Standhaft und unbeweglich im Werke Jehovas
VON PETER CASOLA ERZÄHLT
IM JAHRE 1920 kam ich in East Patchogue (Long Island, USA) zum erstenmal mit Jehovas Volk, damals als Bibelforscher bekannt, in Berührung. Man war damals in dieser Gegend sehr voreingenommen gegen einen alten Bibelforscher, der dort von Haus zu Haus ging und predigte. Von der allgemeinen Voreingenommenheit beeinflußt, lehnte auch ich es stets ab, mir seine Botschaft anzuhören.
Dann fand ich eines Tages am Eingang eines alten leerstehenden Hauses ein Traktat „Der Fall Babylons“, das schon ganz vergilbt war. Ich wußte nicht, daß es von der Watch Tower Society herausgegeben war, las es durch und war von dessen biblischem Inhalt ganz begeistert. Ich las das Traktat mehrmals durch, und mein Vorurteil schwand immer mehr. Als der alte Zeuge das nächste Mal bei mir vorsprach, nahm ich das Buch Der göttliche Plan der Zeitalter entgegen. Ich las das Buch, aber ich muß sagen, ich verstand seinen Inhalt nicht richtig.
Der gleiche Bibelforscher kam aber von Zeit zu Zeit wieder und spornte mich an, weiter in dem Buch zu lesen, bis ich es verstehe. Das tat ich auch, und ich erzielte dabei wunderbare Ergebnisse. Im Jahre 1921 symbolisierten meine Schwester und ich unsere Hingabe an Jehova durch die Taufe. Der Kongreß, der dann im Jahre 1922 in Cedar Point (Ohio) stattfand, war für uns sehr ermutigend. „Verkündet den König und sein Königreich“ wurde nun unser Motto. Damals begann ich so richtig die Bedeutung der Worte zu verstehen: „Werdet standhaft, unbeweglich, und seid im Werke des Herrn allezeit reichlich beschäftigt.“ — 1. Kor. 15:58.
Im Jahre 1923 erreichte ich einen Wendepunkt in meinem Leben. Ich mußte mich entscheiden, ob ich eine Einladung zum Dienst im Bethel, in der Zentrale der Watch Tower Society, annehmen oder die Gelegenheiten ausnutzen wollte, die sich mir in den Nachkriegsjahren im Geschäftsleben boten. Meine Eltern teilten meine religiösen Ansichten nicht und waren dagegen, daß ich ins Bethel ging; ich fand aber, daß ich als Erwachsener mich selbst entscheiden sollte. Ich bin stets dankbar dafür gewesen, daß ich mich für diesen selbstlosen Dienst entschieden habe.
Meine erste Beschäftigung in der Zentrale der Gesellschaft war in der Stereotypie, wo die Metallplatten zum Drucken der Publikationen hergestellt wurden. Vier Jahre später wurde die Druckerei der Gesellschaft in das neue Gebäude, Adams Street 117, Brooklyn, verlegt. Wir ahnten damals noch nicht, daß wir vierzig Jahre später vier Gebäudeblocks zwischen der Brooklyn- und der Manhattan-Brücke benötigen würden, um den immer größer werdenden Bedarf an Druckerzeugnissen zu decken.
Nach einiger Zeit wurde ich in die Schlosserei versetzt, und auch dort war ich „im Werke des Herrn allezeit reichlich beschäftigt“. Ebenso erging es mir, als ich später die Dieselkraftanlage der Druckerei der Gesellschaft bediente.
Im Jahre 1932 bat mich J. F. Rutherford, der damalige Präsident der Gesellschaft, nach dem nahe gelegenen Staten Island zu gehen, um die Kraftanlage der Rundfunkstation WBBR, die der Gesellschaft gehörte, zu bedienen. Die Anlage mußte ständig überwacht werden, denn WBBR war damals mit einem Sendernetz verbunden, das sich über die ganzen Vereinigten Staaten erstreckte. Diese Arbeit machte mir jedoch viel Freude, denn ich wußte, daß sie für die Verbreitung der Botschaft über den Rundfunk wichtig war. Vierzehn Jahre versah ich diesen Dienst standhaft.
STANDHAFT BLEIBEN
Wegen der Unvollkommenheiten, die wir von Adam ererbt haben, ist es nicht immer leicht, „standhaft, unbeweglich“, zu bleiben. Das erkannte ich, als die Ärzte mir im Jahre 1940 sagten, ich hätte Kehlkopfkrebs. Die Operation verlief jedoch erfolgreich, und nach zwei Monaten Erholung begann ich mich besser zu fühlen. Ich hatte aber meine Stimme fast vollständig verloren. Ich war sehr entmutigt, als ich feststellte, daß ich Jehova im Dienst von Haus zu Haus nur noch mit flüsternder Stimme dienen konnte!
Diese Erfahrung zeigte mir auch, wie sehr wir unsere Brüder in der Organisation benötigen. Einige unerfahrene wollten mich zwar dazu bewegen, angesichts meines Zustandes den Vollzeitdienst im Bethel aufzugeben, aber ich hörte auf den Rat der reifen Brüder. Sie wiesen mich darauf hin, daß wir alle, ganz gleich, wer wir sind, Probleme haben und daß sie für uns kein Hindernis sein sollten, sondern daß wir sie als eine Herausforderung betrachten sollten, an der Lauterkeit gegenüber Gott festzuhalten. Sie erinnerten mich auch an die Worte Jesu in Lukas 9:62, und so beschloß ich, nicht ‘nach den Dingen zu blicken, die dahinten sind’, sondern weiterhin „standhaft, unbeweglich“, im Werke Jehovas tätig zu sein.
Im Jahre 1964 stand ich vor einer neuen Prüfung. Diesmal ging es um eine Blutübertragung. Nach meiner Kehlkopfoperation war meine Stimme im Laufe der Jahre immer schwächer geworden. Es wurde eine weitere Operation notwendig, um sie zu retten. Einige Ärzte waren nicht bereit, die Operation ohne die Verwendung von Blut vorzunehmen. Mit Jehovas Hilfe blieb ich jedoch standhaft, denn ich wußte, daß sein inspiriertes Gebot an die Nachfolger Christi lautet: ‘Enthaltet euch des Blutes.’ (Apg. 15:29) Schließlich erklärte sich ein Arzt bereit, die Operation ohne Blutübertragung vorzunehmen. Man brachte auf meiner Krankentabelle eine Erklärung meiner religiösen Überzeugung an, so daß jeder es sehen und sich danach richten konnte. Im Jahre 1967 mußte ich mich einer weiteren Krebsoperation unterziehen, aber ich kann immer noch im Bethel mitarbeiten, und dafür bin ich dankbar.
Die genaue Erkenntnis der biblischen Wahrheit, die man durch die ständige Gemeinschaft und durch die Gespräche mit anderen, die Gottes Wort lieben, erlangt, ist mir auch in anderer Hinsicht eine große Hilfe gewesen. Früher konnte ich wegen Dingen, die für mich heute völlig belanglos sind, in Wut geraten. Damals waren diese Dinge für mich wichtig. Ich ließ mich manchmal so weit gehen, daß ich etwas einfach nicht mehr weitermachte, wenn es nicht nach meinem Willen gemacht werden sollte. Im Laufe der Jahre hat jedoch die umwandelnde Kraft einer genauen Erkenntnis große Veränderungen bewirkt, und Jehova hat mich in seiner Barmherzigkeit hier in der Zentrale der Gesellschaft bis heute weiter dienen lassen.
„UNBEWEGLICH“ IM DIENST
Soweit ich festgestellt habe, können wir unsere Dienstaufgabe nur dann ständig mit der gleichen Liebe, dem gleichen Eifer und der gleichen Hingabe erfüllen, die wir am Anfang hatten, wenn wir uns dem heiligen Geist Jehovas nicht widersetzen, sondern wenn wir ihn auf uns wirken lassen. Wir sollten auch stets im Sinn behalten, wer die Dienstzuteilungen in der Versammlung des Volkes Gottes vornimmt. In diesem Zusammenhang denke ich oft an die Erfahrung eines treuen Bruders, der im Jahre 1932 starb.
Bruder R. J. Martin wurde, nachdem er einige Zeit als Vollzeitprediger der Königreichsbotschaft draußen gedient hatte, eingeladen, eine Zeitlang in der Zentrale zu dienen. Als er die Arbeit, für die er extra hereingerufen worden war, beendet hatte, ging er zu C. T. Russell, dem damaligen Präsidenten der Watch Tower Society, und sagte zu ihm, er gehe nun wieder in den Außendienst zurück. Darauf fragte ihn der Präsident: „Wie bist du denn hierhergekommen?“ Bruder Martin antwortete: „Du hast mir ein Telegramm geschickt und mich gebeten, zu kommen.“ „Hast du denn nun ein Telegramm erhalten, in dem du gebeten worden bist, wieder zu gehen?“ fragte Bruder Russell darauf. Bruder Martin blieb, wurde schließlich Fabrikdiener und hatte als solcher die Aufsicht über die ganze Druckerei.
Wenn ich auf die Jahre zurückblicke, in denen ich im Bethel gedient habe, so bin ich auch dankbar für die guten Ratschläge und die zeitgemäßen Warnungen, die uns von Männern in verantwortlichen Stellungen gegeben wurden. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an das, was dem ganzen Personal einmal über einen Zeugen gesagt wurde, der am Glauben Schiffbruch erlitten hatte, weil er das Opfer von Schriften geworden war, die die Unsittlichkeit, die Bibelkritik und die Abstammungslehre in den Vordergrund stellten. Er hatte Pauli Rat nicht befolgt, sich von den „leeren Reden“ abzuwenden, „die verletzen, was heilig ist, und von den widersprechenden Behauptungen der fälschlich so genannten ‚Erkenntnis‘“. (1. Tim. 6:20, 21) Diese guten Ratschläge haben mir geholfen, standhaft und unbeweglich an dem mir zugewiesenen Platz zu bleiben.
STANDHAFTIGKEIT BRINGT SEGEN MIT SICH
Als ich meinen Dienst an der von der Gesellschaft betriebenen Rundfunkstation WBBR auf Staten Island beendet hatte, erhielt ich wieder eine Arbeitszuteilung in der Druckerei in Brooklyn. Das war im Jahre 1946. Zu jener Zeit dehnte sich das Werk erstaunlich aus. Wie begeistert waren doch die vielen Zeugen Jehovas, die im Jahre 1950 aus der ganzen Welt zu dem großen Kongreß im Yankee-Stadion, in New York, kamen! Die meisten von ihnen besichtigten das vergrößerte Bethelheim und die vergrößerte Druckerei. Und wie glücklich waren wir alle, als auf diesem Kongreß die Neue-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften (in Englisch) freigegeben wurde.
Dann kam, im Jahre 1953, wiederum im Yankee-Stadion, der Neue-Welt-Gesellschaft-Kongreß. Ein besonderer Programmpunkt war die Graduierung der 21. Klasse der Wachtturm-Bibelschule Gilead. Es war herzerfreuend zu sehen, wie diese Missionare einer hinter dem anderen auf das Podium traten, um ihre Dienstzuteilung für ein fernes Land, wo biblische Belehrung not tat, entgegenzunehmen.
Etwas sehr Erfreuliches geschah 1955. Die Gesellschaft sorgte dafür, daß alle älteren Glieder des Bethelpersonals nach Europa reisen konnten, um die Kongresse „Triumphierendes Königreich“ zu besuchen. London! Paris! Rom! Nürnberg und Stockholm! Es war für uns ein wunderbares Erlebnis und eine große Stärkung, mit unseren Glaubensbrüdern in diesen Ländern jenseits des Ozeans zusammenzukommen!
Unsere nächste Freude nach unserer Rückkehr von diesen europäischen Kongressen war der Einzug in das neue, dreizehnstöckige Druckereigebäude, das neben der alten Druckerei errichtet worden war. In den Jahren, in denen ich hier als Vollzeitdiener beschäftigt war, habe ich die gewaltige Vergrößerung unserer Druckerei miterlebt. Als ich im Jahre 1923 kam, hatten wir nur eine große Rotationsmaschine. Heute haben wir achtzehn, und vier weitere sind bestellt und werden in nächster Zeit geliefert. Das ist alles wunderbar in unseren Augen, denn wir wissen, daß es nur möglich ist, weil Jehova seinem erhabenen Königreichswerk auf der Erde Gedeihen schenkt.
Weitere, wenn auch keine solch außergewöhnliche Freuden sind die, die wir hier in der Zentrale der Gesellschaft als Glieder einer großen glücklichen Familie ständig erleben. Wir haben unser wöchentliches Wachtturm-Studium, durch das alle systematisch auferbaut werden. Dann haben wir den praktischen Zeitplan, nach dem wir hier alle arbeiten. Alles hat seine Zeit, und die Bethelklingelzeichen sorgen dafür, daß alle einheitlich arbeiten. Auch haben wir dadurch, daß die Wachtturm-Bibelschule Gilead und die Schule zur Ausbildung von Versammlungsaufsehern hier in Brooklyn sind, das einmalige Vorrecht, viele unserer Mitdiener aus aller Welt kennenzulernen. Das ist wirklich herzerfreuend.
Wenn wir bereit sind, jede Aufgabe, die uns in Gottes weltweiter Organisation übertragen wird, anzunehmen und unsere Pflicht treu, unbeweglich, zu erfüllen, finden unsere eifrigen Bemühungen bestimmt Gottes Anerkennung. Eine Aufgabe mag uns als unbedeutend erscheinen, würde sie aber nicht treu erfüllt, so könnten vielleicht viele andere wichtige Dinge nicht verrichtet werden. Wenn wir also demütig bleiben und auf die Verherrlichung des Namens Jehovas, nicht auf unsere Ehre, bedacht sind, können wir überzeugt sein, daß wir allezeit ‘standhaft, unbeweglich, und im Werke Jehovas reichlich beschäftigt’ sein werden.
Ein Vergleich unseres Lebens mit dem Leben einiger unserer früheren Bekannten kann uns oft auch anspornen. Kurz nachdem ich die Botschaft kennengelernt hatte, die Jehovas Zeugen verbreiten, sprach ich einmal einen Schulkollegen an und wollte ihn dafür interessieren. Er lachte und sagte, er teile diese Ansichten nicht, er halte es für das beste, sich zu bemühen, im Geschäftsleben voranzukommen. Später hatte er eine gutgehende Reparaturwerkstätte. Dann stellten sich bei ihm Herzbeschwerden ein, und schließlich verlor er sein ganzes Geschäft. Als ich ihn nach fünfunddreißig Jahren wieder einmal besuchte, brach er während unserer Unterhaltung zusammen und fing an zu weinen, weil er so enttäuscht und verzweifelt war. Ich konnte ihm wenigstens eine sichere Hoffnung auf die Zukunft geben und ihn trösten und ihn dazu anspornen, sein Leben mit Gottes Willen in Übereinstimmung zu bringen.
Wenn ich die vergangenen vierundvierzig Jahre Vollzeitdienst, die ich hier in der Zentrale der Gesellschaft verbracht habe, im Geiste an mir vorüberziehen lasse, dann bereue ich es nicht, als junger Mann diese Laufbahn eingeschlagen zu haben. Ganz gleich, welche Arbeit ich zu verrichten hatte — ob in der Stereotypie, in der Schlosserei, auf der Radiostation WBBR oder in der Versandabteilung —, so konnte ich dadurch stets meine aufrichtige Liebe zu den nach Wahrheit hungernden und dürstenden Menschen in der ganzen Welt beweisen. Die Freude, zu sehen, wie Millionen von Zeitschriften und anderen Publikationen mit der Botschaft aus Gottes Wort in alle Welt versandt wurden, war an sich eine wunderbare Belohnung.
Wenn wir uns eifrig bemühen, anderen ständig zu dienen, halten wir unseren Sinn mit guten Dingen beschäftigt und haben keine Zeit, uns wegen unserer Beschwerden und wegen unserer kleinen Sorgen zu bemitleiden. Und wenn wir auf das, was das gegenwärtige böse System der Dinge zu bieten hat, verzichten und uns die Dinge versagen, die Weltmenschen, wenn auch nur vorübergehend, zu ihrer Befriedigung genießen, dann werden wir das erleben, was Jesus vorhergesagt hatte: „Niemand hat Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Felder um meinetwillen und um der guten Botschaft willen verlassen, der nicht jetzt, in dieser Zeitperiode, hundertfach empfängt: Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Felder, unter Verfolgungen, und in dem kommenden System der Dinge ewiges Leben.“ (Mark. 10:29, 30) Wie könnte man, nachdem man alle diese Beweise der Gunst Jehovas erhalten hat, in dessen Werk anders als standhaft, unbeweglich, sein?