Wir wollen unsere fremdsprachigen Nachbarn besser kennenlernen
Vom „Awake!“-Korrespondenten in der Bundesrepublik Deutschland
„MERHABA!“ Du hast diesen Ausdruck vielleicht schon auf der Straße oder an deinem Arbeitsplatz gehört, denn so heißt der allgemeine Gruß der Türken. Heute betrachten ungefähr eine Million türkisch sprechende Menschen die Bundesrepublik Deutschland als ihr gegenwärtiges Zuhause. Hast du das gewußt?
Die Türken sind ein einfaches, aber herzliches und sehr gastfreundliches Volk. Zugegeben, sie mögen am Anfang zurückhaltend und den Europäern gegenüber etwas mißtrauisch sein, aber ein Blick in ihre Geschichte wird uns helfen, sie besser zu verstehen.
Geschichtlicher Hintergrund
Die heutigen Türken sind ein Mischvolk aus verschiedenen Stämmen. Ihre früheren Gebiete reichten vom Kaspischen Meer bis in die Mongolei hinein und sind heute weitgehend Teile der UdSSR. Sie stammen also nicht von den Arabern, einem semitischen Volk, ab, sondern von Japhet durch seinen Sohn Magog. Auch ihre Sprache ist nicht mit dem Arabischen verwandt, obwohl viele Worte aus dem Arabischen entlehnt sind. Sie stammt vielmehr aus der altaischen Sprachgruppe und gleicht in ihrem Aufbau dem Finnischen und Ungarischen. Sie wird von rund 40 Millionen Menschen in der Türkei gesprochen, aber auch von weiteren Millionen in der UdSSR, in China, dem Iran und Afghanistan.
Am Anfang der Ausdehnung des Islams (7. und 8. Jahrhundert) hatten Abbasiden und Omaijaden, arabische Kalifendynastien, ihre Glaubensrichtung durch Handel und Vorkämpfe bis in die von türkischen Stämmen besetzten Gebiete gebracht. Zu dieser Zeit waren einige Türkenstämme zu Militärsklaven der arabischen Dynastien geworden, und somit wurden sie zu Mohammedanern gemacht. Von der Mitte des 11. Jahrhunderts an, als die Seldschuken in Persien und Syrien eindrangen, verloren die arabischen Kalifendynastien immer mehr an politischer Macht, während die Türkenstämme große Gebiete einnahmen. Damit wurde die politische Macht der islamisch-arabischen Herrscher von den Türken zurückgedrängt, die religiöse Ideologie des Islams wurde aber immer noch vertreten und hat seither den Sinn dieses Volkes stark geprägt.
Ende des 13. Jahrhunderts wurde das Osmanische Reich gegründet. Sechseinhalb Jahrhunderte herrschte es, bis es am Ende des Ersten Weltkrieges zusammenbrach. Unter Mustafa Kemal Atatürk, „Vater der Türken“ genannt, wurde 1923 eine Republik gegründet, die mit vielen grundlegenden Reformen eine Öffnung nach Europa suchte. Religion und Staat wurden getrennt, religiöse Orden wurden aufgehoben, das Tragen von Schleier und Fes wurde verboten, und die Einehe wurde eingeführt sowie die Pflicht, einen Familiennamen zu tragen. Der Regierungswechsel hatte auch eine grundsätzliche Änderung des Schulwesens zur Folge. Ein großer Schritt in der Bildungsreform wurde im Jahre 1928 getan, als die lateinische Schrift an Stelle der bisherigen arabischen eingeführt wurde. Die Anzahl der Schulen hat sich seit dieser Zeit vervielfacht, und die Zahl der Analphabeten ist von 90 Prozent auf 30 Prozent zurückgegangen.
Die heutige Türkei, hauptsächlich ein Agrarstaat, ist ein Land, wo orientalische Sitten mit arabischen Sitten vermischt sind. Seit der Ausbreitung der Industrie ist es aber auch ein Land geworden, wo der Westen den Osten trifft. Um die materiellen Vorteile des Westens zu genießen, sind immer mehr Menschen vom Lande in die Großstädte übergesiedelt. Die Bevölkerung von Istanbul zum Beispiel ist von 860 558 im Jahre 1945 auf über 3 000 000 heute gewachsen. Angesichts eines solchen Wachstums und der damit verbundenen Probleme ist es kein Wunder, daß die Erwartungen der neuen Bürger oft unerfüllt blieben.
In den 60er Jahren bot sich eine neue Möglichkeit, materiell voranzukommen, als europäische Länder nach Arbeitskräften suchten. Um eine Arbeitsstelle im Ausland zu bekommen, verließen Männer und Frauen im besten Alter ihre Dörfer, ihre Verwandten, ja sogar ihre Kinder und ihren Ehepartner. Viele setzten alles daran, in die Bundesrepublik zu kommen, um sich möglichst schnell wirtschaftlich zu verbessern.
Mit neuen Problemen konfrontiert
Hier begann für sie ein neuer Lebensabschnitt, denn ganz andere Lebensbedingungen und -gewohnheiten warteten auf sie. Menschen, die noch nie eine Fabrik von innen gesehen hatten, mußten jetzt plötzlich völlig neue Arbeitsvorgänge kennenlernen. Andere brachten berufliche Kenntnisse und sogar eine akademische Bildung mit, mußten aber oft einfache Arbeiten verrichten. Ein Buchhalter bekam zum Beispiel eine eintönige Arbeit am Fließband. Oder ein früherer Polizeibeamter erhielt am Bau oder eine Krankenschwester oder Bankangestellte in einer Textilfabrik Arbeit.
Trotzdem verdienen sie doch im Verhältnis zu dem, was sie in ihrer Heimat verdienen würden, ziemlich gut. Deshalb können sie Geld nach Hause schicken, um den Eltern finanziell beizustehen oder um ein Haus zu bauen oder sogar ein kleines Geschäft zu kaufen. Damit sie während der Zeit, wo sie im Ausland verweilen, möglichst viel sparen können, wird die Familie oft in der Türkei zurückgelassen. Die Kinder werden von den Großeltern, von einer Tante oder eventuell von einer älteren Schwester erzogen. Somit wird natürlich das Familienleben ziemlich beeinträchtigt. Verständlicherweise leidet die Freude darunter.
Nicht von minderer Bedeutung ist das Wohnungsproblem. Da sie ihren Aufenthalt oft als vorübergehend betrachten, möchten sie preisgünstig wohnen. Aber viele Hausbesitzer und Spekulanten haben den Wohnungsmangel zu ihrem eigenen Vorteil genutzt, indem sie die Mietpreise in die Höhe geschraubt haben. In vielen Fällen ist Mietwucher das Ergebnis gewesen. In vielen Städten wird jede Möglichkeit ausgekauft, um notdürftige, rückständige Behausungen zu schaffen. Obwohl die Bundesregierung Gesetze erlassen hat, um die Rechte dieser Menschen zu schützen und ihnen soziale Hilfe zu leisten, sind immer noch nicht alle damit verbundenen Probleme gelöst.
In einigen Städten — siehe Köln und Berlin — sind ganze Stadtteile fast ausschließlich von Türken bewohnt. Der Stadtteil Kreuzberg in Berlin wird sogar „Klein Istanbul“ genannt. In Städten findet man so viele türkische Gasthäuser, Lebensmittelgeschäfte, Import-Export-Geschäfte, Änderungsschneidereien, Textilgeschäfte, Übersetzungs- und Reisebüros, daß ein Deutscher, der einen Spaziergang durch diese Viertel macht, sich unwillkürlich fragt: „Wer ist denn eigentlich hier im Ausland, ich oder sie?“
Welche Hoffnung für die Zukunft?
Während viele Türken bereit sind, die Schwierigkeiten des Lebens im Ausland auf sich zu nehmen, um eine gewisse materielle Sicherheit zu erlangen, gibt es andere, die unglücklich sind und in einer Welt voller politischer und sozialer Unruhen und Ungerechtigkeit eine eventuelle materielle Sicherheit nicht als echte Hoffnung für die Zukunft betrachten. Einige haben sich der Botschaft der Bibel zugewandt, um eine bessere Hoffnung zu finden.
Es ist für einen Türken wesentlich leichter, sich hier in Europa mit der Bibel zu befassen, als dies in der Türkei der Fall wäre, wo sich 98 Prozent der Bevölkerung zum Islam bekennen. Es erfordert aber trotzdem viel Geduld und Feingefühl, wenn man mit Mohammedanern über die Bibel spricht, denn obwohl sie als ein von Gott inspiriertes Buch anerkannt wird, wird doch der Koran als die allerletzte Offenbarung Gottes betrachtet. Viele wissen sehr wenig über den Inhalt der Bibel oder die geschichtlichen Ereignisse, die damit in Verbindung stehen.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß Mohammedaner nicht glauben, daß Gott einen Sohn haben kann; deshalb glauben sie nicht, daß Jesus — obwohl sie ihn als Propheten Gottes anerkennen — Gottes Sohn ist, der für die Sünden der Menschen gestorben ist. Erst wenn sie von dieser Tatsache überzeugt sind, werden sie auch daran glauben können, daß Jesus als himmlischer König die Macht schon übernommen hat, um innerhalb unserer Generation Frieden auf Erden herbeizuführen.
Einige, zu dieser Überzeugung gekommen, sind Christen geworden, obwohl dieser Schritt nicht einfach für sie war. Unter den Türken sind die Familienbande sehr eng. Erwachsenen Personen wird sehr viel Respekt gezollt, wie es der orientalische Brauch verlangt. Eine Frau, die wie ihr Mann Christ geworden war, schrieb an ihre Eltern in der Türkei über diese Dinge. Postwendend kam ein Brief zurück mit der Antwort, daß sie als Tochter verstoßen sei, daß sie nicht mehr nach Hause zu kommen brauche, und wenn der Vater erfahren würde, daß sie irgendwelchen anderen Verwandten in der Türkei in dieser Sache schreiben würde, dann stände ihr Leben in Gefahr. Zwei Mädchen, die den christlichen Glauben annehmen wollten, wurden — allerdings ohne Erfolg — von ihren Eltern und anderen Verwandten über längere Zeit geschlagen und mißhandelt, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Aber trotz des Widerstandes, den sie erlebten, freuen sich diese Menschen, endlich eine echte Botschaft der Hoffnung für die Zukunft gefunden zu haben.
Ja, es gäbe so viel über unsere türkisch sprechenden Nachbarn zu berichten: über ihre Musik, die zunächst für die Ohren des Europäers fremdartig und monoton klingen mag; ihre Küche mit dem vielen Hammelfleisch und den Grillspezialitäten wie Siskebap oder den für Europäer oft zu süßen Milchspeisen. Und den türkischen Kaffee dürfen wir nicht vergessen, denn „eine Tasse Kaffee verpflichtet einen zu 40 Jahren Erkenntlichkeit“. So heißt ein türkisches Sprichwort.
Aber warum viel über sie erzählen? Am besten spricht man selbst mit ihnen. Um dies in ihrer Muttersprache tun zu können, hat ein deutscher Postbote jeden Morgen um fünf Uhr eine Lektion in Türkisch zu Hause studiert und Notizen über wichtige Worte oder grammatische Regeln gemacht. Während er auf seiner Route die Post austrug, prägte er sich treppauf, treppab die türkische Sprache ein. Natürlich sprechen inzwischen viele Türken auch deutsch. Aber wie sie sich freuen, wenn man sich für sie interessiert und sich bemüht, ihnen mindestens etwas in ihrer Sprache zu sagen! Ja, und wenn es nicht einmal mehr ist als „Merhaba!“