Jakobus, der Bruder Jesu
JESUS, der Sohn Gottes, erklärte einmal: „Ein Prophet bleibt nicht ungeehrt, außer in seiner Heimatgegend und in seinem eigenen Hause.“ Er selbst machte diese Erfahrung unmittelbar in seiner Familie, wie es aus dem Bericht seines bevorzugten Jüngers Johannes hervorgeht: „Seine Brüder übten in der Tat keinen Glauben an ihn aus.“ Matthäus und Markus nennen vier Brüder mit Namen: Jakobus, Joseph, Simon und Judas. (Matth. 13:55-57; Mark. 6:3; Joh. 7:5, NW) Nach Jesu Tod und Auferstehung jedoch übten zumindest einige seiner Halbbrüder (sie hatten dieselbe Mutter, aber einen anderen Vater) Glauben an ihn aus, denn wir lesen, daß „die elf Apostel während Pfingsten einstimmig im Gebet verharrten, zusammen mit einigen Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern.“ — Apg. 1:13, 14, NW.
Angesichts der Tatsache, daß einige unserer Leser Einspruch gegen die Erklärung erheben, Maria hätte andere Kinder außer Jesus gehabt, und die Meinung vertreten, sie wäre eine „immerwährende Jungfrau“, laßt uns, bevor wir die Christlichen Griechischen Schriften über Jakobus, den Bruder Jesu, befragen, diesen Einwand kurz betrachten. Wenn Maria die „immerwährende Jungfrau“ wäre, warum sagt dann Matthäus im ersten Kapitel, Vers fünfundzwanzig, Joseph „erkannte sie nicht“, das heißt, „hatte keine Beziehungen mit ihr, bis sie einen Sohn gebar“? (SB, NW) Und warum beschrieb Lukas Jesus als ihren „Erstgeborenen“? (Lukas 2:7) Hätte Maria keine anderen Kinder mehr geboren, würde er sich nicht auf ihn als auf ihren „einzigen“ Sohn bezogen haben? Matthäus und Lukas betrachteten Jesus offenbar nicht als Marias einzigen Sohn, sonst hätten sie dies gewiß betont; besonders dann, wenn sie diese Angelegenheit für wichtig angesehen hätten, wie es bei einigen Religionsorganisationen der Fall ist.
Es kann auch nicht gefolgert werden, daß diese „Brüder“ nicht aus Jesu unmittelbarer Familie stammten oder daß sie Verwandte oder Vettern waren, denn das gebrauchte Wort bedeutet buchstäblich „aus demselben Mutterschoß“. (Youngs Konkordanz) Wären bloß Verwandte gemeint, hätten die inspirierten Schreiber zweifellos das griechische Wort gebraucht, das mit Vetter in Lukas 1:36, 58 wiedergegeben ist. Auch kann man nicht die Meinung aufrechterhalten, daß diese „Brüder“ seine geistigen Brüder oder Jünger gewesen seien, weil sie, wie wir schon gesehen haben, zu der Zeit keinen Glauben an Jesus ausübten. Daß diese „Brüder“ getrennt und verschieden von seinen Jüngern waren, wird durch den Bericht des Johannes deutlich gemacht; denn wir lesen darin: „Nach diesem gingen er [Jesus] und seine Mutter und Brüder und seine Jünger herab nach Kapernaum.“ — Joh. 2:12, NW.
HERVORRAGEND IN DER URKIRCHE
Von diesen fleischlichen Brüdern Jesu, welche Jünger nach seiner Auferstehung wurden, war Jakobus der hervorragendste. Offenbar wußte Christus Jesus von der Rolle im voraus, die jener in der christlichen Versammlung spielen würde, und widmete ihm besondere Aufmerksamkeit, denn Paulus schien sich in Verbindung mit seiner Beweisführung über Christi Jesu Auferstehung auf Jesu Bruder Jakobus zu beziehen, wenn er schreibt: „Nach diesem erschien er dem Jakobus“, der als einziger von Paulus, außer Petrus und ihm selbst, namentlich erwähnt wird, dem Jesus persönlich erschienen war. — 1. Kor. 15:7, NW.
Petrus erwähnt Jakobus gleichfalls in besonderer Weise, als er die Gruppe der Christen besuchte, die sich im Heim der Maria, der Mutter des Johannes Markus, versammelt hatte. Nach seiner wunderbaren Befreiung aus der Gefangenschaft wies er sie an: „Berichtet diese Dinge dem Jakobus und den Brüdern.“ (Apg. 12:17, NW) Und daß Jakobus nicht nur der erste unter seinen fleischlichen Brüdern war, sondern auch hervorragend unter seinen geistigen Brüdern, scheint augenscheinlich aus der Tatsache hervorzugehen, daß er offenbar der Sonderversammlung als Vorsitzender diente, die in Jerusalem abgehalten wurde, um die Frage zu besprechen, ob die Heiden, die sich zum Christentum bekehrt hatten, beschnitten werden sollten oder nicht; denn er faßte die Berichte der Besprechungen zusammen. Seine Vorschläge wurden angenommen, und seine Anordnungen, sich daran zu halten, wurden an die verschiedenen christlichen Versammlungen gesandt. — Apg. 15:14-21, NW.
Nicht nur Petrus hebt zur Zeit seiner wunderbaren Befreiung aus der Gefangenschaft hervor, daß Jakobus benachrichtigt werden sollte, sondern auch Paulus erwähnt ihn in gleicher Weise. Er erzählt den Galatern, wie er die ersten Jahre als christlicher Diener verbrachte, und sagt: „Später ging ich hinauf nach Jerusalem, um Kephas zu besuchen, und ich blieb bei ihm fünfzehn Tage. Aber ich sah keinen anderen der Apostel, nur Jakobus, den Bruder des Herrn.“ — Gal. 1:18, 19, NW.
Ohne Zweifel spielte Jakobus, der Bruder Jesu, eine sehr hervorragende Rolle in der leitenden Körperschaft der urchristlichen Versammlung, die in Jerusalem war. Er ist es logischerweise, der den Brief schrieb, der seinen Namen trägt. Der Apostel Jakobus, der ein Bruder des Johannes war, starb bei weitem zu früh den Märtyrertod, als daß er der Verfasser dieses Briefes hätte sein können. Weil von Jakobus, dem Sohn des Alphäus, praktisch nichts bekannt ist, liegt es außerhalb der Wahrscheinlichkeit, daß er diesen Brief geschrieben habe und sich nicht als Apostel zu erkennen gegeben hätte. Petrus und Paulus erwähnen wiederholt, daß sie Apostel waren, während Johannes keinen Zweifel darüber läßt, daß er ein naher Gefährte Jesu gewesen war. Besonders aber wegen der freimütigen Art des Briefes kommen wir zu der Ansicht: Wäre der Schreiber ein Apostel gewesen, hätte er es erwähnt, um seiner Botschaft noch mehr Gewicht beizugeben, statt nur mit „Jakobus, ein Sklave Gottes und des Herrn Jesu Christi“ zu beginnen. — Jakobus 1:1, NW.
Angesichts des Vorausgegangenen ergibt sich auch, daß sein Brief mindestens 62 n. Chr. ausgesandt wurde. Wieso? Nach der weltlichen Geschichte geschah es in jenem Jahr, daß der Prokurator von Judäa, Festus, starb. Bevor nun Albinus, der an seine Stelle trat, ankam, setzten die Juden einen Aufruhr in Szene, bei dem Jakobus vor das Synedrium geschleppt wurde. Dort wurde Jakobus dem Steinigungstod überliefert auf Grund der falschen Anklagen, die der Hohepriester gegen ihn vorbrachte, der auch, wie es scheint, das Konzil zu diesem ausdrücklichen Zweck zusammengerufen hatte.
DER BRIEF DES JAKOBUS
Wie man annimmt, war zur Zeit, als Jakobus seinen Brief schrieb, die Urkirche beträchtlich gewachsen, ziemlich fest gegründet und erfreute sich gewisser Freiheit von Verfolgung. Als Folge wurden einige sorglos und ließen sich durch die Welt beflecken und suchten Freundschaft mit ihr. Sie klatschten und gaben selbstsüchtigen Gelüsten nach und sündigten sogar willentlich. Um die Christen somit vor der Gefährlichkeit des Teufels aufzurütteln, schrieb Jakobus seinen Brief.
Jakobus zeigt durch seinen ganzen Brief hindurch einen schneidenden Scharfsinn für die Beweggründe, von denen sich einzelne leiten ließen, und gibt ihnen Ratschläge mit größter Geradheit. Zuerst erzählt er seinen Brüdern, sich in Versuchungen zu freuen wegen der Früchte, die Ausharren bei solchen Prüfungen mit sich bringen. Dann zeigt er die Notwendigkeit von Weisheit, die Gott freizügig allen gibt, wenn wir ihn nur mit Vertrauen bitten.
Als nächstes deutet er auf die Ursache der Versuchung und zeigt, daß sie nicht von Gott kommt. „Jeder wird versucht, indem er von seiner eigenen Begierde fortgezogen und gelockt wird.“ Somit tut alle „moralische Schlechtigkeit“ beiseite und werdet Täter des Wortes und nicht Hörer allein. Und ‚bewahre dich selbst ohne Flecken von der Welt‘. — Jak. 1:1-27, NW.
Im zweiten Kapitel rügt Jakobus zuerst solche, die nach der äußeren Erscheinung urteilen und den Reichen Gunst zeigen. Das ist keine Liebe zu unserem Nächsten wie zu uns selbst. Und dann kommt der Teil, der zeigt, wie praktisch der Brief ist: Glaube ohne Werke, die ihn stützen, ist bedeutungslos. Wenn dein Bruder hungrig ist, friert oder nackt ist, und du nur sagst: ‚Iß, wärme dich und kleide dich‘, wieviel Nutzen empfängt er? Wurden nicht Abraham und Rahab gerecht erklärt, weil sie ihren Glauben durch Werke bewiesen? „In der Tat, . . . Glaube ohne Werke ist tot.“ — Vers 26.
Weiteren praktischen Rat erteilt Jakobus bei der Besprechung des Gebrauches und der Macht der Zunge. Die Zunge ist ein kleines Glied, aber sie kann ungeheuren Schaden anrichten, ähnlich wie ein Großfeuer aus einem kleinen Feuer entstehen kann. Unsere Zunge auf der einen Seite zum Lobe unseres Gottes zu gebrauchen und andererseits Menschen zu schmähen oder zu verfluchen, gäbe einfach keinen Sinn. Bittere Eifersucht, Lügen und ähnliche Charakterzüge sind irdisch, tierisch und dämonisch. „Aber die Weisheit von oben ist zuerst von aller Reinheit, darauf friedsam, vernünftig und bereit, zu gehorchen, voller Barmherzigkeit und guter Früchte. Sie macht keine Unterschiede und ist nicht heuchlerisch.“ — Jakobus, Kapitel 3.
Solche Personen, die sich durch selbstsüchtige Gelüste antreiben lassen, verursachen Schwierigkeiten in der christlichen Versammlung, und Jakobus ermahnt sie als nächste: „Ehebrecherinnen, wißt ihr nicht, daß die Freundschaft der Welt Feindschaft mit Gott ist? Wer irgend daher ein Freund der Welt sein will, macht sich selbst zu einem Feinde Gottes.“ Durch eine solche Handlungsweise verraten solche Hochmut und Stolz und sollten sich deshalb hüten, denn „ ,Gott widersteht dem Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er unverdiente Güte.‘ Unterwerft euch deshalb Gott, aber widersteht dem Teufel und er wird von euch fliehen.“ — Jakobus 4.
Jakobus beginnt sein fünftes Kapitel, indem er die Reichen so hart verurteilt, wie kaum sonst in der Schrift zu lesen. Er tadelt sie wegen ihres gierigen und wollüstigen Laufes und warnt: Ihr unehrenhafter Gewinn wird zum Zeugnis wider sie sein und um Vergeltung schreien. Sie haben nicht nur ihre Arbeiter unterdrückt, sondern auch den Gerechten getötet. Danach rät uns Jakobus, duldsam zu sein, und was Ausharren anbetrifft, das Beispiel Hiobs zu betrachten.
Einige haben die Ermahnung des Jakobus, gegenseitig für sich zu beten, wie folgt aufgefaßt: Es bedeute, wir könnten göttliche Heilung erwarten, denn „das Gebet eines Gerechten, wenn ringend dargebracht, hat viel Kraft.“ Jedoch macht der Zusammenhang es deutlich, daß Jakobus sich auf geistige, nicht körperliche Krankheit bezieht: „Daher bekennet einander offen eure Sünden und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet.“ Wenn man meint, dies beziehe sich auf körperliche Krankheit, klagt man damit alle an, die an Gebrechen ihres Leibes leiden, große Sünder zu sein, und stempelt solche zu guten Christen, die sich guter Gesundheit erfreuen.
Der Brief des Jakobus ist wahrhaftig ein höchst nutzbringender Brief.
JAKOBUS, DER APOSTEL UND BRUDER DES JOHANNES
Jakobus, der Sohn des Zebedäus, gab zusammen mit seinem Bruder Johannes das Fischergewerbe auf, um unter den ersten Nachfolgern Christi Jesu zu sein. Es wird allgemein angenommen, daß Jakobus der ältere von beiden war, nicht nur, weil er zuerst erwähnt wird, sondern weil Johannes bis um das Jahr 100 n. Chr. lebte. Man vermutet auch, daß Jakobus und Johannes mit Jesus bekannt waren, bevor er sie berief, ihm zu folgen. — Matth. 4:21; Mark. 1:19, NW.
Unter seinen zwölf Aposteln bevorzugte Jesus drei, und Jakobus war unter diesen. Er war darum mit Jesus auf dem Berg der Verklärung. Er war mit ihm, als jener die Tochter des Jairus erweckte, und begleitete Jesus ferner in der Nacht seines Verrats. Die beiden anderen dieser begünstigten Gruppe waren natürlich Petrus und Johannes. — Matth. 26:36-39; Luk. 8:41, 51-56; 9:28-36, NW.
Jakobus und sein Bruder Johannes wurden Boanerges genannt, das heißt „Söhne des Donners“. Als man bei einer Gelegenheit Jesus den Eintritt in die Stadt verweigerte, waren sie bereit, Feuer vom Himmel herabzurufen, das die Einwohner verschlingen sollte. Sie hatten auch den Ehrgeiz, Erste in Jesu Königreich zu sein, wie dies durch die Bitte der Mutter offenbar wurde. — Matth. 20:20-28; Mark. 3:17; 9:33-35; 10:35-40; Luk. 9:51-55, NW.
Obgleich das Buch der Apostelgeschichte wenig Auskunft über Jakobus gibt, scheint es vernünftig zu sein, wenn man folgert, dieser ‚Sohn des Donners‘ sei ein aufrichtiger Diener der guten Botschaft gewesen. Die beiden folgenden Tatsachen sprechen dafür: Er war der erste der zwölf Apostel, der den Märtyrertod erlitt, und die Juden waren sehr erfreut über die mörderische Aktion des Herodes Agrippa.
Jesus sagte voraus, daß seine Nachfolger verfolgt werden würden. Jakobus, der Jünger und Bruder Jesu, und Jakobus, der Apostel und Bruder des Johannes, hatten beide das Vorrecht, sich „treu selbst in Todesgefahr“ zu erweisen. Sie gaben ein gutes Beispiel für alle Christen, die seit ihrer Zeit leben. — Matth. 10:16-31; Off. 2:10, NW.