Das Streben nach mehr Flugsicherheit
WENIGE Wochen vor dem 11. September 2001 hatte Alex seine Flugangst schon beinahe im Griff. Als die Passagiermaschine mit Ziel Boston in Athen abhob, war dem 42-jährigen Leiter einer Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit zwar wieder mulmig geworden, er hatte starkes Herzklopfen, feuchte Hände und Schweißperlen auf der Stirn.
Doch er wusste, wie er sich zu verhalten hatte. In der Therapie gegen Flugangst hatte man ihm beigebracht, tief Luft zu holen, sich etwas Schönes vorzustellen, die Armlehnen fest zu drücken und den Griff alle 15 Sekunden zu lockern. Als er die Erschütterungen und Geräusche kaum noch ertragen konnte, versetzte er sich in Gedanken an einen schönen, ruhigen See. „Ich dachte, ich hätte mich schon ziemlich gut unter Kontrolle“, berichtete er.
Millionen von Reisenden leiden unter Flugangst. Viele haben in den letzten Jahren spezielle Seminare gegen Flugangst besucht, oft auf das Drängen von Verwandten, Arbeitgebern oder Fluggesellschaften, die sie aus unterschiedlichen Gründen zum Fliegen bewegen wollten. Den meisten Teilnehmern haben derartige Schulungen geholfen; etliche Anbieter verweisen stolz auf bis zu 90-prozentige Erfolgsraten.
Doch seit dem 11. September ist alles anders. Alex beispielsweise brach seinen Kurs umgehend ab. Zur Enttäuschung seines Arbeitgebers sagte er außerdem den Flug zu einem Treffen mit einem potenziell wichtigen Kunden ab. „Meine Flugangst plus Terrorismus, das ist zu viel“, sagte Alex. „Darauf hat mich die Therapie nicht vorbereitet.“
Sicherheitsmaßnahmen gründlich überdacht
Beunruhigte Flugreisende weisen darauf hin, dass den Entführern beim Einchecken am 11. September die üblichen Fragen gestellt worden seien. Wie die meisten anderen hätten sie Routinefragen wie „Hat Sie jemand, den Sie nicht kennen, gebeten, etwas mit ins Flugzeug zu nehmen?“ und „Haben Sie irgendwelche Gepäckstücke nach dem Packen unbeaufsichtigt gelassen?“ zweifellos mit Nein beantwortet. Auch nach Ansicht einiger Sicherheitsexperten zeige das erfolgreiche Einchecken der Entführer, dass man es mit der Sicherheit im Luftverkehr nicht so genau nehme. „Bisher konnte nichts und niemand eine Änderung bewirken“, sagte Jim McKenna, ehemaliger Direktor der Aviation Safety Alliance. „Vier entführte und zerstörte Flugzeuge und Tausende von Toten werden eine solche Änderung vielleicht erzwingen können.“
Nach den verheerenden Anschlägen wurde der gesamte Bereich der Flugsicherheit am Boden und in der Luft gründlich überdacht. Bei einer Anhörung vor dem Kongress erklärte der Oberinspektor des US-Verkehrsministeriums, Kenneth M. Mead: „Trotz bestehender und neuer Sicherheitsrichtlinien müssen nach wie vor alarmierende Sicherheitsmängel und einige ... Schwachstellen behoben werden.“ Was wird getan, um diese Lücken zu schließen?
Passagierkontrolle
Die Frage, ob sie Flugangst habe, beantwortet eine leitende Sicherheitsbeamtin einer großen amerikanischen Fluggesellschaft ohne zu zögern: „Nein, ich vertraue auf CAPS.“ Der Name CAPS steht für ein computergestütztes Passagierüberwachungssystem (Computer Assisted Passenger Screening), das jedes von den beteiligten Fluglinien verkaufte Ticket registriert. Das System speichert, wo das Ticket gekauft wurde, ob an einem Flugschalter, im Reisebüro oder über das Internet. Es registriert, ob jemand allein fliegt oder mit Verwandten oder Freunden, und hält Details fest über bekannte kriminelle Verbindungen oder früheres auffälliges Verhalten des Passagiers gegenüber Fluggesellschaften, ihrem Personal oder Eigentum.
Jedes Mal, wenn ein Passagier am Flughafen eincheckt, werden diese Informationen geprüft und mithilfe der neuesten Daten aktualisiert, einschließlich der Antworten auf die Fragen, die bei der Passagierkontrolle gestellt werden. Die Details der Erfassungs- und Auswertungsmethoden von Passagierdaten zählen zu den am strengsten gehüteten Geheimnissen der Luftfahrtindustrie. Weltweit sind verschiedene Systeme in der Art von CAPS im Einsatz; einige sind direkt mit nationalen und internationalen Polizeidiensten wie beispielsweise Interpol verbunden. Die Passkontrollsysteme vieler europäischer Flughäfen ermöglichen es, sämtliche Flüge eines Passagiers im In- und Ausland aufzuzeichnen und nachzuvollziehen.
Beim Erfassen von Passagierdaten geht man von der Überlegung aus, dass von Menschen mit dunklen Absichten eine größere Sicherheitsbedrohung ausgeht als von Hand- und Reisegepäck. Um die Sicherheit auf den Flughäfen weiter zu erhöhen, überlegt man, verschiedene biometrische Systeme und so genannte Smartcards einzusetzen; teilweise wird dies schon praktiziert.
Bei der Flughafensicherheit geht es neben der Auswertung von Passagierprofilen auch darum, zu verhindern, dass gefährliche Gegenstände oder Substanzen überhaupt an Bord eines Flugzeugs gelangen. Doch das Durchleuchten mit Röntgenautomaten hat Grenzen. Ständig mehr oder weniger scharfe Röntgenbilder von vorbeifahrenden Gepäckstücken zu betrachten, stellt die Wachsamkeit des Sicherheitspersonals auf eine harte Probe. Außerdem geben die Detektoren bei Hausschlüsseln, Hartgeld und Gürtelschnallen immer wieder falschen Alarm.
Schärfere Gesetze
Angesichts der erwähnten Schwachstellen haben manche Regierungen strengere Sicherheitsauflagen für Flughäfen erlassen. Für die Vereinigten Staaten bedeutet dies, dass spätestens ab Ende 2002 kein Gepäckstück mehr ohne seinen Besitzer an Bord genommen werden darf, Handgepäck vollständig durchsucht und alles eingecheckte Gepäck auf Sprengstoff kontrolliert werden muss. Man ist bereits dabei, die Türen zum Cockpit zu verstärken und besser zu sichern. Die Angestellten der Fluglinien erhalten zusätzliche Schulung für das Verhalten in Krisensituationen. An Bord von Linienmaschinen fliegen bewaffnete Sicherheitskräfte mit.
In den Wochen und Monaten nach dem 11. September wurden die Passagiere auf vielen Flughäfen in aller Welt abgetastet und ihr Gepäck wurde gründlich durchsucht. Manchmal wurden die Passagiere und ihr Handgepäck noch ein zweites Mal von Hand kontrolliert. Europäische Reisende sind mit derartigen Vorsichtsmaßnahmen schon vertraut, seit diese in den 1970er Jahren eingeführt wurden. Damals hatte die Zahl der Flugzeugentführungen einen Höhepunkt erreicht. Heute dürfen die Passagiere keinerlei scharfe Utensilien mit an Bord nehmen. Und nur Passagiere mit einem gültigen Flugschein dürfen die Kontrollpunkte passieren. Viele haben sich an lange Warteschlangen und an den Anblick bewaffneter Soldaten auf den Flughäfen gewöhnt.
Die Wartung ernst nehmen
Eine allzu bekannte Szene: Man hat verschiedene Kontrollpunkte hinter sich gebracht, steht jetzt am Ausgang und wartet auf den Aufruf, an Bord zu gehen. „Haben Sie das gehört?“, fragt ein Passagier im grauen Anzug. „Es gibt Verspätung wegen technischer Probleme.“ Er rollt die Augen und meint noch: „Na, hoffentlich schicken sie uns nicht ohne Triebwerke los!“
Den meisten Passagieren ist nicht bewusst, wie streng und genau die Inspektionssysteme sind, über die Fluggesellschaften heute verfügen. Dank eines sorgfältig geführten Wartungsbuchs, das zu jedem Flugzeug gehört, können anstehende Reparaturen geplant werden. Fluggesellschaften verlangen beispielsweise, dass die Flugzeuge einschließlich der Triebwerke nach einem streng festgelegten Schema überholt werden — weit häufiger als ein Auto normalerweise gewartet wird —, und das selbst dann, wenn es mit einem Flugzeug nicht das geringste Problem gab.
Ein leitender Wartungstechniker einer großen Fluggesellschaft kann das bestätigen. „Ich bin jetzt fast 15 Jahre in diesem Geschäft“, sagt er, „und habe in der Wartungsmannschaft niemals jemanden gesehen, gesprochen oder beobachtet, der die Sicherheit nicht sehr ernst nimmt. Immerhin fliegen ja auch die Verwandten und Freunde unserer Mitarbeiter mit den Flugzeugen, an denen sie arbeiten. Daher wird niemand leichtsinnig Risiken eingehen.“
Flugzeugtechniker und Wartungspersonal tragen eine schwere Verantwortung. Einer von ihnen erinnert sich: „Ich werde den Abend nie vergessen, als wir in Sioux City, Iowa, eine DC-10 verloren. Damals arbeitete ich als Flugzeugtechniker und war dafür zuständig, das Heck eines Flugzeugs vom selben Typ von innen zu inspizieren und zu warten. Zu dem Zeitpunkt wussten wir so gut wie nichts darüber, warum das Flugzeug abgestürzt war. Ich weiß noch, wie konzentriert ich an diesem Abend gearbeitet habe und dass ich mich fragte: ‚Was ist mit diesem Flugzeug geschehen? Hat jemand anders vielleicht etwas übersehen, was ich jetzt finden könnte, um eine weitere Katastrophe zu verhindern? Mache ich wirklich alles exakt so, wie ich es sollte?‘ An diesem Abend habe ich viel Zeit im Heck des Flugzeugs verbracht, alles inspiziert und mir Gedanken gemacht.“
Flugzeugtechniker werden in all ihren Tätigkeitsbereichen fortlaufend geschult, sei es in Routinetätigkeiten oder in sehr anspruchsvollen Inspektions- und Reparaturarbeiten. Der Unterrichtsstoff für das Wartungsteam wird jährlich aktualisiert, damit es für jede erdenkliche Lage gerüstet ist, von ganz normalen bis hin zu außergewöhnlichen Situationen.
Kommt es zu einem Luftfahrtunglück, werden die gesammelten Daten analysiert und in einen Simulator eingegeben. Damit die Technikerteams ähnliche Probleme in der Zukunft besser handhaben können, fliegen Testpiloten und Luftfahrtingenieure den Simulator, um herauszufinden, welche anderen Lösungsmöglichkeiten sich angeboten hätten. Anschließend wird für die Teams ein Schulungsprogramm mit speziellen Anweisungen erstellt. Solche Untersuchungen können auch zu baulichen Änderungen an Flugzeugen und Ersatzteilen führen. Man versucht also, aus den Fehlern zu lernen und sie weiter zu minimieren.
Ein Wartungsmitarbeiter meint abschließend: „ ,Sicherheit ist kein Zufall — Sicherheit muss geplant werden‘, das sagt man uns immer wieder.“
Wieder in der Luft
Nach vier Monaten selbst auferlegter Flugabstinenz beschloss Alex, doch etwas gegen seine Phobie zu tun. Die Präsenz von Polizei und Nationalgarde auf dem Logan International Airport von Boston schien ihn nicht zu stören. Lange Warteschlangen beim Einchecken und das ausführliche Durchsuchen seines Gepäcks regten ihn nicht im Geringsten auf.
Für Alex waren das alles Hinweise auf das, was auch ihm wichtig ist, nämlich mehr Flugsicherheit. Heute kommt er im Flugzeug zwar immer noch etwas ins Schwitzen und hat ein wenig Herzklopfen. Doch während er sein Handgepäck im Gepäckfach über dem Sitz verstaut, sagt er: „Ich fühle mich jetzt viel wohler.“
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Fakten zum Thema Fliegen
Gemäß Schätzungen leidet etwa jeder fünfte Flugreisende unter Flugangst. Doch nicht alle Betroffenen halten das Fliegen für unsicher. Ihre Ängste wurzeln oft in anderen Phobien wie Höhenangst oder Angst vor Menschenmengen.
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WIE WAHRSCHEINLICH IST EIN TÖDLICHER UNFALL?
Innerhalb eines Im Laufe eines
Jahres: 1 zu Lebens: 1 zu
Kraftfahrzeugunfall 6 212 81
Tötung oder Totschlag 15 104 197
Maschinenunfall 265 000 3 500
Flugzeugunglück 390 000 5 100
Ertrinken in der Badewanne 802 000 10 500
Giftige Tiere und Pflanzen 4,2 Millionen 55 900
Blitzschlag 4,3 Millionen 56 000
[Nachweis]
(Angaben beziehen sich auf die USA)
Quelle: National Safety Council
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Erhöhte Sicherheit auf Flughäfen
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AP Photo/Joel Page
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Erfassen von Passagierdaten
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Verbesserte Wartung
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