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Ein Alkoholiker in der FamilieErwachet! 1992 | 22. Mai
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Ein Alkoholiker in der Familie
„Zum Alkoholismus gehören auch Alkoholiker ... In der Familie gibt es vielleicht einen Alkoholiker, aber die ganze Familie leidet unter dem Alkoholismus“ (Dr. Vernon E. Johnson).
DIE fünfjährige Alice mußte im Bett liegen. In ihrem Bein, das sie zwei Tage zuvor komplett in Gips bekommen hatte, jagte ein pochender Schmerz. Der Gips saß zu eng, und das Bein schwoll unter dem Druck an. Alice flehte ihre Eltern an, sie zum Arzt zu bringen, doch ihr Vater hatte einen schlimmen Kater, und ihre Mutter war zwischen beiden hin und her gerissen, unsicher, wer ihre Aufmerksamkeit mehr benötigte.
Innerhalb weniger Tage wurde Alices Bein taub. Eine schwarze Flüssigkeit begann von ihrer Zehe zu tropfen. Endlich brachten ihre Eltern sie ins Krankenhaus. Als der Gips abgenommen wurde, fiel eine Krankenschwester beim Anblick des Beins in Ohnmacht. Alices Bein mußte wegen des Gangräns, das sich entwickelt hatte, abgenommen werden.
Alkoholismus und Co-Abhängigkeit
Die Tragik dieses Falles geht über den Verlust eines Gliedes weit hinaus. Alices Vater war Alkoholiker. Als solcher stand er weder buchstäblich noch emotionell zur Verfügung, als seine Tochter ihn dringend brauchte. „Die Natur des Alkoholismus fordert von dem Alkoholiker, seine Familie hintenanzustellen — nach dem Alkohol und allem, was dieser verlangt“, erklärt der Berater Toby Rice Drews.
Was war mit Alices Mutter? Auch sie war abhängig — nicht vom Alkohol, sondern von ihrem alkoholsüchtigen Mann. Die nichtabhängige Ehefrau wird typischerweise vollständig von ihren Bemühungen in Anspruch genommen, gegen das Trinken des Alkoholikers anzukämpfen oder zumindest mit seiner Unberechenbarkeit fertig zu werden.a Sie geht so völlig in dem Problem des Alkoholikers auf, daß sie die gleichen Abhängigkeitsmerkmale entwickelt — aber ohne Alkohol. Aus diesem Grund werden Menschen wie Alices Mutter auch Co-Abhängige genannt.
Sowohl der Alkoholiker wie der Co-Abhängige werden unwissentlich von etwas von außen Kommendem beherrscht. Beide unterliegen einem Verleugnungsprozeß. Beide stehen ihren Kindern emotionell nicht zur Verfügung. Beide sind in einem Leben der Enttäuschung und Verbitterung gefangen, denn so, wie der Alkoholiker sein Trinken nicht unter Kontrolle bekommt, so bekommt der Co-Abhängige den Alkoholiker nicht unter Kontrolle, und keiner von beiden kann die Auswirkungen kontrollieren, die der Alkoholismus auf ihre Kinder hat.
Doch es gibt Hilfe für den Alkoholiker und seine Familie. Darüber werden die folgenden Artikel sprechen.
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Wie kann die Familie helfen?Erwachet! 1992 | 22. Mai
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Wie kann die Familie helfen?
„Zuerst nimmt der Mann einen Schluck, dann nimmt der Schluck einen Schluck, und schließlich nimmt der Schluck den Mann“ (orientalische Weisheit).
WIR sind auf einer Wanderung am Rand eines Sumpfgebiets. Plötzlich gibt der Boden nach. Innerhalb weniger Augenblicke versinken wir im Morast. Je mehr wir uns anstrengen, desto tiefer sinken wir.
Der Alkoholismus verschlingt die gesamte Familie auf ziemlich ähnliche Weise. Die Co-Abhängige versucht verzweifelt, den Alkoholabhängigen zu ändern. Aus Liebe droht sie ihm, er trinkt weiter. Sie schließt den Alkohol weg, er kauft neuen. Sie versteckt das Geld, er borgt sich welches von Freunden. Sie appelliert an seine Liebe zur Familie, zu seinem Leben oder sogar an seine Liebe zu Gott — ohne Erfolg. Je mehr sie kämpft, desto tiefer sinkt die ganze Familie in den Alkohol„morast“. Um dem Alkoholiker helfen zu können, müssen die Familienmitglieder zuerst die Natur des Alkoholismus verstehen. Sie müssen wissen, warum einige „Lösungen“ mit fast absoluter Sicherheit zum Scheitern verurteilt sind, und sie müssen lernen, welche Methoden wirklich funktionieren.
Alkoholismus ist mehr als nur Trunkenheit. Es ist eine chronische Alkoholkonsumstörung, die durch eine übermäßige Beschäftigung mit dem Alkohol und den Verlust der Konsumkontrolle gekennzeichnet ist. Alkoholismus ist zwar nach Ansicht der meisten Fachleute nicht heilbar, aber er kann durch lebenslange Abstinenz zum Stillstand gebracht werden. (Vergleiche Matthäus 5:29.)
In gewisser Weise ist die Situation eines Alkoholikers mit der eines Diabetikers vergleichbar. Einem Diabetiker ist es zwar nicht möglich, die Funktionsstörung zu beseitigen, aber er kann mit seinem Körper zusammenarbeiten, indem er auf Zucker verzichtet. Ebenso kann ein Alkoholiker nichts daran ändern, wie sein Körper auf Alkohol reagiert, er kann jedoch entsprechend der Störung handeln, indem er vollständige Abstinenz übt.
Das ist jedoch einfacher gesagt als getan. Der Alkoholiker leugnet und verdrängt das Problem. „So schlimm ist das bei mir nicht.“ „Meine Familie bringt mich zum Trinken.“ „Wer würde bei so einem Chef wie meinem nicht trinken?“ Seine Ausflüchte klingen manchmal so überzeugend, daß die ganze Familie sich an dem Verdrängungsprozeß beteiligt. „Euer Vater muß am Ende des Tages etwas entspannen.“ „Vati muß trinken. Er muß Muttis dauernde Nörgelei erdulden.“ Alles — nur nicht das Familiengeheimnis aufdecken: Vati ist Alkoholiker. „Das ist die einzige Möglichkeit der Koexistenz“, erläutert Dr. Susan Forward. „Lügen, Entschuldigungen und Geheimnisse sind in diesen Familien so allgegenwärtig wie die Luft zum Atmen.“
Familienmitglieder können den Alkoholiker nicht aus dem Sumpf ziehen, solange sie selbst darin stecken. Einige mögen einwenden: „Der Alkoholiker braucht Hilfe — nicht ich!“ Doch sie sollten sich fragen: In welchem Maße sind meine Gefühle und Handlungen mit dem Verhalten des Alkoholikers verknüpft? Wie oft bin ich wegen seiner Handlungsweise wütend, beunruhigt, enttäuscht, verbittert und/oder verängstigt? Wie oft bleibe ich zu Hause, um mich um ihn zu kümmern, wenn ich eigentlich etwas Wichtigeres zu tun habe? Wenn die nicht alkoholabhängigen Familienmitglieder Schritte unternehmen, um ihr eigenes Leben zu verbessern, unternimmt der Alkoholiker möglicherweise ebenfalls Schritte in diese Richtung.
Man muß aufhören, die Schuld zu übernehmen. „Würdet ihr mich besser behandeln, brauchte ich nicht zu trinken“, sagt der Alkoholiker vielleicht. Der Berater Toby Rice Drews erklärt: „Der Alkoholiker braucht Sie, um das weiter zu glauben, damit er die Verantwortung für das Trinken auf Sie abwälzen kann.“ Darauf sollte man sich nicht einlassen. Der Alkoholiker ist nicht nur vom Alkohol abhängig, sondern auch von Menschen, die seinen Entschuldigungen Glauben schenken. So tragen Familienmitglieder unabsichtlich dazu bei, daß er weitertrinkt.
Ein Bibelspruch, der über das Verlieren der Selbstbeherrschung spricht, läßt sich auch in etwa auf den Alkoholiker anwenden: „Laß ihn die Folgen tragen. Wenn du ihn einmal aus den Schwierigkeiten befreist, wirst du es wieder tun müssen“ (Sprüche 19:19, Today’s English Version). Ja, der Alkoholiker soll selbst seinen Chef anrufen, sich selbst ins Bett schleppen und selbst das saubermachen, was er schmutzig gemacht hat. Wenn die Familienmitglieder das für ihn tun, helfen sie ihm nur, sich zu Tode zu trinken.
Man sollte sich um Hilfe bemühen. Es mag für die Familienmitglieder schwierig sein, wenn nicht unmöglich, sich sozusagen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Unterstützung von außerhalb ist erforderlich. Daher sollte man sich fest auf Freunde stützen, die weder die Verdrängungstaktik des Alkoholikers mitmachen noch einen im Sumpf steckenlassen.
Wenn der Alkoholiker einwilligt, sich helfen zu lassen, so kann man sich darüber wirklich freuen. Aber es ist erst der Anfang des Entwöhnungsprozesses. Die physische Abhängigkeit kann durch Entgiftung innerhalb von Tagen überwunden werden, doch die psychologische Abhängigkeit ist weit schwerer in den Griff zu bekommen.
[Kasten auf Seite 5]
Typische Merkmale von Alkoholikern
Ständige gedankliche Beschäftigung: Der Alkoholiker erwartet sehnsüchtig die Zeit, wo er trinken kann. Wenn er nicht trinkt, dann denkt er ans Trinken.
Kontrollverlust: Er trinkt oft mehr als geplant, ungeachtet, wie fest er sich vorgenommen hat, weniger zu trinken.
Uneinsichtigkeit: Selbstauferlegte Trinksysteme („Ich trinke nie allein“, „nie während der Arbeit“ usw.) sind nur ein Deckmantel für das eigentliche Motto des Alkoholikers: „Laß dich durch nichts am Trinken hindern.“
Alkoholverträglichkeit: Viel vertragen zu können ist keine Gabe; oft ist es ein erstes Anzeichen von Alkoholismus.
Negative Folgen: Normale Gewohnheiten wirken sich auf die Familie, die berufliche Laufbahn und die körperliche Gesundheit nicht zerstörerisch aus, Alkoholismus dagegen sehr (Sprüche 23:29-35).
Verleugnung: Der Alkoholiker versucht, sich zu rechtfertigen, spielt das Problem herunter und entschuldigt sein Verhalten.
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Man kann davon loskommenErwachet! 1992 | 22. Mai
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Man kann davon loskommen
„Wir stehen vor der Wahl: das Trinken aufgeben und geheilt werden oder weitertrinken und sterben“ (ein Alkoholiker im Genesungsprozeß).
MITTEN in der Nacht schrecken wir aus dem Schlaf. Das Haus brennt! Doch schon trifft Hilfe ein, und schließlich kann das Feuer gelöscht werden. Können wir jetzt einfach ins Haus zurückgehen, so als wäre nichts gewesen? Wohl kaum. Das Haus ist verwüstet und muß instand gesetzt werden, bevor erneut der normale Alltag einkehren kann.
Vor der gleichen Situation steht der Alkoholiker am Anfang seines Weges aus der Sucht. Der Alkohol hat in seinem Leben — möglicherweise viele Jahre lang — tiefe Spuren hinterlassen. Jetzt übt der Alkoholiker völlige Abstinenz; er ist, wie man sagt, trocken. Das „Feuer“ ist aus, doch ein umfassender Wiederaufbau seiner Werte und seiner Persönlichkeit, seiner Lebensweise und seines Verhaltens ist unumgänglich, wenn er trocken bleiben will. Die folgenden Empfehlungen können einem Alkoholiker helfen, auf Dauer nüchtern zu bleiben.
1. Den Feind kennen
Die Bibel sagt, daß die fleischlichen Begierden „mit der Seele im Streit liegen“ (1. Petrus 2:11). Der griechische Begriff, der mit „im Streit liegen“ wiedergegeben wird, bedeutet buchstäblich „Kriegsdienste tun“ und vermittelt den Gedanken von zerstörerischem Krieg. (Vergleiche Römer 7:23-25.)
So, wie sich jeder gute Soldat die Zeit nimmt, die Taktik seines Feindes zu studieren, so muß sich der Alkoholiker über die Natur des Alkoholismus informieren und darüber, wie dieser den Alkoholiker und die zerstört, die ihm nahestehen (Hebräer 5:14).a
2. Änderung der Trinkgewohnheiten und des Denkens
„Nüchternheit bedeutet, von der Flasche wegzukommen und von dem Kind“, erklärte ein Arzt. Mit anderen Worten: Man muß viel mehr ändern als nur die Trinkgewohnheiten; das innere Ich muß sich ebenfalls ändern.
In der Bibel finden wir die weisen Ermahnungen: „Werdet durch die Neugestaltung eures Sinnes umgewandelt“ (Römer 12:2). „Streift die alte Persönlichkeit mit ihren Handlungen ab“ (Kolosser 3:9). Wenn die Handlungsweise sich ändert, aber die Persönlichkeit die gleiche bleibt, wird der Alkoholiker einfach in eine andere Abhängigkeit geraten — oder wieder in die alte zurückfallen.
3. Ein verständnisvoller Vertrauter
Ein Bibelspruch lautet: „Wer sich absondert, wird nach seinem eigenen selbstsüchtigen Verlangen trachten; gegen alle praktische Weisheit wird er losbrechen“ (Sprüche 18:1). Selbst trockene Alkoholiker neigen zu Ausflüchten. Daher brauchen sie einen verständnisvollen, aber festen Vertrauten. Es ist von Vorteil, wenn der Vertraute selbst ein trockener Alkoholiker ist. (Vergleiche Sprüche 27:17.) Solch ein Vertrauter sollte die religiöse Überzeugung des Alkoholikers respektieren, aufopferungsvoll sein und in der Lage, ihm über einen längeren Zeitraum beizustehen (Sprüche 17:17).
4. Geduld üben
Der Genesungsprozeß verläuft schrittweise. Um sein Leben neu aufzubauen, benötigt der Alkoholiker Zeit. Da sind möglicherweise finanzielle Belastungen, Spannungen am Arbeitsplatz, Chaos zu Hause. Die Freiheit vom Alkohol bedeutet noch keine Freiheit von Problemen. Den Alkoholiker im Genesungsprozeß überkommen vielleicht anfangs Ängste, wenn er sich dem Leben ohne chemische „Problemlöser“ stellen muß. Wenn solche Ängste unüberwindlich scheinen, wäre es gut, sich an die tröstenden Worte des Psalmisten zu erinnern: „Wirf deine Bürde auf Jehova, und er selbst wird dich stützen. Niemals wird er zulassen, daß der Gerechte wankt“ (Psalm 55:22).
5. Sich guten Umgang suchen
Der Alkoholiker sollte sich ehrlich die Frage stellen: „Unterstützen diejenigen, mit denen ich Umgang habe, meine Abstinenz, oder reden sie immer wieder von der ‚guten alten Zeit‘ und vermitteln mir so das Gefühl, etwas zu versäumen?“ In Sprüche 18:24 können wir lesen: „Es gibt Gefährten, die bereit sind, einander zu zerschlagen, aber da ist ein Freund, der anhänglicher ist als ein Bruder.“ Ein gutes Urteilsvermögen ist notwendig, um zwischen echten Freunden und möglicherweise schädlichem Umgang unterscheiden zu können.
6. Sich vor einer Selbstüberschätzung hüten
„Ich fühl’ mich super! Ich habe nicht einmal mehr den Wunsch zu trinken!“ Der Alkoholiker, der sich so äußert, überschätzt seinen Fortschritt und unterschätzt den Alkoholismus. Die Begeisterung über die ersten Erfolge, sozusagen die rosa Wolke, ist nur vorübergehend. „Bemühen Sie sich um einen ausgeglichenen Gesichtspunkt“, rät das Buch Willpower’s Not Enough. „Ohne diesen stehen Sie vor dem Fall, und von einer Wolke fällt man tief.“ (Vergleiche Sprüche 16:18.)
7. Sich vor Ersatzabhängigkeiten hüten
Viele, die mit dem Trinken aufhören, entwickeln Eßstörungen, oder sie werden Workaholics, zwanghafte Spieler oder ähnliches. „Was ist daran so schlimm? Immerhin habe ich mit dem Trinken aufgehört“, argumentiert der im Genesungsprozeß stehende Alkoholiker. Es stimmt, gewisse physische Ventile können von Nutzen sein. Doch wenn irgendeine Substanz oder Tätigkeit dazu dient, die Gefühle zu betäuben, dann führt das nur zu einem falschen, vorübergehenden Gefühl der Sicherheit.
8. Sich in der Familie auf neue Rollen einstellen
So mancher Alkoholiker sabotiert seine Genesung, sobald sich die Dinge zum Besseren wenden. Warum? Einfach, weil die Abstinenz für ihn Neuland ist. Er fühlt sich möglicherweise zum vertrauten Lebensstil hingezogen. Außerdem bringt ein Alkoholiker, der trocken wird, die Familie aus den eingefahrenen Gleisen. Deshalb muß jedes Familienmitglied seine eigene Rolle verändern. „Das ganze Drehbuch für die Familie muß zu den Akten gelegt und an dessen Stelle ein neues geschaffen werden“, heißt es in der Broschüre Recovery for the Whole Family. Mit gutem Grund ist die Genesung eine Familienangelegenheit genannt worden. (Vergleiche 1. Korinther 12:26.)
9. Sich vor einem Rückfall hüten
Selbstüberschätzung, schlechte Gesellschaft, Ersatzzwänge und eine wachsende Isolation können einen für einen Rückfall anfällig machen. Daher muß man offen mit einem Vertrauten über jegliche Tendenz in diese Richtungen sprechen.
Ein trockener Alkoholiker sagte: „Alle Alkoholiker hören mit dem Trinken auf. Einige von uns haben das Glück aufzuhören, während sie noch am Leben sind.“
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