Jede Feder ein Wunder für sich
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Kanada
EIN Rubinkehlkolibri schwebt in seiner schillernden Pracht neben einer Blume, um aus der Blüte Nektar zu saugen. Ein Pfau breitet seine Schwanzfedern zu einer Palette bezaubernder Farben aus. Diese Vögel haben ihre Pracht natürlich ihrem Federkleid zu verdanken.
Für die Garderobe des Menschen wählen Schneider, Näher und Hutmacher Textilien verschiedenster Art und Farbe aus. Welch interessante Vielfalt an Kleidung sie aus ihren Ballen von Schurwolle, Baumwolle, Seide und Synthetikstoffen herstellen! Doch die Bekleidung der Vögel besteht aus nur einem Material — Keratin. Dieses stabile, hornartige Protein ist die Substanz, aus der deine Fingernägel sowie die Hufe und Krallen von Tieren bestehen. Der große Schöpfer hat damit Federkleider geschaffen, die die Phantasie menschlicher Modeschöpfer an Schönheit, Abwechslung und Nützlichkeit bei weitem übertreffen.
Fein, aber stabil
Ein hohles Rohr hat bekanntlich Vorteile gegenüber einem massiven Stab. Folglich ist der hohle Federschaft stark wie ein Knochen, hat aber nur einen Bruchteil seines Gewichts. Der dickste Teil der Feder ist die Federspule, die in einer Papille der Vogelhaut steckt.
Die Spule geht in den Schaft über, von dem beidseitig parallele Äste abzweigen. An jedem Ast sitzen im rechten Winkel kleine Strahlen mit winzigen Haken, durch die benachbarte Äste nach dem Reißverschlußprinzip miteinander verbunden sind und ein starkes Geflecht bilden, das aber flexibel genug ist, um wiederholt in alle Richtungen gebogen zu werden, ohne zu brechen.
Sollte aus irgendeinem Grund der „Reißverschluß“ aufgehen, dann putzt der Vogel einfach die Federn, bis alle Äste wieder miteinander verhakt sind. Haben seine aufgeplusterten Federn wieder ihren Platz, dann ist er weitgehend vor Kälte geschützt, und er hat zudem eine wasserdichte Kopfbedeckung und einen Regenmantel. Bei Enten und anderen Wasservögeln wurde schon beobachtet, daß an ihren Federn sogar Schrotladungen abgeprallt sind.
Entstehung einer Feder
Die Feder bildet sich in einer kleinen Papille der Vogelhaut. Während sie sich entwickelt, gehen wundervolle, komplizierte Veränderungen vor sich. In einer Scheide entwickeln sich Teile der Feder, die einen Schaft umwinden. Sie sind so vorzüglich verpackt, daß du dich beim Anblick der ausgewachsenen Feder fragst: Wie konnte all das auf so kleinem Raum Platz finden?
Nach Abschluß dieser Entwicklung vertrocknen die Blutgefäße, die die Wachstumszellen versorgt haben, die Scheide platzt auf, der Vogel beseitigt rasch Abfallprodukte und putzt seine neue Feder, bis sie sich zu ihrer vollen Größe entfaltet hat. Jetzt ist die Feder im wesentlichen totes Gewebe, das nicht mehr mit Blut versorgt werden muß — ein großer Vorteil für den Kreislauf des Vogels.
Vielfalt von Federn
Es gibt Federn in den verschiedensten Formen, Größen, Farben und Arten. Die meisten dienen einer Funktion, wohingegen andere nur Schaueffekt haben. Das Federkleid entspricht ganz dem Bedarf des Vogels. Größere Vögel haben keinen Federüberschuß, wohingegen die Zwerge der Vogelwelt keinen Mangel leiden. Eine Zählung ergab, daß ein Pfeifschwan, einer der größten Vögel, 25 216 Federn hatte und ein Rubinkehlkolibri in all seiner Pracht 940.
Zu den Federn, die eine Funktion erfüllen, gehören die flaumigen Daunen, die einer „Unterwäsche mit Klimaanlage“ gleichen. Unter einem Vergrößerungsglas kann man lange, fein ausgeprägte, sehr flexible Äste und Strahlen, aber keine Haken erkennen. Die äußerst leichte, formlose Masse weicher Federäste isoliert den Körper des Vogels und hält ihn in der Kälte warm und im Sommer kühl.
Manche Vögel haben mehr Daunen als andere. Dazu gehört die Eiderente. Sie verwendet ihren Überschuß an seidenweichen Daunen für die Auspolsterung des Nestes ihrer Küken. Auch der Kaiserpinguin trägt ein Daunenkleid unter seinen wasser- und winddichten Konturfedern. Das befähigt ihn, bei Winden von 80 km/h und Temperaturen von -50 °C etwa drei Monate lang ohne Nahrung auf einer Stelle zu stehen, während er auf seinen Füßen ein Ei ausbrütet.
Die Konturfedern sind je nach Vogelart stromlinienförmig nach einem bestimmten Muster angeordnet. Der zentral gelegene Federschaft hat, um sich der Körperoberfläche anzupassen, eine leichte Krümmung und ist zum Schwanz gerichtet. Nahe der Haut haben die Federn einen daunenartigen Teil, der die „Unterwäsche“ des Vogels ergänzt und von der nächsten Federreihe knapp überdeckt wird.
Hast du schon beobachtet, wie eine Glucke ihre Federn aufplustert, um ihre Eier oder soeben geschlüpften Küken zu bedecken? Die Konturfedern sind mit Hautmuskeln verbunden, durch die sie angehoben werden können. Dadurch kann der Vogel sein Federkleid reinigen, neu ordnen oder zur Isolierung und Wärmeregulierung mehr Luft einschließen.
Noch faszinierender sind die Flugfedern, die „Propeller“, die für Auftrieb und Vortrieb sorgen. Eine einzige davon kann bis zu einer Million kunstvoll konstruierter und zusammengefügter Teile haben. An jedem Flügelende sind 10 oder mehr Handschwingen, die den größten Vortrieb erzeugen. Es schließen sich 17 Armschwingen an, deren Spule und Schaft ähnlich wie bei den Handschwingen äußerst stark sind und am Knochen befestigt sind. Sie können alle um ihre Achse gedreht werden, so daß sie beim Niederschlag einander dicht überlappen und sich beim Aufschlag wie eine Jalousie öffnen. Die unglaublich leichten Schulterfedern bedecken den Rest des Flügels, der eine unübertroffene Tragfläche bildet.
Am Schwanz befinden sich Flugfedern, die durch starke Muskeln nach unten gedrückt, aufgefächert, zusammengelegt oder gedreht werden können. Diese 10 oder mehr Federn dienen somit dem gleichen Zweck wie das Höhen, Seiten und Querruder und die Stabilisierungsflossen eines Flugzeugs beim Start und Flug und wie die Bremsklappen beim Landen.
Farbgebung
Auffallend ist die Farbenpracht, der die Vogelwelt teilweise ihre Schönheit verdankt. Der Papstfink sieht gut aus mit seiner Zusammenstellung von Blau, Grün, Gelb und Rot. Der Rote Kardinal wagt es, in der Öffentlichkeit mit einem von der Haube bis zur Schwanzspitze leuchtendroten Federkleid aufzutreten. Nur der schwarze Ring um seinen Schnabel bildet einen Kontrast.
Oft richtet sich bei Vogelfedern die Farbe nach der Umgebung. Das Alpenschneehuhn tauscht im Winter die grauen Töne des Sommers gegen ein fast völlig weißes Federkleid ein — eine vollkommene Tarnung. Im üppigen Grün der Dschungel sind intensive Grüntöne in Mode. In Wüstengebieten sind die Vögel durch ihre sandfarbene Tönung sehr gut vor Raubvögeln geschützt.
Die Farbe der Federn ergibt sich aus einer Kombination ihrer Struktur, ihrer Pigmente und der reflektierten Lichtstrahlen. Weiße Federn haben eine mikroskopische Struktur, die weißes Licht vollständig reflektiert. Um Blautöne zu erzeugen, werden von winzigen Teilchen in der Struktur der Federstrahlen nur blaue Lichtstrahlen gebeugt, zerstreut und reflektiert. Grüne Farbtöne ergeben sich aus einer Kombination einer blauen Struktur mit gelbem Pigment, wohingegen rot pigmentierte Federn den blaugrünen Anteil des weißen Lichts „schlucken“ und somit nur rote Wellenlängen reflektieren. Diese wunderbare Konstruktion der Feder ermöglicht es unserem Auge, sich an dem farbenprächtigen Gefieder der Vögel zu erfreuen.
Das Schillern
Ein englischer Naturforscher beschrieb einen Kolibri mit den Worten: „Einen Augenblick gleicht er einem Rubin, im nächsten einem Topas, dann einem Smaragd und schließlich glänzendem Gold.“ Der berühmte amerikanische Naturforscher und Künstler Audubon sprach von diesen gefiederten Schönheiten als von „lieblichen Splittern des Regenbogens“. Er dachte dabei an das Schillern ihrer Federn.
Wodurch wird dieses Schillern bewirkt? Winzige und präzise spiegelähnliche Strukturen verursachen einen optischen Vorgang, der als Interferenz bezeichnet wird. Sie unterdrücken einige Bestandteile der Lichtstrahlen und verstärken andere durch Reflektion. Das Ergebnis: ein momentanes Aufleuchten der Farbe an der Oberfläche der Feder, das sich je nach dem Einfallswinkel der Lichtstrahlen verändert, und dann ein plötzliches Verblassen des Glanzes.
Sehr deutlich sieht man das Schillern am „Auge“ einer Feder in der Schleppe des Pfaus. Jeder Federstrahl, der durch das „Auge“ verläuft, weist bis zu drei oder vier Farbzonen auf. Das erfordert Tausende von lichtreflektierenden Strukturen, die am Federstrahl genau alle drei Millimeter angeordnet sind. Milliarden dieser Moleküle müssen jedes Jahr bei der Mauser ohne die geringste Abweichung ersetzt werden. Bei einer Abweichung von nur einem tausendstel Millimeter würden die Farben verschwinden.
Besonderheiten
In der Welt der Federn gibt es manches Merkwürdige. Der Specht kann mit Unterstützung seiner steifen Schwanzfedern, die man mit Steigeisen vergleichen könnte, einen Baum hinaufklettern. An den Füßen des Alpenschneehuhns wachsen lange Federn, die im Winter als „Schneeschuhe“ dienen. Die Jungen der Flughühner erhalten ihre tägliche Wasserration aus dem saugfähigen Bauchgefieder des Männchens. Einige Schnepfen und Rauhfußhühner zwängen Luft durch besondere „Musik“federn ihrer Flügel, um ein singendes Geräusch zu erzeugen. Gänse gebrauchen ihre starken Flügelfedern als Waffe. Nicht zu vergessen sind die Gentlemen der Vogelwelt, die mit einer besonderen Federpracht um ihre Damen werben. Dazu gehören der Kronenkranich, der Reiher mit seinem Kopfschmuck, die unvergeßlichen Paradiesvögel und die Leierschwänze Australiens.
Wirklich, jede Feder ist ein Wunder für sich, ein Meisterstück der Konstruktion. Die Ehre gebührt dem großen Schöpfer und Designer solcher Schönheit und Zweckmäßigkeit.
[Bild auf Seite 13]
SCHAFT
AST
STRAHL