„Eine größere Liebe hat niemand“
FRANÇOIS, ein in Paris lebender Zeuge Jehovas, ist mit folgenden Worten Jesu Christi zweifellos gut vertraut: „Das ist mein Gebot, daß ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe. Eine größere Liebe hat niemand als die, daß er sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Johannes 15:12, 13, Pattloch-Bibel). Als François am Morgen des 22. September 1984 erwachte, konnte er wohl kaum ahnen, daß noch am gleichen Tag diese Worte für ihn eine ganz neue Bedeutung annehmen würden.
Am Abend dieses Tages geht er wie üblich in die Zusammenkunft der Versammlung Paris-Central, die um 17.30 Uhr beginnt. Seit 25 Jahren benutzt die Versammlung einen gemieteten Saal im 4. Stock eines alten Bürogebäudes. Das Gebäude liegt an einem schönen Platz am Ende der berühmten Avenue de l’Opera, in der Nähe des Louvre.
Da François als Ordner dient, steht er am Eingang, um zu spät kommende Personen zu begrüßen. Als der Redner seinen biblischen Vortrag schon etwa zur Hälfte gehalten hat, bemerkt François plötzlich den Geruch von Feuer. Dann entdeckt er, daß unter der Eingangstür Rauch hervorquillt. Er öffnet die Tür und erblickt einen grünen Koffer, aus dem der Rauch kommt.
François ergreift den Koffer und hastet die drei Treppen hinunter. Er ist schon fast unten, als er stolpert. Der Koffer entgleitet ihm und springt auf. Ein orangefarbener Benzinkanister aus Plastik fällt heraus. Schnell schließt er den rauchenden Koffer wieder und rennt damit aus dem Gebäude. Er stürzt über die Straße, wo er einem vorbeifahrenden Auto gerade noch ausweichen kann, und wirft den Koffer in das Wasserbecken des Brunnens, der auf dem Platz steht. Dann läuft er zurück, um den Benzinkanister zu holen, da er befürchtet, daß es sich ebenfalls um eine Bombe handeln könnte. Mit dem Kanister eilt er wieder zum Brunnen und wirft auch ihn ins Wasser.
Inzwischen sind zwei Älteste der Versammlung zu ihm herunter an den Brunnen gekommen, um festzustellen, was vor sich geht. Da aus dem nur zum Teil vom Wasser bedeckten Koffer immer noch Rauch quillt, hält es einer der Ältesten für das beste, sofort die Polizei zu benachrichtigen. Die drei haben sich gerade ein paar Schritte vom Brunnen entfernt, als die Bombe explodiert. Die Fensterscheiben der Häuser rings um den Platz zersplittern, und mehrere Personen werden von den herunterfallenden Glasscherben leicht verletzt. François und die beiden Ältesten werden mit Schmutz und Wasser aus dem Brunnen bespritzt, bleiben aber unverletzt. Die Einfassung des Brunnens hat sie offensichtlich gegen die Explosion abgeschirmt.
Die Fensterscheiben des Königreichssaales, der sich auf der anderen Straßenseite befindet, sind zerbrochen, und einige der Anwesenden sind von der Wucht der Explosion zu Boden gerissen worden. Doch nicht ein einziger von ihnen ist verletzt worden. Die schweren Vorhänge haben die meisten der umherfliegenden Glassplitter aufgefangen.
Der Redner fordert die Anwesenden auf, Ruhe zu bewahren. Nach einem inbrünstigem Gebet, in dem man Jehova für seinen Schutz dankt, wird die Zusammenkunft fortgesetzt. Schon bald erscheinen Polizeibeamte und die Feuerwehr. Sie warten jedoch bis zum Ende der Zusammenkunft, bevor sie ihre Untersuchung beginnen und den Saal von Glassplittern reinigen.
Die Behördenvertreter beglückwünschen die Zeugen zu ihrer Gelassenheit und besonders François zu seiner tapferen Tat. Sie sind sich darin einig, daß die Anwesenden wahrscheinlich ihr Leben seiner Geistesgegenwart und seinem schnellen Handeln verdanken. Wenn die Bombe in dem hölzernen Treppenaufgang explodiert und der Saal durch das Benzin in Brand geraten wäre, wären alle von den Flammen eingeschlossen worden.
In den französischen Medien wurde über diesen Bombenanschlag ausführlich berichtet. Selbst eine schweizerische Zeitung brachte die Nachricht unter der Überschrift „Erstaunliche Gelassenheit“. François erbat Polizeischutz, weil ihn die Fernseh- und Pressereporter unbedingt ins Rampenlicht ziehen wollten. Als man ihn befragte, erklärte er nur demütig: „Ich erkannte, daß unser aller Leben in Gefahr war. Daher dachte ich, es wäre besser, wenn nur ich sterben würde statt wir alle.“
Einer der Polizisten sagte zu ihm: „Es ist ein Wunder, daß Sie noch leben. Ihr Gott muß Sie beschützt haben. Sie sind ein echter Zeuge Jehovas.“
Als dieser Artikel verfaßt wurde, suchte die Polizei noch immer nach dem Bombenleger.