Stillen — ein „Opfer“, das von Herzen kommt
MEIN Mann und ich mußten einiges entscheiden. Die Geburt unseres ersten Kindes stand nämlich bevor. Zum Beispiel ging es darum, ob wir es mit der „natürlichen“ Geburt versuchen sollten, ob mein Mann bei der Entbindung dabeisein sollte und in welchem Krankenhaus ich mich zur Entbindung anmelden sollte. Die Liste der Fragen, die es zu entscheiden galt, war lang.
Besonders eine Entscheidung hat für mich viel Freude bedeutet: mein Kind zu stillen. Vielleicht interessiert es dich, zu wissen, wie wir zu diesem Entschluß kamen, warum wir uns dazu entschlossen und warum ich froh bin, daß wir uns dafür entschieden haben.
Als erstes las ich mehrere Bücher über das Thema und unterhielt mich mit vielen Bekannten, die ihr Kind stillten bzw. gestillt hatten. Dabei erfuhr ich, daß die meisten Ärzte sich darin einig sind, daß es für das Kind nichts Besseres und Gesünderes gibt als Muttermilch. Wenn eine Mutter ihr Kind stillt, sorgt sie aber nicht nur für die beste Nahrung, sondern auch für sein seelisches Wohlbefinden. Ich informierte mich außerdem darüber, welche Veränderungen im Körper der Frau während der Schwangerschaft vor sich gehen. Ferner besuchten mein Mann und ich einen Kursus, um uns auf die Geburt unseres Kindes vorzubereiten.
Die Anpassung
Meine „Hausaufgaben“ trugen dazu bei, daß ich eine realistischere Vorstellung davon erhielt, was es bedeutet, ein Kind zu stillen — daß es eine große Aufgabe ist. Stillen ist ein Teil des Aufziehens von Kindern, bei dem auch der mitfühlendste Ehemann der Frau nicht beistehen kann. Mein Mann und ich besprachen es miteinander, und wir beschlossen, daß ich unser Kind stillen sollte.
Die Geburt unseres ersten Kindes bleibt mir unvergeßlich. Als die Schmerzen der Geburt vorüber waren, hielt mir der Arzt ein neues Menschlein hin — eine Tochter! Ich untersuchte die Fingerchen und die kleinen Zehen, ehe die Schwester das Baby badete. Ehrlich gesagt, mir bangte etwas vor dem ersten Stillen. Ich hatte gehört, daß manche Kinder, wenn sie nach der Geburt angelegt werden, nicht saugen wollen und einige sogar auf der Mutter einschlafen.
Bei unserer Tochter war das allerdings nicht so. Ich war ganz überrascht, wie kräftig sie sog. Es tat mir etwas weh. Aber ich gewöhnte mich daran, und weil ich das Kind nach Bedarf „fütterte“, mich also nicht an eine bestimmte Zeiteinteilung hielt, wurde die Brust nie übervoll — ein Problem, das junge Mütter gelegentlich haben.
Bis die Milch einschießt, dauert es manchmal ein paar Tage. Aber für das Kind ist das kein Problem, denn in der Zwischenzeit erhält es Kolostrum, die sogenannte Vormilch, eine gelbliche Flüssigkeit, die in der Brust gebildet wird. In dem Buch Nursing Your Baby heißt es: „Das Kolostrum erfüllt die wichtige Aufgabe, das Kind vor Krankheiten zu schützen. Kolostrum enthält Immunstoffe, insbesondere Antikörper gegen Viruskrankheiten, und man hat jetzt festgestellt, daß diese das Kind in den ersten sechs Monaten des Lebens vor solchen Krankheiten schützen, ganz gleich, ob es nur die ersten paar Tage nach der Geburt oder länger gestillt wird.“
Das zu wissen ermuntert einen, wenn man sein Kind stillt, weil es, offen gestanden, nicht einfach ist. Ich fürchtete mich manchmal sogar ein bißchen davor. Mein Arzt gab mir den Rat, zwischen den einzelnen Stillmahlzeiten die Brustwarzen mit reinem Lanolin zu behandeln. Doch ich machte die Erfahrung, daß es für mich das beste war, es einfach zu ertragen, bis sich meine Brüste an das Stillen gewöhnt hatten. Glücklicherweise blutete ich im Gegensatz zu manchen Müttern nie. Frauen mit heller Haut haben es etwas schwerer, weil ihre Haut zarter ist. Für sie ist es nicht leicht, mit dem Stillen fortzufahren.
Man muß sich auch daran gewöhnen, daß sich die Brust immer wieder mit Milch füllt, nachdem das Kind sie leer getrunken hat. Als mein Töchterchen das erstemal mehrere Stunden lang schlief, schmerzten mich die Brüste so, daß ich etwas Milch abpumpen mußte. Aber gewöhnlich spielt es sich in den ersten vier bis sechs Wochen ein, das heißt, das Kind und die Mutter passen sich einander an, und dann geht das Stillen leichter.
Ich muß gestehen, daß ich manchmal der Versuchung fast nachgab, mein Kind mit der Flasche zu füttern. Ein Neugeborenes muß ja auch nachts gefüttert werden. Das bedeutet, daß man keine Ruhe hat. Und wenn man mitten in der Nacht aufstehen muß, um zu stillen, wünscht man manchmal, jemand anders würde es für einen tun. Aber ich hatte mir vorgenommen, nicht mit Milchpräparaten zuzufüttern. Deshalb hielt ich es für das beste, gar keine solche Babynahrung im Haus zu haben.
Natürlich kommt es auch vor, daß sich jemand in guter Absicht einmischt, indem er sagt: „Vielleicht ist deine Milch zu dünn.“ Oder: „Wie kannst du denn sicher sein, daß das Baby genug bekommt, da du doch nicht weißt, wieviel es trinkt?“ Oder einmal bekam ich sogar zu hören: „Deine Milch ist vielleicht zu fett.“ Aber wenn das Kind zunimmt und sonst normal reagiert und wenn die Mutter gesund ist und sich richtig ernährt, kann sie sicher sein, daß ihre Milch das Optimale für ihr Kind ist.
Das erste Mal voneinander getrennt
Als ich nach meiner Entbindung zum erstenmal wieder einkaufen ging, stand Papa, als ich zurückkam, mit dem Baby auf dem Arm am Fenster und wartete auf mich. Er war ziemlich aufgeregt, und das Kind schrie. Ich hatte für den Notfall etwas Milch abgepumpt, aber natürlich hatte ich nicht damit gerechnet, daß sie verschüttet würde. Auch Papa hatte nicht damit gerechnet. Ich nahm mir in diesem Augenblick vor, das Baby in den ersten sechs Monaten oder mindestens, bis es etwas Festes essen konnte, nie mehr länger als einige wenige Stunden jemand anders zu überlassen.
Wenn man mit dem Baby unter die Leute geht, entstehen besondere Probleme. Nicht selten kommt es vor, daß es früher trinken möchte, als man erwartet hat. Und dadurch kommt man manchmal in eine schwierige Lage. Einige Mütter stillen ihr Kind so unauffällig wie möglich, um keinen Anstoß zu erregen. Es gibt aber Kinder, die es nicht mögen, während des Stillens eine Decke über sich zu haben. Dann bleibt der Mutter nichts anderes übrig, als sich in die Toilette zu setzen, bis sich das Kind satt getrunken hat.
Das Opfer lohnt sich
Es ist eine ernste Sache, wenn man sich vornimmt, sein Kind zu stillen. Außerdem ist es ein gewisses Opfer. In meinen Augen wiegen aber die Vorteile schwerer als die Nachteile. Zum Beispiel erinnere ich mich an eine meiner Bekannten, die einmal mit ihrem Baby im Auto in einen Verkehrsstau geriet. Sie sagte, sie würde nie vergessen, wie hilflos sie sich vorgekommen sei, im Wagen sitzen zu müssen, ohne das schreiende Kind füttern zu können. Es war nämlich ein Flaschenkind. Wie sehr hatte sie sich in diesem Augenblick gewünscht, ein Brustkind zu haben! Natürlich ist es in gewissen Fällen besser, das Kind nicht zu stillen, ganz besonders dann, wenn die Mutter eine schwere Krankheit hat oder drogenabhängig ist.
Das Stillen hat aber auch noch andere Vorteile. Zum Beispiel kommt man nie in die Verlegenheit, ohne Milch im Haus zu sein. Wenn im Laufe der Wochen der Appetit des Babys größer wird, fließt auch die Milch reichlicher. Außerdem muß man keine Milchfläschchen keimfrei machen. (Ich frage mich manchmal, wie vielen Müttern es schon passiert ist, daß sie das letzte Fläschchen morgens um 2 Uhr zerbrochen oder fallen gelassen und dann wegen der verschütteten Milch geweint haben.) Auch braucht man sich keine Gedanken darüber zu machen, wie das Verdünnungsverhältnis der Fertignahrung sein soll, damit sie die für das wachsende Kind günstigste Zusammensetzung aufweist. Wenn man das Baby stillt, weiß man, daß es richtig ernährt wird, solange man selbst gesund ißt und genügend trinkt.
Nach meinem Dafürhalten besteht der größte Vorteil des Stillens in der engen Bindung, die dadurch zwischen Mutter und Kind entsteht. Der ständige Hautkontakt, die Zärtlichkeit und die Zuwendung sind durch nichts zu ersetzen.
Ich glaube aber, ohne die liebevolle Unterstützung und Ermunterung meines Mannes hätte ich es doch nicht geschafft. Es gibt Männer, denen es nicht paßt, daß die Frau ständig mit dem Säugling beschäftigt ist. Natürlich ist man in seiner Freiheit etwas eingeschränkt, wenn man ein Baby hat. Zum Beispiel gibt es Restaurants in denen man Eltern deutlich zu verstehen gibt, daß Kinder nicht genehm sind. Ein Mann, der ungeduldig fragt: „Wann stillst du endlich ab?“, kann seine Frau sehr entmutigen. Hilft er ihr aber, indem er ihr zum Beispiel das Baby zum Stillen bringt oder die Windeln wechselt, liebt ihn seine Frau um so mehr.
Das Stillen meines Kindes hat mich beglückt. Die Freude, die mir das Stillen bereitete, und die schönen Erinnerungen daran wiegen weit mehr als alles, was ich in dieser Zeit opfern mußte. (Eingesandt.)