‘Ich zog nicht Fleisch und Blut zu Rate’
Von Emile Schrantz erzählt
WENN ich auf die vielen Jahre zurückblicke, in denen ich Jehova gedient habe, tritt eine Tatsache besonders hervor: „Ich [ging] nicht sogleich mit Fleisch und Blut zu Rate.“ Ich glaube, daß jene Worte, die der christliche Apostel Paulus in Galater 1:16 äußerte, auch in meinem Fall zutreffen. Wieso? Weil ich sowohl gleich zu Beginn meiner christlichen Laufbahn als auch viele weitere Male in meinem Leben ‘nicht Fleisch und Blut zu Rate zog’, sondern Gott und sein Wort.
Als Jugendlicher wußte ich jedoch sehr wenig von Gott. Ich wuchs in Ösling, dem nördlichen Teil des Großherzogtums Luxemburg, auf. Man war bei uns sehr abergläubisch. Zum Beispiel beteten wir zum „heiligen“ Albin, damit er die Kühe vor Krankheiten bewahre, und zum „heiligen“ Celsius, damit er Unfälle und Pferdekrankheiten verhüte. Selbst um den Schutz für die Schweine beteten wir zu einem „Heiligen“.
Mein Vater, der sehr religiös war, hatte bei mir den Wunsch gefördert, Priester zu werden. Ich hatte schon als Ministrant bei der Messe gedient. Aber durch die Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg war das Vertrauen meines Vaters zu den Priestern erschüttert worden. Mir hatte man erzählt, daß ich, wenn ich im Alter von zwölf Jahren zum ersten Mal zur Kommunion ginge, Gott dadurch näherkäme und daß es der schönste Tag meines Lebens sei. Aber obwohl ich mich darauf gründlich vorbereitete, hinterließ dieser Tag bei mir nur ein Gefühl der Leere. Meine Firmung war für mich eine ähnliche Ernüchterung; im Gegensatz zu dem, was man mir versprochen hatte, konnte ich nicht die leiseste Kundgebung des heiligen Geistes wahrnehmen. Mit meinem Wunsch, Priester zu werden, war es vorbei.
Jahre vergingen, und ich gab mich — von Freunden dazu verführt — dem Trunk hin. Aber um das Jahr 1930 pflegte ich jeden Sonntag einen meiner Brüder zu besuchen. Sehr oft sprachen wir über unsere Jugendzeit und unterhielten uns darüber, wie enttäuscht wir waren, weil wir von Gott und seinem Vorsatz nichts wußten. Wir sprachen über die Bibel, die wir noch nie gesehen hatten und die anscheinend nur der Priester besaß. Wiederholt sagte mein Bruder. „Wenn Gott uns nicht mehr zu sagen hat als das, was uns der Priester lehrt, dann gibt es ihn nicht.“ Und er fügte hinzu: „Wenn wir doch nur eine echte Bibel bekommen könnten!“ Bis zu dieser Zeit hatte ich nur ‘Fleisch und Blut zu Rate ziehen können’. Wenn ich doch nur die Bibel hätte haben können, um selbst zu sehen, was von Gott stammt!
GOTT DURCH SEIN WORT ZU RATE GEZOGEN
Es war im Jahre 1933, einige Tage nachdem wir uns mit solchen Gedanken befaßt hatten, da sprach ein Mann bei meinem Bruder vor. Er war ein Bibelforscher, ein Zeuge Jehovas. Er erzählte von biblischen Prophezeiungen. Sogleich fragte mein Bruder ihn, wo er eine Bibel bekommen könne. „Ich kann Ihnen noch heute abend eine bringen“, antwortete der Mann.
Noch am selben Abend kam er mit zwei Exemplaren einer katholischen Übersetzung der Bibel und einigen Broschüren, die eine Hilfe für das Studium der Bibel waren. Am Sonntag darauf erschien mein Bruder bei mir und erklärte mit leuchtenden Augen: „Gott hat uns erhört. Wir haben die Bibel!“ Die Bibel zu haben war, als ob wir Feuer in der Hand gehabt hätten; wir waren fasziniert.
An jenem Tag las ich bis spät in die Nacht in der Bibel. Auch von den bibelerklärenden Broschüren, die der Mann zurückgelassen hatte und die die Titel trugen Gericht, Freiheit für das Volk, Wo sind die Toten? und Himmel und Fegefeuer, war ich beeindruckt.
Das, was ich las, führte dazu, daß ich aufhörte, mit meinen Freunden übermäßig zu trinken. Sie wandten sich daraufhin gegen mich und redeten abfällig über mich. Tatsächlich kämpften Fleisch und Blut gegen mich, doch Jehova war durch sein Wort, die Bibel, in mein Leben getreten, und er siegte.
Einige Wochen später kam mein Bruder durch einen Berufsunfall ums Leben. Damit hatte ich den Menschen verloren, der mein enger Gefährte in der Wahrheit hätte sein können. Ich benötigte andere, auf die ich vertrauen konnte. Ich begann daher, mir wahre Freunde zu suchen, Freunde, die Jehova zu Rate zogen, aber sie befanden sich nicht in meiner Nähe. Sie kamen in Athus zum Bibelstudium zusammen, und das bedeutete für mich, daß ich von Clemency aus, wo ich wohnte, einen Weg von ungefähr 25 Kilometern zurückzulegen hatte. Sooft es meine Arbeit zuließ, besuchte ich die Zusammenkünfte.
Im Jahre 1935 fand ein eintägiger Kongreß in Brüssel statt. Am Abend hielt Bruder Delaunoy vom Zweigbüro der Watch Tower Society in Paris auf diesem Kongreß die Taufansprache, und die Taufe fand in einer Badewanne im Keller des Zweigbüros der Gesellschaft statt. Ich war einer von denen, die getauft wurden. Am darauffolgenden Tag beteiligte ich mich freudig am Predigtdienst, und am Nachmittag waren ungefähr 200 Personen, Angehörige mehrerer Nationen, anwesend.
ALLEIN VOR EINE WICHTIGE ENTSCHEIDUNG GESTELLT
Die gespannte Lage in der Welt erreichte kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ihren Höhepunkt. Die neutrale und kompromißlose Haltung der Zeugen Jehovas brachte es mit sich, daß sie in zunehmendem Maße verfolgt wurden. Mit immer mehr Freimut sprach ich über Gott und seinen Vorsatz, aber das hatte Gegnerschaft und Schwierigkeiten für mich zur Folge. Im Jahre 1935 hatte ich mich zu entscheiden, entweder still zu sein und meine Arbeit in einer Bäckerei zu behalten oder freimütig zu sprechen und die Stelle zu verlieren. Ich traf meine Entscheidung, ohne meine Eltern, einen Freund oder einen anderen Zeugen Jehovas zu Rate zu ziehen. Es gab in meiner Nähe überhaupt niemand, dem ich hätte vertrauen können. Aber ich hatte Jehova und sein Wort. Ich hatte mich entschlossen, mich völlig mit seinem Wort zu befassen, und zwar so lange, wie ich Brot und Wasser hätte.
Ich schrieb daher an das Zweigbüro der Watch Tower Society und bewarb mich als Pionierprediger oder Vollzeitprediger des Wortes Gottes. Einige Wochen später verließ ich das Großherzogtum Luxemburg, um in der angrenzenden Provinz Luxemburg (Belgien) zu predigen. Ganz allein war ich mit dem Fahrrad unterwegs und bearbeitete die waldreiche, hügelige Hochebene der Ardennen, wobei ich mein Vertrauen auf Jehova setzte. Es war ein rauhes Gebiet, und die Menschen befanden sich in geistiger Finsternis. Nicht viele Familien waren geneigt, mich aufzunehmen, doch schließlich öffneten drei oder vier ihre Wohnung für mich und boten mir von Zeit zu Zeit vorübergehend eine Unterkunft.
Im Jahre 1937 sorgte die Gesellschaft dafür, daß ich einen Dienstgefährten bekam. Wir wurden beauftragt, die gute Botschaft in Antwerpen zu predigen. Mit Hilfe meines Gefährten, Andrè Wozniak, lernte ich, sparsam zu leben und mit dem Allernotwendigsten zufrieden zu sein, um im Vollzeitpredigtdienst bleiben zu können. Damals schafften wir es, täglich mit nur 10 belgischen Franc (20 Cent) auszukommen und dabei gesund und glücklich zu bleiben. Wir freuten uns, im Dienste Jehovas zu stehen.
Während wir Gottes Wahrheit in Antwerpen predigten, ging es nicht ohne Probleme ab, weil die Geistlichkeit von unserer unermüdlichen Arbeit gehört hatte und versuchte, sie mit Hilfe der Polizei zu unterbinden. Es war immer wieder dasselbe: Die Polizei verhaftete uns, weil wir angeblich hausierten, ohne eine Genehmigung zu haben. Gewöhnlich wurde die Verhandlung eingestellt, wenn wir erklärten, daß wir das gesetzliche Recht hatten zu predigen; aber wir hatten die Gelegenheit, vor verschiedenen Behörden ein Zeugnis über Gottes Königreich zu geben.
Mit der Invasion der Nationalsozialisten im Jahre 1940 war es mit unserer Freiheit, Gottes Wort in Belgien öffentlich zu predigen, vorbei. In den ersten Kriegstagen ging ich zum Zweigbüro in Brüssel und holte einige Kartons mit biblischer Literatur, um sie vor der Beschlagnahmung zu schützen. Sie sollten sich später für uns als sehr nützlich erweisen.
WÄHREND DER DEUTSCHEN BESETZUNG
Bald begann die Gestapo, uns nachzustellen. Mein Gefährte war zum Zonenaufseher ernannt worden und hatte nun die Aufgabe, die Versammlungen zu besuchen und zu erbauen. Die Gestapo versuchte, ihn zu verhaften, und kam eines Tages während meiner Abwesenheit in meine Wohnung. Man warnte die Eigentümerin, eine Glaubensschwester, die erst kurz zuvor getauft worden war, daß sie ins Gefängnis käme, falls sie der Polizei nicht melden würde, wenn ich zurück sei. Als ich nach Hause kam, erzählte sie mir was geschehen war. Ich bat sie, mich gehen zu lassen, damit ich meine christlichen Brüder warnen könnte und dann würde ich wiederkommen. Ich erreichte eine ganze Anzahl Familien, ließ einen Karton mit biblischer Literatur in einem sicheren Versteck und kehrte dann nach Hause zurück, wobei ich mir bewußt war, was mich erwartete.
Ich hatte niemand, der mir auch nur einen Rat gegeben hätte, was ich tun sollte. Aber ich wollte mein Wort halten und der neugetauften Schwester keine Schwierigkeiten bereiten. Die Gestapo erschien und verhaftete mich. Man fragte mich, wo sich mein Gefährte aufhalte. Ich erklärte, daß er seine „Familie“ besuche. Meinem Fragesteller schien die Antwort vernünftig vorzukommen. Darauf zeigte man mir eine Liste mit Namen von Zeugen Jehovas und wollte wissen, wo sie sich aufhielten. Ich zog es vor, mich über diejenigen zu äußern, die entweder tot waren oder das Land verlassen hatten. Von den anderen würde ich zwar bestimmt viele vom Sehen kennen, sagte ich, doch nicht mit Namen. Nach viertägiger Haft wurde ich in ein Gefängnis in Brüssel überführt.
Die Gestapo wollte mich zwar nicht eher freilassen, als ich ihr Informationen zukommen ließe, die zur Verhaftung meines Gefährten führen würden. Aber nach vierzig Tagen war ich wieder frei. Während all der Verhöre bei der Gestapo schätzte ich die Erkenntnis, die ich über Gott und sein Wort erlangt hatte, sehr, denn ich mußte viele wichtige Entscheidungen treffen, ohne ‘Fleisch und Blut zu Rate ziehen’ zu können.
Nach meiner Freilassung sagte ich mir, es sei klüger, die Gegend zu verlassen, in der ich scharf beobachtet wurde. Ich kehrte in die Ardennen zurück. Von da an wurden mir bis zum Ende des Krieges verschiedene Aufgaben übertragen: Kreisaufseher sowie Übersetzer und Kurier für die im Untergrund hergestellten Druckerzeugnisse (wir druckten den Wachtturm in Deutsch, Französisch, Flämisch, Polnisch, Slowenisch und mitunter auch in Italienisch). Das alles war stets mit einem Risiko verbunden, und deshalb mußte ich ständig auf der Hut sein, bereit, schnell Entscheidungen zu treffen. In einer solchen Zeit fühlt man mehr denn je die Abhängigkeit von Jehova und die Notwendigkeit, ihm auf Schritt und Tritt zu vertrauen; und das tat ich. Ich war es gewohnt, ihn im Gebet um Rat zu bitten, und niemals bat ich ihn vergeblich um Hilfe.
Da ich die von den deutschen Behörden geforderte Arbeitserlaubnis nicht besaß, riskierte ich, nach Deutschland deportiert zu werden, um Zwangsarbeit zu verrichten. Ein Vermerk auf meiner Kennkarte befreite mich jedoch mehr als einmal aus einer mißlichen Lage. Als Beruf war „Missionar“ angegeben. So hielt mich einmal eine Militärstreife an, als ich gerade verbotene biblische Literatur bei mir hatte. Ein Soldat fragte mich nach meiner Arbeitserlaubnis. Ich erwiderte, ich würde keine benötigen, denn ich sei Missionar und würde daher eine Ausnahme bilden. Ein anderer Soldat war auch der Meinung, daß ich keine Arbeitserlaubnis benötigte. Dann fragte er mich, was ich bei mir habe. Es handelte sich um das Bibelstudienhilfsmittel, betitelt Kinder, das in Brüssel im Untergrund gedruckt worden war. Ich erklärte ihm, es sei ein religiöses Buch, in dem Bibelzitate behandelt würden, und damit war er zufrieden.
Da ich es nirgends in Belgien wagen konnte, mich auf einem Rathaus anzumelden, bekam ich von den Behörden auch keine Lebensmittelmarken. Doch ich verhungerte nicht, denn meine christlichen Brüder zeigten eine bemerkenswerte Liebe. Obgleich sie selbst nur das Lebensnotwendige hatten, opferten sie einige Marken und übergaben sie den Zeugen, die beauftragt waren, sie für die Brüder zu sammeln, die sich vor der Gestapo verstecken mußten. Ich war schon zufrieden, zum Frühstück eine schöne Mohrrübe und ein Stück Brot zu haben. Mit der Zeit hatte ich die Einstellung entwickelt, die der Apostel Paulus mit den Worten zum Ausdruck brachte: „Ich habe gelernt, in welchen Umständen ich mich auch immer befinde, selbstgenügsam zu sein“ (Phil. 4:11). Meine Schlafgelegenheiten waren ganz unterschiedlich: Manchmal schlief ich im Heu, dann wieder auf einem Strohsack auf dem Fußboden oder auch auf einer Bank auf dem Bahnhof.
Das sicherste Transportmittel war stets mein Fahrrad, denn damit konnte ich leicht Menschenansammlungen meiden und Kontrollen durch Streifen umgehen. Natürlich waren Reisen über 100 Kilometer oder mehr nicht immer einfach, besonders nicht während der Winterzeit in den Ardennen, wenn Schnee lag oder die Straßen vereist waren. Doch es bereitete uns viel Freude, unseren christlichen Brüdern geistige Speise zu bringen, und durch ihre Wertschätzung wurden wir für die Schwierigkeiten und Gefahren, die wir auf uns genommen hatten, reichlich belohnt. Jehova segnete die Anstrengungen seines Volkes. Das zeigte sich darin, daß vom Jahre 1941 bis zum Ende des Krieges in Belgien die Zahl der Zeugen Jehovas von 100 auf über 600 anstieg.
NICHT MEHR IM UNTERGRUND
Nach der Besatzungszeit wurde mir die Aufgabe übertragen, bei der Neuorganisierung der Versammlungen des Volkes Jehovas mitzuhelfen. Man ließ mich ein Gebiet wählen, in dem noch nicht gepredigt worden war und wo ich als Sonderpionier dienen sollte. Ich wählte die Stadt Arlon, eine Hochburg der Jesuiten in den Südardennen. Nur mit meinem Fahrrad, zwei Koffern und einem tragbaren Grammophon ausgerüstet, auf dem man Platten mit biblischen Vorträgen abspielen konnte, fuhr ich dorthin.
Ich begann mit der Predigttätigkeit von Haus zu Haus. Damals brachte die Zeitschrift Trost (jetzt Erwachet!) gerade Artikel, in denen die Geistlichkeit bloßgestellt wurde. Es erübrigt sich wohl zu sagen, daß meine Tätigkeit die ganze Stadt in Aufruhr versetzte. Aber die Kriegsjahre hatten mich abgehärtet, und ich war entschlossen weiterzupredigen. Es war Fortschritt zu verzeichnen, und schließlich stellte eine interessierte Familie ihre Wohnung für ein Gruppenstudium des Wachtturms zur Verfügung.
Ziemlich viele Frauen in der Gegend waren an einem Bibelstudium interessiert. So bat ich eine christliche Witwe, die im Vollzeitdienst stand, mir bei diesen Bibelstudien zu helfen. Später heirateten wir, und sie wurde meine ständige Gefährtin im Predigtdienst. Mit fünfundvierzig Jahren lernte sie Radfahren, um ihren Pionierdienst verrichten zu können. Das Rad blieb bis zum Jahre 1958 unser Fortbewegungsmittel. Wir konnten vielen Personen in dieser Gegend helfen, und heute gibt es eine blühende Versammlung in dieser Stadt und eine weitere Versammlung in der Nähe.
Später beauftragte mich die Gesellschaft, als Kreisaufseher Versammlungen zu besuchen. Außer drei belgischen Provinzen bereiste ich auch das Großherzogtum Luxemburg. Dort war die Gegnerschaft besonders groß. Die Behörden machten uns das Leben schwer und verhafteten uns oft. Jedesmal beschlagnahmte man unsere Fahrräder und unsere Büchertaschen. Unsere christlichen Brüder besorgten uns dann wieder eine neue Ausrüstung, und so setzten wir unseren Dienst sogleich wieder fort. Schließlich kam der Fall vor das höchste Gericht in Luxemburg und wurde zu unseren Gunsten entschieden. All unser Besitz, den man beschlagnahmt hatte, wurde zurückgegeben.
Später erhielten wir die Gelegenheit, ein anderes Gebiet auszusuchen, wo wir predigen konnten, ein Gebiet, in dem Hilfe dringender benötigt wurde. Wir entschieden uns für Marche-en-Famenne, eine Stadt, die ebenfalls in den Ardennen liegt. Wir fuhren in unser Gebiet und vertrauten darauf, daß wir noch vor Einbruch der Nacht eine Unterkunft finden würden. Doch wir fanden keine. So gingen wir zum Bahnhof zurück, wo plötzlich eine Dame auf uns zukam. Sie fragte, ob wir es seien, die eine Unterkunft suchten. Sie hatte genau das, was wir benötigten. Wiederum begannen wir, Neuland zu erschließen.
Im Laufe der Jahre konnten wir Bibelstudien beginnen, aber es erforderte viel Ausdauer, denn erst nach acht Jahren harter Arbeit wurde unsere Küche für unsere Zusammenkünfte zu klein. Doch die Grundlage war gelegt, und die Versammlung wuchs. So erhielten wir im Jahre 1967 eine Zuteilung für ein anderes Gebiet — Aywaille und Umgebung, in der Nähe von Liege.
Wiederum hatten wir das Vorrecht, eine Versammlung praktisch aus dem Nichts aufbauen zu helfen. Die Versammlung gedieh schließlich so gut, daß sie sich im Jahre 1972 passende Räume einrichten konnte.
Anfang 1971 wurde meine Frau plötzlich krank. Es stellte sich heraus, daß sie Krebs hatte und nicht mehr geheilt werden konnte. Fünfundzwanzig Jahre war sie meine treue Gefährtin gewesen und hatte mit mir Leiden erduldet und Opfer gebracht, damit das Licht der Wahrheit Gottes in Luxemburg scheinen konnte.
Es ergeht mir wie dem Apostel Paulus, der viele Schwierigkeiten durchgemacht hatte, aber wußte, daß er Jehovas Anerkennung hatte. Ich bin glücklich, so viele Jahre im Vollzeitpredigtdienst gewesen zu sein. Keineswegs bedaure ich, nicht ‘Fleisch und Blut zu Rate gezogen’ zu haben, bevor ich mich entschloß, Jehova mit all meiner leistungsfähigen Kraft zu dienen. Wenn ich nochmals ganz von vorn anfangen müßte, würde ich ebenso wie im Jahre 1936 mein Fahrrad nehmen und mich aufmachen, um Gottes Wort zu predigen. Großzügig hat Jehova für all meine Bedürfnisse gesorgt. Es ist mein Wunsch, die mir von ihm übertragene Aufgabe treu zu erfüllen.