Aus Liebe zu Gottes Wort
WICHTIGE Nachrichten werden oft in die verschiedensten Sprachen übersetzt, damit sie von so vielen Menschen wie möglich verstanden werden. Auch die Bibel — das Wort Gottes — übermittelt uns eine wichtige Nachricht. Sie wurde zwar schon vor langer Zeit niedergeschrieben, aber was darin steht, dient „unserer Unterweisung“, gibt uns Zuversicht und lässt uns hoffnungsvoll in die Zukunft schauen (Römer 15:4).
Es liegt daher auf der Hand, dass die Bibel mit einer so wichtigen Nachricht — der wichtigsten überhaupt — in viele Sprachen übersetzt werden muss. Zu allen Zeiten haben Menschen sogar trotz schwerer Krankheit, staatlichen Verbots oder unter Androhung der Todesstrafe mit ganzer Kraft unbeirrt daran gearbeitet, sie zu übersetzen. Warum taten sie das? Aus Liebe zu Gottes Wort! Der nun folgende Bericht gewährt uns einen kleinen Einblick in die außergewöhnliche Geschichte der Bibelübersetzung.
„Engländer verstehen das Gesetz des Christus am besten in Englisch“
John Wyclif wurde um 1330 in England geboren. Zu seiner Zeit hielt man die Gottesdienste in Latein ab — die Volkssprache hingegen war Englisch. Somit sprach das gemeine Volk im Alltag mit den Nachbarn und sogar im Gebet zu Gott Englisch.
Wyclif, der als katholischer Geistlicher zwar fließend Lateinisch sprach, verwahrte sich dagegen, das Wort Gottes in Latein zu lehren, einer Bildungssprache, die nur eine kleine Oberschicht beherrschte. Er erklärte: „Gottes Gesetz sollte in der Sprache vermittelt werden, die am leichtesten zu verstehen ist, denn was vermittelt wird, ist ja schließlich das Wort von Gott.“ So stellten er und seine Mitarbeiter eine Arbeitsgruppe zusammen, um die Bibel ins Englische zu übersetzen — eine Arbeit, die rund 20 Jahre in Anspruch nehmen sollte.
Die Bibel in Englisch — diese Vorstellung war der katholischen Kirche gar nicht willkommen. Das Buch Mysterien des Vatikans (1865) erklärt, weshalb: „Nunmehr fingen selbst die Laien an, den römischen Katholicismus mit der Einfachheit des Urchristenthums zu vergleichen . . . Natürlich wurde hiedurch der Gegensatz zwischen Evangelium und Romanismus [Papsttum] jedem Denkenden klar und gar.“
Papst Gregor XI. erließ fünf Bullen, in denen er ein scharfes Vorgehen gegen Wyclif forderte. Doch der Mann war nicht aufzuhalten. Er konterte: „Engländer verstehen das Gesetz des Christus am besten in Englisch. Moses hörte Gottes Gesetz in seiner Muttersprache, und so war es auch im Fall der Apostel Christi.“ Um 1382, kurz bevor Wyclif starb, erschien die erste vollständige Bibel der Arbeitsgruppe um Wyclif in englischer Sprache. Etwa 10 Jahre danach gab einer seiner Mitarbeiter eine revidierte Ausgabe heraus, die leichter zu lesen war.
Zu jener Zeit, da der Buchdruck noch nicht erfunden war, musste jede einzelne Seite des Manuskripts peinlichst genau von Hand vervielfältigt werden. Für eine ganze Bibel konnte das bis zu zehn Monate Arbeit bedeuten. Die Vorstellung, die Bibel könnte in Umlauf kommen, beunruhigte die Kirche dennoch so sehr, dass ein Erzbischof damit drohte, jeden, der darin liest, zu exkommunizieren. Auf Anordnung eines päpstlichen Konzils hin ließ man nach über 40 Jahren Wyclifs Gebeine exhumieren und verbrennen. Die Asche warf man in den Fluss Swift. Doch wer damals ernsthaft nach der Wahrheit suchte, setzte alles daran, sich Wyclifs Bibel zu beschaffen. Der Jurist William M. Blackburn stellte fest: „Zahllose Abschriften der Wyclif-Bibel wurden angefertigt, im großen Stil verbreitet und der Nachwelt hinterlassen.“
Die Bibel für den einfachen Bauernjungen
Nur 200 Jahre nachdem Wyclif die Bibel übersetzt hatte, hatte sich die englische Sprache völlig verändert. So musste William Tyndale, ein junger Prediger in der Nähe von Bristol, enttäuscht feststellen, dass nur wenige in der Lage waren, die Bibel zu verstehen. Ein gebildeter Mann erklärte ihm einmal, man könne eher auf das Gesetz Gottes verzichten als auf das des Papstes. Tyndale entgegnete, wenn Gott es ihm gestatte, werde er binnen Kurzem dafür sorgen, dass selbst ein einfacher Bauernjunge hinter dem Pflug mehr über die Bibel wisse als der gebildete Mann.
William Tyndale, der seine Heimat verlassen musste und nach Deutschland gegangen war, begann 1524 die Bibel direkt aus dem Hebräischen und Griechischen zu übersetzen — im Gegensatz zu Wyclif, dessen Übersetzung die lateinische Vulgata zugrunde lag. Und anders als Wyclif, der seine Ausgabe von Hand vervielfältigen musste, ließ Tyndale sein Manuskript von einer Druckerei in Köln drucken. Bald schon erfuhren seine Feinde davon und überzeugten den Stadtrat von Köln, alle Exemplare zu beschlagnahmen.
Tyndale floh nach Worms, wo er seine Arbeit fortsetzte. Schon kurze Zeit darauf gelangten die ersten Ausgaben seiner Übersetzung der Griechischen Schriften heimlich nach England. Dort fanden sie in nur sechs Monaten einen so reißenden Absatz, dass die Bischöfe eine Krisensitzung einberiefen und verfügten, die Bibeln zu verbrennen.
Das Bibellesen sollte eingedämmt und dem Wirken des „Ketzers“ Tyndale ein Ende bereitet werden. Daher beauftragte der Bischof von London den Staatsmann Sir Thomas More, Tyndale zu diskreditieren. More empörte sich besonders darüber, dass Tyndale nicht von „Kirche“, sondern von „Versammlung“ sprach und statt „Priester“ die Ausdrücke „älterer Mann“ oder „Ältester“ gebrauchte. Das untergrub die Autorität des Papstes und wandte sich gegen die Unterscheidung in Geistliche und Laien. Thomas More verwarf auch die Wiedergabe des griechischen Wortes agápē mit „Liebe“ anstelle von „Wohltätigkeit“. „Auch das war eine für die Kirche gefährliche Anschauung, denn sie setzte die Wohltätigkeit offensichtlich herab und war dazu angetan, den überaus lukrativen Wert des Ablasshandels, der Schenkungen und Erbnachlässe der Gläubigen zu untergraben, die sie erbrachten, weil man sie glauben machte, sich damit ihren Weg in den Himmel ebnen zu können“, heißt es in dem Buch If God Spare My Life.
Nachdem sich Thomas More dafür eingesetzt hatte, „Ketzer“ zu verbrennen, traf es im Oktober 1536 auch Tyndale: Er wurde zuerst erdrosselt und dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Thomas More seinerseits sollte ein ähnliches Schicksal ereilen — nachdem er beim König in Ungnade gefallen war, wurde er enthauptet. 1935 sprach die römisch-katholische Kirche Thomas More schließlich heilig und Papst Johannes Paul II. erhob ihn im Jahr 2000 zum Schutzpatron der Regierenden und Politiker.
Eine solche Ehre wurde Tyndale nie zuteil. Doch noch vor seinem Tod hatte sein Gefährte Miles Coverdale die Übersetzung Tyndales vervollständigt — die erste englische Übersetzung aus den Originalsprachen. Nun konnte jeder einfache Bauernjunge das Wort Gottes lesen und verstehen. Doch wie verhielt es sich mit dem Übersetzen der Bibel in andere Sprachen?
„Ein Ding der Unmöglichkeit“
Allen Einwänden seiner Familie und seiner Freunde zum Trotz brach der englische Missionar Robert Morrison 1807 nach China auf. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, die ganze Bibel in Chinesisch herauszugeben. Sein Vorhaben war keine leichte Aufgabe. Charles Grant, der damalige Direktor der britischen Handelsgesellschaft „East India Company“, kam zu dem Schluss: „Das Unterfangen schien eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.“
Nach seiner Ankunft erfuhr Morrison jedoch, dass es den Chinesen unter Androhung der Todesstrafe untersagt war, Ausländer in ihrer Sprache zu unterrichten. Morrison, dem es gelungen war, Personen zu finden, die ihm Chinesisch beibrachten, ging daher eine Zeit lang nicht aus dem Haus, um sich und seine Lehrer zu schützen. Es wird berichtet, „dass er nach zwei Jahren Unterricht in der Lage war, sowohl in Mandarin als auch in mehr als einem Dialekt zu lesen und zu schreiben“. Zwischenzeitlich war ein Edikt des Kaisers ergangen, wonach das Drucken christlicher Bücher unter Todesstrafe stand. Doch trotz all der Gefahren vollendete er am 25. November 1819 die Übersetzung der Bibel ins Chinesische.
Bis 1836 wurden 2 000 Bibeln in Chinesisch gedruckt, außerdem 10 000 Exemplare der Griechischen Schriften und 31 000 verschiedene Bibelteile. Das „Ding der Unmöglichkeit“ war möglich geworden. Wodurch? Aus Liebe zu Gottes Wort.
Die Bibel im Kissen
Nur zwei Wochen nach der Hochzeit im Februar 1812 machte sich der amerikanische Missionar Adoniram Judson mit seiner Frau Ann auf eine Reise ins Ungewisse; schließlich ließen sie sich 1813 in Birmaa nieder. Kaum dort angekommen begannen sie unverzüglich, Birmanisch zu lernen — eine Sprache, die zu den schwierigsten der Welt zählt. Wenige Jahre später schrieb Judson: „Wir eignen uns eine Sprache an, die von Menschen am anderen Ende der Welt gesprochen wird, deren Denken in so ganz anderen Bahnen abläuft als das unsere . . . Wir haben kein Wörterbuch und keinen Übersetzer, um auch nur ein einziges Wort erklärt zu bekommen.“
Judson ließ sich von den sprachlichen Hindernissen nicht abschrecken. Seine Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften in Birmanisch brachte er im Juni 1823 zum Abschluss. Als kurz darauf in Birma Krieg ausbrach, wurde er der Spionage verdächtigt. Man warf ihn in den Kerker und band ihn zeitweilig mit drei Ketten an eine lange Stange, wodurch er sich kaum bewegen konnte. „Eins der ersten Dinge, nach denen Hr. Judson sich erkundigte, sobald ihm und Fr. Judson gestattet wurde, sich zu sehen und in Englisch miteinander zu sprechen, war das Manuskript der Übersetzung des Neuen Testaments“, berichtete Francis Wayland in seiner Judson-Biografie von 1853. Aus Furcht, das unter dem Haus vergrabene Manuskript könnte durch Feuchtigkeit und Schimmel zerstört werden, nähte seine Frau es in ein Kissen ein und schmuggelte es so zu ihrem Mann ins Gefängnis. Auf abenteuerliche Weise überlebte das Manuskript.
Nach vielen Monaten wurde Judson schließlich aus der Haft entlassen. Doch seine Freude war nur von kurzer Dauer. Noch im selben Jahr verlor er seine Frau Ann, die ein heftiges Fieber innerhalb weniger Wochen dahinraffte. Und nur sechs Monate später starb seine noch nicht ganz zwei Jahre alte Tochter Maria an einer unheilbaren Krankheit. Obwohl zutiefst bekümmert, vergrub sich Judson in seine Arbeit. 1835 hatte er es geschafft — die Bibel war vollständig übersetzt.
Wie sehr lieben wir das Wort Gottes?
Liebe zu Gottes Wort, wie sie diese Männer empfanden, ist nichts Neues. Schon der Psalmenschreiber im alten Israel rief aus: „Wie liebe ich doch dein Gesetz! Den ganzen Tag befasse ich mich damit“ (Psalm 119:97). Die Bibel ist mehr als nur ein literarisches Meisterwerk. Sie übermittelt uns eine wichtige Nachricht. Fragen wir uns doch einmal: Liegt mir Gottes Wort so sehr am Herzen, dass ich regelmäßig darin lese? Eins ist sicher, wer das tut und sich bemüht, danach zu leben, „der wird glücklich sein“! (Jakobus 1:25).
[Fußnote]
a Die offizielle Staatsbezeichnung für Birma ist heute Myanmar, die Amtssprache Birmanisch.
[Herausgestellter Text auf Seite 8]
„Engländer verstehen das Gesetz des Christus am besten in Englisch“ JOHN WYCLIF
[Bilder auf Seite 9]
William Tyndale und eine Seite der Tyndale-Bibel
[Bildnachweis]
Tyndale: Aus dem Buch The Evolution of the English Bible
[Bilder auf Seite 10]
Robert Morrison und seine Bibelübersetzung in Chinesisch
[Bildnachweis]
Im Besitz der Asian Division of the Library of Congress
Robert Morrison, Stich von W. Holl, The National Portrait Gallery Volume IV, herausgegeben um 1820 (Lithografie), George Chinnery (1774-1852)/Privatsammlung/Ken Welsh/The Bridgeman Art Library International
[Bilder auf Seite 11]
Adoniram Judson und seine Bibelübersetzung in Birmanisch
[Bildnachweis]
Judson: Stich von John C. Buttre/Dictionary of American Portraits/Dover
[Bildnachweis auf Seite 8]
Wyclif: Aus dem Buch The History of Protestantism (Bd. I); Bibel: Mit frdl. Gen.: American Bible Society Library, New York