Migräne: Kann man etwas dagegen tun?
Joyce, eine lebhafte Büroangestellte, liest konzentriert einen Text, als ein Teil der Seite plötzlich wie ausgelöscht ist. Dann tanzen winzige, blitzende Lichter vor ihren Augen und werden zu einem surrealen Feuerwerk aus Zickzacklinien und bizarren geometrischen Mustern. Minuten später kann Joyce kaum noch sehen. Sie reagiert schnell und schluckt eine kleine Tablette, die sie für den Notfall dabeihat.
JOYCE leidet an Migräne, einer Krankheit, die sich in mehrfacher Hinsicht von gewöhnlichen Kopfschmerzen unterscheidet. Beispielsweise treten Migräneattacken nicht willkürlich auf, sondern nach einem wiederkehrenden Schema. Und die Beschwerden sind so heftig, dass sie den Betroffenen oft völlig außer Gefecht setzen.
Welche Symptome treten bei Migräne auf? Typisch für das Krankheitsbild ist der — meist einseitige — pulsierende, pochende Kopfschmerz. Dazu kommen häufig Übelkeit und extreme Lichtempfindlichkeit. Ein Anfall kann mehrere Stunden dauern, sich aber auch tagelang hinziehen.
Die meisten haben hin und wieder Spannungskopfschmerzen, aber nur jeder Zehnte leidet wirklich an Migräne, die Mehrzahl davon Frauen. Nicht alle Fälle sind gleich schwer, doch die meisten Betroffenen fallen mehrere Arbeitstage pro Jahr aus. Neben den Auswirkungen auf Arbeit und Einkommen kann eine Migräne auch das Familienleben und soziale Kontakte beeinträchtigen. Die WHO zählt sie zu den 20 häufigsten Ursachen für Erwerbsunfähigkeit weltweit.
Nicht selten kündigt sich ein Migräneanfall durch bestimmte Symptome an, wie kalte Hände, Erschöpfung, Hunger oder Stimmungsschwankungen. Direkt vor den Kopfschmerzen können auftreten: Schwindel, Summen im Ohr, Kribbeln auf der Haut, Doppeltsehen, Sprachstörungen oder Muskelschwäche.
Die Ursachen von Migräne liegen noch teilweise im Dunkeln, doch es soll sich um eine Störung des Nervensystems handeln, die sich auf die Blutgefäße im Kopf auswirkt. Der pochende Schmerz hängt offenbar mit dem Blutfluss durch gereizte Gefäße zusammen. Das Fachjournal Emergency Medicine erklärt dazu: „Migränepatienten haben ein ausgesprochen sensibles Nervensystem geerbt, das im Alltag schnell aus dem Gleichgewicht geraten kann — sei es durch Schlafmangel, intensive Gerüche, Ortswechsel, unregelmäßiges Essen, Stress und Hormonschwankungen.“ Manche, die an Migräne leiden, sind auch anfällig für das Reizdarmsyndrom, Angstattacken und Depressionen.
Was bringt Erleichterung?
Das Nervensystem, mit dem man geboren wurde, kann man nicht einfach auswechseln. Doch vielleicht lässt sich durch ein Schmerztagebuch verhindern, dass es überhaupt zu einer Migräneattacke kommt. Schon mancher hat dadurch herausgefunden, dass seine Anfälle durch bestimmte Situationen, Nahrungs- oder Genussmittel ausgelöst werden.
Natürlich liegt jeder Fall anders. Lorraine etwa fiel auf, dass ihre Migräneanfälle ihrem Menstruationszyklus folgen. „Etwa zur Zyklusmitte“, erzählt sie, „löst jede zusätzliche Belastung oder jeder stärkere Reiz bei mir einen Anfall aus, seien es schwere Arbeit, Hitze oder Kälte, Lärm oder sogar Gewürze. Deshalb achte ich in dieser Zeit vermehrt auf Ruhe und halte mich bewusst zurück.“ Joyce, die schon seit Jahrzehnten Migräne hat, berichtet: „Seit ich weiß, dass ich von Orangen, Ananas und Rotwein auf der Stelle Migräne bekomme, lasse ich die Finger davon.“
Die Auslöser klar zu identifizieren ist nicht ganz einfach, da oft erst die Kombination mehrerer Faktoren zu einer Migräneattacke führt: Wer heute ohne Probleme Schokolade essen kann, könnte morgen dabei Migräne bekommen, weil dann vielleicht ein zusätzlicher Faktor im Spiel ist.
Selbst wer den Auslösern nicht auf die Spur kommt noch sie vermeiden kann, hat Chancen, die Anfälle zu reduzieren. Fachleute raten, möglichst jeden Tag denselben Schlafrhythmus einzuhalten. Wer am Wochenende länger schlafen möchte, sollte nach ihrer Empfehlung zur gewohnten Zeit aufstehen, sich einige Minuten beschäftigen und dann wieder zu Bett gehen. Da auch Veränderungen im Koffeinkonsum eine Migräne auslösen können, sollte man versuchen, täglich höchstens zwei Tassen Kaffee (oder koffeinhaltige Getränke) zu sich zu nehmen. Regelmäßige Mahlzeiten sind wichtig, da Hunger ebenfalls ein Auslöser sein kann. Auch wenn sich Stress (ein häufiger Migränefaktor) nicht immer vermeiden lässt, gelingt es einem vielleicht doch, Entspannung zu finden: sei es, dass man den Tagesablauf leicht verändert, in der Bibel liest oder ruhige Musik hört.
Migräne behandeln
Die Liste der Migränemittel und -therapien ist lang.a Als eine der besten Therapien gilt Schlaf. Manche rezeptfreie Analgetika können den Schmerz so weit lindern, dass man wenigstens schlafen kann.
1993 kamen Triptane auf den Markt, eine neue Klasse verschreibungspflichtiger Arzneimittel zur Behandlung von Migräne. Das Medical Journal of Australia sprach von „einem enormen Fortschritt in der Therapie“. Außerdem schrieb das Fachjournal: „Die neu eingeführten Triptane . . . waren für Migräne und Cluster-Kopfschmerzen beinahe das, was Penicillin für bakterielle Infektionen war!“
Im Gegensatz zur Behandlung mancher Infektionen geht es bei einer Migräne nicht um Leben und Tod. Doch einigen, die jahrelang immer wieder wegen Migräne arbeitsunfähig waren, haben Triptane erhebliche Erleichterung gebracht. Auch wenn die Betroffenen sich in vielem umstellen müssen — so mancher bezeichnet Triptane als regelrechte Wundermittel.
Wie jedes Medikament haben auch Triptane Vor- und Nachteile. Da ist zum einen der Preis: Eine einzige Tablette kann so viel kosten wie ein Essen in einem netten Restaurant. Also bleiben sie in manchen Ländern den Patienten mit stärkeren Symptomen vorbehalten. Zum anderen helfen Triptane nicht jedem, und je nach Gesundheitszustand kommen sie für manche aufgrund der Gegenanzeigen gar nicht infrage. Leider ist Migräne, beziehungsweise die Veranlagung dazu, nach bisherigem Wissen nicht heilbar. Dennoch schreibt Emergency Medicine: „Dank der neuen, besseren Arzneimittel gibt es heute keinen Grund mehr, Migräne auf Dauer zu ertragen.“
[Fußnote]
a Erwachet! empfiehlt keine spezielle Behandlungsmethode. Jeder sollte selbst sorgfältig abwägen und dann eine Entscheidung treffen.
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Ein Schmerztagebuch kann helfen herauszufinden, welche Nahrungsmittel oder Situationen Anfälle auslösen
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Ruhige Musik kann Stress abbauen, der bei Migräne oft beteiligt ist
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Migräne ist eine stark beeinträchtigende, erbliche Erkrankung, die sich aber oft wirksam behandeln lässt