Unsere Atmosphäre — ein „Ozean“ aus Luft
ZWEIFELLOS bewunderst du die Energie, Rastlosigkeit, Ausdehnung und Tiefe des Ozeans, wenn du am Meeresstrand stehst. Du hast dich dabei vielleicht gefragt, wie wohl die Meerestiere empfinden, da sie vollständig von Wasser umgeben sind. Bis zu einer Tiefe von Tausenden von Metern kann man Krabben und andere Meerestiere finden, die sich auf dem Meeresboden fortbewegen. Der enorme Druck, der dort herrscht, würde einen Menschen zerdrücken, aber die Körper dieser Tiere sind so gebaut, daß sie ihm standhalten können.
Aber bist du jemals auf den Gedanken gekommen, daß wir Menschen in Wirklichkeit in einem „Ozean“ aus Luft leben? Ja, wir befinden uns in einem solchen Ozean. Er ist — vergleicht man ihn mit der größten Meerestiefe — mehr als fünfzigmal so tief. Er ist mehr plötzlichen Temperaturänderungen unterworfen und ist ruheloser als die Ozeane aus Wasser. In Höhen zwischen zehn und zwölf Kilometern über der Erdoberfläche bewegen sich mächtige Luftströmungen, die eine Ausdehnung von Hunderten von Kilometern und eine Tiefe von etlichen Kilometern haben. Diese als „Jetstreams“ bekannten Strömungen können Geschwindigkeiten von 500 Kilometern pro Stunde erreichen. Außerdem gibt es heftige Stürme, die ständig in verschiedenen Schichten des Luft„ozeans“ wehen. Uns sind die gigantischen Kräfte bekannt, die in Hurrikanen und Tornados frei werden. Darüber hinaus entladen sich täglich 44 000 furchteinflößende Gewitter in diesem großen und rastlosen „Meer“ um uns herum.
Die Luft hat Masse und Gewicht
Die Luft hat Masse, obwohl sie unsichtbar ist. Daher übt unsere Atmosphäre einen beträchtlichen Druck auf die Erdoberfläche aus — natürlich einen geringeren als der Ozean, denn Luft ist nicht so schwer wie Wasser. Die Luft hat jedoch Gewicht, was dadurch bewiesen wird, daß ein mit Helium gefüllter Ballon nach oben steigt. Da Helium leichter als Luft ist, wird es von der Luft nach oben verdrängt, genauso wie eine Luftblase in einem Glas Wasser nach oben verdrängt wird. Der durchschnittliche Luftdruck in Meereshöhe beträgt annähernd 1,033 Kilopond pro Quadratzentimeter. Die Dichte und somit auch das Gewicht werden mit zunehmender Höhe geringer. Aber unser „Ozean“ aus Luft ist so großräumig, daß er mehr als 4 500 000 000 000 000 (4,5 Billiarden) Tonnen wiegt.
Aus diesem Gewicht der Luft ergibt sich, daß in Meereshöhe eine Last von fast einer Tonne auf deinen Schultern ruht. Aber du nimmst das nicht wahr, weil auf allen Stellen deines Körpers der gleiche Druck lastet. Der Körper erhält einen Innendruck aufrecht, um diesen Außendruck auszugleichen, ebenso wie die Meerestiere einen Innendruck haben, um den gewaltigen Außendruck des sie umgebenden Wassers auszugleichen. Der Innendruck, den der Mensch hat, wenn er sich „zu Hause“, in der Erdatmosphäre, befindet, erfordert, daß er einen Druckanzug trägt, wenn er sich „außer Haus“, im Weltraum, aufhält. Andernfalls würden in dem annähernden Vakuum des Weltraums die Lunge und die Blutgefäße platzen.
Sowie du in einen starken Sturm gerätst, wird dir bewußt, daß die Luft Masse hat. Und der letzte Zweifel darüber wird sicher beseitigt, wenn du in einem Laboratorium bist und siehst, wie sie sich bei ungefähr minus 190 °C in eine Flüssigkeit und bei ungefähr minus 260 °C in einen Festkörper verwandelt.
Wir können die Luft sogar in ihrem normalen gasförmigen Zustand „sehen“, nämlich wenn sie aufgrund von Temperaturunterschieden wie eine „Linse“ wirkt. Da die Luft in einigen Bereichen stärker und in anderen schwächer konzentriert ist, lenkt sie die Lichtstrahlen so ab, daß wir eine Fata Morgana sehen können — eine Reflexion und Brechung des Lichtes, das von Gegenständen kommt, die manchmal kilometerweit entfernt sind. Das Flimmern, das wir über einem warmen Heizkörper beobachten können, vermittelt uns einen kleinen Begriff von dieser Erscheinung.
Die Dehnungsfähigkeit der Luft ist eine nützliche Eigenschaft. Mit Wasser, das sich in seinem normalen Flüssigkeitszustand befindet, ist es möglich, einen Behälter auch nur teilweise zu füllen. Luftmoleküle jedoch bewegen sich viel ungehinderter und sehr rasch, im allgemeinen schneller als der Schall. Daher dehnt sich selbst eine sehr geringe Luftmenge so lange aus, bis sie den Behälter völlig ausgefüllt hat. Allein die Schwerkraft der Erde verhindert, daß die Luft in den leeren Weltraum entweicht und sich dort ausbreitet. Wird der zur Verfügung stehende Raum verkleinert, so gewinnen die Luftmoleküle an Geschwindigkeit und leisten Widerstand, wodurch sie Druck erzeugen. Diese Eigenschaft ist äußerst nützlich. Flüssigkeiten können nicht nennenswert komprimiert werden, aber Luft kann man mit Hilfe von Kompressoren in großen Mengen in einen kleinen Behälter „hineinpacken“, so daß sie, sobald sie sich entspannt, pneumatische Pressen, Bohrmaschinen, Druckluftheber und andere Maschinen antreiben kann.
In vielerlei Hinsicht lebenswichtig
Wir interessieren uns jedoch hauptsächlich für die Luft wegen ihrer Bedeutung für das Leben auf unserem Planeten. Der Sauerstoff bildet den Hauptbestandteil der Luft, macht aber lediglich 21 Prozent des Volumens der Atmosphäre aus oder, besser gesagt, der Gase, die in verhältnismäßig gleichbleibenden Anteilen vorkommen.
Sauerstoff verbindet sich leicht mit anderen Elementen oder Verbindungen, während eine Verbrennung stattfindet. Wenn daher ein Stück Holz brennt, oxydiert es in Wirklichkeit schnell. Unsere Körperwärme wird durch den Stoffwechsel aufrechterhalten, den der Körper bei der Oxydation von Nährstoffen vollzieht. Dieser Vorgang liefert unter anderem auch die Muskelenergie und die Energie für die Denkkraft. Dies ist einer der Gründe, warum die roten Blutkörperchen, die Sauerstoffträger des Blutes, so lebenswichtig sind und warum die Gehirnzellen, die ungefähr ein Viertel des in den Körper aufgenommenen Sauerstoffs verbrauchen, auf die ständige Zufuhr dieses Elements angewiesen sind. Der Sauerstoff ist derart reaktionsfreudig, daß man, wäre er in der Atmosphäre nicht mit anderen Gasen verdünnt, mit einem bloßen Funken ein Feuer entfachen könnte und praktisch alles in Brandgefahr stünde. Obendrein könnte kein Mensch sehr lange leben, wenn er ausschließlich reinen Sauerstoff einatmen würde.
Doch unserer Existenz und Sicherheit wegen verdünnte der Schöpfer die Atmosphäre mit Stickstoff, der 78 Prozent der „relativ konstanten“ Gase ausmacht, die unsere Atmosphäre bilden. So haben wir gerade genügend, aber nicht zu konzentrierten Sauerstoff. In unserer mit einem „Ozean“ vergleichbaren Atmosphäre machen Stickstoff und Sauerstoff zusammen 99 Prozent dieser relativ konstanten Gase aus. Stickstoff ist jedoch mehr als nur ein Verdünnungsmittel. Er hat noch andere Aufgaben. Während eines Gewitters wird es dem Stickstoff durch den Blitz ermöglicht, sich mit anderen Elementen zu verbinden. Anschließend führt der Regen die entstandenen Verbindungen dem Boden als Dünger zu. Stickstoff ist also für viele Pflanzen ein unentbehrliches Element.
Aber sogar unter den anderen Gasen der Atmosphäre, die weniger als ein Prozent ausmachen, gibt es einige, die entweder lebensnotwendig sind oder wesentlich zu unserem Wohlbefinden beitragen. Man zählt fünf fast inaktive Gase, sogenannte Edelgase: Argon, Neon, Helium, Krypton und Xenon. Uns allen ist bekannt, daß Argon und Neon für Beleuchtungszwecke verwendet werden und Helium für Ballons und für viele andere Zwecke. Methan, Wasserstoff und Stickstoffoxydul sind andere atmosphärische Gase, die in nahezu gleichbleibender Konzentration vorkommen.
Wasserdampf, Ozon und Staub — wichtige Bestandteile
Außer den Gasen, die nur geringe Mengenabweichungen aufweisen, gibt es noch Gase in der Atmosphäre, die je nach Zeit und Ort in unterschiedlichen Mengenverhältnissen auftreten. Eines davon ist der Wasserdampf mit einem möglichen Volumenanteil von 0 bis 7 Prozent, und ein anderes ist das Kohlendioxyd mit einem Vorkommen zwischen 0,01 und 1 Prozent. Die Pflanzen nehmen Kohlendioxyd auf und geben Sauerstoff ab. Ohne Kohlendioxyd würde das pflanzliche Leben zu bestehen aufhören. Auch das Ozon, eine Form oder eine „allotrope Spielart“ des Sauerstoffs, existiert in geringen Mengen, die ungefähr nur 0,01 Prozent der Atmosphäre ausmachen. Es kommt überwiegend in Höhen zwischen 10 und 50 Kilometern vor und bietet Schutz vor den tödlichen ultravioletten Strahlen. Wer außer einem allweisen, allmächtigen Schöpfer hätte eine solche Atmosphäre zum Nutzen aller irdischen Lebewesen schaffen können, und zwar mit Bestandteilen im richtigen Mengenverhältnis zugunsten des größtmöglichen Maßes an Sicherheit, Komfort und Wohlbefinden für alle Menschen?
Als Gas in der Atmosphäre ist der Wasserdampf die Grundlage für Regen, Nebel, Schnee, Graupeln und Hagel. Er bildet einen großen Anteil der Wolken. Wasserdampf entsteht dadurch, daß die Sonne Wasser aus den Meeren und Seen und den Blättern der Pflanzen verdunsten läßt. Ohne diesen Kreislauf von Regen und Verdunstung würde bald die gesamte Pflanzenwelt aussterben. Die Bibel sagt, daß dieser Kreislauf von Gott eingerichtet wurde (Jes. 55:10, 11).
Außer den winzigen Prozentsätzen der Gase Schwefeldioxyd und Stickstoffdioxyd gibt es noch Festkörper, wie zum Beispiel den Staub, den Ruß im Rauch, das Salz aus den Meeren, den Blütenstaub, die Mikroben und die Asche von Meteoren, die verbrennen, sobald sie in die Atmosphäre eintauchen. Man kann den Staub nicht als „Luftverschmutzung“ bezeichnen — es sei denn, er nimmt überhand —, denn die Staubteilchen haben die wichtige Aufgabe, die Kondensationskerne der Regentropfen zu bilden. Auch sind sie mitverantwortlich für die schöne blaue Farbe des Himmels und das satte Rot der Sonnenuntergänge. Abgesehen von dem Unbehagen, das der durch Luftströmungen verbreitete Blütenstaub bei Heufieberanfälligen hervorruft, erfüllt auch er einen guten Zweck.
Die Temperaturen in dem „Ozean“ aus Luft
Die meisten der besprochenen Erscheinungen stehen mit der Luftschicht im Zusammenhang, in der wir leben — der Troposphäre. Wie allgemein bekannt ist, fällt die Temperatur mit zunehmender Höhe ab. Nachdem die Temperatur jedoch am „Dach“ der Troposphäre einen Tiefpunkt von minus 55 °C erreicht hat, steigt sie innerhalb der Stratosphäre (in der die „Jetstreams“ zu finden sind) auf minus 2 °C an und sinkt bis zum „Dach“ der nächsten Schicht (der Mesosphäre) wieder auf minus 93 °C ab. In der darüber liegenden Schicht, der Thermosphäre, steigt die Temperatur bei einer Höhe von ungefähr 450 Kilometern auf den erstaunlichen Wert von fast 1 500 °C an.
Die Ionosphäre ist keine der üblichen atmosphärischen „Schichten“, sondern der Bereich (dazu gehören mehrere „Schichten“), in dem die Luftmoleküle durch Sonnenstrahlung elektrisch geladen sind. Dieser Bereich hat seine untere Grenze in ungefähr 55 Kilometer Höhe über der Erde und erstreckt sich über mehrere tausend Kilometer hinweg in eine sehr, sehr dünne Atmosphäre. In der Ionosphäre erscheint das schöne Nordlicht (und auf der südlichen Halbkugel das Südlicht).
Die geladenen Luftteilchen der Ionosphäre bilden eine „Radiowellendecke“. Das ermöglicht Rundfunkübertragungen über eine Entfernung von Tausenden von Kilometern. Radiowellen breiten sich geradlinig aus und würden lediglich ein begrenztes Gebiet erreichen, weil sie sich von der gekrümmten Erdoberfläche entfernen und geradeaus in den Weltraum zielen. Aber diese „Radiowellendecke“ reflektiert sie in einem Winkel, so daß sie an einem weit entfernten Punkt auf der Erde auftreffen. Heutzutage verwendet man Satelliten auf ähnliche Weise.
Die Verwendung von Satelliten und verfeinerteren Instrumenten ermöglicht uns einen viel besseren Einblick in unseren „Ozean“ aus Luft. Man weiß unter anderem mehr über seine Strömungen und Temperaturen. Die Wettervorhersage ist dementsprechend immer genauer geworden. Aber es gibt noch manches, was der Mensch über die Atmosphäre zu lernen hat, die sich, wenn auch in sehr verdünnter Form, über eine Entfernung von mehreren Erdradien hinweg (der Erdradius beträgt 6 372 Kilometer) in den Weltraum erstreckt. Einige ihrer Geheimnisse sind nach wie vor ungelüftet, und mit der fortschreitenden Erforschung des Weltraums kommen noch weitere hinzu.
[Diagramm auf Seite 17]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
Die Ionosphäre ist ein Bereich elektrisch geladener Teilchen. Er beginnt in der unteren Mesosphäre und geht weit über die Thermosphäre hinaus.
450 KILOMETER 1 500 °C
THERMOSPHÄRE
80 KILOMETER −93 °C
MESOSPHÄRE
50 KILOMETER −2 °C
STRATOSPHÄRE
15 KILOMETER −55 °C
TROPOSPHÄRE
ERDE
[Bild auf Seite 18]
Durch Gewitter entstehen Stickstoffverbindungen, die für Pflanzen lebenswichtig sind.