Junge Leute fragen sich:
Was ist, wenn meine Eltern nicht so handeln, wie sie sollten?
„Mein Vater ist seit zehn Jahren ein Christ. Jetzt ist er untätig. Die Bibel studiert er gar nicht, und die Zusammenkünfte besucht er nur sporadisch. Ständig wird über die Brüder in der Versammlung hergezogen. Was die Rassenfrage und viele andere Themen angeht, hat er alles andere als christliche Ansichten. Ich finde, mein Vater hat eine Unmenge von Fehlern an sich“ (eine Jugendliche).
VOLLKOMMENE Eltern gibt es nicht. „Alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes“, heißt es in der Bibel (Römer 3:23). Doch liegt die Sache ganz anders, wenn der Vater oder die Mutter nach außen den perfekten Christen spielt, sich zu Hause jedoch von der häßlichsten Seite zeigt. „Wenn andere dabei sind, ist mein Vater lieb und nett“, erzählt ein junges Mädchen. „Aber hinter verschlossenen Türen ist er wie ausgewechselt — er ist gemein! Nichts kann ich ihm recht machen; uns allen macht er das Leben schwer. Ich bin schon so weit, daß ich mich über gar nichts mehr freuen kann. Für meinen Vater habe ich nur noch Haßgefühle übrig.“
Bei Jugendlichen, die verschiedene Formen der Mißhandlung zu ertragen haben, ohne daß andere es merken, ist die aufgestaute Wut besonders groß. Eine Frau namens Mary schreibt von „dem Herumfluchen, den Gewaltausbrüchen und den Mißhandlungen jeder Art“, unter denen sie zu leiden hatte, weil ihr Vater ein heimlicher Trinker war. „Die Leute haben zu uns Kindern oft gesagt, was für einen wunderbaren Vater wir doch hätten und wie glücklich wir uns daher schätzen könnten“, erinnert sie sich verbittert.
In der Bibel wird jegliche Heuchelei verurteilt (Jakobus 3:17). Sie macht warnend darauf aufmerksam, daß es auch unter wahren Anbetern Gottes einige geben würde, die „verhehlen, was sie sind“ (Psalm 26:4; vergleiche Judas 4). Das zu wissen macht die Sache allerdings nicht leichter, wenn es um die Heuchelei der eigenen Eltern geht, die man ja lieben und respektieren soll. Einige Jugendliche fühlen sich durch diesen emotionalen Konflikt wie erdrückt. Ein junges Mädchen klagte ihr Leid. Sie sagte: „Ich brauche dringend Hilfe. In der Bibel steht: ,Ehre deinen Vater.‘ Das kann ich aber nicht!“
Was es wirklich bedeutet, sie zu ehren
Es stimmt natürlich, daß das biblische Gebot, die Eltern zu ehren, kein „Schlupfloch“ für Jugendliche offenhält, die denken, Vater oder Mutter verdiene einfach keine Ehre (Epheser 6:1, 2). Aber die Eltern zu ehren heißt nicht unbedingt, daß du mit ihrer Lebensweise einverstanden sein mußt oder daß du dich darüber zu freuen hast, wie du von ihnen behandelt wirst. In der Bibel kann „ehren“ einfach bedeuten, rechtmäßig verliehene Autorität anzuerkennen.
Der Apostel Petrus schrieb beispielsweise, daß Christen ‘den König ehren’ sollten (1. Petrus 2:17). Petrus wußte aus erster Hand, daß Könige oft einen eher zweifelhaften Charakter hatten. König Herodes Agrippa I. zum Beispiel war ein Mann ohne Skrupel, der ein ausschweifendes Leben führte. Nachdem Rom ihn als König über Palästina eingesetzt hatte, begann er, die Christen zu verfolgen. Er „brachte Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert um. Als er sah, daß es den Juden gefiel, ließ er auch Petrus festnehmen“ (Apostelgeschichte 12:1-3). Trotzdem rief Petrus nicht zur Auflehnung auf. Statt dessen befürwortete er den Gehorsam gegenüber Königen. Und das war nicht ohne Grund. Es ist nämlich Jehovas Wille, daß man der Regierung gehorcht. Zur Zeit des Petrus hatten Könige absolute Macht und Autorität. Salomo sagte: „Alles, was ihm zu tun gefällt, wird er tun, weil das Wort des Königs das Machtgebot ist; und wer darf zu ihm sagen: ‚Was tust du? ‘? “ (Prediger 8:3, 4).
Mit den Eltern verhält es sich ähnlich; welche Fehler sie auch begehen, sie sind für dich verantwortlich und beeinflussen dein Leben. Es wäre nicht gerade klug, zu rebellieren oder sie mit Verachtung zu behandeln. Nicht nur, daß du dir dadurch alles nur noch schwerer machen würdest, du könntest auch Gottes Wohlgefallen verlieren. (Vergleiche Sprüche 30:17; Prediger 10:4.) Wenn du dich hingegen so kooperativ wie nur möglich zeigst, kann das dazu beitragen, daß euer Verhältnis zumindest ein gewisses Maß an Ruhe und Frieden erhält (Kolosser 3:20).
Mit aufgestauter Wut fertig werden
Wie kannst du allerdings respektvoll mit jemandem umgehen, der dich verletzt und enttäuscht hat? Das ist nicht so einfach. Wenn du jedoch ständig über den Fehlern und Schwächen deiner Eltern brütest, wird der Groll nur immer stärker in dir aufsteigen. Könntest du nicht versuchen, deine Mutter oder deinen Vater positiver zu sehen, indem du ihre oder seine guten Eigenschaften anerkennst?
Beachte, was in Sprüche 19:11 steht: „Eines Menschen Einsicht verlangsamt sicherlich seinen Zorn.“ Wenn du versuchst, deinen Vater zu verstehen, kann es sein, daß du die Sache in einem ganz anderen Licht siehst.a Ist er denn wirklich so schlecht? Oder ist er einfach nur abgekämpft und entmutigt und benötigt Unterstützung? Könnte sein Verhalten darauf zurückzuführen sein, daß er krank ist, sich niedergeschlagen und einsam fühlt oder Streß am Arbeitsplatz hat? Wenn du erkennst, daß er Probleme hat, wirst du ihm mit mehr Mitgefühl begegnen können, und deine Wut mag verrauchen.
Auf jeden Fall ist es eine Hilfe, wenn du über deine Gefühle sprichst (Sprüche 12:25). „Mein Vater trank“, erinnert sich ein Mädchen. „Wie es in mir aussah, konnte ich meinen Eltern nicht sagen, also habe ich alles mit mir selbst abgemacht.“ Aber du mußt nicht still vor dich hin leiden. Wenn du von Angehörigen irgendwie vernachlässigt wirst, kann ein reifer Christ aus der Versammlung viel dazu beitragen, das wettzumachen, auch wenn er nicht den Platz deiner Eltern einnimmt. (Vergleiche Markus 10:30.) In Sprüche 17:17 heißt es: „Ein Freund zeigt seine Liebe immer. Wozu hat man denn einen Bruder, wenn man nicht sein Leid mit ihm teilen kann?“ (Today’s English Version).
Ich kann ihn ändern
Einige Jugendliche werden durch ein falsch verstandenes Verantwortungsbewußtsein gefühlsmäßig sehr mitgenommen. Mary denkt daran zurück, wie sie und ihre Geschwister empfanden. Sie sagt: „Wir waren ständig in Panik, jemand könnte herausfinden, daß unser Vater trank.“ Andere reiben sich dadurch völlig auf, daß sie versuchen, ihren pflichtvergessenen Vater zu ändern, etwas, was sowieso zum Scheitern verurteilt ist.
Soviel dir auch an deinem Vater liegt, so sehr du ihn auch liebst, du bist nicht für seine Fehler verantwortlich. Er ‘trägt seine eigene Last’ der Verantwortung vor Gott. (Vergleiche Galater 6:5; Jakobus 5:14.) Du bist nicht dazu da, sein Verhalten zu überwachen und zu steuern. Ständig an ihm herumzunörgeln oder mit ihm zu schimpfen wird ihn bloß aufregen.
Damit soll nicht gesagt werden, daß du gar nichts unternehmen kannst. Das mindeste, was du tun kannst, ist, ‘unablässig zu beten’, daß eine Änderung im Herzen deines Vaters eintreten möge (1. Thessalonicher 5:17). Die Beweise deiner Liebe und ein ehrliches Lob dort, wo es angebracht ist, tragen vielleicht dazu bei, ihn zu beschwichtigen. Ansonsten mag dir nicht viel anderes übrigbleiben, als die Situation, so gut es geht, zu ertragen.b
Wenn dein Vater so wie du ein Christ ist und sich schwerer Verfehlungen wie Alkoholmißbrauch oder Zornausbrüche schuldig macht, wirst du dich natürlich verpflichtet fühlen, darauf hinzuwirken, daß die Angelegenheit mit den Ältesten der Versammlung besprochen wird (Jakobus 5:14). Das hat nichts mit Illoyalität zu tun, sondern es zeigt dein liebevolles Interesse daran, daß dein Vater die Hilfe erhält, die er so dringend benötigt. Es stimmt, einige Eltern haben wütend jede Schuld abgestritten und sich dann später heimlich an ihren Kindern gerächt. Aber Jugendliche, die aus diesem Grund „um der Gerechtigkeit willen leiden“, können sicher sein, daß ihre mutige Haltung Jehova gefällt und daß er die Wahrheit zu gegebener Zeit ans Licht bringen wird (1. Petrus 3:14; 1. Timotheus 5:24, 25).
Die eigene Rettung bewirken
Salomo sagte: „Allein Bedrückung kann bewirken, daß ein Weiser unsinnig handelt“ (Prediger 7:7). Traurigerweise ließen sich einige Jugendliche durch das schlechte Beispiel ihres Vaters derart verbittern, daß sie selbst angefangen haben, sich danebenzubenehmen. Einige haben ihren Groll sogar gegen Gott gerichtet und den christlichen Weg verlassen (Sprüche 19:3). Die Bibel sagt warnend: „Gib acht, daß Wut dich nicht zu gehässigem ... [Handeln] verlockt ... Sei auf der Hut, daß du dich nicht Schädlichem zuwendest“ (Hiob 36:18-21).
Anstatt dir übermäßig Sorgen zu machen, wie Gott über deinen Vater denkt, solltest du unbedingt ‘mit Furcht und Zittern deine eigene Rettung bewirken’ (Philipper 2:12). Dazu war in alter Zeit ein junger Königssohn namens Hiskia unter ganz ähnlichen Umständen in der Lage. Sein Vater, König Ahas, nahm für sich in Anspruch, ein Anbeter Jehovas zu sein (Jesaja 7:10-12). In Wirklichkeit war er jedoch ein Anbeter heidnischer Gottheiten und opferte sogar einen seiner Söhne als Menschenopfer (2. Könige 16:1-4). Stell dir vor, wie sehr diese Abtrünnigkeit den jungen Hiskia gequält haben muß! In Psalm 119, von dem einige annehmen, daß er von Hiskia verfaßt wurde, noch bevor er König wurde, heißt es in Vers 28: „Meine Seele ist schlaflos gewesen vor Kummer. Richte mich auf gemäß deinem Wort.“
Und genau das tat Jehova auch. Trotz der ungünstigen Situation, in der sich Hiskia befand, nahm sein Geistiggesinntsein zu, weil er sich dem Gebet und dem Studium des Wortes Gottes widmete (Psalm 119:97). Er wachte auch sorgsam über seinen Umgang (Psalm 119:63). Was war das Ergebnis? Ungeachtet des traurigen Beispiels seines heuchlerischen Vaters hielt Hiskia „weiterhin fest zu Jehova“ (2. Könige 18:6). Das ist auch dir möglich! Vielleicht benimmt sich dein Vater ja wie ein Heuchler, aber es besteht kein Grund, es ihm gleichzutun. Halte weiterhin fest zu Jehova. Womöglich veranlaßt deine Treue, verbunden mit Gelassenheit, deinen Vater eines Tages, sich zu ändern.
[Fußnoten]
a Der Einfachheit halber sprechen wir von dem betreffenden Elternteil hier vorwiegend als von dem Vater.
b Das heißt nicht, daß ein Jugendlicher körperliche Mißhandlung oder sexuellen Mißbrauch hinnehmen muß. Befindet sich ein Jugendlicher in dieser Situation, sollte er unbedingt Hilfe suchen, auch wenn das bedeutet, sich an jemanden außerhalb der Familie zu wenden.
[Bilder auf Seite 25]
Nur weil dein Vater nicht so handelt, wie er sollte, brauchst du es ihm nicht gleichzutun