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Ein weltweites ProblemErwachet! 2001 | 22. Oktober
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Ein weltweites Problem
„Suizid stellt eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Gesundheit dar“ (David Satcher, oberster Amtsarzt der USA, 1999).
MIT diesen Worten hat zum ersten Mal in der Geschichte der oberste amerikanische Gesundheitsbeamte Suizid zu einem öffentlichen Thema gemacht. Da in den USA mittlerweile mehr Menschen durch eigene Hand als durch die Hand anderer sterben, überrascht es kaum, daß der US-Senat der landesweiten Suizidvorbeugung höchste Priorität einräumt.
Allerdings liegen die Vereinigten Staaten mit einer Suizidrate von 11,4 (1997), bezogen auf 100 000 Einwohner, noch unter der von der Weltgesundheitsorganisation für das Jahr 2000 veröffentlichten globalen Rate von 16 auf 100 000. In den letzten 45 Jahren sind weltweit die Suizidraten um 60 Prozent angestiegen. Gegenwärtig begehen in einem einzigen Jahr weltweit etwa 1 Million Menschen Selbstmord. Das entspricht einem Todesfall etwa alle 40 Sekunden.
Statistiken sind jedoch nur begrenzt aussagefähig. Häufig streiten die Angehörigen des Verstorbenen ab, daß es sich um einen Selbstmord gehandelt hat. Außerdem kommen auf jeden vollendeten Selbstmord schätzungsweise 10 bis 25 Selbstmordversuche. Gemäß einer Studie gaben 27 Prozent der Schüler an amerikanischen High-Schools zu, im vergangenen Jahr ernsthaft an Selbstmord gedacht zu haben; 8 Prozent der Befragten hatten Selbstmordversuche unternommen. Gemäß anderen Untersuchungen denken 5 bis 15 Prozent aller Erwachsenen gelegentlich an Selbstmord.
Kulturelle Unterschiede
Die Ansichten über Selbstmord unterscheiden sich deutlich. Während die einen Suizid als Verbrechen oder als feige Flucht betrachten, sehen andere im Suizid eine ehrenhafte Möglichkeit, schwere Fehler zu sühnen. Mancher hält es für edel, Selbstmord zu begehen, um eine Sache zu fördern. Wie kommen diese unterschiedlichen Ansichten zustande? Ein wesentlicher Faktor ist der kulturelle Hintergrund. So heißt es im Harvard Mental Health Letter, daß eventuell sogar die Kultur „die Wahrscheinlichkeit eines Suizids beeinflußt“.
Wie verhält es sich beispielsweise in Ungarn? In Zusammenhang mit der hohen Selbstmordrate in diesem Land spricht Dr. Zoltán Rihmer von Ungarns „trauriger ‚Tradition‘ “. Béla Buda, Direktor der nationalen ungarischen Gesundheitsbehörde, erklärte, die Ungarn ließen sich durch alle möglichen Gründe nur allzuschnell zum Selbstmord verleiten. Äußerungen wie: „Er hat Krebs, aber er weiß, wie er diesen Zustand beenden kann“ seien nicht selten, so Buda.
In Indien wurde einst ein religiöser Brauch namens Sati praktiziert — die Selbstverbrennung einer Witwe auf dem Scheiterhaufen ihres verstorbenen Mannes. Dieser Brauch ist zwar seit langem verboten, jedoch noch nicht vollständig aufgegeben. Als eine Frau auf diese Weise Selbstmord begangen haben soll, verherrlichten viele der Einheimischen den tragischen Vorfall. Wie die Zeitung India Today berichtete, haben sich in der betreffenden Region Indiens „25 Frauen in ebenso vielen Jahren auf dem Scheiterhaufen ihres Mannes selbst verbrannt“.
In Japan fällt auf, daß dort dreimal so viele Menschen durch Selbstmord sterben wie im Straßenverkehr. „Ein Merkmal der traditionellen Kultur Japans, in der Selbstmord niemals verurteilt wurde, ist ein hochinstitutionalisiertes Ritual der Selbsttötung durch Bauchaufschlitzen [Seppuku oder Harakiri]“, heißt es in dem Werk Japan—An Illustrated Encyclopedia.
In seinem Buch Bushido — Die Seele Japans erläuterte der spätere Untergeneralsekretär des Völkerbundes, Inazo Nitobe, die Faszination, die der Tod auf die japanische Kultur ausübt. Er schrieb: „Es [Seppuku] war eine Erfindung des Mittelalters, ein Prozeß, durch welchen Krieger ihre Verbrechen sühnten, ihre Fehler gutmachten, der Schande entrannen, ihre Freunde befreiten oder ihre Aufrichtigkeit bewiesen.“ Diese ritualisierte Form des Selbstmordes gehört heute zwar größtenteils der Vergangenheit an, doch manchmal wird auf Grund gesellschaftlicher Konventionen noch von diesem Mittel Gebrauch gemacht.
Im Gegensatz dazu galt Selbstmord in der Christenheit lange als Verbrechen. Im 6. und 7. Jahrhundert exkommunizierte die römisch-katholische Kirche Selbstmörder und verweigerte ihnen ein kirchliches Begräbnis. An manchen Orten führte religiöser Eifer zu befremdenden Verhaltensweisen wie dem Erhängen der Leiche oder sogar dem Durchbohren des Herzens mit einem Pflock.
So paradox es erscheinen mag: wer einen Selbstmordversuch unternahm, konnte dafür mit dem Tod bestraft werden. Im 19. Jahrhundert wurde ein Engländer gehängt, weil er versucht hatte, sich zu töten, indem er sich die Kehle durchschnitt. So vollendeten die Behörden, was dem Mann selbst nicht gelungen war. Die Strafen für versuchten Selbstmord variierten zwar im Laufe der Zeit, doch immerhin erklärte das britische Parlament erst 1961 Suizid und versuchten Suizid zu nicht strafbaren Handlungen. In Irland blieb versuchter Suizid bis 1993 strafbar.
Heute empfehlen einige Autoren, die Möglichkeit der Selbsttötung in Betracht zu ziehen. In einem 1991 erschienenen Buch über Sterbehilfe für unheilbar kranke Menschen wurden Methoden gezeigt, seinem Leben ein Ende zu setzen. Später wandten auch etliche Menschen, die nicht unheilbar krank waren, eine der empfohlenen Methoden an.
Ist ein Suizid wirklich die Lösung für persönliche Probleme? Oder gibt es nicht doch gute Gründe, am Leben zu bleiben? Bevor wir darauf eingehen, stellt sich eine weitere Frage: Was geht einem Suizid voraus?
[Herausgestellter Text/Bild auf Seite 4]
In einem einzigen Jahr begehen weltweit etwa 1 Million Menschen Selbstmord. Das entspricht einem Todesfall etwa alle 40 Sekunden.
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Warum Menschen am Leben verzweifelnErwachet! 2001 | 22. Oktober
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Warum Menschen am Leben verzweifeln
„Kein Selbstmord gleicht einem anderen. Jeder ist etwas ganz eigenes, unverständlich und schrecklich“ (Kay Redfield Jamison, Fachärztin für Psychiatrie).
„DAS Leben ist ein Leiden.“ Diese Worte schrieb Ryūnosuke Akutagawa, ein bekannter japanischer Schriftsteller in den 1920er Jahren, kurz bevor er Selbstmord beging. Vor diese Äußerung setzte er jedoch die Worte: „Natürlich möchte ich nicht sterben, aber . . .“
Wie Akutagawa wollen viele Selbstmörder nicht ihrem Leben, sondern „ihrer Lebenssituation ein Ende setzen“, so stellte ein Professor der Psychologie fest. Diesen Schluß legen auch die Worte nahe, die man in den meisten Abschiedsbriefen liest. Formulierungen wie „Ich konnte es nicht länger ertragen“ oder „Warum soll ich weiterleben?“ belegen vor allem den verzweifelten Wunsch, der rauhen Wirklichkeit des Lebens zu entkommen. Wie ein Therapeut feststellte, ist Selbstmord zu begehen jedoch „etwa so, als würde man einer Erkältung mit einer Atombombe zu Leibe rücken“.
Die Gründe, warum ein Mensch Selbstmord begeht, sind zwar unterschiedlich, doch im allgemeinen geben bestimmte Erlebnisse und Umstände den Anstoß zum Suizid.
Suizidauslöser
Es ist nicht ungewöhnlich, daß junge Menschen Selbstmord begehen, weil sie an etwas verzweifeln, was anderen vielleicht sogar völlig belanglos erscheint. Jugendliche, die tief verletzt wurden und sich ohnmächtig fühlen, mögen ihren Tod als Mittel betrachten, sich an denjenigen zu rächen, die ihnen den Schmerz zugefügt haben. Hiroshi Inamura, ein japanischer Experte für die Behandlung suizidaler Menschen, schrieb: „Durch ihren Tod geben Kinder einem inneren Bedürfnis nach, die Person, die sie verletzt hat, zu bestrafen.“
Nach einer neueren britischen Untersuchung ist bei Kindern, die von Mitschülern massiv schikaniert werden, die Wahrscheinlichkeit eines Selbstmordversuches siebenmal höher als bei anderen Kindern. Der emotionale Schmerz, den diese Kinder verspüren, ist sehr real. Ein 13jähriger, der sich erhängte, hinterließ eine Notiz mit den Namen von 5 Mitschülern, die ihn mißhandelt und sogar Geld von ihm erpreßt hatten. Er schrieb: „Bitte rettet andere Kinder.“
Schwierigkeiten in der Schule, Straffälligkeit, das Ende einer Liebesbeziehung, ein schlechtes Zeugnis, Prüfungsstreß oder Hoffnungslosigkeit angesichts düsterer Zukunftsaussichten: auch aus diesen Gründen mag ein junger Mensch versuchen, sich das Leben zu nehmen. Gute Schüler mit einem Hang zum Perfektionismus unternehmen vielleicht auf Grund eines tatsächlichen oder vermeintlichen Rückschlags oder Versagens einen Selbstmordversuch.
Bei Erwachsenen sind häufig finanzielle oder berufliche Schwierigkeiten der Auslöser. Nach einer jahrelangen Rezession liegt die Zahl der Selbstmorde in Japan jetzt bei über 30 000 pro Jahr. Gemäß der Mainichi Daily News nahmen sich etwa drei Viertel der männlichen Selbstmörder mittleren Alters wegen „Schulden, Geschäftsflaute, Armut und Arbeitslosigkeit“ das Leben. Auch familiäre Probleme können zum Selbstmord führen. Wie eine finnische Zeitung berichtete, sind „Männer im mittleren Alter kurz nach einer Scheidung“ besonders gefährdet. Laut einer in Ungarn durchgeführten Studie stammen die meisten Mädchen, die Selbstmordgedanken hegen, aus zerbrochenen Familien.
Der Ruhestand und körperliche Gebrechen sind besonders bei älteren Menschen maßgebliche suizidauslösende Faktoren. Selbstmord wird von einem Kranken oft nicht erst dann als Ausweg gewählt, wenn keine Heilungschance mehr besteht, sondern schon, wenn er seine Leiden als unerträglich empfindet.
Allerdings lösen diese Umstände nicht bei allen einen Suizid aus. Im Gegenteil, die meisten Menschen nehmen sich angesichts solcher Belastungen nicht das Leben. Aber wieso neigen einige überhaupt zum Selbstmord, wenn er doch für die Mehrheit nicht in Frage kommt?
Begünstigende Faktoren
„Der Entschluss zu sterben lässt sich in hohem Maße darauf zurückführen, dass Ereignisse in einen ganz bestimmten Zusammenhang gesetzt werden“, sagt Kay Redfield Jamison, Professorin für Psychiatrie an der medizinischen Fakultät der Johns-Hopkins-Universität. Weiter sagt sie: „Der gesunde Verstand dagegen konstruiert in der Regel keine Ereignisse, die so verheerend sind, dass sie einen Selbstmord rechtfertigen.“ Eve K. Mościcki vom Nationalen Institut für Mentalhygiene der Vereinigten Staaten erklärt, bei suizidalem Verhalten spiele vieles mit — manches davon im Verborgenen. Dazu zählen psychische Störungen und Suchtkrankheiten, erbliche Vorbelastung und chemische Vorgänge im Gehirn. Worum geht es dabei unter anderem?
Am gravierendsten sind psychische Krankheiten, beispielsweise Depressionen, manisch-depressive Erkrankungen und Schizophrenie, sowie Suchtprobleme wie Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Gemäß europäischen und amerikanischen Untersuchungen hängen über 90 Prozent aller vollendeten Selbstmorde mit derartigen Störungen zusammen. So hat man in Schweden herausgefunden, daß die Suizidrate bei Männern, die nicht von solchen Problemen betroffen sind, bei 8,3 pro 100 000 lag, bei Depressiven jedoch auf 650 pro 100 000 hochschnellte. Außerdem weisen Experten darauf hin, daß in asiatischen Ländern ähnliche Faktoren zum Suizid beitragen. Doch selbst wenn Depressionen und mögliche Suizidauslöser zusammentreffen, ist der Selbstmord nicht unausweichlich.
Professor Jamison, die selbst einen Selbstmordversuch unternommen hat, sagt: „Depression ist so lange erträglich, wie der Glaube erhalten bleibt, dass sich die Situation bessern wird.“ Wie sie jedoch feststellte, bewirkt die allmählich tiefer und unerträglicher werdende Verzweiflung, daß die Selbstmordimpulse immer schlechter zu kontrollieren sind. Sie vergleicht diese Situation mit dem Verschleiß von laufend beanspruchten Bremsen eines Autos.
Es ist lebenswichtig, diese Entwicklung rechtzeitig zu bemerken, da eine Depression behandelt werden kann. Auch das Gefühl der Ohnmacht läßt sich umkehren. Wer sich mit diesen begünstigenden Faktoren auseinandersetzt, mag mit Sorgen und Belastungen, die oft zum Selbstmord führen, anders umgehen können.
Manche sind der Ansicht, bei vielen Selbstmorden spiele die Veranlagung eine Rolle. Zwar beeinflussen die Gene teilweise das Temperament eines Menschen, und innerhalb mancher Familien treten Suizide gehäuft auf, wie Studien belegen, doch „eine genetische Disposition zum Selbstmord heißt . . . auf keinen Fall, dass dieser unvermeidlich ist“, so Jamison.
Chemische Vorgänge im Gehirn können ebenfalls eine Rolle spielen. Im Gehirn kommunizieren Milliarden von Neuronen elektrochemisch miteinander. Die ausgestreckten Nervenfasern enden an einem schmalen synaptischen Spalt, über den Neurotransmitter auf chemischem Weg Informationen transportieren. Die biologische Suizidanfälligkeit könnte mit der Konzentration eines bestimmten Neurotransmitters, Serotonin, zusammenhängen. Das Buch Die Reise ins Innere des Gehirns enthält den Hinweis: „Ein niedriger Serotoninspiegel kann . . . die Quelle des individuellen Lebensglückes versiegen und damit das Interesse an der eigenen Existenz schwinden lassen, wodurch das Risiko von Depression und Selbstmord erhöht wird.“
Eines ist sicher: Niemand muß Selbstmord begehen. Millionen von Menschen leben mit Sorgen und Belastungen. Was manche zum Selbstmord führt, ist die Art, wie sie emotional und verstandesmäßig auf Belastungen reagieren. Deshalb muß man sich sowohl mit den unmittelbaren Suizidauslösern als auch mit den begünstigenden Faktoren befassen.
Doch wie kann man jemand optimistischer stimmen und ihm das Leben wieder schmackhaft machen?
[Kasten auf Seite 6]
Selbstmord und Geschlechtszugehörigkeit
Frauen unternehmen zwar zwei- bis dreimal so viele Suizidversuche wie Männer, doch die Suizidversuche von Männern führen viermal häufiger zum Tod, das geht aus einer amerikanischen Studie hervor. Die höhere Anzahl der Suizidversuche von Frauen könnte damit zusammenhängen, daß sie mindestens doppelt so häufig an Depressionen erkranken wie Männer. Doch bei Frauen verläuft die Depression möglicherweise weniger aggressiv, weshalb sie wohl auch weniger aggressive Suizidmethoden bevorzugen. Männer wählen vor allem harte und gewaltsame Methoden, die garantiert tödlich sind.
In China dagegen sterben mehr Frauen als Männer durch Suizid. Wie eine entsprechende Untersuchung zeigte, sind weltweit 56 Prozent aller Selbstmörderinnen Chinesinnen — vor allem aus ländlichen Regionen. Es heißt, einer der Gründe, warum so viele impulsive Suizidversuche von chinesischen Frauen tödlich enden, sei der leichte Zugang zu hochgiftigen Schädlingsbekämpfungsmitteln.
[Kasten/Bild auf Seite 7]
Selbstmord und Einsamkeit
Bei Depressionen und Selbstmord spielt unter anderem Einsamkeit eine Rolle. Jouko Lönnqvist, Leiter einer finnischen Suizidstudie, sagte: „Viele [Selbstmörder] haben ein einsames Leben geführt. Sie hatten reichlich freie Zeit, doch kaum soziale Kontakte.“ Kenshiro Ohara, Psychiater an der medizinischen Fakultät der Universität Hamamatsu (Japan) bemerkte, in Japan hänge die gegenwärtige Zunahme von Suiziden unter Männern mittleren Alters mit ihrer „Isolation“ zusammen.
[Bild auf Seite 5]
Bei Erwachsenen sind häufig finanzielle oder berufliche Schwierigkeiten der Auslöser für einen Suizid
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Man kann Hilfe findenErwachet! 2001 | 22. Oktober
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Man kann Hilfe finden
„NEUNUNDVIERZIG Schlaftabletten — aufgelöst in einer Tasse. Soll ich sie wirklich schlucken?“ fragte sich der 28jährige Schweizer. Nachdem seine Frau und seine Kinder ihn verlassen hatten, war er schwer depressiv geworden. Aber kaum hatte er die Tasse geleert, sagte er sich: „Nein! Ich will nicht sterben!“ Glücklicherweise hat er überlebt und konnte seine Geschichte selbst erzählen. Spontane Selbstmordversuche enden nicht immer tödlich.
Alex Crosby von den amerikanischen Zentren für Gesundheitsüberwachung sagte im Hinblick auf Suizidversuche von Jugendlichen: „Man kann einen Suizid verhindern, wenn man es schafft, ihn einige Stunden hinauszuzögern. Etliche Menschen mit Selbstmordabsichten lassen sich von der Tat abbringen, vorausgesetzt, jemand greift ein. Viele Leben könnten gerettet werden.“
Professor Hisashi Kurosawa vom Lebensrettungs- und Notfallzentrum des Japan Medical College konnte durch seine Arbeit bereits Hunderten von Suizidpatienten helfen, ihren Lebenswillen zurückzugewinnen. Dadurch, daß man etwas unternimmt, kann man wirklich Leben retten. Worauf kommt es dabei an?
Probleme an der Wurzel packen
Wie die im vorhergehenden Artikel erwähnten Studien belegen, spielen bei 90 Prozent aller Suizidfälle psychische Störungen oder der Mißbrauch von Suchtmitteln eine Rolle. Daher sagt Eve K. Mościcki vom US-Institut für Mentalhygiene: „Die vielversprechendste Suizidprävention für sämtliche Altersgruppen besteht darin, psychischen Störungen und Suchterkrankungen vorzubeugen.“
Leider lehnen es viele Betroffene ab, Hilfe zu suchen. Warum? „Auf Grund starker gesellschaftlicher Vorurteile“, erklärt Yoshitomo Takahashi vom Tokyo Metropolitan Institute of Psychiatry. Er ergänzt, daß sogar Menschen, die merken, daß mit ihnen etwas nicht stimmt, zögern würden, sich um eine sofortige Behandlung zu bemühen.
Doch nicht alle lassen sich durch Schamgefühle davon abhalten, etwas zu unternehmen. Hiroshi Ogawa, ein bekannter japanischer Fernsehansager, der seit 17 Jahren eine eigene Sendung hat, sprach öffentlich über seine Depressionen und gab zu, sich sogar beinahe das Leben genommen zu haben. „Depression wird als eine Grippe des Gemüts bezeichnet“, sagte Ogawa. Jeder könne daran erkranken, aber man könne sich auch wieder davon erholen, erklärte er.
Mit jemandem reden
„Wenn jemand mit seinem Problem allein ist, erscheint ihm dieses meist unverhältnismäßig groß und unlösbar“, sagt der bereits zitierte ungarische Experte Béla Buda. Diese Beobachtung unterstreicht die Weisheit eines alten biblischen Sprichwortes: „Wer sich absondert, wird nach seinem eigenen selbstsüchtigen Verlangen trachten; gegen alle praktische Weisheit wird er losbrechen“ (Sprüche 18:1).
Diese weisen Worte sollte man sich wirklich zu Herzen nehmen. Statt zu denken, man müsse allein gegen eine Flut von erdrückenden persönlichen Problemen ankämpfen, ist es notwendig, sich einen Menschen zu suchen, dem man sich anvertrauen kann. „Ich habe aber niemanden, dem ich mich anvertrauen kann“, mag jemand einwenden. Wie der Psychiater Dr. Naoki Sato bestätigt, ergeht es vielen so. Laut Dr. Sato sind die Betreffenden möglicherweise nicht bereit, sich jemandem anzuvertrauen, weil sie ihre Schwächen nicht offenlegen wollen.
Wo kann man Gehör finden? Vielerorts bieten Suizid-Präventions-Zentren oder Telefondienste Hilfe an, oder es läßt sich ein qualifizierter Arzt ausfindig machen, der sich mit emotionalen Störungen auskennt. Daneben erkennen manche Fachleute noch etwas anderes als hilfreich an — die Religion. Inwiefern?
Personen, denen geholfen wurde
Marin, ein Invalide aus Bulgarien, hatte mit der Zeit nur noch den Wunsch, endlich tot zu sein. Eines Tages fiel ihm die religiöse Zeitschrift Der Wachtturm (eine Veröffentlichung von Jehovas Zeugen) in die Hände. Dort las er, daß man sich persönlich von Jehovas Zeugen besuchen lassen kann, und er bat um einen solchen Besuch. Marin beschreibt, was dabei herauskam: „Ich lernte von ihnen, daß das Leben ein Geschenk unseres himmlischen Vaters ist und daß wir nicht das Recht haben, uns selbst Schaden zuzufügen oder vorsätzlich unser Leben zu beenden. Daher ließ ich meinen früheren Wunsch, mich umzubringen, fallen und lernte allmählich sogar, das Leben wieder zu lieben.“ Außerdem wurde Marin durch die Christenversammlung liebevoll unterstützt. Er ist zwar immer noch behindert, doch heute sagt er: „Meine Tage sind voller Freude und Ruhe; ich habe so viele angenehme Dinge zu tun — sogar mehr, als meine Zeit erlaubt! All das verdanke ich Jehova und seinen Zeugen.“
Der anfangs erwähnte junge Schweizer erfuhr ebenfalls Hilfe von Jehovas Zeugen. Er erwähnt „die Freundlichkeit einer christlichen Familie“, die ihn bei sich aufnahm, und fügt hinzu: „Später haben mich die Glieder der Versammlung [von Jehovas Zeugen] Tag für Tag abwechselnd zum Essen eingeladen. Was mir half, war nicht nur die Gastfreundschaft, sondern auch die Möglichkeit, mit jemandem zu reden.“
Dieser Mann schöpfte viel Mut aus dem, was er aus der Bibel lernte, besonders als er erfuhr, wie sehr der wahre Gott, Jehova, die Menschheit liebt (Johannes 3:16). Gott hört wirklich zu, wenn jemand ‘sein Herz vor ihm ausschüttet’ (Psalm 62:8). „Seine Augen durchschweifen die ganze Erde“, und zwar nicht, um nach den Fehlern der Menschen zu suchen, sondern „damit er sich stark erweist zugunsten derer, deren Herz ihm gegenüber ungeteilt ist“ (2. Chronika 16:9). Jehova sichert uns zu: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir. Blicke nicht gespannt umher, denn ich bin dein Gott. Ich will dich stärken. Ich will dir wirklich helfen. Ja, ich will dich festhalten mit meiner Rechten der Gerechtigkeit“ (Jesaja 41:10).
Über die göttliche Verheißung einer neuen Welt sagt der junge Schweizer: „Dadurch wurde mir viel von meiner Frustration genommen.“ Diese Hoffnung, die als ‘ein Anker für die Seele’ beschrieben wird, schließt das Versprechen ein, daß wir ewig im Paradies auf der Erde leben können (Hebräer 6:19; Psalm 37:10, 11, 29).
Wir bedeuten anderen viel
In bestimmten Situationen fühlt man sich vielleicht völlig allein und denkt, es kümmere sowieso niemanden, ob man lebt oder nicht. Man darf jedoch eins nicht vergessen: Sich allein zu fühlen heißt noch lange nicht, tatsächlich allein zu sein. In biblischer Zeit war der Prophet Elia einmal an einem Tiefpunkt seines Lebens angelangt. Er sagte zu Jehova: „Deine Propheten haben sie mit dem Schwert getötet, so daß nur ich übriggeblieben bin.“ Elia fühlte sich völlig allein gelassen — und das anscheinend zu Recht. Viele seiner Mitpropheten waren getötet worden. Er selbst war zum Tode verurteilt und floh um sein Leben. Doch war er wirklich völlig allein? Nein. Jehova ließ ihn wissen, daß es in diesen dunklen Zeiten noch 7 000 andere loyale Menschen gab, die genau wie er versuchten, dem wahren Gott in Treue zu dienen (1. Könige 19:1-18). Wie steht es also mit uns? Sind wir womöglich auch nicht so allein, wie wir meinen?
Es gibt Menschen, denen wir nicht egal sind. Denken wir nur an unsere Eltern, an unseren Ehepartner, an unsere Kinder und Freunde. Aber sie sind nicht die einzigen. In der Versammlung der Zeugen Jehovas findet man reife Christen, denen wir etwas bedeuten, die geduldig zuhören sowie für uns und mit uns beten (Jakobus 5:14, 15). Und selbst wenn uns alle Menschen, die ja unvollkommen sind, enttäuschen sollten, gibt es einen, der immer zu uns hält. König David sagte in alter Zeit: „Falls mein eigener Vater und meine eigene Mutter mich verließen, würde ja Jehova selbst mich aufnehmen“ (Psalm 27:10). Ja, ‘Jehova sorgt für uns’ (1. Petrus 5:7). Vergessen wir niemals: Für Jehova sind wir wertvoll!
Das Leben ist ein Geschenk von Gott. Es stimmt, manchmal erscheint uns unser Leben vielleicht wie eine Last und nicht wie ein Geschenk. Angenommen, jemand würde ein wertvolles Geschenk, das wir ihm gemacht haben, einfach wegwerfen, ohne es richtig gebraucht zu haben. Wie würden wir wohl empfinden? In ähnlicher Weise haben wir unvollkommenen Menschen das Geschenk des Lebens noch gar nicht richtig genutzt. In der Bibel heißt es sogar, unser momentanes Leben sei von Gottes Standpunkt aus noch nicht einmal „das wirkliche Leben“ (1. Timotheus 6:19). Doch in naher Zukunft wird unser Leben weitaus erfüllter, sinnvoller und glücklicher sein. Wie ist das möglich?
Die Bibel sagt: „[Gott] wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch wird Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz mehr sein. Die früheren Dinge sind vergangen“ (Offenbarung 21:3, 4). Warum sich nicht einmal ganz in Ruhe ausmalen, wie das Leben sein wird, wenn sich diese Worte erfüllt haben? Entsteht vor unserem geistigen Auge ein lebendiges Bild voller Details? Dieses Bild ist keine bloße Phantasievorstellung. Wenn wir intensiv darüber nachdenken, wie Jehova in der Vergangenheit mit seinem Volk gehandelt hat, wird unser Vertrauen zu ihm tiefer und dieses Bild wird für uns immer realer werden (Psalm 136:1-26).
Bis man sich wieder von ganzem Herzen wünscht zu leben, kann einige Zeit vergehen. Man sollte weiter unablässig zu dem „Gott allen Trostes, der uns tröstet in all unserer Drangsal“ beten (2. Korinther 1:3, 4; Römer 12:12; 1. Thessalonicher 5:17). Jehova wird einem die Kraft geben, die man benötigt. Er wird einem beweisen, daß das Leben lebenswert ist (Jesaja 40:29).
[Kasten/Bild auf Seite 9]
Wie kann man jemandem helfen, der selbstmordgefährdet zu sein scheint?
Was ist zu tun, wenn uns jemand anvertraut, daß er sich das Leben nehmen will? „Man sollte sehr aufmerksam zuhören“, raten die US-Zentren für Gesundheitsüberwachung (CDC). Es wäre gut, die betreffende Person über ihre Gefühle reden zu lassen. Oft ist jemand, der an Selbstmord denkt, allerdings in sich gekehrt und nicht besonders mitteilsam. Man sollte sich vergegenwärtigen, daß der Schmerz und die Hoffnungslosigkeit solch eines Menschen echt sind. Wenn man taktvoll gewisse Verhaltensänderungen erwähnt, die man beobachtet hat, läßt sich der Betreffende vielleicht dazu bewegen, sich zu öffnen und sich auszusprechen.
Einfühlsames Zuhören: „Es ist wichtig, diesem Menschen deutlich zu zeigen, wieviel er uns und anderen bedeutet“, so der Rat der CDC. Man muß ihn wissen lassen, was für eine Katastrophe sein Tod für uns und andere wäre. Solch einer Person sollte auch geholfen werden, zu erkennen, daß ihr Schöpfer sich um sie sorgt (1. Petrus 5:7).
Fachleute empfehlen außerdem, alles zu entfernen, womit der Betreffende einen Selbstmord ausführen könnte — vor allem Schußwaffen. Wenn die Situation kritisch erscheint, wäre es sicherlich ratsam, die Person zu bitten, ärztliche Hilfe zu suchen. In gravierenderen Fällen hat man wahrscheinlich keine andere Wahl, als selbst einen ärztlichen Notdienst zu rufen.
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„Wird Gott mir diese Gedanken vergeben?“
Die Verbindung mit Jehovas Zeugen hat schon vielen geholfen, Selbstmordgedanken zu überwinden. Heutzutage ist jedoch niemand gegen belastende Ereignisse oder Depressionen immun. Wenn Christen Selbstmordgedanken haben, löst dies bei ihnen oft tiefe Schuldgefühle aus, die ihnen womöglich alles nur noch schwerer machen. Wie kann man mit diesen Gefühlen umgehen?
Selbst einige treue Männer und Frauen in biblischer Zeit äußerten sich sehr negativ über das Leben. So war Rebekka, die Frau des Patriarchen Isaak, einmal wegen eines familiären Problems so aufgebracht, daß sie sagte: „Ich bin so weit, daß mich mein Leben . . . anwidert“ (1. Mose 27:46). Hiob, der seine Kinder, seine Gesundheit, seine Besitztümer und sein gesellschaftliches Ansehen verloren hatte, sagte: „Meine Seele empfindet bestimmt Ekel vor meinem Leben“ (Hiob 10:1). Moses schrie einmal zu Gott: „Töte mich bitte ganz“ (4. Mose 11:15). Elia, ein Prophet Gottes, rief bei einer Gelegenheit aus: „Es ist genug! Nimm jetzt, o Jehova, meine Seele hinweg“ (1. Könige 19:4). Und der Prophet Jona sagte wiederholt: „Daß ich dahinsterbe, ist besser, als daß ich am Leben bin“ (Jona 4:8).
Hat Jehova diese Menschen verworfen, weil sie so empfanden? Nein. Er ließ ihre Äußerungen sogar in der Bibel aufzeichnen. Doch es ist wichtig, daran zu denken, daß sich keiner dieser Treuen von seinen Gefühlen in den Selbstmord treiben ließ. Jehova schätzte diese Menschen. Er wollte, daß sie am Leben blieben. Immerhin sorgt sich Jehova sogar um das Leben böser Menschen. Er bittet die Bösen eindringlich, sich zu ändern und ‘tatsächlich am Leben zu bleiben’ (Hesekiel 33:11). Wieviel mehr möchte er dann, daß diejenigen am Leben bleiben, die sogar seine Anerkennung suchen!
Gott hat für das Loskaufsopfer seines Sohnes gesorgt sowie für die Christenversammlung und die Bibel, und er erlaubt uns, zu ihm zu beten. Diese Direktverbindung zu Gott — das Gebet — ist jederzeit möglich. Gott wird jedem Gehör schenken, der sich ihm mit demütigem und aufrichtigem Herzen naht. „Nahen wir uns daher mit Freimut der Rede dem Thron der unverdienten Güte, damit wir Barmherzigkeit erlangen und unverdiente Güte finden mögen als Hilfe zur rechten Zeit“ (Hebräer 4:16).
[Kasten auf Seite 12]
Wenn jemand, den wir lieben, Selbstmord begangen hat
Nach einem Selbstmord durchleben Angehörige und enge Freunde heftigen inneren Aufruhr. Viele geben sich die Schuld an der Tragödie und sagen Dinge wie: „Hätte ich an diesem Tag nur mehr Zeit mit ihm verbracht . . .“, „Hätte ich dieses Mal bloß meinen Mund gehalten . . .“, „Hätte ich ihm nur ein bißchen mehr geholfen . . .“. Was man damit sagen will ist: Wenn man doch nur dieses oder jenes getan hätte, wäre er oder sie noch am Leben. Ist es jedoch vernünftig, sich die Schuld am Selbstmord eines anderen zuzuschreiben?
Nachträglich — wenn sich jemand erst einmal das Leben genommen hat — sind die Anzeichen natürlich leicht zu erkennen. Vor einem Suizid sieht das anders aus. In der Bibel heißt es: „Mit seinen tiefsten Schmerzen und Freuden ist jeder allein; kein anderer kann sie mit ihm teilen“ (Sprüche 14:10, Die Bibel in heutigem Deutsch). Manchmal ist es schlicht unmöglich, herauszufinden, was ein anderer denkt oder fühlt. Viele Menschen, die Selbstmordgedanken haben, sind einfach außerstande, anderen, sogar ihren engsten Angehörigen, ihre innersten Gefühle mitzuteilen.
Über die Anzeichen möglicher Selbstmordabsichten heißt es in dem Buch Giving Sorrow Words: „Die Wahrheit ist, daß diese Anzeichen normalerweise nicht leicht zu erkennen sind.“ In demselben Buch wird außerdem gesagt, daß selbst jemand, der vielleicht einige Anzeichen bemerkt hat, deshalb den Selbstmord nicht unter allen Umständen hätte verhindern können. Anstatt sich mit Vorwürfen zu quälen, mag man aus den Worten des weisen Königs Salomo Trost schöpfen: „Die Lebenden sind sich bewußt, daß sie sterben werden; was aber die Toten betrifft, sie sind sich nicht des geringsten bewußt“ (Prediger 9:5). Der geliebte Mensch wird nicht in einer Feuerhölle gequält. Die mentalen und emotionalen Schmerzen, die ihn zum Selbstmord getrieben haben, sind vorbei. Er leidet nicht. Er ruht ganz einfach.
Jetzt ist es sicherlich das beste, sich auf das Wohlergehen der Lebenden zu konzentrieren, einschließlich seiner selbst. Den Lebenden rät Salomo: „Alles, was deine Hand zu tun findet, das tu mit all deiner Kraft“ (Prediger 9:10). Wir können darauf vertrauen, daß die Aussicht auf künftiges Leben derjenigen, die Selbstmord begangen haben, in der Hand Jehovas liegt, des ‘Vaters inniger Erbarmungen und des Gottes allen Trostes’ (2. Korinther 1:3).a
[Fußnote]
a Eine ausgewogene Abhandlung über die Zukunftsaussichten für Selbstmörder ist in dem Artikel „Was sagt die Bibel? Selbstmord — Ist eine Auferstehung möglich?“ in der Erwachet!-Ausgabe vom 8. September 1990 zu finden.
[Bilder auf Seite 8]
Man sollte unbedingt mit jemandem reden
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Wir bedeuten anderen viel
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