärte das Problem ihrer Mutter. Nati zeigte ihr dann einfach Apostelgeschichte 17:24, wo es heißt, daß Gott nicht in Tempeln wohnt, die mit Händen gemacht sind. Das junge Mädchen trug diesen Text ihrem Lehrer vor und erklärte, weshalb es nicht zur Messe ging. Das hatte Erfolg, denn der Lehrer ließ sie von da an zufrieden. Wenn der Priester montags kam, um die blauen Karten zu überprüfen, hielt der Lehrer sogar die Karte von Natis Tochter zurück, um Schwierigkeiten zu vermeiden.
IN TORRALBA GEHT DER SAME AUF
Obwohl Gottes Diener durch den Bürgerkrieg und seine Nachwirkungen gewiß auf die Probe gestellt und mit vielen Problemen konfrontiert wurden, war der Same der Wahrheit, der ausgesät worden war, inzwischen weiter aufgegangen. In Torralba de Calatrava waren zum Beispiel im Laufe der Jahre einige Früchte zu beobachten. Der erste Same war im Jahre 1931 ausgesät worden, als José Vicente Arenas zum ersten Mal von der Wahrheit hörte. Im Laufe der Zeit wurde informell Zeugnis gegeben, und nach und nach wurden verschiedene Personen auf diese Weise angesprochen. Unter denen, die die Schriften der Watch Tower Society lasen, befanden sich einige Protestanten, die die beiden verschiedenen Lehren miteinander vermischten. Tatsächlich war einer von ihnen als Kolporteur für die britische und ausländische Bibelgesellschaft in Madrid tätig, obwohl er gleichzeitig unsere Schriften verkaufte. Während der Zeit der Unruhen wurden Zusammenkünfte im verborgenen abgehalten, und sie wurden von Männern geleitet, die mehr Protestanten waren als Zeugen Jehovas.
Im Jahre 1946 war die Bibelforschergruppe in der kleinen ländlichen Stadt Torralba die größte in Spanien, die die Bibel noch mit Hilfe der Schriften der Gesellschaft studierte. Durch ihr Studium erkannten sie, daß sie sich taufen lassen sollten, und so trafen sie Vorkehrungen für eine Taufe am 2. September 1946, die in dem nahe gelegenen Fluß Guadiana durchgeführt wurde. An jenem Tag wurden neun Personen unter ganz einfachen Umständen und in aller Aufrichtigkeit getauft. Ohne daß eine Taufansprache gehalten wurde, gingen die neun Männer in den Fluß hinein und wurden getauft. Dann sprach jeder von ihnen ein Gebet, während sie alle am Flußufer niederknieten. Zwei Wochen später führten sie noch eine Taufe durch, und drei weitere Brüder wurden untergetaucht. Seltsamerweise wurden keine Frauen getauft, obwohl einige mit der Gruppe verbunden waren. Interessant ist auch, daß die „protestantischen“ Elemente in keiner Weise an dieser Taufe teilnahmen, obwohl sie sich bemühten, die Aufsicht über diese Gruppe zu führen.
Am 26. September 1946 heiratete Bruder Gregorio Fuentes die Schwester von Bruder Pedro García. Unter den Gästen befand sich ein Protestant, der aufgrund seiner biblischen Erkenntnis nahezu als Patriarch angesehen wurde. Er hoffte, der Pastor dieser blühenden Gruppe von Bibelforschern in Torralba zu werden. Als die Hochzeit vorüber war, machte er den Vorschlag, daß alle das Abendmahl des Herrn feiern sollten. Er hielt eine Ansprache, in der er die Notwendigkeit hervorhob, regelmäßig am Abendmahl teilzunehmen. Unter der Anleitung dieses protestantischen „Hirten“ nahmen alle von den Symbolen, und er gab zu verstehen, daß er im November zurückkehren würde, um das Abendmahl wieder zu feiern.
Einige Brüder waren jedoch nicht davon überzeugt, daß dies richtig war. Bevor er zurückkehrte, durchforschten sie daher gründlich die Bibel und die Schriften der Gesellschaft und fanden die Beweise, die nötig waren, um diesen Möchtegern-„Pastor“ zu widerlegen. Als er zurückkehrte, war er enttäuscht, daß niemand in der Gruppe bereit war, sein „Abendmahl“ zu feiern, und daß er über diese Personen keine Gewalt mehr hatte. Natürlich kehrte er nie wieder zurück.
NACHRICHTENBERICHT FÜHRT ZU NEUEM KONTAKT
Ein bemerkenswertes Ereignis des Jahres 1946 war der „Theokratische Kongreß fröhlicher Nationen“, der in Cleveland (Ohio, USA) stattfand und von 80 000 Personen besucht wurde. Natürlich war Spanien eine der Nationen, die nicht vertreten waren. Es gab noch immer keinen Kontakt zwischen den spanischen Christen und Gottes Organisation im übrigen Teil der Welt — und das zehn Jahre nach Ausbruch des Bürgerkrieges! Der erwähnte bemerkenswerte Kongreß gab jedoch Anlaß zu internationalen Nachrichten, und selbst in spanischen Zeitungen erschienen Berichte darüber. Diese Berichte waren zwar verdreht und voller Lügen, doch sie dienten dazu, den Kontakt zwischen der leitenden Körperschaft der christlichen Zeugen Jehovas und den kleinen Gruppen der ergebenen Diener Jehovas in Spanien wiederherzustellen.
In der Presse wurde berichtet, daß Jehovas Zeugen das Ende der Welt durch eine Atomexplosion zwischen 1946 und 1948 erwarteten. Diese „Nachricht“ fiel drei Brüdern unabhängig voneinander auf. Bruder Manuel Alexiades las sie in einer Madrider Zeitung und schrieb sogleich an das Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn, um sich über die „Prophezeiung“ zu erkundigen. Inzwischen las Ramón Serrano die gleiche Nachricht im einer anderen Zeitung und setzte Ramón Forné davon in Kenntnis, der auch an die Gesellschaft schrieb. Zur gleichen Zeit hatten die Brüder in Torralba diesen Bericht gelesen und sich ebenfalls mit dem Büro der Gesellschaft in Brooklyn in Verbindung gesetzt. Wer hätte gedacht, daß der Kongreß im Jahre 1946 dazu dienen würde, die spanischen Brüder wieder mit Jehovas sichtbarer Organisation in Verbindung zu bringen? Tatsächlich erwiesen sich die Lügen, über die sich der Teufel gefreut haben muß, als ein Bumerang.
Welch eine Freude für die Brüder in Spanien! Christliche Literatur begann wieder durchzusickern — Bücher wie Kinder, Die Neue Welt, „Die Wahrheit wird euch frei machen“ und „Das Königreich ist herbeigekommen“. Diese Bücher wurden den Brüdern als Geschenke gesandt. Und was für Geschenke das waren! Nachdem sie etwa zehn Jahre lang durch eine Wüste geistiger Dürre gewandert waren, hatten sie wieder die Wasser der Wahrheit gefunden.
LEITENDE KÖRPERSCHAFT STELLT KONTAKT WIEDER HER
Zufolge dieser Kontakte traf die leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas Vorkehrungen dafür, daß die spanischen Gruppen im Mai 1947 besucht werden sollten. Am 7. Mai trafen F. W. Franz und H. C. Covington aus dem Hauptbüro der Watch Tower Society (in Brooklyn, New York) in Madrid ein und hatten ihre erste Zusammenkunft mit einer Gruppe von 11 spanischen Brüdern, die sich an jenem Abend im Eßzimmer von Bruder Manuel Alexiades versammelten. Jeder der Anwesenden wollte den Wachtturm regelmäßig beziehen und die neuesten christlichen Veröffentlichungen haben. Den Besuchern fiel jedoch auf, daß praktisch alle Männer rauchten, äußerten sich aber noch nicht gleich dazu. Am nächsten Tag fand eine zweite Zusammenkunft mit 16 Personen statt.
Durch diese beiden Zusammenkünfte wurde das Vertrauen von Pedro García und Gregorio Fuentes gestärkt, die aus Torralba de Calatrava gekommen waren. Die Gruppe dort in Torralba war sich nicht einig darüber, ob sie die Brüder aus Brooklyn einladen sollte oder nicht, und daher wurden Pedro und Gregorio nach Madrid gesandt, um die Lage zu erkunden. Nun, ähnlich wie die treuen Kundschafter in Moses’ Tagen waren sie günstig beeindruckt und teilten der Gruppe durch ein Telegramm mit, daß sie mit den beiden amerikanischen Besuchern nach Torralba kommen würden.
Das bedeutete zunächst eine Eisenbahnfahrt nach Ciudad Real. Als nächstes fuhren die beiden Besucher in einem etwas klapprigen, hinfälligen Taxi nach Torralba. Eine Anzahl Brüder war zugegen, um sie bei ihrem Eintreffen nachts um 1.35 Uhr zu begrüßen.
An jenem Morgen gingen die Besucher in das Hauptquartier der Zivilgarde, um ihren Aufenthalt anzumelden. Am Abend kamen 24 Personen zu einer Zusammenkunft und wurden geistig sehr erfrischt. Doch der Besuch hatte auch eine Auswirkung auf die allgemeine Bevölkerung dieser kleinen landwirtschaftlichen Stadt. Zum Beispiel erzählt Bienvenido González: „Ihr Aufenthalt erregte Aufsehen, besonders unter den Einwohnern. Bruder Franz hat zwar nach hiesigen Maßstäben normale Größe, doch trug er einen Sombrero, der durchaus nicht normal war. Er war nämlich nicht nur sehr hoch, sondern auch sehr breit, und in dieser Gegend hatte man so etwas noch nie gesehen, so daß die Anwesenheit von Bruder Franz augenfällig war.“
Am Sonntag fand eine letzte Zusammenkunft mit der Gruppe in Torralba statt, und 38 Personen drängten sich in dem Zimmer zusammen. Es wurde die Versammlungsorganisation erklärt, und zwei Brüder wurden beauftragt, sich der Tätigkeit der Gruppe anzunehmen. Es handelte sich dabei um José Vicente Arenas und Juan Félix Sánchez. Bei dieser Zusammenkunft kam das Rauchen zur Sprache, da fast alle in der Gruppe Raucher waren und ihnen aufgefallen war, daß ihre Besucher nicht rauchten. Als sie sich diesbezüglich erkundigten, erzählte Bruder Covington, er habe selbst einmal 50 Zigaretten am Tag geraucht, doch habe ihn die Erkenntnis der Königreichswahrheit zu der Überzeugung gebracht, daß sich diese Gewohnheit mit einer christlichen Lebensweise nicht vereinbare. Auch nach dieser Ansprache blieb das Rauchen ein Problem in dieser Gruppe, da einige nicht bereit waren, sich zu ändern.
Nach der Zusammenkunft wurde die Zivilgarde verständigt, daß die Besucher abreisen würden. Doch wie sollten sie die 16 Kilometer nach Ciudad Real zurücklegen, um den Zug nach Madrid zu erreichen, wenn doch das einzige Taxi am Ort eine Reifenpanne hatte? Bruder Franz berichtete später:
„Um Mitternacht machten wir uns auf die Suche nach einem Kutscher und weckten ihn. Er machte eine tartana, einen Zweiräderkarren mit einem runden Verdeck, zurecht, vor den ein müdes Roß gespannt wurde, das unten am Halse ein Schellengeläute trug. Wir sagten den Freunden dort Lebewohl und stiegen zu viert mit dem Kutscher in den Wagen. Holpernd und klingelnd ging es durch die Stunden der Dunkelheit in Richtung Westen vorwärts. ... Um 3 Uhr morgens erreichten wir den Bahnhof in Ciudad Real.“
Die Besucher erreichten den Zug und gelangten wieder sicher nach Madrid. Später an jenem Tag hatten sie eine Abschiedszusammenkunft mit der Gruppe in Madrid, und von den zwölf anwesenden Personen wurde einer vorläufig zum vorsitzführenden Aufseher und Wachtturm-Studienleiter ernannt.
Am nächsten Tag flogen die Besucher nach Barcelona weiter. Während des Besuchs dort wurde ein Dienstkomitee vorübergehend eingesetzt, damit die Versammlung Barcelona richtig organisiert werden konnte. Die ernannten Brüder waren Ramón Forné und Ramón und Francisco Serrano.
Am 15. Mai waren die Besucher mit dem Zug unterwegs nach Barbastro. Die Fahrt dauerte zehn Stunden. Der Zug fuhr an dem berühmten Montserrat mit seinen eigenartigen Spitzen vorbei, die aussehen wie monolithische Finger, die zum Himmel zeigen. Hoch auf diesem Berg befindet sich ein Kloster mit dem Standbild der „Madonna von Montserrat“, die auch als die „Schwarze Jungfrau“ bekannt ist und so genannt wird, weil das Bild von den Kerzen, die im Laufe der Jahrhunderte darunter abgebrannt wurden, schwarz gefärbt worden ist.
In Barbastro wurden die Besucher von Nemesio Orús und seiner Familie sowie von interessierten Personen willkommen geheißen. Sie hielten dort an aufeinanderfolgenden Abenden zwei Zusammenkünfte ab, und Nemesio wurde beauftragt, einstweilen als vorsitzführender Aufseher zu dienen.
Wieder in Barcelona angelangt, sprachen die Besucher am 18. Mai 1947 zu etwa zwanzig Personen. Bevor sie abreisten, wurde Ramón Forné vorübergehend als Diener über die gesamte Tätigkeit der Zeugen Jehovas und ihre Versammlungen in Spanien eingesetzt.
EIN NEUES KAPITEL DES KÖNIGREICHSDIENSTES
Im Dezember 1947 besuchten weitere Glieder der leitenden Körperschaft die Christen in Spanien. Diesmal konnten Bruder N. H. Knorr und Bruder M. G. Henschel ihren spanischen Glaubensbrüdern geistig helfen. Zusammen mit den Besuchern kam John Cooke, der inzwischen die Wachtturm-Bibelschule Gilead absolviert hatte. Ja, dies war der gleiche Bruder, der im Jahre 1936 kurz vor Beginn des Bürgerkrieges Spanien verlassen hatte. Jetzt war ihm die Iberische Halbinsel zugeteilt worden, und er sollte unser Werk in Spanien und Portugal organisieren.
Ein Ort, der Hilfe brauchte, war Barcelona, wo aufgrund einer Spaltung wegen Meinungsverschiedenheiten zwei verschiedene Gruppen existierten. Als Bruder Cooke auf dem Flughafen eintraf, wurde er von zwei kleinen Gruppen von Brüdern begrüßt, die jedoch nicht bereit waren einander zu grüßen. In der ersten Woche war die Situation sehr schwierig. Die Brüder waren nicht organisiert, und es wurde kein richtiger Predigtdienst durchgeführt. Doch innerhalb kurzer Zeit gelang es Bruder Cooke, ein gemeinsames Wachtturm-Studium zu organisieren, und von da an besserte sich die Atmosphäre allmählich, obwohl es noch ziemlich lange dauerte, bis die verletzten Gefühle geheilt waren.
Der erste wichtige Schritt in der Wiederbelebung unseres Werkes in Spanien bestand darin, die Tätigkeit von Haus zu Haus wieder in Gang zu bringen. Doch dieser Vorschlag stieß auf Protest: „Aber Bruder Cooke, hier ist nicht London oder New York! Dies ist Francos Spanien. Du kannst hier nicht von Haus zu Haus arbeiten.“ Doch John dachte anders. So begann er allein, besuchte ein Haus hier und ein Haus dort, so daß er von der Polizei nicht gefunden oder erfolgreich denunziert werden konnte. Mit diesem Beispiel vor Augen begannen die anderen Brüder, sich ihm anzuschließen. Bald erkannten sie, daß sie mit Takt und Vorsicht und mit Hilfe der katholischen Bibel tatsächlich von Haus zu Haus predigen konnten. So kam es, daß Spanien im Jahre 1948 34 Königreichsverkündiger berichtete. Dies war nach dem Krieg das erste Jahr, in dem organisierter Haus-zu-Haus-Dienst durchgeführt wurde.
Die Gruppe in Madrid war noch schwächer als die in Barcelona. Dort gab es keinen befähigten Bruder, der die Führung übernehmen konnte, obwohl Schwestern wie Carmen Tierraseca und Natividad Bargueño still der Führung der Organisation folgten, wenn es auch in ihrer Mitte protestantisches „Gift“ gab. Die Zusammenkünfte wurden am Stadtrand von Madrid, im Bezirk Vallecas, in der Wohnung des Protestanten abgehalten, der schon früher in Torralba de Calatrava versucht hatte, das Regiment zu führen. Bevor John Cooke eintraf, leitete gewöhnlich dieser Protestant das Wachtturm-Studium, das manchmal fast drei Stunden dauerte, da die Kommentare dieses Mannes bisweilen dreißig Minuten lang waren. Zu dieser Zeit war es John tatsächlich unmöglich, die Situation zu verbessern, da es damals in Madrid keine fähigen Brüder gab.
Von Madrid aus fuhr John mit der Eisenbahn nach Ciudad Real, wo ihn die Brüder aus Torralba de Calatrava empfingen. In den ersten Tagen ging alles gut, und er konnte einige schöne Zusammenkünfte mit den Brüdern abhalten, obwohl die Zivilgarde alle Vorgänge streng überwachte. Am vierten Tag wurde John jedoch krank und mußte im Bett bleiben. Er hatte Fieber und ein seltsames Gefühl in den Lungen. Er brauchte zwar viel Flüssigkeit, doch das Wasser in dieser Stadt war sehr schlecht. Noch schlimmer wurde die Lage dadurch, daß in der Stadt kein geeigneter Arzt vorhanden war. Mit jedem Tag wurde die Situation schlechter, nicht nur für John, sondern auch für die Brüder, die nun diesen „peinlichen“ Ausländer am Halse hatten, der den Verdacht der Zivilgarde erregte. Unter großer Anstrengung reiste John schließlich nach Barcelona zurück, wo ihm Ramón und Francisco Serrano abholten und dafür sorgten, daß er die nötige Pflege erhielt. Eine Zeitlang besuchte ihn der Arzt dreimal täglich, und die Brüder dachten schon, er läge im Sterben. Doch dank der Pflege der Familie Serrano überstand Bruder Cooke die Tortur.
Der Arzt empfahl John Cooke, zur Erholung ein paar Wochen in die Berge zu fahren. Darauf lud ihn Nemesio Orús ein, solange bei seiner Familie in Barbastro zu wohnen, doch auch dort kamen Probleme auf.
ALS ANGEHÖRIGE DER MAQUIS VERHAFTET
In Barbastro hatten John und Nemesio ein ungewöhnliches, aber typisches Erlebnis. Nemesio hatte vorher einem Interessierten namens Vicente von dem bevorstehenden Besuch geschrieben. Nun, als der klapprige Bus sein Ziel erreichte und die Besucher ausstiegen, wartete dort ein düster dreinblickendes Empfangskomitee auf sie: ein Priester und vier schwerbewaffnete Angehörige der Zivilgarde. In der Nähe stand Vicente in seiner einfachen Bauerntracht. Er hatte einen Esel mitgebracht, der die Reisetaschen tragen sollte. Vicente machte ein besorgtes Gesicht. Nach der Begrüßung wurde der Esel beladen, und die Brüder begannen, den Pfad, der zum Dorf führte, hinaufzusteigen. Doch zwei der Wachmänner gingen ihnen voraus, und die anderen beiden folgten ihnen zusammen mit dem Priester. Die Brüder waren in eine Falle geraten! Als sie in die Nähe des Dorfes gelangten, schrie einer der Wachmänner von hinten: „Halt! Hände hoch!“ „Wir machten keine Einwände“, erzählte John. „Sie durchsuchten uns nach Waffen und befahlen uns dann, zum Haus des Bruders weiterzugehen. Unterdessen machte sich der Priester aus dem Staub. Sein kleiner Plan hatte schön geklappt.“
Was war passiert? Nun, Vicente hatte seiner Familie Nemesios Brief vorgelesen, doch die Magd hatte zugehört und, da sie katholisch war, dem Priester davon erzählt. Der wiederum gab der Zivilgarde den Tip, daß Vicente Besuch von gefährlichen Gestalten bekäme. In dieser Gegend kamen oft Angehörige der Maquis, spanische politische Flüchtlinge, die ihr Hauptquartier in Frankreich hatten, über die Grenze, um Störaktionen durchzuführen, und die Zivilgarde war in ständiger Alarmbereitschaft. Nun erfanden sie die Beschuldigung, John und Nemesio seien Agenten dieser Widerstandskämpfer.
In Vicentes Haus wurde erklärt, wer wir wirklich waren, und die Gardisten gingen fort. Während die drei Männer bei einer Tasse Kaffee zusammensaßen und sich entspannten, kehrten die Wachmänner jedoch zurück und verhafteten sie. Warum? Weil sie angeblich eine illegale Zusammenkunft abhielten. Franco hatte unbefugte Zusammenkünfte von drei oder mehr Personen verboten. Daher wurden sie von etwa Mitternacht bis fünf Uhr früh im nächstgelegenen Hauptquartier der Zivilgarde verhört. Danach wurden die drei in einem leerstehenden Kloster in eine Zelle gesperrt und von vier Soldaten und einem Korporal bewacht. Dort mußten sie nun einige Tage bleiben, auf schmutzigen Matratzen auf dem Fußboden schlafen und jemand dafür bezahlen, daß er von einem Gasthaus in dem Ort Graus Mahlzeiten brachte. Das war nun Johns Erholungsurlaub!
Die drei wurden noch einmal von Offizieren verhört, die sehr höflich und respektvoll waren. Am dritten Tag traf ein Telegramm vom Gouverneur der Provinz ein, in dem angeordnet wurde, daß alle drei freigelassen werden sollten. Endlich kamen sie zurück zu Vicentes Haus, und der Besuch konnte wie geplant fortgesetzt werden.
Nachdem John Cooke etwa drei Wochen mit Nemesio dort verbracht hatte, kehrte er nach Barcelona zurück, wo das Werk recht gut voranging, da nun 40 Verkündiger am Dienst teilnahmen. Als in jenem Jahr in Spanien das Gedächtnismahl gefeiert wurde, waren 96 Personen anwesend, und 18 nahmen von den Symbolen. Die Zahl der Teilnehmer war wegen des Einflusses des protestantischen „Bruders“ in Madrid so ungewöhnlich hoch. Diese Situation sollte jedoch nur noch bis zum Jahre 1950 weiterbestehen. In jenem Jahr wurden endlich rechtliche Schritte gegen ihn unternommen. Als man ein besseres Verständnis erlangte, ging die Zahl der Teilnehmer bis zum Jahre 1956 auf drei zurück.
Da es in Spanien nun langsam, aber sicher voranging, wurde beschlossen, daß John Cooke nach Portugal gehen sollte. Das tat er im August 1948, und er kehrte erst im Juli 1951 wieder nach Spanien zurück. Doch die acht Monate, die er vor seiner Abreise mit den Brüdern verbrachte, hatten dazu gedient, in Spanien alles ins Lot zu bringen. Die theokratische Ordnung wurde eingeführt, und die Früchte sollten nicht ausbleiben, trotz aller Bemühungen Satans, dies zu verhindern.
PROBLEME IN TORRALBA
Am 18. März 1948 wurden José Vicente Arenas und Pedro García vor den Bürgermeister und den Chef der Zivilgarde von Torralba de Calatrava gerufen. Diese Unterredung sollte dem Zweck dienen, die Brüder davon abzuhalten, Zusammenkünfte durchzuführen und zu predigen. Pedro erwiderte darauf, daß sie die Behörden respektieren würden, es aber unmöglich sei, die Zusammenkünfte und das Predigtwerk einzustellen (Apg. 5:29). Damit war die Sache jedoch noch nicht erledigt.
Am 10. April fing die Zivilgarde die Literaturpakete ab, die die Gesellschaft aus Brooklyn (New York) gesandt hatte, und beschlagnahmte sie. Die Brüder, an die die Pakete gesandt worden waren, erhielten vom Zivilgouverneur der Provinz eine Geldstrafe. Einige zahlten die Strafe, doch andere weigerten sich, dies zu tun, da sie sich keines Vergehens schuldig gemacht hatten. Später sandte die Gesellschaft die Literatur nach Barcelona, und die Brüder dort schickten sie dann nach Torralba weiter. Es war jedoch offensichtlich, daß die Gruppe dort größeres Vertrauen auf Jehova setzen mußte. Es wurden daher neue Ernennungen für verantwortliche Stellungen vorgenommen, und das trug dazu bei, daß sich der Geist der Gruppe von Torralba verbesserte.
Ein großes Problem in Torralba war das Rauchen. Fast alle Männer, die mit der Gruppe verbunden waren, waren starke Raucher, doch sie vermieden es zu rauchen, wenn John Cooke zu Besuch war. Eines Tages brachte jedoch Bienvenido González die Angelegenheit absichtlich zur Entscheidung, indem er in Johns Gegenwart rauchte. Darauf wurde die Angelegenheit nochmals deutlich dargelegt, und Johns Rat war, wie Bienvenido es ausdrückt, „für einige ein neuer Ansporn, das schmutzige Laster zu lassen“.
ERSTER SAME NACH DEM KRIEG AUF DEN BALEAREN GESÄT
Ging das Königreichspredigtwerk noch in anderen Gebieten Spaniens voran? Ja, etwa 160 Kilometer westlich der spanischen Mittelmeerküste liegen die Balearen, die hauptsächlich aus den Inseln Mallorca, Menorca, Ibiza und Formentera bestehen. Bis zu den 1940er Jahren war das katholische Monopol auf diesen Inseln unangefochten, doch das sollte sich nun ändern. Dafür sorgte Bruder Manuel Alexiades, der griechische Geschäftsmann, der in Madrid lebte, aber auch Eigentum auf Mallorca hatte.
Eines Tages begann Manuel im Telegrafenamt, einem der Angestellten Zeugnis zu geben. Der Mann hörte der Botschaft zu, nicht etwa, weil er besonders interessiert war, sondern weil seine Frau eine fanatische Katholikin war und er nun eine Chance sah, sie von ihrer fanatischen Einstellung abzubringen. So war es Manuel Alexiades möglich, Prudencia Font de Bordoy Zeugnis zu geben, der Präsidentin einer Gruppe der Katholischen Aktion in Puerto de Pollensa, einer kleinen Stadt an der Nordostküste Mallorcas. Sie nahm einige unserer Schriften entgegen.
Prudencia besuchte später eine Bekannte und gab ihr ein Traktat. Diese Bekannte war so beeindruckt, daß sie das Traktat ihrer Tochter Margarita weitergab. Nun, sowohl Margarita als auch ihre Mutter bekundeten Interesse für die Wahrheit, erwarben weitere Schriften und begannen, mit Prudencia die Bibel zu studieren. Und was für Studien das waren! Sie dauerten von 15 bis 20 Uhr. Einmal versteckte sich Margarita sogar in ihrem Zimmer, als ihr wieder ein weiteres fünfstündiges Studium bevorstand. Doch dann hatte sie fünf Stunden Zeit, über ihre List nachzudenken, und sie schämte sich, daß sie dies getan hatte. Sie betete zu Jehova und trug ihm vor, daß sie gern die Bibel studieren würde, doch nicht fünf Stunden lang mit dieser Frau.
Im Jahre 1949 stellten Margarita und ihre Mutter ihren eigenen Studienplan auf, und sie hielten sich zwei Jahre lang daran. In dieser Zeit gaben sie ihren Nachbarn und Bekannten informell Zeugnis. Im Jahre 1953 kam eine Wendung zum Besseren, als John Cooke sie drei Tage lang besuchte und überrascht war, eine Zuhörerschaft von 26 Personen bei einer Zusammenkunft in Palma de Mallorca vorzufinden.
Da Margarita nun 26 Jahre alt war und die Fähigkeit hatte, andere zu lehren, ergriff John Cooke nach seiner Ansprache die Initiative und traf Vorkehrungen dafür, daß mit den interessierten Personen, die bei dieser Zusammenkunft zugegen waren, zehn Bibelstudien durchgeführt wurden. Er schulte Margarita drei Tage lang und flößte ihr auf diese Weise große Wertschätzung für Jehovas Organisation ein. Er weckte auch ihr Interesse am Pionierdienst, das heißt für den Dienst als Vollzeitprediger der guten Botschaft. Als John Cooke im Jahre 1953 den christlichen Kongreß in New York besuchte, schickte er Margarita eine Pionierbewerbung, die sie freudig ausfüllte. Im August jenes Jahres wurde Margarita Comas dann Sonderpionier.
Zu dieser Zeit war Paul Baker, ein Missionar, der die 15. Klasse der Gileadschule absolviert hatte, bereits über ein Jahr auf Mallorca. Schon bald nach seiner Ankunft am 25. März 1952 richtete Paul bei zwei Familien Studien ein, die er bald zusammenlegte, um so das erste Wachtturm-Studium zu gründen. Zwei Wochen nach seiner Ankunft fand das Gedächtnismahl statt, und 21 Personen waren bei der Feier anwesend. Niemand nahm von den Symbolen. Gegen Ende jenes Monats berichteten fünf Verkündiger zum ersten Mal über ihren Predigtdienst, und sie führten vier Bibelstudien durch. Bruder Baker blieb bis zum Jahre 1957 die Stütze der Versammlung Palma de Mallorca. Dann wurde er des Landes verwiesen.
BEMERKENSWERTE ENTWICKLUNGEN IN BARCELONA UND IN MADRID
In den Jahren, die jetzt zur Betrachtung stehen, wurden einige Änderungen in der Aufsicht des Königreichspredigtwerkes in Spanien vorgenommen. Kurz nach dem Eintreffen von Bruder Cooke wurde Ramón Forné von Luis Buj ersetzt, der bald darauf nach Argentinien zurückkehren mußte. Im Jahre 1950 wurde dann Bruder Pedro Pérez diese Verantwortung übertragen. Er war jedoch einmal Anarchist gewesen, und während der damals bestehenden Unruhen kam er vermehrt unter Polizeiaufsicht. Natürlich hatte er sämtliche politischen Betätigungen aufgegeben, und er hatte dies auch der Polizei erklärt. Doch in Anbetracht dieser Probleme schrieb Pedro an die Gesellschaft und schlug vor, daß ein anderer Bruder an seine Stelle gesetzt werde. Darauf erhielt Jorge Miralles, der aus Argentinien gekommen war, dieses Vorrecht.
An dieser Stelle scheint es angebracht zu sein, noch einmal kurz die Lage in Madrid zu betrachten. Dort leitete der bereits erwähnte Mann mit den protestantischen Ansichten das Wachtturm-Studium und vermischte seine eigenen protestantischen Vorstellungen mit dem, was die Zeitschrift sagte. Es wurde sogar berichtet, daß die Männer nach einer Zusammenkunft ihren Tabak hervorholten und rauchten und sich dabei über allgemeine Dinge unterhielten. Man stelle sich das einmal vor!
Als Pedro García, der Bruder aus Torralba de Calatrava, von der Situation in Madrid-Vallecas erfuhr, begab er sich nach Madrid und kam am 16. Dezember 1949 mit den Brüdern dort zusammen, jedoch ohne den Protestanten. Das Ergebnis dieser Besprechung und eines Briefwechsels mit der Gesellschaft war, daß Luis Feito und Eulogio González in der Versammlung mit verantwortlichen Stellungen betraut wurden.
Bei der Feier des Gedächtnismahls am 1. April 1950 spielten sich in Madrid dramatische Ereignisse ab. Am 31. März traf Pedro García ein und besprach zunächst die Angelegenheit des Gedächtnismahls mit dem Protestanten. Es war unmöglich, zu einer Übereinkunft in bezug auf das Datum zu kommen oder in bezug auf die Frage, wer von den Symbolen nehmen sollte. Doch dieser Protestant sollte die Ansprache halten! Am nächsten Tag ging Pedro mit diesem älteren „Bruder“ zur Versammlungsstätte und fand dort etwa 20 Personen vor, von denen ihm viele völlig unbekannt waren. Auf die Frage, wer sie seien, erfuhr er, daß es sich um Protestanten und Adventisten handelte, die dieser „Bruder“ zur Zusammenkunft eingeladen hatte. Er hatte schlauerweise die Zuhörerschaft vergrößert, indem er Leute seines Schlages eingeladen hatte.
Pedro García handelte schnell und riet Eulogio González, vor Beginn der Gedächtnismahlfeier zu der Gruppe zu sprechen. Er sollte Fragen hinsichtlich des Datums und der Teilnehmer klären, und zwar in Übereinstimmung mit einem Brief der Watch Tower Society. Nun, das war eine Bombe, die der protestantische „Bruder“ nicht erwartet hatte. Die Versammlung löste sich in Verwirrung auf. Der Protestant und seine Anhänger gingen hinaus, und Pedro García hielt darauf schließlich die Gedächtnismahlansprache.
Durch diese Ereignisse wurde der Einfluß des Protestanten ausgeschaltet. Er weigerte sich, der Anleitung des „treuen und verständigen Sklaven“ zu folgen, und respektierte auch nicht die Ernennung verantwortlicher Brüder in der Versammlung (Matth. 24:45-47). Danach wurden die Zusammenkünfte in seiner Wohnung eingestellt und bei Eulogio González abgehalten, der in Madrid-Ventas wohnte.
ERSTE PIONIERE IN SPANIEN ERNANNT
Mit der Ankunft auf Gilead ausgebildeter Missionare, wie John Cooke, Ken Williams, Bernard Backhouse und Paul Baker, begann in einigen der kleinen Gruppen der spanischen Königreichsverkündiger der Pioniergeist Fuß zu fassen. Im Jahre 1949 waren mit den sechs Gruppen nur 53 Verkündiger verbunden. Aus ihren Reihen kam der erste spanische Pionier, María Gómez aus Barcelona.
Im Jahre 1950 wurde eine neue Höchstzahl von 93 Verkündigern erreicht. Im darauffolgenden Jahr wuchs die Zahl auf 121 und dann, im Jahre 1952, auf 145. Jenes Jahr war ein Wendepunkt für Spanien, denn es wurden vier Sonderpioniere ernannt, drei von ihnen Spanier: Máximo Murcia aus Torralba de Calatrava, Luis Feito und Maruja Puñal aus Madrid und der Brasilianer Raimundo Avoletta. Jetzt, im Jahre 1977, arbeiten 591 Sonderpioniere unter der Aufsicht des spanischen Zweigbüros.
DIE ORGANISATION GESTÄRKT
Auch in den 1950er Jahren statteten uns Glieder der leitenden Körperschaft erbauende Besuche ab. Zum Beispiel kam Bruder F. W. Franz im Juli 1951 wieder nach Spanien. Ein denkwürdiges Ereignis während dieses Besuches war eine Veranstaltung im Freien außerhalb von Madrid. Bei dieser Gelegenheit beschlossen mehrere Brüder aus Torralba, die im Jahre 1946 getauft worden waren, jedoch nicht von einer getauften Person, sich nochmals taufen zu lassen. Bruder Franz hielt die Taufansprache in Spanisch, und John Cooke taufte die Brüder in einem Fluß, in der Jarama. Für die 28 anwesenden Brüder war dieser persönliche Kontakt mit einem Glied der leitenden Körperschaft sowie die Möglichkeit, mit ihm in Spanisch zu sprechen, eine große Ermunterung.
In Granada mußten Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, und so hielten die Brüder ihre Zusammenkünfte in einem Hotelzimmer ab. Granada, das im Herzen der Region Andalusien liegt, ist von den Arabern stark geprägt worden. Bruder F. W. Franz und Bruder John Cooke besichtigten die Alhambra, die hauptsächlich im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert von den Arabern oder Mauren, wie sie hier gewöhnlich genannt werden, erbaut wurde. Interessanterweise spiegeln alle Mosaike und alles Fliesen- und Stuckwerk in der Alhambra den Abscheu der Moslems vor allem wider, was an Götzendienst erinnert. Wieso? Nun, die gesamte künstlerische Gestaltung stützt sich auf geometrische, arabeske und kalligraphische Muster.
Im Jahre 1950 besuchte ein Bruder aus Argentinien seine Heimatstadt Granada und erzählte dort mehreren Männern von der Wahrheit. Bald abonnierten vier von ihnen den Wachtturm und hielten in der Alhambra, die für die Öffentlichkeit zugänglich ist, private „Zusammenkünfte“ ab, die eigentlich eher Debatten waren. Später wurden diese Zusammenkünfte in eine Höhlenwohnung in Sacromonte, am Stadtrand von Granada, verlegt. Diese kleine Gruppe feierte jährlich das Gedächtnismahl an einer abgelegenen Stelle auf dem Hügel von Sacromonte und las dort bei Sonnenuntergang einen Wachtturm-Artikel. Im Laufe der Zeit wurde in Granada eine Versammlung gegründet.
Im Februar 1952 besuchten Bruder N. H. Knorr und Bruder M. G. Henschel Spanien. Diesmal wurden in Barcelona fünf Wachtturm-Studien organisiert und Richtlinien für spätere Zusammenkünfte und das Predigtwerk in Spanien gegeben. Da große Vorsicht angebracht war, um unnötige Probleme mit den Behörden zu vermeiden, wurde vorgeschlagen, daß die Größe der Zusammenkünfte auf 8 bis 12 Personen beschränkt bleiben sollte. Bei dieser Gelegenheit wurde Bruder Bernard Backhouse beauftragt, den Versammlungen als Kreisaufseher zu dienen.
Da unsere Literatur knapp war, wurde für Spanien eine neue Vorkehrung eingeführt. Wenn die Brüder im Haus-zu-Haus-Dienst eine wirklich interessierte Person antrafen, liehen sie ihr ein Buch aus und richteten ein Bibelstudium ein. Dann schickten sie die Adresse des Betreffenden an das Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn, und von dort aus wurde ein Exemplar des Buches an den Interessierten gesandt. Der Verkündiger erhielt dann den Beitrag für das neue Buch und nahm das geliehene Buch wieder zurück. Diese Vorkehrung wurde später eingestellt, aber sie diente eine Zeitlang einem nützlichen Zweck.
Bruder Knorr und Bruder Henschel kehrten im Januar 1953 nach Spanien zurück, und dies war der letzte Besuch, an dem John Cooke teilnehmen konnte. In Barcelona und Madrid fanden Zusammenkünfte statt, die recht gut besucht waren. In Madrid führten die Besucher eine Besprechung mit Bruder Cooke und Bruder Backhouse durch. Es wurde beschlossen, daß Spanien und Portugal ein einziger Zweig der Gesellschaft werden sollten, und John Cooke wurde als Zweigaufseher eingesetzt.
Während dieses Besuches riet Bruder Knorr zur Vorsicht, besonders in bezug auf das Organisieren von Kongressen. Er hielt es für besser, sie auf Picknickgröße, also auf 30 bis 40 Personen, beschränkt zu halten, als zu versuchen, sie für 100 oder mehr Personen zu organisieren. Diese „Picknick“-Kongresse fanden in ganz Spanien in den Bergen und Wäldern statt, bis unser Werk im Jahre 1970 legalisiert wurde. Nur bei wenigen Gelegenheiten griff die Polizei ein.
Im Juli 1953 wurde John Cooke eingeladen, den internationalen Kongreß der Zeugen Jehovas in New York zu besuchen. Nach diesem Kongreß ging er zurück nach Portugal und hielt in der Nähe von Lissabon einen „Picknick“-Kongreß ab, um die Höhepunkte der Veranstaltung in New York zu wiederholen. Darauf wollte er mit dem Zug nach Madrid fahren, doch als er an die spanische Grenze kam, wurde er aufgehalten und durfte das Land nicht betreten. Im Mai 1954 versuchte er noch einmal, die spanische Grenze zu überschreiten, doch ohne Erfolg. Sein Name stand auf der „schwarzen Liste“. John Cooke kehrte nicht wieder nach Spanien zurück, doch das Königreichspredigtwerk war jetzt fest gegründet und ging unter dem Einfluß des heiligen Geistes Jehovas voran. Bruder Cooke setzte seinen Missionardienst jedoch in Afrika fort und dient heute im Bethel von Südafrika.
ORGANISIERTE VERFOLGUNG
Mit dem Beginn des organisierten Werkes in Spanien begann auch die organisierte Verfolgung. Die protestantischen Sekten blieben praktisch im verborgenen und provozierten daher keine Reaktion der katholischen Geistlichkeit, obwohl es vermutlich über 30 000 Protestanten in Spanien gab. Doch die Tätigkeit einer Handvoll Zeugen Jehovas erregte bald den Zorn der katholischen Geistlichkeit. Schließlich wurde ihre Monopolstellung angegriffen! Was tat sie darauf? Das gleiche, was sie zur Zeit der Inquisition getan hatte: Sie übernahm das Denunzieren und überließ dem Staat die schmutzige Arbeit.
Wie diese Verfolgung vor sich ging, zeigt ein Erlebnis, das Natividad Puñal, die Tochter Nati Bargueños, hatte. Eines Tages im Jahre 1953 war dieses 17jährige Mädchen mit einem Sonderpionier im Predigtdienst tätig. Bei einem Rückbesuch tauchte ein Mann auf und stellte aggressive Fragen. Er erhob die Stimme, und weitere Glieder der Familie erschienen auf der Bildfläche. Schließlich gab sich der Mann als Polizist zu erkennen. Er nahm die beiden Zeugen zu einem Platz mit, wo eine katholische Kapelle stand, und führte sie vor einen Mann, der wie ein Priester redete, wenn auch nicht so gekleidet war. Von dort aus wurden sie zu einer Polizeiwache gebracht, wo ihre Taschen durchsucht und ihre Bücher und Bibeln beschlagnahmt wurden. Man verhörte die beiden eine Zeitlang und brachte sie nach einem zweiten Verhör zum Vorsteher der Sozialbrigade der Geheimpolizei. Bei ihrer Ankunft wurden sie sogleich in ein verliesartiges Gefängnis gesteckt. Bald befand sich Nati in einer Zelle mit Diebinnen, Prostituierten und Lesbierinnen. Doch selbst unter diesen Verhältnissen nahm sie die Gelegenheit wahr, Zeugnis zu geben.
In der Nacht, als die anderen schon im Bett waren, wurde Nati in einen Raum geführt und wieder verhört. Die anfänglich „freundlichen“ Fragen entwickelten sich bald zu sehr spezifischen Fragen, denn der verhörende Beamte wollte wissen, wer das Werk leitete, wie viele daran teilnahmen, wo sie wohnten usw. Er zeigte ihr sogar ein Foto von einer Gruppe von Zeugen, darunter Nati, sowie Briefe der Gesellschaft und andere Gegenstände, die man im Zimmer des Sonderpioniers gefunden hatte.
Nati gelang es, so zu antworten, daß sie ihre Glaubensbrüder nicht verriet. Sie war sehr froh, daß sie die Adressen ausländischer Brüder nicht kannte. Schließlich ging das Verhör zu Ende, und Nati wurde in die Gemeinschaftszelle zurückgebracht. Am nächsten Tag wurde sie in eine kleine Zelle gesteckt, wie man sie zur Einzelhaft verwendet. Dort verbrachte sie zwei Tage, bis sie das Maximum von 72 Stunden abgesessen hatte, die sie ohne offizielle Anklage festgehalten werden konnte.
Damit war die Sache jedoch noch nicht beendet. Einige Wochen später mußte sie vor dem Polizeigericht erscheinen und wurde dort wegen des Skandals, den sie angeblich verursacht hatte, angeklagt. Ihr Ankläger war der Polizist, der die Unruhe gestiftet hatte. Überraschenderweise gab es jedoch eine plötzliche Wendung. Der Polizist sagte: „Es hat keinen Skandal gegeben.“ Vom Richter bedrängt, antwortete er schließlich: „Ich fand es skandalös, daß sie nicht an die Jungfrau Maria glauben.“ Schließlich wurde der Fall abgewiesen. Als sie das Gericht verließen, wandte sich der Polizist, der die Anklage erhoben hatte, an Nati und ihren Gefährten und sagte: „Ich habe mich in Ihnen getäuscht. Bitte, verzeihen Sie mir.“
Das war nicht Natis einzige Erfahrung mit dem Gefängnis. Zwei Jahre später wurde sie aus demselben Grund in dasselbe Gefängnis eingesperrt — nämlich weil sie Gottes Wort gepredigt hatte. Ihre Schwester Maruja wurde ebenfalls eingesperrt, weil sie die gute Botschaft verkündigt hatte. Sie mußte mit Lesbierinnen die Zelle teilen und versuchen, sich die Ratten vom Leibe zu halten. Trotz dieser Gefängniserlebnisse setzten beide Mädchen ihren Dienst für Jehova fort, und er segnete ihre ernsten Bemühungen.
DIE BIBEL IN SPANIEN
Man darf nicht vergessen, daß Spanien jahrhundertelang in bezug auf die Bibel in Unwissenheit gehalten wurde, und zwar so sehr, daß sie noch in den 1950er Jahren für ein gefährliches protestantisches Buch gehalten wurde, das von ungebildeten Katholiken nicht gelesen werden durfte. Typisch für diese Unwissenheit war ein Erlebnis, das Vicente Páramo hatte, als er in Madrid einem Schuster predigte. Seine Darlegungen wurden von dem Schuster mit dem Ausruf unterbrochen: „Sie kommen hierher, um mit mir über die Bibel zu sprechen, als ob ich die Bibel nicht schon kennen würde. Ich kann Ihnen sagen, daß ich Don Quichotte schon siebenmal gelesen habe!“ Don Quichotte ist natürlich der berühmte Roman des spanischen Schriftstellers Miguel de Cervantes.
Bei einer anderen Gelegenheit gab eine Schwester einer Dame Zeugnis und erwähnte dabei wiederholt die Heilige Schrift, die auf spanisch Santa Biblia heißt. Schließlich rief die Dame aus: „Ich kenne praktisch alle Heiligen des Kirchenkalenders, aber ich habe noch nie etwas von dieser Santa Biblia gehört!“ Sie verwechselte Santa Biblia, die Heilige Schrift, mit ihren Heiligen, wie zum Beispiel Santa Maria und Santa Lucia.
Nun beachte bitte die Erfahrung von Sinforiano Barquín aus Bilbao-Begoña. Nachdem ihm sein Cousin aus Venezuela über Gottes Wahrheit erzählt hatte, ging er zu einem Priester und bat um Erlaubnis, aus der Bücherei eine Bibel mitzunehmen und sie mit der Gruppe der Katholischen Aktion zu betrachten, mit der er verbunden war. Die Antwort? „Es gibt genügend Bücher, mit denen man sich befassen kann. Es muß ja nicht gerade die Bibel sein!“ Nicht zufrieden damit, nahm Sinfo seine protestantische Valera-Bibel zu einem anderen Priester mit, der fast eine halbe Stunde brauchte, bis er Jesaja 7:14 fand. Unbeirrt fragte Sinfo später einen bekannten Rundfunkpriester, weshalb die Kirche nicht lehre, daß die Sanftmütigen die Erde ererben würden, wie es aus Psalm 37 hervorgehe (V. 11; vergleiche Matthäus 5:5). „Nun“, sagte der Geistliche, „das bedeutet lediglich, daß die Sanftmütigen länger auf der Erde leben werden ... Und diese Bibel — wollen Sie sie mir geben, oder wollen Sie sie selbst verbrennen?“ Einige Zeit später machte Sinfo Barquín anläßlich einer öffentlichen Konfrontation so geschickt Gebrauch von der Bibel, daß dieser Rundfunkpriester mit den Worten herausplatzte: „Erstaunlich, wie gut man Sie in so kurzer Zeit geschult hat!“
Wer im Königreichspredigtwerk die Bibel verwandte, konnte tatsächlich in Schwierigkeiten geraten. Eines Tages kam zum Beispiel ein Junge zur Wohnung von Schwester Engracia Puñal in Toledo und gab ihr einen Brief mit der Einladung, in ein gewisses Haus zurückzukehren, um mehr über die Bibel zu erklären. Sie hatte dort zweimal bei einer Frau vorgesprochen, doch nun wollte sich der Mann mit ihr unterhalten. Es ergab sich, daß Engracias Sohn Manolo zusammen mit Vicente Páramo hinging. Eine Dame öffnete und sagte, sie werde ihren Mann rufen. Dieser kam an die Tür und bat Manolo, ihm das Buch zu zeigen, das er bei sich habe. Es war die Nácar-Colunga-Bibel. Der Mann nahm sie und sagte: „Ihr treibt mit diesem Buch Mißbrauch. Wenn ihr es wiederhaben wollt, müßt ihr morgen zum Gemeindepriester gehen, um es abzuholen.“ Darauf schimpfte und fluchte er, schlug Manolo und forderte die beiden Zeugen auf zu verschwinden.
Am nächsten Tag ging Manolo zur Pfarrkirche, um seine Bibel wiederzuholen. Dort griff ihn der Priester in Gegenwart anderer an und schlug ihn mehrmals. Darauf rief er die Polizei und ließ ihn abführen. Auch Engracia, Manolos Mutter, wurde verhaftet, und beide wurden fünf Tage im Gefängnis festgehalten. Während sie dort waren, gingen Polizisten zu Engracias Haus, um es zu durchsuchen, und Paz, ihre jugendliche Tochter, teilte ihnen mit, ihre Mutter sei im Gefängnis. Sogar die Polizisten waren erschüttert, zu erfahren, daß sie noch im Gefängnis war, und telefonierten sofort, daß sie freigelassen werden sollte. Man hatte sie fünf Tage lang festgehalten, obwohl das Gesetz höchstens drei Tage zuließ.
VERSTÄRKTE TÄTIGKEIT DER GEISTLICHKEIT UND DER POLIZEI
Unsere vermehrte Predigttätigkeit von Haus zu Haus rief eine Reaktion von seiten der Geistlichkeit, besonders von seiten des Erzbischofs von Barcelona, hervor. Er veröffentlichte im offiziellen Bulletin seiner Diözese einen Hirtenbrief, der vom 19. bis 21. März 1954 im gleichen Wortlaut in drei Ausgaben der Zeitung La Vanguardia Española erschien. In diesem Brief wurden zwei Klassen als Feinde der katholischen Kirche hingestellt: die Protestanten, die versuchten, die Armen zu bekehren, indem sie ihnen finanzielle Hilfe anboten, und andere, die von Haus zu Haus gingen und Bücher, Broschüren, Zeitschriften und Traktate verbreiteten. Die letztere Bezugnahme galt offensichtlich Jehovas Zeugen, obwohl wir in diesem langen Hirtenbrief nur einmal namentlich erwähnt wurden.
In dem Brief wurden die Behörden aufgefordert, für die Einhaltung des Gesetzes zu sorgen und die öffentliche Propaganda und die Proselytenmacherei der protestantischen Sekten nicht zuzulassen. Weiter hieß es: „Klugerweise dulden wir das Unkraut ..., aber wir können nicht dulden, daß Unkraut gesät wird.“ Abschließend wurden den katholischen Gläubigen fünf Empfehlungen gegeben, von denen die letzte lautete: „Machen Sie vom Gesetz Gebrauch. Es ist der letzte Ausweg, doch wir können und dürfen nicht darauf verzichten, wenn ein solcher Fall eintritt, damit dem Säen von Irrtum und Häresien unter den Katholiken Einhalt geboten wird. ... Manchmal wird die einfache Androhung dieses Schrittes ausreichen, um ihren Bemühungen ein Ende zu machen.“ Der Brief war von einem Rundschreiben begleitet, in dem der Kampf als ein echter Kreuzzug beschrieben wurde. Der Erzbischof selbst würde „die Führung dieses Kreuzzuges für die katholische Einheit“ übernehmen.
Rundfunk, Schulen, Kirchen und die Katholische Aktion griffen den Ruf gegen die Zeugen auf und gaben der Bevölkerung den Rat, sie in die Wohnung einzuladen — und dann die Polizei zu rufen. Wie sehr zitterten doch die religiösen Monopolisten, und das wegen der Tätigkeit von nur etwa 130 Verkündigern in ganz Barcelona! Die Missionare Alvaro und Marina Berecochea entkamen den Priestern und der Polizei manchmal nur mit knapper Not. Bei einer Gelegenheit besuchte Alvaro die Versammlung in Paralelo als Kreisaufseher und mit zwei Verkündigern, Joaquín Vivancos und Eduardo Palau, gerade im Predigtdienst. An einer Tür machten diese beiden Verkündiger einen Rückbesuch, doch die Dame war gegnerisch und schlug ihnen die Tür vor der Nase zu. Darauf rief sie vermutlich die Polizei an.
Unterdessen hielt Alvaro am Eingang des Gebäudes Wache. Plötzlich sah er zwei Männer auf sich zulaufen. Sie schoben ihn in das Haus, drängten ihn gegen die Wand, durchsuchten ihn gründlich und nahmen ihm seine Aktentasche weg. Natürlich waren sie von der Geheimpolizei. Einer blieb bei Alvaro, der andere ging nach oben und brachte die Brüder Vivancos und Palau mit vorgehaltenem Gewehr herunter. Alle drei wurden zur Polizeiwache geführt, doch auf dem Weg dorthin zerriß Bruder Palau unbemerkt einige Notizen und warf sie fort, für den Fall, daß sie Namen enthielten, durch die andere belastet werden könnten. Diesmal erhielten die Brüder nur eine Verwarnung. Der Vorfall wurde nicht beim zentralen Polizeipräsidium in der Via Layetana gemeldet. Ja, sie waren wirklich mit knapper Not davongekommen!
In Madrid wurde die Polizei ebenfalls zu einer verstärkten Tätigkeit gegen die Zeugen aufgehetzt. In den Jahren 1953 bis 1958 wurde der Sonderpionier Máximo Murcia elfmal verhaftet und jeweils von einer Nacht bis zu einem Monat eingesperrt. So lernte er mehrere der kalten und schmutzigen Zellen auf verschiedenen Polizeiwachen der Stadt kennen.
MISSIONAR AUSGEWIESEN
Die Wachsamkeit der Polizei führte auch zur Ausweisung eines Gileadmissionars im Jahre 1954. Weil Bernard Backhouse in dem sehr schlechten Winterwetter jenes Jahres den Elementen ausgesetzt war, während er in Bilbao diente, reiste er nach Barcelona und wohnte bei der Familie Miralles. Dort stellte es sich heraus, daß er Typhus hatte, und das bedeutete, daß er ziemlich lange bei der Familie bleiben mußte.
Wie in vielen Wohnungen in Spanien wurde das Wasser in der Wohnung der Familie Miralles mit einem kleinen Gasofen erhitzt, der eine Kontrollflamme hatte. Eines Nachts, als alle im Bett waren, ging die Kontrollflamme aus, und die Wohnung füllte sich langsam mit Gas. Irgendwie merkte die Tochter, daß etwas nicht stimmte, und taumelte zur Tür, um nach Hilfe zu rufen. Ein Krankenwagen kam, und Schwester Miralles und Bruder Backhouse wurden mit Sauerstoff beatmet. Natürlich verursachte dieses Ereignis eine kleine Sensation in der Nachbarschaft, und auch die Zeitungen berichteten davon und erwähnten dabei die Namen der Betroffenen, darunter Bernard Backhouse.
Am nächsten Tag machte ein Inspektor der Geheimpolizei einen Besuch und erklärte Bruder Backhouse, daß er aufgrund seiner bekannten religiösen Aktivitäten eine unerwünschte Person sei. Wegen seines Gesundheitszustandes wurde er nicht sogleich ausgewiesen, doch nach seiner Genesung mußte er Spanien verlassen. Nachdem er nach Portugal abgereist war, blieben nur noch vier Missionare in Spanien zurück: Paul Baker in Palma de Mallorca und Ken Williams und die Berecocheas in Barcelona.
Es könnte erwähnt werden, daß sogar das Postfach der Gesellschaft nicht unberührt blieb. Es wurde aufgebrochen, und die Briefe wurden geöffnet. Folglich konnte die Polizei einer Sonderpionierin bei einem Verhör nachweisen, daß sie mit dem Zweigbüro in Briefwechsel gestanden hatte, denn sie zeigte ihr Fotokopien ihrer eigenen Briefe. Soviel Achtung hatte man vor dem Gesetz, das besagte, daß jegliche Korrespondenz unverletzlich sei!
ANGRIFF DER FALANGEPRESSE
Die 200 Königreichsverkündiger, die im Jahre 1954 in Spanien predigten, verursachten eine Panikreaktion bei der Zweigstelle der politischen Falangebewegung in Barcelona. In jenem Jahr trug die Oktoberausgabe ihrer Monatsschrift auf der ersten Seite die Schlagzeile „Rotes Licht für Ketzerei! Jehovas Zeugen läuten an unseren Türen in der teuflischen Absicht, einen Umsturz herbeizuführen“. Der Artikel auf Seite 8 und 9 enthielt Abbildungen von Seiten der spanischen Ausgabe der Zeitschrift Erwachet! sowie von Seiten aus zweien unserer Broschüren. Durch diese Abbildungen wurde ein objektiveres Bild von Jehovas Zeugen vermittelt als durch den lächerlichen Artikel, in dem sie erschienen. In dem Artikel wurden sogar Bernard Backhouse und John Cooke erwähnt und als die ersten wichtigen Zeugen bezeichnet, die nach Spanien gesandt wurden, um „den Samen dieser Sekte in unserem Vaterland zu säen“.
Die 200 Zeugen Jehovas wurden als Pseudospanier bezeichnet, da sie die katholische Kirche verlassen hatten. Sie wurden auch als kommunistische Schwachköpfe und als sexuell pervers hingestellt. Andere kritische Artikel erschienen in der Zeitschrift Diez Minutos und in der Zeitung Heraldo de Aragón. Diese Angriffe trübten den Eifer der Brüder jedoch in keiner Weise.
EIN WILLKOMMENER DEFEKT
Im August und September 1955 war Bruder F. W. Franz wieder einmal in Spanien. Einer der Orte, die er zusammen mit Alvaro und Marina Berecochea besuchte, war Torralba de Calatrava. Da die Besucher keinen Argwohn erwecken wollten, stellte Alvaro in der Nähe von Pedro Garcías Werkstatt den Motor ab und brachte den Wagen zum Stehen, als ob er einen Motorschaden hätte. Er stieg aus, hob die Kühlerhaube hoch und tat so, als stimmte etwas nicht. Dann sprach er einen Einwohner an und fragte ihn, ob es in der Nähe eine Autowerkstatt gebe. Natürlich wurden sie an Bruder García verwiesen. Pedro kam heraus, sah sich den Motor an und sagte, er müsse den Wagen in seine Garage nehmen, da der Defekt sehr kompliziert sei. So wurde das Auto in die Werkstatt gebracht, die Türen wurden geschlossen — und dann, welche Freude! Die Brüder, die sich in Pedros Haus versammelt hatten, fielen den Besuchern in die Arme.
Als es dunkel geworden war, mußten die Besucher einen Teil der Stadt durchqueren, um an den Ort zu gelangen, wo die Zusammenkunft stattfinden sollte. Um nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, setzten Alvaro und Bruder Franz die für diese Gegend typischen Baskenmützen auf und zogen sich auch Schaffellmäntel an. In der Dunkelheit folgten sie einer Schwester, die sie zu einem Kornspeicher führte, wo die Versammlung wartete. Die Brüder hatten schon drei Stunden gewartet, und sie blieben noch zwei oder drei Stunden, um den Ansprachen zuzuhören und mit den Besuchern Gemeinschaft zu pflegen. Nach dem Abendessen fuhren die drei Besucher ihren „reparierten“ Wagen schließlich wieder aus der Garage und setzten unter dem Schutz der Dunkelheit ihren Weg fort.
Während dieses Besuches fuhr Bruder F. W. Franz auch nach Palma de Mallorca. Dieser Besuch fand am 30. August statt, und 75 Personen waren bei den Zusammenkünften anwesend. Das war eine ausgezeichnete Anwesendenzahl, denn damals gab es nur 32 Verkündiger in Palma de Mallorca.
VERHAFTET!
Für das darauffolgende Wochenende war ein Kongreß in Barcelona vorgesehen. Er sollte an einem geheimen Ort im Wald, am Abhang eines Berges, des Tibidabo, stattfinden. Da die Zahl der Anwesenden in die Hunderte ging, bekam Alvaro Berecochea Bedenken hinsichtlich des Erfolges und der Geheimhaltung der Veranstaltung. Seine Sorgen wuchsen, als ihm ein Bruder aus Manresa erzählte, die Polizei habe in jener Woche sein Haus durchsucht und dabei eine Beilage des Informators (heute Unser Königreichsdienst) mitgenommen, in der dieser Kongreß angekündigt worden war. Noch beunruhigter war Alvaro, als eine der Schwestern ihm erzählte, sie habe unter denen, die zum Kongreß gingen, einen Polizeiinspektor erkannt. Außerdem sei der Mann wie für ein Picknick angezogen gewesen. Bruder Berecochea beschloß, mit Bruder Franz zu beraten, was getan werden sollte. Die Antwort? „Laßt uns anfangen und sehen, was Jehova zuläßt.“
Unter anderen stand Bruder Franz an jenem Morgen auf dem Programm. Nach seiner Ansprache wurden unter der Leitung von Antonio Brunet jr. Erfahrungen erzählt. Er interviewte gerade einen älteren Bruder, Mariano Montori aus Saragossa, als die Schwierigkeiten begannen. Paul Baker erzählt: „Er war soeben am Ende seiner Erfahrung angekommen, als ich bemerkte, daß ein Jeep hinter einem anderen Fahrzeug in einer Lichtung auftauchte, tief unten am Fuße des Abhangs hinter der Bühne ... Vier Männer in Freizeitkleidung stiegen aus dem Jeep und begannen den Abhang in Richtung Kongreßgelände heraufzuklettern. Sehr bald fingen sie an zu laufen, wobei ein kleiner Mann in Blue jeans und offenem Hemd die Führung übernahm. Inzwischen hatte eine Anzahl Brüder diese Gruppe bemerkt und war gespannt, was wohl diese Demonstration zu bedeuten habe. Als die Gruppe in Hörweite war, schrie der kleine Mann aus Leibeskräften: ,Keiner rührt sich von der Stelle, oder ich schieße!‘ Er schwenkte eine Pistole ... Das war tatsächlich eine neue Demonstration. ... Der kleine Mann stellte seine Begleiter an strategisch günstigen Punkten auf und befahl, alle Kameras zu übergeben. Dann tauchte ein anderer Verbündeter auf, der unter uns gesessen hatte, und nun erkannte jeder, daß es sich um eine Razzia der Geheimpolizei handelte.“
Die Männer wurden in Lastwagen zum Polizeipräsidium nach Barcelona geschafft. Während einige Brüder geduldig darauf warteten, daß die Lastwagen zurückkehrten, da nicht alle auf einmal befördert werden konnten, gaben sie Zeugnis und erfuhren aus ihren Unterhaltungen, daß die Polizei geglaubt hatte, eine politische Gruppe zu sprengen. Schließlich waren die meisten der Männer im Polizeipräsidium, darunter die Ausländer Bruder Franz, Bruder Berecochea, Bruder Williams und Bruder Baker. Die Polizei zeichnete Einzelheiten über jeden auf und nahm auch Fingerabdrücke. Die Kameras, die am Kongreßort gleich zu Anfang beschlagnahmt worden waren, wurden noch am gleichen Abend ohne Filme zurückgegeben. Auf diese Weise erhielt die Polizei Fotos von vielen Brüdern, und sie stellte auch sicher, daß später keine peinlichen Fotos in der Auslandspresse erscheinen würden.
Während der Verhöre stellten die Brüder fest, daß unter der Polizei etwas Ungewöhnliches vor sich ging. Was war geschehen? Nun, Alvaro Berecocheas Mutter und seiner Schwägerin war es auf dem Kongreßgelände gelungen zu entkommen, und sie hatten sich an das amerikanische Konsulat gewandt, um die Verhaftung von F. W. Franz, einem amerikanischen Staatsbürger, zu berichten. Der Konsul hatte sich mit der Polizei in Verbindung gesetzt, und diese Art von Publizität war natürlich das letzte, was sie gewünscht hätte. Daher wurden außer Alvaro alle Ausländer freigelassen.
Bruder Berecochea wurde in seine Unterkunft gebracht, wo eine Durchsuchung vorgenommen wurde. Aus bestimmten Gründen fand man jedoch nichts. Bruder Francisco Serrano war der Polizei entkommen und befand sich am frühen Nachmittag wieder in seinem Haus. Um diese Zeit rief Schwester Teresa Royo, die auf dem Weg zum Kongreßgelände war, um am Nachmittagsprogramm teilzunehmen, bei Francisco an und erfuhr so von der Polizeirazzia. Da sie ganz in der Nähe von Alvaros und Marinas Unterkunft wohnte, bat Francisco sie, sofort zurückzukehren, die Unterlagen aus der Wohnung zu holen und sie zu verstecken. Das tat sie mit der Hilfe von Teresa Carbonell. So kam es, daß die Polizei praktisch mit leeren Händen zurückkehren mußte. Sie hatte es hier mit „Tauben“ zu tun, die sich als vorsichtig wie Schlangen erwiesen (Matth. 10:16).
Wie wirkte sich dieser Angriff der Polizei auf die Brüder und die Interessierten aus? Nun, es wurden keine weiteren Maßnahmen gegen die Brüder ergriffen, doch einige wenige fielen der Menschenfurcht zum Opfer. Da sie vielleicht irgendwelche wirtschaftlichen Folgen befürchteten, brachen sie die Verbindung zu Jehovas Volk ab. Die übrigen wurden durch das Erlebnis jedoch gestärkt, belebt und fester denn je vereint.
Das Werk ging somit nicht zurück. Im Jahre 1955 hatten wir eine Höchstzahl von 366 Verkündigern, während es im Jahre 1956 514 waren, eine Zunahme von 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Sonderpioniere stieg von 12 auf 21 und die Zahl der Gileadmissionare von 4 auf 9. In jeder Hinsicht herrschte ein Geist der vermehrten Tätigkeit.
In den Jahren 1955 bis 1957 wurde das Werk im Zweigbüro von Alvaro Berecochea geleitet. Ken Williams und Domenick Piccone halfen ihm dabei. Nach der Razzia auf dem Tibidabo setzte Alvaro die Büroarbeit von seiner Wohnung aus fort, und etwa im September 1956 wurde das Büro in die Wohnung von Francisco und Antonia Rodríguez verlegt. Der Versand der Literaturpakete dagegen wurde in einem kleinen Raum abgewickelt, den Bruder Brunet in seinem Radiogeschäft zur Verfügung gestellt hatte.
ALS REISENDER AUFSEHER UNTERWEGS
Mitte der fünfziger Jahre diente Alvaro Berecochea eine Zeitlang als Kreisaufseher. Er bemühte sich, die Brüder geistig zu erbauen, doch er stieß auch auf einige Probleme.
Zum Beispiel war die „Versammlung“ in Barbastro verschwunden! Wie war das möglich? Nun, sie bestand nur auf dem Papier. Aufgrund mangelnder Organisation und Erfahrung wurden Personen als Verkündiger gezählt, die noch nicht einmal mit Jehovas Organisation verbunden waren, geschweige denn die gute Botschaft predigten. Dennoch gaben sich Nemesio Orús und seine Söhne bestimmt alle Mühe, Zeugnis zu geben, besonders auf informelle Weise, während sie als Uhrmacher unterwegs waren.
Ein recht denkwürdiger Besuch während Alvaros Tätigkeit als Kreisaufseher war der erste Besuch, den er in Torralba de Calatrava machte. Er fuhr mit der Eisenbahn von Madrid nach Daimiel und traf etwa um zehn Uhr abends ein. Drei Brüder holten ihn vom Bahnhof ab, doch er sah kein Transportmittel, mit dem die 15 Kilometer nach Torralba zurückgelegt werden konnten. Aber dann sah er drei Fahrräder. Ja, drei Fahrräder für vier Personen! Die Brüder hatten sich alles genau ausgedacht. Sie wollten den Kreisaufseher abwechselnd auf die Querstange nehmen, die den Lenker mit dem Sitz verbindet. Es war eine kalte, mondlose Winternacht, und während dunkle Gestalten den Weg über das Land zurücklegten, wurde die Stille ab und zu von einem Stöhnen und Ächzen unterbrochen. Gelegentlich machten sie atemlos halt, um die „Last“ auf ein anderes Fahrrad zu nehmen.
Trotz der mühseligen Fahrt erwies sich der Besuch als ein geistiger Segen für die kleine Versammlung in Torralba. Und es scheint passend, zu erwähnen, daß im Laufe der Jahre der Einfluß der kleinen Gruppe von Christen in diesem Städtchen von 5 000 Einwohnern in viele Teile Spaniens gedrungen ist, da Hirten, die einst Analphabeten waren, lesen und schreiben lernten und in andere Gegenden zogen, wo sie ihren Dienst für Jehova ausdehnen konnten.
DIE 1950ER JAHRE — EIN JAHRZEHNT DES PIONIERWACHSTUMS
In den 1950er Jahren strebten viele Königreichsverkündiger nach größeren Dienstvorrechten. So kam es, daß die Zahl der Vollzeitverkündiger von einem im Jahre 1950 auf 102 im Jahre 1960 stieg. In der gleichen Zeit stieg die Zahl der Sonderpioniere von null auf 40. Sowohl aus Barcelona als auch aus Madrid gingen in dieser Zeit besonders viele Vollzeitprediger der guten Botschaft hervor.
Was erreichten die Pioniere? Nun, betrachten wir, was in der Provinz Malága vor sich ging. Ende 1957 begannen dort Carmen Novaes und Anita Berdún ihren Dienst. Sie waren in diesem Gebiet die ersten Pioniere seit dem Jahre 1936, als Manuel Oliver Rosado von Frank Taylor besucht worden war. Natürlich hatte Bruder Oliver die Verbindung zur Organisation verloren, und die Schwestern wußten nichts von ihm. Er wurde erst einige Jahre später, etwa im Jahre 1964, „wiederentdeckt“. Carmen und Anita arbeiteten sehr fleißig, so daß innerhalb von acht Monaten fünfzehn Personen das Wachtturm-Studium besuchten, und sechs Königreichsverkündiger nahmen mit ihnen am Predigtdienst teil.
Bestand in dieser Zeit ein großer Bedarf an Pionieren? Ganz bestimmt! Im Jahre 1956 gab es zum Beispiel 514 Verkündiger, die die gute Botschaft verbreiteten, doch sie befanden sich hauptsächlich in Madrid, Barcelona, Valencia und Palma de Mallorca. Auf diese Weise erhielten nur vier der fünfzig Provinzhauptstädte ein organisiertes Zeugnis. Man kann daher verstehen, daß Jehovas Hand in Spanien nicht zu kurz war, denn 21 Jahre später, im Jahre 1977, gab es in den fünfzig Provinzen Spaniens 482 Königreichssäle. Das zeigt, wie eifrig die Versammlungsverkündiger, Pioniere und Sonderpioniere in Spanien tätig gewesen sind.
DURCH WEITERE BESUCHE ERBAUT
Gewiß war Jehovas Hand nicht zu kurz, was das Interesse betrifft, das die Glieder der leitenden Körperschaft an Spanien bekundeten. Ihre Besuche waren für die Brüder jedesmal eine große Ermunterung, besonders wenn man bedenkt, daß sie jetzt ständig in ihren Zusammenkünften und ihrem Predigtdienst belästigt wurden. Die Lieblingswaffe der Kirche bestand darin, ihre „Gläubigen“ aufzufordern, die Polizei zu rufen und die Brüder zu denunzieren. Damit gab sie gewissermaßen zu, daß der durchschnittliche Kirchgänger nicht ausgerüstet war, seinen Glauben anhand der Bibel zu verteidigen.
Im November 1956 kam Bruder F. W. Franz wieder nach Spanien. Während seines fünftägigen Besuchs hielt er sich in Madrid und Barcelona auf und sprach in beiden Städten vor mehreren Gruppen. Im Gegensatz zu den Ereignissen im Jahre 1955 verlief alles reibungslos, und die Zusammenkünfte wurden nicht unterbrochen. Dieser Besuch wurde streng geheimgehalten, so daß nicht einmal die Brüder davon wußten, bis Bruder Franz da war. So wurden Probleme mit den Behörden vermieden.
Im Januar 1957 verbrachte Bruder N. H. Knorr im Rahmen seiner Reise durch Europa und in den Nahen und Mittleren Osten fünf Tage in Spanien. Über diesen Besuch berichtete er unter anderem:
„Die Vertreter der Gesellschaft in Barcelona sind sehr tatkräftig. Sie haben die Brüder zu kleineren Gruppen oder Versammlungen organisiert und über alle Gruppen Diener eingesetzt. Ich hatte die Freude, zu allen Gruppen in Barcelona zu sprechen. An einigen Abenden war ich von 17 bis 23 Uhr unterwegs und hielt in dieser Zeit den kleinen Gruppen in verschiedenen Wohnungen insgesamt fünf einstündige Vorträge. Es stimmte mich sehr froh, diesen Brüdern die Freude von den strahlenden Gesichtern abzulesen und zu sehen, wie beglückt sie den Worten der Wahrheit lauschten und das Beisammensein genossen. ...
Nach einem sehr angenehmen Aufenthalt bei den Brüdern in Barcelona reiste ich nach Madrid weiter und verbrachte dort einen Tag bei den Brüdern. Ich sprach am Abend zu verschiedenen kleinen Versammlungen, nämlich zu vier Gruppen. ... Ein Werk beginnt nun in Spanien, das nie mehr stillstehen wird, denn die Brüder sind eifrig. Sie wollen predigen, und Gott segnet sie.“
WEITERE BELÄSTIGUNG DURCH DIE POLIZEI
In jenen Jahren konnte man schon verhaftet werden, wenn man biblische Schriften bei sich trug. In Madrid beispielsweise wurden vier Pioniere, die gerade aus dem Haus einer Schwester kamen, von der Guardia Civil angehalten und zur Polizeiwache gebracht. Die Pioniere hatten an jenem Tag nicht in dieser Gegend gepredigt, aber jemand hatte gesehen, wie sie in das Haus der Schwester gingen, und hatte sie wegen Verbreitung antikatholischer Propaganda denunziert. Der Polizeiwachtmeister sagte, daß er den Fall beim Amt für allgemeine Sicherheit melden müsse, da sie biblische Schriften in seinem Bezirk bei sich getragen hätten.
In einem anderen Fall wurde ein Pionier, der zum Bahnhof ging, um sich nach dem Fahrplan zu erkundigen, von einem Polizisten aufgefordert, seinen Ausweis vorzuzeigen. Als er ihn nicht vorweisen konnte, wurde seine Aktentasche durchsucht, und man fand biblische Schriften bei ihm. Für diesen „Verstoß“ mußte er 500 Peseten zahlen oder für einen Monat ins Gefängnis gehen. Er entschied sich für einen Monat Gefängnis.
Bei anderen Gelegenheiten rührte die Verfolgung offensichtlich von religiösen Feinden her, wie das bei Carlos Rubiño der Fall war, einem achtzehnjährigen Pionier, der ein schweres Herzleiden hatte. Im Krankenhaus drängten ihn die Nonnen ständig, zu beichten und das Abendmahl zu nehmen. Der Priester brachte ein Bild zu ihm und sagte: „Du liegst im Sterben. Deine einzige Hoffnung besteht darin, das Bild zu küssen, mir zu beichten und die letzte Ölung zu empfangen.“ Obwohl Carlos nur noch flüstern konnte, weigerte er sich und fragte den Priester, wo dieses Vorgehen in der Heiligen Schrift geboten werde. Ärgerlich wandte sich der Priester an Carlos’ Mutter und fragte: „Was für eine Religion ist das?“ Obwohl sie keine Zeugin war, antwortete sie schnell: „Die Religion der Bibel.“ Darauf ging der Priester empört hinaus und wies die Nonnen an, die Bibel zu verbrennen, die Carlos bei sich hatte, und das war ausgerechnet die katholische Nácar-Colunga-Übersetzung. Doch die Mutter verbarg sie und nahm sie mit nach Hause. Sie hatte genug gesehen, um die Früchte der falschen Religion zu erkennen.
Ja, Carlos starb, aber er hatte an seinem Glauben festgehalten. Das nächste Problem kam auf, als seine Eltern Vorbereitungen für eine zivile Beerdigung trafen. Als Folge mußte der Vater seine Arbeit als Regierungsangestellter aufgeben und mußte auch aus seinem Haus ausziehen. In späteren Jahren nahmen sowohl die Mutter als auch der Vater die Wahrheit an, und ihre beiden anderen Söhne haben Jehova ebenfalls stets treu gedient. Der jüngere von ihnen, Ricardo Rubiño, verbrachte sechs Jahre im Gefängnis, weil er an seiner christlichen Lauterkeit festhielt.
Zu den Schwierigkeiten, die man den Brüdern und Schwestern machte, gehörte, daß man ihnen nicht den Paß gab, den sie brauchten, um in Frankreich oder Marokko christliche Kongresse zu besuchen. Vielen Zeugen war es nicht möglich, zu solchen Kongressen zu reisen, weil sie in den Polizeiakten als Zeugen Jehovas eingetragen waren. Bis auf den heutigen Tag können junge, unverheiratete Schwestern über 16 Jahre keinen Paß erhalten, wenn sie nicht drei Monate lang Sozialdienstkurse besuchen. Diese Kurse finden allabendlich statt. Die Teilnehmer werden in Politik und Religion unterrichtet und müssen soziale Dienste in Krankenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen leisten.
MISSIONARE AUSGEWIESEN
Seit den Ereignissen im September 1955 und dem gesprengten Kongreß auf dem Tibidabo hatte Alvaro Berecochea befürchtet, daß die Polizei Maßnahmen ergreifen würde, um ihn und seine Frau Marina des Landes zu verweisen. Zu einem Test der Lage kam es im Sommer 1956, als Marina zu einem zweiwöchigen Urlaub nach London eingeladen wurde. Da sie ihren Wohnsitz in Spanien hatte, mußte sie im Polizeipräsidium von Barcelona ein Ausreisevisum beantragen.
Nachdem sie zwei Stunden gewartet hatte, kam ein Polizist in Zivil auf sie zu und fragte sie, weshalb sie nach London gehen wolle. Sie erklärte den Grund. Darauf folgte ein Sperrfeuer von Fragen: „Heißen Sie die Religion Ihres Mannes gut? Sie wissen doch, was auf dem Tibidabo geschah ... Haben Sie die gleiche Religion? Glauben Sie an all die Märchen in der Bibel? Glauben Sie, daß Elia aus dem Himmel Feuer herabkommen ließ?“ Sie antwortete: „Ja.“ „Sehen Sie mal“, erwiderte er, „in Wirklichkeit war es so: Dieser Elia war ein schlauer Bursche. Er füllte lediglich den Graben heimlich mit Benzin und steckte es dann in Brand. Nur Idioten glauben, daß dies ein Wunder war.“ Und so ging die Unterhaltung weiter. Zum Schluß wies der Polizist auf eine Akte und sagte: „Hier haben wir Informationen über Ihren Mann, die auch gegen Sie sprechen.“ Trotzdem erhielt Marina die Erlaubnis, nach London zu reisen.
Im Januar 1957 mußten die Berecocheas im Polizeipräsidium vorstellig werden, um die Erneuerung ihrer zweijährigen Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. Nach langem Warten wurden sie in ein Büro gerufen, und dort teilte man ihnen mit, daß sie 48 Stunden Zeit hätten, ihre Angelegenheiten zu regeln und das Land zu verlassen. Alvaro protestierte energisch, doch ohne Erfolg. Sie erreichten lediglich ein Zugeständnis: Man gab ihnen zehn Tage Zeit anstatt zwei.
Angesichts dieser Notsituation übergab Alvaro die Angelegenheiten des Zweigbüros Ken Williams. Darauf reisten die Berecocheas mit der Eisenbahn nach Madrid. Hunderte von Brüdern waren am Bahnhof um sie zu verabschieden, und für alle war es ein trauriger Anlaß. In Madrid angekommen, wandte sich Alvaro an die argentinische Botschaft (denn er war Argentinier) und erklärte seine Lage. Aufgrund der Intervention der Botschaft gewährten ihm die spanischen Behörden einen Monat Verlängerung, so daß die Frist dann am 18. Februar ablief. Nachdem er ein Visum für Portugal beschafft hatte, traf er Vorkehrungen, einen der Filme der Gesellschaft im Norden Spaniens zu zeigen.
Als Bruder Berecochea nach Madrid zurückkehrte, fand er einen Brief vor, in dem er gebeten wurde, nach Marokko zu gehen statt nach Portugal. Das bedeutete, daß er nochmals zur Polizei gehen und ein anderes Ausreisevisum beantragen mußte. Statt sich nun an den für die Ausreisevisa verantwortlichen Beamten zu wenden, mit dem er sich bei einer früheren Gelegenheit ausführlich unterhalten hatte, ging er zu dem üblichen Abfertigungsschalter und erklärte sein Anliegen. Man bat ihn, am nächsten Tag wiederzukommen. Als er zurückkehrte, erfuhr er, daß sein Visum um einen weiteren Monat verlängert worden war. Die Organisation der Polizei war offensichtlich nicht unfehlbar! Nun war der späteste Termin für das Verlassen des Landes der 18. März. Um keine Zeit zu verschwenden, traf Bruder Berecochea Vorkehrungen, den Film der Gesellschaft im Süden zu zeigen und dann in Richtung Barcelona zu reisen.
ERTAPPT UND AUSGEWIESEN
Nach ihrer Ankunft in Barcelona mieteten sich Alvaro und Marina in einer Pension ein und beschlossen dann, in ihre alte Unterkunft in der Wohnung von Teresa Carbonell zu gehen. Sie hatten die Türschlüssel, doch bevor sie hineingingen, fragten sie christliche Schwestern in der Nachbarschaft, ob die Polizei in letzter Zeit in der Gegend gewesen sei. „Nein“, sagten sie. „Es ist ruhig geblieben.“ Und so gingen die Berecocheas über den Flur zu ihrer alten Wohnung, öffneten die Tür und fanden zu ihrer Überraschung die Polizei dort vor.
Die Polizisten wollten den Berecocheas Handschellen anlegen, doch sie versprachen, keinen Fluchtversuch zu unternehmen. Sie wurden ins Polizeipräsidium in der Via Layetana gebracht und dort dem wütenden Polizeichef vorgeführt. „Wir haben Ihnen 48 Stunden Zeit gegeben, von hier zu verschwinden“, donnerte er, „und zwei Monate später sind Sie immer noch da!“ Alvaros Erklärungen nützten nichts.
Man rief in Madrid an, und von dort aus wurde die Anweisung erteilt, daß die Berecocheas unverzüglich auszuweisen seien. Alvaro bestand darauf, in Algeciras über die Grenze zu gehen, damit sie von dort aus nach Marokko reisen konnten. Und so wurden die beiden von einem Geheimpolizisten die ganze Strecke von Barcelona nach Algeciras begleitet, eine Entfernung von 1 450 Kilometern. Als sie an Bord des Schiffes waren, gab er ihnen ihre Pässe zurück. Das war am 11. März 1957.
WIEDER IN SPANIEN!
In Marokko diente Alvaro Berecochea als Zweigaufseher. Einige Monate später wurde er gebeten, eine Reise nach Portugal und Spanien zu unternehmen. Um ein Einreisevisum zu erhalten, wandte er sich an das spanische Konsulat in Wien, wo es ihm auch gewährt wurde. Um nun die Grenze zu passieren, fuhr er zusammen mit seinen Eltern mit dem Auto durch Frankreich und überschritt die Grenze bei Irún. Die Grenzpolizei stellte keine Fragen, und so war er wieder einmal in Spanien.
Alvaro machte in Madrid und Barcelona halt. Am 5. Dezember 1957 war er in Valencia und zeigte einer Gruppe von 23 Personen den Film „Die glückliche Neue-Welt-Gesellschaft“. Am folgenden Abend wohnte er einer anderen christlichen Zusammenkunft bei, und als sie mitten im Gange war, klopfte jemand. Als die Tür geöffnet wurde, traten drei Angehörige der Geheimpolizei mit gezogenen Pistolen ein. Sie prüften schnell die Ausweise und verhafteten dann die sieben Brüder. Margarita Comas und die anderen Schwestern durften jedoch fortgehen, und sie beeilten sich sogleich, die Filmausrüstung zu verstecken.
Die sieben Brüder wurden zur Polizeiwache gebracht und dort verhört. Als Alvaro an die Reihe kam, wurde er gefragt, ob er Cooke und Backhouse und andere kenne. Da seine Antworten die Beamten nicht befriedigten, ärgerten sie sich und drohten ihm mit Schlägen. Offensichtlich wußten sie jedoch nicht, daß er zuvor ausgewiesen worden war, denn sie hielten ihn für einen Touristen. Um drei Uhr nachts erschien der argentinische Konsul auf der Polizeiwache, und das versetzte die Polizei in Wut, obwohl sie sich davor hütete, ihm gegenüber ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Alvaro wurde freigelassen und sollte am nächsten Tag zurückkehren, um seinen Paß abzuholen.
Als er am nächsten Tag zurückkehrte, war die Lage ernst. Die Polizei hatte herausgefunden, daß er ausgewiesen worden war, und war nun wütend. Er wurde festgenommen und in Einzelhaft gesteckt, wo er ein Bett aus Stein hatte und es nur eine kleine vergitterte Öffnung in der Tür gab. Nach ein paar Stunden kam der Wärter, öffnete die Tür und brachte ihn in einen Raum, in dem einige Pakete und Decken auf dem Tisch lagen. „Ihre Brüder haben Ihnen das geschickt“, sagte er. Die Versammlung Valencia hatte aus christlicher Liebe und Sorge Nahrung, Decken und andere Gegenstände geschickt.
Einige Zeit später wurde Bruder Berecochea einem weiteren Verhör unterzogen. Man hatte beschlossen, ihn nach Frankreich abzuschieben, aber er bat darum, nach Portugal gehen zu dürfen. Man erklärte sich einverstanden, doch es wurde ihm mitgeteilt, daß er so lange im Gefängnis warten müsse, bis zwei Zivilgardisten zur Verfügung stünden, um ihn zu begleiten. Das gefiel Alvaro überhaupt nicht. Der Konsul hatte ihn gewarnt, daß man von einigen Personen, die ins Gefängnis gekommen waren, nie wieder etwas gehört hatte. Daher bat Bruder Berecochea darum, mit dem argentinischen Konsul sprechen zu dürfen, und man gestattete ihm, dies per Telefon zu tun. Durch die neue Wende der Ereignisse beunruhigt, sagte der Konsul, er werde sofort intervenieren.
Alvaro wurde in seine Zelle zurückgebracht. Am späten Abend wurde ihm jedoch mitgeteilt, daß er am nächsten Tag mit einem Flugzeug von Valencia abfliegen werde. Er wurde freigelassen, doch man sagte ihm, er müsse am nächsten Tag zurückkommen, um seinen Paß abzuholen.
Sogleich ging er zu den Brüdern und erfuhr, daß sie 1 500 Peseten zahlen oder für dreißig Tage ins Gefängnis gehen mußten. Sie alle waren sich einig, die Strafe nicht zu zahlen, da sie kein Verbrechen begangen hatten.
Am nächsten Tag, am 9. Dezember 1957, flog Alvaro Berecochea nach Madrid und von dort aus nach Lissabon (Portugal). Damit endete sein Missionardienst in Spanien, der vier freudige und gesegnete Jahre umfaßt hatte. Nun mußten andere die Leitung des Werkes übernehmen.
VERFOLGUNG IN PALMA DE MALLORCA
Unsere Tätigkeit wurde unter widrigen Umständen durchgeführt. Von allen Seiten hatten wir mit Widerstand und religiöser Verfolgung zu rechnen. Bruder Paul Baker, der in Palma de Mallorca als Missionar diente, war zum Beispiel im Jahre 1954 in der Schule, in der er Englisch lehrte, wegen seiner religiösen Tätigkeit gewarnt worden. Eines Tages wurde er in das Büro des Direktors gerufen, der ihm vertraulich mitteilte, daß die Polizei Erkundigungen über ihn eingezogen hatte. Sie wollte wissen, ob er in der Schule Religion gelehrt habe. Der Schulleiter hatte einen guten Bericht geben können, da Paul taktvoll gewesen war und die Schulstunden absichtlich nicht dazu benutzt hatte, das Thema Religion zur Sprache zu bringen. Paul war für die Warnung jedoch dankbar.
An einem Tag im April 1957 fehlte Francisco Córdoba, ein Sonderpionier, der in Palma de Mallorca diente, bei der Zusammenkunft für den Predigtdienst. Die Brüder machten sich keine weiteren Gedanken darüber, bis er auch zur Zusammenkunft an jenem Abend nicht erschien. Am nächsten Tag gingen die Brüder zu seiner Unterkunft und erfuhren, daß er am vorigen Abend nicht zurückgekehrt war. Als alle anderen Möglichkeiten ausgeschieden waren, beschloß man, eine Schwester zur Polizei zu schicken, um dort nach ihm zu fragen. Tatsächlich war er zusammen mit dem Bruder, der ihn im Predigtdienst begleitet hatte, verhaftet worden. Die Brüder konnten Lebensmittel für sie zurücklassen, durften sie aber nicht besuchen.
Nun nahte die Zeit für die Gedächtnismahlfeier, und bei den Vorkehrungen, die für die verschiedenen Gruppen getroffen wurden, berücksichtigten die Brüder, daß Bruder Paul Baker vielleicht auch nicht zur Verfügung stehen würde, da ein Eingriff der Polizei unmittelbar bevorzustehen schien. Nun, ein oder zwei Tage später tauchte ein Polizist in Zivil in der Pension auf, in der Bruder Baker wohnte, und nahm ihn zur Polizeiwache mit. Dort wurde Paul mehr als einmal verhört, und darauf legte man ihm eine maschinegeschriebene Version seiner Antworten vor. Er wurde aufgefordert, den Inhalt zu bestätigen und dann das mehrere Seiten umfassende Dokument zu unterschreiben. Nachdem Bruder Baker dies getan hatte, wurde er zu den Zellen geführt und traf dort schließlich Bruder Córdoba und seinen Begleiter. Die Brüder mußten die Nacht im „Kittchen“ verbringen und wurden am nächsten Tag einem Richter vorgeführt. Interessanterweise wurde ihnen jedoch ein Wärter zugewiesen, der sich für den Fall sehr interessierte und ihnen viele Fragen stellte.
Das Verhör fand nicht in einem Gerichtssaal statt, sondern im Büro des Richters, und die Brüder waren dort mit ihm und dem Wärter allein. Taktvoll erklärten sie, wie sie ihr Predigtwerk durchführten. Der Richter fand ihre Lehren harmlos, doch er sagte, daß sie sich durch ihre Teilnahme am Proselytenmachen strafbar gemacht hätten. Er hielt die Zeit, die sie bereits im Gefängnis verbracht hatten, jedoch als eine ausreichende Warnung für sie und erlegte ihnen keine weitere Strafe auf. Statt dessen gab er ihnen den Rat, in Zukunft vorsichtiger zu sein.
Der Wärter war über den Ausgang sehr erfreut, aber er mußte die Brüder ins Gefängnis zurückbringen, damit sie ihre Habe abholen konnten. Er brachte sie zu dem Beamten, der für die Zellen zuständig war, und teilte ihm ihre Freilassung mit. Doch der andere Beamte murmelte vor sich hin, es sei noch eine andere Sache in der Schwebe, und die Brüder wurden wieder hinter Schloß und Riegel gesetzt.
Einige Stunden später wurde Paul aus der Zelle geholt und zum Vernehmungszimmer geführt. Dort stellte es sich heraus, was diese „andere Sache“ war. Aus Barcelona war ein Paket für Paul eingetroffen, das mit „Radio“ gekennzeichnet war. In Wirklichkeit enthielt es aber 50 Exemplare der neuesten Ausgabe des Wachtturms und der Zeitschrift Erwachet! in Spanisch. Zusätzlich zu den anderen Falschanklagen wurde Bruder Baker nun der Schmuggelei beschuldigt!
Paul appellierte an den Verstand der Beamten und fragte sie, wieso es sich um Schmuggelware handeln könne, wenn das Paket doch vom spanischen Festland und nicht aus einem anderen Land gekommen sei. Außerdem sagte er, es gebe kein Gesetz, das es Abonnenten verbiete, ihre Zeitschriften zu erhalten, und diese Exemplare seien nicht zur öffentlichen Verbreitung bestimmt, sondern für Abonnenten. Doch alles war vergebens. Er mußte nun eine weitere Nacht im Gefängnis zubringen. Schließlich wurden die drei Königreichsverkündiger für fünfzehn Tage in das Provinzgefängnis von Palma de Mallorca gesteckt.
In diesem Gefängnis tat sich ein neues Gebiet für sie auf. Sie konnten sich frei unter den anderen Häftlingen bewegen und ihnen daher Zeugnis geben. Als das Datum für die Gedächtnismahlfeier gekommen war, weilten ihre Gedanken bei ihren Brüdern draußen. Und als sie am 26. April aus dem Gefängnis kamen, war eine kleine Gruppe von Brüdern und Schwestern da, um sie willkommen zu heißen. Diese Zeugen hatten das Gedächtnismahl trotz der Abwesenheit der zwei befähigten Brüder, Paul Baker und Francisco Córdoba, in drei Gruppen abgehalten.
WEITERE AUFFORDERUNGEN, DAS LAND ZU VERLASSEN
Als Bruder Baker in die Pension zurückkehrte, stellte er fest, daß all seine spanischen, französischen und englischen Zeitschriften von der Polizei beschlagnahmt worden waren. Am nächsten Morgen bemerkte er beim Frühstück einen verdächtigen Fremden, der an einem Nachbartisch Kaffee trank. Es handelte sich um einen Geheimpolizisten, der ihn beobachten sollte.
Was geschah mit dem Sonderpionier Francisco Córdoba? Er wurde von der Insel verbannt und mußte auf das spanische Festland zurückkehren.
Am Freitag, dem 3. Mai 1957, heirateten Paul Baker und Jean Smith auf dem britischen Konsulat in Palma. Um ihre Hochzeitsreise anzutreten, fuhren sie über die Insel nach Alcudia und nahmen dann ein Boot nach Menorca. Doch wohin sie auch gingen, immer wurden sie von jemandem beschattet. Nicht gerade ideale Verhältnisse für eine Hochzeitsreise!
Gegen Ende Mai beantragte Paul eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Nach mehreren Vorsprachen im Polizeipräsidium wurde ihm gesagt, seine Aufenthaltserlaubnis werde nicht erneuert und er solle mitteilen, wann er abzureisen gedenke. Er buchte zwei Plätze auf einem Schiff, das am 12. Juni von Barcelona nach Gibraltar fahren sollte.
Sogar nachdem Bruder und Schwester Baker in Barcelona eingetroffen waren, wurden sie von Geheimpolizisten in allen möglichen Verkleidungen beschattet. Zum Beispiel hatten sie in einem Hotel in einer Nebenstraße ein Zimmer genommen, und am nächsten Morgen lungerte ein „Seemann“ auf der anderen Straßenseite herum. Er trug ein Hemd, auf dem der Name ihres Schiffes stand. Offensichtlich wurde Paul für eine höchst gefährliche Person gehalten. Diese Ereignisse fanden kurz nach der ersten Ausweisung der Berecocheas statt, und die Polizei dachte, sie würde sich nun der „Führer“ entledigen.
Als die Bakers an ihrem letzten Tag in Spanien auf den Kai gingen, warteten einige Brüder aus der Versammlung Barcelona dort, um ihnen auf Wiedersehen zu sagen. Auch die vier Missionare, die in Barcelona zurückblieben, hatten sich eingefunden: Bruder Ken Williams und seine Frau sowie Domenick und Elsa Piccone. Doch auch ihre Tage in Spanien waren gezählt, und bald sollten sie ebenfalls des Landes verwiesen werden.
Bis zum Ende des Jahres 1957 war die Zahl der Gileadabsolventen in Spanien von neun auf vier gesunken. Man hielt es für ratsam, das „Büro“ von Barcelona nach Madrid zu verlegen.
PIONIERE VERHAFTET
Die Geistlichkeit hetzte ihre Herden immer noch auf, jeden Zeugen Jehovas, der an die Tür kam, zu denunzieren. Demzufolge wurden im Dienstjahr 1957 dreizehn Pioniere und sechs Verkündiger verhaftet und für zwei bis sechsunddreißig Tage ins Gefängnis gesteckt, weil sie gepredigt und sich zu Bibelstudienzusammenkünften versammelt hatten.
Zum Beispiel wurden Pioniere in Sevilla verhaftet. Im März 1957 wurden Margarita Comas und Maruja Puñal nach Sevilla geschickt, wo bereits die Sonderpioniere José Rubiño und Manolo Sierra arbeiteten. An die ungezwungene andalusische Lebensweise konnten sie sich nur schwer gewöhnen. Wenn sie zum Beispiel ein Bibelstudium oder einen Rückbesuch vereinbart hatten, mußten sie oft feststellen, daß der Betreffende sich später etwas anderes vornahm und nicht zu Hause war. Auch mußten sie mit Fanatikern fertig werden. Sevilla ist der Verehrung der „Madonna“ ergeben. Es gibt dort zwei berühmte „Jungfrauen“ oder Bilder, la Macarena und die Virgen de la Esperanza. Diese beiden Bilder haben ihre jeweiligen Anhänger und Gläubigen wie zwei rivalisierende Fußballmannschaften. Die Anhänger jeder „Jungfrau“ singen im Wettstreit miteinander den Lobpreis für „ihre“ Madonna, und zwar besonders, wenn Prozessionen stattfinden und die mit Juwelen überladenen Bilder durch die Straßen getragen werden. Die größte Kirche dieser Stadt ist die Kathedrale, die auf dem Gelände einer ehemaligen mohammedanischen Moschee erbaut wurde. Der Turm der Kathedrale wird La Giralda (Der Wetterhahn) genannt, und man kann deutlich sehen, daß die ersten zwei Drittel des Turms einst ein mohammedanisches Minarett waren, während das obere Drittel im Renaissancestil erbaut wurde und offensichtlich katholischen Ursprungs ist.
Die vier Pioniere in Sevilla machten es sich zur Gewohnheit, sich jeden Morgen auf dem Platz vor dem Torre del Oro (dem Goldenen Turm) zu treffen. Eines Tages jedoch kamen wohl die Mädchen, aber die Brüder blieben aus. Die Schwestern fanden dies eigenartig, doch sie beschlossen, bis zur Zusammenkunft am Nachmittag zu warten und dann aus einiger Entfernung zu beobachten, ob die Brüder kommen würden. Doch immer noch war keine Spur von ihnen zu sehen. Am nächsten Tag gingen Margarita und Maruja zur Unterkunft der Brüder und erkundigten sich vorsichtig nach ihnen. Die Hausbesitzerin erklärte, daß die Polizei zwei Tage zuvor gekommen sei und die Brüder abgeführt habe.
Als die Schwestern nun ihren Argwohn bestätigt fanden, wußten sie, daß die Polizei jederzeit auch in ihrer Unterkunft auftauchen konnte. Daher ergriffen sie am gleichen Tag Vorsichtsmaßnahmen und vernichteten sämtliche vertraulichen Notizen und Papiere. An jenem Abend kehrten die Schwestern schweren Herzens in ihre Unterkunft zurück, und als die Hauswirtin öffnete, konnten sie ihr schon am Gesicht ablesen, daß sie Besuch hatten. Zwei Polizisten warteten auf sie.
Obwohl es schon spätabends war, wurden die beiden Schwestern zur Polizeiwache gebracht und verhört. Die Brüder waren bereits dort und hatten zwei Tage lang Verhöre über sich ergehen lassen müssen. Diese Verhöre wurden noch dadurch erschwert, daß die Polizei von Sevilla Auskünfte von der Polizei aus Granada erhalten hatte, wo José Rubiño vorher gedient hatte. Die Polizei hatte die Zeugen in Granada fotografiert und auch Papiere beschlagnahmt, die sie in der Unterkunft der Pionierbrüder gefunden hatte. Während die beiden Brüder abwechselnd verhört wurden, versuchte die Polizei zu erfahren, wer die verantwortlichen Brüder waren und wo sie sich befanden. José und Manolo wurden in getrennten kalten Zellen gefangengehalten, in denen eine Steinbank als Bett diente. Zunächst durften sie jedoch nicht schlafen, denn die Verhöre zogen sich über Stunden hin.
Auch die Schwestern hatten es bei ihren Verhören nicht leicht. Sie mußten vorsichtig sein, da die Polizei versuchte, ihnen Antworten in den Mund zu legen. Als die Schwestern zum Beispiel erklärten, daß sie das Königreich oder die Regierung Gottes verkündigten, sagte der verhörende Beamte: „Dann sind Sie also gegen jede von Menschen errichtete Regierung. Das meinen Sie doch.“ Die Schwestern lehnten diese Deutung ihrer Ansichten ab, denn es war ein Versuch, der Tätigkeit der Zeugen Jehovas eine politische Tendenz zu unterschieben.
Nach dem Verhör wurden die Schwestern in eine sehr kleine Zelle gesperrt, die sie mit einer betrunkenen Frau teilen mußten, die sich ständig übergab. Der Gestank war schrecklich, und es hatte den Anschein, daß sie den Rest der Nacht dort verbringen sollten. Doch als es schon ziemlich spät war, kam ein Polizist und holte sie heraus. Er sagte, er werde nicht zulassen, daß sie so die Nacht verbrächten. Er führte sie in sein Büro und sagte ihnen, sie sollten bis zum nächsten Morgen in den Sesseln schlafen. Die Schwestern dankten Jehova im stillen für diesen freundlichen Gefängniswärter und für ihre Befreiung aus der schrecklichen Zelle.
Die Schwestern bekamen 36 Stunden lang nichts zu essen, und ein Verhör jagte das andere, als ob sie Kriminelle schlimmster Sorte wären. Doch ein Polizist hatte Mitleid mit ihnen und brachte ihnen Kaffee. Schließlich wurden die beiden Brüder und die Schwestern ins Provinzgefängnis überführt, wo weitere Prüfungen sie erwarteten.
Nach ihrer Ankunft im Gefängnis wurde den beiden Pionierbrüdern der Kopf geschoren, bevor man sie in die Zelle brachte. Danach wurde jeden Tag beim Hissen und Einholen der Fahne ihre Lauterkeit auf die Probe gestellt.
NONNEN ALS GEFÄNGNISWÄRTER!
Die Schwestern waren recht überrascht, als sie in ihrem Gefängnis eintrafen, denn die Gefängniswärter waren Nonnen. Am Empfangstisch fragte eine Nonne sie, was sie gestohlen hätten. Jetzt reichte es Margarita! Sie rief aus: „Wir sind hier nicht als Prostituierte oder Diebe! Wir sind hier, weil wir Zeugen des wahren Gottes sind!“ Darauf stieß die Nonne einen Schrei des Erstaunens aus und zog sich schnell zurück, als sei sie mit der Pest geschlagen.
In diesem Gefängnis leiteten die Nonnen die Insassen beim täglichen Aufsagen des „Vaterunsers“, des „Ave-Maria“ usw. Während der Übungszeit erzählten die Nonnen den Gefangenen Geschichten, tanzten mit ihnen und beteten den Rosenkranz. Margarita und Maruja bemühten sich, Zeugnis zu geben, aber bald wurde ihnen von den Nonnen das Wort abgeschnitten, und es wurde ihnen verboten, mit anderen Insassen zu sprechen.
Nachdem ihr Fall behandelt worden war, wurde beschlossen, daß die Schwestern gegen eine Kaution von je 1 000 Peseten freigelassen werden konnten. Da sie das Geld nicht hatten und niemand in Sevilla war, der ihnen hätte helfen können, verbrachten sie den Monat im Gefängnis. Das war kein angenehmes Erlebnis, denn sie wurden in einem großen Saal mit allen anderen Häftlingen untergebracht — hauptsächlich Diebinnen, Prostituierte und Lesbierinnen. Als sich Maruja und Margarita weigerten, sich vor den anderen auszuziehen und zu duschen, mußten sie ihre Zeit in einer Strafzelle absitzen, die nur zwei Meter im Quadrat groß war. In einer Ecke hatte sie ein Loch, das als Toilette diente, und an der Decke befand sich ein kleines Fenster. Es gab keine Einrichtung — kein Bett, keinen Stuhl und keine Matratze. Aus Mitgefühl brachte eine der Wärterinnen einen Liter Wasser, mit dem sie sich waschen konnten.
Und wie war es mit dem Essen? Es war — gelinde gesagt — ungenießbar. Zweimal am Tag erhielten die Schwestern Kichererbsen mit so viel kohlensaurem Natrium, daß ihnen schlecht wurde. Außerdem erhielten sie nur ein Stück Brot am Tag.
Nachdem die vier Pioniere einen Monat lang im Gefängnis gesessen hatten, konnten sie die Kaution von je 1 000 Peseten bezahlen. Daher wurden sie freigelassen, doch die Anklagen waren immer noch anhängig. Tatsächlich kam ihr Fall nie vor Gericht, und es war ihnen möglich, das hinterlegte Geld zurückzuerhalten.
Es könnte erwähnt werden, daß die vier Sonderpioniere sich daran gewöhnten, von der Polizei gejagt zu werden und daher von einer Stadt zur nächsten ziehen zu müssen. Wenn ein Sonderpionier nicht erklären konnte, woher er sein Einkommen hatte, oder nicht beweisen konnte, daß er einer weltlichen Arbeit nachging, wurde das Gesetz über Landstreicherei angewandt, und er wurde in seine Heimatstadt zurückgeschickt.
IN GALICIEN WIRD DER SAME DER WAHRHEIT GESÄT
Trotz der Verfolgung der Diener Gottes in Spanien machte das Königreichswerk Fortschritte. Das war auch in der Provinz Galicien, im Nordwesten Spaniens, der Fall. Wie wurde dort der Same der Wahrheit gesät?
Daß das wahre Christentum in Galicien Fuß faßte, war den Bemühungen von Jesús Pose Varela und seiner Frau zu verdanken. Sie hatten die Wahrheit durch einen Verwandten kennengelernt, als sie noch in Montevideo (Uruguay) lebten. Als ihre Erkenntnis zunahm, begann Jesús allmählich, seine Verantwortung gegenüber seiner Schwester und ihrem Ehemann und gegenüber seinem Sohn José zu verspüren, die alle in Spanien lebten. Daher kehrten Jesús und seine Frau im Jahre 1957 in ihre Heimat, nach Galicien, zurück, um mit ihren Angehörigen über Gottes Wahrheit zu sprechen. Zunächst wurden sie freudig willkommen geheißen, doch die Situation änderte sich drastisch, als ihre Verwandten erkannten, daß sie mit einer neuen Religion zurückgekommen waren. Die Mutter von Jesús sagte sogar, es wäre besser gewesen, wenn das Schiff, mit dem sie gekommen seien, gesunken wäre. Seine Mutter und seine Schwester vermieden jeglichen Kontakt mit ihnen, obwohl sie alle im gleichen Haus lebten.
Jesús gab jedoch nicht auf, und langsam überwand er die blinden Vorurteile. Schließlich gelang es ihm sogar, ein Bibelstudium einzurichten. All das war nicht leicht, da sie in einem kleinen, abgelegenen Dorf lebten, dessen Priester sehr viel Einfluß hatte. Aufgrund dieses Einflusses waren viele Einwohner nicht einmal bereit, eine Bibel zu berühren, da sie Angst hatten, verseucht zu werden. Die Geduld, die Jesús mit seinen Angehörigen hatte, zahlte sich jedoch aus, und auf lange Sicht gesehen, zeitigte sie Folgen, die nicht einmal er selbst geahnt hätte.
Während diese Personen Fortschritte in der Wahrheit machten, erkannten sie, daß sie in diesem abgelegenen Landgebiet nicht die besten Möglichkeiten hatten, Zeugnis zu geben. Als sie die Wahrheit annahmen, wandelten sie einen Tanzsaal, den sie unterhalten hatten, in einen Hühnerstall um. Ihr Einkommen erhielten sie nun durch ihren kleinen Bauernhof und die Tiere sowie durch einen Krämerladen, der sich im gleichen Gebäude befand. Jesús und sein Schwager, Ramón Barca, unterhielten den Bauernhof und das Geschäft.
Um in ein größeres Gebiet zu gelangen, mußten sie jedoch nach La Coruña fahren, einer Stadt, die 31 Kilometer entfernt lag. Es machte die Sache nicht leichter, als Ramóns Frau allgemeiner Pionier und José, der Sohn von Jesús, Sonderpionier wurde. Schließlich verkauften beide Familien den Bauernhof und den Laden und zogen in die Provinzhauptstadt, wo sie der wachsenden Versammlung besser von Nutzen sein konnten.
Wenn wir jetzt zurückblicken, erscheint es bemerkenswert, daß die heutigen drei Versammlungen in La Coruña mit etwa dreihundert Verkündigern und Pionieren vor ungefähr 20 Jahren ihren Anfang nahmen, weil ein spanisches Ehepaar aus Uruguay gekommen war, um die gute Botschaft zu verbreiten.
EINIGE KOMMEN, UM ZU DIENEN, WO HILFE DRINGENDER BENÖTIGT WIRD
Im Juli 1957 wurde auf einem Bezirkskongreß in Kiel (BRD) eine Ansprache gehalten, in der die Brüder ermuntert wurden, dort zu dienen, wo Hilfe dringender benötigt wird. Von dieser Ansprache fühlten sich zwei junge deutsche allgemeine Pioniere angesprochen, Horst Mieling und Heinrich Nissen. Sie beschlossen, nach Spanien zu gehen, und das taten sie auch. Am 19. Oktober 1957 trafen sie mit der Eisenbahn in Barcelona ein.
Es war ein ziemlicher Gegensatz, aus einem Land mit fast 57 000 Zeugen in ein Land mit nur 780 Zeugen zu kommen. Außerdem war in Spanien schon allein der Gebrauch des Wortes „Bibel“ ausreichend, um ein Gespräch zu beenden. Doch die beiden Brüder hatten einen Vorteil: Die Spanier waren im allgemeinen an Deutschland und an den Deutschen interessiert.
Diese Brüder waren tatsächlich die ersten einer großen Anzahl von Zeugen, die hauptsächlich aus Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten gekommen sind, um in Spanien zu dienen, wo der Bedarf an Königreichsverkündigern besonders in den vergangenen Jahren sehr groß war.
Was unser Werk für die Ausländer zu einer Belastung machte, war die Notwendigkeit, im Haus-zu-Haus-Dienst stets wachsam zu sein. Wenn ein Ausländer ertappt wurde, wurde er mit ziemlicher Sicherheit ausgewiesen. Das bedeutete eine zusätzliche Spannung, denn die Brüder mußten die Reaktionen des Wohnungsinhabers während eines Gesprächs und danach sorgfältig beobachten. Wenn die Tür geschlossen wurde, mußte der Zeuge feststellen, ob der Wohnungsinhaber das Telefon benutzte. Wurde die Tür zugeschlagen oder höflich geschlossen? Außerdem war es nötig, aufzupassen, ob Nachbarn eilig das Gebäude verließen, vielleicht um die Polizei zu holen. Natürlich war es auch sehr wichtig, darauf zu achten, daß keine Polizei in der Gegend war, in der man predigte. Die Brüder mußten die Bibel und unsere Schriften unauffällig bei sich tragen, vielleicht unter einem Regenmantel oder in den Wintermonaten unter einem Wintermantel. Im Sommer war es jedoch nicht so leicht, die Schriften zu verbergen. Daher nahmen einige Verkündiger sogar die Bücher auseinander und nahmen nur den Druckbogen oder die Seiten mit, die in einer Zusammenkunft oder während eines Bibelstudiums studiert wurden.
Im Jahre 1959 wurden Bruder und Schwester Taylor, die aus England nach Spanien gezogen waren, um dort zu dienen, wo Hilfe dringend benötigt wurde, als Sonderpioniere nach Vigo geschickt, einer Hafenstadt im Nordwesten Spaniens. Man dachte, Bruder Taylor würde dort wegen des internationalen Hafens als Ausländer nicht so sehr auffallen. Doch es dauerte nicht lange, und die Priester wurden alarmiert und warnten ihre Gemeindemitglieder über Rundfunk vor diesem Ehepaar, das von Tür zu Tür ging. Die beiden waren leicht zu erkennen: Sie war eine Spanierin und redete am meisten, und er war ein Ausländer.
Bald tauchte die Polizei auf und verhaftete die Taylors. Man brachte sie zur Polizeiwache und verhörte sie den ganzen Tag. Während dieser Zeit erhielten sie nichts zu essen. Als sie freigelassen wurden, hielt man ihre Pässe zurück und verlangte von ihnen, sich jeden Dienstag und jeden Samstag bei der Polizei zu melden. Als Ron seinen Fall dem britischen Konsul berichtete, erhielt er seinen Paß zurück und wurde aufgefordert, das Land innerhalb von 15 Tagen zu verlassen.
Schließlich dienten Ron und seine Frau Rafaela zwei Jahre lang in Gibraltar. Dort konnten sie die Grundlage für eine Versammlung legen, die 25 Verkündiger hatte, als sie fortgingen. Die anglikanische Geistlichkeit übte so lange Druck aus, bis sie im Dezember 1961 aufgefordert wurden, zusammen mit Ray und Pat Kirkup, einem englischen Ehepaar, das ebenfalls nach Gibraltar gezogen war, um dort zu dienen, wo Hilfe not tat, Gibraltar zu verlassen.
Im Januar 1962 wurden die Taylors und die Kirkups nach Sevilla geschickt. Dort waren bereits vier Sonderpioniere, doch es gab nur 21 Verkündiger bei einer Bevölkerung, von nahezu 500 000. Somit war noch viel zu tun. 1963 wurde Ron Taylor in Barcelona als Kreisaufseher eingesetzt, und einige Zeit später erhielt Ray Kirkup eine ähnliche Zuteilung. Während all der Jahre gab es nicht genügend befähigte spanische Brüder für den Kreis- und Bezirksdienst in Spanien, und daher wurden viele Ausländer für diese Tätigkeit eingesetzt.
MEHR HILFE VON DER GILEADSCHULE
Während des Dienstjahres 1958 reiste das Missionarehepaar Bob und Cleo Clay nach Marokko ab, so daß es in Spanien ein oder zwei Monate lang nur zwei Gileadmissionare gab. Im März 1958 kam jedoch Verstärkung, als René und Elsie Vázquez sowie zwei ledige Brüder eintrafen. Nun war es möglich, daß die Versammlungen zum ersten Mal regelmäßig von Kreisaufsehern betreut wurden.
Im Dienstjahr 1958 hatte Spanien eine Zunahme von 33 Prozent zu verzeichnen. Zum ersten Mal überschritten wir die 1 000-Verkündiger-Marke. Das war im August 1958, als 1 006 Verkündiger über ihren Predigtdienst berichteten. Es hatte 11 Jahre gedauert (seit der Wiederbelebung des Werkes im Jahre 1947), um diese Zahl zu erreichen. Doch nur drei Jahre später hatten wir 2 000 Verkündiger, und weitere zwei Jahre später überschritten wir die 3 000-Verkündiger-Marke. 1969 gab es insgesamt fast 9 000 aktive Zeugen. Von dieser Zeit an wuchs die Zahl der Verkündiger in den Gebieten, die der Aufsicht des spanischen Zweigbüros unterstehen, lawinenartig an. Heute sind es 40 000.
DIE KANARISCHEN INSELN BEGINNEN, DEN LOBPREIS JEHOVAS ZU SINGEN
Vor der Westküste Afrikas liegt eine Gruppe von dreizehn Inseln, die spanisches Territorium sind. Sieben davon sind die Hauptinseln der Kanarischen Inseln: Teneriffa, La Palma, Gomera, Hierro, Gran Canaria, Lanzarote und Fuerteventura. Im Jahre 1958 betrug die Gesamtbevölkerung etwa 940 000 Personen.
Wann wurden diese Inseln nach dem Bürgerkrieg mit der Wahrheit erreicht? Im Jahre 1958, als ein Interessierter aus Barcelona dorthin zog. Im September jenes Jahres ging Carl Warner als Kreisaufseher auf die Kanarischen Inseln und hielt den ersten biblischen Vortrag, den ein Zeuge Jehovas je dort hielt. Sechs Personen waren anwesend. Es war ein kleiner Anfang, doch wenigstens war es ein Anfang. Das ereignete sich in Las Palmas de Gran Canaria, der Provinzhauptstadt. Carl empfahl, Sonderpioniere dorthin zu schicken. Das war im Augenblick zwar noch nicht möglich, doch Hilfe kam von einer anderen Seite.
Im Jahre 1958 hielt Bruder Knorr auf dem internationalen Kongreß „Göttlicher Wille“ in New York eine Ansprache über den Dienst in Ländern, in denen Hilfe dringend benötigt wird. Eine dänische Familie, die Gjedes, hörten seine Ausführungen und nahmen sie sich zu Herzen. Sie beschlossen, Dänemark zu verlassen und zusammen mit ihrem 21jährigen Sohn John auf die Kanarischen Inseln zu ziehen. Dieser Sohn reiste im Februar 1959 auf die Inseln, um für seine Eltern die Lage zu erkunden, und er war bestimmt begeistert, Irvin People, einen amerikanischen Bruder, zu treffen, der bereits aus dem gleichen Grund dort war. Zuerst wohnten sie beide bei einer interessierten Familie, die dorthin gezogen war.
Um einen Anfang machen zu können, hatten die beiden Brüder das gleiche Problem: die spanische Sprache. Dieses Problem wurde durch einen ungewöhnlichen Zufall gelöst. Als sie eines Tages nach einer Adresse suchten, um einen Rückbesuch durchzuführen, sprachen sie auf der Straße einen Mann an und fragten ihn nach dem Weg. Es stellte sich heraus, daß er Lehrer und auch Eigentümer einer Schule war. Sie kamen miteinander ins Gespräch und erfuhren, daß er jemand brauchte, der in seiner Schule Englisch lehrte. Nun, sie brauchten jemand, der sie Spanisch lehrte. So machten sie einen Handel. Er würde sie Spanisch lehren, wenn sie in seiner Schule Englisch lehrten. Gleichzeitig bot dies für Irvin und John neue Möglichkeiten, Kontakte herzustellen, und schließlich kam eine ganze Familie in die Wahrheit, die Familie Suárez, deren Tochter Angelines später Sonderpionier wurde.
Eine weitere Entwicklung sollte für die spätere Geschichte unseres Werkes auf den Kanarischen Inseln von entscheidender Bedeutung sein. In Madrid heirateten José Orzáez und Pilar (Pili) Benito im April 1959, und im Mai waren sie auf den Inseln, um dort als Sonderpioniere zu dienen.
Nach der Ankunft in Las Palmas stellte José Orzáez fest, daß die Gruppe von einem verkrüppelten Mann beherrscht wurde, der in Barcelona Zeugnis erhalten hatte und nun seine eigenen Gedanken lehrte, die sich in etwa auf die Schriften der Gesellschaft stützten. Als José anfing, die Zusammenkünfte gemäß dem üblichen Verfahren zu leiten, fielen dieser Mann und seine Frau von der Wahrheit ab. Dies war ein typischer Fall, wie er häufig vorkam: Jemand wollte etwas Wichtiges darstellen und sich durch sein Lehren aufspielen. Als nun dieser Mann feststellte, daß seine Selbsterhebung nicht geschätzt wurde, ließ er wie viele andere in solchen Fällen von der Wahrheit ab und wandte sich den hinter ihm liegenden Dingen zu, trotz aller Versuche, ihm zu helfen.
Inzwischen waren John Gjedes Eltern aus Dänemark eingetroffen. Nun fühlte sich die Gruppe durch das Beispiel der Sonderpioniere angespornt, eifrig tätig zu sein, und bis zum April 1960 war die Verkündigerzahl von 6 auf 21 angewachsen. Im Dezember wurde eine neue Höchstzahl von 29 Verkündigern erreicht. Natürlich entging diese Tätigkeit den Gegnern nicht. Im Dezember 1960 traten sie auf den Plan.
RAZZIA AUF BIBELSTUDIENGRUPPE
Am Abend des 24. Dezember 1960 waren in Las Palmas de Gran Canaria 17 Brüder und Interessierte zum Bibelstudium versammelt. Unter ihnen befanden sich José Orzáez, seine Frau Pili, ihr drei Monate altes Töchterchen und der Kreisaufseher Salvador Adriá. Um 20.30 Uhr drangen fünf Polizisten in die Wohnung ein. In ihren Taschen hielten sie Pistolen versteckt. Einer fauchte José Orzáez, den Mieter der Wohnung, an, er sei es gewohnt, mit rauchendem Colt in solche Zusammenkünfte einzudringen.
Die Polizei brach nicht nur in die Wohnung ein, sondern umstellte auch das ganze Haus. Sie tat so, als würde sie eine Zusammenkunft von Anarchisten oder heimlichen Kommunisten ausheben und nicht eine friedliche Studiengruppe.
Wie jeder Polizist weiß, müssen Verbrecher zunächst einmal entwaffnet werden. Das geschah auch bei dieser Razzia. Die Polizei beschlagnahmte alle Bibeln! Dann nahm sie die Namen der Kinder auf und schickte sie nach Hause. Die vierzehn Erwachsenen und Josés Baby wurden darauf ins Polizeipräsidium gebracht. Weder an jenem Abend noch am nächsten Morgen bekamen sie etwas zu essen, obwohl das Baby vor Hunger schrie. Wiederholte Bitten, die Mutter und das Baby freizulassen, blieben unbeachtet.
Ein weiterer wichtiger Schritt bei der Festnahme von Verbrechern ist, Fingerabdrücke zu nehmen. Somit wurden von allen vierzehn Fingerabdrücke gemacht, barmherzigerweise jedoch nicht von dem Baby. Nach 18 Stunden ohne Schlaf und Nahrung wurden die Zeugen freigelassen mit Ausnahme von José Orzáez und Salvador Adriá, dem Kreisaufseher. Sie wurden in eine dunkle, schmutzige Zelle geworfen, in der nur eine Steinbank stand. Dort beteten die beiden Brüder gemeinsam. Um 20 Uhr wurden sie vor Gericht gestellt, ohne irgend etwas zu essen bekommen zu haben. Sie hatten nun schon 24 Stunden nichts mehr gegessen. Um 23 Uhr wurden sie schließlich verhört. Die Vernehmung dauerte drei Stunden und wurde von dem Richter, seinem Sekretär und dem Staatsanwalt durchgeführt. Ihre Fragen zielten darauf ab, nachzuweisen, daß José auf die Kanarischen Inseln gesandt worden sei, um dort die „Sekte“ zu gründen und zu führen. Außerdem behaupteten sie, daß die Tätigkeit der Zeugen subversiven Charakters sei.
Nach dem Verhör wurden die Brüder in die kleine Zelle geführt, wo bereits drei Männer auf dem Boden schliefen. Am nächsten Morgen wurden sie in das Provinzgefängnis überführt und in Einzelhaft gesteckt. In ihren Zellen wimmelte es von Ungeziefer. José Orzáez bat um eine Bibel, doch diese Bitte wurde abgelehnt. Nun, wo er in seiner Zelle allein war, hatte er Zeit nachzudenken. Er fragte sich, wie wohl die kleine Gruppe von 29 Verkündigern nach diesem Angriff reagieren würde.
Was konnte diese Polizeiaktion ausgelöst haben, die nicht nur die Brüder auf den Kanarischen Inseln, sondern auch in vielen anderen Teilen Spaniens betraf? Normalerweise handelte die Polizei in solchen Fällen nicht auf eigene Faust, da sie mit wichtigeren Angelegenheiten genug zu tun hatte. In unserem Fall beginnt die Aktion gewöhnlich bei den Geistlichen, die ihre Bischöfe von der Tätigkeit der Zeugen Jehovas unterrichten. Diese wiederum informieren den Zivilgouverneur, der dann die Polizei in Bewegung setzt. Die Hierarchie informiert auch das Innenministerium, und dieses Ministerium erteilt Anweisungen an alle Polizeipräsidien im Land. Es gibt offizielle Beweise dafür, daß diese Faktoren zu der Polizeirazzia auf die friedliche Bibelstudiengruppe in Las Palmas de Gran Canaria sowie zu Maßnahmen gegen Gottes Diener in anderen Orten Spaniens führten.
DER AUSGANG DES FALLES ORZÁEZ
Nachdem die tagelangen Verhöre vorüber waren, wurde José Orzáez freigelassen. Er war erleichtert, als er feststellte, daß die Bibelstudiengruppe guten Mutes war und daß seine Frau und das Baby während seiner Abwesenheit versorgt worden waren. Bruder Orzáez war freigelassen worden, ohne eine Kaution zu zahlen, da er keine finanziellen Mittel hatte. Er mußte bis zum Oktober 1961 auf seine Verhandlung warten.
Inzwischen wurde sowohl in der englischen als auch in der spanischen Erwachet!-Ausgabe vom 8. September 1961 der Artikel veröffentlicht: „Die Inquisition lebt im totalitären Spanien wieder auf“. Gegen Ende September wurde José zum Polizeipräsidium gerufen. Er fragte sich, was wohl diesmal der Grund sei. Das erfuhr er bald, denn die Polizei las ihm den eben erwähnten Erwachet!-Artikel vor. Sie war wütend darüber, vor aller Welt so offen bloßgestellt zu werden, und bezeichnete ihn als einen Lügner. José wäre am liebsten im Erdboden versunken. Er fragte sich, ob er wohl wieder lebendig herauskäme, denn sechs verärgerte Polizisten standen um ihn herum. Im Verlauf des Verhörs erkannte er jedoch plötzlich, daß der Artikel zu seinem Schutz diente. Sie hüteten sich davor, Hand an ihn zu legen, da sie befürchteten, ihre Maßnahmen könnten in einer anderen Ausgabe der Zeitschrift Erwachet! veröffentlicht werden.
Einmal sagten die Polizisten, die Bezugnahmen auf ein dreimonatiges Baby seien eine Lüge. José antwortete ruhig, er wisse, daß dies der Wahrheit entspreche, da er ja selbst der Vater sei. Nun, er überstand die Nervenprobe und frohlockte, da er jetzt sah, daß die Polizei gezwungen war, Jehovas Organisation mit mehr Respekt zu behandeln.
Josés Verhandlung fand im Oktober 1961 vor einem Tribunal von drei Richtern statt, von denen einer als Vorsitzender amtete. Obwohl der Fall nicht in der Presse angekündigt worden war, war der Warteraum des Gerichts voll mit Brüdern, Interessierten, Rechtsanwälten, Doktoren und anderen. Über 60 Personen wohnten der Verhandlung bei.
Die Staatsanwaltschaft suchte nach Beweisen dafür, daß Bruder Orzáez der „Führer“ der Bibelstudiengruppe in Las Palmas de Gran Canaria war. Doch die Zeugen der Verteidigung sagten aus, daß sie ihn nicht als ihren Führer betrachteten. Außerdem führte der Verteidiger in seinem Schlußplädoyer die spanische Verfassung an und zeigte, daß sich bis zu 20 Personen ohne vorherige Erlaubnis versammeln dürfen. In bezug auf die Anklage wegen Proselytenmacherei, die gegen Bruder Orzáez vorgebracht worden war, zitierte er nochmals die Verfassung und zeigte, daß sie in Artikel 12, den er mit der richtigen Betonung vorlas, Redefreiheit gewährte.
Trotz der ausführlichen und logischen Verteidigung sowie der allgemeinen Ansicht, daß die Verteidigung einen Freispruch erreicht habe, endete die Verhandlung mit einem Schuldspruch. Eine Gefängnisstrafe von drei Monaten wurde verhängt. Gegen dieses Urteil wurde jedoch beim Obersten Gerichtshof Berufung eingelegt.
Zwei Jahre und vier Monate später kam der Fall von José Orzáez schließlich vor den Obersten Gerichtshof. Inzwischen häuften sich aufgrund der Verfolgungswelle, die von 1960 an durch Spanien wogte und erst 1966 nachließ, die Fälle an, bei denen Berufung eingelegt worden war.
EIN ERMUTIGENDES URTEIL
Am 2. März 1964 führte der Oberste Gerichtshof eine öffentliche Verhandlung durch. Im Gerichtssaal saßen etwa 200 Personen aus verschiedenen Nationen. Viele weitere warteten vor dem Gerichtsgebäude auf das Urteil.
Unter anderem wies der Verteidiger in seinem Plädoyer darauf hin, daß das Versammlungsgesetz vom 15. Juni 1880 noch in Kraft sei. In Artikel 2 heißt es, daß unter öffentlichen Versammlungen Veranstaltungen von mehr als 20 Personen zu verstehen seien, und nur wenn diese Zahl überschritten würde, müsse man eine behördliche Genehmigung für eine Versammlung zu legalen Zwecken beantragen. Der Verteidiger zeigte, daß sich Jehovas Zeugen in Las Palmas eng an dieses Gesetz gehalten hatten. Weiter erklärte er, unter einer „illegalen Vereinigung“ verstehe man einen Zusammenschluß von Personen, die die Absicht hätten, Verbrechen zu begehen, durch die die Sicherheit des Staates gefährdet werde. In den Zusammenkünften der Zeugen Jehovas werde jedoch lediglich die Bibel gelesen und besprochen. Auch würden Jehovas Zeugen lehren, daß jemand, der Verbrechen gegen die Sicherheit eines Staates begehe, gegen Gott rebelliere, und einer solchen Person würde nie erlaubt werden, ein Zeuge Jehovas zu werden.
Zusammenfassend wies der Verteidiger darauf hin, daß in dem fraglichen Fall Artikel 6 der spanischen Verfassung offenkundig verletzt worden sei, denn der Staat garantiere, daß „niemand wegen seiner religiösen Überzeugung oder in der privaten Ausübung seiner Anbetung belästigt“ werde. Bruder Orzáez wurde nicht nur von der Polizei „belästigt“, sondern auch vor Gericht gestellt und verurteilt, weil er bei einer Zusammenkunft von 17 Personen aus der Bibel gelehrt hatte.
Jetzt war der Staatsanwalt an der Reihe, seine Argumente vorzubringen. Er gab eine kurze Zusammenfassung der Verteidigung und löste dann eine Sensation aus, als er erklärte: „Ich schließe mich der Verteidigung an und beantrage den Freispruch des Angeklagten.“
Welches Urteil fällte das Gericht? Es verkündete: „Wir sprechen den Angeklagten, José Orzáez Ramírez, von dem Vergehen in bezug auf eine illegale Vereinigung frei, dessen er im gegenwärtigen Fall angeklagt war. Die Kostenentscheidung ist damit annulliert.“
Dieses Urteil aus dem Jahre 1964 war für die spanischen Brüder und Schwestern sehr ermutigend. Besonders traf dies auf die treuen Sonderpioniere zu, die dem Angriff in den vorangegangenen vier Jahren am meisten ausgesetzt waren. Das Urteil war ein Schlag gegen die religiöse Intoleranz, die in vielen spanischen Provinzen praktiziert worden war, in denen Jehovas Zeugen verhaftet, eingesperrt und mit Geldstrafen belegt worden waren, wenn sie beim Gruppenbibelstudium ertappt worden waren. Die Entscheidung schuf einen Präzedenzfall und war ein Schritt auf dem Wege zur Aufrechterhaltung des Rechts, sich privat zum Bibelstudium zu versammeln.
UNNACHGIEBIGER WIDERSTAND
Das Innenministerium gab jedoch in seinem Wunsch, Jehovas Zeugen aus dem spanischen Gebiet auszurotten, nicht nach, und so wurde am 24. Februar 1966 ein weiteres Rundschreiben an alle Zivilgouverneure versandt. Da die Methode, Geldstrafen von mindestens 2 500 Peseten aufzuerlegen, nicht den gewünschten Erfolg zeitigte, hatte sich das Innenministerium mit dem Justizministerium in Verbindung gesetzt und daraufhin folgende Empfehlung gegeben:
„Daher rate ich Eurer Exzellenz im Auftrage Seiner Exzellenz des Innenministers dringend, daß Sie die Mitglieder der besagten Sekte, die bei der Ausübung solcher Tätigkeit ertappt werden, bei den Gerichten für Landstreicher und Straftäter anzeigen, damit diese Gerichte in ihrem Fall Gründe zum Einschreiten finden. Dies ohne Nachteil für die Strafverfolgung und Bestrafung der Vergehen, die infolge der Proselytenmacherei begangen werden mögen, und für die Sicherheitsmaßnahmen, die die Kriminalgerichte bei der Verurteilung ergreifen mögen.“ Dies war ein verzweifelter Versuch, die Predigttätigkeit der Zeugen Jehovas zu unterbinden und ihrem Werk durch Einschüchterung Einhalt zu gebieten. Hier wurde tatsächlich ‘durch Verordnung Unheil geschmiedet’ (Ps. 94:20).
SIE BEWAHREN CHRISTLICHE NEUTRALITÄT
Abgesehen von dem religiösen und dem anderen Widerstand, den Jehovas Zeugen unter dem damaligen Regime erdulden mußten, hatten sie auch Probleme in Verbindung mit der christlichen Neutralität (Joh. 15:19). Eine Anzahl junger Zeugen kamen aufgrund ihres persönlichen Bibelstudiums zu dem Schluß, daß Schriftstellen wie Jesaja 2:4 von ihnen eine feste neutrale Haltung in bezug auf die Angelegenheiten der Nationen verlangten. Wenn man mit ihnen darüber sprach, sagten sie, dies sei ihre eigene Gewissensentscheidung und sie stütze sich auf das, was sie in Gottes Wort studiert hätten. Jeder traf seine eigene, persönliche Entscheidung. Eine Zeitlang verstanden die Behörden in Spanien diese neutrale Haltung nicht, und mehrere dieser Brüder wurden grob behandelt. Seit einigen Jahren haben die Behörden jedoch eine tolerantere Einstellung gegenüber diesen gewissenhaften Christen, und sie behandeln sie mit größerem Verständnis. Die Treue, die diese jungen Zeugen unter prüfungsreichen Umständen bewahrt haben, ist für andere eine große Ermunterung gewesen. Wir freuen uns, hier einige ihrer Erlebnisse erzählen zu können, die sie hatten, während sie an ihrer Lauterkeit festhielten.
Im Februar 1958 wurde Jesús Martín aus Madrid beauftragt, in Melilla, der spanischen Enklave in Marokko, Militärdienst zu leisten. Da er sich als neutraler Christ zu erkennen gab, wurde er heftig geschlagen und kam in ein Militärgefängnis, das als Rostrogordo (Fettes Gesicht) bekannt ist. Dort wurde er auf Veranlassung des Generalleutnants, der damals in der Garnison von Melilla die militärische und zivile Obergewalt hatte, grausam behandelt. Ein weiterer „unvergeßlicher“ Charakter war der Leiter des Militärgefängnisses, ein brutaler, despotischer Mann.
Nachdem Jesús Martín etwa acht Tage in diesem Gefängnis zugebracht hatte, wurde er 20 Minuten lang ohne Unterbrechung mit einer Pferdepeitsche geschlagen und außerdem beleidigt und getreten, bis er schließlich halb bewußtlos zu Boden fiel. Damit noch nicht zufrieden, drückte der Hauptmann seinen Kopf mit dem Stiefel auf den Boden und hörte erst auf, als Blut aus dem Kopf zu fließen begann. Nachdem Jesús in das Büro des Hauptmanns zurückgebracht worden war, wurde ihm mitgeteilt, daß er jeden Tag ähnliche Schläge erhalten werde, und der brutale Hauptmann drohte ihm auch mit körperlicher Verstümmelung.
Später betete Jesús in seiner unterirdischen Zelle zu Jehova um Stärkung und Hilfe. Dort unten hatte er niemand, mit dem er sprechen konnte — außer Ratten. Jeden Tag wurde Jesús mit vorgehaltenem Gewehr zur Arbeit gebracht. Er mußte acht Stunden lang mit einer Hacke Steine brechen — eine sinnlose Arbeit, die als demoralisierende Strafe gedacht war.
Wie verhielt es sich nun mit der Androhung von täglichen Schlägen? Nun, am nächsten Tag wurden die Wunden mit Olivenöl eingerieben, und der Kopf wurde verbunden. In diesem Zustand wurde Jesús zum zweiten Mal zum Verprügeln gebracht. Diesmal wurden ihm die Schläge von einem Korporal verabreicht, während der Hauptmann zuschaute, um sicherzugehen, daß er es auch richtig tat. Diese barbarische Behandlung erregte sogar unter den Wächtern und den anderen Soldaten Unmut. Jesús merkte, daß er in seinem Entschluß wankend wurde, und fragte sich, ob er diese Behandlung wirklich täglich aushalten könnte.
Am dritten Tag wurde Jesús wieder zum Steinebrechen geschickt. Doch als der Vormittag halb vorüber war, wurde er in das Büro des Hauptmanns gerufen. Zu seiner Erleichterung fand er dort einen Militärrichter vor, der eingetroffen war, um seinen Fall zu untersuchen und das Verfahren gegen ihn einzuleiten. Als der Richter die Bandagen und die offensichtlichen Anzeichen für die Schläge sah, fragte er, was vorgefallen sei. Jesús zögerte zunächst, ihm Auskunft zu geben, weil er Repressalien befürchtete. Trotzdem sagte er dem Richter die Wahrheit. Darauf sicherte dieser ihm zu, daß er nicht wieder geschlagen würde. Das war die Antwort auf seine Gebete vom Vortag! Während der verbleibenden sechs Jahre dieser Einkerkerung wurde Jesús nie wieder mißhandelt. Und er war davon überzeugt, daß Jehova die Gebete der Treuen erhört (Spr. 15:29).
Nach fünfzehn Monaten in Afrika wurde Jesús Martín nach Spanien in das Gefängnis von Ocaña überführt. Interessanterweise wurde Jesús zu fünfzehn Jahren Gefängnis wegen Ungehorsams und zu vier Jahren wegen Aufwiegelei verurteilt, da man der Ansicht war, daß sein Beispiel andere beeinflußt haben könnte. Das bedeutete neunzehn Jahre Gefängnis für die Verweigerung von achtzehn Monaten Militärdienst. Später wurde er zu einer weiteren Haftstrafe von drei Jahren wegen seines Ungehorsams im Gefängnis Rostrogordo verurteilt, insgesamt also zu 22 Jahren. Übrigens ist seine fünfzehnjährige Haftstrafe die längste, die je in einem Neutralitätsfall in Spanien verhängt wurde.
DIE GEISTIGE GESUNDHEIT IM GEFÄNGNIS BEWAHRT
Während Jesús Martín in Ocaña eingesperrt war, erfreute er sich gewisser Vorteile. Nachdem die Gefängnisbeamten seine Gefängnisgeschichte gelesen hatten, dachten sie zuerst, er sei ein sehr rebellischer Häftling. Mit der Zeit aber erkannten sie, daß er ein musterhafter Gefangener war. Er wurde sogar Gefängnisbuchhalter und war dafür verantwortlich, alle Insassen gemäß der Arbeit, die sie in den Gefängniswerkstätten geleistet hatten, zu bezahlen. In einigen Monaten mußte Jesús Löhne in Höhe von einer halben Million Peseten (damals etwa 10 000 Dollar) auszahlen.
Ein Vorteil in Ocaña war, daß Jesús von seinen Eltern besucht werden durfte, wenn es ihnen auch nur gestattet wurde, jeweils fünfzehn Minuten mit ihm zu sprechen. Aber wie bewahrte er seine geistige Gesundheit? Nun, es wurde ihm nicht erlaubt, Schriften der Watch Tower Society zu lesen, doch er hatte die Nácar-Colunga-Bibel. Man stelle sich nur vor! Einmal las er sie in nur zwanzig Tagen völlig durch, einschließlich der Apokryphen und der Kommentare.
Jesús wußte, daß auch andere neutrale Christen ihre Stellung behauptet hatten, und er betete ernstlich darum, daß einer dieser Brüder in sein Gefängnis kommen möge. Nach vier Jahren Abgeschnittenheit wurden seine Gebete erhört, denn Alberto Contijoch wurde dort eingeliefert. Die beiden studierten gemeinsam und predigten auch etwas offener im Gefängnis. Sie stellten sogar ihre eigene „dritte“ Ausgabe des biblischen Lehrbuches „Gott bleibt wahrhaftig“ her. Der Neuankömmling übernahm das Schreiben, da er sich besser an den Inhalt da Buches erinnern konnte, während Jesús den Stoff korrigierte und bearbeitete.
Später, im Jahre 1961, wurde ein dritter neutraler Christ, Francisco Díaz Moreno, in das Gefängnis von Ocaña eingeliefert. Den drei jungen Männern gelang es, sich ein Exemplar der Broschüre „Diese gute Botschaft vom Königreich“ zu beschaffen, und Jesús konnte mit Hilfe der Schreibmaschine, die in seinem Büro stand, weitere Exemplare herstellen. Eine Zeitlang führten sie fünfzehn Bibelstudien mit anderen Häftlingen durch.
Diese neutralen Christen hatten ein solches Verlangen nach neuen biblischen Schriften, daß sie Risiken auf sich nahmen, um sie zu beschaffen. Man beachte zum Beispiel, was am 24. September 1963 geschah — während des Festes der „Madonna der Barmherzigkeit“, der katholischen Vermittlerin für Häftlinge und Gefangene. Das war ein besonderer Feiertag, und es wurden zusätzliche Besucher im Gefängnis zugelassen. Daher kamen an jenem Tag José und Pili Orzáez mit ihrer zweijährigen Tochter Ester Lidia zu Besuch in das Gefängnis. Als „Nichte“ von Jesús wurde ihr der Zutritt gestattet, und sie gab ihm einen Karton mit Kleidung, in dem sich auch zwei Bücher der Gesellschaft befanden. Bei einer anderen Gelegenheit sandten ihm seine Eltern das Buch Vergewissert euch über alle Dinge“ in Englisch, doch der Gefängnisbeamte verweigerte es ihm und sagte, wenn er ihm ein solches Buch in die Hände gäbe, wäre es das gleiche, als gäbe er einem Bankräuber eine Maschinenpistole.
Im Jahre 1963 wuchs die Gruppe neutraler Christen im Gefängnis von Ocaña von drei auf vier an, als Antonio Sánchez Medina eintraf. Er hatte schon in einem anderen Gefängnis Mühsale erduldet, und bevor er mit den anderen drei Zeugen zusammenkommen konnte, mußte er eine dreißigtägige Bewährungsfrist vollenden. Doch obwohl Antonio in Einzelhaft gehalten wurde, fand er eine Möglichkeit heraus, Zeugnis zu geben, ohne zu sprechen. Als ein anderer Häftling Interesse an der Wahrheit bekundete, fertigte er ein biblisches Kreuzworträtsel an, das der Häftling ausfüllen konnte. Mittels verschiedener Kreuzworträtsel brachte Antonio den Häftling dazu, in seiner Bibel nachzuforschen.
Antonios dreißigtägige Einzelhaft war fast vorüber, als er einen Rückschlag erlitt. Während er in Saragossa eingesperrt war, hatte er einen Brief an die Brüder geschrieben und ihnen von einem interessierten Häftling berichtet. Antonio hatte diesen Brief in seiner Matratze versteckt und auf eine Gelegenheit gewartet, ihn aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Der Brief war jedoch bei einer Durchsuchung seiner Zelle entdeckt worden. Nun mußte er die Folgen davon in Ocaña tragen — zwanzig Tage Strafzelle, weil er den Brief geschrieben hatte und wegen Proselytenmacherei.
Antonio wurde in den „Schlauch“ hinuntergebracht — einen Tunnel mit kalten, dunklen Zellen. Es gab kein Möbelstück in seiner Zelle, nur ein Waschbecken, eine Toilette, einen Aluminiumteller und einen Löffel. Nachts gab man ihm eine Matratze und zwei schmutzige Decken. Aber er hatte nichts zu lesen und nichts zum Schreiben. Wie sollte er die zwanzig Tage Langeweile aushalten? Die Idee mit dem Kreuzworträtsel war die Lösung. Antonio hatte aber kein Papier und keinen Bleistift. Daher brach er einen Griff seines Tellers ab und benutzte ihn, um auf die Fliesen seines Zellenbodens zu schreiben. Er verwandelte den Boden in ein riesiges biblisches Kreuzworträtsel! Antonio war nun so damit beschäftigt, sich an biblische Personen und Berichte zu erinnern, daß diese Tage schnell vergingen.
Zweifellos gab es verschiedene Möglichkeiten, die geistige Gesundheit zu bewahren. Die vier neutralen Christen, die jetzt im Gefängnis von Ocaña waren, hatten einige Zeitschriften und andere Literatur. Sie mußten jedoch alles im geheimen lesen und mußten die Literatur verbergen. Zu diesem Zweck hatten sie ein Schachspiel, dessen falschen Boden sie als Versteck für die Literatur verwandten.
HEIMLICHE ZUSAMMENKÜNFTE
Die vier neutralen Christen im Gefängnis von Ocaña waren sich der Notwendigkeit bewußt, sich zum Bibelstudium zu versammeln (Hebr. 10:24, 25). Daher richteten sie es schließlich ein, jede Woche Zusammenkünfte abzuhalten, obwohl sie dabei mit äußerster Vorsicht vorgehen mußten.
Im Gefängnis von Ocaña hatte man Etagenbetten, die in zwei Reihen hintereinanderstanden. So hatten in jedem Schlafsaal achtzig Häftlinge Platz. Die vier Zeugen nahmen zwei Etagenbetten ein, die Seite an Seite standen. Während einer von ihnen oben lag, zuhörte und auf die Wachen aufpaßte, saßen die anderen drei auf den unteren Betten und taten ihr Bestes, ihre Programmpunkte darzubieten. Bei all dem Lärm, den die anderen Häftlinge machten, und bei der Musik oder den Fußballreportagen, die aus dem Lautsprecher über ihren Köpfen schallten, war es nicht leicht, biblische Themen zu besprechen. Doch diese jungen Männer brachten es fertig. Im Jahre 1962 gelang es sogar, unter ähnlichen Umständen das Gedächtnismahl zu feiern.
ENDLICH FREIHEIT — FÜR EINEN
Im Sommer 1964 war Jesús Martín wieder einmal allein in Ocaña, denn die anderen drei neutralen Christen waren im Jahre 1963 fortgekommen. Francisco Díaz Moreno hatte seine Haftstrafe abgebüßt und mußte sich jetzt wieder stellen, diesmal in El Aaiún in der Spanischen Sahara. Antonio Sánchez und Alberto Contijoch machten ähnliche Erfahrungen. Doch bevor sich ihre Wege trennten, hatten sie eine neue Taktik beschlossen: Alle vier wollten bedingte Strafaussetzung beantragen. In Fällen von gutem Verhalten brachte dies für jedes Jahr Gefängnis drei Monate Freiheit ein.
Das Ergebnis dieser Bemühung war, daß drei Anträge abgelehnt wurden. Doch der Antrag von Jesús Martín wurde angenommen. Er sollte fünfundzwanzig Monate bedingte Freiheit erhalten und sich dann wieder den Militärbehörden stellen. Und so verließ Jesús im August 1964 das Gefängnis, nachdem er sechs Jahre und sechs Monate seiner Haftstrafe abgebüßt hatte. Aus irgendeinem Grund wurde er nie wieder einberufen.
UNGETAUFTER BEWAHRT DIE LAUTERKEIT
Nach einem Jahr in Ocaña hatte Francisco Díaz Moreno seine zweite Haftstrafe verbüßt, und im Januar 1964 wurde er vorübergehend für zwei Monate freigelassen. Er wartete nun auf seine dritte Verhandlung vor dem Militärgericht und nutzte die Zeit, sich geistig zu erbauen, bevor er in die Sahara ging. Im April 1964 wurde Francisco in das Strafgefangenenlager La Sagia überführt, das tiefer in der Wüste lag. Alberto Contijoch und Juan Rodriguez waren bereits dort. Interessanterweise hatte Juan inzwischen drei Jahre als neutraler Christ im Gefängnis verbracht und war noch kein getaufter Zeuge Jehovas. Er hatte Stellung für die biblische Wahrheit bezogen, bevor er die Gelegenheit gehabt hatte, als Symbol seiner Hingabe an Gott getauft zu werden.
In einem früheren Gefängnis war Hinterlist angewandt worden, um Juan zu veranlassen, seine Neutralität zu verletzen. Der Gefängnisgeistliche — natürlich ein katholischer Priester — teilte Juan mit, daß ein anderer Zeuge ihn besuchen und ihm die neuesten Anweisungen der Gesellschaft überbringen werde.
Und so kam auch ein junger Bursche in Matrosenuniform und stellte sich als Zeuge Jehovas vor. Juan, der Matrose und der Priester hatten gerade ihr Gespräch begonnen, als der Matrose, der sich als Zeuge Jehovas ausgab, eine Schachtel Zigaretten hervorzog und Juan eine Zigarette anbot. Als Juan den „Bruder“ fragte, welche Bücher er gelesen habe, erwähnte der Matrose Grüne Blätter und andere Titel, von denen Juan nie etwas gehört hatte. Nun, als Juan den Priester das nächste Mal allein sah, sagte er ihm, daß er in Zukunft gefälligst einen echten Zeugen mitbringen solle.
Während Francisco, Alberto und Juan in La Sagia waren und ihre Überführung nach El Aaiún erwarteten, beschlossen sie, Juan in einem der Brunnen außerhalb des Lagers zu taufen. Doch plötzlich wurde keine Genehmigung mehr erteilt, das Lager zu verlassen. Wie sollten sie jetzt die Taufe in dieser ausgedörrten Wüste vornehmen? Nun, im Lager gab es einen großen abgedeckten Wasservorrat, der eine Öffnung zum Füllen und eine zur Wasserentnahme hatte. Es waren aber nur fünfzehn Zentimeter Wasser darin.
In der Nacht vom 19. April 1964 waren die jungen Männer bereits in ihren Zelten, als sie plötzlich den Wassertransportwagen hörten. Ja, der Wassertank wurde nachgefüllt, und so würde genügend Wasser dasein, um jemanden unterzutauchen. Du hast es erraten! Nach einer kurzen biblischen Besprechung schlüpften die drei still und leise über den Sand zum Wassertank, und Juan Rodriguez wurde getauft.
AUSHARREN IN EL AAIÚN
Nach verschiedenen Erlebnissen, zum Beispiel einer Einkerkerung in Hausa, einem entfernten Außenposten in der Wüste, wurden die vier neutralen Christen — Alberto Contijoch, Francisco Díaz Moreno, Antonio Sánchez Medina und Juan Rodriguez — in El Aaiún eingesperrt. Dort gab es nicht viel Bewegungsfreiheit. Das Gefängnis war ein rechteckiges Gebäude. Die Zellentüren befanden sich gegenüber der Gefängnismauer, die mit Stacheldraht und Glasscherben gesichert war. An jeder Ecke der Mauer war eine Plattform für die Wächter angebracht, die dort mit automatischen Gewehren postiert waren. Die Zellen waren klein — zwei mal drei Meter —, und in jeder waren zwei oder drei Insassen eingesperrt. Übungen gab es nur eine Stunde vormittags und eine Stunde nachmittags. Doch die Hitze war leichter zu ertragen als an anderen Wüstenorten, da dieses Gefängnis nur etwa 25 Kilometer vom Meer entfernt lag. Daher war das Klima etwas milder.
Zunächst konnten die vier neutralen Christen predigen und Bibelstudien durchführen sowie Zusammenkünfte abhalten. Francisco war es beispielsweise möglich, mit einem jungen Mann zu sprechen, der wegen Anstiftung zum Mord zum Tode verurteilt, dessen Strafe aber später in dreißig Jahre Haft umgewandelt worden war. Eines Tages versuchte er, mit Francisco ein Gespräch anzufangen, um ihm mitzuteilen, daß ihm seine Mutter eine Bibel geschickt habe. Seine Mutter und seine Tante waren evangelisch. Francisco benutzte taktvoll diese Bibel, um ihm Zeugnis über Gottes Namen zu geben. Das Interesse des Mannes wuchs, und so richtete Francisco ein Bibelstudium mit Hilfe des Buches „Gott bleibt wahrhaftig“ ein. Schon nach wenigen Wochen wurde der junge Mann in das Gefängnis Santa Catalina in Cádiz, im Südwesten Spaniens, überführt, doch die Wahrheit wirkte bereits in seinem Herzen. Er machte weiter Fortschritte und wurde schließlich getauft. Auch seine Mutter und seine Tante sind jetzt getaufte Zeugen. Auf diese Weise fand Marcelino Martínez in der Gefangenschaft wahre Freiheit.
In El Aaiún wurden schließlich fünfzehn Bibelstudien mit anderen Insassen durchgeführt. Doch dann griffen die Behörden ein und trennten die Zeugen von den übrigen Häftlingen. Sogar ihre Übungsstunde wurde verlegt, so daß sie nicht mit den anderen in Berührung kamen. Sie sollten keine Möglichkeit mehr haben, ihre „Proselytenmacherei“ fortzusetzen.
NEUE TAKTIK
Nachdem die eingesperrten neutralen Christen vier bis fünf Jahre im Gefängnis zugebracht hatten und in offiziellen Kreisen nichts geschah, begannen sie, das Wehrrecht zu studieren, um sich besser verteidigen zu können. Zu ihrer Taktik gehörte es, an alle Minister zu schreiben, um in offiziellen Kreisen auf ihre mißliche Lage aufmerksam zu machen. Diese neutralen Christen waren praktisch zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt, wohingegen ein verurteilter Mörder schon nach sieben Jahren wieder auf der Straße sein konnte.
Eines der rechtlichen Probleme bestand darin, daß den Zeugen vor dem Militärgericht nicht gestattet wurde, eine Erklärung abzugeben, die in das Gerichtsprotokoll aufgenommen wurde. Francisco Díaz Moreno beschloß, dies zu ändern. Er hatte im Wehrrecht gelesen, daß die Schlußerklärung des Häftlings in das Protokoll aufgenommen werden sollte. Als er daher in El Aaiún vor das Militärgericht gestellt wurde, wartete er, bis der Staatsanwalt und der Verteidiger nervös ihre Auffassung vorgetragen hatten. Darauf wurde er aufgefordert aufzustehen und gefragt, ob er etwas zu erklären habe.
„Ja, hohes Gericht“, erwiderte Francisco. Dann begann er, seine vorbereitete Erklärung vorzulesen. Mehrmals versuchte der Gerichtspräsident, ihn zu unterbrechen und ihn am Weiterlesen zu hindern. Doch als er Franciscos Entschlossenheit sah, rief er ihn zur Richterbank. „Was wollen Sie eigentlich, junger Mann?“ Francisco antwortete, er wolle lediglich, daß seine Erklärung offiziell in das Gerichtsprotokoll aufgenommen werde. „Nun, wir werden einmal hineinschauen und uns mit der Sache befassen ...“ war die Antwort.
„Entschuldigung, hohes Gericht“, sagte Francisco. „Hier geht es nicht darum, einmal hineinzuschauen oder sich mit der Sache zu befassen. Ich möchte, daß meine Erklärung in das Protokoll aufgenommen wird. Wenn nicht, ist das Verfahren nicht gültig.“
Als der Gerichtspräsident erkannte, daß er dieses Argument nicht entkräften konnte, gab er nach, und Franciscos schriftliche Erklärung wurde in das Gerichtsprotokoll aufgenommen. Danach war es den neutralen Christen möglich, eine solche Erklärung während jedes Verfahrens vor dem Militärgericht in Aaiún abzulegen.
DAS MILITÄRGEFÄNGNIS IN RISCO UND SEIN KOMMANDANT
Eine der schlimmsten Strafanstalten für neutrale Christen war das Gefängnis in San Francisco del Risco auf den Kanarischen Inseln. Sein Kommandant war ein berüchtigter Offizier mit dem Spitznamen Pisamondongos, was einen Menschenschinder bezeichnet. Er freute sich an sadistischen Gewalttaten. Francisco Díaz Moreno war einige Zeit dort. Als er eintraf, stellte er fest, daß Fernando Marín und Juan Rodriguez bereits eine Anzahl Monate in diesem Gefängnis verbracht hatten.
Bald stand Francisco vor dem Kommandanten. „Sind Sie einer von Jehovas Zeugen?“ fragte dieser. „Jawohl, Herr Kommandant!“ war die Antwort. „Ein weiterer Vaterlandsverräter!“ donnerte der Kommandant, brüllte einige Worte, die man nicht wiederholen darf, und gab den Befehl, Francisco zu durchsuchen. Er hatte eine unserer Zeitschriften in der Tasche und mußte sie abgeben. Während der Wachtmeister seine Durchsuchung fortsetzte, ging der Kommandant weg, kehrte aber bald darauf zurück. Da ihm die Durchsuchung zu langsam erschien, führte er sie eilig selbst durch. Dabei übersah er jedoch die Zeitschriften, die Francisco unter einem Gürtel am Körper verborgen hatte. Auf diese Weise gelangten Exemplare des Wachtturms mit neuen Informationen über die Auferstehung ins Gefängnis.
Die drei Zeugen wurden in eine Zelle gesteckt und von den anderen Insassen getrennt gehalten. Auch wurde ihnen verboten, mit den anderen Häftlingen zu sprechen. Auf dem Hof war eine weiße Linie gezogen worden. Die anderen Häftlinge durften sie nicht überschreiten, damit sie nicht mit den Brüdern durch das Zellenfenster sprechen konnten. Einige, die versucht hatten, mit Fernando Marín während seiner vorigen neun Monate zu sprechen, waren schwer geschlagen worden. Angeblich war diese Trennung vorgenommen worden, damit die Zeugen von den anderen nicht verdorben werden konnten! Glücklicherweise sollte der Aufenthalt in San Francisco del Risco jedoch bald zu Ende gehen.
DIE VERSAMMLUNG IM GEFÄNGNIS VON CÁDIZ WÄCHST
Von den Kanarischen Inseln wurde Francisco im Oktober 1965 in das Gefängnis Santa Catalina in Cádiz geschickt. Im Laufe der Jahre war dieses Gefängnis unter Jehovas Zeugen berühmt geworden, denn dort waren ungefähr 100 Zeugen eingesperrt. Außerdem wurde es von Hunderten von Brüdern aufgesucht, die dorthin gingen, um ihre eingesperrten Glaubensbrüder zu ermutigen. Im Mai 1972 stattete sogar Grant Suiter und später Leo Greenlees, beide Glieder der leitenden Körperschaft, den Brüdern dort einen Besuch ab, und sie hatten das Vorrecht, zu dieser großen Versammlung zu sprechen. Tatsächlich war die Versammlung im Gefängnis größer als die Versammlung jener Stadt außerhalb des Gefängnisses.
Im Laufe der Jahre wiederholten die im Gefängnis Santa Catalina eingesperrten Brüder das Programm aller Kreis- und Bezirkskongresse. Bei mindestens einer Gelegenheit waren sogar Vertreter der Auslandspresse anwesend, nämlich als einer der Insassen heiratete. Die Publicity, die diesem Fall gegeben wurde, lenkte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die beklagenswerte Situation der Kriegsdienstverweigerer in Verbindung mit dem spanischen Gesetz. In diesem Gefängnis wurden mehrere Ehen geschlossen. Der erste, der dort heiratete, war Francisco Díaz Moreno. Er wurde im November 1967 in Anwesenheit eines Zivilrichters mit Margarita Mestre getraut.
Man sollte jedoch nicht denken, daß die Probleme im Gefängnis Santa Catalina nur geringfügig waren. Zum Beispiel gab es oft Blutwurst, die die Zeugen nicht essen konnten, weil sie entschlossen waren, an Gottes Gesetz hinsichtlich des Blutes festzuhalten (1. Mose 9:3, 4). Doch nachdem eine gute Gefängnisorganisation unter den Zeugen entstanden war, wurden bestimmte Arbeitsgruppen geschaffen, damit die Brüder Geld verdienen und sich annehmbare Lebensmittel kaufen konnten. Auch wurde ein Zeitplan für Zusammenkünfte, Sprachstudien und andere Tätigkeiten aufgestellt. Man traf außerdem Vorkehrungen für briefliches Zeugnisgeben, so daß jeden Monat eine Anzahl Brüder als „Ferienpioniere“ tätig sein konnten, wie sie damals genannt wurden. All diese Vorkehrungen trugen dazu bei, daß die Zeit schneller verging, während gelegentlich Hoffnungsschimmer aufleuchteten und dann wieder erloschen. Die Ungewißheit der Situation in jenen Jahren trug nicht dazu bei, die Stimmung der Brüder zu heben, obwohl sie sich schließlich an Enttäuschungen gewöhnten.
Im März 1970 wurde zum Beispiel in der Zeitung angekündigt, daß die Regierung einen Gesetzentwurf vorbereitete, um das Problem der Kriegsdienstverweigerer zu lösen und um die Situation durch neue gesetzliche Maßnahmen zu regeln. Damals wurden in vielen eingesperrten Brüdern Hoffnungen geweckt. Im September jenes Jahres wurde der Gesetzentwurf in einem Ausschuß des spanischen Parlaments debattiert. Der Ausschuß tat darauf etwas noch nie Dagewesenes. Er verwies das Gesetz an die Regierung zurück, ohne es gutzuheißen, und verlangte weitere Änderungen. Diese Nachricht war für die Brüder im Gefängnis wie eine kalte Dusche. Im Jahre 1971 versuchte die Regierung dann, ein strengeres Gesetz vorzulegen, das den extremen Elementen des Verteidigungsausschusses im Parlament genügen würde. Als die Regierung sah, wie drastisch der ursprüngliche Zweck der Gesetzesvorlage verändert worden war, zog sie sie zurück, ohne sie weiter zur Diskussion zu stellen.
DER ERSTE NEUTRALITÄTSFALL IM BASKENLAND
Unser Bericht über die ersten Jahre, in denen neutrale Christen ins Gefängnis gesperrt wurden, wäre nicht vollständig, wenn wir nicht den lauteren Wandel von Adolfo Peñacorada aus Bilbao im Baskenland und von Emilio Bayo aus Logroño erwähnen würden. Sie gingen für mehrere Jahre einen gemeinsamen Weg durch Spaniens Gefängnisse.
Am 16. März 1963 meldete sich Adolfo Peñacorada in der Kaserne von Burgos, wo sein Vater fünfunddreißig Jahre zuvor als Soldat gedient hatte. Vier Tage lang wurden keine Uniformen ausgegeben. Dann, am fünften Tag, führte Adolfo eine lange Unterredung mit dem Oberst über seine Kriegsdienstverweigerung. Als der Oberst schließlich erkannte, daß er nicht weiterkam, änderte er seine Taktik, schrie Adolfo an und befahl, ihn in den „Kerker“ zu bringen. Adolfos Kriegsdienstverweigerung wurde in den militärischen Kreisen von Burgos zum Tagesgespräch, denn die Stadt war stolz auf ihre militärische und kirchliche Geschichte. Etwas Undenkbares war geschehen — ein Mann hatte sich geweigert, in Burgos die Uniform anzuziehen!
Unter Strafandrohung wurde allen Soldaten verboten, mit Adolfo zu sprechen. Verschiedene Offiziere kamen in seine Zelle, um ihn zu einer Meinungsänderung zu bewegen, doch wenn sie weggingen, hatten sie immer etwas zum Nachdenken, da er ihnen Zeugnis gab. In seiner Zelle war ein Bibeltext zu lesen, in dem Jehova erwähnt wurde und der die Worte enthielt: „Fürchte dich nicht. Ich selbst will dir helfen“ (Jes. 41:10, 13). Der Name Jehova gab zu manch einem Gespräch Anlaß. Und Adolfo setzte tatsächlich sein Vertrauen und seine Zuversicht auf Jehova.
Im Laufe der Jahre hörte Adolfo unterschiedliche Äußerungen von verschiedenen Offizieren. Ein Leutnant zum Beispiel, der Adjutant des Obersts, sagte einmal: „Adolfo, ich muß dir sagen, daß die Mehrheit von uns genauso denkt wie ich. Wir bewundern dich. Wir haben dir das Leben unmöglich gemacht, und je schlimmer wir es dir gemacht haben, desto mehr hast du gelächelt und desto freundlicher mit uns gesprochen. ... Du erinnerst mich an die ersten Christen.“
Mit der Zeit genoß Adolfo völliges Vertrauen. Das ging sogar so weit, daß seine Zellentür offengelassen wurde und verschiedene Soldaten zu ihm hereinkamen und Fragen über die Bibel stellten. Einer sagte: „Ich würde gern die Bibel studieren. Ich habe erkannt, daß du die wahre Religion hast.“
Einer der Wächter hatte solch einen starken Wunsch, die Bibel zu lesen, daß er oft in Adolfos Zelle kam. Gleichzeitig ließ er Adolfo vor der Zelle „Wache“ stehen, für den Fall, daß jemand vorbeikommen und sie überraschen würde. So bewachte der Häftling den Wächter!
EIN NEUTRALER CHRIST AUS LOGROÑO
Im September 1963 wurde Adolfo vor das Militärgericht gestellt. Dort traf er Emilio Bayo, dessen Verhandlung zur gleichen Zeit stattfand. Sie kannten sich bereits, denn zwei Jahre zuvor waren sie unter den Zeugen gewesen, die eine Razzia der Polizei in Logroño erlebt hatten.
Als Emilio einundzwanzig Jahre alt geworden war, hatte er sich in der Kaserne von Tudela, in der Provinz Navarra, gemeldet. Zufällig war es der 16. März 1963, derselbe Tag, an dem sich Adolfo in Burgos meldete. Am darauffolgenden Tag weigerte sich Emilio, die Uniform anzuziehen und mit den Rekruten zur Messe zu gehen. Er wurde ins Gefängnis gebracht, wo er die ersten zehn Wochen verbrachte, ohne natürliches Licht zu haben und fast ohne Übungen im Freien. Sein Bett wurde jeden Morgen weggenommen und abends wiedergebracht, und er durfte mit keinem sprechen. Nur aufgrund der Freundlichkeit eines gewissen Hauptmanns gab man ihm einen Stuhl, auf dem er während des Tages sitzen konnte.
Nach den ersten zehn Wochen wurde Emilio nach Burgos überführt, wo seine Verhandlung vor dem Militärgericht stattfinden sollte. Auf der Fahrt dorthin machte er sein zehnwöchiges Schweigen wieder wett. Obwohl Emilio mit einer Hand an einen Zivilgardisten gefesselt war, gab er im Zug Zeugnis und machte von seiner Bibel so gut wie möglich Gebrauch, wenn auch eine Hand festgebunden war. Der Zivilgardist versuchte, die gefesselte Hand zu verbergen, aber Emilio zog sie hervor, damit die anderen Reisenden sehen konnten, daß er wegen seines christlichen Glaubens in Ketten war.
Die Verfahren von Adolfo und Emilio vor dem Militärgericht wurden getrennt durchgeführt. Aber das Ergebnis war das gleiche: drei Jahre und einen Tag Haft. Im November wurden sie in das Zivilgefängnis von Burgos überführt, wo sie sich unter die übliche Sorte von zivilen Delinquenten und Kriminellen aller Art mischen mußten.
Adolfo traf als erster ein, und der Gefängnisdirektor sagte ihm mit finsterer Miene: „Ich kenne euch und eure Methoden. Wenn ihr hier nur einmal versucht, eure Proselytenmacherei zu betreiben, werdet ihr in den Strafzellen verrotten.“ Glücklicherweise wurde dieser Direktor nach ein paar Tagen ersetzt, und schon nach kurzer Zeit hatten Emilio und Adolfo das Gefängnis durch ihre Predigttätigkeit auf den Kopf gestellt. Natürlich stand ihnen dazu nur die katholische Nácar-Colunga-Bibel zur Verfügung, und das reichte auch. Alles, was sie im Laufe der Woche sagten, kam dem Gefängnisgeistlichen noch vor der Sonntagsmesse zu Ohren. Doch die Brüder hatten bereits die Achtung und Bewunderung des neuen Direktors und auch der anderen Häftlinge erlangt. Daher gelang es dem Geistlichen nicht, sie vom Predigen abzuhalten, und er konnte ihnen keinen Schaden zufügen. Der Direktor war von ihnen so beeindruckt, daß er ihre Überführung nach Mirasierra empfahl — ein offenes Gefängnis unweit von Madrid.
Emilio und Adolfo traten ihre Reise in dieses neue Gefängnis im Januar 1964 an. Unterwegs mußten sie in den Gefängnissen von Avila und Carabanchel haltmachen. Schließlich trafen sie im Gefängnis Mirasierra ein.
DAS LEBEN IM OFFENEN GEFÄNGNIS MIRASIERRA
Mirasierra war eine Gruppe von Gefängnisbaracken, in denen vertrauenswürdige Häftlinge untergebracht waren, die für eine Baufirma arbeiteten, die hauptsächlich für Ausländer Villen herstellte. Dort waren die Häftlinge so gut wie frei, denn in der Arbeitszeit waren sie mit den Bauarbeitern zusammen. Für Adolfo und Emilio währte diese Unterbrechung ihrer Gefängnishaft nur kurz — genau gesagt sieben Monate. Aber es war für sie wenigstens eine Atempause. Die Arbeit war schwer, und sie fiel ihnen nicht leicht, nachdem sie fast ein Jahr lang im Gefängnis verbracht hatten und sehr wenig körperlich tätig gewesen waren.
Adolfo und Emilio nahmen jede Gelegenheit wahr, Zeugnis zu geben, und sie hatten gute Ergebnisse. Zum Beispiel konnten sie mit einem Mann ein Bibelstudium beginnen, der später ein getaufter Christ wurde. Außerdem hatten sie bald ein Wachtturm-Studium organisiert, das im Eingang eines Tunnels einer noch nicht benutzten Eisenbahnstrecke abgehalten wurde. Zu viert saßen sie auf den Schienen und erfreuten sich des interessanten Studiums.
Nach einiger Zeit erhielten Adolfo und Emilio leichtere Arbeit innerhalb der Villen. Das ermöglichte es ihnen, einigen der Eigentümer Zeugnis zu geben. Ein weiteres vortreffliches Zeugnis gab die Gruppe von Brüdern, die sie jeden Sonntag besuchte, denn die Wachmänner und die anderen Häftlinge erkannten die Liebe, die unter Jehovas Zeugen herrscht (Joh. 13:34, 35).
NACH AFRIKA
Nachdem die Haftstrafe in Mirasierra abgelaufen war, wurden Adolfo und Emilio für einen Monat freigelassen, aber angewiesen, sich nach El Aaiún in der Spanischen Sahara zu begeben. Diesen Monat Freiheit nutzten sie, um mit ihren Glaubensbrüdern Gemeinschaft zu pflegen und sich geistig zu erbauen. Nachdem sie geistig und körperlich gestärkt worden waren, begaben sie sich gegen Ende September auf den Weg in ihr neues Gefängnis in Afrika.
Als Adolfo und Emilio in El Aaiún eintrafen, erfuhren sie, daß dort bereits drei neutrale Christen — Francisco, Alberto und Juan — im Gefängnis waren, hatten jedoch keine Möglichkeit, sie zu sehen. Adolfo und Emilio waren darauf bedacht, mit diesen drei Glaubensbrüdern zu sprechen, um zu erfahren, mit welchen Streitfragen sie in dieser neuen Umgebung konfrontiert würden, besonders da es gewisse Einzelheiten geben mochte, die von ihnen schwierige Entscheidungen verlangen könnten.
Von Ei Aaiún aus wurden Adolfo und Emilio nach Hausa gesandt. Sie wußten, daß dort Antonio Sánchez untergebracht war. Nun hofften sie, wenigstens von ihm einige Auskünfte zu erhalten. Doch als sie eintrafen, war er schon abgereist — nur wenige Stunden vor ihrer Ankunft. Alles schien verloren. Sie mußten aber zum Lagerfriseur gehen, einem gewissen Benito Egea, der kurz zuvor mit Antonio Sánchez die Bibel studiert hatte. Er konnte ihnen einige nützliche Auskünfte geben. Sie setzten das Bibelstudium mit ihm fort, bis man entschied, daß sie versetzt werden sollten. Nach El Aaiún? Nein. Sie sollten nach Villa Cisneros gebracht werden, 1 000 Kilometer weiter südlich, und zwar auf einen Militärstützpunkt, wo Jehovas Zeugen noch nicht Fuß gefaßt hatten. So mußten sie nun neues Gebiet erschließen. Übrigens wurde der Lagerfriseur später getauft und diente sogar einige Jahre lang als Sonderpionier.
Am 21. Dezember 1964 setzte sich bei strömendem Regen der Konvoi von Lastwagen in Bewegung, um die Wüste zu durchqueren. Diese unbequeme Reise dauerte mehrere Tage. Nach der ersten Nacht in der Kaserne von Villa Cisneros wurden die Brüder mit der Nachricht begrüßt, daß ein Legionär einen anderen aus Eifersucht wegen homosexueller Beziehungen getötet hatte. Das war also die Welt, in der sie nun lebten. Jetzt waren sie von ihren Brüdern und von Jehovas irdischer Organisation völlig abgeschnitten und konnten niemanden um Rat fragen als nur Jehova Gott, und das taten sie auch inständig, indem sie ihn um Leitung anflehten. Unter 2 000 bis 3 000 Soldaten waren sie die einzigen, die Zivilkleidung trugen.
Emilio und Adolfo waren sich nicht sicher, ob sie immer die richtige Entscheidung trafen. Aber sie bemühten sich, Jehova wohlzugefallen, und im Februar 1965 kam ihre Neutralität offen zum Ausdruck. Das ganze Bataillon wurde zum Manöver abkommandiert, aber die beiden Brüder machten nicht mit. Der Leutnant holte sie stoßend und tretend aus der Kaserne und ließ sie in der letzten Reihe antreten. Dann kam der Befehl: „Vorwärts marsch!“ Das ganze Bataillon marschierte ab, nur zwei unbewegliche, einsame Gestalten blieben zurück, Adolfo und Emilio. Glücklicherweise behandelte sie der Hauptmann anständig und übergab sie der Wache in der Kaserne.
Bald darauf befanden sich Adolfo und Emilio in der Strafabteilung. Die zuständigen Legionäre konnten mit den Gefangenen praktisch tun, was sie wollten. Sie konnten sie sogar töten, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Als man den Brüdern befahl strammzustehen, weigerten sie sich. Der Wächter beschimpfte sie, und der verantwortliche Korporal fing an, sie zu boxen und zu schlagen. Adolfo hatte schließlich ein blaues Auge und viele blaue Flecken.
Adolfo und Emilio waren einen Monat lang in der Strafabteilung. Da sie nicht bereit waren, Arbeiten in der Kaserne zu verrichten, wurden sie jeden Tag bei Sonnenaufgang an einen Ort gebracht, der drei Kilometer entfernt war. Dort mußten sie Steine brechen und Sand graben. Da das Essen unzureichend war und für Christen oft ungenießbar, waren sie hungrig und erschöpft. Manchmal hatte ein Wächter Mitleid mit ihnen und erlaubte ihnen, in einer nahe gelegenen Höhle Schutz vor der Hitze zu suchen und etwas zu schlafen. Doch die meisten Wächter waren Tyrannen und verboten den Häftlingen, miteinander zu sprechen und etwas ohne ihre Erlaubnis zu tun.
Im April jenes Jahres kamen Adolfo und Emilio aus der Strafabteilung und fragten sich, wie lange sie wohl noch den Nervenkrieg in Villa Cisneros aushalten würden. Die körperliche Bestrafung war schon schlimm, aber die nervliche Belastung war viel schlimmer. Es war ein ständiger Kampf, an der Lauterkeit gegenüber Gott festzuhalten und in dieser gespannten militärischen Atmosphäre neutral zu bleiben. Ihre Gebete wurden erhört, als sie im Juli mit dem Flugzeug nach El Aaiún zurückgeschickt wurden, wo eine weitere Verhandlung vor dem Militärgericht stattfinden sollte, weil sie sich in Hausa geweigert hatten, die Uniform anzuziehen.
Bei ihrer Ankunft in El Aaiún stieg die Zahl der neutralen Christen dort auf sieben. Sie ahnten damals, im Jahre 1965, noch nicht, daß der erste der sieben erst 1970 freigelassen würde und daß vier von ihnen noch 1973 im Gefängnis sein würden.
Im Januar 1966 wurde die Gruppe der sieben aufgeteilt. Vier von ihnen wurden nach Cádiz in das Gefängnis Santa Catalina geschickt, und die anderen drei wurden in das Militärgefängnis von Mahón auf den Balearen eingewiesen. Auf diese Weise wurden Adolfo und Emilio nach drei Jahren gemeinsamer Haft getrennt. Emilio Bayo und Antonio Sánchez Medina wurden nach Mahón geschickt, wo sie im April 1966 eintrafen, und bald darauf kam Julio Beltrán zu ihnen. Auf ihrer drei Monate langen Reise machten sie in Cádiz, Vicálvaro, Madrid und Saragossa halt.
Die beiden Brüder erreichten Saragossa am 4. April, und am nächsten Tag sollte die Feier zum Gedenken an den Tod Jesu Christi stattfinden. Sie waren gerade dabei, Vorbereitungen für die Feier zu treffen, als sie aufgefordert wurden, sich für die Weiterreise nach Barcelona fertigzumachen. Während der Bahnfahrt baten sie die Wächter darum, ein Fläschchen Wein kaufen zu dürfen, das sie dann versteckten, falls die nächsten Wächter etwas dagegen hätten. Um 8 Uhr abends erklärten dann Emilio und Antonio den Wächtern, daß sie nun eine besondere Feier hätten und ein biblisches Thema besprechen würden. Die Wächter hatten nichts dagegen, und so feierten die Brüder das Gedächtnismahl mit einer 45minütigen Ansprache, die auch die Wächter und zwei Häftlinge, an die die Zeugen gefesselt waren, hörten. Obwohl das Eisenbahnabteil zunächst leer war, hörten gegen Ende der Ansprache vier oder fünf weitere Personen zu. Die Ansprache war gerade zu Ende, als der Zug in den Bahnhof von Barcelona einfuhr.
GEWISSENHAFTES FESTHALTEN AM GLAUBEN TRÄGT ZU GROSSEM ZEUGNIS BEI
Bei jeder Gelegenheit wurden Versuche unternommen, die Lauterkeit dieser inhaftierten neutralen Christen zu brechen. Als zum Beispiel Emilio Bayo und Antonio Sánchez Medina in Mahón eintrafen, stellten sie fest, daß ein anderer Bruder, Francisco Diez Ferrer, schon eine Zeitlang dort war. Interessanterweise hatte er ein recht freundschaftliches Verhältnis zu Korporal Bernardo Linares, erkannte aber nicht, daß dieser Mann beauftragt worden war, sich mit ihm anzufreunden und ihn dann zu veranlassen, seine Lauterkeit gegenüber Gott zu brechen. Nun, das geschah nicht. Statt dessen wurde er selbst ein Zeuge Jehovas, nachdem er längere Zeit mit Francisco und später mit Emilio und Antonio Gemeinschaft gepflegt hatte. Im Juli 1967 teilte er dem Verantwortlichen des Gefängnisses, einem Hauptmann, mit, daß er seine Uniform ausziehe und auf der Seite der Kriegsdienstverweigerer Stellung beziehe. Alle Bemühungen, ihn wieder umzustimmen, waren vergebens. Er kam in Arrest und sollte vor das Militärgericht gestellt werden, aber der Statthalter der Region Mallorca annullierte Bernardos Armeevertrag, und damit war der Fall erledigt. Er wurde in den Ruhestand versetzt und nahm den aktiven Dienst für Jehova auf.
Trotz der Schwierigkeiten, die diese neutralen Christen zu ertragen hatten, war in den spanischen Gefängnissen geistiges Wachstum zu verzeichnen. Ein Beispiel mag dies zeigen: Während die Gruppe in Cádiz wuchs, wuchs auch ihr Geistiggesinntsein. Es wurden gute Fortschritte erzielt, und die Brüder konnten sogar im Gefängnis einen Königreichssaal der Bestimmung übergeben. Das war am 5. August 1968, zwei Jahre bevor unser Werk in Spanien gesetzlich anerkannt wurde.
Es könnte noch erwähnt werden, daß einige der genannten Brüder Anfang der 1970er Jahre freigelassen wurden. Alberto Contijoch wurde 1970 nach elf Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Er war viermal zu insgesamt neunzehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Francisco Díaz Moreno kam im April 1972 aus dem Gefängnis, nachdem er elf Jahre, sechs Monate und neunzehn Tage von seinen sechsundzwanzig Jahren Haftstrafe abgesessen hatte. Juan Rodriguez wurde nach elf Jahren Gefängnis im Mai 1972 entlassen, und einige andere kamen im Februar 1974 frei. Unter ihnen waren Antonio Sánchez Medina nach zwölf Jahren Haft, Adolfo Peñacorada und Emilio Bayo nach elf Jahren und Fernando Marín nach zehn Jahren hinter Gefängnismauern.
Natürlich haben noch viele andere Brüder in Spanien als neutrale Christen im Gefängnis gelitten. Doch war diese Zeit nicht verschwendet, denn auf diese Weise erhielt ein großer Sektor der spanischen Nation Zeugnis, der sonst wahrscheinlich nichts von Jehovas Zeugen, ihren Glaubenslehren und ihrer Lauterkeit gehört hätte. Die Militär- und Strafvollzugsinstitutionen haben ein großes Zeugnis erhalten, ein Zeugnis, das alle Teile des Landes erreicht hat, da diese neutralen Christen sich in zahllosen Kasernen sowie in Militär- und Zivilgefängnissen Spaniens zu melden hatten. In die Militär- und Gerichtsakten des Landes ist somit ein Bericht der Lauterkeit und der Neutralität aufgenommen worden, und er ist ein Beweis dafür, daß Jehovas Zeugen den gerechten und friedensfördernden Grundsätzen des Wortes Gottes, der Bibel, treu sind.
Seit 1958 sind im Laufe der Jahre 825 Brüder zu insgesamt 3 218 Jahren Haft verurteilt worden, von denen sie 1 904 Jahre in Spaniens Militär- und Zivilgefängnissen abgesessen haben. Vielleicht der passendste Kommentar über diesen Bericht der Lauterkeit sind die Worte des katholischen Schriftstellers Jesús González Malvar, der unter dem Untertitel „Ein Beispiel für Katholiken“ schrieb:
„Die mutigen Zeugen Jehovas haben uns ein Beispiel gegeben, obwohl es demütigend für uns ist, dies anzuerkennen. Damit haben sie uns bestimmt das Ideal des Evangeliums vor Augen geführt. Diese tapferen Männer lassen sich durch den Verlust ihrer Freiheit nicht erschrecken, selbst wenn ihr Gefängnisaufenthalt Monat für Monat und Jahr für Jahr verlängert wird. Sie lassen sich auch nicht von dem pharisäerhaften Spott einer Gesellschaft einschüchtern, die noch weit von dem Geist der Seligpreisungen entfernt ist. ... Beschämend für unseren so bahnbrechenden Katholizismus ist die Tatsache, daß die verspotteten und verfolgten Zeugen Jehovas uns im Bekunden dieses christlichen Charismas vorangegangen sind und daß die Entschlossensten von uns nur in ihren blutbefleckten Fußstapfen gewagt haben, den gleichen Weg zu gehen. Wenn wir ehrlich und aufrichtig sind, können wir nicht leugnen, daß sie in dieser Hinsicht besser als wir den Geist des Meisters verstanden haben, der den Gebrauch der Waffen nicht einmal zur Selbstverteidigung erlaubte.“
NEUERE ENTWICKLUNGEN FÜR NEUTRALE CHRISTEN
Wie sehen die neueren Entwicklungen für neutrale Christen in Spanien aus? Nun, im Jahre 1973 wurde ein Gesetz erlassen, durch das die Haftstrafe für Kriegsdienstverweigerer auf eine einmalige Haftverbüßung von drei Jahren und einem Tag bis zu acht Jahren beschränkt wurde. Es wird also nicht mehr wie früher eine Haftstrafe nach der andern für das gleiche Vergehen verhängt, nämlich für die Bewahrung der christlichen Neutralität, die durch die Weigerung, in militärischen Organisationen zu dienen, zum Ausdruck kommt.
Der unmittelbare Nutzen dieses Gesetzes war, daß alle, die bereits mehr als drei Jahre im Gefängnis waren, freigelassen wurden. Auf diese Weise erlangten 114 Brüder ihre Freiheit. Später, am 30. Juli 1976, verkündete König Juan Carlos eine Generalamnestie, aufgrund deren 204 weitere Brüder freigelassen wurden. Welch eine unerwartete Freude war es doch für sie, gleich darauf die Bezirkskongresse „Heiliger Dienst“ zu besuchen und die dort versammelten Scharen mit ihren Erfahrungen zu erbauen, die sie in Verbindung mit ihrer christlichen Lauterkeit gemacht hatten!
Werden neutrale Christen in Spanien immer noch eingesperrt? Im Herbst 1976 gab es eine Art Moratorium für die Zwangsaushebung erklärter Kriegsdienstverweigerer, und im Dezember 1976 wurde ein Erlaß verkündet, der Personen, die den Militärdienst aus religiösen Gründen ablehnen, die Möglichkeit einräumt, statt der achtzehn Monate Militärdienst drei Jahre „Ersatzdienst“ zu leisten.
Welche Haltung haben die jugendlichen Zeugen Jehovas in dieser Frage eingenommen? Bereits über 150 junge Brüder haben ihre Ansicht zum Ausdruck gebracht, daß es Heuchelei wäre, den Militärdienst aus Gewissensgründen zu verweigern und dann an Tätigkeiten teilzunehmen, die als Ersatz für militärische Pflichten anerkannt werden. Infolgedessen befinden sie sich jetzt in Haft, und die meisten von ihnen erwarten ein Verfahren vor dem Militärgericht, weil sie den Ersatzdienst verweigert haben.
Die Militärbehörden haben darauf hart und unnachgiebig reagiert, und im Juni 1977 wurden eine Anzahl unserer Brüder zu der Höchststrafe von acht Jahren Gefängnis verurteilt. Es bleibt abzuwarten, ob die im Juli 1977 gebildete neue Regierung Schritte unternehmen wird, um diese hohen Strafen herabzusetzen und ein vernünftigeres und angemesseneres Gesetz zu erlassen.
FÜR DAS BEVORSTEHENDE WERK BESSER ORGANISIERT
Nachdem wir die Erlebnisse dieser neutralen Christen betrachtet haben, wollen wir nun das Rad der Zeit etwas zurückdrehen und den Faden unserer Geschichte im Jahre 1959 wiederaufnehmen. Damals halfen uns gewisse Entwicklungen, für das bevorstehende Werk besser organisiert zu werden.
Im April 1959 besuchte M. G. Henschel aus dem Brooklyner Hauptbüro der Watch Tower Society Spanien als Zonenaufseher. Er gab Ray Dusinberre, der damals für das Zweigbüro der Gesellschaft in Spanien verantwortlich war, guten Rat. Bruder Henschel empfahl, die Zahl der Kreise von eins auf vier zu erhöhen und die Besuche der Kreisaufseher alle vier Monate durchzuführen, damit das Geistiggesinntsein der Brüder und Schwestern gefördert werden konnte.
Damals waren in Spanien sieben Gileadmissionare tätig, darunter zwei Schwestern. Vier Missionare dienten als Kreisaufseher. Im gleichen Jahr wurde Sinforiano Barquín, der ehemalige glühende Katholik aus Bilbao, der erste spanische Kreisaufseher. Gegen Ende jenes Dienstjahres (1958/59) waren 1 293 Königreichsverkündiger mit dreißig Versammlungen in fünf Kreisen verbunden.
Tatsächlich funktionierte jede Gruppe innerhalb einer Versammlung selbst wie eine kleine Versammlung, da sie alle Zusammenkünfte durchführte. Das bedeutete, daß der Kreisaufseher jede Gruppe besuchen mußte. Wenn es nur zwei waren, dauerte sein Besuch eine Woche. Doch bei drei oder vier Gruppen dauerte der Besuch zwei Wochen. In späteren Jahren, als einige Versammlungen bis zu zehn Gruppen hatten, mußte der Kreisaufseher manchmal fünf Wochen in einer Versammlung bleiben, um allen Gruppen dienen zu können.
Bruder Henschels Zonenbesuch im Jahre 1959 war mit einer neuen und besonderen Freude für die Brüder in Spanien verbunden. In Perpignan, jenseits der Grenze in Südfrankreich, wurde ein spanischer Kongreß abgehalten, und viele Brüder erhielten finanzielle Hilfe, so daß sie diesen Kongreß besuchen konnten. Für die Brüder, die in Südspanien lebten, wurde ein anderer Kongreß in Tanger (Marokko) durchgeführt.
EINE FUNKTIONIERENDE ORGANISATION IN SCHWIERIGEN JAHREN AUFRECHTERHALTEN
In den Jahren, die jetzt zur Betrachtung stehen, erlebten Jehovas Diener in Spanien Mühsale und Verfolgung. Natürlich brauchten sie biblische Literatur, um geistig gesund zu bleiben und die Königreichsbotschaft anderen übermitteln zu können. So gingen bei verschiedenen Adressen in Madrid viele Literaturpakete ein. Da in Madrid ein verhältnismäßig großer Literaturvorrat vorhanden war, konnten von dort aus viele Schriften versandt werden, und einer der Gileadabsolventen war für diese Arbeit verantwortlich, als das „Zweigbüro“ im Jahre 1960 von Madrid nach Barcelona verlegt wurde.
Es könnte erwähnt werden, daß alle Angelegenheiten des Zweigbüros Codenamen hatten, und natürlich wußten die Brüder und Schwestern nie, wo sich das Zweigbüro befand. Der Ort, wo der Gileadbruder arbeitete, wurde als Cueva (Höhle) bekannt. Wie kam das? Weil unser geheimes Literaturlager im Keller eines Schreibwarengeschäfts untergebracht war. Um in den Keller — die „Höhle“ — zu kommen, mußte man eine Falltür öffnen und eine Trittleiter benutzen. Das eigentliche Packen der Literaturpakete wurde aber in einem engen Hinterzimmer hinter dem Ladentisch vorgenommen. In diesem winzigen Raum wurde eine kleine Versandabteilung mit einem Schrank und einem Klapptisch eingerichtet. Der Bruder arbeitete dort stundenlang, im Winter oft bei eisiger Kälte. Natürlich mußte Vorsicht geübt werden, damit die Kunden nicht erfuhren, daß dort ein Ausländer arbeitete. Er durfte sich daher nicht unterhalten und konnte es sich nicht leisten, sich sehen zu lassen, wenn Kunden im Laden waren. Er verrichtete diese Arbeit bis zum Jahre 1964, als er Kreisaufseher wurde.
Doch laß dir nun von den Verlegungen des Zweigbüros während jener schwierigen Jahre erzählen. Von 1948 bis 1957 wurde das Werk in Spanien hauptsächlich von verschiedenen Wohnungen in Barcelona aus geleitet. Wie lange eine bestimmte Adresse verwendet wurde, hing davon ab, wie intensiv die Polizei tätig war. Die Unterlagen des Zweigbüros hatten alle in einem Koffer Platz, so daß jederzeit ein schnelles Verschwinden möglich war. Solche Nacht-und-Nebel-Aktionen konnten durchgeführt werden, weil verschiedene Brüder bereit waren, das Büro trotz des großen Risikos für sie selbst in ihre Wohnung aufzunehmen.
Als Ray Dusinberre 1957 die Verantwortung als Zweigaufseher über nahm, wurde die Zentrale der Operationen nach Madrid verlegt. Doch im Jahre 1960 kam das Zweigbüro wieder nach Barcelona, weil die Polizei in Madrid zu große Schwierigkeiten machte. Zuerst war es bei einem Bruder untergebracht, dann in einer Wohnung, die die Missionare gemietet hatten. Im Frühjahr 1961 machten die Brüder in San Justo Desvern, am Stadtrand von Barcelona, eine frei stehende torre (Landhaus mit Gartenanlagen) ausfindig. Während dieses Haus in Benutzung war, erkrankte Rays Frau Jean an Tuberkulose, und die Dusinberres verließen Spanien widerwillig im Jahre 1963.
Das Haus in San Justo Desvern diente zwei Jahre lang seinem Zweck. Dann geschah etwas, was die Brüder stutzig machte. Zwei Männer, die sich als Angestellte des Elektrizitätswerks ausgaben, baten darum, die elektrischen Installationen überprüfen zu dürfen. Sie müßten die Beleuchtung jedes Zimmers überprüfen. Es gab zwar keine Beweise dafür, daß dies ein Trick der Polizei war, doch es hatte den Anschein, und so wurde das Zweigbüro wieder verlegt — diesmal in eine alleinstehende Villa auf eigenem Gelände in San Cugat del Vallés, etwa sechzehn Kilometer von Barcelona entfernt. Doch 1967 brachen Diebe ein und stahlen nicht nur Geld, sondern sahen auch das Büro. Daher beschloß man einen schnellen Wechsel des Standorts. Innerhalb von zwei Tagen wurde das Zweigbüro unauffällig in eine Wohnung nach Barcelona verlegt — an einen Ort, der als Bethelheim und Zweigbüro diente, bis der dreizehnköpfige Mitarbeiterstab des Bethels im November 1971 in das neue Zweigbürogebäude in der Calle Pardo Nr. 65 (in Barcelona) einzog. Das ist die heutige Anschrift der Vereinigung der Zeugen Jehovas in Spanien.
Sieben Jahre lang wurde die Tätigkeit des Zweigbüros in drei verschiedenen Wohnungen gleichzeitig durchgeführt, denn die Arbeit war nicht allein auf das hauptsächliche Zweigbüro konzentriert. Wie blieben die Versammlungen und die Gesellschaft miteinander in Verbindung? Nun, für die eingehende Post wurden verschiedene Adressen in Barcelona verwendet, und die Brüder dort hatten Kontakt zu einem zentral gelegenen Markt, wo mehrere Brüder arbeiteten.
Wir mußten auch beim Drucken und Versenden von Literatur vorsichtig sein. Ein Teil der Druckarbeiten wurde auf einem Vervielfältigungsapparat erledigt. Um das Jahr 1960 wurde die Versandabteilung in einen Schuppen im Hof vor Francisco Serranos Wohnung in Barcelona verlegt. Der Schuppen wurde als Nevera (Eiskammer) bekannt, weil es im Winter dort eiskalt war. Dieser Name haftete der Versandabteilung noch jahrelang an, selbst als sie später in die Wohnung einer Schwester im alten gotischen Stadtviertel verlegt worden war. Der Ort, wo das Hauptzweigbüro untergebracht war, wurde als Castillo (Kastell) bekannt, ganz gleich, wo es untergebracht war.
„NAHRUNGSVORRAT“ GESICHERT
In jenen Tagen war es uns nicht möglich, unsere biblischen Schriften legal einzuführen. Literaturknappheit war daher eines unserer großen Probleme. Doch in Übereinstimmung mit der Verheißung Jesu wurden die Treuen „zur rechten Zeit“ geistig ernährt (Luk. 12:42). Touristen aus anderen Ländern leisteten wertvolle Hilfe, indem sie Literatur nach Spanien brachten. Eine der am häufigsten benutzten Adressen war die Calle Menéndez y Pelayo in Barcelona, wo das Missionarheim mit Büro untergebracht war, für das Eric Beveridge von 1965 bis 1971 verantwortlich war. Viele der neuen Missionare verbrachten die ersten Monate in diesem Heim, um von Schwester Hazel Beveridge Spanisch zu lernen. Auch zwei Gileadveteranen, Timothy und Judith Dickmon, dienten dort eine Zeitlang, bevor sie in ein neues Missionarheim in Valencia versetzt wurden.
Dieses Heim in Barcelona wurde von vielen Touristen aus ganz Westeuropa und aus den Vereinigten Staaten besucht und mit Literatur versorgt. Obwohl die Nachbarn wußten, daß in dieser Wohnung Ausländer wohnten, waren sie überrascht, daß die Bewohner so viele Freunde aus so vielen verschiedenen Ländern hatten. Die Nummernschilder der Autos verrieten oft die Nationalität der Besucher.
Bei einer Gelegenheit stellte sich ein Bruder aus Frankreich vor, der wegen des Gewichts seines Koffers buchstäblich schwankte. Natürlich war der Koffer voller Bücher. Um bei der Abreise Argwohn zu vermeiden, tat er auf der Straße so, als würde er sich immer noch mit seinem Koffer abmühen. Natürlich war dieser inzwischen leer!
In späterer Zeit fuhren spanische Brüder nach Frankreich, um Literatur zu beschaffen. So wurde ein wöchentlicher Fahrplan mit verschiedenen Abholadressen in Perpignan ausgearbeitet. Einige Brüder fuhren mit ihrem Auto, andere mit dem Zug oder mit dem Bus. Diese Tätigkeit war in den Monaten Januar bis März besonders intensiv, denn in diesen Monaten besorgten sie die Jahrbücher. Die Brüder waren entschlossen, sich ihre geistige Speise zu beschaffen.
Von 1966 bis 1970 wurden verschiedene weltliche Druckereien beauftragt, einige unserer Schriften herzustellen. Glücklicherweise wurde unser Werk im Juli 1970 gesetzlich anerkannt, und so konnten unsere Zeitschriften ab Januar 1971 auf normalem Wege importiert werden, nachdem wir eine Importlizenz erworben hatten. Dank dieser Vorkehrung ist es möglich gewesen, große Mengen Literatur und Zeitschriften zu importieren. Jetzt treffen manchmal sogar Container von fünfzehn bis zwanzig Tonnen ein.
Erinnerst du dich an die Nevera (Eiskammer)? Das war die Versandabteilung, die wir von einem Schuppen in eine Wohnung verlegten. Lange Zeit war sie viel zu klein. Doch im Jahre 1970 war es möglich, sie wieder zu verlegen. In Barcelona wurde ein zweistöckiges Lagerhaus gemietet. Unten konnten etwa zwanzig Tonnen Literatur gelagert werden, und oben hatten wir Platz für einen Arbeitstisch und eine weitere Tonne Literatur oder Zeitschriften. Dieser Raum erhielt jeden Tag eine große Dosis Sonnenschein und war ein ziemlicher Gegensatz zu der alten Nevera. Daher wurde der neue Ort el Solarium genannt, was man mit „das Sonnenhaus“ übersetzen könnte.
Als 1972 das neue Bethelgebäude fertiggestellt wurde, wurde in der ersten Etage die Versandabteilung eingerichtet. Nun hatten wir Platz für mindestens 100 Tonnen Literatur und auch Raum genug zum Arbeiten. Als im Juni 1972 der erste Container mit Literatur eintraf, verursachte dies in der ganzen Straße ziemliches Aufsehen, und sogar die Nachbarn machten große Augen, als sie sahen, was dort vor sich ging. Viele hatten noch nie zuvor eine Rollenrampe gesehen. Diese hier ist 27 Meter lang — lang genug, um die Kartons vom Container bis zum hintersten Ende der Versandabteilung zu befördern. Wenn in jenen Tagen ein Container eintraf, halfen die meisten Brüder aus dem Büro beim Entladen, da nur sehr wenige Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Gemeinsam schafften sie es in weniger als zwei Stunden.
Dieser kurze Rückblick zeigt deutlich, daß Jehova immer reichlich Vorkehrungen in geistiger Hinsicht getroffen hat. Zwar war es jahrelang schwer, in Spanien christliche Literatur zu beschaffen, doch Jehovas Hand war nicht zu kurz, und er segnete uns stets mit reichlich geistiger Speise zur rechten Zeit.
DER GEIST DER INQUISITION LEBT WIEDER AUF
Der Geist religiöser Unduldsamkeit, der während der spanischen Inquisition herrschte, lebte in Verbindung mit Jehovas christlichen Zeugen wieder auf. Unter anderem wurden sie fälschlich beschuldigt, Freimaurer zu sein oder von diesen finanziert zu werden — in einem katholischen Land ein schwerer Vorwurf. In der Zeit von 1958 bis 1960 vertrat die Polizei in Granada solche Ansichten. Sie stellte Gottes Dienern unnachgiebig nach.
Man betrachte zum Beispiel, was Manuel Mula Giménez erlebte, ein Sonderpionier, der im Oktober 1958 nach Granada gesandt wurde. Am 5. Oktober 1960 hatte Manuel gerade ein Bibelstudium beendet und stand nun an einer Straßenecke und unterhielt sich mit einigen Glaubensbrüdern, als ein Geheimpolizist an ihn herantrat und ihn aufforderte, seine Büchertasche zu öffnen. Natürlich fand der Polizist biblische Schriften und beschuldigte ihn, das polizeiliche Verbot des Predigtwerkes übertreten zu haben. Nachdem er die Namen der anderen Brüder notiert hatte, forderte er Manuel auf, ihn zur Polizeiwache zu begleiten. Manuel erzählt: „Als ich ihn daran erinnerte, daß der einzige Anlaß für meine Verhaftung darin bestehe, daß ich mich mit Freunden auf der Straße unterhalten hätte, und wissen wollte, weshalb ich eigentlich verhaftet worden sei, wurde er so wütend, daß er zu mir sagte: „Ich habe Sie verhaftet, weil ich dieses Abzeichen trage und weil ich eine Pistole bei mir habe, mit der ich Ihren Kopf durchlöchern kann. Darauf zog er seine Pistole und zielte auf mich. Das war mitten auf einer der Hauptstraßen von Granada.“
Manuel wurde in das Gebäude der Zivilverwaltung gebracht und des Vergehens beschuldigt, andere über die Bibel belehrt und „Broschüren und Lesetexte auf solche Weise verbreitet zu haben, daß er vorsätzlich die katholische Religion beleidigte, die Dogmen, Riten und Zeremonien mit Füßen trat und offen die Abschaffung der nationalen Traditionen befürwortete“.
Manuel wurde zu einstweiliger Gefängnishaft verurteilt, bis er eine Kaution von 50 000 Peseten (833 Dollar) zahlen könnte. Da er eine solch übertriebene Kaution nicht aufbringen konnte, wurde er dreiundvierzig Tage im Gefängnis festgehalten. Zwanzig Tage verbrachte er in Einzelhaft, und danach wurde ihm unter Strafandrohung verboten, mit irgend jemandem über seine Religion zu sprechen.
Der Gefängnisgeistliche, ein katholischer Priester, dessen Aufgabe es war, den Häftlingen geistigen Trost zu spenden, sorgte dafür, daß Manuel keinen Beistand erhielt. Dieser Priester ließ die einzige Bibel aus der Gefängnisbücherei entfernen, und als ein anderer Häftling Manuel ein Exemplar der Evangelien gab, wurde es ihm weggenommen. Die Gefängniswärter schrien Manuel ständig an und versuchten, ihm das Leben unerträglich zu machen. Kein anderer Häftling wurde so behandelt wie er. Und wer war der Anstifter? Niemand anders als der Gefängnisgeistliche.
Diese Verfolgung brachte unser Werk in Granada ebensowenig zum Stillstand wie in anderen Orten. Am 18. November 1960, als Manuel freigelassen wurde, schrieb er an das Zweigbüro der Gesellschaft einen Brief, in dem es auszugsweise hieß: „Es freut mich, Euch mitzuteilen, daß ich jetzt — Jehova sei Dank — frei bin, auch daß ich nach meiner Freilassung festgestellt habe, daß sich die Versammlung an guter theokratischer Tätigkeit beteiligt. ... Ein hiesiger Studienleiter konnte alles auf organisierte Weise regeln.“ Dieser Gruppenstudienleiter wurde übrigens später ein Aufseher der Versammlung in Granada.
MISSIONAR VERHAFTET
Im März 1960 besuchte ein Missionar die Versammlung Madrid-Usera als Kreisaufseher, und Bruder Patricio Herrero bat ihn, in Villaverde zu arbeiten, einem Ort, der nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt liegt. Obwohl ein Ausländer in dieser Gegend Verdacht erregen konnte, schien die Vereinbarung sicher genug zu sein, da man bei Personen, die bereits Interesse an der biblischen Wahrheit gezeigt hatten, Bibelstudien einrichten wollte. Doch die Schwierigkeiten begannen, sobald der Missionar Villaverde betreten hatte.
Obwohl Patricio vorsichtig war und sich von der Bushaltestelle fernhielt, als der Kreisaufseher eintraf, sah später einer der Spione des Ortspriesters die beiden zusammen zu einem Rückbesuch gehen. Die Brüder begannen ein Bibelstudium bei einer herzkranken Frau. Doch gerade als sie fortgehen wollten, sah der Missionar von einem Fenster aus, daß eine große Schar Frauen am Eingang des Hauses stand. Die Brüder sagten der Wohnungsinhaberin nichts davon, da sie sie, nicht unnötig beunruhigen wollten.
Die Geheimpolizei begann, an jeder Tür zu klopfen, um die beiden Zeugen zu finden. Schließlich klopfte es an der Tür der Wohnung, in der der Rückbesuch durchgeführt wurde. Die Wohnungsinhaberin schickte ihr vierjähriges Töchterchen an die Tür. „Sind hier zwei Männer mit Büchertaschen?“ fragte ein Polizist schroff. In aller Unschuld antwortete die Vierjährige: „Hier sind nur zwei Bekannte meiner Mutter.“ Darauf gingen die Polizisten weiter.
Der Rückbesuch wurde ausgedehnt, bis es schien, daß es sicher war, das Haus zu verlassen. Die Brüder beschlossen, entlang der Eisenbahnstrecke zu Fuß zu gehen, da die Polizei bestimmt an der Bushaltestelle warten würde. Doch als sie die Schienen erreicht hatten, warteten dort schon Polizisten auf sie. Sie wußten, daß sie ihre Beute früher oder später fangen würden, wenn sie die Straße und die Eisenbahn kontrollierten. Bevor der Missionar nur ein Wort gesagt hatte, fragten sie: „Sie sind doch ein Ausländer, nicht wahr?“ Offensichtlich erkannten sie dies an seiner Statur, da er über 1,80 Meter groß war.
Während die Brüder auf der Polizeiwache saßen und warteten, ging plötzlich für einen Augenblick die Tür auf, und sie sahen einen Mann, der mit dem Kopf nickte. Das war der Spion des Priesters, der die Anzeige erstattet hatte, und jetzt waren die Brüder eindeutig identifiziert. Darauf begann das durchtriebene Spiel der Polizei, sich die gewünschten Informationen zu beschaffen. Doch die beiden Brüder waren entschlossen, den Namen der Frau, mit der sie über die Bibel gesprochen hatten, nicht zu verraten.
VERHÖR DER POLIZEI — EINE WERTVOLLE ERFAHRUNG
Als die Polizei nicht die gewünschten Antworten erhielt, wurde ein „harter“ Polizist eingesetzt, der versuchen sollte, die Informationen durch Gewalt oder Drohungen zu beschaffen. Er beschuldigte die Brüder, nach Villaverde gekommen zu sein, um eine Bombe zu legen, und behauptete, ihr Schweigen beweise ihre Schuld. Sie hielten jedoch ihre Stellung, und der Missionar bat ständig darum, daß man ihm erlauben möge, sich mit der amerikanischen Botschaft in Verbindung zu setzen. Das wurde ihm aber nicht gestattet.
Als die harte Taktik nicht die gewünschten Ergebnisse zeitigte, wandte die Polizei als nächstes die Taktik der Täuschung an. Ein anderer Geheimpolizist kam herein und machte dem „harten“ Polizisten Vorwürfe wegen seiner bösartigen, niederträchtigen Methoden. Das alles gehörte natürlich zur Taktik der Polizei, und so zog sich der „harte“ Polizist grollend zurück. Darauf begann der neue mit Schmeichelworten. „In letzter Zeit hat es hier wirklich Bombendrohungen gegeben“, sagte er, „und wir sind lediglich an einer Bestätigung Ihrer Aussagen interessiert, da wir Sie nicht kennen. Uns ist hier am Ort auch keine herzkranke Frau bekannt, wie Sie sie beschreiben. Wenn es wirklich stimmt, daß Sie nur eine Bekannte besucht haben, die sich für die Bibel interessiert, werden Sie sofort freigelassen. Sie können uns jedoch nicht vorwerfen, mißtrauisch zu sein, wenn Sie behaupten, Sie hätten etwas Harmloses getan, was kein Vergehen sei, und sich dann aber weigern, die Informationen zu geben, die Sie jedes Verdachts entheben würden.“
Nachdem er seine Schmeichelrede eine Zeitlang fortgesetzt hatte, wurde vereinbart, daß nur dieser „freundliche“ Polizist Patricio zu dem Haus begleiten würde, in dem sie die Frau besucht hatten, damit die Wahrheit bestätigt werden könne, und daß man der Wohnungsinhaberin nichts sagen werde. Der Polizist würde sich nur vergewissern, daß sie wirklich herzkrank sei.
Sobald die beiden fort waren, wurde der Missionar eilig zum Amt für allgemeine Sicherheit gebracht, das im Stadtzentrum von Madrid lag. Als er dagegen protestierte und verlangte, auf Patricios Rückkehr und die Bestätigung der Aussagen zu warten, gab die Polizei höhnisch zurück, daß auch Patricio bald dorthin gebracht werde. Die Lügen und Täuschungen der Polizei hatten Erfolg gehabt, und die vertrauensseligen Brüder waren in ihre Falle gegangen — eine Lektion, die der Missionar nie vergessen würde. Später erfuhren die Brüder, daß die Frau, die sie besucht hatten, von der Polizei heftig schikaniert und beschuldigt worden war, die Brüder bei der Hausdurchsuchung wissentlich bei sich verborgen zu haben. Aus Furcht lehnte sie es ab, weiter besucht zu werden.
Im Amt für allgemeine Sicherheit wollte man hauptsächlich wissen, wo der Missionar wohnte. Über seine Religion wurde keine Frage gestellt; die Polizei sah auch nicht in seine Büchertasche, in der sowieso nur eine katholische Bibel war. Trotzdem wurde er bald darauf aufgefordert, sich wieder zu melden, und wurde gebeten, das Land zu verlassen. Darauf erwiderte er, daß er dieser Aufforderung nicht nachkommen werde. Doch teilte man ihm mit, wenn er das Land nicht freiwillig verlasse, würde seine Ausreise erzwungen. „Eine Erfahrung, die sowohl für Sie als auch für uns sehr unangenehm wäre“, sagte der Polizeikommissar.
Nach dem Grund für die Ausweisung gefragt, antwortete der Kommissar nur mit allgemeinen Worten. Er sagte, man könne aus drei Gründen aus einem Land ausgewiesen werden — aus politischen, sozialen oder „religiösen“. „Sie wissen“, sagte der Kommissar, „daß es in Spanien nur zwei Arten von Personen gibt — Katholiken und Ungläubige —, und etwas anderes können wir nicht dulden.“ Folglich zog dieser Missionar am 6. Juni 1960 nach Perpignan (Frankreich), doch in der Hoffnung, eines Tages wieder nach Spanien zurückkehren zu können, da er das Land „freiwillig“ verlassen hatte. Tatsächlich kehrte er drei Monate später nach Spanien zurück und diente einige Jahre als Zweigaufseher. Das Verhör erwies sich als eine wertvolle Erfahrung und diente später als Grundlage für einen Programmpunkt in einer Dienstzusammenkunft, der zeigte, wie die Brüder bei Verhören vorgehen sollten. Er bereitete sie auf die Täuschungsmanöver der Polizei vor und half ihnen zu vermeiden, die Königreichsinteressen oder ihre Glaubensbrüder zu verraten. Jetzt konnten sie wirklich die Ermahnung Jesu Christi anwenden: „Siehe! Ich sende euch aus wie Schafe inmitten von Wölfen; darum erweist euch vorsichtig wie Schlangen und doch unschuldig wie Tauben“ (Matth. 10:16).
EINLADUNGEN ZUR GILEADSCHULE
Im Laufe der Jahre haben eine ganze Anzahl Absolventen der Wachtturm-Bibelschule Gilead in Spanien gedient, und wir sind durch ihre ausgezeichnete Tätigkeit gesegnet worden. Im Jahre 1958 jedoch besuchte der Pionier José Cejudo als erster Bruder aus Spanien die Gileadschule. Er wurde später nach Argentinien geschickt.
Anfang 1961 besuchte Salvador Adriá mit seiner Frau Margarita Comas die Gruppe in Torralba de Calatrava als Kreisaufseher. Eines Tages brachte der Postbote einen ziemlich dicken Brief, und Salvador ging ins Haus, um ihm allein zu lesen. Als nächstes hörte Margarita einen Schrei: „Eine Einladung nach Gilead!“ Seit Monaten hatten sie Englisch gelernt und auf diesen Tag gewartet. Doch dann kam ein Schlag. Salvador war allein zu einem besonderen zehnmonatigen Kurs eingeladen worden. Sofort dachte Margarita an den spanischen Refrain: „Mi gozo en un pozo.“ Das heißt: „Meine Freude ist in den Brunnen gefallen.“
Im Sommer jenes Jahres besuchten die Adriás den internationalen Kongreß des Volkes Gottes in Paris. Dort hörten sie eine Ansprache darüber, daß in gewissen Gebieten Spaniens, in denen unser Werk noch nicht begonnen hatte, dringend Hilfe benötigt wurde. Margarita beschloß, das Zweigbüro zu bitten, ihr eines dieser Gebiete zuzuteilen, während ihr Mann auf der Gileadschule war. Am Ende des Kongresses sprachen die beiden mit M. G. Henschel. Er sagte Margarita, sie könne mit ihrem Mann für drei Monate nach London gehen, um ihr Englisch zu vervollkommnen, und wenn sie gute Fortschritte mache, würde sie mit Salvador nach Gilead eingeladen werden. Von Gefühlen und Überraschung überwältigt, fiel Margarita fast in Ohnmacht.
So kam es, daß die Adriás nicht nach Spanien zurückkehrten, sondern für drei Monate ins Londoner Bethel gingen. Dort schlossen sie ihr Sprachstudium ab, und im November 1961 brachen sie nach New York auf, wo sie die Gileadschule besuchen sollten. Später kehrten die Adriás als das erste auf Gilead ausgebildete spanische Ehepaar nach Spanien zurück.
Heute dienen neunundsechzig Absolventen der Gileadschule in verschiedenen Teilen Spaniens. Ihre Tätigkeit wird sehr geschätzt, und sie sind für ihre spanischen Brüder und Schwestern eine Ermunterung.
ANGRIFFE DER POLIZEI IN GALICIEN
Eine andere Region, in der Jehovas Zeugen verfolgt wurden, ist Galicien. Gegen Ende 1960 wurden Francisco Córdoba und seine Frau Margarita Roca zu einer Geldstrafe von je 1 000 Peseten (etwa 20 Dollar) verurteilt, weil sie in La Coruña (Galicien) als Sonderpioniere seit 1958 Proselytenmacherei betrieben hätten. Tatsächlich waren sie nicht beim Predigen von Haus zu Haus ertappt worden, auch hatte kein Bürger aus dieser Gegend Anzeige erstattet. Die Polizei ergriff von sich aus die Initiative gegen sie. Ihr Einspruch gegen die Geldstrafen wurde zurückgewiesen.
Während dieser Zeit wurden unsere Zusammenkünfte auf einem Bauernhof in Joane abgehalten, doch unter größten Vorsichtsmaßnahmen. Da mit dem Bauernhof ein Geschäft verbunden war, kamen und gingen die Kunden zu jeder Tages- und Nachtzeit. Unsere Zusammenkünfte wurden daher in einem hórreo abgehalten — ein schmales, rechteckiges Gebäude, wie es für Galicien typisch ist, das als Getreidespeicher dient. Die Zusammenkünfte begannen um 22 oder 23 Uhr und gingen erst nach Mitternacht zu Ende. Jedesmal, wenn jemand kam oder ging, wurden die Lichter gelöscht, damit man auf einem benachbarten Bauernhof nicht merkte, daß Leute ein und aus gingen. Einige Brüder mußten, nachdem sie den ganzen Tag auf dem Feld gearbeitet hatten, 22 Kilometer mit dem Fahrrad fahren, um zu den Zusammenkünften zu gelangen. Die Sonderpioniere Francisco Córdoba und Jesús Arenas mußten auf der Hin- und Rückfahrt insgesamt 77 Kilometer zurücklegen, um die Gruppe zu besuchen und die Zusammenkünfte zu leiten.
Im Dezember 1961 tauchte die Polizei auf dem Bauernhof auf, wo Ramón Barca und seine Frau Carmen sowie ihr Bruder Jesús Pose gerade ihrer täglichen Arbeit nachgingen. Ohne Durchsuchungsbefehl durchstöberte die Polizei das Bauernhaus und beschlagnahmte die gefundenen Schriften, darunter eine Nácar-Colunga-Bibel. Die drei Zeugen wurden festgenommen und in Carballo, einem Nachbarort, zehn Stunden lang verhört. Zwei Tage später mußten sie vor dem Richter erscheinen, der zugab, daß sie ihre Religion privat zu Hause ausüben könnten. Doch er vertrat die Ansicht, daß sie sich an nichts beteiligen durften, was einer öffentlichen Kundgebung ihres Glaubens gleichkam. Drei Wochen später wurde das Urteil bekannt: eine Geldstrafe von je 500 Peseten. Die Geldstrafen wurden aber nicht bezahlt, da wir die Taktik verfolgten, gegen Geldstrafen Berufung einzulegen, statt sie zu bezahlen, und so zu versuchen, durch das Gesetz zu unserem Recht zu kommen.
In seinen Berichten an den Provinzstatthalter vermerkte der Polizeipräsident, daß das Verhalten der Familie „in jeder Hinsicht vorteilhaft“ sei und daß „keine unvorteilhafte Vergangenheit festzustellen“ sei. Ramón Barca werde „von der Guardia Civil als eine ordentliche Person eingestuft“, die „in Harmonie mit dem Regime“ sei. Er fügte hinzu, die drei seien zwar Zeugen Jehovas, doch es sei „sehr gut möglich, daß sie ihre Proselytenmacherei nicht im Dorf betrieben haben, da es wahrscheinlich schwierig ist, in unserer Gegend, in der der katholische Glaube so tief verwurzelt ist, Mitglieder zu finden“. Er sagte, die Zeugen würden sich daher möglicherweise „darauf beschränken, bei sich zu Hause privat biblische Kommentare zu lesen“. Es wurde jedoch erwähnt, daß das Ehepaar häufig einen Zeugen in der Hauptstadt La Coruña besucht habe. Aufgrund dessen nahm man an, daß sich die beiden des Vergehens der Bedrohung der rätselhaften „geistigen Einheit Spaniens“ schuldig gemacht hatten.
Bezüglich des beschlagnahmten biblischen Studienmaterials vermutete die Polizei: „Es ist anzunehmen, daß sie es unter ihren Freunden oder unter zukünftigen Mitgliedern der erwähnten Sekte verbreiten wollten.“ Somit diente die vermutete Absicht zu einer Tat als Grundlage für eine Anklage. Während der Hausdurchsuchung waren einige Adressen von Personen gefunden worden, die „zweifellos im Rahmen ihrer Proselytenmacherei besucht wurden“, obwohl „nicht anzunehmen ist, daß diese Tätigkeit einen großen Widerhall findet“, schloß der Polizeipräsident. (Kursivschrift von uns.)
Trotz dieses verhältnismäßig günstigen Berichts wurden Geldstrafen verhängt. Aus der offiziellen Benachrichtigung ging auch der Grund hervor. Der Provinzstatthalter rechtfertigte seine Maßnahme, indem er schrieb: „Nicht nur der neue Bericht des übergeordneten Polizeipräsidiums wurde berücksichtigt, sondern auch der Inhalt eines vertraulichen Rundschreibens des Innenministeriums ..., in dem vor der Tätigkeit der Sekte ,Jehovas Zeugen‘ gewarnt wird, der die drei Bestraften angehören.“ Das erwähnte vertrauliche Rundschreiben war das vom März 1961, in dem die Statthalter angewiesen wurden, Jehovas Zeugen Geldstrafen von mindestens 2 500 Peseten aufzuerlegen. Vom Standpunkt des Provinzstatthalters aus kamen die Zeugen mit einer Geldstrafe von nur 500 Peseten noch gut davon.
Gegen das Urteil wurde vor dem Obersten Gerichtshof Berufung eingelegt. Es wurde jedoch beschlossen, den Fall unter Ausschluß der Öffentlichkeit und in Abwesenheit der Angeklagten und der Rechtsanwälte zu behandeln. Am 27. Juni 1964 entschied das Gericht, daß sich die drei Angeklagten schuldig gemacht hätten, die „geistige Einheit Spaniens“ zu bedrohen. Das Gericht gab zwar zu, daß die spanische Verfassung die private Ausübung nichtkatholischer Religionen gestatte, kam aber zu dem Schluß, daß die Beweise ausreichten, um nachzuweisen, daß die drei Zeugen Proselytenmacherei betrieben und der geistigen (katholischen) Einheit der Nation geschadet hätten.
CÓRDOBAS MITTELALTERLICHE MENTALITÄT
Ein anderer Brennpunkt der Verfolgung war Córdoba, eine Stadt von damals etwa 200 000 Einwohnern, die in Andalusien, in Südspanien, liegt. Die Stadt hat eine große maurisch-arabische Tradition, da sie jahrhundertelang von den Mauren besetzt war. Eines der berühmtesten Gebäude ist die Mezquita (Moschee), die in eine katholische Anbetungsstätte umgewandelt worden ist. Dieses Bauwerk ist eines der größten religiösen Gebäude der Welt. Es ist 180 Meter lang und 130 Meter breit und besteht aus neunzehn Schiffen. Die vielen Bogen des Gebäudes werden von 850 Säulen gestützt. In derselben Stadt ist eine jüdische Synagoge erhalten geblieben, die aus einer Zeit stammt, in der dort religiöse Duldsamkeit geübt wurde. Wie anders war doch das Córdoba der 1960er Jahre!
Unter den christlichen Zeugen Jehovas, die Anfang der 1960er Jahre in Córdoba verfolgt wurden, waren die Pioniere Manuel Mula und Antonio Moriana. Sie waren im Februar 1961 nach Córdoba gesandt worden. Eines Tages kamen zwei Polizisten und brachten sie zur Polizeiwache. Sie nahmen auch einen kleinen Vorrat älterer Schriften mit. Auf der Polizeiwache wurden die Brüder verhört, doch die Polizei brachte keine nützlichen Informationen aus ihnen heraus. Daher fing man an, die Brüder zu schlagen, zuerst mit der Hand und dann mit einem Gummiknüppel. Man schlug sie auf den Rücken und auf die Beine. Manuel hatte schließlich ein blaues Auge, aber die Polizei erhielt dennoch keine aufschlußreichen Informationen.
Von der Polizeiwache wurden die Pioniere ins Gefängnis gebracht, wo sie vier Tage lang festgehalten wurden. Dann wurden sie davon unterrichtet, daß Antonio innerhalb von zehn Tagen eine Strafe von 2 000 Peseten zahlen müßte und Manuel eine von 5 000 Peseten. Manuel wurde aufgefordert, die Provinz zu verlassen. So war er nach kurzer Zeit wieder in Barcelona und wartete auf eine neue Zuteilung. Trotz dieser Erfahrung war es Antonio Moriana jedoch möglich, seine Tätigkeit in Córdoba bis zum Mai 1962 fortzusetzen.
Die eben erzählte Erfahrung ist typisch. Tatsächlich mußten eine ganze Anzahl Pioniere Córdoba aufgrund des Drucks, den die Polizei ausübte, verlassen. Doch in Wirklichkeit stand die Polizei selbst unter Druck, nämlich unter dem Druck der Geistlichen, der Feinde der treuen Diener Jehovas.
Wegen der ständigen Gefahr, ergriffen und aus Córdoba ausgewiesen zu werden, wurde unsere Tätigkeit dort wie in allen anderen Teilen Spaniens mit äußerster Vorsicht durchgeführt. Keine unserer Schriften wurde im Dienst von Haus zu Haus angeboten, ja sie wurden noch nicht einmal mitgenommenen. Die Schriften wurden bei Rückbesuchen abgegeben, wenn Personen wirklich Interesse bekundeten. Statt in einer Straße von Tür zu Tür zu arbeiten, wurden im ganzen Gebiet vereinzelte Besuche gemacht, und es wurden niemals zwei Gebäude nacheinander bearbeitet. Ja, auf diese Weise fiel es der Polizei sehr schwer, die Zeugen ausfindig zu machen, während sie ihr Gebiet bearbeiteten.
Auch wurde im Predigtwerk nur die katholische Bibel benutzt. Aber selbst diese wurde als eine gefährliche Waffe in den Händen der Zeugen Jehovas betrachtet. Die Geistlichkeit übte Druck aus, wo immer sie konnte, und ermutigte die Behörden, jedem nachzustellen, der mit den Zeugen studierte. Manchmal war die Polizei ein williges Werkzeug, aber bei anderen Gelegenheiten machte sie nur unwillig mit. Das hing natürlich von der Stadt oder der Provinz ab. In Córdoba war die Polizei ein williges Werkzeug.
EIN SCHÄNDLICHER ANGRIFF
Einer der schändlichsten Angriffe auf Jehovas Zeugen fand Mitte 1962 auf dem Bauernhof Los Lastres in der Nähe von Lucena, im südlichen Teil der Provinz Córdoba, statt. Die Familie Montalbán hatte die Wahrheit angenommen und angefangen, ihren Nachbarn auf den umliegenden Bauernhöfen zu predigen. Bald wurden christliche Zusammenkünfte organisiert, und zwanzig bis dreißig Personen nahmen daran teil.
Am 28. Mai kam ein sehr ungehobelter Wachtmeister der Guardia Civil zusammen mit einem anderen Gardisten auf den Bauernhof der Montalbáns. Der Wachtmeister verlangte, den Vater zu sprechen, und drohte, ihn ins Gefängnis zu stecken, wenn das Bibelstudium auf dem Bauernhof nicht eingestellt werde.
Vier Tage später, am 1. Juni, tauchten ein Hauptmann, ein Wachtmeister und zwei andere Polizisten auf dem Hof auf. Sie redeten etwas von einer „anonymen Anzeige“ wegen politischer Aktivitäten und verlangten die Namen all derer, die den Hof besuchten, um die Bibel zu studieren, von denen die meisten Angehörige der Familie waren. Unklugerweise und aus Mangel an Erfahrung gaben die Brüder die Namen bekannt. Als nächstes wurde der Bauernhof durchsucht, ohne daß die Zivilgardisten einen Durchsuchungsbefehl hatten. Darauf gingen sie zu einem anderen Bauernhof, und obwohl der Besitzer, der die Bibel studierte, nicht zu Hause war, durchsuchten sie sein Haus und nahmen einige unserer Schriften mit.
Bei dieser Gelegenheit wurde das einzige Glied der Familie, das getauft war, Juan Montalbán Ortega, offen beleidigt und beschuldigt, in wilder Ehe zu leben, da er in Gibraltar unter britischem Gesetz geheiratet hatte, statt sich in Spanien katholisch trauen zu lassen. Der Hauptmann schrieb einen Bericht über seinen Besuch und forderte alle Anwesenden auf, ihn zu unterzeichnen. Wieder gingen sie aus Mangel an Erfahrung in eine Falle, und 28 von ihnen unterschrieben die Erklärung. Sie bestanden jedoch darauf, folgende Worte hinzuzufügen: „Wir studieren die Bibel, da sie das inspirierte Wort Gottes ist, und in der Bibel heißt es, daß man es predigen und bekanntmachen muß, damit alle Nationen ein Zeugnis zur Rettung erhalten, und dann wird das Ende kommen. Matthäus 24:14.“
Am 15. Juni erlegte der Zivilgouverneur von Córdoba diesen einfachen Landleuten eine Geldstrafe von insgesamt 40 000 Peseten (666 Dollar) auf. Zwölf Personen wurden bestraft, und die Geldstrafen reichten von den im Rundschreiben des Innenministeriums empfohlenen 2 500 Peseten bis zu einer Höchststrafe von 5 000 Peseten, mit der vier von ihnen belegt wurden. Es wurde ihnen wie üblich vorgeworfen, „durch ihre Proselytenmacherei zugunsten der Sekte der Zeugen Jehovas die geistige Einheit Spaniens zu bedrohen“.
Diese Gruppe von interessierten Personen wollte gegen das Urteil Berufung einlegen. Daher fuhren der Vater, Antonio Montalbán, und sein Sohn Juan in die Hauptstadt Córdoba, um einen Rechtsanwalt zu suchen, der sie verteidigen würde. Zur Schande der Rechtsanwälte dieser Stadt war keiner von ihnen bereit, die Verteidigung zu übernehmen oder irgendwelche Hilfe zu leisten. Daher taten sie ihr Bestes gemäß ihrer begrenzten Kenntnis des Gesetzes, hinterlegten ein Drittel des Gesamtwertes der Geldstrafen und legten im Namen aller zwölf Angeklagten Berufung ein. Es hatte ihnen jedoch niemand gesagt, daß sie eine von einem Notar beglaubigte gesetzliche Befugnis brauchten, um für die anderen zehn Personen Berufung einzulegen. Wegen dieses technischen Fehlers wies der Zivilgouverneur die zehn Berufungsklagen zurück, behielt aber das hinterlegte Geld. Somit war nur die Berufung des Vaters und des Sohnes gültig, die in die Stadt gefahren waren. Diese beiden Berufungen wurden vom Zivilgouverneur und vom Innenministerium zurückgewiesen, doch da sie gültig waren, konnten sie vor den Obersten Gerichtshof gebracht werden. Die beiden Einsprüche endeten jedoch mit einer Niederlage für die Brüder und für die Freiheit der religiösen Äußerung.
Trotz der Rückschläge während der Jahre der Verfolgung ist es ermutigend zu sehen, daß es in Córdoba jetzt vier blühende Versammlungen mit etwa 350 Verkündigern und in der Provinz acht weitere Versammlungen gibt, darunter eine in Lucena, nicht weit von dem Bauernhof Los Lastres entfernt.
FORTGESETZTE VERFOLGUNG ERTRAGEN
Diese ständige Verfolgung der christlichen Zeugen Jehovas in Spanien zeigte, daß die Polizeibehörden die Rundschreiben, die das Innenministerium in den Jahren 1959 bis 1966 versandte, beherzigten. Pioniere in Córdoba, San Sebastian, Jaén, Castellón de la Plana und Murcia sowie eine Gruppe von fünf Verkündigern in Ciudad Real wurden verhaftet, willkürlich ins Gefängnis gesteckt und mit Geldstrafen belegt. In den meisten Fällen wurde die Mindeststrafe von 2 500 Peseten gefordert, obwohl sie nie freiwillig bezahlt wurde. Das muß klargestellt werden. Wenn nämlich Fälle vor den Obersten Gerichtshof gebracht wurden, mußte der geforderte Geldbetrag im voraus hinterlegt werden, und wurde der Prozeß verloren, war auch das Geld automatisch verloren. Wurde der Prozeß dagegen gewonnen, konnte das Geld zurückgefordert werden. Es dauerte allerdings gewöhnlich viel länger, das Geld zurückzuerhalten, als die vom Gesetz geforderte Mindestzeit der Hinterlegung.
Es war nicht leicht, Rechtsbeistand zu erhalten. Man beachte zum Beispiel, was zwei jungen Sonderpionierinnen, Francisca López und Francisca Almarza, widerfuhr. Während sie Anfang der 1960er Jahre in der Provinzhauptstadt Palencia dienten, wurden ihnen mehr als einmal hohe Geldstrafen für ihre Predigttätigkeit auferlegt. In einem Fall wurde ein Rechtsanwalt bezahlt, damit er gegen das Urteil Berufung einlege, aber er tat dies dann doch nicht. Seine Nachlässigkeit führte dazu, daß die beiden Pionierschwestern für dreißig Tage ins Gefängnis gehen mußten.
Das Problem mit diesem Rechtsanwalt veranschaulicht eine Situation, die in ganz Spanien die gleiche war. Es gab kaum Rechtsanwälte, die bereit waren, Zeugen Jehovas zu verteidigen. Ein oder zwei begannen mit guten Absichten, doch als man sie einschüchterte und ihnen drohte, sie würden ihrer Karriere schaden, wenn sie Zeugen Jehovas verteidigten, verschwand ihr Kampfgeist über Nacht. Eine rühmliche Ausnahme war der Rechtsanwalt Eduardo Ajuria, der, obwohl kein Zeuge, der Sache der Gerechtigkeit wirklich ergeben war und mutig Zeugen Jehovas verteidigte. Er hat Zeugen Jehovas bei zahllosen Gelegenheiten vertreten, sogar vor dem Obersten Gerichtshof.
SIEGE VOR DEM OBERSTEN GERICHTSHOF
Manchmal haben Jehovas Zeugen in Spanien in ihren Rechtskämpfen, die bis vor den Obersten Gerichtshof gebracht wurden, gesiegt. Wir wollen daher über einige Siege berichten, die wir dort gewannen.
Im Jahre 1963 statteten Polizeiinspektoren der Pension „Monte Carlo“ in Málaga, die Francisco Alonso Valle und seiner Frau Esperanza gehörte, einen Besuch ab. Sie wurden beschuldigt, illegale Zusammenkünfte abzuhalten. Das Haus wurde durchsucht, und sogar von den Kindern, die nur 8 und 4 Jahre alt waren, wurden Fingerabdrücke gemacht. Eine der Personen, die die Zusammenkünfte besucht hatten, Bruder Fernández, wurde in dem Friseursalon, in dem er arbeitete, so sehr belästigt, daß er schließlich seine Stelle verlor. Aufgrund der polizeilichen Untersuchungen erhielten vier der Angeklagten eine Geldstrafe von je 500 Peseten, und Bruder Fernández erhielt als Vorbestrafter eine Geldstrafe von 2 000 Peseten. Er war ein Jahr zuvor bestraft worden, weil er ein Zeuge Jehovas war, und hatte fünfzehn Tage im Gefängnis gesessen, da er die Geldstrafe nicht bezahlt hatte.
Der Fall dieser fünf Personen wurde dem Innenminister vorgetragen. Aber er wies den Einspruch zurück, da er der Meinung war, daß die Zeugen durch ihre Tätigkeit „die geistige Einheit Spaniens bedroht“ hätten. Daher wurde beim Obersten Gerichtshof Berufung gegen das Urteil eingelegt. Am 20. Oktober 1966 annullierte dieses Gericht die Entscheidung des Zivilgouverneurs von Málaga. In der Begründung hieß es, die Kommentare zur Bibel, die in den privaten Zusammenkünften gegeben würden, seien offensichtlich in Übereinstimmung mit der von ihnen gemeinsam bekannten Lehre und könnten daher nicht als Proselytenmacherei betrachtet werden. Außerdem könne nicht nachgewiesen werden, daß mehr als zwanzig Personen die Zusammenkunft besucht hätten und daß es eine ungesetzliche Zusammenkunft gewesen sei. In bezug auf unsere Zusammenkünfte war dies ein bemerkenswerter Sieg.
Erwähnenswert ist, daß während der drei Jahre von 1964 bis 1967 der Oberste Gerichtshof achtunddreißig der über fünfzig Urteile aufrechterhielt, gegen die Jehovas Zeugen Berufung eingelegt hatten. Die meisten verlorenen Fälle hingen mit der Predigttätigkeit zusammen, die nach Ansicht der Richter eine öffentliche Kundgebung nichtkatholischer Glaubenslehren war, was sie als eine Übertretung des damals geltenden Gesetzes betrachteten.
Am 10. Juni 1964 wurden zwei junge Schwestern, Santiaga Sánchez und Encarnita García, verhaftet, während sie mit einem Omnibus in ihren Heimatort Torralba de Calatrava zurückfuhren. Sie wurden zur Polizeiwache in Ciudad Real gebracht, wo sie von 8 Uhr abends bis 4.30 Uhr morgens verhört wurden. Beide wurden mit 2 500 Peseten (42 Dollar) wegen „Zugehörigkeit zu der Sekte ,Jehovas Zeugen‘ “ bestraft und „weil sie Fahrten in die Hauptstadt unternahmen, um ihre Proselytenmacherei für die erwähnte Sekte zu betreiben“. In derselben Nacht, in der man die Schwestern verhörte, wurden weitere „Verdächtige“ aufgetrieben und verhört und zu der empfohlenen Mindeststrafe von 2 500 Peseten verurteilt. Gegen diese Geldstrafen wurde beim Innenministerium Einspruch erhoben, das die Strafen aber aufrechterhielt. Der letzte Schritt war die Berufung vor dem Obersten Gerichtshof.
Die Frage vor Gericht war, ob das Geständnis während eines Verhörs, daß man ein Zeuge Jehovas sei, an sich die Grundlage für eine Inkriminierung sei. Das Gericht stellte fest, daß die beeidigte Versicherung der Polizei, „abgesehen von den einzelnen Verhören, ohne irgendwelche anderen Maßnahmen oder Bemühungen aufgezeichnet worden war, weder durch Dokumente noch durch Zeugen, weder direkt noch durch Bezugnahmen, die als Bestätigung dienen könnten“. Die Richter stellten „nicht nur Ungenauigkeiten“ im Hinblick auf die polizeiliche Untersuchung fest, sondern auch ein gänzliches Fehlen von Beweisen, die „in jedem Fall erforderlich sind, um die Tatsachen, auf die sich der Verdacht gründet, für wahr halten zu können“. Daher kam das Gericht zu dem Schloß, daß aus den „Verhören nur eine persönliche Überzeugung abzuleiten“ sei. Hinsichtlich des Vorwurfs der öffentlichen Proselytenmacherei vertrat das Gericht die Ansicht, daß „in keinem Fall eine Bestätigung vorliegt und die beeidigte Versicherung kein Anzeichen dafür enthält“. Aus diesen Gründen wurden die fünf Angeklagten freigesprochen, obwohl sie den Betrag, den sie hinterlegt hatten, nicht in voller Höhe zurückerhielten.
Im Vergleich zu den Urteilen, die aufrechterhalten wurden, waren die gesetzlichen Siege nur selten und vereinzelt. Doch obwohl die Pioniere eingesperrt wurden, Geldstrafen erhielten und aus ihrem Gebiet gewiesen wurden, setzten sie ihren Predigtdienst eifrig fort und folgten treu dem Beispiel der Apostel (Apg. 5:27-29). Zwar wurden auch oft Versammlungsverkündiger von der Verfolgung betroffen, doch waren es hauptsächlich die Pioniere, die die volle Wucht des Angriffs zu spüren bekamen, und oft arbeiteten sie in abgelegenen Gebieten, wo sie nicht einmal die Gemeinschaft mit Brüdern hatten und die Zusammenkünfte einer Versammlung besuchen konnten, durch die sie angespornt worden wären.
DIE WAHRHEIT IN DER NUSS-SCHALE
Wir möchten unsere Geschichte an dieser Stelle unterbrechen, um über eine ungewöhnliche Methode zu berichten, mit der einige Brüder für die geistigen und leiblichen Bedürfnisse ihrer eingesperrten Glaubensbrüder sorgten. Es begann am 7. Dezember 1961, als Félix Llop ein Studium mit einer kleinen Gruppe in Oviedo durchführte. Unerwartet kamen zwei Wagen mit Polizisten vorgefahren, die das Haus durchsuchten und Bibeln und biblische Schriften beschlagnahmten. Félix und Sergio Cruz, ein kubanischer Bruder, wurden ins Gefängnis gesperrt. Am nächsten Tag wurden ihre Frauen aufgefordert, sich auf der Polizeiwache zu melden. Nachdem sie zwei Tage lang verhört worden waren, wurden auch sie ins Gefängnis gesteckt. Alle vier wurden fotografiert, mußten ihre Fingerabdrücke hinterlassen und wurden darauf zehn Tage im Gefängnis festgehalten, bevor ein Urteil gefällt wurde. Der Zivilgouverneur verurteilte die vier zu einer Geldstrafe von insgesamt 17 000 Peseten (283 Dollar) wegen „heimlicher Proselytenmacherei in Oviedo für die Sekte der Zeugen Jehovas“. Bedingte Strafaussetzung wurde nicht gewährt.
Nun, während sich die vier Zeugen im Gefängnis befanden, dachten die Brüder draußen an ihre geistigen und physischen Bedürfnisse. Und so lieferte eines Tages ein Häftling ein Paket mit Nahrungsmitteln an Félix ab. Unter anderem enthielt es einen Beutel Walnüsse. Félix gab dem Häftling eine Handvoll und schickte die andere Hälfte des Beutels zu Sergio. Kurze Zeit darauf kam der Häftling zurück und sagte: „Sieh einmal, was wir in den Walnüssen gefunden haben!“ In ihrem Innern befanden sich Seiten des Buches „Vergewissert euch über alle Dinge“! Félix öffnete schnell die Walnüsse, die er hatte, und stellte fest, daß eine jede Seiten dieser Publikation enthielt. Einer der Brüder hatte alle Nüsse sorgfältig geöffnet, das Innere entfernt, eine Seite zusammengefaltet und dann hineingesteckt und die Schale mit Leim wieder zugeklebt. Félix und Sergio verbargen die Seiten in Büchern, die sie sich in der Bücherei ausliehen, damit sie sie lesen konnten, ohne ertappt zu werden.
Am Ende jenes Monats wurden Félix und seine Frau María in ihre Heimatprovinz Barcelona zurückgeschickt, etwa 1 130 Kilometer weit entfernt. Ihre Reise erstreckte sich über elf Tage und führte durch sechs schmutzige Gefängnisse. Während dieser Zeit war Félix ständig mit Handschellen an gewöhnliche Verbrecher gefesselt. Bei der Ankunft in Barcelona war die Tortur noch nicht vorüber, denn dort gab es weitere Verhöre, und die beiden wurden nicht eher bedingt freigelassen, bis sie siebenunddreißig Tage in verschiedenen Gefängnissen zugebracht hatten.
AUCH KINDER VON ZEUGEN LEIDEN
Während der jahrelangen Verfolgung erduldeten auch Kinder von Zeugen Jehovas in Spanien Widerstand und andere Unannehmlichkeiten. Zum Beispiel mußten sich am 20. Oktober 1961 alle Kinder der Grundschule von Torralba de Calatrava (Ciudad Real) aufstellen, um zur Messe zu gehen. Juan García, der neunjährige Sohn eines der Zeugen vom Ort, trat beiseite und erklärte dem Lehrer, wie er es schon einmal getan hatte, daß er einer anderen Religion angehöre und daher nicht zur Messe gehen könne. Der Lehrer forderte ihn auf, seine Bücher zu nehmen, die Schule zu verlassen und nicht wiederzukommen.
Juans Vater ging darauf in die Schule, um mit dem Lehrer zu sprechen. Doch dieser beharrte auf seinem Standpunkt, daß er nichtkatholische Schüler in einer katholischen Schule nicht dulden könne. Der Vater erklärte ihm, daß es in der Stadt keine nichtkatholischen Schulen gebe, und da das Gesetz jedem Kind eine Schulbildung garantiere, sei es nicht gerecht, seinen Sohn wegen religiöser Prinzipien auszuschließen. Der Lehrer gab jedoch nicht nach und weigerte sich, das Kind wieder zuzulassen.
Der Bürgermeister brachte den Fall vor die übergeordnete Behörde, und im Februar 1962 wurde der Lehrer aufgefordert, Juan García wieder in die Schule aufzunehmen. Inzwischen hatte er aufgrund dieser intoleranten Einstellung drei Monate Schule versäumt.
Ein ähnlicher Fall ereignete sich in einer anderen kleinen Stadt, nur ein paar Kilometer entfernt, in Carrión de Calatrava, wo der Lehrer den zehnjährigen Félix Angulo schlug und ihn gewaltsam zur Messe mitnahm. Darauf wurde er zusammen mit seinem Bruder und seiner Schwester von der Schule verwiesen. Das geschah, drei Monate nachdem der Fall in Torralba geklärt worden war.
Ein anderer Fall ereignete sich in Manresa (Barcelona) in Verbindung mit Juanito Belmonte, dem elfjährigen Sohn von José Belmonte. Der Lehrer hatte alle Kinder aufgefordert, aufzustehen und die Nationalfahne zu grüßen. Juanito stand auf, grüßte aber nicht. Der Lehrer fing an, ihn zu schlagen, und versuchte, ihn zu zwingen, seine Hand zum Gruß zu erheben, jedoch vergeblich. Darauf wurde der Junge aufgefordert, die Schule zu verlassen und nicht wiederzukommen (2. Mose 20:4-6; Ps. 3:8; 1. Joh. 5:21).
Juanitos Vater José versuchte, mit dem Lehrer zu sprechen, und wies darauf hin, daß der Fahnengruß keine Voraussetzung sei, eine Schulbildung erlangen zu können. José erklärte auch, daß sein Sohn mehr Respekt für das, was die Fahne vertrete, bekundet habe als der Lehrer, der Gewalt angewandt und eine anmaßende Handlung begangen habe, indem er Juanito von der Schule verwiesen habe. Der Lehrer ließ jedoch nicht vernünftig mit sich reden und schlug dem Vater die Tür vor der Nase zu.
Damit war die Sache noch nicht zu Ende. Der Lehrer zeigte den Vater und seinen Sohn bei der Polizei wegen angeblicher Mißachtung der Fahne an sowie wegen des Abhaltens illegaler biblischer Zusammenkünfte in ihrer Wohnung. Die Polizei erfüllte ihren Auftrag, ging zum Arbeitsplatz des Bruders und verhaftete ihn, um eine Erklärung von ihm zu erhalten. Der Ausgang war, daß José Belmonte vom Zivilgouverneur in Barcelona zu einer Geldstrafe von 5 000 Peseten verurteilt wurde, weil er seinen Sohn angeblich zu respektlosen Handlungen gegenüber der Fahne verleitet hatte.
JUGENDLICHE ERLEIDEN VERFOLGUNG
Im Oktober 1962 zog Jesús Laporta, ein sechzehnjähriger allgemeiner Pionier, nach Castellón de la Plana an der östlichen Mittelmeerküste Spaniens. Sein Pionierpartner war Florentino Castro. Mit ihrer Ankunft wuchs die Gruppe dort auf insgesamt fünf Königreichsverkündiger an, und das Predigtwerk erhielt einen Auftrieb. Natürlich wurden dadurch die Geistlichkeit und die Ortspolizei auf sie aufmerksam.
Bis zum Juli 1963 waren durch das Predigtwerk in diesem Gebiet kleine Gruppen von Gläubigen entstanden, und zwar nicht nur in Castellón, sondern auch in anderen Orten, die in diesem Orangenanbaugebiet verstreut lagen. Am 5. Juli wurde Florentino verhaftet, und drei Tage später machte die Polizei Jesús Laporta in seiner Pension ausfindig. Beide wurden wegen illegaler Propaganda und Proselytenmacherei angeklagt und dreißig Tage lang im Gefängnis festgehalten.
Im Dezember 1963 wurde Jesús zum Sonderpionier ernannt. Inzwischen war seine vierzehnjährige Schwester zu ihm nach Castellón gezogen. Am 2. April 1964 erzwang sich die Polizei während seiner Abwesenheit Zutritt zu seiner Wohnung, durchstöberte diese ohne Durchsuchungsbefehl und beschlagnahmte Bibeln und biblische Schriften sowie die Hausschlüssel. Als die Polizisten in das Haus eindrangen, fanden sie dort den Pionier Florentino Castro vor und verhafteten ihn. Während der Durchsuchung kam der siebzehnjährige Pionier Juan Pedro Ruiz ins Haus und wurde ebenfalls verhaftet. Da nicht genügend Zeit vorhanden war, gegen die Geldstrafen Berufung einzulegen, mußten die beiden Brüder zwanzig Tage im Gefängnis zubringen.
Etwa eine Woche nach der Durchsuchung seiner Wohnung wurde Jesús von der Polizei ergriffen, die nach ihm gesucht hatte. Er mußte 5 000 Peseten (83 Dollar) Strafe zahlen, doch legte er gegen das Urteil sofort Berufung ein. Trotzdem mußte er acht Tage im Gefängnis zubringen, und während dieser Zeit war seine jüngere Schwester allein und ohne Schutz.
Die Behörden verfolgten diese Gruppe junger Leute unbarmherzig und nahmen den Angriff im September 1964 wieder auf, als sie Florentino Castro und Juan Pedro Ruiz noch einmal verhafteten. Wegen „Ideenverbreitung und Proselytenmacherei“ für die „protestantische Sekte der Zeugen Jehovas“ wurden sie zu je 5 000 Peseten verurteilt. Florentino wurde somit innerhalb von fünfzehn Monaten dreimal für das gleiche Vergehen bestraft.
Der Oberste Gerichtshof beschäftigte sich am 4. Februar 1966 mit der Berufung, die Jesús gegen seine Geldstrafe eingelegt hatte. Die Verteidigung stützte sich darauf, daß gegen den Angeklagten keine Tatsachen oder Beweise vorgebracht worden waren. Es lag keine Beschwerde gegen ihn vor. Die Anklage stützte ihre Argumente auf den Ruf von Jesús und auf die Erklärung der Polizei, daß er als Proselytenmacher bekannt sei. Der Oberste Gerichtshof erhielt das Urteil aufrecht und schuf damit einen gefährlichen Präzedenzfall, aufgrund dessen jeder verurteilt werden konnte, der als Zeuge Jehovas bekannt war. Glücklicherweise wurde dieses Urteil im November desselben Jahres durch das bereits erwähnte günstige Urteil in Ciudad Real ausgeglichen.
Im Jahre 1966 arbeitete Florentino immer noch in Castellón, jedoch nicht als Pionier. Am 22. März kamen zwei Polizisten um 12.15 Uhr an seinen Arbeitsplatz und verhafteten ihn. Während des Verhörs im Polizeipräsidium schlug man ihn zweimal, um ihn zu zwingen, Informationen über die anderen Brüder der Gruppe preiszugeben. Florentino wurde aufgrund des Landstreichergesetzes angeklagt, obwohl man ihn von seinem Arbeitsplatz weggeholt hatte, was zeigte, daß er offensichtlich kein Landstreicher war. Doch nach sechs Tagen im Gefängnis kam aus Madrid die Anordnung, ihn freizulassen, da es für eine Anklage einfach keine Grundlage gab.
Während jener Jahre erbitterter Verfolgung ging das Werk in Castellón nur langsam voran. Im März 1966 — nach vier Jahren Pioniertätigkeit — gab es daher nur dreizehn Verkündiger in dieser Gegend.
Trotz des Gesetzes über Religionsfreiheit, das 1967 erlassen wurde, versuchte die Polizei in Castellón immer noch, Jehovas Zeugen zu belästigen. Zum Beispiel drang sie im April 1970 in eine Privatwohnung ein, in der sich sechzehn Erwachsene und fünf Kinder versammelt hatten, um gemeinsam die Bibel zu betrachten. Die Polizisten hatten einen Durchsuchungsbefehl, doch als sie erkannten, daß sie ein Bibelstudium unterbrochen hatten, gingen sie wieder, nachdem sich die Brüder bereit erklärt hatten, sich auf der Polizeiwache zu melden. Auf der Wache wurden sie dann beschuldigt, eine illegale Zusammenkunft abgehalten zu haben, und die Anklage wurde an den Richter des Ortes weitergeleitet. Darauf wurden Schritte unternommen, um den neugegründeten Ausschuß für Religionsfreiheit auf die Angelegenheit aufmerksam zu machen. Das war ausreichend, denn die Polizei ergriff keine weiteren Maßnahmen. Dieser Vorfall zeigte, daß der Ausschuß in mancher Hinsicht in der Lage war, Religionsfreiheit zu gewähren.
Bis zum Jahre 1970 war die Versammlung Castellón erstaunlich gewachsen. Im April berichteten 79 Verkündiger, und bis zum Juni war die Zahl schon auf 108 gestiegen. Bald darauf wurden in den Nachbarorten Burriana und Vall d’Uxó eigene Gruppen gegründet. Als dann die Vereinigung der Zeugen Jehovas gesetzlich anerkannt wurde, war die Versammlung Castellón die erste, die ihren eigenen Königreichssaal baute. Dieser Saal, in dem über 200 Personen Platz haben, wurde im Frühjahr 1971 vom Zweigaufseher der Bestimmung übergeben. Welch ein Wechsel nach neun Jahren Belästigung durch die Polizei! Dies war ein weiteres Beispiel dafür, daß die achtjährigen Bemühungen des Innenministeriums, Jehovas Zeugen auszurotten, völlig fehlgeschlagen waren, und das trotz des Eifers, mit dem die Ortspolizei den Anordnungen und Rundschreiben gehorcht hatte.
VERHAFTUNGEN IN ALMERÍA
In jenen Tagen belästigte die Polizei die Brüder in einem Ort nach dem andern, auch in Almería an der Südküste Spaniens. Die jungen Sonderpionierinnen Ester Sillas Evangelio und Ana María Torregrosa wurden im März 1962 dorthin geschickt. Im April wurden sie von dem Kreisaufseher Enrique Roca und seiner Frau besucht, die in ihrer gemieteten Wohnung übernachteten.
Eines Morgens klopfte es an der Tür, und Ester fragte, wer da sei. Die Antwort? „¡La policia! „¿La policia?“ wiederholte Ester mit lauter Stimme. Das war eine Warnung für den Kreisaufseher und seine Frau, obwohl die Polizei es nicht erkannte. Geistesgegenwärtig fragte Ester die Polizisten, ob sie einen Durchsuchungsbefehl hätten. Den hatten sie nicht, aber sie sollte mit ihnen zur Polizeiwache gehen. Während sie auf der Polizeiwache waren, verließen Enrique und seine Frau das Haus. Bruder Roca beeilte sich so sehr, daß er vergaß, sein Schlafzimmer aufzuräumen. Als dann die Polizisten kamen, sahen sie ein schmales Einzelbett und auf dem Fußboden die Matratze, auf der er geschlafen hatte, samt seinem Schlafanzug, der unübersehbar dalag.
Der Polizist fragte Ester, wer dort geschlafen habe. „Ich“, sagte sie. „Was? Auf beiden Betten?“ fragte der Polizist. Ester versuchte einen Scherz daraus zu machen und antwortete: „Die Matratze ist so bequem, daß ich sie immer benutze, wenn ich das Bett leid bin.“ Der Polizist lachte und stellte keine weiteren Fragen.
Die Schwestern wurden in den Zellen der Polizeiwache vier Tage und drei Nächte festgehalten. Sie wurden ständig verhört, und zwar meistens getrennt. Das Verhör war keine Amateursache. Ester wurde von starken Scheinwerfern angeleuchtet und war von Polizisten umringt, die sie mit Fragen beschossen. Sie stellte sich ein bißchen dumm, so daß ihre Antworten oft unlogisch erschienen. Doch wenn die Polizisten triumphierend dachten, sie hätten sie in einen Widerspruch verwickelt, fragte sie: „Ein Widerspruch? Lassen Sie mich bitte sehen, was ich gestern unterschrieben habe.“ Sie gaben ihr dann das Protokoll zu lesen, und sie las alles ganz sorgfältig durch, damit sie nicht wieder den gleichen Fehler machte. Sie war nicht so dumm, wie sie sich stellte. Wenn sie ihr schwierige Fragen stellten, bat sie darum, sich einen Augenblick konzentrieren zu dürfen. Diese Zeit nutzte sie dann, um Jehova um Hilfe zu bitten. (Vergleiche 1. Samuel 21:12-15.)
EIN FREUNDLICHER RICHTER
Die Pionierinnen wurden darauf vor Gericht geführt, wo sie von dem Richter verhört wurden und eine weitere Erklärung unterzeichnen mußten. In Spanien ist es üblich, daß der Angeklagte, nachdem die Polizei die Aussagen aufgenommen hat, vor Gericht geführt wird, um vom Richter verhört zu werden, der dann entscheidet, ob ein Tatbestand vorliegt. Wenn ja, bestimmt er die Strafe. Auf einem anderen Verwaltungsweg können die Fälle auch vom Zivilgouverneur entschieden werden, der sein Urteil auf den Polizeibericht und die Aussagen des Angeklagten stützt. Die meisten Fälle, die Jehovas Zeugen betrafen, wurden auf letzterem Wege entschieden.
Nachdem die Schwestern eine Erklärung für den Richter unterschrieben hatten, begann dieser, ihnen weitere Fragen zu stellen, doch auf freundliche Weise. Er sagte ihnen, daß sie nichts zu befürchten hätten; sie hätten ihre Erklärung unterschrieben und es würde nichts weiter gegen sie unternommen. Ester nahm die Gelegenheit wahr, in Gegenwart von vierzehn Personen Zeugnis zu geben, darunter Gerichtsbeamte und Polizisten. Als sie fertig war, sagte der Richter überraschenderweise, die Schwestern seien frei und könnten ihre Sachen abholen, die die Polizei bei der Durchsuchung beschlagnahmt habe.
Doch als die Schwestern auf den Flur hinausgingen, änderte sich das Bild. Zwei uniformierte Polizisten traten vor und forderten die Mädchen auf, sie zur Polizeiwache zu begleiten, wo die Sache behandelt werden solle, die noch in der Schwebe sei. Als Ester und Ana María dorthin kamen, wurde ihnen mitgeteilt, daß der Zivilgouverneur jede von ihnen zu einer Geldstrafe von 2 000 Peseten verurteilt habe und daß sie bei Nichtzahlung ins Gefängnis gehen müßten. So gingen sie ins Gefängnis.
Im Gefängnis öffnete sich ihnen ein neues Gebiet, da sie dort in der Lage waren, den Insassen, Beamten und Nonnen zu predigen. Es war aber schwierig, den anderen Insassen zu predigen, da die Nonnen alles in ihrer Macht Stehende taten, um solche Kontakte unmöglich zu machen. In der Entspannungsstunde durften alle Häftlinge frei umhergehen; nur Ester und Ana María mußten in ihrer Zelle bleiben. Das war jedoch kein Hindernis, weil die anderen Inhaftierten, die sich mit den Schwestern unterhalten wollten, vor ihrem Zellenfenster auf einen Feigenbaum kletterten und so mit ihnen sprechen konnten. Die Schwestern stellten ihr Bett an die Zellenwand und kletterten darauf, um Zeugnis geben zu können. Wenn die Nonnen kamen und die Schwestern nicht sprechen konnten, sangen sie Königreichslieder, was die anderen Insassen in Erstaunen versetzte. Wieso konnten sie so glücklich sein, wenn alle anderen traurig waren?
Der einmonatige Gefängnisaufenthalt wirkte sich für Ester auf unerwartete Weise nützlich aus. Sie hatte genügend Zeit und Gelegenheit, die Bibel von Anfang bis Ende zu lesen.
Miguel Gil, ein Sonderpionier aus Granada, wurde nach Almería gesandt, um nach einem Rechtsanwalt zu suchen, der den Schwestern helfen könnte. Der Rechtsanwalt sprach mit dem Richter, der ihren Fall behandelt hatte, und dieser war so empört über die Behandlung der Mädchen, daß er ins Gefängnis kam, um mit ihnen zu sprechen. Er wurde jedoch nicht zugelassen unter dem Vorwand, sie hätten keine Sprecherlaubnis, was eine Lüge war. Er bestand aber darauf, sie zu sehen, und konnte es schließlich durchsetzen. Der Richter bot den Schwestern jede erdenkliche Hilfe an und schrieb sogar an ihre Angehörigen, um sie zu beruhigen. Auch forderte er die Schwestern auf, ihre gute Tätigkeit fortzusetzen, wenn sie aus dem Gefängnis kämen. Er sagte, es würde ihn freuen, sie nach ihrer Freilassung zu sehen. Diese freundlichen Bemühungen waren für Ester und Ana María eine große Ermunterung
Als die Mädchen schließlich aus dem Gefängnis kamen, hatten sie die Freude, von Miguel Gil begrüßt zu werden. Übrigens wiesen alle Tatsachen darauf hin, daß sie ihren einmonatigen Gefängnisaufenthalt dem Priester aus dem Stadtteil Pescadería zu verdanken hatten. Er hatte die Leute in Furcht versetzt und zweifellos auch die Schwestern bei der Polizei angezeigt.
Natürlich war das nicht die einzige Begegnung mit der Polizei in Almería. Diese Begebenheit war aber bemerkenswert wegen der Freundlichkeit, die ein Richter dieser Stadt zum Ausdruck brachte. Im Laufe der Jahre ist die Versammlung in Almería gewachsen. Im Jahre 1972 übergaben die Brüder dort nach einigen Schwierigkeiten mit dem Bürgermeisteramt ihren Königreichssaal der Bestimmung. Heute hat die Versammlung in jener Stadt 124 Verkündiger, 8 allgemeine Pioniere und 2 Sonderpioniere.
FORTGESETZTER KAMPF AUF MALLORCA
Nachdem wir nun einige Erfahrungen von Dienern Jehovas auf dem Festland betrachtet haben, wollen wir unsere Aufmerksamkeit der Insel Mallorca zuwenden. Im Jahre 1961 verschlechterte sich die Lage für die Brüder auf Mallorca. Alle, die Literaturpakete empfingen, wurden überwacht, und die Zeugen, die auf der Straße Literatur bei sich trugen, riskierten eine Woche Gefängnis, wenn sie von der Polizei angehalten wurden. Im Juni jenes Jahres wurden die Brüder sogar in ihren Wohnungen durch ständige Besuche der Polizei belästigt.
Man wußte nie, wann es zu Schwierigkeiten kommen würde. Bei einer Gelegenheit zum Beispiel predigten Antonio Molina und Gabriel Vaquer in Palma de Mallorca, als ein Wohnungsinhaber sie einlud, einzutreten und die Broschüre „Diese gute Botschaft vom Königreich“ mit ihm zu besprechen. Zunächst einmal mußte er seine Brille holen. Dann mußte seine Frau Milch einkaufen gehen. Einige Minuten später kam sie mit der „Milch“ zurück — zwei Polizisten in Zivil, die den Brüdern Fragen zu stellen begannen. Antonio und Gabriel baten sie um ihre Ausweise. Nun, einer entpuppte sich als Oberstleutnant der Guardia Civil und der andere als Brigadier. Diese „Milch“ war entschieden zu sauer! Außerdem war der Wohnungsinhaber ebenfalls ein Mitglied der Guardia Civil. Die Brüder wurden verhört und ins Gefängnis gesperrt, wo sie fünfzehn Tage festgehalten wurden.
Für Jehovas Zeugen in Palma war die Lage schrecklich. Überall schienen Spione und Feinde zu sein, die nur darauf warteten, ihnen einen Fallstrick zu legen, wenn sie über Gottes Wort sprachen. Am 27. Mai 1962 unterhielten sich Félix Lumbreras, Vater von drei Kindern, und Catalina Forteza de Mula, die Frau des oft verhafteten Manuel Mula, mit einer Dame, die sich für die Wahrheit interessierte. Unterdessen kam ein Polizist, der auf der anderen Seite des Flurs wohnte, aus seiner Wohnung und ging die Treppe hinunter. Als die Zeugen das Gebäude verließen, wartete er schon auf sie, um sie zu verhaften. Jeder mußte 1 000 Peseten Strafe zahlen.
Am 14. November 1963 wurden Jaime Sastre und Antonia Galindo verhaftet, während sie von Haus zu Haus predigten. Unwissentlich hatten sie ihre biblische Predigt einem Zivilgardisten gehalten. Als Jaimes Frau zur Polizei ging, um sich nach seinem Verbleib zu erkundigen, leugnete man, daß er in Haft war. Doch sie ging zum Amt des Zivilgouverneurs und erfuhr durch seinen Sekretär, daß ihr Mann im Präsidium der Guardia Civil festgehalten wurde. Also ging sie dorthin, um sich nach ihm zu erkundigen. Dort sagte man ihr, wenn ihr Mann nochmals erwischt werde, müßte er für drei Monate ins Gefängnis gehen. Danach würde man ihn einschließen und den Schlüssel wegwerfen. Sie durfte ihn nicht sehen, doch das Ergebnis war, daß sowohl sie als auch ihr Mann eine Geldstrafe erhielten. Ihre Berufung wurde vom Zivilgouverneur zurückgewiesen.
Am 25. Dezember 1963 gaben fünf Brüder aus Inca in der nichtzugeteilten Stadt Petra Zeugnis. Während sie auf den Zug nach Inca warteten, beobachteten sie, daß eine fanatische Person, die sie am Morgen getroffen hatten, kurz am Bahnhof auftauchte und dann wieder verschwand. Bald darauf erschien ein Zivilgardist und forderte alle Brüder auf, ihn zur Polizeiwache zu begleiten. Sie wurden durchsucht, und alle ihre Schriften, einschließlich der Bibeln, wurden ihnen weggenommen. Jeder Bruder mußte eine Erklärung abgeben, und darauf wurden sie freigelassen. Vier von ihnen erhielten Geldstrafen.
ENTSCHEIDUNG DES OBERSTEN GERICHTSHOFES
Am 10. Dezember 1965 beschloß der Oberste Gerichtshof, verschiedene Fälle von Mallorca gemeinsam zu behandeln. So kamen die Berufungsfälle von Félix Lumbreras und Catalina Forteza de Mula, Jaime Sastre und Antonia Galindo sowie von vier Brüdern aus Inca, die in Petra verhaftet worden waren, zur Verhandlung.
Das gemeinsame Urteil, das in bezug auf all diese Fälle gesprochen wurde, lautete, daß sich die Zeugen nicht auf die private Ausübung ihrer Religion beschränkt hätten. Vielmehr war man der Auffassung, sie hätten „es vorgezogen, sich offen als aktive und bewußte Proselytenmacher zu betätigen, und zwar durch die öffentliche Verbreitung von Propaganda und durch Hausbesuche, wodurch sie offensichtlich in die verbotene Zone eingedrungen sind“. Die Berufung wurde abgewiesen, und die Brüder verloren ihren Prozeß.
Es bestand kein Zweifel darüber, wie die Behörden über Jehovas Volk dachten. Sie waren entschlossen, Gottes Diener durch Einschüchterung und regelmäßiges Einsperren aus dem Dasein auszulöschen. Ein Bruder aus Inca besuchte einen Leutnant der Guardia Civil, den er persönlich kannte. Im Laufe der Unterhaltung sagte der Leutnant: „Bis jetzt haben wir nicht versucht, euch Schaden zuzufügen, doch nun haben wir den Auftrag, euch ,auszurotten’. Bevor ich meine Uniform verliere, werde ich bestimmt dafür sorgen, daß ihr alle tanzt. ... Wir haben Anweisung vom Gouverneur, in Inca von Haus zu Haus zu gehen, um alle Wohnungsinhaber aufzufordern, uns zu benachrichtigen, wenn ihr bei ihnen vorsprecht. Wir haben den Befehl, euch mit Handschellen sofort ins Gefängnis zu bringen, ganz gleich, wo wir euch finden.“
VERANTWORTUNG DER GEISTLICHKEIT
Natürlich steckte die katholische Kirche hinter der Verfolgung, und die Geistlichkeit frohlockte über die schlechte Behandlung der Zeugen. Zum Beispiel sagte der Bischof von Mallorca in einer Rundfunkrede am 18. September 1962: „Wir danken Gott, daß er uns erkennen hilft, wer in Wirklichkeit Gutes tut. Wir danken Gott, daß er uns erkennen hilft, wer in Wirklichkeit das Wort des lieben Gottes verfälscht. Seht sie an! In Gefängnissen, verurteilt und bestraft. ... Betrachten wir dagegen die katholische Religion. Nochmals danken wir Gott, daß sie immer noch die wahre Religion ist.“ Statt Gott zu danken, hätte er sich bei dem Zivilgouverneur und der Guardia Civil für ihre Bemühungen bedanken können, das katholische Monopol aufrechtzuerhalten.
Ein fanatischer Kämpfer gegen Jehovas Zeugen war der Priester der Gemeinde Cristo Rey in Inca. Er war auch verantwortlich für Rundfunkreden gegen die Zeugen, und er veröffentlichte verleumderische Artikel gegen Gottes Diener. Außerdem ging er von Haus zu Haus, um die Schriften, die Jehovas Zeugen abgegeben hatten, einzusammeln, damit er sie verbrennen konnte. Zehn Jahre später hatte dies alles eine eigenartige Fortsetzung. Luis Salazar verbrachte 1971 seine Ferien in Inca und sprach zufällig in der Wohnung dieses Priesters vor. Er wurde hereingebeten, und nach einer kurzen Unterhaltung über biblische Themen sagte der Priester, er wolle für seine früheren Handlungen gegen Jehovas Zeugen um Vergebung bitten. Er sehe seinen Fehler ein und erkenne seine antichristliche Einstellung. Der Priester zeigte Bruder Salazar, daß er die Bücher der Gesellschaft in seinen Regalen hatte, und sagte dann: „Wenn es irgendwelche guten Menschen oder Heiligen in dieser Welt gibt, sind sie unter Jehovas Zeugen zu finden.“
DURCH VERFOLGUNG GESTÄRKT
Diese schwierigen Jahre auf Mallorca trugen nur dazu bei, Jehovas Volk zu stärken. Im Dezember 1972 gab es auf Mallorca 500 Verkündiger, auf Ibiza 26 und auf Menorca 40. Heute hat Mallorca 950 Verkündiger, Ibiza 61 und Menorca 91. Interessanterweise kommt in Palma ein Zeuge auf 385 Personen, während im Landesdurchschnitt einer auf 908 kommt.
In ganz Spanien hat Jehova seinen Dienern in den besonders schwierigen Jahren von 1958 bis 1967 durch seine sichtbare Organisation geholfen. In dieser Zeit gab es in den meisten größeren Städten Verfolgung irgendwelcher Art. Unser Bericht enthält nur einige Beispiele für die schlechte Behandlung, die den Pionieren und Jehovas Zeugen im allgemeinen zuteil wurde.
Unter anderem kam es auch in Huelva und Alicante zu Schwierigkeiten. In Manresa (Barcelona) wurden im Jahre 1962 vierzehn Personen verhaftet, als sie zusammen die Bibel studierten. Die Anklagen wurden allerdings später fallengelassen. In Saragossa, wo der Sonderpionier Máximo Murcia und seine Frau im Jahre 1960 fünfzehn Tage eingesperrt waren, wurde eine amerikanische Familie von dem Priester und der Polizei belästigt, weil sie in ihrer Wohnung biblische Zusammenkünfte gestattet hatte. Der Missionar Carl Warner wurde 1961 deportiert. Diese Beispiele könnten beliebig weiter fortgesetzt werden. Ja, es gab unzählige Fälle von Verfolgung, und während jener zehn Jahre wurden die Brüder in ganz Spanien ständig belästigt. Doch durch all diese Mühsale wurde der Glaube der Brüder gestärkt. Jehova half ihnen, weiterhin seinen Willen zu tun, und eine große Mehrung war die Folge.
Der Widerstand der Geistlichkeit — sowohl der katholischen als auch der protestantischen — hat nie nachgelassen. Natürlich hatte sie jahrelang die aktive Unterstützung des Innenministeriums. Als deutlichen Beweis dafür, daß es keine Herzensänderung gab, obwohl die Regierung das Gesetz über Religionsfreiheit vorbereitete, zitieren wir aus dem Rundschreiben Nr. 5 vom Jahre 1966, das der Generaldirektor des Innern im Innenministerium herausgab. Es datiert vom 24. Februar 1966 und war an alle Zivilgouverneure gerichtet. Auszugsweise heißt es dort:
„Es ist notwendig, exemplarischere Strafen zur Unterdrückung der ungesetzlichen Proselytenmacherei zu verhängen, die die Mitglieder der Sekte der ,Zeugen Jehovas’ im gesamten Staatsgebiet durchführen. ... Der Grund liegt darin, daß die gegenwärtigen Maßnahmen finanzieller Art nicht genügend wirksam sind, um dieser Tätigkeit Einhalt zu gebieten. ... Folglich möchte ich Eure Exzellenz im Auftrage Seiner Exzellenz des Innenministers eindringlich bitten, alle Mitglieder der besagten Sekte, die bei der Durchführung solcher Tätigkeiten ergriffen werden“, bei den Gerichten anzuzeigen, die Fälle von Landstreicherei behandeln. Achtzehn Monate später wurde das Gesetz über Religionsfreiheit in Kraft gesetzt, und die allgemeine Einstellung gegen Jehovas Zeugen besserte sich. Auch die offizielle Haltung wurde zufolge des neuen Gesetzes etwas flexibler.
BEDEUTENDER JURIST ANALYSIERT DEN RECHTSKAMPF
Der Kampf, den Jehovas Zeugen während jener Jahre erbitterter Verfolgung führten, trug zu einem hervorragenden Zeugnis in den juristischen Kreisen des Landes bei. Viele Rechtsanwälte und Richter hatten zum erstenmal Kontakt mit Gottes Volk, weil wir hartnäckig jeden Fall vor den Obersten Gerichtshof brachten, um ein gerechtes Urteil und Religionsfreiheit zu erhalten. Diese Tatsache stellte ein prominenter spanischer Jurist fest, Lorenzo Martín-Retortillo, ehemals Professor des Rechts an der Universität Salamanca und jetzt an der Universität Saragossa. Im Jahre 1970 veröffentlichte er eine Rechtsstudie über Religionsfreiheit und öffentliche Ordnung.
Diese Studie besteht aus einer achtundsiebzigseitigen Analyse vieler Fälle, die vor den Obersten Gerichtshof gebracht wurden und derentwegen das Gericht gezwungen war, die private Ausübung der religiösen Äußerung in Spanien zu definieren und den Ausdruck „die geistige Einheit Spaniens“ zu erklären.
Als Ergebnis der Untersuchung der Anklagen in den betrachteten Fällen schrieb der Jurist: „Es ist nicht schwierig, zu einem Schluß zu kommen: Die folgenden Arten des Verhaltens werden als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung betrachtet und gerichtlich verfolgt: das Abhalten von Zusammenkünften, in denen Kommentare zur Bibel oder zu anderen religiösen Texten gegeben werden; der Besitz propagandistischer religiöser Literatur; das Durchführen von Besuchen in den Wohnungen von Freunden oder unbekannten Personen mit dem Ziel, die Religion zu propagieren; das Reisen und die Aufnahme von Kontakten zu diesem Zweck usw. Es geht daher um religiöse Verrichtungen, wie es bei vielen Zusammenkünften der Fall ist, ... oder um Akte der religiösen Evangelisation.“
Zwar werden fast auf jeder Seite Fälle von Zeugen Jehovas angeführt, doch das dritte Kapitel dieser Studie befaßt sich direkt mit dem Thema: „Die besondere Häufigkeit von Sanktionen gegen ,Jehovas Zeugen‘ “. Auszugsweise heißt es darin: „Wenn man zehn Jahre Rechtsprechung untersucht und die staatlichen Sanktionen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, die das religiöse Verhalten betreffen, untersucht, fällt eine Tatsache entschieden auf: In fast allen zur Betrachtung stehenden Fällen sind diejenigen, die interveniert haben, Mitglieder nur einer religiösen Gruppe. Praktisch alle, die gegen die administrativen Entscheidungen Einspruch erhoben haben, sind Mitglieder der ,Zeugen Jehovas‘.“
Im Anschluß an diese Schlußfolgerung stellt Señor Martín-Retortillo die folgenden Fragen: „Sind ,Jehovas Zeugen‘ die einzige Gruppe unter den Nichtkatholiken, die bei der Ausübung ihrer Tätigkeit über die geduldeten Grenzen hinausgehen? Glaubt die Regierung, daß diese Gruppe wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit, Bedeutung und Tätigkeit oder wegen anderer Umstände Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit sein sollte? ... Wie man verstehen kann, sind dies Fragen, die ich jetzt nicht beantworten kann, und ich bemühe mich auch nicht, dies zu tun. ... Es steht jedoch nichts dagegen, Bestürzung darüber zum Ausdruck zu bringen, daß die Sanktionen in dem betrachteten Zeitraum auf dem Gebiet der Religion ohne Einschränkung gegen die Mitglieder einer bestimmten Konfession gerichtet gewesen sind.“
Eine der Hauptschlußfolgerungen, die Señor Martín-Retortillo aus seiner Analyse zog, war, daß die offizielle Verfolgung der Zeugen Jehovas eine Folge ihrer aktiven Proselytenmacherei, ihres Standpunkts als Kriegsdienstverweigerer und gewisser kritischer Äußerungen in ihren Schriften gegen das spanische Regime gewesen sei. Natürlich sind Jehovas Zeugen in politischer Hinsicht neutral (Joh. 17:16). Aus alledem können wir aber die Schlußfolgerung ziehen, daß die protestantischen Sekten, die nicht offiziell der Verfolgung ausgesetzt waren, offensichtlich nicht am öffentlichen Predigtwerk teilnahmen und auch nicht an der christlichen Neutralität festhielten — zwei grundlegende Erfordernisse für wahre Nachfolger Jesu Christi.
NUTZEN AUS DER KÖNIGREICHSDIENSTSCHULE GEZOGEN
In den Jahren heftiger Verfolgung wurden große Anstrengungen unternommen, geistige Hilfe zu leisten und Anleitungen zu geben. Im Dezember 1961 organisierte das Zweigbüro der Gesellschaft in Spanien die ersten Klassen der Königreichsdienstschule. Natürlich konnte die Schule nicht so durchgeführt werden wie in anderen Ländern — einen Monat lang oder, wie später, zwei Wochen lang. Statt dessen erstreckte sich der Kurs über zwei Monate und mußte nachts stattfinden. Die ersten beiden Klassen wurden in Barcelona durchgeführt. Und um keine Aufmerksamkeit zu erregen, hatte jede Klasse nur 12 bis 15 Teilnehmer.
Von 1962 bis April 1968 wurden 347 Diener und Pioniere in der Königreichsdienstschule ausgebildet und unterwiesen. Wenn sie in Barcelona stattfand, war es Gliedern des Zweigbüros möglich, mit den Aufsehern persönlich bekannt zu werden und ihre Probleme zu hören. Die Vorträge wurden von fünf Gliedern der Bethelfamilie gehalten. Bis heute haben 1 342 Personen die Königreichsdienstschule in Spanien besucht.
DURCH KONGRESSE ERBAUT
Während all der Jahre unserer „Untergrund“tätigkeit erhielten wir geistige Speise durch Kreiskongresse, für die besondere Vorkehrungen getroffen wurden. Da es gefährlich war, alle Brüder auf einmal zusammenzubringen, wurde ein besonderes Verfahren angewandt, wodurch das Kongreßprogramm allen Versammlungen jedes Kreises übermittelt werden konnte. Aufseher erhielten Exemplare des Programms und wohnten dann dem Kongreß bei. So waren immer nur 100 bis 200 Personen anwesend. Außerdem wurde das Kongreßgelände sorgfältig ausgewählt. Gewöhnlich fand der Kongreß im Freien statt, zum Beispiel in einem Wald, auf einem Berg oder in einer Bucht. Auch Privathäuser dienten diesem Zweck, wenn sie eine gewisse Strecke von den umliegenden Häusern entfernt waren. Jedenfalls verfolgten die anwesenden Aufseher das Programm aufmerksam und machten sich Notizen. Später wiederholten sie es in ihrer eigenen Versammlung.
Umfassende Vorsichtsmaßnahmen mußten getroffen werden, um sicherzugehen, daß das Kongreßgelände nicht von der Polizei ausfindig gemacht wurde. Einmal kam es während eines Kreiskongresses zu Schwierigkeiten. Das war im Jahre 1969, als die Polizei von Sevilla von einer großen Zusammenkunft erfuhr, die im Innenhof eines Privathauses stattfand, und mit Polizeiwagen und Lastwagen auffuhr. Etwa 250 Brüder und interessierte Personen waren anwesend. Alle Männer und unverheirateten Schwestern wurden ins Polizeipräsidium gebracht, um dort verhört zu werden. Auch wurden sämtliche Bücher beschlagnahmt und nicht wieder zurückgegeben. Zehn Brüder wurden vier Tage im Gefängnis festgehalten. Einer der Verhafteten war der gegnerische Ehemann einer Schwester, der aus Neugier gekommen war. Er war von dem Verhalten der Brüder im Gefängnis so beeindruckt, daß er nach seiner Freilassung anfing zu studieren und später getauft wurde. Diese Polizeirazzia erhielt weltweite Publicity, und möglicherweise deswegen wurden keine gesetzlichen Schritte gegen die Brüder eingeleitet.
BEZIRKSKONGRESSE IM AUSLAND BESUCHT
Wie wurden in der Verfolgungszeit Bezirkskongresse abgehalten? Wie zogen die Brüder Nutzen aus dem Programm? Nun, jedes Jahr wurden Sonderzüge und Busse organisiert, und die Brüder reisten nach Frankreich, Italien oder in die Schweiz, um diese Zusammenkünfte zu besuchen.
Zum Beispiel freuten sich die spanischen Brüder, 1969 einen Kongreß in Rom zu besuchen. Da die meisten von ihnen ehemalige Katholiken waren, begeisterte sie der Gedanke, daß sie im „Hinterhof“ des Papstes einen Kongreß abhalten konnten. Das Paradoxe an der Situation war natürlich, daß sie keinen Kongreß in Spanien abhalten durften, das in dieser Hinsicht offensichtlich päpstlicher war als der Papst. Während dieses Kongresses in Rom besichtigten einige der spanischen Zeugen die Katakomben, die einst mit den ersten Christen in Verbindung standen. Für die spanischen Brüder waren die Katakomben besonders interessant, da sie sich selbst noch in einer „Katakomben“-Zeit befanden und ihre Zusammenkünfte im verborgenen abhalten mußten.
Im Juli 1970 wurden Jehovas Zeugen in Spanien gesetzlich anerkannt und konnten von da an auch Kongresse abhalten. Der Bezirkskongreß des Jahres 1971 war aber bereits vertraglich mit Toulouse (Frankreich) vereinbart worden. Aufgrund eines Choleraalarms verweigerten jedoch die französischen Behörden in letzter Minute die Genehmigung für den spanischen Kongreß. Sofort wurden Schritte unternommen, um eine geeignete Zusammenkunftsstätte in Barcelona zu finden. Nach großen Schwierigkeiten war es möglich, die ältere und schmutzigere der beiden Stierkampfarenen Barcelonas zu mieten, die Las Arenas genannt wird. Die Zeit war kurz, und die Brüder arbeiteten wirklich hart, um die Arena zu reinigen. Der Verwalter sagte, er habe sie in den letzten dreißig Jahren noch nie so sauber gesehen, und war über den Geist der Brüder sehr überrascht.
Doch dann fiel eine „Bombe“. Der Zivilgouverneur von Barcelona war abwesend, und sein Vertreter weigerte sich, den Kongreß zu genehmigen, weil eine technische Voraussetzung nicht erfüllt worden war: Die Genehmigung war nicht volle zehn Tage vor der Veranstaltung beantragt worden. Diese Nachricht erreichte die Brüder, die in der Stierkampfarena arbeiteten, nur einen Tag vor dem geplanten Beginn des Kongresses. Viele Zeugen aus entfernten Gebieten des Landes waren bereits unterwegs zum Kongreß. Als sie in Barcelona eintrafen, erfuhren sie die traurige Nachricht. Doch mit ihrer typisch spanischen Anpassungsfähigkeit machten sie aus ihrer Reise einen Ausflug und besichtigten die örtlichen Königreichssäle sowie das Bethel und andere interessante Stellen. So zogen sie aus ihrer Reise wenigstens etwas geistigen Nutzen. Später fanden an verschiedenen Orten Ersatzkongresse statt, bei denen insgesamt 20 176 Personen anwesend waren. Auf diesen Veranstaltungen wurden 483 getauft.
Bei dem Bemühen, christliche Kongresse abzuhalten, stießen wir in späteren Jahren auf verschiedene Schwierigkeiten, doch mit Jehovas Hilfe ist es uns möglich gewesen, diese Probleme auf diese oder jene Weise zu lösen. Bisher haben wir in den 1970er Jahren viele großartige und geistig erbauende Kongresse gehabt.
1973 mußten die spanischen Brüder zum letzten Mal ins Ausland reisen, um einen Kongreß zu besuchen, da es ihnen unmöglich war, ein geeignetes Gelände für einen internationalen Kongreß in Spanien zu mieten. Daher charterten sie wieder Flugzeuge, Sonderzüge und Busse oder benutzten das eigene Auto, und so strömten über 19 000 von ihnen nach Belgien auf das Weltausstellungsgelände in Brüssel, wo der Kongreß stattfand. Dieser internationale Kongreß unter dem Motto „Göttlicher Sieg“ bereitete den spanischen Zeugen, die sich unter ihre 31 000 französisch, flämisch und portugiesisch sprechenden Brüder aus vielen Ländern mischten, große Freude. Welche Begeisterung herrschte doch, als sich 1 273 neue spanische Christen als Symbol ihrer Hingabe taufen ließen!
Seitdem sind in verschiedenen Städten und Örtlichkeiten in Spanien Bezirkskongresse abgehalten worden, zum Beispiel in Salamanca, Gijón, Sabadell, Almería und Estepona in Fußballstadien und in Barcelona, Madrid und Marbella in Stierkampfarenen. Auf jedem Kongreß haben die spanischen Brüder wertvolle Erfahrungen gesammelt, und sie warten jetzt gespannt auf den internationalen Kongreß 1978, der in Barcelona stattfinden soll. Sie freuen sich schon darauf, ihren Glaubensbrüdern aus vielen Ländern dienen zu können, besonders denen aus Frankreich, der Schweiz, Italien und Belgien, die ihnen in den vergangenen Jahrzehnten Gastfreundschaft erwiesen haben.
JEHOVAS ZEUGEN 1970 GESETZLICH ANERKANNT
Viele Jahre bevor das Gesetz über Religionsfreiheit im Jahre 1967 erlassen wurde, hatten sich Jehovas Zeugen bemüht, die gesetzliche Anerkennung ihrer Organisation in Spanien zu erlangen. Den ersten Versuch unternahmen sie im Jahre 1956, als eine Petition und ein Exemplar der voraussichtlichen Statuten dem Zivilgouverneur von Barcelona zur Genehmigung unterbreitet wurden. Diese Bemühung hatte jedoch keinen Erfolg. Ein anderer Versuch wurde 1965 unternommen, als Bruder Knorr einen schriftlichen Appell an die spanische Regierung richtete und fragte, welches Verfahren angewandt werden solle, um die gesetzliche Anerkennung der Gesellschaft und der Zeugen Jehovas zu erlangen. Wieder wurde kein praktisches Ergebnis erzielt.
Am 28. Juni 1967, nach einer langwierigen Debatte in der Cortes (dem spanischen Parlament) und nach noch längerer Vorbereitung von seiten juristischer und kirchlicher Experten, wurde das Gesetz über Religionsfreiheit angenommen und verabschiedet. Obwohl dieses Gesetz Religionsfreiheit zuließ, brachte es doch eine Kontrolle mit sich, denn aufgrund dieses Gesetzes war jede Religionsgemeinschaft außer der katholischen Kirche verpflichtet, sich einer genauen Untersuchung durch das Justizministerium zu unterziehen. Das Gesetz sah eine strikte Kontrolle der Mitglieder sowie einen jährlichen Rechenschaftsbericht vor, in dem die Quelle der Einnahmen und Ausgaben genau bezeichnet werden mußte.
Den protestantischen Sekten gefiel das Gesetz nicht, und daher zögerten sie, einen Antrag auf gesetzliche Anerkennung zu stellen, so daß die Regierung eine Verlängerung der Registrierungszeit bis Mai 1968 gewährte. Die Watch Tower Society war wahrscheinlich die erste, die die gesetzliche Eintragung beantragte. Sie legte ihre Petition am 12. Dezember 1967 vor. Aus dem Verzeichnis des Justizministeriums vom 31. Mai 1969 geht aber hervor, daß als erste Religionsgemeinschaft die Reformierte Presbyterianische Kirche eingetragen wurde, deren einzige Anbetungsstätte und einziger registrierter Geistlicher im Mai 1968 anerkannt wurden. In diesem Verzeichnis waren 105 religiöse Gruppen aufgeführt, darunter die Christliche Wissenschaft, die Mormonen, die Juden, die Pfingstgemeinde, die Anglikaner, die Baptisten, die Adventisten, die Gemeinde Gottes, die evangelische Kirche, die Moslems — ja praktisch jede Religion außer einer einzigen, die durch ihre Abwesenheit glänzte: Jehovas Zeugen. Sie mußten bis zum 10. Juli 1970 auf ihre gesetzliche Anerkennung warten. Als das nächste Verzeichnis der anerkannten Religionen veröffentlicht wurde, standen Jehovas Zeugen an 131. Stelle. Doch jetzt waren sie endlich in Spanien anerkannt!
Das letzte Verzeichnis wurde am 15. Dezember 1975 herausgegeben, und es enthielt die Namen von 238 religiösen Gruppen. Dieses Verzeichnis umfaßt insgesamt 83 Seiten, und alle religiösen Gruppen sind darin nach Städten und Dörfern und auch nach Anbetungsstätten eingeordnet. Jehovas Zeugen nehmen ganze 37 Prozent aller Seiten des Verzeichnisses ein und sind somit unbestreitbar die größte Religionsgemeinschaft in Spanien nach der katholischen Kirche.
Sobald das Werk gesetzlich anerkannt war, wurden Pläne zur Eröffnung von Königreichssälen und zur Beschaffung eines geeigneten Geländes für das Bethelheim gemacht. Der erste Königreichssaal wurde am 19. Dezember 1970 der Bestimmung übergeben, und zwar im Barrio del Pilar, einem neuen Wohngebiet in einem dichtbevölkerten Arbeiterviertel von Madrid.
Im Februar 1971 kam Bruder Knorr nach Spanien und sprach in Madrid und Barcelona vor insgesamt über 14 000 Personen. Er selbst konnte es kaum glauben, daß er tatsächlich zu einer solch großen Zahl spanischer Brüder sprach, und das in Spanien!
Bruder Knorr nahm während dieses Besuchs die Gelegenheit wahr, sich Gebäude anzusehen, die als Zweigbüro benutzt werden könnten, und entschied sich dann für ein sechsgeschossiges Gebäude in Barcelona, Galle Pardo Nr. 65, wo sich heute das Zweigbüro und das Bethelheim befinden. Als der Kauf getätigt war, wurde schnell der Umbau organisiert. Freiwillige aus den Versammlungen von Barcelona wurden eingeladen, und Facharbeiter unter den Pionieren wurden gebeten, die Zimmerarbeiten, die Maurerarbeiten, das Verputzen, das Anstreichen usw. zu übernehmen. Bei dem Gebäude handelte es sich um einen Neubau, der noch nicht benutzt worden war. Er war ursprünglich für industrielle Zwecke bestimmt worden. Es gab daher in keinem Stockwerk Trennwände oder irgendwelche sanitären Einrichtungen. Der Architekt der Gesellschaft konnte somit jedes Stockwerk nach den Empfehlungen Bruder Knorrs gestalten. Die Brüder arbeiteten dreizehn Monate, um die Installationen für das neue Büro und für das Heim zu beenden, das Platz für sechzehn Arbeiter hatte.
Am 2. Juni 1972 übergab Bruder Knorr das neue spanische Zweigbüro seiner Bestimmung, und am darauffolgenden Tag hielt er vor 13 350 Brüdern in Barcelonas Hauptstierkampfarena, La Monumental, einen besonderen Vortrag. Sein Besuch sowie die Ansprache in der Stierkampfarena wurden durch die Presse bekanntgemacht, dienten aber auch dazu, den Widerstand gegen Jehovas Diener zu verschärfen. Gewissen Elementen in den „hohen Kreisen“ gefiel es nicht, daß Jehovas Zeugen diese Erlaubnis erhalten hatten, und sie übten vermehrten Druck auf die Kommission für Religionsfreiheit aus, um uns „die Flügel zu stutzen“. Danach hatten wir einige Probleme, wenn wir irgendwelche Einrichtungen für Bezirks- oder Kreiskongresse mieten wollten.
Wie bereits erwähnt, brachte die gesetzliche Anerkennung die Errichtung von Königreichssälen mit sich. Von Dezember 1970 bis Mai 1977 wurden vom Justizministerium 482 Königreichssäle genehmigt. In großen Städten wie Madrid, Barcelona und Valencia sind die Mieten hoch, so daß die meisten Säle von mehr als einer Versammlung benutzt werden, damit die Kosten geteilt werden können. Gegenwärtig gibt es 16 Königreichssäle innerhalb der Stadtgrenzen von Barcelona, und sie werden von 50 Versammlungen benutzt. Außerdem halten 92 Versammlungen in der Provinz Barcelona ihre Zusammenkünfte in weiteren 75 Königreichssälen ab. In Madrid werden 25 Säle von 46 Versammlungen benutzt. Wir sind Jehova für die Freiheit, die wir jetzt genießen, und für diese ausgezeichneten Zusammenkunftsstätten sehr dankbar.
DAS MESSIANISCHE KÖNIGREICH IN ANDORRA VERKÜNDIGT
Nun wollen wir etwas über Andorra erzählen, ein kleines Bergfürstentum, das zwischen der spanischen und der französischen Grenze eingezwängt ist. Auf der spanischen Seite liegt die Stadt Seo de Urgel. Zusammen mit dem Staatspräsidenten von Frankreich ist der Bischof dieser Stadt Mitherrscher von Andorra. Diese Doppelherrschaft wurde im Jahre 1278 u. Z. eingeführt, um den blutigen Schlachten Einhalt zu gebieten, die zwischen den Streitkräften des katholischen Bischofs von Seo de Urgel und dem Heer des französischen Grafen von Foix ein Ende zu machen.
Heute hat Andorra etwa 32 500 Einwohner, von denen die meisten in den Geschäften und Hotels arbeiten, die mit dem Tourismus in Verbindung stehen. In Andorra sind die Preise viel niedriger als in Spanien und in Frankreich, so daß der Handel die Hauptbeschäftigung ist. Einige der Einheimischen sind noch als Hirten, in der Landwirtschaft oder im Tabakanbau tätig, doch diese Berufszweige sind jetzt unbedeutend, und es herrscht im allgemeinen eine materialistische Atmosphäre.
Obwohl schon früher hin und wieder Zeugnis gegeben wurde, beschloß erst 1962 eine spanische Familie, von Barcelona nach Andorra zu ziehen und dort systematisch zu predigen. Das war die Familie von Manuel Escamilla. Trotz finanzieller und gesundheitlicher Probleme blieb sie sieben Jahre lang in Andorra, und ganz allmählich wuchs die kleine Gruppe von Christen dort.
Als erste zeigte Rosé Boronat Interesse. Sie hatte von ihrer Tante in Barcelona Zeugnis erhalten und war auch von einer französischen Schwester ermuntert worden, die öfter nach Andorra zu Besuch kam. Die Familie Escamilla fing an, Zusammenkünfte abzuhalten, und zusammen mit Rosé waren es vier Anwesende. Schnell traten Probleme auf, denn Rosé verlor ihre Arbeit und ihr Zimmer in der Pension. Dann mußte sie eine Entscheidung in Verbindung mit ihrem Verlobten treffen, der der Wahrheit nicht günstig gesinnt war. Sie entschied sich für die Wahrheit, und die Verlobung wurde aufgelöst. Kurze Zeit später gelang es Brüdern in Barcelona, ihm Zeugnis zu geben. Er nahm die Wahrheit an, und im Jahre 1964 wurden er und Rosé getauft. Als Manuel Escamilla mit seiner Familie im Jahre 1969 wegziehen mußte, wurde dieser Bruder, Miguel Barbé, für die Gruppe verantwortlich. Im November 1971 wurden er und seine Frau zu Sonderpionieren ernannt und beauftragt, sich des Gebiets in Andorra und Seo de Urgel anzunehmen.
Es ist interessant, zu erwähnen, daß Jehovas Zeugen keine Genehmigung erlangen konnten, in Andorra, wo es jetzt eine blühende Versammlung von 84 Verkündigern gibt, einen Königreichssaal zu eröffnen, obwohl in Frankreich und Spanien Religionsfreiheit herrscht. Warum nicht? Wegen des feudalistischen Einflusses des Bischofs von Seo de Urgel, der Hindernisse in den Weg legt. Unterdessen halten die Brüder ihre Zusammenkünfte weiterhin in Privatwohnungen ab, was für die beiden Ältesten, die dort dienen, eine schwerere Last bedeutet.
SPANISCHE ENKLAVEN IN MAROKKO
An der Mittelmeerküste Marokkos liegen zwei spanische Enklaven: Ceuta, nicht weit von Tanger, und weiter im Osten Melilla. Die spanische Armee unterhält Garnisonen in diesen Enklaven. Ricardo und Consuelo Gutiérrez, die früher in Barcelona wohnten, wurden aus dem Verkündigerstand direkt in das Sonderpionierwerk berufen, da in Ceuta ein Bedarf an Königreichsverkündigern bestand. Ricardo war dort als Soldat gewesen und sprach bereits Französisch und etwas Arabisch. Diese Sprachen werden in Ceuta neben dem Spanischen gesprochen.
Bruder und Schwester Gutiérrez nahmen diese Zuteilung an, obwohl sie einen siebenjährigen Sohn hatten, und begannen im Jahre 1969 mit ihrem Dienst in Ceuta. Nach sechs Jahren treuen, wertvollen Dienstes starb Consuelo an Krebs. Diese Familie trug dazu bei, die Grundlage für die gegenwärtige Versammlung in Ceuta zu legen, die jetzt aus 31 Verkündigern und 3 Sonderpionieren besteht. Die Versammlung besitzt auch einen Königreichssaal — die einzige legale Versammlungsstätte der Zeugen Jehovas in ganz Nordafrika.
In Melilla gibt es jüdische, moslemische und spanische Gemeinden, so daß die Pioniere, die im Jahre 1970 dorthin gesandt wurden, ein interessantes Gebiet zu bearbeiten hatten. Zunächst hatten sie Schwierigkeiten mit der Polizei, die versuchte, ihrem Predigtwerk von Haus zu Haus Einhalt zu gebieten. Doch nachdem das Zweigbüro der Gesellschaft in Spanien einige gesetzliche Schritte unternommen hatte, wurden sie nicht mehr belästigt, und sämtliche beschlagnahmten Schriften wurden ihnen zurückgegeben.
Bisher hat Melillas Bevölkerung von 53 000 Einwohnern zwanzig Königreichsverkündiger hervorgebracht, und das trotz der Schwierigkeiten, die die militärische Mentalität dieser Garnisonstadt mit sich gebracht hat.
Die Bevölkerung setzt sich aus Spaniern und Arabern zusammen, jedoch nimmt die Zahl der Spanier ab und die der Araber zu. Die Sonderpioniere leisten dort gute Arbeit, und sie führen zur Zeit der Niederschrift dieses Berichts mehrere Bibelstudien mit moslemischen Frauen durch.
ERLEICHTERUNG DER ZENSUR
Eine Folge unserer gesetzlichen Anerkennung im Jahre 1970 war, daß alle unsere Schriften durch die Hände des offiziellen staatlichen Zensors gehen mußten. Zwar wurden die meisten Publikationen zur Verbreitung freigegeben, doch Schriften wie Lerne Lesen und Schreiben und eine Zeitlang auch „Vergewissert euch aller Dinge ...“ wurden auf die Liste der verbotenen Schriften gesetzt. Während eines Jahres wurden mehr als die Hälfte aller Ausgaben der Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! nicht für die öffentliche Verbreitung freigegeben. Die Gesellschaft legte aber in mehreren Fällen Berufung ein, und jetzt ist über ein Jahr vergangen, ohne daß eine Ausgabe zurückgewiesen wurde. Zweifellos hat sich das allgemeine Nachlassen der Kontrollen auf vielen Gebieten auch für uns günstig ausgewirkt.
Das Monatsblatt Unser Königreichsdienst, das hier als Nuestro Servicio Teocrático (Unser theokratischer Dienst) bekannt ist, hat jetzt eine Auflage von über 60 000 Exemplaren erreicht.
BESUCHE VON GLIEDERN DER LEITENDEN KÖRPERSCHAFT
In den letzten Jahren hatten wir einige ermutigende Besuche von verschiedenen Gliedern der leitenden Körperschaft, und diese Besuche sind von den spanischen Brüdern sehr geschätzt worden. Im Jahre 1974 besuchten Bruder N. H. Knorr und Bruder F. W. Franz Spanien gemeinsam und sollten vor einer großen Schar von Brüdern in einer Stierkampfarena von Barcelona sprechen. Die Behörden erteilten jedoch keine Genehmigung, da die Veranstaltung mit dem religiösen Feiertag am 25. Dezember zusammenfiel. Schnell wurden die Pläne geändert, und alle Pioniere und Ältesten wurden zu einer besonderen Zusammenkunft eingeladen, die, etwa 21 Kilometer von Barcelona entfernt, in einem unbenutzten Fabrikgebäude stattfand, das man als Kongreßsaal erwerben wollte. Über 5 000 Brüder kamen herbeigeströmt, um Bruder Knorrs Ausführungen über die weltweite Ausdehnung des Werkes zu hören, worauf sie den Darlegungen von Bruder Franz über Psalm 91 mit gespannter Aufmerksamkeit folgten. Nur etwas mehr als ein Jahr später wurde Bruder Raymond Franz eingeladen, dieses Gebäude der Bestimmung zu übergeben, das inzwischen in einen großartigen Kongreßsaal umgewandelt worden war, der 1 300 Personen Platz bietet und zu dem auch eine große Cafeteria und ein Taufbecken gehören.
Vor diesem Ereignis wurde im November 1975 ein Kongreßsaal in Madrid — ein früheres Kino — von F. W. Franz der Bestimmung übergeben. Andere Besucher waren M. G. Henschel, der im Mai 1974 kam, und L. K. Greenlees, der uns 1976 besuchte. Bruder Henschel sprach in einer Stierkampfarena von Barcelona zu 22 417 Brüdern. Die bisher höchste Anwesendenzahl wurde anläßlich des Besuchs von L. A. Swingle erreicht, als am 1. Mai 1977 27 215 Brüder in der Stierkampfarena Las Arenas in Barcelona zusammenkamen. Bruder Swingle sprach auch in Madrid und auf den Kanarischen Inseln. Seine Ansprachen wurden von insgesamt 45 617 Personen gehört.
BERICHTE IN PRESSE UND RUNDFUNK
In vielen Fällen hat die Presse fair und unparteiisch über die Zeugen und ihre Kongresse berichtet. Die Madrider Tageszeitung El País widmete den Lehren und der Geschichte der Zeugen Jehovas eine ganze Seite. Dieser Bericht stützte sich auf ein Interview mit einem Rechtsanwalt, Bruder Julio Ricote. Verschiedene Schreiber haben die Zeugen verteidigt, wie zum Beispiel ein Katholik, der in der Zeitschrift Sur vom 12. November 1976 schrieb: „Die Zeugen mögen sich in ihrer Auslegung irren, doch keiner kann den gewaltigen Glauben bezweifeln, der sie stützt. In dieser Religion, nicht Sekte, gibt es keinen Platz für Lügen, Hurerei oder Stehlen, die drei abscheulichsten Sünden in Gottes Augen. Wieviel hat die Welt in dieser Hinsicht doch von den Zeugen zu lernen!“ Jemand anders schrieb in der Zeitschrift Hoja del Lunes de Gijón (21. Juni 1976) unter der Überschrift „Der Bischof von Santander und Jehovas Zeugen“ folgendes: „Es ist nun einmal so, daß Jehovas Zeugen ... ein viel tieferes und gründlicheres Bibelwissen haben als die meisten Katholiken.“
Aufgrund der Streitfrage der Kriegsdienstverweigerung und der Ablehnung von Bluttransfusionen sind Jehovas Zeugen oft in den Schlagzeilen gewesen. Ein prominenter spanischer Chirurg, der Schwiegersohn des verstorbenen Generals Franco, lud die Zeugen ein, an seinem Radioprogramm über medizinische Angelegenheiten teilzunehmen, um zusammen mit einem anderen Arzt und einem Priester über die Blutfrage zu diskutieren. Unter den teilnehmenden Brüdern befand sich ein Rechtsanwalt, der unseren Standpunkt gut verteidigte. Bei einer anderen Gelegenheit lud eine Rundfunkstation in Barcelona Vertreter der Zeugen Jehovas zu einem Interview und zur Beantwortung von Hörerfragen ein. Diese beiden Rundfunksendungen dienten wirklich dazu, das Interesse der Öffentlichkeit zu entfachen.
Was das Fernsehen betrifft, so hat die katholische Kirche zur Zeit der Niederschrift dieses Berichts ein fast vollständiges Monopol für die staatlich kontrollierten Fernsehprogramme. Einige Priester haben diesen Vorteil genutzt, um die Zeugen anzugreifen.
DIE KÖNIGIN VON SPANIEN BEEINDRUCKT
Im Jahre 1976 wurde ein ausgezeichnetes Zeugnis in Universitätskreisen gegeben. Dies begann, als ein Zeuge Jehovas, ein Medizinstudent, der an der Universität von Madrid studierte, mehreren seiner Kommilitonen Zeugnis gab. Einige von diesen nahmen an einem anderen Studienzweig in der Interfakultären Abteilung für Zeitgenössische Geisteswissenschaften teil, die für Studenten und Graduierte eingerichtet worden ist. So kam es, daß Jehovas Zeugen eingeladen wurden, einen Vortrag über das Thema „Der neue Mensch und seine Zukunft“ zu halten. Zwei Zeugen arbeiteten das Thema aus und behandelten die Merkmale der neuen Persönlichkeit sowie Jehovas Vorsatz in Verbindung mit der Erde. Diese Ansprache führte später zu einer Einladung, eine Serie von neun Vorträgen über die Lehren der Zeugen Jehovas zu halten. Unter den anwesenden Studenten war Königin Sofia von Spanien, die die Argumente aufmerksam verfolgte, Notizen machte und sich voll an den Diskussionen beteiligte, die nach jedem Vortrag stattfanden. Nach der Ansprache über die Seele und die Hölle erklärte die Königin, daß sie noch nie jemanden gehört habe, der ein solches Bibelwissen habe und die Bibel mit solcher Leichtigkeit zur Beantwortung jeder Frage gebraucht habe. „Es scheint, daß Sie zu jedem Thema eine Antwort in Ihrer Bibel haben“, sagte sie.
Diese Vorträge erregten ziemliches Aufsehen, und der letzte, der Vortrag über das Thema „Blut, Medizin und das Gesetz Gottes“, wurde aufgrund des besonderen Interesses der Königin an diesem Thema gehalten, obwohl der Studienkurs bereits abgeschlossen war. Dieser letzte Vortrag wurde von einem Bruder gehalten, der Pathologe ist, und es waren mehrere Geistliche und Ärzte anwesend. Es wurde ein gutes, deutliches Zeugnis gegeben.
AUSDEHNUNG IM BETHEL
Von Anfang an war man sich im klaren darüber, daß das ursprüngliche Zweiggebäude in der Calle Pardo nicht groß genug für die künftige Ausdehnung sein würde. Doch in Anbetracht der Ungewißheit, die im Jahre 1970 darüber bestand, wie die Religionsfreiheit angewandt würde, hielt man es für das beste, erst einmal einen kleinen Anfang zu machen. Seitdem hat die Gesellschaft drei zusätzliche Wohnungen in einer anderen Straße des gleichen Häuserblocks gekauft, und diese dienen fünfzehn Gliedern der Bethelfamilie als Unterkunft. Im Jahre 1975 erwarb die Gesellschaft auch ein großes Lagerhaus, drei Häuserblocks entfernt, und dieses ist für die Versandabteilung, die bereits große Probleme mit der Lagerung der Literatur hatte, eine große Hilfe gewesen. Jetzt können wir Literatur für etwa zwei Jahre lagern, um so Schwierigkeiten vorzubeugen, die im Falle von Streiks oder Konflikten auftreten könnten.
Um den Bedürfnissen der Versammlungen auf den Kanarischen Inseln vor der Westküste Afrikas besser dienen zu können, kaufte die Gesellschaft in Santa Cruz de Tenerife ein Lagerhaus und eine kleine Wohnung. Jetzt können die 25 Versammlungen auf den sechs Hauptinseln ihre Literatur und ihre Zeitschriften von diesem Depot beziehen.
EIN GROSSES WERK STEHT BEVOR
Es steht fest, daß in Spanien noch ein gewaltiges Werk zu tun ist. Wir schätzen, daß etwa eine Million Spanier noch nicht regelmäßig mit der guten Botschaft erreicht werden. Die Reihen der Sonderpioniere werden erweitert, und gegenwärtig predigen über 600 hauptsächlich in Gebieten, in denen am meisten Hilfe benötigt wird, zum Beispiel in Extremadura, Andalusien, Galicien und Asturien.
In einigen Fällen sind Ausharren und Mut erforderlich, um in solchen Gegenden durchzuhalten. Zum Beispiel wurde im Juni 1976 in Yecla eine Schwester von ihrem fanatischen Mann ermordet, nachdem er sie und die Brüder bedroht hatte und gegen die dort tätigen Sonderpioniere handgreiflich geworden war. Dieser Mord ereignete sich nur neun Tage nach der Einweihung des Königreichssaales. Später kam eine Pöbelrotte, zerschlug die Fenster des Königreichssaales, goß rote Farbe über die Fassade und ließ an der Tür ein Schild zurück, auf dem die Brüder fälschlich beschuldigt wurden, „Söhne der Pasionaria“ (einer bekannten kommunistischen Rednerin) zu sein.
Bald darauf begann ein junger Mann, die Zusammenkünfte zu besuchen, und es stellte sich heraus, daß er Mitglied einer Verbrecherbande aus jener Stadt war. Er nahm jedoch die Wahrheit an, änderte seine Lebensweise und wurde getauft. Das diente für viele seiner Freunde und Verwandten, die sich über seine Herzensänderung wunderten, zum Zeugnis. Eines Tages kam zum Beispiel ein weiterer junger Mann zu einer Zusammenkunft und sagte, er wolle wissen, was die Zeugen mit einem seiner Freunde (dem inzwischen getauften ehemaligen Verbrecher) getan hätten, der früher ein Schurke gewesen und jetzt zahmer als ein Lamm sei. Dieser zweite junge Mann war Mitglied der Bande gewesen, die den Königreichssaal mit roter Farbe beschmiert hatte. Doch jetzt studiert er und besucht die Zusammenkünfte.
1 922 Jahre sind vergangen, seit Paulus an die Römer schrieb: „Wenn ich je auf meinem Wege nach Spanien bin, [hoffe ich,] euch auf der Durchreise zu sehen“ (Röm. 15:24). Zweifellos freut sich Paulus, von seiner heutigen himmlischen Stellung aus das geistige Paradies zu sehen, das unter seinen neuzeitlichen christlichen Brüdern und Schwestern in diesem gastfreundlichen schönen Land so offenkundig ist. Wir wissen nicht, wieviel Zeit diesem System der Dinge noch verbleibt, doch wenn Jehova will, erwarten wir hier in Spanien eine weitere Mehrung, und wir machen Pläne für eine noch größere Ausdehnung. Die leitende Körperschaft hat der Errichtung eines neuen Bethelheim- und Fabrikkomplexes in der Nähe von Barcelona zugestimmt. Dadurch werden wir die Möglichkeit haben, unsere Zeitschriften in Spanien zu drucken, und für das künftige Wachstum ausgerüstet sein.
Jehova Gott gebühren der Ruhm und der Dank durch Christus Jesus für die wunderbaren Ergebnisse, die durch die Tätigkeit der christlichen Zeugen Jehovas im neuzeitlichen Spanien erzielt worden sind.
[Karte auf Seite 136]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
SPANIEN
La Coruña
Oviedo
Bilbao
San Sebastián
León
Burgos
Logroño
Pamplona
Huesca
Seo de Urgel
Palencia
Valladolid
Saragossa
Barcelona
Tarragona
Salamanca
Segovia
Madrid
Castellón de la Plana
Toledo
Valencia
Torralba de Calatravo
Ciudad Real
Alicante
Córdoba
Jaén
Murcia
Huelva
Sevilla
Granada
Almería
Cádiz
Málaga
La Línea
Palma
ATLANTIK
MITTELMEER
FRANKREICH
ANDORRA
BALEAREN
PORTUGAL