Das Muster für das Gericht
„Dies ist ein Beweis des gerechten Gerichts Gottes und führt dazu, daß ihr des Königreiches Gottes würdig erachtet werdet, für das ihr in der Tat leidet.“ — 2. Thess. 1:5.
1. Durch welche Gegensätze zeichnete sich Johannes’ des Täufers Predigt aus?
JOHANNES der Täufer predigte zu Beginn seiner Dienstzeit: „Bereut, denn das Königreich der Himmel hat sich genaht.“ Er sammelte sogleich Jünger um sich, die an den Segnungen seines Dienstes teilhatten, und bereitete sie darauf vor, „des Königreiches Gottes würdig erachtet“ zu werden. Zu den unwürdigen religiösen Führern dagegen sprach er von einer bevorstehenden Zeit des Gerichts. „Schon liegt die Axt an der Wurzel der Bäume“, sagte er, „und er [der Kommende] wird ... seinen Weizen in das Vorratshaus sammeln, die Spreu aber ... mit unauslöschlichem Feuer verbrennen.“ — Matth. 3:1, 2, 7-12; 2. Thess. 1:5.
2. Was versteht man unter einem Muster, und wie begann Jesus durch seinen Dienst dieses Muster zu entwerfen?
2 Als Jesus, der Kommende, von der Festnahme des Johannes hörte, begann er unverzüglich, die gleiche Botschaft zu predigen: „Bereut, denn das Königreich der Himmel hat sich genaht.“ (Matth. 4:12, 17) Damals begann er das Muster für das Gericht zu entwerfen oder die Umrisse eines harmonischen, einem bestimmten Zweck dienenden Bildes, denn das ist ein Muster in Wirklichkeit. Die erste Linie dieses Musters — der so überaus wichtige Zeitfaktor — wurde durch die Verkündigung der Königreichsbotschaft kenntlich gemacht. Jesus leitete das Gleichnis vom Reichen und von Lazarus mit folgenden Worten ein: „Das Gesetz und die Propheten waren bis zu Johannes. Von da an wird das Königreich Gottes als gute Botschaft verkündet.“ — Luk. 16:16.
3. Welche zwei Linien dieses Musters zog Jesus dann gemäß dem Bericht in Lukas 16:17, 18?
3 Dann zog Jesus zwei weitere Linien, indem er zuerst sagte: „Es ist tatsächlich leichter, daß Himmel und Erde vergehen, als daß ein Teilchen eines Buchstabens des Gesetzes unerfüllt bleibe.“ Dann fügte er hinzu: „Jeder, der seine Frau durch Scheidung entläßt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch, und wer eine von ihrem Mann geschiedene Frau heiratet, begeht Ehebruch.“ (Luk. 16:17, 18) Wahrscheinlich konnten seine Zuhörer keine Verbindung zwischen diesen beiden Aussprüchen sehen. Erst als die Christenversammlung im Besitz der inspirierten Schriften des Apostels Paulus war, konnte die Lage richtig erkannt werden. Im Lichte dieser Schriften können wir heute diese beiden Linien untersuchen und ihren festgelegten Zweck erkennen.
4. In welchem Sinne erfüllte Jesus das Gesetz, und zu welchen Wirklichkeiten und zu welchem Ergebnis führte das schließlich?
4 Jesus hielt das Gesetz, indem er dessen Vorschriften vollkommen gehorchte, ja er erfüllte es sogar. Er sagte einmal: „Nicht um zu zerstören, bin ich gekommen, sondern um zu erfüllen“, und fügte noch hinzu, es müsse alles bis auf das letzte „Teilchen eines Buchstabens“ geschehen. (Matth. 5:17, 18) Paulus schrieb, das Gesetz sei „ein Schatten [oder Vorbild] der künftigen Dinge, aber die Wirklichkeit ... [gehöre] dem Christus“. (Kol. 2:17; Hebr. 8:5; 10:1) Durch sein Leben und seinen Opfertod führte Jesus die großen Wirklichkeiten herbei. Eine der bedeutendsten Vorkehrungen des Gesetzes waren die Opfer für Sünden, besonders die, die am Versöhnungstag dargebracht wurden. Diese Tieropfer vermochten jedoch „niemals die Sünden vollständig wegzunehmen ... Dieser aber [Jesus] hat für immer ein einziges Schlachtopfer für Sünden dargebracht“, indem er sein vollkommenes menschliches Leben niederlegte. (Hebr. 10:11, 12) Sein Tod bildete den Ausgangspunkt gewaltiger Änderungen zugunsten derer, die an ihn glaubten. Die ersten, die daraus Nutzen zogen, waren die jüdischen Glieder der „Lazarus“-Klasse. Da der Gesetzesbund damals seinen Zweck erfüllt hatte, wurde er, wie Paulus sagt, aus dem Weg geräumt und an den Marterpfahl genagelt, an dem Jesus hingerichtet wurde. (Kol. 2:14) Doch welche Verbindung hatte dies mit der nächsten Linie, das heißt mit dem, was Jesus über Scheidung und Ehebruch sagte?
5. Wie veranschaulichte Paulus, daß einige vom Gesetz „entbunden“ worden waren?
5 Da sich Jesus auf annehmbare Weise und „ohne Makel Gott dargebracht hat“, ist er „ein Mittler eines neuen Bundes“ geworden. (Hebr. 9:14, 15) Nach den Ausführungen des Apostels Paulus waren die Juden vorher an ihren Gesetzesbund gebunden, wie „eine verheiratete Frau durch Gesetz an ihren Mann gebunden [ist], während er lebt ... Doch wenn ihr Mann stirbt, ist sie frei von seinem Gesetz, so daß sie keine Ehebrecherin ist, wenn sie eines anderen Mannes wird. Ebenso wurdet auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz gegenüber zu Toten gemacht durch den Leib des Christus, um einem anderen anzugehören, dem, der von den Toten auferweckt worden ist, damit wir für Gott Frucht brächten.“ Paulus richtete diese Worte an seine Brüder, die zur „Lazarus“-Klasse gehörten; nur sie waren „von dem Gesetz entbunden“ worden. — Röm. 7:1-6.
6. Welche Norm legte Jesus in bezug auf die Ehescheidung fest, und wie berührte das die Pharisäer?
6 Jesu Worte über Scheidung und Ehebruch waren dagegen vorwiegend an die Pharisäer, die zur Klasse des „Reichen“ gehörten, gerichtet. Diese waren nicht frei vom Gesetz. Das Gesetz enthielt eine Ehescheidungsverordnung, die es einem Mann gestattete, mehr als nur eine lebende Frau zu haben. Als Jesus aber von denen sprach, die Gottes Gunst in oder unter dem neuen Bund erlangen sollten, griff er auf Gottes ursprüngliches Muster zurück. Für Adam und Eva gab es keine Ehescheidungsbestimmung. Wenn sich also ein Christ von seinem Ehegefährten scheiden läßt, ausgenommen aufgrund von ehelicher Untreue, und sich wieder verheiratet, während sein geschiedener Partner noch lebt, begeht er Ehebruch. Die Pharisäer, die sich in diesem Punkt an die Tradition und die Lehren des damals noch ungeschriebenen Talmuds hielten, ärgerten sich über das, was Jesus zu ihnen sagte, und wurden dadurch gequält. — 5. Mose 24:1-4; Matth. 19:3-9.
7. Wie wies Jesus auf die segensreichen Auswirkungen seines Todes hin?
7 Wir sehen also, wie das Muster für das Gericht allmählich Formen annahm. Denken wir jedoch daran, daß die Änderungen, die der Tod Jesu herbeiführen sollte, schon vor seinem eigentlichen Tod einzutreten begannen. Die Botschaft, die Johannes der Täufer und Jesus verkündeten, und das Werk, das sie durchführten, beruhten auf dem festen Glauben, daß sich alles, was in dem Gesetz und den Propheten vorhergesagt und vorgeschattet worden war, mit Sicherheit erfüllen würde. Das wird dadurch bestätigt, daß Jesus bei der Einsetzung der Feier zum Gedächtnis an seinen Tod am Abend vor seiner Hinrichtung seinen Jüngern den Becher reichte und sagte: „Dieser Becher bedeutet den neuen Bund kraft meines Blutes, das zu euren Gunsten vergossen werden wird ... und ich mache einen Bund mit euch, gleichwie mein Vater einen Bund mit mir gemacht hat, für ein Königreich.“ — Luk. 22:20, 29.
8. Was bewirkte Jesu Verkündigung der Königreichsbotschaft?
8 Nein, diese Änderungen brauchten nicht auf sich warten zu lassen. Mit der Verkündigung der guten Botschaft vom Königreich trat für die beiden hier zur Betrachtung stehenden Klassen ein gründlicher Wechsel ihres Zustandes ein. Damals starben die beiden Klassen gewissermaßen in bezug auf ihren früheren Zustand und ihre früheren Erfahrungen, was Jesus in seinem Gleichnis durch den Tod des Lazarus und des Reichen veranschaulichte. Als Jesus starb und dadurch das mosaische Gesetz erfüllt wurde, starb die „Lazarus“-Klasse diesem Gesetz gegenüber, und an dem darauffolgenden Pfingstfest erhielt sie durch den ausgegossenen heiligen Geist die Bestätigung, daß sie sich am Busen des größeren Abraham befand. Was dann gemäß der Beschreibung Jesu als nächstes geschah und was dadurch dargestellt wurde, wollen wir nun mit Interesse verfolgen.
ABRAHAM, DIE HAUPTGESTALT
9, 10. (a) Welche wichtige Gestalt erwähnte Jesus in seinem Gleichnis? (b) Wie betrachteten die Pharisäer ihr Verhältnis zu Abraham? (c) In welcher Hinsicht folgerten sie richtig, und in welcher Hinsicht waren sie im Irrtum?
9 Stelle dir das Bild vor. Der Reiche, der im Hades Qualen erleidet, erhebt seine Augen, und was sieht er? In der Ferne sieht er den ehemaligen Bettler nun am Busenplatz bei Abraham, das heißt an dem begünstigten Platz, den damals jemand einnahm, der bei einer Mahlzeit an der Brust eines anderen auf demselben Ruhepolster lag! (Luk. 6:23; siehe ferner Johannes 13:23.) Die Erwähnung Abrahams war sehr bedeutungsvoll, denn dadurch entstand die wichtigste Linie des ganzen Musters für das Gericht. Wen stellt er dar? Denken wir daran, daß Jesus zu den Pharisäern sprach. Sie waren der Meinung, daß sie als religiöse Führer allein Anspruch auf den Busenplatz bei Abraham hätten. In ihren Augen kam das gewöhnliche Volk hierfür niemals in Frage. Bei einer früheren Begegnung hatten sie zu Jesus gesagt: „Wir sind Nachkommen Abrahams“, ferner: „Unser Vater ist Abraham“, und: „Wir haben e i n e n Vater, Gott.“ — Joh. 8:33, 39, 41.
10 Daraus ist zu ersehen, daß die Pharisäer dachten, Abraham stelle Gott dar. Das stimmt auch. Mit ihrer Behauptung, sie seien Söhne Abrahams oder Gottes, waren sie jedoch im Irrtum. In Gottes Augen hängt dieses Verhältnis nicht von der Abstammung, sondern von der Gesinnung und den Werken eines Menschen ab. Jesus sagte bei der gleichen Gelegenheit zu ihnen: „Wenn ihr Abrahams Kinder seid, so tut die Werke Abrahams“, und ferner: „Ihr seid aus eurem Vater, dem Teufel, und nach den Begierden eures Vaters wünscht ihr zu tun. Jener war ein Totschläger als er begann.“ — Joh. 8:39, 44.
11. Warum war Glaube erforderlich, um Jesus als den Messias anzunehmen?
11 Während uns das erklärt, warum Jesus den einst Reichen in großer Entfernung von Abraham darstellte, mögen wir uns fragen, warum er sagte, Lazarus sei nach seinem Tod sogleich an den Busenplatz Abrahams getragen worden. (Luk. 16:22) Was er betonen wollte, war der Glaube. Jesus kam nicht, wie erwartet, als König, sondern „in der Gleichheit des sündigen Fleisches“, „wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird“. (Röm. 8:3; Jes. 53:7, Me) Es erforderte wirklich Glauben, ihn als den Messias anzunehmen. Einige, nicht die Hochmütigen, sondern die Demütigen, hatten einen solchen Glauben. Sie handelten ihrem Glauben entsprechend wie Abraham, der aus seinem Land „auszog, ... ohne zu wissen, wohin er ging“. (Hebr. 11:8) Sie wurden Jünger Jesu und später, zu Pfingsten, als sie den heiligen Geist empfingen, Christen. Paulus schrieb über sie: „Alle, die durch Gottes Geist geleitet werden, diese sind Söhne Gottes ... Der Geist selbst bezeugt mit unserem Geiste, daß wir Gottes Kinder sind.“ — Röm. 8:14-16.
12. Wie wurden die, die am Glauben festhielten, ferner gesegnet?
12 Paulus sagte über diese ferner: „Jene, die am Glauben festhalten, [sind] Söhne Abrahams ... [und werden] mit dem glaubenstreuen Abraham gesegnet.“ Wie denn? Abraham wurde die wunderbare Verheißung gegeben: „In deinem Samen werden sich segnen alle Nationen der Erde.“ Dieser Same ist in erster Linie Christus Jesus. Dank dem Reichtum der unverdienten Güte Gottes erhielten aber noch andere das Vorrecht, mit Christus zu diesem Samen zu gehören. Paulus sagte ferner: „Ihr alle seid tatsächlich Söhne Gottes durch euren Glauben an Christus Jesus ... Überdies, wenn ihr Christus angehört, seid ihr wirklich Abrahams Same, Erben hinsichtlich einer Verheißung.“ — Gal. 3:7-9, 16, 27-29; 1. Mose 22:18.
13. (a) Wer waren die ersten Glieder der „Lazarus“-Klasse? (b) Wie wirkten Johannes und Jesus ihnen gegenüber als Engel?
13 Zusammenfassend kann also gesagt werden, daß die Glieder der Christenversammlung, die von Gottes Geist geleitet werden, Söhne Gottes sind. Sie werden auch als Söhne Abrahams bezeichnet, weil sie den gleichen unerschütterlichen Glauben haben wie er und weil sie mit Christus Jesus zusammen den Samen Abrahams bilden, durch den Gott sein Vorhaben, dessen Mittelpunkt sein Königreich ist, verwirklicht. Sie bilden die „Lazarus“-Klasse, deren erste Glieder Juden waren, die sich ihrer geistigen Bedürfnisse bewußt waren und die Glauben bekundeten, als sie die Boten Gottes, Johannes den Täufer und Jesus, hörten. Johannes der Täufer und Jesus wirkten als Engel oder Boten, indem sie diese Juden auf den Weg führten, auf dem sie die wunderbaren Segnungen, die mit der dem Abraham und seinem Samen unter Eid gegebenen Verheißung verbunden waren, empfangen konnten. Kein Wunder, daß Jesus von Lazarus sagte, er sei „von den Engeln [sogleich] an den Busenplatz Abrahams“ getragen worden. — Luk. 16:22.
14. Was deutete darauf hin, daß auch viele Nichtjuden Gottes Gunst erlangen würden?
14 Anfänglich bestand die „Lazarus“-Klasse nur aus treuen Juden, aber es sollte nicht immer so sein. Zu einem heidnischen Offizier, der einen außerordentlichen Glauben bekundete, sagte Jesus: „Viele [werden] von östlichen Gegenden und westlichen Gegenden kommen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Königreich der Himmel zu Tische liegen ..., während die Söhne des Königreichs in die Finsternis draußen hinausgeworfen werden. Dort wird ihr Weinen und ihr Zähneknirschen sein.“ (Matth. 8:5-12) Das deutete darauf hin, daß noch viele Nichtjuden, die bis dahin Gott entfremdet waren und sich in einem Zustand befanden, der dem eines Bettlers glich, von überallher kommen und in Gottes Gunst, das heißt an seinen Busenplatz, gelangen würden. Paulus sagte: „Nun hat die Schrift, in Voraussicht, daß Gott Leute von den Nationen zufolge des Glaubens gerechtsprechen werde, die gute Botschaft im voraus dem Abraham verkündet, nämlich: ‚Durch dich werden alle Nationen gesegnet werden.‘“ (Gal. 3:8) Diejenigen aber, die dachten, sie seien als natürliche Söhne Abrahams die rechtmäßigen Erben aller Schlüsselstellungen in Gottes Königreich, sahen sich verworfen und litten Qualen.
15. Welches vortreffliche Bild der Theokratie vermittelte Jesus durch seine Worte nach Matthäus 8:11?
15 Durch die Erwähnung Isaaks und Jakobs mit Abraham erhalten wir in diesem Fall ein vortreffliches Bild von dem vollständigen Aufbau des Königreiches, der Theokratie. Abraham, der Vater derer, die am Glauben festhalten, stellt den himmlischen Vater, Jehova, dar, den eigentlichen Quell aller den Nationen zuteil werdenden Segnungen. Isaak, der Sohn Abrahams, stellt Jesus Christus, den Sohn Gottes, dar. Als Abraham daher seinen Sohn Isaak auf dem Berg Morija als Opfer darbrachte oder gerade im Begriff war, ihn darzubringen, schattete er Jehova vor, der seinen einziggezeugten Sohn tatsächlich als Opfer darbrachte. Isaaks Sohn Jakob dagegen stellt die Christenversammlung dar. Wie Jakob, der sein Leben durch Isaak von Abraham empfing, empfängt auch die Christenversammlung ihr geistiges Leben von Jehova Gott durch Jesus Christus. Den Grundstock dieser Versammlung bildete ein Überrest treuer Juden; doch etwa dreieinhalb Jahre nach Pfingsten wurde damit begonnen, die gute Botschaft vom Königreich auch den Heiden, von denen Kornelius der erste war, zu predigen. Seither sind Menschen aus den Nationen der ganzen Welt hinzugekommen, bis die Zahl voll war. Sie alle bilden die „Lazarus“-Klasse.
GOTTES „RICHTERLICHE ENTSCHEIDUNG“ — EINE „GROSSE KLUFT“
16. Wie ließen die Bitten des Reichen seine wahre Absicht in bezug auf Lazarus erkennen, und welche Gesinnung verrieten sie?
16 Wenn wir nun unsere Aufmerksamkeit dem letzten Teil des Gleichnisses Jesu zuwenden, in dem die Auseinandersetzung zwischen dem Reichen und Abraham wiedergegeben wird, finden wir weitere Hinweise auf Gottes Gericht. Beachten wir die zwei Bitten des Reichen. Zunächst bittet er darum, daß Lazarus gesandt werde, um mit einem Tropfen Wasser seine Zunge zu kühlen, da er im Feuer Qualen leide. Da ihm dies nicht gewährt wird, bittet er darum, daß Lazarus zu seinen fünf Brüdern gesandt werde, damit er sie vor diesem Ort der Qual warne. (Luk. 16:24-28) Er versuchte alles, um Lazarus vom Busenplatz Abrahams zu verdrängen und zu verhindern, daß er dahin zurückkehre. Warum bat er nicht darum, daß die Engel mit dieser von Barmherzigkeit getragenen Botschaft ausgesandt werden möchten, denn er hatte doch gesehen, wie schnell sie Lazarus zu Abraham getragen hatten? Nein, Lazarus sollte umherlaufen und als Bote wirken. Wenn wir Jesu Beschreibung des Reichen in Betracht ziehen, können wir uns gut vorstellen, daß er — wenn Lazarus ihn tatsächlich besucht und ihm den Finger in den Mund gesteckt hätte, um mit einem Tropfen Wasser sein Zunge zu kühlen — seinen Finger gepackt und ihn nicht mehr losgelassen hätte! Wir wissen, daß die Schriftgelehrten und Pharisäer alles daransetzten, um, wie Jesus sagte, „einen einzigen Proselyten zu machen“, und wenn sie ihn einmal so weit gebracht hatten, so machten sie ihn „zu einem Gegenstand für die Gehenna, doppelt so schlimm“ als sie selbst. — Matth. 23:15.
17. Wie und warum wollten die religiösen Führer von der „Lazarus“-Klasse erlöst werden?
17 Wie lächerlich, all das buchstäblich aufzufassen! Wie vortrefflich stimmt es jedoch mit den Tatsachen überein, denn wir wissen, an welche beiden Klassen Jesus dachte! Wir fragen deshalb: Wie baten die religiösen Führer darum, daß ihnen durch die „Lazarus“-Klasse Linderung verschafft werde, und wenn es auch nur durch einen Tropfen Wasser wäre? Wenn die verachteten Nachfolger Jesu ihrem Meister nur nachgefolgt wären, aber geschwiegen hätten, dann wären diese Männer längst nicht so gequält worden. Sie wurden jedoch geschult und dann ausgesandt, zuerst die zwölf und dann die siebzig. Sie, nicht die religiösen Führer, wirkten nun als Abrahams Same, indem sie den vom Himmel stammenden Segen vermittelten, Kranke heilten und Gottes Königreich predigten. (Luk. 9:1, 2; 10:1, 9) Zu Pfingsten wurden etwa 120 durch den heiligen Geist befähigt, in Zungen zu reden, und noch am selben Tag wurden ihnen 3000 weitere hinzugefügt. Und wie freimütig sie waren! In der Öffentlichkeit und vor dem Sanhedrin wiesen die Apostel Petrus und andere, zum Beispiel Stephanus, unerschrocken auf die Verantwortung und Blutschuld jener Führer oder Vorsteher hin. (Apg. 2:23; 3:14, 17; 4:10; 5:30; 7:52) Als natürliche Nachkommen Abrahams riefen die Glieder der Klasse des „Reichen“ dem Sinne nach aus: „Vater Abraham, habe Erbarmen mit uns, und veranlasse die ‚Lazarus‘-Klasse, zu unseren Gunsten zu reden, und wenn es auch nur ein einziges Wort ist!“ Was antwortete Abraham jedoch?
18. Wieso ließ Abrahams Antwort treffend beide Hälften des Musters für das Gericht erkennen?
18 Seine ersten Worte waren lediglich eine Darlegung der Tatsachen: „Kind, bedenke, daß du dein Gutes zu deinen Lebzeiten schon völlig empfangen hast, Lazarus aber entsprechend das Schlechte. Nun aber wird er hier getröstet, du aber erleidest Pein.“ (Luk. 16:25) Kein Wort zuviel wurde zum Reichen gesagt. Warum nicht? Weil Jesus wußte, daß er als Gottes Diener in einer Zeit der Besichtigung amtete. Er war in Tat und Wahrheit der Same Abrahams, und wer auf diesen Samen Übel herabrief, wurde von Gott verflucht. (1. Mose 12:3) Für die Klasse des „Reichen“ waren die Tage, ihre „Lebzeiten“, vorbei, an denen sie ihr „Gutes“, das sie so leicht an die Bedürftigen hätte verteilen können, völlig empfangen hatte. Diese Klasse hatte jedoch bewiesen, daß sie nicht daran dachte, dies zu tun, und nun wurde Gottes ungünstiges Urteil über sie offenbar. Aber auch sein günstiges Urteil über die „Lazarus“-Klasse wurde offenbar. Das war das Muster für das Gericht, das mit einer Zeichnung verglichen werden könnte, deren eine Hälfte genau das Gegenstück der anderen ist. Um dies besonders hervorzuheben, ist durch die Mitte eine kräftige gerade Linie gezogen, und das bringt uns zu der „großen Kluft“. Wenden wir unsere Aufmerksamkeit nun den nächsten Worten zu, die Abraham an den Reichen richtet.
19. Was bewirkte die „große Kluft“, und was bedeutete sie?
19 „Und außer all diesem ist zwischen uns und euch eine große Kluft festgelegt, so daß die, welche von hier zu euch hinübergehen wollen, es nicht können, noch können Leute von dort zu uns herüberkommen.“ (Luk. 16:26) Keine Verbrüderung! Die „Lazarus“-Klasse konnte mit der Klasse des „Reichen“ keinen Kompromiß eingehen und sich nicht mit ihr versöhnen. Jesus wußte, daß dies eine wichtige Linie in dem Muster für das Gericht war und daß Gottes „richterliche Entscheidung ... eine große Wassertiefe“ ist. (Ps. 36:6, NW) Das Urteil war aber, wohlgemerkt, lediglich in bezug auf die beiden Klassen endgültig. Keine der beiden Klassen (auch keine sie unterstützenden Klassen) konnte zur anderen hinüberwechseln; Einzelpersonen konnten es jedoch tun und taten es auch zu ihren Lebzeiten. Der Apostel Paulus, der in seinem „früheren Wandel im Judentum“ die „Lazarus“-Klasse heftig verfolgte, ist hierfür ein bemerkenswertes Beispiel. (Gal. 1:13-17) Johannes der Täufer nannte die Pharisäer und Sadduzäer „Otternbrut“ und sagte dann zu ihnen: „Bringt ... Frucht hervor, die der Reue entspricht.“ Einige taten dies später. — Matth. 3:7, 8; Apg. 6:7.
20. Welche weitere Bitte brachte der Reiche vor, und wie erfüllte sich dies in den Tagen Jesu?
20 Da Jesus die geistige Einstellung der Klasse des „Reichen“ kannte, ließ er den Reichen in seinem Gleichnis ein weiteres Argument vorbringen. In dem Versuch, um diese Kluft herumzukommen oder sie außer acht zu lassen, bat dieser: „In diesem Falle bitte ich dich, Vater, ihn [Lazarus] in das Haus meines Vaters zu senden, denn ich habe fünf Brüder, damit er ihnen ein gründliches Zeugnis gebe, so daß nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen.“ (Luk. 16:27, 28) Beachten wir, daß er Abraham zwar als Vater anredet, aber von einem ihm näherstehenden Vater spricht, in dessen Haus seine fünf Brüder wären. Jesus kannte das auf menschliche Überlieferungen aufgebaute religiöse Gebäude oder Haus des Judentums, dem die religiösen Führer angehörten. Von diesem Haus ging ein Geist aus, der zu bitterer Verfolgung, ja sogar zum Mord anstiftete. Sein Vater war der Teufel, der „ein Totschläger“ war. (Joh. 8:44) Die fünf Brüder (mit dem Reichen zusammen sechs, ein Sinnbild der Organisation des Teufels) stellten die Bewunderer und Unterstützer der religiösen Führer dar, und sie offenbaren den gleichen Geist. Die religiösen Führer wären gern von ihrer Bloßstellung, durch die sie in ihren eigenen Augen und in den Augen ihrer Unterstützer in ein schlechtes Licht gerückt wurden, erlöst worden. Wenn diese, ihre Brüder, bildlich gesprochen, sterben würden und an denselben Ort kämen, würde das ihre Qualen noch erhöhen. Jene Führer wollten deshalb, daß die „Lazarus“-Klasse ihre begünstigte Stellung bei Gott aufgebe, um ein „gründliches Zeugnis“ zu geben, das heißt, um eine Botschaft zu predigen, aber nicht etwa die Gerichtsbotschaft, sondern eine Botschaft, die den Eindruck erwecken würde, als ob alles wieder so wäre, wie vor der Zeit der Besichtigung, als sie und ihre Unterstützer noch keinen Qualen ausgesetzt waren.
21. Was bedeutete Abrahams Antwort?
21 Wäre das möglich gewesen? Was antwortete Abraham? „Abraham aber sprach: ‚Sie haben Moses und die Propheten; mögen sie auf diese hören.‘“ (Luk. 16:29) Nichts anderes als Gottes Wort der Wahrheit und nur Gottes Wort der Wahrheit! Es war die Autorität, auf die sich Jesus berief, wenn er zum Volk und zu dessen Führern sprach, auch wenn er ihnen das damals bevorstehende Gericht ankündigte. Die „Lazarus“-Klasse berief sich ebenfalls auf diese Autorität. Der kraftvollen, aufrüttelnden Botschaft, die Petrus zu Pfingsten verkündete, lagen zum Beispiel ausschließlich Zitate aus den Hebräischen Schriften, aus Moses (dem Gesetz), den Propheten und den Psalmen, zugrunde. Dreitausend Personen nahmen damals die Botschaft sogleich an und wurden getauft. Das beweist, daß die Hebräischen Schriften für die, die bereit waren zu hören und von denen früher viele dem Judentum anhingen, als Warnung und Richtschnur genügten. — Apg. 2:41.
22. (a) Welche letzte Bitte brachte der Reiche vor? (b) Was hätte das bewirkt, und wie reagierte Jesus auf die Forderung nach einem Zeichen?
22 Der Reiche gab sich jedoch noch nicht zufrieden. Er zeigte nun sein wahres Gesicht und widersprach Abraham ganz offen. Er sagte: „Nicht doch, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen geht, werden sie bereuen.“ (Luk. 16:30) Mit anderen Worten, er verlangte, daß ein außergewöhnliches Zeichen geschehe, daß jemand von den Toten auferstehe. Dann erübrige es sich, anhand der heiligen Schriften zu predigen oder die Überlieferungen des Judentums bloßzustellen. Die Pharisäer und andere baten Jesus mehr als einmal, „sie ein Zeichen vom Himmel sehen zu lassen“. Er antwortete „Eine böse und ehebrecherische Generation sucht fortwährend ein Zeichen, doch wird ihr kein Zeichen gegeben werden, ausgenommen das Zeichen Jonas.“ Jona war für die Niniviten ein hinreichendes Zeichen, denn, wie Jesus sagte, „bereuten [sie] auf das hin, was Jona predigte, doch siehe, hier ist mehr als Jona.“ (Matth. 16:1-4; 12:38-41) Jesu Predigt war weit gewaltiger und von kräftigeren Beweisen gestützt, als es Jonas Predigt je war. Die Wirkung war jedoch, wie Jesus sagte: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, werdet ihr keinesfalls glauben.“ — Joh. 4:48.
23. Wieso war Abrahams letztes Wort angebracht und mit den Tatsachen übereinstimmend?
23 Deshalb sagte auch Abraham zu dem Reichen: „Wenn sie nicht auf Moses und die Propheten hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.“ (Luk. 16:31) Das war das endgültige Urteil über die durch den Reichen und seine Brüder dargestellte Klasse. Wenn sie ihre Ohren gegenüber der göttlichen Botschaft, die die heiligen Schriften enthielten, verschließen würden, so würden sie auch ihre Augen gegenüber dem Boten Gottes — ob es nun Jesus oder die „Lazarus“-Klasse wäre — verschließen. Jesus sagte zu ihnen: „Ihr erforscht die Schriften ..., die über mich Zeugnis ablegen“, und fügte dann hinzu: „Wenn ihr Moses glaubtet, würdet ihr mir glauben, denn jener schrieb über mich. Doch wenn ihr seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?“ — Joh. 5:39, 46, 47.
24. Wieso ist das letzte Wort in diesem Gleichnis eine Warnung, aber auch eine Ermunterung?
24 Das Gleichnis Jesu schloß mit einem harten Urteil, das ebenso eindeutig war wie die „große Kluft“. Es ließ Gottes gerechte „richterliche Entscheidung“ zugunsten der einen und zuungunsten der anderen Klasse erkennen. Sie fiel zuungunsten des ganzen Hauses derer aus, die nur „widerwillig“ hörten und die „ihre Augen ... geschlossen [hatten], damit sie ... nicht etwa sehen und ... mit ihren Herzen den Sinn davon erfassen und umkehren“. (Matth. 13:15) Gott sei Dank war aber dieses letzte Wort vollständig zugunsten der „Lazarus“-Klasse. Es bestand keine Notwendigkeit und auch kein Grund dafür, daß sie ihren begünstigten Platz bei Gott und die damit verbundenen tröstlichen Vorkehrungen sowie die Gelegenheit, am Tische Jehovas zu speisen, jemals hätten aufgeben müssen.
25. Welche Fragen erheben sich daher in bezug auf unsere Tage?
25 Können wir hierzu eine Parallele ziehen und die wichtigsten Linien des Musters für das Gericht auch in unseren Tagen erkennen? Enthält das Gleichnis Jesu eine Botschaft, die auch auf uns zutrifft? Können wir auch heute zwei gegensätzliche Klassen erkennen, und wenn ja, hat sich in bezug auf ihren Zustand vor unseren Augen ebenfalls ein großer Wechsel oder eine Wendung vollzogen? Wird uns als einzelnen geholfen, zu erkennen, was wir tun müssen, um unter Gottes günstiges Urteil zu gelangen und wahren Reichtum zu finden?