Der Kuckuck — ein raffinierter Betrüger?
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Großbritannien
DIE Russen nennen ihn kukusbka, die Franzosen coucou, die Niederländer koekoek und die Japaner kak-ko. Wie dieser Vogel auch genannt wird, ob er sich in Schottland oder an den Hängen des Fudschijamas aufhält, so handelt es sich doch immer um den Kuckuck.
Der ausgewachsene Kuckuck ist ein stattlicher Vogel, fast so groß wie eine Taube, wiegt aber nur ungefähr 100 Gramm. Er hat einen hellgrauen Kopf und Hals, eine etwas dunklere Oberseite, eine weiße, dunkelgebänderte Unterseite, und der lange Schwanz mit der weißen Spitze ist weiß gefleckt. Der Ruf des Kuckucks ist einzigartig unter den Vogelrufen.
Der Kuckuck, obschon ein faszinierender Vogel, zeigt ein Verhalten, das ihn als eine Art Betrüger erscheinen läßt: Er legt seine Eier in die Nester anderer Vögel und erspart sich so den Nestbau.
Wahl der Pflegeeltern
Das Kuckucksweibchen wählt die Pflegeeltern für seine Jungen aus. Es beobachtet den Nestbau der Vögel, die es als Zieheltern auserkoren hat, und nachdem das Vogelweibchen ein oder mehrere Eier gelegt hat, schmuggelt die Kuckuckshenne in der Abwesenheit des Vogelpaares eines ihrer Eier in das Nest. Die Kuckuckshenne legt in einer Fortpflanzungsperiode zwölf bis zwanzig Eier und muß daher ziemlich viele Zieheltern suchen.
Auf geheimnisvolle Weise gelingt es dem Kuckucksweibchen, seine Eier dem Aussehen der Eier der von ihm ausgewählten Pflegeeltern anzupassen. Kuckuckseier gibt es in fünf verschiedenen Farbtönen zwischen Braun und Grün; sie sind getupft oder gefleckt und birnen- oder kugelförmig. Im Verhältnis zu der Größe des Vogels sind sie klein.
Doch damit hört die Täuschung noch nicht auf. Beobachter berichten, daß das Kuckucksweibchen ein Ei aus dem Nest der Pflegeeltern nimmt, damit wegfliegt und es dann entweder auffrißt oder einfach fallen läßt.
Die Aufzucht junger Kuckucke
Nach nur 12 1⁄2 Tagen schlüpft der junge Kuckuck aus. Er schlüpft also häufig früher als die Jungen der Zieheltern. Etwa 10 Stunden nach dem Schlüpfen scheint der Jungkuckuck gegen alles, was ihn berührt, allergisch zu sein; und instinktiv versucht er verzweifelt, die Eier oder andere Nestlinge aus dem Nest zu befördern. Er hebt die störenden Eier oder Nestlinge in seinem hohlen Rücken an den Nestrand, indem er rückwärts bis zu diesem emporklettert, und wirft sie hinaus. Nun ist er allein im Nest. Das gelingt dem jungen Kuckuck fast immer, obschon er noch blind und nackt und scheinbar hilflos ist. Der Trieb, alles aus dem Nest zu befördern, was ebenfalls gefüttert werden müßte, ist außerordentlich stark.
Sein Ruf „Zis zisis“ ist so aufdringlich, daß nicht nur die Pflegeeltern ihre ganze Zeit darauf verwenden, Futter für ihn zu suchen, sondern daß auch andere Vögel den Drang verspüren, Leckerbissen, mit denen sie ihre eigenen Jungen füttern wollten, in das rote Schnabelinnere des ständig hungrigen Schreihalses zu stopfen. Bald hat er in dem kleinen Nest, das nicht für ihn gebaut wurde, keinen Platz mehr und verhält sich deshalb höchst unfriedfertig, zischt und pickt wütend mit dem Schnabel nach der Nahrung spendenden menschlichen Hand, ja sogar nach dem Vogel, der ihn gerade gefüttert hat.
Es erscheint merkwürdig, daß die Pflegeeltern den rabiaten Nestling dennoch liebevoll füttern. Selbst wenn sie vielleicht merken, daß es nicht ihr Junges ist, geht das unter in der großen Anstrengung, die erforderlich ist, den jungen Kuckuck die rund zwanzig Tage, bis er flügge ist, zu füttern.
Das Geheimnis ihres Zuges
Zur bestimmten Zeit machen sich die alten Kuckucke auf die Reise ins Winterquartier, nach Afrika. Die Jungen dagegen bleiben noch und fliegen erst Wochen später den Eltern nach. Wie finden sie sowie andere Zugvögel den Weg über Kontinente und Meere, wobei sie oft in großen Höhen fliegen, wo der Sauerstoff knapp ist und wo es kalte, starke Windströmungen gibt, und treffen dennoch pünktlich in ihrem Winterquartier ein, als wären sie auf ihrem Flug computergesteuert? Nur der Schöpfer weiß es.
Im Frühjahr kehren die Kuckucke in ihr Brutgebiet zurück. Jahr um Jahr suchen sie das gleiche Gebiet auf, das sie im Sommer zuvor besetzt hatten. Jeder Hahn kündigt seine Ankunft durch den oft wiederholten Kuckucksruf an. Er verteidigt damit sein Revier.
Was für Vögel wählt das Weibchen als Zieheltern für seine Jungen? Rotkehlchen, Wiesenpieper, Schilfrohrsänger, Teichrohrsänger, Bachstelzen, Heckenbraunellen, Dompfaffen und andere sind ungewollt Zieheltern gefräßiger Jungkuckucke geworden. Das Kuckucksweibchen erinnert sich an die Vogelart, von der es selbst aufgezogen wurde, und wählt die gleiche Art als Zieheltern für seinen Nachwuchs.
Nützliche Freßgewohnheiten
Obschon der Kuckuck so verschrien ist, weist er auch nützliche Eigenschaften auf. Wahrscheinlich ist es seine Unersättlichkeit, die ihn veranlaßt, Larven zu fressen, die andere Vögel meiden. Es sind Larven wie die des Bärenspinners, der Gespinstmotte und des Trägspinners, die Brennhaare aufweisen, die sie vor anderen Vögeln schützen. Doch der gefräßige Kuckuck ist gegen diese Haare unempfindlich. Zwei weitere Larven, die des Spanners und der Gelben Stachelbeerwespe, haben eine Schutzfärbung, derentwegen andere Vögel sie meiden, nicht aber der Kuckuck; der frißt sie gern. Käfer, Würmer, Hundertfüßler — alles wird gierig von dem ewig hungrigen Vogel verschlungen.
In den Augen vieler erscheint der Kuckuck vielleicht als raffinierter Betrüger. Aber er ist ja schließlich kein Mensch. Wir mögen entsetzt sein darüber, daß das Kuckucksweibchen seine Jungen von anderen Vögeln aufziehen läßt, doch diese Vögel beklagen sich nicht darüber. Der Kuckuck verhält sich gemäß dem ihm vom Schöpfer verliehenen Instinkt und trägt so seinen Teil zum Gleichgewicht der Natur bei. Und während er seine ihm zugewiesene Aufgabe erfüllt, fasziniert er alle, die ihn beobachten — und auch das wollte der Schöpfer offensichtlich.