Ein größeres Problem als die Drogensucht
WELCHER Sucht sind weit mehr Menschen versklavt als der Heroinsucht, ja viele Millionen mehr?
Wodurch läuft jemand siebenmal mehr Gefahr, sein Leben durch einen Unfall zu verlieren, als seine Mitmenschen?
Was ist nach Herzkrankheiten und Krebserkrankungen das größte gesundheitliche Problem in den Vereinigten Staaten und in vielen Ländern Europas?
Die Antwort lautet: der chronische Alkoholismus.
Der Genuß alkoholischer Getränke geht bis in die früheste Zeit der Menschheitsgeschichte zurück. Der Mißbrauch solcher Getränke ist fast ebenso alt. Millionen Menschen genießen heute Wein, Bier oder andere alkoholische Getränke, ohne irgendwelchen gesundheitlichen Schaden davonzutragen oder ihre Denkkraft oder ihre persönliche Sicherheit zu beeinträchtigen. Doch in den Vereinigten Staaten ist heutzutage jeder zehnte derer, die Alkohol genießen, entweder ein ausgesprochener Alkoholiker oder ein „Problemtrinker“, das heißt einer, der sich selbst oder ihm nahestehenden Personen Unannehmlichkeiten bereitet.
In Frankreich, einem Land, in dem auf je 250 Menschen ein Café oder eine Bar kommt, ergab eine Rundfrage, daß der Alkoholmißbrauch für nahezu jeden vierten Mann und jede zwölfte Frau ein Problem ist. Man schätzt, daß jährlich 30 000 Menschen an einer Krankheit sterben, die auf Alkoholmißbrauch zurückzuführen ist. Der französische Gesundheitsminister Michel Poniatowski sagte im vergangenen Jahr: „Wir wollen nicht um die Sache herumreden — der Alkoholismus ist eine nationale Plage.“
Besonders traurig ist, daß sich der Alkoholismus auch unter jungen Menschen ausbreitet. Die Londoner Times berichtet, daß sich die Fälle von Trunkenheit unter den Teenagern Großbritanniens, besonders unter Mädchen, sehr mehren.
Dr. Morris Chafetz, Direktor des Nationalen Instituts für Alkohol und Alkoholmißbrauch in den Vereinigten Staaten, sagte: „Es ist nichts Ungewöhnliches, 9-, 10-, 11- oder 12jährige Kinder anzutreffen, für die der Alkoholismus ein ernsthaftes Problem ist. Es handelt sich um ein weit schwerwiegenderes Problem, als wir es uns je vorgestellt haben.“ Die Anonymen Alkoholiker haben „AA-Gruppen für Jugendliche“, also für junge Leute unter zwanzig Jahren, eingerichtet. Allein in der Stadt New York gibt es schätzungsweise 66 000 junge Menschen im Alter von 12 bis 18 Jahren, die mit dem Problem der Trunksucht zu kämpfen haben.
WEITREICHENDE AUSWIRKUNGEN AUF DAS LEBEN DER MENSCHEN
In der Bibel heißt es: „Wein selbst erfreut das Leben“ (Pred. 10:19; vergleiche Psalm 104:15; Prediger 9:7). Doch finden wir auch die warnenden Worte: „Der Wein ist ein Spötter, berauschendes Getränk ist ungestüm, und jeder, der davon irregeht, ist nicht weise“ (Spr. 20:1). Betrachten wir, wie jemand durch übermäßigen Alkoholgenuß zum Gespött werden kann.
Einige Personen können überraschend große Mengen alkoholischer Getränke zu sich nehmen, und trotzdem hat man nicht den Eindruck, daß sie „betrunken“ sind. Eine Umfrage der französischen Zeitung Le Monde ergab, daß die meisten Alkoholiker in Frankreich täglich vier bis fünf Liter Wein trinken, aber äußerlich oft nur geringe Zeichen von Trunkenheit erkennen lassen. Trotzdem verhält es sich mit dem übermäßigen Alkoholgenuß so, wie wir in Sprüche 23:32 lesen: „Am Ende beißt er so wie eine Schlange, und er sondert Gift ab so wie eine Viper.“ Eines der ersten Anzeichen für diese Vergiftung mag der bekannte „Kater“ sein, der sich durch Brechreiz, Kopfschmerzen, eine nervöse Unruhe, Zittern, Schweißausbrüche, Magenbeschwerden und einen ungeheuren Durst äußert (und zwar als Folge davon, daß Wasser aus den Zellen in Bereiche außerhalb der Zellwände abgezogen wird).
Die Nachwirkungen sind zwar nicht so aufsehenerregend, doch wesentlich schwerwiegender. Alkoholische Getränke sind kalorienreich. Aber es handelt sich dabei um „leere“ Kalorien, die nicht die geringsten Mengen Vitamine, Mineralien oder Aminosäuren aufweisen. Der starke Trinker unterläßt es häufig, normal zu essen, wodurch sich schließlich aufgrund einer falschen Ernährungsweise Mangelerscheinungen einstellen. Diese spielen bei Krankheiten, an denen Alkoholiker leiden, eine bedeutende Rolle. Davon wird besonders die Leber betroffen, die bereits bei der Umsetzung (dem „Verbrennen“ oder dem Verbinden mit Sauerstoff) des Alkohols Schwerarbeit zu leisten hat, und irgendwann tritt Leberzirrhose ein — eine der häufigsten Todesursachen unter Alkoholikern, die das Trinken nicht aufgeben.
Übermäßige Mengen Alkohol reizen die Mund-, Rachen- und Magenschleimhäute. Einige französische Mediziner glauben, daß in ihrem Land 90 Prozent der Krebsfälle, bei denen Mund, Rachen oder Kehlkopf betroffen ist, auf Alkoholismus zurückzuführen sind. Mit der Zeit mag sich der Trinker im Delirium tremens — einem Zustand, in dem ein heftiges Schütteln auftritt sowie furchterregende Halluzinationen und auch Lähmungen — befinden, und obgleich dieser Zustand nur drei bis zehn Tage anhält, führt er oft zum Tode.
Noch schwerwiegender — und unmittelbarer — wirkt sich die Alkoholsucht auf das Verhalten des Betreffenden aus. Das ist darauf zurückzuführen, daß Alkohol, sobald er in den Blutkreislauf aufgenommen wird, zuallererst die wichtigen Funktionen des Gehirns beeinträchtigt — den Denk- und Lernvorgang, das Erinnerungsvermögen sowie die ausschlaggebende Entscheidungs- und Urteilskraft. Eine kleine Menge Alkohol hat bei den meisten Menschen nur geringfügige Auswirkungen. Trinkt jemand aber innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeit mehrmals, so nehmen sein Erinnerungsvermögen, seine Konzentration und seine Fähigkeit, Probleme zu lösen, schnell ab. Für das Gehirn ist es dann schwierig, mehrere Informationen zugleich zu verarbeiten (Ps. 107:27). Das Sehvermögen wird beeinträchtigt; der Betreffende nimmt vielleicht nur die Hälfte seines Gesichtsfeldes wahr oder hat das Gefühl, er schaue durch ein falsch eingestelltes Fernglas. Doch aufgrund der etwas hypnotischen Wirkung des Alkohols mag der Betrunkene denken, daß er seine Sinne immer noch völlig beherrsche (Jes. 28:7).
Da die Wachsamkeit und die vom Gehirn gesteuerten Reflexe bei einem hohen Alkoholgehalt des Blutes nachlassen, beschwört der Betreffende eine große Gefahr herauf, wenn er sich an das Steuer eines Kraftfahrzeugs setzt. Der Alkoholmißbrauch spielt bei mindestens der Hälfte der Unfälle eine Rolle, die sich auf den Autobahnen der Vereinigten Staaten ereignen und bei denen jährlich 55 000 Menschen das Leben verlieren und eine Million Menschen schwere Verletzungen davontragen. In Ländern, die das gesetzliche Alter für den Alkoholgenuß auf 18 Jahre herabgesetzt haben, ist die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle, die von betrunkenen jugendlichen Fahrern verursacht werden, auffallend gestiegen.
Am tragischsten wirkt sich der Alkoholismus auf das Familienleben aus. Für den Ehegefährten und die Kinder des Alkoholikers kann das Leben zur Qual werden. Das Leben Jugendlicher mag nachteilig beeinflußt oder für immer gezeichnet werden. In den USA ist die Rate der Ehescheidungen oder Trennungen unter Alkoholikern siebenmal höher als unter der übrigen Bevölkerung. In Frankreich spielt der Alkoholismus bei einem Viertel aller Selbstmorde und der Hälfte aller Morde eine Rolle. (Vergleiche Sprüche 4:17.) Forschungen haben ergeben, daß Mütter, die chronische Alkoholiker sind, geschädigte Kinder zur Welt bringen mögen — Kinder, die mit einem abnorm kleinen Kopf oder mit einem unsymmetrischen Gesicht geboren werden, die Behinderungen in der Wachstumsfähigkeit oder eine unterdurchschnittliche Intelligenz aufweisen.
Der chronische Alkoholiker ist ein schlechter Arbeitnehmer; er kann bei weitem nicht soviel leisten, wie es seine Fähigkeiten normalerweise zuließen. Er bleibt viel häufiger unentschuldigt der Arbeit fern, ist zweimal so oft krank und häufiger in Arbeitsunfälle verwickelt als andere Arbeitnehmer. Außer daß seine Leistungsfähigkeit mangelhaft ist, beeinträchtigt er im allgemeinen auch die Leistungsfähigkeit seiner Arbeitskollegen. (Vergleiche Sprüche 21:17; 23:20, 21.) Man schätzt, daß der Alkoholismus den Handel und die Industrie allein in den Vereinigten Staaten jährlich 12 000 000 000 $ kostet. Die Alkoholsucht führt zu einem Zusammenbruch der Moral und zu einem Ansteigen der Kriminalität. Untersuchungen zeigen, daß es in vielen Fällen von der Trunksucht zur Drogensucht nur ein Schritt ist.
Viele Staaten sind auf der Suche nach einer Lösung für dieses bedeutende Problem. Das heißt, sie bemühen sich, herauszufinden, weshalb und wie jemand ein Alkoholiker wird, um zu wissen, welche Präventivmaßnahmen ergriffen werden können oder welche Behandlung bei einem Alkoholabhängigen Erfolg verspricht. Zu welchen Ergebnissen ist man in dieser Hinsicht gelangt, und worin besteht die wirkliche Lösung?
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Der Körper mancher Menschen kann stündlich 0,009 Liter reinen Alkohol abbauen. Bier 0,23 l. Whisky 0,02 l. Wein 0,08 l.
Alkohol gelangt sehr bald nach dem Genuß auf dem Wege über die Blutbahn ins Zentralnervensystem und wirkt hemmend auf die Funktionen des Gehirns.
Die motorischen Zentren des Gehirns mögen erst nach mehreren Gläsern beeinträchtigt werden, so daß man zu torkeln beginnt. Doch sei auf der Hut! Die Schranken der Selbstbeherrschung fallen bereits früher. In Hosea 4:11 heißt es: „Wein und süßer Wein sind das, was den guten Beweggrund wegnimmt.“
Schon eine geringe Menge kann sich nachteilig auswirken; einige mögen mehr trinken, ohne daß man es ihnen anmerkt. Denke nicht, du könntest uneingeschränkt trinken, nur weil andere es tun.