Die spanische Inquisition — Wie konnte sie entstehen?
Von unserem Korrespondenten in Spanien
MAN schrieb den 5. Juni 1635, als Alonso de Alarcón davon unterrichtet wurde, daß Haftbefehl gegen ihn erlassen worden war. Seine Unschuldsbeteuerungen stießen auf taube Ohren. Man warf ihn in den Kerker. Dreimal wurde er „vorgeladen“, um seine Vergehen zu bekennen, doch er beteuerte seine Unschuld.
Am 10. April 1636 spannte man ihn auf die Streckleiter und quälte ihn, bis er bewußtlos war. Später, am 12. Oktober, wurde er zu 100 Peitschenhieben und sechs Jahren Verbannung verurteilt.
„Zur größeren Ehre Gottes“
Der Weber Alonso, Vater von drei Töchtern, lebte in der spanischen Stadt Toledo. (Siehe oben.) Er war einseitig gelähmt. Sein Arzt hatte den Inquisitoren mitgeteilt, daß nichts dagegenspräche, die Folter anzuwenden — zumindest auf der nicht gelähmten Seite. Alonso war ein Verfolgter der spanischen Inquisition.
Was war sein Vergehen? Er sollte freitags Fleisch gegessen haben (ein Anzeichen dafür, daß er dem jüdischen Glauben zuneigte) und die Jungfrau Maria gelästert haben (er hatte angeblich behauptet, daß eine seiner Töchter jungfräulicher sei als Maria). Angeklagt hatte ihn der Ortsgeistliche.
Der Fall wurde von Theologen untersucht, und sie kamen zu dem Ergebnis, daß die gegen ihn erhobenen Anklagen ein untrüglicher Beweis für Ketzerei waren. Das gesamte Verfahren sollte ad majorem Dei gloriam (zur größeren Ehre Gottes) durchgeführt werden. Alonso, ja die etwa 100 000 Verfolgten der Inquisition sahen das anders.
Niemand verwundert es, daß die spanische Inquisition zum Inbegriff der religiösen Unterdrückung und des religiösen Fanatismus geworden ist. So hat das Wort „Inquisition“, dessen Grundbedeutung „Untersuchung“ ist, heute den Beiklang von Folter, Unrecht und unbarmherziger Menschenrechtsverletzung. Wie konnte eine derart unterdrückende Maschinerie entstehen? Was waren ihre Ziele? War die Inquisition ein entschuldbares „notwendiges Übel“?
Die Inquisition — Der Weg zur Einheit?
Die katholische Kirche führte die Inquisition im 13. Jahrhundert in Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien ein. Der Hauptzweck bestand darin, Gruppen von Andersgläubigen auszurotten, die die Geistlichkeit für kirchengefährlich hielt. Nach der Auflösung dieser Gruppen verlor die kirchlich geförderte Inquisition an Einfluß, doch sie sollte aufgrund ihrer beispielgebenden Wirkung für viele Spanier zwei Jahrhunderte später entsetzliche Folgen haben.
Im 15. Jahrhundert besiegten die katholischen Monarchen Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon die letzten moslemischen Mauren, die in den acht vorangegangenen Jahrhunderten einen großen Teil Spaniens besetzt gehalten hatten. Sie suchten nach einem Weg zu nationaler Einheit. Die Religion wurde als passendes Mittel angesehen, dieses Ziel zu erreichen.
Im September 1480 lebte die Inquisition in Spanien wieder auf, doch sie war diesmal der Krone unterstellt. Ihr Zweck war die „Reinigung der Nation und die Glaubenseinheit“. Auf Betreiben der katholischen Herrscher Spaniens erließ Papst Sixtus IV. eine Bulle, die sie ermächtigte, selbst Inquisitoren zu ernennen, um Ketzerei aufspüren und unter Strafe stellen zu können. Daraufhin übernahm der Staat die Kosten der Inquisition und bestimmte, wie sie durchzuführen war. Ein Feldzug mit dem Ziel, dem Volk strenge Glaubenseinheit aufzuerlegen, war im Gange. Betrieben wurde die Gerichtsinstitution hauptsächlich von Dominikanern und Franziskanern, sie unterstand aber der Monarchie.
Dies war eine „Vernunftehe“ zwischen Staat und Kirche. Die Kirche wollte die Gefahr bannen, die sie in den Tausenden Mauren und spanischen Juden sah. Diese waren mit Gewalt zum katholischen Glauben bekehrt worden, wurden jedoch verdächtigt, ihre früheren Glaubensansichten beibehalten zu haben. Im folgenden Jahrhundert rottete die Kirche mit Hilfe desselben Machtinstruments protestantische Gruppen aus.
Die Inquisition erwies sich auch als ein wirksames innenpolitisches Instrument. Sie diente dazu, Abweichler zu unterdrücken, erhebliche Mittel einzutreiben — durch Güterkonfiskation — und die Macht in den Händen der Monarchie zu konzentrieren. Über drei Jahrhunderte zwang diese furchterregende Institution dem spanischen Volk ihren Willen auf.
Torquemada — der berüchtigtste Inquisitor
Anno 1483, drei Jahre nach dem Wiederaufleben der Inquisition in Spanien, wurde Thomás de Torquemada, ein Dominikaner, der — welch eine Ironie! — selbst jüdischer Abstammung war, zum Großinquisitor ernannt. Seine Grausamkeit gegenüber Ketzern war beispiellos. Papst Sixtus IV. pries ihn dafür, daß „er [seinen] Eifer auf Angelegenheiten richtete, die zum Lobe Gottes beitrugen“.
Später ließen jedoch Torquemadas Auswüchse Papst Alexander VI. aufhorchen, so daß er zwei weitere Großinquisitoren ernannte, um seine Macht zu schwächen. Der Erfolg war unbedeutend. Torquemada behauptete seine Stellung. In seiner Amtszeit wurden auf seine Anordnung hin mindestens 2 000 Menschen auf dem Scheiterhaufen verbrannt — „ein schreckliches Brandopfer dem Prinzip der Intoleranz“, schreibt die Encyclopædia Britannica. Tausende flohen ins Ausland, während andere eingesperrt, gefoltert und enteignet wurden. Torquemada war offenbar davon überzeugt, durch sein Werk Christus einen Dienst zu leisten. Und im Grunde genommen rechtfertigte die kirchliche Lehre sein Vorgehen.a
Die Bibel macht jedoch auf die Gefahr aufmerksam, daß religiöser Eifer fehlgeleitet sein kann. Paulus beschreibt Juden, die im ersten Jahrhundert Christen verfolgten, als Personen, die zwar ‘Eifer für Gott hatten, aber nicht gemäß genauer Erkenntnis’ (Römer 10:2). Jesus sagte voraus, daß Menschen aus blindem Eifer sogar Unschuldige töten würden in der Meinung, ‘Gott einen heiligen Dienst zu erweisen’ (Johannes 16:2).
Torquemadas Vorgehen veranschaulicht treffend die Tragik eines Eifers, der durch engherzige Frömmigkeit verhärtet statt durch Liebe und genaue Erkenntnis gemäßigt ist. Die Methode, mit der er die Glaubenseinheit erreichen wollte, war alles andere als christlich.
Die Inquisition und die Bibel
Die Inquisitoren machten es den Spaniern jahrhundertelang fast unmöglich, die Bibel in ihrer eigenen Sprache zu lesen. Allein der Besitz eines Exemplars in der Landessprache galt als ketzerisch. Im Jahre 1557 ächtete die Inquisition die Bibel in irgendeiner der Sprachen Spaniens offiziell. Zahllose Bibeln wurden verbrannt.
Erst 1791 wurde in Spanien eine katholische Bibelübersetzung gedruckt; sie stützte sich auf die lateinische Vulgata. Die erste vollständige spanische Bibel, die aus den Ursprachen übersetzt wurde — die Nacar-Colunga-Übersetzung —, gibt es erst seit 1944.
Wie tiefgreifend sich die Inquisition in dieser Hinsicht auswirkte, ist auch daran erkennbar, daß sogar handschriftliche romanische Bibeln der königlichen Privatbibliothek in El Escorial vom Großinquisitor durchgesehen wurden. Die Warnaufschrift „Verboten“ ist noch heute auf dem Deckblatt einiger Werke zu sehen.
Das jahrhundertelange Bibelverbot in Spanien ist höchstwahrscheinlich ein Grund für das gegenwärtige Interesse der Spanier an der Heiligen Schrift. Viele besitzen nun eine eigene Bibel und möchten wissen, was sie wirklich lehrt.
Das wahre Gesicht der Inquisition
Die Inquisition förderte zwangsläufig die Habgier und schürte den Argwohn. Papst Sixtus IV. beklagte sich darüber, daß bei den Inquisitoren die Gier nach Gold den Glaubenseifer überträfe. Jeder Wohlhabende schwebte in Gefahr, denunziert zu werden. Die Güter eines Angeklagten wurden durchweg eingezogen, selbst wenn er durch das Inquisitionsverfahren „mit der Kirche versöhnt wurde“.
Andere wurden noch nach ihrem Tod verurteilt, und ihre Erben blieben mittellos zurück. Gelegentlich erhielten die anonymen Denunzianten einen Anteil der eingezogenen Güter. Der verbreitete Einsatz von Spionen und Spitzeln schuf ein Klima der Angst und des Mißtrauens. Oft wurde durch Folter die Preisgabe der Namen von „Mitketzern“ erreicht, was dazu führte, daß zahllose Unschuldige aufgrund von fadenscheinigsten Verdächtigungen verhaftet wurden.
Aus dem Judenhaß geborene Verdächtigungen führten zu weiteren Mißbräuchen. Elvira del Campo aus Toledo wurde zum Beispiel 1568 angeklagt, weil sie samstags saubere Kleider angezogen hatte und weil sie kein Schweinefleisch aß. Beides galt als Beweis dafür, heimlich den jüdischen Glauben zu praktizieren. Während der unbarmherzigen Tortur auf der Folterbank bat sie inständig: „Meine Herren, warum sagen Sie mir nicht, was Sie von mir hören wollen?“ Bei einer zweiten Folterung mußte sie gestehen, daß ihre Abneigung gegen Schweinefleisch nicht auf ihren empfindlichen Magen, sondern auf ihre jüdische Gesinnung zurückzuführen war.
Herz und Sinn nicht gewonnen
Dennoch wurden, selbst als sich die Inquisition auf dem Gipfel ihrer Macht befand, mutige Gegenstimmen laut. Elio Antonio de Nebrija, einer der herausragendsten Gelehrten seiner Zeit, wurde denunziert, weil er den Text der lateinischen Vulgata revidieren wollte. Er protestierte: „Bin ich denn verpflichtet, zu erklären, daß ich nicht weiß, was ich weiß? Welche Sklaverei oder welche Macht ist so despotisch wie diese?“ Luis Vives, ein anderer Gelehrter, dessen gesamte Familie durch die Inquisition ausgerottet wurde, schrieb: „Wir leben in schwierigen Zeiten, in denen es für uns immer gefährlich ist, ob wir sprechen oder ob wir ruhig sind.“
Anfang des 19. Jahrhunderts sagte der spanische Schriftsteller und Politiker Antonio Puigblanch, der sich für die Aufhebung der Inquisition einsetzte: „[Die] Inquisition ist ein kirchliches Tribunal, doch ihre Härte ist mit der sanftmütigen Gesinnung, die einen Evangeliumsdiener auszeichnen sollte, unvereinbar.“ Selbst heute haben viele aufrichtige Katholiken die Vergangenheit der Kirche, was deren Anteil an der Inquisition angeht, nicht bewältigt.
Es ist daher angebracht zu fragen: „Wurde mit diesen Methoden wirklich Herz und Sinn der Menschen gewonnen?“ Ein Historiker bemerkt dazu: „Durch die Inquisition wurde zwar die Einheit der Lehre und das Beobachten von Bräuchen erzwungen, aber wahren Respekt vor der Religion einzuflößen, das vermochte sie nicht.“
Ein Beispiel dafür ist Julián, ein junger Mann, der als Priesteramtskandidat schockiert war, als er das erstemal las, welche Rolle die Kirche in der Inquisition gespielt hatte. Sein Lehrer erklärte ihm, daß so, wie Gott sich die Hölle ausgedacht habe, um die Bösen ewig zu quälen, die Kirche Qualen anwende, wenn es ihr notwendig erscheine. Doch diese Antwort räumte seine Zweifel nicht aus, so daß er das Seminar verließ. Julio, einem jungen spanischen Juristen, waren schon früher Zweifel am Katholizismus gekommen; nachdem er sich aber ausführlich mit dem Schrifttum über die Inquisition befaßt hatte, stand für ihn fest, daß die Kirche nicht wirklich christlich sein kann.
Wie es sich gezeigt hat, hat die Methode, politische und kirchliche Ziele mittels Drohungen, Einkerkerungen, Folterungen und sogar durch Hinrichtungen durchzusetzen, das Gegenteil bewirkt. Die katholische Kirche Spaniens, deren Vergangenheit der Makel der Willkürherrschaft anhaftet, erntet nach wie vor die Früchte der Gewalt, des Hasses und des Mißtrauens.
Heiligt der Zweck die Mittel?
Der Leitsatz „Glaubenseinheit um jeden Preis“ ist gefährlich. Religiöser Eifer schlägt leicht in Fanatismus um. Treues Festhalten an biblischen Grundsätzen hätte eine solche Tragödie verhindert. Das Beispiel der Christen des ersten Jahrhunderts liefert den Beweis.
In bezug auf die Methoden, die die frühen Christen anwandten, um die Einheit der Lehre zu bewahren, erklärt die New Encyclopædia Britannica: „In den ersten drei Jahrhunderten des Christentums ging man gegen Häretiker ausschließlich mit geistlichen Zuchtmitteln vor; gewöhnlich war dies der Ausschluß aus der Gemeinschaft.“ Dies erfolgte im Einklang mit dem biblischen Gebot: „Einen ketzerischen Menschen meide, nach einer einmaligen oder zweimaligen Zurechtweisung“ (Titus 3:10, Allioli).
Christliche Kriegführung — Kampf um den Sinn der Menschen
In der Bibel wird die Verkündigung des Evangeliums als geistige Kriegführung beschrieben. Dabei wird das Ziel verfolgt, ‘jeden Gedanken gefangenzunehmen, um ihn dem Christus gehorsam zu machen’. Um dauerhafte Einheit zu erreichen, sind zwar Waffen erforderlich, jedoch keine Folterwerkzeuge. Es handelt sich hier um geistige Waffen, die „machtvoll durch Gott“ sind, um Mittel, die stets mit „Milde und tiefem Respekt“ zu gebrauchen sind (2. Korinther 10:3-5; 1. Petrus 3:15).
Glücklicherweise sehen wir der Zeit entgegen, in der es keine religiöse Verfolgung mehr geben wird. Gemäß Gottes Verheißung ist die Zeit nahe, wo Menschen „keinen Schaden stiften noch irgendwie Verderben anrichten“ werden. Wirkliche Glaubenseinheit wird erreicht werden, und die „Erde wird gewißlich erfüllt sein mit der Erkenntnis Jehovas, wie die Wasser das ganze Meer bedecken“ (Jesaja 11:9; Offenbarung 21:1-4).
[Fußnote]
a Bekannte katholische „Heilige“ hatten sich für die Hinrichtung von Ketzern ausgesprochen. Augustinus behauptete, daß „es notwendig ist, zur Gewalt zu greifen, wenn Worte der Vernunft unbeachtet bleiben“. Auch Thomas von Aquin erklärte, daß „Häresie ... ein Verbrechen ist, das nicht nur die Exkommunikation, sondern sogar den Tod verdient“.
[Bilder auf Seite 24]
Sarg, in dem der gefesselte Verdächtigte mehrere Tage zubringen mußte
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Exposición de Antiguos Instrumentos de Tortura, Toledo (Spanien)
Streckleiter zur Streckung der Gliedmaßen des Verdächtigten
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Exposición de Antiguos Instrumentos de Tortura, Toledo (Spanien)
[Bilder auf Seite 25]
Winde und Rad — der Verdächtigte wurde an den auf dem Rücken zusammengebundenen Händen in die Höhe gezogen
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Verlies, in dem Gefangene wie Alonso de Alarcón eingekerkert wurden
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Exposición de Antiguos Instrumentos de Tortura, Toledo (Spanien)
[Bild auf Seite 26]
Gefängnis der Heiligen Bruderschaft in Toledo, wo Verdächtigte gefangengehalten wurden