Erdbeben — Wie man sich auf das Überleben vorbereiten kann
Von unserem Korrespondenten in Japan
„Wir hätten keine Ahnung, was wir tun sollten. Eine Panik würde ausbrechen.“ Das sagte ein Meteorologe aus Pakistan über die Folgen, die ein Erdbeben in seinem Land nach sich ziehen würde. Tatsächlich wissen nur wenige, wie sie sich im Falle eines Erdbebens verhalten müßten. Doch die Welle verheerender Erdbeben in unserem Jahrhundert hat zu vermehrter Forschung auf dem Gebiet des Erdbebenschutzes geführt. „Erwachet!“ hat eine Reihe von Forschern aus verschiedenen Ländern interviewt. Da ihre Ratschläge bedeutende Ähnlichkeiten aufweisen, ist zu hoffen, daß die Informationen für Leser in vielen Ländern nützlich sein werden.
„ES POLTERTE“, erinnert sich Michiko, „und dann gab es einen gewaltigen Ruck, der unser Holzhaus in die Luft zu reißen schien. Der Lärm der herunterfallenden Gegenstände und des zerklirrenden Geschirrs und Glases erschreckte mich mehr als alles andere. Plötzlich war unser Haus schief und wankte gefährlich auf dem Fundament.
Meine Mutter geriet nicht in Panik. Sie forderte uns Kinder ruhig auf, Straßenkleidung anzuziehen und die für uns wichtigen Dinge zusammenzusuchen. Sie erklärte, es sei nur eine Frage der Zeit, wann unser Haus einstürze. Daher sollten wir es verlassen und in das Krankenhaus gehen, wo mein Vater arbeitete.“
Michiko war ein 12jähriges Mädchen, als sie eine der größten Katastrophen unseres Jahrhunderts miterlebte — das Erdbeben im Jahre 1923, durch das zwei Drittel von Tokio und ganz Yokohama in Schutt und Asche gelegt wurden. Tausende von Häusern stürzten ein. Über 143 000 Menschen kamen um. Bedeutsamerweise hieß es jedoch in einem Regierungsbericht, der später herausgegeben wurde: „Diejenigen, die zufolge des Einsturzes ihres Hauses starben, machten nur etwa ein Zehntel [der Todesopfer] aus.“ Worauf waren dann die übrigen 130 000 Todesopfer zurückzuführen?
Das Erdbeben ereignete sich zwei Minuten vor 12 Uhr — eine Zeit, wo viele Hausfrauen Feuer gemacht hatten, um das Mittagessen zuzubereiten. Die Folge? In Sekundenschnelle brachen unzählige Brände aus. Michiko fährt fort: „Als wir das Haus verließen, waren die engen Gassen voller hysterischer Menschen. Alle versuchten verzweifelt, vor den Bränden davonzulaufen. Wir drängten uns in die Menge. Meine Mutter forderte uns auf, unser möglichstes zu tun, um zusammenzubleiben, und sagte uns auch, wo wir uns treffen sollten, falls wir uns verlieren würden. Ich erinnere mich, wie erstaunt ich war, was die Leute alles aus ihren Häusern mitgenommen hatten — von Reistöpfen bis zu schweren Kommoden. In ihrer Verwirrung schleppten sie Dinge mit, die sie überhaupt nicht gebrauchen konnten.“
Die durch die Brände stark erhitzte Luft stieg hoch auf und zog durch den Sog frische Luft vom Boden mit sich, was die Brände noch verschlimmerte. Es entstanden Windhosen, durch die brennende Trümmer in alle Richtungen geschleudert wurden. Zehntausende von Menschen stürmten in öffentliche Parks, um sich in Sicherheit zu bringen. Am nächsten Tag fand man sie — vier bis fünf lagen übereinander. Diejenigen, die zuoberst lagen, waren verbrannt, die unteren erstickt.
Die Wasserzufuhr und die Nachrichtenübermittlung waren abgeschnitten. In den folgenden Tagen gingen überall Gerüchte um, daß Fremde das wenige verbliebene Trinkwasser vergiften wollten. Es bildeten sich Selbstschutzgruppen, die Fremde ermordeten. Die Militärpolizei ermordete willkürlich Mitglieder von Selbstschutzgruppen. Ungerechtfertigte Angst und Panik verursachten den Zusammenbruch der Ordnung, sogar unter der Polizei.
Michiko war jedoch von alldem abgeschirmt. Innerhalb von drei Stunden hatte Michikos Mutter ihre Kinder zu ihrem Mann geführt, wobei sie einem Plan folgte, den die Familie bereits aufgestellt hatte. Der Vater wiederum brachte alle an einen sicheren Ort und beschützte sie vor dem entstehenden Tumult. „Wie dankbar ich meinen Eltern doch bin“, sagt Michiko, „daß sie ruhig blieben und wußten, was zu tun war.“
Die japanischen Behörden sind zu dem Schluß gekommen, daß Brände, Panik und Gerüchte die bei weitem schlimmsten Gefahren in Verbindung mit Erdbeben sind. Einem Regierungsbericht zufolge waren 83 Prozent der Todesopfer bei dem Erdbeben im Jahre 1923 darauf zurückzuführen, daß Häuser in Brand gerieten. Brände sind in Japan weiterhin eine Bedrohung, da beim Bauen sehr viel Holz verwendet wird. In Ländern, wo man im allgemeinen andere Baumaterialien, wie zum Beispiel Beton, benutzt, ist die Gefahr weitaus geringer. Doch meist gehören bei einem Erdbeben Panik und Gerüchte zu den tödlichen Gefahren. Das Erlebnis Michikos und ihrer Angehörigen zeigt, daß solche Bedrohungen durch rechtzeitige Vorbereitung abgewendet werden können.
Rechtzeitige Vorbereitung
Wie kannst du in ähnlicher Weise im voraus planen? Setze dich zunächst mit deinen Angehörigen zusammen, und wähle mit ihnen einige mögliche Zufluchtsorte in der Umgebung aus. Sage ihnen, wo ihr euch, für den Fall, daß ihr euch verliert, treffen könnt, und erkläre ihnen, welche Wege jeder einzelne dorthin nehmen kann. Weise sie auf gefährliche Stellen hin, die man meiden sollte, wie zum Beispiel Benzintanks (Tankstellen), die explodieren könnten. Zeige deiner Familie wegen der Brandgefahr, wie die Gas- und Stromleitungen abzuschalten sind, die zu eurer Wohnung führen. Vergewissere dich, daß jeder weiß, wie man einen Brand löscht. Falls du bei der Betreuung Betagter oder Kranker Hilfe brauchst, so besprich dies mit den Nachbarn.
Lebst du in einem Erdbebengebiet? Dann ist es wahrscheinlich ratsam, schwere Möbelstücke, die leicht umstürzen könnten, zu sichern. (Bei einem Erdbeben in Kalifornien sollen durch ein großes Klavier, das auf Rollen stand und somit im Zimmer hin und her rutschte, mehrere Leute verletzt worden sein.) Schwere oder gefährliche Gegenstände, zum Beispiel Behälter mit entzündlichen Flüssigkeiten, sollten tief gelagert werden oder zumindest ganz hinten in einem Regal. Befestige auch irgendwelche vorhandenen Propangasflaschen.
Wie man sich bei einem Erdbeben verhalten sollte
Gerate vor allem nicht in Panik. Das erste Beben ist gewöhnlich das schlimmste und dauert selten länger als eine Minute.a Wenn du in der Lage bist, dich zu bewegen, dann handle unverzüglich. Beseitige alle eventuellen Brandursachen. Gas, das aus einer defekten Leitung entweicht, bedeutet Gefahr, ebenso defekte Kabel und angeschaltete Elektrogeräte. Stelle daher so schnell wie möglich Strom und Gas am Anschluß ab. Öffne eine Tür oder ein großes Fenster — das sich sonst verklemmen könnte —, damit du einen Fluchtweg hast. Suche dann unter einem Schreibtisch oder einem anderen Tisch Schutz. Schreibtischschubladen dienen zur Verstärkung. Deshalb können Schreibtische oft mehrere Tonnen Gewicht aushalten. Holzschreibtische sind gewöhnlich stabiler als metallene. Dr. Yuji Ishiyama vom Institut für Bauforschung in Japan sagte gegenüber Erwachet!: „Der allerbeste Rat besteht meiner Meinung nach darin, die Leute aufzufordern, unter einem Schreibtisch Schutz zu suchen.“
Ist kein Schreibtisch vorhanden, dann hocke oder lege dich neben ein Sofa, ein Bett oder ein anderes stabiles Möbelstück, das nicht umzukippen droht. Krieche nicht darunter, da die Beine des Möbelstücks leicht abknicken können. Versuche deinen Kopf zu schützen. Das Badezimmer ist womöglich der sicherste Ort, da dort viele Wände auf engem Raum stehen.
Ironischerweise haben Häuser aus Lehmziegeln das Erdbeben überstanden, das unlängst Mexiko heimsuchte, wohingegen 8- bis 20stöckige Gebäude einstürzten. Professor Motohiko Hakuno vom Institut für Erdbebenforschung an der Universität Tokio sagte gegenüber Erwachet!, dies habe mit der besonderen „Resonanz“ der Erdbebenwelle zu tun. Gebäude reagieren auf Wellen verschiedener Frequenz unterschiedlich. „Davon abgesehen, daß man nicht weiß, wann sich ein Erdbeben ereignet“, fügte Professor Hakuno hinzu, „weiß man auch nicht, welcher Art es sein wird oder welche Gebäude am meisten betroffen sein werden. Dies erschwert das Aufstellen von Regeln für die Sicherheit.“
„Man sollte sich in den Türeingang stellen“, empfehlen Experten in Ländern, wo Türrahmen stabil genug gebaut sind, um dem Gebäude Halt zu geben. Dies ist in Japan nicht der Fall.
Was aber, wenn ein Feuer ausbricht? Natürlich sollte man es so schnell wie möglich bekämpfen und vielleicht die Nachbarn zu Hilfe rufen. Vergiß nicht, daß sich, wie schlimm der Brand auch immer ist, normalerweise direkt über dem Fußboden Atemluft befindet.
Aber angenommen, du bist bei einem Erdbeben gerade unterwegs.
Große Gebäude: Versuche nicht, hinauszueilen, da Aufzüge und Treppen während eines Erdbebens lebensgefährliche Fallen sein können. Falls du nicht unter einen Schreibtisch gelangen kannst, so begib dich in die Nähe einer Säule oder einer anderen starken Stütze. Nimm dich vor Gegenständen in acht, die herunterfallen können, sowie vor Glas, das zersplittern könnte. Oft haben die Verantwortlichen von Schulen, Kaufhäusern und Theatern Vorkehrungen getroffen, wie im Notfall vorzugehen ist. Folge den Anweisungen, und handle nicht unabhängig.
Innenstadtstraßen: Halte dich von Telegrafenmasten, herabhängenden Schildern und Reklametafeln fern. Nimm dich vor herunterfallenden Dachziegeln und Glassplittern in acht. Suche in einem stabilen Gebäude Schutz, falls keine Parks oder anderen freien Plätze in der Nähe sind.
U-Bahn-Tunnel und U-Bahn-Stationen: Diese haben bei den Erdbeben in Mexiko, Japan und Griechenland gut standgehalten. Die größte Gefahr ist Feuer. Oft geraten die Leute jedoch bei dem Gedanken, gefangen zu sein, in Panik und stürzen wie wild auf die Treppen und Ausgänge zu. Am besten ist es allerdings, an einem unterirdischen Ort zu bleiben, bis das anfängliche Beben vorüber ist, und Anweisungen abzuwarten.
Kraftfahrzeuge: Die Straßen müssen für die Feuerwehr, für Krankenwagen und Bereitschaftsdienste frei bleiben. In Japan sind die Straßen eng, und die Autofahrer werden daher aufgefordert, an den Straßenrand zu fahren, anzuhalten, das Radio anzuschalten und Anweisungen abzuwarten.
Strände: Versuche, so schnell wie möglich eine erhöhte Stelle zu erreichen. Es kann zu Tsunamis oder seismischen Meereswellen kommen, die über 30 Meter hoch sind und sich mit einer Geschwindigkeit von mehreren hundert Kilometern in der Stunde fortbewegen. Gewöhnlich ist der zweite und der dritte Tsunami noch stärker als der erste.
Natürlich hoffen wir, daß du nie den Schrecken eines Erdbebens erleben wirst. Aber durch entsprechende Vorbereitungen haben viele Menschen größere Katastrophen überlebt. Michiko, die heute 76 Jahre alt ist, sagt: „Als ich noch ein Kind war, sagten die älteren Leute, größere Erdbeben kämen nur alle 60 Jahre vor. Ich habe oft daran gedacht, daß ihre Worte in meinem Leben nicht zutreffen. Ich habe zahllose schwere Erdbeben erlebt.“ Ja, wir leben in der Zeit, von der Jesus vorhersagte, daß es „Erdbeben an einem Ort nach dem anderen geben“ werde (Matthäus 24:7). Sei daher vorbereitet! Bewahre die Ruhe, und höre auf die Warnungen und Anweisungen, die von den zuständigen Behörden gegeben werden. Dadurch erhöht sich für dich die Chance, ein Erdbeben zu überleben.
[Fußnote]
a Beachte bitte, daß die folgenden Anweisungen nicht gelten, wenn du dich in einem sehr alten oder instabilen Haus befindest. Experten sagen, daß es bei einem Erdbeben am besten ist, ein solch einsturzgefährdetes Haus unverzüglich zu verlassen. „Halte zum Schutz vor herunterfallenden Dachziegeln usw. ein großes Kissen oder einen Stuhl über den Kopf, und beeile dich“, raten japanische Behörden.
[Kasten auf Seite 26]
„Überlebensausrüstung“ für Erdbeben
Nach einer Katastrophe muß man oft zwei bis drei Tage auf Hilfe warten. Es ist daher ratsam, daß Familien, die in einem Erdbebengebiet wohnen, stets einen Wasser- und Lebensmittelvorrat für drei Tage zur Hand haben (vorzugsweise Konserven oder getrocknete Nahrungsmittel). Wenn es erforderlich ist, die Wohnung zu verlassen, empfehlen Behörden, eine „Überlebensausrüstung“ mitzunehmen, zu der folgendes gehört:
1. ein Wasservorrat für drei Tage
2. ein Verbandskasten
3. eine Taschenlampe
4. ein Transistorradio, um genaue Informationen und Anweisungen zu erhalten
5. Kleidung, feste Schuhe, Decken, Unterwäsche, Handtücher und Papiertaschentücher
[Bilder auf Seite 25]
Die 12jährige Michiko zur Zeit des großen Erdbebens in Japan im Jahre 1923. Man beachte die riesigen gestrandeten Schiffe und die Zerstörung Yokohamas.
[Bildnachweis]
Erdbebenfotos: Feuerwehr Yokohama
[Bildnachweis auf Seite 24]
Y. Ishiyama, Institut für Bauforschung, Bauministerium, Regierung von Japan