Medizinische Behandlung ohne Bluttransfusionen — Was sagen Experten?
VON UNSEREM KORRESPONDENTEN IN NORWEGEN
„SELBST wenn ich sonst alles von diesem Kongreß vergessen sollte, Ihren Stand werde ich bestimmt nicht vergessen!“ Das sagte ein Arzt anläßlich des 25. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Bluttransfusion, der im Sommer vergangenen Jahres (27. Juni bis 2. Juli 1998) in Oslo (Norwegen) stattfand. Der Arzt hatte gerade den Informationsstand von Jehovas Zeugen besucht, die als Aussteller zugelassen waren.a
Über 1 700 Ärzte aus 83 Ländern besuchten diesen Kongreß. Zahlreiche Delegierte kamen im Auftrag von Blutbanken, doch auch Hämatologen, Chirurgen und Anästhesisten waren anwesend. Welche Informationen wurden auf dieser Tagung hochqualifizierter Fachleute ausgetauscht? Worüber informierten Jehovas Zeugen an ihrem Stand, und welchen Anklang fanden sie damit bei den Delegierten?
Alternativen zu Bluttransfusionen
Zu den behandelten Themen gehörten Bluttransfusionen, Bluttestmethoden und Alternativen zu humanem Blut. Dr. C. V. Prowse vom schottischen Nationalen Bluttransfusionsdienst sprach über das Thema „Alternativen zu humanem Blut und Verfügbarkeit von Blutprodukten“. Er erwähnte verschiedene rekombinante (synthetische) Wachstumsfaktoren, die die Blutwerte erhöhen können, indem sie den Körper zur Produktion bestimmter Blutzellen anregen. Erythropoetin zum Beispiel wird von den Nieren erzeugt und regt die Bildung roter Blutkörperchen an. Mittlerweile kann dieses Hormon künstlich hergestellt werden. Wie Dr. Prowse sagte, hat sich synthetisch hergestelltes „Erythropoetin als Therapie für verschiedene Anämieformen durchgesetzt“.
Eine ähnliche Substanz ist entwickelt worden, um den Körper zur Produktion von Blutplättchen anzuregen. Dr. Prowse sagte: „Die jüngsten Ergebnisse der Forschungen auf diesem Gebiet sind thrombopoetische Wachstumsfaktoren. Interleukin 11 ist bereits als medizinischer Wirkstoff zur Steigerung der Thrombozytenzahl ... zugelassen, und wahrscheinlich wird auch Thrombopoetin und dessen Variante, rh-PEG-MGDF, bald folgen.“
Dr. Prowse sprach auch über synthetisch hergestellte Gerinnungsfaktoren (Plasmaproteine), die sich für Bluter als wertvoll erwiesen haben: „Rekombinante Entsprechungen einer Reihe von Plasmaproteinen sind als Medikament zugelassen worden, und in manchen Fällen haben sie sich als Therapie der Wahl durchgesetzt, weil man Virusinfektionen durch Produkte befürchtet, die aus Plasma gewonnen werden.“ Dr. Prowse fügte hinzu: „Für eine Anzahl weiterer Gerinnungsfaktoren werden gegenwärtig Fertigungsverfahren entwickelt.“
N. S. Faithfull, Mitarbeiter eines Pharmakonzerns, hielt ein Referat über Perfluorkohlenstoff-(PFC-)Verbindungen. Bestimmte Perfluorkohlenstoffe können im Blutkreislauf Sauerstoff transportieren. Die erste Generation dieser Emulsionen brachte keine zufriedenstellenden Ergebnisse als „künstliches“ Blut. Konnten Fortschritte erzielt werden? Faithfull sagte: „In den letzten paar Jahren ist die Entwicklung der PFC-Technologie weiter fortgeschritten, und zwei PFC-Emulsionen der zweiten Generation wurden in klinischen Studien getestet.“ Er berichtete über eine Versuchsreihe mit einer dieser Emulsionen an 256 Patienten, die sich orthopädischen, gynäkologischen oder urologischen Operationen unterziehen mußten — Eingriffen, mit denen häufig ein hoher Blutverlust einhergeht. Welche Ergebnisse wurden erzielt? „Die Ergebnisse beider Studien ließen erkennen, daß Oxygent diese Trigger [ein Trigger signalisiert die Notwendigkeit einer Bluttransfusion] signifikant besser außer Kraft setzt als Blut und daß die Trigger signifikant länger außer Kraft gesetzt werden als durch autologes Blut.“
Auf dem Kongreß wurde auch vorgetragen, daß die PFC-Partikel in solchen Emulsionen „sehr klein sind ..., nur etwa ein Vierzigstel des Durchmessers eines roten Blutkörperchens. Demzufolge können PFC-Partikel in Kapillaren wandern, in die keine roten Blutkörperchen gelangen.“ Das verspricht bei Fällen nützlich zu sein, in denen bestimmte Gewebe geschädigt und unzulänglich durchblutet sind.
Ein Arzt aus Großbritannien hob die Notwendigkeit hervor, bei Operationen weniger häufig Blut zu verwenden. Er begründete seinen Appell mit der Blutknappheit und den Gefahren, die mit Transfusionen einhergehen. Wieviel getan werden kann, um die Verwendung von Blut einzuschränken, veranschaulichte er am Fall eines Chirurgen, der bei nur 10 Prozent der von ihm vorgenommenen Hüftoperationen Blut verwendete. Andere Chirurgen am gleichen Krankenhaus verwendeten bei 70 Prozent aller Hüftoperationen Blut.
Jehovas Zeugen vertreten
Informationen über viele solcher Alternativen und Methoden waren am Stand von Jehovas Zeugen zu erhalten. Auf einem Plakat wurde gezeigt, daß weltweit an mittlerweile 120 medizinischen Zentren fremdblutfreie Behandlung angeboten wird, und gedrucktes Informationsmaterial mit Abstracts (Zusammenfassungen) von rund 1 000 medizinischen Fachartikeln stand zur Verfügung. Auch wurde über verschiedene Methoden informiert, Bluttransfusionen zu vermeiden — Techniken, die vor, während und nach einer Operation zum Einsatz kommen.
All das fand großen Anklang. Während des Kongresses konnten die Zeugen am Informationsstand Gespräche mit 480 Ärzten führen, von denen viele ein zweites Mal kamen, um weiteren Aufschluß zu erhalten, und sogar Kollegen mitbrachten. Ein Professor für Anästhesie und Chirurgie aus Kalifornien bemerkte: „Ich bin beeindruckt.“ Ein Professor aus Deutschland sagte: „Ich kann diese Informationen bei der Ausbildung meiner Studenten gebrauchen.“ Ein Arzt, der im Auftrag der größten Blutbank Chinas anwesend war, erklärte: „Wir sind auf Informationen dieser Art dringend angewiesen, weil Blut bei uns sehr knapp ist.“
Der Leiter der Blutbank an einem norwegischen Krankenhaus erhielt das gedruckte Informationsmaterial und kam am darauffolgenden Tag wieder mit der Bitte: „Könnte ich noch zwei oder drei Exemplare bekommen? Ich möchte es an die Chirurgen und Anästhesisten weitergeben und ihnen nahelegen, diese Methoden einzusetzen, um bei Operationen weniger häufig Blut zu transfundieren oder ganz darauf zu verzichten.“ Ein anderer Arzt sagte: „Das ist der interessanteste Informationsstand des gesamten Kongresses.“
Jehovas Zeugen sind weltweit bemüht, Patienten zu helfen, Ärzte ausfindig zu machen, die bereit und fähig sind, sie ohne Bluttransfusionen zu behandeln. Die Zeugen haben auch aktuelle Informationen über medizinische Alternativen zu Bluttransfusionen zur Verfügung gestellt. Bei dem Kongreß zeigten Hunderte von Ärzten, einschließlich Chirurgen und anderer Mediziner, aus zahlreichen Ländern Interesse an derlei Informationen. Man kann davon ausgehen, daß sich dies positiv auswirken wird, wenn sich die Betreffenden bemühen, die vielen Verfahren und Produkte zu verwenden, durch die Bluttransfusionen ersetzt werden.
[Fußnote]
a Aus religiösen Gründen akzeptieren Jehovas Zeugen keine Bluttransfusionen, sondern ersuchen statt dessen um medizinische Behandlungsalternativen ohne Blut (Apostelgeschichte 15:28, 29). Weshalb sie diese Haltung einnehmen und warum sie vernünftig ist, wird ausführlich in der Broschüre Wie kann Blut dein Leben retten? behandelt, herausgegeben von der Wachtturm-Gesellschaft.