SEELE
Die in den Ursprachen für Seele gebrauchten Wörter (hebr. néphesch [נֶפֶשׁ]; gr. psychḗ [ψυχή]) bezeichnen in der Bibel eine Person, ein Tier oder das Leben, dessen sich Mensch oder Tier erfreuen.
Als die inspirierten Bibelschreiber das entsprechende hebräische oder griechische Wort gebrauchten, hatten sie nicht das im Sinn, was man heute meistens unter „Seele“ versteht. Das wird immer mehr anerkannt. 1976 schrieb Professor Claus Westermann in dem Werk Biblischer Kommentar: Altes Testament (Bd. I/1, 1976, S. 283) nach einer eingehenden Untersuchung des Gebrauchs von néphesch: „Der von Gott geschaffene Mensch ist der lebendige Mensch. Hier wurde eine für das Menschenverständnis der Bibel wichtige Aussage gemacht: der Mensch wird zur נפשׁ חיה [lebendigen Seele] geschaffen, es wird nicht in seinen Körper ‚eine lebendige Seele‘ hineingegeben. Der Mensch in seinem Lebendigsein ist ganzheitlich verstanden. Ein Verständnis, nach dem der Mensch aus Leib und Seele bestünde, ist damit ausgeschlossen.“ (Siehe auch Journal of Biblical Literature, Bd. XVI, 1897, S. 30.)
Als die Jewish Publication Society of America eine neue Übersetzung der Thora, der ersten fünf Bücher der Bibel, herausgab, sagte der Hauptherausgeber, H. M. Orlinsky vom Hebrew Union College (New York Times, 12. Oktober 1962), dass das Wort „Seele“ in dieser Übersetzung eigentlich vermieden wurde, weil „es sich dabei um die Wiedergabe des hebräischen Wortes ‚Nefesch‘ handelt“. Er fügte hinzu: „Andere Übersetzer haben es mit ‚Seele‘ wiedergegeben, aber das ist völlig ungenau. Die Bibel sagt nicht, wir hätten eine Seele. ‚Nefesch‘ ist die Person selbst, ihr Nahrungsbedürfnis, das Blut in ihren Adern, ihr Wesen.“
Welchen Ursprung hat die Lehre von einer unsichtbaren und unsterblichen Menschenseele?
Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Bedeutungen, die dem Wort „Seele“ im Allgemeinen beigelegt werden, nicht aus den Hebräischen Schriften oder den Christlichen Griechischen Schriften stammen, sondern in erster Linie aus der griechischen Philosophie des Altertums, dem heidnischen religiösen Gedankengut. Der griechische Philosoph Platon beispielsweise zitierte Sokrates wie folgt: „Wenn die Seele sich lauter und rein vom Körper trennt, ohne etwas von ihm mit sich zu ziehen, ... geht sie doch zu dem ihr ähnlichen Unsichtbaren, dem Göttlichen, Unsterblichen und Vernünftigen. Wenn sie aber dorthin gelangt, wird ihr Glückseligkeit zuteil, und sie ist von Irrtum und Unwissenheit, Furcht ... und allen anderen menschlichen Übeln befreit, indem sie wirklich ... mit den Göttern vereint lebt“ (Phaidon, übersetzt von F. Schleiermacher, 1982, Kap. 29, S. 61).
In direktem Gegensatz zu der griechischen Lehre, dass die psychḗ (Seele) unstofflich, nicht greifbar, unsichtbar und unsterblich sei, zeigt die Bibel, dass sowohl mit psychḗ als auch mit néphesch, auf irdische Geschöpfe angewandt, Stoffliches, Greifbares, Sichtbares und Sterbliches gemeint ist.
Im Lexikon für Theologie und Kirche (Bd. 9, 2. völlig neu bearbeitete Auflage, Herder-Verlag, Freiburg 1964, Sp. 568, 569) heißt es: „A l t e s T e s t a m e n t. ... Das hebr. נֶפֶשׁ [néphesch] wird vielfach mit S[eele] übersetzt ..., was mindestens sehr ungenau ist, da [sich] ... נֶפֶשׁ [néphesch] ... [nicht] mit dem christl.-abendländ. S[eelen]begriff [deckt] ... נֶפֶשׁ [néphesch] bedeutet ... Atem u. schließlich ‚das Leben‘ schlechthin (Gn 9,5; 2 Sam 1,9; Ps 78, 50 u. ö.). נֶפֶשׁ [néphesch] ist besonders im Blut enthalten (Gn 9,4f ... Dt 12,23). נֶפֶשׁ [néphesch] [ist] die Äußerung aller vitalen Impulse ... S[eele] נֶפֶשׁ [néphesch] = Gier (... Spr ... 23,2) ... Es ist klar, dass diese Körper-S[eele] ... der ganze lebende Mensch ist u. nicht nur ein Teil von ihm ... N e u e s T e s t a m e n t ... ψυχή [psychḗ] = נֶפֶשׁ [néphesch] = Leben (Mt 6,25; ... Lk 14,26) ... ψυχή [psychḗ] ... [kann] gleichbedeutend für die Person schlechthin stehen.“
Die katholische Übersetzung The New American Bible bemerkt in ihrem „Glossary of Biblical Theology Terms“ (S. 27, 28): „Im Neuen Testament bedeutet ‚seine Seele retten‘ (Mk 8:35) nicht, einen ‚geistigen‘ Teil des Menschen zu retten, im Gegensatz zu seinem ‚Körper‘ (im platonischen Sinn), sondern die ganze Person, wobei Nachdruck auf die Tatsache gelegt wird, dass die Person am Leben ist, Verlangen hat, Liebe zeigt und willens ist, etwas zu tun, usw., und auch darauf, dass sie etwas Greifbares, Körperliches ist“ (herausgegeben von P. J. Kenedy & Sons, New York 1970).
Das Wort néphesch leitet sich offenbar von einer Wurzel her, die „atmen“ bedeutet, weshalb man es wörtlich mit „Atmender“ wiedergeben könnte. Im Lexicon in Veteris Testamenti Libros von L. Koehler und W. Baumgartner (2. Auflage, Leiden 1958, S. 627) wird das Wort wie folgt definiert: „Hauch, was Mensch u. Tier zu lebendem Wesen macht Gn 1,20, Seele (streng zu unterscheiden vom Begriff der Seele bei den Griechen), deren Sitz das Blut ist Gn 9,4f Lv 17,11 Dt 12,23 ...: (249 ×) ... Seele = Leben, Menschen, Leute.“ (Vergleiche auch Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament, 3. Auflage, Leiden 1983, S. 672.)
In Wörterbüchern und Begriffslexika zur griechischen Sprache wird das Wort psychḗ mit „Leben“, „Persönlichkeit“, „Sitz der Empfindungen, des Verlangens und Vergnügens, des Genusses“, „Zusammenfassung der ganzen Persönlichkeit, des ganzen Selbst eines Menschen“, „lebendiges Wesen“, „Person mit allen Kräften des Bewusstseins“ definiert und gezeigt, dass der Ausdruck psychḗ sogar in nicht biblischen griechischen Werken „den Thieren“ zugeschrieben wird. Natürlich enthalten solche Quellen, die sich in erster Linie mit den klassischen griechischen Werken beschäftigen, alle Bedeutungen, die die heidnischen griechischen Philosophen dem Wort beilegten, wie z. B. „im Tod vom Leibe sich trennende, unsterbliche Seele“, „leiblose Seele“, „Weltseele als Lebensprinzip des Kosmos“, „das Immerbewegliche“. Offensichtlich weil einige heidnische Philosophen lehrten, die Seele verlasse den Körper beim Tod, wurde der Begriff psychḗ auch auf den „Schmetterling, die Motte“ angewandt, die eine Metamorphose durchmachen, wobei sie sich von einer Raupe in ein geflügeltes Lebewesen verwandeln (Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, 1986, Bd. 2, S. 1112 ff.; F. Passow, Handwörterbuch der griechischen Sprache, Nachdruck: Darmstadt 1983, Bd. II/2, S. 2590).
Die griechischen Schriftsteller des Altertums wandten psychḗ auf verschiedene Weise an, wobei sie unterschiedliche Auffassungen vertraten und ihre persönlichen und religiösen Philosophien den Gebrauch des Begriffs beeinflussten. Von Platon, auf dessen Philosophie das allgemeine Verständnis des Wortes „Seele“ wahrscheinlich zurückzuführen ist (wie allgemein anerkannt wird), heißt es: „Zuweilen sagt er, einer der [vermeintlichen] drei Teile der Seele, das ‚intelligible Sein‘, sei notwendigerweise unsterblich, während die anderen zwei Teile sterblich seien, aber er spricht auch so, als ob es zwei Seelen in einem Leib gebe – eine unsterbliche und göttliche und eine sterbliche“ („Thoughts on the Tripartite Theory of Human Nature“ [Gedanken zur Lehre der Trichotomie] von A. McCaig in The Evangelical Quarterly, London 1931, Bd. III, S. 121).
Angesichts solcher Widersprüche in nicht biblischen Werken ist es erforderlich, die Bibel sprechen zu lassen, um zu zeigen, was die inspirierten Schreiber sowohl mit psychḗ als auch mit néphesch ausdrücken wollten. néphesch kommt ungefähr 754 Mal im massoretischen Text der Hebräischen Schriften vor, und psychḗ erscheint 102 Mal in den Christlichen Griechischen Schriften (Westcott und Hort), was zusammen 856 Belegstellen ergibt. (Siehe NW, Anhang, S. 1637.) Da diese Wörter so häufig vorkommen, erhält man eine klare Vorstellung von dem, was die inspirierten Bibelschreiber darunter verstanden und was sie uns damit sagen wollten. Eine Untersuchung zeigt Folgendes: Obwohl diese Ausdrücke einen weitgespannten Bedeutungsinhalt mit verschiedenen Nuancen haben, bestanden unter den Bibelschreibern bezüglich der menschlichen Natur keine Widersprüche, keine Verwirrung und keine Uneinigkeit, wie das bei den griechischen Philosophen der sogenannten klassischen Zeit der Fall war.
Die ersten Seelen auf der Erde. Zum ersten Mal kommt néphesch in 1. Mose 1:20-23 vor. Am fünften „Schöpfungstag“ sagte Gott: „‚Die Wasser sollen ein Gewimmel lebender Seelen [néphesch] hervorwimmeln, und fliegende Geschöpfe mögen ... über der Erde fliegen.‘ Und Gott ging daran, die großen Seeungetüme zu erschaffen und jede lebende Seele [néphesch], die sich regt, die die Wasser hervorwimmelten, nach ihren Arten und jedes geflügelte fliegende Geschöpf nach seiner Art.“ Desgleichen wird néphesch am sechsten „Schöpfungstag“ in der Wendung „lebende Seelen“ auf die ‘Haustiere und sich regenden Tiere und wild lebenden Tiere der Erde’ angewandt (1Mo 1:24).
Nach der Erschaffung der Menschen gebrauchte Gott abermals den Begriff néphesch; er gab ihnen Anweisungen, was die Tiere und ‘alles, was sich auf der Erde regt, in welchem Leben als eine Seele ist [wtl. in welchem eine lebende Seele (néphesch) ist]’, betrifft (1Mo 1:30). In 1. Mose 2:19; 9:10-16; 3. Mose 11:10, 46; 24:18; 4. Mose 31:28; Hesekiel 47:9 beispielsweise werden Tiere ebenfalls so bezeichnet. Bemerkenswerterweise wird das griechische Wort psychḗ auch in den Christlichen Griechischen Schriften auf Tiere angewandt, so z. B. in Offenbarung 8:9 und 16:3, wo von Geschöpfen im Meer die Rede ist.
Somit geht aus der Bibel deutlich hervor, dass néphesch und psychḗ als Bezeichnungen für die unter dem Menschen stehenden Tiere verwendet werden. Die gleichen Ausdrücke werden auch auf den Menschen angewandt.
Die Menschenseele. Genau derselbe hebräische Ausdruck, mit dem die Tiere bezeichnet werden, nämlich néphesch chajjáh (lebende Seele), wird auf Adam angewandt, als „der Mensch“, nachdem Gott ihn aus Staub vom Erdboden gebildet und in seine Nase den Odem des Lebens geblasen hatte, „eine lebende Seele [wurde]“ (1Mo 2:7). Der Mensch unterschied sich vom Tier aber nicht etwa deshalb, weil er eine néphesch (Seele) war, das Tier aber nicht, sondern weil nur er – wie der Bibelbericht zeigt – „im Bilde Gottes“ erschaffen wurde (1Mo 1:26, 27). Er wurde mit sittlichen Eigenschaften gleich denen Gottes erschaffen, mit Macht und Weisheit, Eigenschaften, welche die der Tiere bei Weitem übertrafen; somit konnte sich der Mensch alle Tiere untertan halten (1Mo 1:26, 28). Der menschliche Organismus ist komplexer und auch vielseitiger gestaltet als der der Tiere. (Vgl. 1Ko 15:39.) Außerdem hatte Adam die Aussicht auf ewiges Leben (die er allerdings verlor); von den Lebewesen, die unter dem Menschen stehen, wurde das nie gesagt (1Mo 2:15-17; 3:22-24).
Im Bibelbericht heißt es zwar, dass ‘Gott daranging, in die Nase des Menschen den Odem [eine Form von neschamáh] des Lebens zu blasen’, wovon im Bericht über die Erschaffung der Tiere nicht die Rede ist, aber der Bericht über die Erschaffung des Menschen ist viel ausführlicher. Des Weiteren schildert 1. Mose 7:21-23 die Vernichtung ‘allen Fleisches’ außerhalb der Arche durch die Flut und erwähnt die Tiere zusammen mit den Menschen: „Alles, in dessen Nase der Odem [eine Form von neschamáh] der Lebenskraft wirksam war, starb, nämlich alles, was auf dem trockenen Boden war.“ Demnach stammte auch der Odem des Lebens der Tiere vom Schöpfer, Jehova Gott.
Somit unterscheidet sich auch der „Geist“ (hebr. rúach; gr. pneuma), die Lebenskraft des Menschen, nicht von der Lebenskraft, die in den Tieren ist, wie aus Prediger 3:19-21 hervorgeht, wo wir lesen: „Und sie alle haben nur e i n e n Geist [werúach].“
Die Seele – ein lebendes Geschöpf. Wie es heißt, „wurde [der Mensch] eine lebende Seele“; folglich war der Mensch eine Seele. Er hatte keine Seele, die als unstoffliches, unsichtbares und nicht greifbares Etwas in ihm wohnte. Der Apostel Paulus zeigt, dass sich die christliche Lehre nicht von dem unterschied, was die Juden früher glaubten, denn er zitiert 1. Mose 2:7 und sagt: „So steht auch geschrieben: ‚Der erste Mensch, Adam, wurde eine lebende Seele [psychḗn zṓsan].‘ ... Der erste Mensch ist aus der Erde und von Staub gemacht“ (1Ko 15:45-47).
Der Bericht in 1. Mose lässt erkennen, dass durch die Verbindung des irdischen Körpers mit dem Odem des Lebens eine lebende Seele entsteht. Die Wendung „Odem der Lebenskraft [wtl. „Odem (des) Geistes“ (oder „[der] wirksamen Kraft [rúach]) (des) Lebens“]“ (1Mo 7:22) weist darauf hin, dass durch das Atmen der Luft (mit ihrem Sauerstoff) die Lebenskraft oder der „Geist“ in allen Lebewesen, Menschen und Tieren, aufrechterhalten wird. Wie unter GEIST und LEBEN dargelegt wird, ist diese Lebenskraft in jeder Körperzelle vorhanden.
Da mit néphesch das Lebewesen selbst gemeint ist, sollte man erwarten können, dass ihr die normalen physischen Funktionen oder Merkmale fleischlicher Geschöpfe zugeschrieben werden. Genau das ist der Fall. Von der néphesch (Seele) heißt es, dass sie Fleisch, Fett, Blut oder ähnliche stoffliche Dinge isst (3Mo 7:18, 20, 25, 27; 17:10, 12, 15; 5Mo 23:24), hungrig ist oder danach verlangt, zu essen und zu trinken (5Mo 12:15, 20, 21; Ps 107:9; Spr 19:15; 27:7; Jes 29:8; 32:6; Mi 7:1), fett gemacht wird (Spr 11:25), fastet (Ps 35:13), Unreines, wie z. B. einen toten Körper, berührt (3Mo 5:2; 7:21; 17:15; 22:6; 4Mo 19:13), ‘als Pfand ergriffen’ oder „entführt“ wird (5Mo 24:6, 7), Arbeit tut (3Mo 23:30), wenn müde, durch kühles Wasser erfrischt wird (Spr 25:25), erkauft (3Mo 22:11; Hes 27:13), aufgrund eines Gelübdes dargeboten (3Mo 27:2), in Eisenbande gelegt wird (Ps 105:18), schlaflos ist (Ps 119:28) und nach Atem ringt (Jer 15:9).
Es sei bemerkt, dass in vielen Texten von „meiner Seele“, „seiner (oder ihrer) Seele“, „deiner Seele“ usw. die Rede ist. Das ist so, weil néphesch und psychḗ „sich selbst als Seele“ bedeuten können. Die Bedeutung des Begriffs néphesch kann demnach im Deutschen häufig durch den Gebrauch von Personalpronomen ausgedrückt werden. Im oben genannten Lexicon in Veteris Testamenti Libros (S. 627; vergleiche auch Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament, 3. Auflage, S. 673) bedeutet meine néphesch „ich“ (1Mo 27:4, 25; Jes 1:14), deine néphesch „du“ (1Mo 27:19, 31; Jes 43:4; 51:23), seine néphesch „er, er selbst“ (4Mo 30:2; Jes 53:10), ihre néphesch „sie, sie selbst“ (4Mo 30:5-12) usw.
Der griechische Ausdruck psychḗ wird ähnlich gebraucht. Im Bibel-Lexikon, herausgegeben von H. Haag (Tübingen 1968, Sp. 1567), wird über den Gebrauch des Wortes Folgendes gesagt: „[psychḗ] bedeutet ... mit dem besitzanzeigenden Fürwort ... ich selber, du selber usw. (Mt 12,18, vgl. Is 42,1, Hebr 10,38, vgl. Hab 2,4, vielleicht Mt 26,38 Lk 12,19 Jo 10,24 12,27 Apg 2,27, 2Kor 1,23 3Jo 2, vgl. Ps 16,10).“
Steht für das Leben als Geschöpf. néphesch und psychḗ werden auch verwendet, um das Leben zu bezeichnen – nicht lediglich eine abstrakte Kraft oder ein abstraktes Prinzip, sondern das Leben als Geschöpf, ob Mensch oder Tier.
Als somit Rahel Benjamin gebar, ging ihre néphesch („Seele“ oder ihr Leben als Geschöpf) von ihr aus, und sie starb (1Mo 35:16-19). Sie hörte auf, ein lebendes Geschöpf zu sein. Auch als der Prophet Elia in Verbindung mit dem toten Sohn der Witwe von Zarephath ein Wunder vollbrachte, kam dessen néphesch („Seele“ oder Leben als Geschöpf) in ihn zurück, und „er lebte auf“ – er war wieder ein lebendes Geschöpf (1Kö 17:17-23).
Da das Leben eines Geschöpfes so untrennbar mit dem Blut verbunden und davon abhängig ist (vergossenes Blut steht für das Leben der Person oder des Geschöpfes [1Mo 4:10; 2Kö 9:26; Ps 9:12; Jes 26:21]), spricht die Bibel davon, dass die néphesch (Seele) „im Blut“ ist (1Mo 9:4; 3Mo 17:11, 14; 5Mo 12:23). Dies ist offensichtlich nicht buchstäblich zu verstehen, da die Bibel auch vom „Blut ... eurer Seelen“ spricht (1Mo 9:5; vgl. Jer 2:34) und die vielen bereits besprochenen Punkte logischerweise nicht ausschließlich auf das Blut oder seine lebenserhaltenden Eigenschaften angewandt werden können.
néphesch (Seele) wird nicht mit Bezug auf die Erschaffung pflanzlichen Lebens am dritten „Schöpfungstag“ (1Mo 1:11-13) oder danach verwendet, da Pflanzen kein Blut enthalten.
Beispiele für den Gebrauch des griechischen Wortes psychḗ in der Bedeutung Leben als Geschöpf findet man in Matthäus 6:25; 10:39; 16:25, 26; Lukas 12:20; Johannes 10:11, 15; 13:37, 38; 15:13; Apostelgeschichte 20:10. Falls ein Diener Gottes sterben sollte, hat er die Hoffnung auf eine Auferstehung als „Seele“ oder lebendes Geschöpf. Aus diesem Grund konnte Jesus sagen: „Wer immer aber seine Seele [sein Leben als Geschöpf] um meinetwillen und um der guten Botschaft willen verliert, wird sie retten. In der Tat, welchen Nutzen hat ein Mensch davon, wenn er die ganze Welt gewinnt und seine Seele einbüßt? Was würde ein Mensch wirklich zum Tausch für seine Seele geben?“ (Mar 8:35-37). Auch erklärte er: „Wer seine Seele lieb hat, vernichtet sie; wer aber seine Seele in dieser Welt hasst, wird sie zum ewigen Leben bewahren“ (Joh 12:25). Diese und ähnliche Texte zeigen, wie die Worte Jesu in Matthäus 10:28 richtig zu verstehen sind: „Werdet nicht furchtsam vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können; fürchtet aber vielmehr den, der sowohl Seele als Leib in der Gehenna vernichten kann.“ Menschen können zwar den Leib töten, doch können sie einer Person nicht für immer das Leben nehmen, da sie in Gottes Vorsatz lebt (vgl. Luk 20:37, 38) und Gott solch eine treue Person durch die Auferstehung wieder zum Leben als Geschöpf bringen kann und wird. Für Gottes Diener ist der Verlust ihrer „Seele“ oder ihres Lebens als Geschöpf nur zeitweilig, nicht ewig. (Vgl. Off 12:11.)
Sterblich und zerstörbar. Andererseits wird in Matthäus 10:28 gesagt, dass Gott „sowohl Seele [psychḗn] als Leib in der Gehenna vernichten kann“. Dies zeigt, dass sich psychḗ nicht auf etwas Unsterbliches oder Unzerstörbares bezieht. Tatsächlich werden die Wörter néphesch oder psychḗ in den ganzen Hebräischen und Griechischen Schriften nicht ein einziges Mal durch Ausdrücke wie unsterblich, unzerstörbar, unvergänglich o. ä. näher bestimmt. (Siehe UNSTERBLICHKEIT; UNVERWESLICHKEIT, UNVERGÄNGLICHKEIT.) Zum anderen gibt es in den Hebräischen und den Griechischen Schriften zahlreiche Texte, die davon sprechen, dass die néphesch oder psychḗ (Seele) sterblich und dem Tod unterworfen ist (1Mo 19:19, 20; 4Mo 23:10; Jos 2:13, 14; Ri 5:18; 16:16, 30; 1Kö 20:31, 32; Ps 22:29; Hes 18:4, 20; Mat 2:20; 26:38; Mar 3:4; Heb 10:39; Jak 5:20), stirbt, „abgeschnitten“ oder vernichtet wird (1Mo 17:14; 2Mo 12:15; 3Mo 7:20; 23:29; Jos 10:28-39; Ps 78:50; Hes 13:19; 22:27; Apg 3:23; Off 8:9; 16:3) – sei es durch das Schwert (Jos 10:37; Hes 33:6) oder durch Erstickung (Hi 7:15) –, ferner, dass sie beim Ertrinken in Lebensgefahr ist (Jon 2:5), in die Grube oder in den Scheol hinabfährt (Hi 33:22; Ps 89:48) oder daraus befreit wird (Ps 16:10; 30:3; 49:15; Spr 23:14).
Tote Seele. Der Ausdruck „verstorbene“ oder „tote Seele“ kommt auch etliche Male vor und bezeichnet einfach eine „tote Person“ (3Mo 19:28; 21:1, 11; 22:4; 4Mo 5:2; 6:6; Hag 2:13; vgl. 4Mo 19:11, 13).
Begehren. Zuweilen wird das Wort néphesch gebraucht, um das Begehren eines Menschen auszudrücken, das ihn erfüllt und ihn dann veranlasst, alles daranzusetzen, um sein Ziel zu erreichen. Sprüche 13:2 sagt z. B. von denen, die treulos handeln, dass ‘ihre Seele Gewalttat ist’, d. h., dass sie ganz und gar auf Gewalttat aus sind und sozusagen die Gewalttat in Person werden. (Vgl. 1Mo 34:3, Fn.; Ps 27:12; 35:25; 41:2.) Israels falsche Hirten werden „Hunde, stark an Seelen[begehren]“ genannt, die keine Sättigung gekannt haben (Jes 56:11, 12; vgl. Spr 23:1-3; Hab 2:5).
Mit ganzer Seele dienen. Wie gezeigt wurde, ist mit der „Seele“ grundsätzlich die ganze Person gemeint. Doch gewisse Texte enthalten die Ermahnung, Gott mit ‘unserem ganzen Herzen und unserer ganzen Seele’ zu suchen, zu lieben und zu dienen (5Mo 4:29; 11:13, 18), und in 5. Mose 6:5 heißt es: „Du sollst Jehova, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele und deiner ganzen Tatkraft.“ Jesus sagte, es sei erforderlich, mit ganzer Seele und ganzer Kraft und außerdem ‘mit ganzem Sinn’ zu dienen (Mar 12:30; Luk 10:27). Es erhebt sich die Frage, warum diese anderen Dinge zusammen mit der Seele erwähnt werden, da doch die Seele sie alle einschließt. Folgende Veranschaulichung soll den wahrscheinlichen Grund erklären: Jemand mag sich (seine Seele) an eine Person als Sklave verkaufen, wodurch er das Eigentum seines Besitzers und Herrn wird. Aber es ist möglich, dass er seinem Herrn nicht von ganzem Herzen, nicht mit ganzer Triebkraft und nicht mit dem Wunsch dient, ihm zu gefallen, und somit nicht seine ganze Kraft oder seine ganzen Fähigkeiten einsetzt, um die Interessen seines Herrn zu fördern. (Vgl. Eph 6:5; Kol 3:22.) Diese anderen Aspekte werden also offensichtlich erwähnt, um die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, damit wir uns in unserem Dienst für Gott, dem wir gehören, und im Dienst für seinen Sohn, dessen Leben unser Loskaufspreis war, daran erinnern und sie beachten. Gott „mit ganzer Seele“ zu dienen schließt die ganze Person ein, wobei kein Körperteil, keine Körperfunktion, keine Fähigkeit und kein Wunsch ausgenommen ist. (Vgl. Mat 5:28-30; Luk 21:34-36; Eph 6:6-9; Php 3:19; Kol 3:23, 24.)
Seele und Geist sind verschieden. Der „Geist“ (hebr. rúach; gr. pneuma) sollte nicht mit der „Seele“ (hebr. néphesch; gr. psychḗ) verwechselt werden, weil sich die beiden Begriffe auf verschiedene Dinge beziehen. Demgemäß heißt es in Hebräer 4:12: „Das Wort Gottes ... dringt durch selbst bis zur Scheidung von Seele und Geist und von Gelenken und ihrem Mark.“ (Vgl. auch Php 1:27; 1Th 5:23.) Wie gezeigt wurde, ist die Seele (néphesch; psychḗ) das Geschöpf selbst. Mit dem Geist (rúach; pneuma) ist im Allgemeinen die Lebenskraft des lebenden Geschöpfes oder der lebenden Seele gemeint, obgleich der hebräische und der griechische Begriff auch andere Bedeutungen haben können.
Die Erklärung des Apostels Paulus im ersten Korintherbrief über die Auferweckung von Christen zu geistigem Leben verdeutlicht ebenfalls den Unterschied zwischen den griechischen Ausdrücken psychḗ und pneuma. Er stellt „das, was physisch [psychikón, wtl. „seelisch“] ist“, dem gegenüber, „was geistig [pneumatikón] ist“. Er zeigt somit, dass gesalbte Christen bis zu ihrem Tod einen „seelischen“ Leib haben wie der erste Mensch Adam, wohingegen sie bei ihrer Auferweckung einen geistigen Leib erhalten, der dem des verherrlichten Jesus Christus gleicht (1Ko 15:42-49). Judas macht eine ähnliche Gegenüberstellung, wenn er von ‘animalischen Menschen [psychikói, wtl. „Seelischen“]’ spricht, „die keine geistige Gesinnung haben [wtl. „Geist (pneuma) nicht habend“]“ (Jud 19).
Gottes Seele. In Anbetracht des Gesagten scheint es, dass die Bibeltexte, in denen Gott den Ausdruck „meine Seele“ gebraucht (3Mo 26:11, 30; Ps 24:4; Jes 42:1), Beispiele für die Verwendung von Anthropomorphismen sind, d. h., Gott werden zum besseren Verständnis physische und menschliche Merkmale zugeschrieben, wenn z. B. von Gottes Augen oder Händen die Rede ist. Wenn Gott von ‘seiner néphesch’ spricht, meint er zweifellos ‘sich selbst’ oder ‘seine Person’. „Gott ist ein GEIST [pneuma]“ (Joh 4:24; siehe JEHOVA [Beschreibungen seiner Gegenwart]).