Kinder zur Selbstlosigkeit erziehen
„KLAUS, möchtest du mir bitte helfen, das Spielzeug deiner Schwester wieder in Ordnung zu bringen?“ fragte eine Mutter ihren Jungen. Hältst auch du deine Kinder dazu an, etwas zum Nutzen anderer in der Familie zu tun?
Zugegeben, es ist nicht immer leicht, Kinder zu veranlassen, eine selbstsüchtige Handlungsweise aufzugeben. Wir sind eben alle von Geburt an selbstsüchtig. Ein Kleinkind will das, was es möchte, dann haben, wenn es den Wunsch danach verspürt, und es duldet keine Verzögerung. Gelegentlich unterstreicht es das durch anhaltendes Schreien.
Wenn aber Eltern liebevoll für ihr Kind sorgen und es anleiten, beginnt es, auch auf andere Rücksicht zu nehmen. Seine selbstsüchtigen Neigungen gehen allmählich zurück. Natürlich kostet das die Eltern viel Zeit und Mühe. Doch ihr beharrliches Bemühen wird schließlich belohnt.
Welche Rolle das elterliche Beispiel spielt
Ob Eltern es wünschen oder nicht, ihre Kinder werden sie nachahmen. Deshalb müssen sie ihnen hinsichtlich Selbstlosigkeit ein gutes Beispiel geben. Ein Vater bemerkte: „Schon von klein auf hat unser zehnjähriger Sohn sehen können, daß wir anderen geben. Wenn wir heute Bedürftigen etwas geben, möchte er sich auch daran beteiligen. Wir haben beobachtet, wie er Kleinigkeiten für andere getan hat, ohne daß ihn jemand dazu angehalten hätte, was uns zeigt, daß er es nicht nur getan hat, um uns zu gefallen.“
Die Mutter fügte hinzu: „Es entgeht einem Kind nicht, wenn ein Mann seiner Frau gegenüber großzügig ist, und es möchte dann wie der Vater auch etwas für seine Mutter tun. Ich weiß, daß das bei unserem Sohn der Fall ist.
Diese Mutter machte auch eine interessante Bemerkung darüber, wie sich die Einstellung der Eltern zu materiellen Gütern auf Kinder auswirkt. „Unser Sohn“, so erklärte sie, „hört nie, daß wir über Geld sprechen oder sagen: ,Wir können uns dies und jenes nicht leisten.‘ Wir sind nicht etwa wohlhabend; im Gegenteil. Aber wir machen uns darüber keine Sorgen, und deshalb fühlt er sich geborgen. Wir haben beobachtet, daß Kinder von Familien, in denen die Eltern ständig über Geld sprechen, mehr zur Selbstsucht neigen und sich wegen geringfügiger Dinge streiten.“
Meistens stellt es sich heraus, daß ein selbstsüchtiges Kind nicht etwa zuviel, sondern zuwenig Aufmerksamkeit von seinen Eltern erhält. Ein Kind, das sich nötigenfalls auf die Hilfe seiner Eltern verlassen kann, entwickelt sich im allgemeinen zu einem hilfsbereiten Menschen. Wird ein Kind von seinen Eltern geliebt, so liebt es auch selbst. Ja, wie ein Kind in jungen Jahren behandelt wird, so wird es höchstwahrscheinlich später andere behandeln.
Möglichkeiten der Erziehung
Wie wichtig es ist, frühzeitig mit der Erziehung zu beginnen, kann wohl kaum überbetont werden. Wenn daher Kinder schon in sehr jungen Jahren dazu erzogen werden, an andere zu denken, freigebig zu sein und anderen zu helfen, wird dies für sie gewöhnlich zu etwas Selbstverständlichem werden.
Vor einiger Zeit wurde beobachtet, wie eine Mutter diesen Grundsatz in die Tat umsetzte. Sie sagte zu ihrem kleinen Sohn: „Nun hast du ja die beiden Pfennige gefunden. Möchtest du denn nicht einen in dein Sparschwein und den anderen in das deiner Schwester stecken?“
„O ja, Mutti!“ lautete die freudige Antwort.
Auf diese Weise wurde der Same gesät, und wenn er richtig begossen wird, kann er die Grundlage für künftiges liebevolles Handeln bilden.
Es gibt Eltern, die ihre Kinder mit hinzuziehen, wenn sie familiäre Angelegenheiten besprechen. Der Vater trifft die endgültige Entscheidung, doch die Kinder dürfen ihre Wünsche frei äußern, und diese werden dann mit in Betracht gezogen. Der Vater einer dreizehnjährigen Tochter stellte fest, daß Kinder liebevoll handeln und Selbstlosigkeit offenbaren, wenn sie das Gefühl haben, an den Tätigkeiten und Entscheidungen der Familie mitwirken zu dürfen. Er sagte zum Beispiel: „Kürzlich ging ich mit meiner Tochter Schuhe kaufen. Sie sah ein Paar, das ihr gefiel, doch als sie den Preis erfuhr, meinte sie: ,Ich brauche keine so teuren Schuhe. Diese billigeren tun es auch.‘ Ist es da verwunderlich, daß ich stolz auf sie bin?“
Ein anderer Vater erläuterte ebenfalls, wie er und seine Frau den Kindern helfen, vernünftige Entscheidungen zu treffen. „Solange sie noch bei uns sind“, bemerkte er, „können wir ermitteln, auf welchem Gebiet sie vielleicht eine falsche Auffassung vertreten, und ihnen helfen.“ Zur Veranschaulichung beschrieb er eine Unterhaltung während des Abendessens.
„Das Thema Autos kam zur Sprache“, erinnerte sich der Vater, „und unser Ältester, der zur Zeit in Autos geradezu vernarrt ist, meinte, wenn er das Geld hätte, würde er sich sofort einen kleinen Sportwagen kaufen; er sagte auch, welchen. Ich glaube, ich sagte: ,Einen Wagen zu haben ist nichts Verkehrtes, Werner. Aber in einem kleinen Sportwagen ist nicht viel Platz für die Frau und die Kinder, nicht wahr?‘
Er erwiderte: ,Was meinst du mit „Frau und Kinder“, Papa? Ich bin doch noch gar nicht verheiratet.‘
,Das stimmt, doch eines Tages wird es soweit sein, und dann wirst du auch deine Frau und deine Kinder berücksichtigen müssen, nicht wahr? Es ist bekanntlich nichts dagegen einzuwenden, wenn man für die Zukunft plant, doch sollte man berücksichtigen, wie sich diese Pläne auf andere auswirken, meinst du nicht auch?‘
,Da hast du wahrscheinlich recht. In einem Sportwagen ist eigentlich nicht viel Platz, aber trotzdem wäre es schön, wenn ich einen hätte.‘
,Der Wagen, den du dir wünschst, ist aber außerdem ziemlich kostspielig, Werner. Es könnte sein, daß du mit deinem Traumwagen umherfährst und dich vergnügst, während deine Familie hungert. Das möchtest du doch sicherlich nicht.‘
,Natürlich nicht, Papa. Das würde ich nicht tun.‘
,Ich weiß, daß du so etwas nicht beabsichtigst. Aber ich weiß auch, daß es dir nicht entgangen ist, daß viele Männer in unserer Nachbarschaft so gehandelt haben und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse ihrer Familie einfach das gekauft haben, was ihnen beliebte.‘
Werner dachte etwas nach und sagte dann: ,Ich glaube, du hast recht, Papa. Ich werde mir einen Wagen für die ganze Familie kaufen — das heißt, falls ich mir überhaupt einen kaufe. Aber bis dahin vergeht ja noch viel Zeit, nicht wahr?‘
,Ja, Werner, aber das, worüber du heute nachdenkst, wird deine späteren Pläne beeinflussen. Es ist daher das beste, wenn du deinen Erwägungen jetzt schon die richtige Richtung gibst.‘“
Leitest du deine Kinder ebenso an, an andere zu denken? Tust du es ganz natürlich und liebevoll und in einer entspannten Atmosphäre? Dann bestehen bessere Aussichten auf Erfolg, als wenn du schulmeisterlich vorgingest. Ja, wenn du Mitgefühl offenbarst, werden es deine Kinder schätzen, daß du ihre Gefühle berücksichtigst, und sie werden eher geneigt sein, den Rat anzunehmen.
Selbstlosigkeit gegenüber Alt und Jung
Man kann Kindern vieles beibringen, was sie für Großeltern und andere Personen vorgerückten Alters tun können. Sie können Personen, die nicht mehr gut sehen können, etwas vorlesen. Sie können mit ihnen Gesellschaftsspiele machen oder sonst etwas gemeinsam unternehmen. Diese Personen mögen körperlich nicht mehr so wendig sein. Doch das bedeutet nicht, daß sie es auch geistig nicht seien.
Kinder können auch ermuntert werden, Außenstehende zu beachten und älteren Personen zu helfen. Man kann sie ermuntern, im Bus oder im Zug ihren Sitzplatz älteren Personen zu überlassen. Sie können ihre Achtung vor anderen dadurch zeigen, daß sie ihre Gespräche nicht unterbrechen und daß sie eine Unterhaltung nicht an sich reißen. Ja, Kinder sollten ältere Personen nicht nur tolerieren, wie es heute in der Welt mancherorts Brauch ist, sondern man sollte sie lehren, aus der Weisheit und Erfahrung, die solche Personen oft erworben haben, Nutzen zu ziehen.
Die Eltern sollten ihre Kinder auch ermuntern, ihren jüngeren Geschwistern liebevolle Aufmerksamkeit zu schenken. Sonst mögen sie sich über einen Neuankömmling ärgern, der die Zeit ihrer Mutter mehr beansprucht. Eine Mutter, die einen sechsjährigen Jungen hatte, sagte:
„Schon während meiner Schwangerschaft nannten wir den Namen unserer Tochter, wenn wir über sie sprachen, und für unseren Sohn wurde sie zu einer Realität. Als sie da war, wollte er sich unbedingt mit mir um sie kümmern. Jahre danach erzählte er mir, wie glücklich er war, als sie geboren wurde.“
Eltern, die ihre Kinder geschickt auf die Ankunft des Babys vorbereiten, finden, daß sie sich in dieser Beziehung kaum Sorgen zu machen brauchen. Das zeigt der Fall einer Siebenjährigen. Auf die Frage, ob sie ihre kleine Schwester gern habe, erwiderte sie: „O ja, ich liebe sie. Ich helfe Mutti gern, sie fertigzumachen. Aber ich mag es nicht, wenn sie schreit. Ich denke, sie wird verzogen.“ Auf die Frage, was sie denn dagegen zu tun gedenke, sagte sie: „Sobald sie mich verstehen kann, werde ich mit ihr einmal darüber sprechen.“
Für Geschwister ist es oft bezeichnend, daß sie aufeinander eifersüchtig oder ärgerlich sind. Wenn Eltern aber keines der Kinder bevorzugen und ihre Handlungsweise erklären, können sie diesem Problem wirksam entgegentreten. Eine Mutter, die drei Kinder hat, bemerkte:
„Während die Kinder heranwuchsen, waren die beiden jüngeren ärgerlich, wenn unser ältester Sohn ein besonderes Kleidungsstück oder ein Geschenk erhielt. Ich machte ihnen aber klar, daß er in seinem Alter mehr brauchte als sie. Wir versicherten ihnen, sie würden ebenso behandelt werden, wenn sie in dieses Alter kämen. Nun ist unsere Tochter so alt, und sie schätzt es, daß wir unser Wort halten.“
Anderen dienen führt zu Segnungen
Eines der größten Geschenke, die du deinen Kindern machen kannst, besteht darin, daß du in ihnen den Wunsch weckst, anderen zu dienen und bedürftigen Personen Zeit, Anteilnahme und Aufmerksamkeit zu schenken. Beachte, was ein Zwölfjähriger sagte, der dies verstanden hatte:
„Kürzlich verlor ein Nachbarsjunge seinen Vater, und er tat mir wirklich leid. Ich wollte gern etwas für ihn tun, daher sprach ich mit meinem Vati darüber. Er sagte, ich könne ihn mitbringen, wenn unsere Familie gemeinsam etwas unternehmen würde. Ich habe ihn daher zu uns eingeladen, aber anscheinend möchte er zur Zeit mit niemandem zusammen sein. Ich werde es aber weiter versuchen.“
Zeigen deine Kinder eine solche Initiative? Sind sie an anderen interessiert? Sie werden es sein, wenn du sie dazu ermunterst.
Kinder, die ermuntert werden, selbstlos zu sein, erlangen viele Segnungen. Sie fühlen sich wohl und geborgen. Sie sind gelassener und ausgeglichener als andere Kinder. Sie sind besser auf ihre künftige Rolle als Ehemann, Ehefrau oder schließlich als Eltern vorbereitet, und sie werden feststellen, daß die Worte des Herrn Jesus Christus wahr sind: „Beglückender ist Geben als Empfangen“ (Apg. 20:35).