Das Gesetz des Christus
„[Ich bin] unter Gesetz gegenüber Christus“ (1. KORINTHER 9:21).
1, 2. (a) Wie hätten im Verlauf der Menschheitsgeschichte viele Fehler vermieden werden können? (b) Welche Lehre hätte die Christenheit eigentlich aus der Geschichte des Judaismus ziehen müssen?
„VÖLKER und Regierungen [haben] niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt.“ Das sagte ein deutscher Philosoph des 19. Jahrhunderts. Der Verlauf der Menschheitsgeschichte wurde sogar schon als „Parade der Torheit“ bezeichnet, als eine Reihe entsetzlicher Irrtümer und Krisen, von denen viele hätten vermieden werden können, wenn die Menschheit nur bereit gewesen wäre, aus früheren Fehlern zu lernen.
2 In dieser Abhandlung über das göttliche Gesetz geht es ebenfalls um die Weigerung, aus früheren Fehlern zu lernen. Jehova Gott ersetzte das mosaische Gesetz durch ein noch besseres Gesetz — durch das Gesetz des Christus. Doch die Führer der Christenheit, die dieses Gesetz angeblich lehren und ausleben, haben versäumt, etwas aus der unglaublichen Torheit der Pharisäer zu lernen. Deshalb hat die Christenheit das Gesetz des Christus genauso verdreht und mißbraucht, wie es der Judaismus mit dem Gesetz Mose getan hat. Wie ist das möglich? Betrachten wir zunächst einmal dieses Gesetz — worum es sich dabei handelt und wen es leitet sowie das, was es vom mosaischen Gesetz unterscheidet. Anschließend werden wir uns damit beschäftigen, wie die Christenheit es mißbraucht hat. Mögen wir dadurch aus der Geschichte lernen und daraus Nutzen ziehen!
Der neue Bund
3. Was verhieß Jehova in bezug auf einen neuen Bund?
3 Wer außer Jehova könnte ein vollkommenes Gesetz verbessern? Der mosaische Gesetzesbund war vollkommen (Psalm 19:7). Trotzdem verhieß Jehova: „Siehe! Es kommen Tage ...[,] da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen; nicht einen wie den Bund, den ich mit ihren Vorvätern schloß.“ Die Zehn Gebote — der Kern des mosaischen Gesetzes — wurden auf Steintafeln geschrieben. Doch von dem neuen Bund sagte Jehova: „Ich will mein Gesetz in ihr Inneres legen, und in ihr Herz werde ich es schreiben“ (Jeremia 31:31-34).
4. (a) Welches Israel ist in den neuen Bund aufgenommen worden? (b) Wer steht außer den geistigen Israeliten unter dem Gesetz des Christus?
4 Wer sollte in den neuen Bund aufgenommen werden? Gewiß nicht das buchstäbliche ‘Haus Israel’, das den Mittler dieses Bundes verwarf (Hebräer 9:15). Nein, das neue „Israel“ sollte das „Israel Gottes“ sein, eine Nation geistiger Israeliten (Galater 6:16; Römer 2:28, 29). Der kleinen Gruppe geistgesalbter Christen sollte sich später eine „große Volksmenge“ aus allen Nationen anschließen, die ebenfalls Jehova anbeten würde (Offenbarung 7:9, 10; Sacharja 8:23). Letztere würde zwar nicht in den neuen Bund aufgenommen werden, wäre aber trotzdem an das Gesetz gebunden. (Vergleiche 3. Mose 24:22; 4. Mose 15:15.) Als „e i n e Herde“ unter „e i n e m Hirten“ würden alle „unter Gesetz gegenüber Christus“ sein, wie der Apostel Paulus schrieb (Johannes 10:16; 1. Korinther 9:21). Paulus bezeichnete den neuen Bund als einen ‘besseren Bund’. Warum? Er ist unter anderem auf erfüllte Verheißungen gegründet statt auf prophetische Vorbilder (Hebräer 8:6; 9:11-14).
5. Was ist der Zweck des neuen Bundes, und warum wird er diesen Zweck auch erfüllen?
5 Was ist der Zweck des neuen Bundes? Durch ihn soll zum Segen der ganzen Menschheit eine Nation von Königen und Priestern hervorgebracht werden (2. Mose 19:6; 1. Petrus 2:9; Offenbarung 5:10). Unter dem mosaischen Gesetzesbund wurde diese Nation nie im eigentlichen Sinn hervorgebracht, da Israel als Ganzes rebellierte und seine Gelegenheit dadurch verspielte. (Vergleiche Römer 11:17-21.) Der neue Bund wird dagegen auf jeden Fall erfolgreich sein, weil er mit einem vollkommen andersartigen Gesetz in Verbindung steht. In welcher Hinsicht ist es anders?
Das Gesetz, das zur Freiheit gehört
6, 7. Inwiefern bietet das Gesetz des Christus größere Freiheit als das mosaische Gesetz?
6 Das Gesetz des Christus wird wiederholt mit Freiheit in Verbindung gebracht (Johannes 8:31, 32). Es wird als „das Gesetz eines freien Volkes“ bezeichnet und als „das vollkommene Gesetz, das zur Freiheit gehört“ (Jakobus 1:25; 2:12). Natürlich ist jegliche Freiheit unter den Menschen relativ. Trotzdem bietet dieses Gesetz weit größere Freiheit als sein Vorläufer, das mosaische Gesetz. Inwiefern?
7 Zum Beispiel kommt niemand durch Geburt unter das Gesetz des Christus zu stehen. Faktoren wie Rasse und Geburtsort spielen keine Rolle. Wer ein wahrer Christ wird, hat aus freien Stücken in seinem Herzen beschlossen, das Joch des Gehorsams gegenüber diesem Gesetz auf sich zu nehmen. Und wenn er es tut, stellt er fest, daß es ein sanftes Joch ist, eine leichte Last (Matthäus 11:28-30). Das mosaische Gesetz sollte dem Menschen bekanntlich vor Augen führen, daß er sündig ist und unbedingt ein Loskaufsopfer benötigt, das ihn erlöst (Galater 3:19). Das Gesetz des Christus lehrt dagegen, daß der Messias kam, sein Leben niederlegte, um den Loskaufspreis zu bezahlen, und uns die Möglichkeit eröffnete, von der furchtbaren Bedrückung durch Sünde und Tod befreit zu werden (Römer 5:20, 21). Damit wir aus diesem Opfer Nutzen ziehen können, müssen wir daran ‘Glauben ausüben’ (Johannes 3:16).
8. Was schließt das Gesetz des Christus ein, aber warum kann man danach leben, ohne sich Hunderte von Gesetzen einprägen zu müssen?
8 ‘Glauben ausüben’ schließt ein, gemäß dem Gesetz des Christus zu leben. Dazu gehört Gehorsam gegenüber allen Geboten Christi. Bedeutet das, sich Hunderte von Gesetzen und Geboten einprägen zu müssen? Nein. Im Gegensatz zu Moses, der als Mittler des alten Bundes das mosaische Gesetz niederschrieb, zeichnete Jesus, der Mittler des neuen Bundes, kein einziges Gesetz auf. Er lebte statt dessen dieses Gesetz. Durch seine vollkommene Lebensführung gab er ein Beispiel, das alle nachahmen sollten (1. Petrus 2:21). Möglicherweise deshalb wurde die Anbetung der ersten Christen als der „WEG“ bezeichnet (Apostelgeschichte 9:2; 19:9, 23; 22:4; 24:22). Das Gesetz des Christus wurde ihnen durch das Leben Christi veranschaulicht. Jesus nachzuahmen bedeutete, seinem Gesetz zu gehorchen. Die Christen bewiesen durch ihre innige Liebe zu Jesus, daß ihnen das Gesetz, wie vorausgesagt, tatsächlich auf das Herz geschrieben worden war (Jeremia 31:33; 1. Petrus 4:8). Und wer aus Liebe gehorcht, fühlt sich niemals unterdrückt — ein weiterer Grund dafür, warum das Gesetz des Christus als „das Gesetz eines freien Volkes“ bezeichnet werden kann.
9. Was ist das Wesentliche des Gesetzes des Christus, und inwiefern schließt dieses Gesetz ein neues Gebot ein?
9 Die Liebe, die schon im mosaischen Gesetz eine wichtige Rolle spielte, ist das Wesentliche des christlichen Gesetzes. Das Gesetz des Christus schließt daher ein neues Gebot ein — Christen müssen aufopferungsvolle Liebe zueinander haben. Sie müssen die gleiche Art der Liebe bekunden wie Jesus; er legte bereitwillig sein Leben für seine Freunde nieder (Johannes 13:34, 35; 15:13). Deshalb kann gesagt werden, daß das Gesetz des Christus ein noch erhabenerer Ausdruck der Theokratie ist, als es das Gesetz Mose war. Es verhält sich so, wie es in dieser Zeitschrift bereits erklärt wurde: „Theokratie ist Gottesherrschaft; Gott ist Liebe; Theokratie ist daher Herrschaft durch Liebe.“
Jesus und die Pharisäer
10. Welcher Gegensatz bestand zwischen den Lehrmethoden Jesu und denen der Pharisäer?
10 Es überrascht deshalb eigentlich nicht, daß Jesus seinerzeit mit den geistlichen Führern der Juden aneinandergeriet. Ein „vollkommene[s] Gesetz, das zur Freiheit gehört“, wäre den Schriftgelehrten und den Pharisäern niemals in den Sinn gekommen. Sie versuchten, das Volk durch menschliche Gebote zu beherrschen. Ihr Lehren war hart, tadelnd, negativ. Jesu Art zu lehren war dagegen in höchstem Maße erbauend und positiv. Er dachte praktisch und sprach die wahren Bedürfnisse und Interessen der Menschen an. Er lehrte auf einfache Art und Weise und mit echtem Mitgefühl, wobei er Veranschaulichungen aus dem täglichen Leben gebrauchte und sich auf die Autorität des Wortes Gottes stützte. Deshalb „waren die Volksmengen über seine Art zu lehren höchst erstaunt“ (Matthäus 7:28). Ja, Jesus erreichte durch sein Lehren ihr Herz.
11. Wie zeigte Jesus, daß das mosaische Gesetz eigentlich mit Vernünftigkeit und Barmherzigkeit hätte angewandt werden sollen?
11 Statt weitere Gebote zum mosaischen Gesetz hinzuzufügen, zeigte Jesus, wie die Juden das Gesetz eigentlich hätten anwenden sollen — mit Vernünftigkeit und Barmherzigkeit. Denken wir beispielsweise an jene Gelegenheit, als sich ihm eine Frau näherte, die mit einem Blutfluß behaftet war. Gemäß dem mosaischen Gesetz war jeder unrein, den sie berührte, weshalb es eigentlich unerhört war, daß sie sich unter eine Volksmenge mischte (3. Mose 15:25-27). Doch sie wünschte sich so sehr, geheilt zu werden, daß sie sich ihren Weg durch die Volksmenge bahnte und das äußere Gewand Jesu anrührte. Die Blutung kam unverzüglich zum Stillstand. Wies Jesus sie zurecht, weil sie das Gesetz übertreten hatte? Nein. Statt dessen bewies er Verständnis für ihre verzweifelte Lage und zeigte die Anwendung des hervorragendsten Gebotes des Gesetzes — das Gebot der Liebe. Mitfühlend sagte er zu ihr: „Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht. Geh hin in Frieden, und sei von deiner lästigen Krankheit geheilt“ (Markus 5:25-34).
Ist das Gesetz des Christus liberal?
12. (a) Warum darf man Christus nicht für liberal halten? (b) Was zeigt, daß durch die Schaffung vieler Gesetze viele Schlupflöcher entstehen?
12 Sollten wir aus der Tatsache, daß das Gesetz des Christus „zur Freiheit gehört“, schließen, es sei liberal, wogegen die Pharisäer den Menschen durch all ihre mündlichen Traditionen zumindest in bezug auf den Lebenswandel strenge Einschränkungen auferlegten? Nein. In den heutigen Rechtssystemen ergibt sich häufig folgende Situation: Je mehr Gesetze es gibt, desto mehr Schlupflöcher finden die Menschen.a In Jesu Tagen ermunterte die Vielzahl an pharisäischen Regeln dazu, nach Schlupflöchern zu suchen, rein mechanisch und ohne jegliche Liebe Werke zu verrichten und ein selbstgerechtes Äußeres zu entwickeln, um die innere Verdorbenheit zu verbergen (Matthäus 23:23, 24).
13. Warum führt das Gesetz des Christus zu einem höheren Maßstab für den Lebenswandel als jede schriftlich festgehaltene Gesetzessammlung?
13 Das Gesetz des Christus fördert dagegen keine Einstellung dieser Art. Tatsächlich bewirkt der auf Liebe zu Jehova beruhende Gehorsam gegenüber einem Gesetz, dem man durch die Nachahmung der aufopferungsvollen Liebe Christi zu anderen gehorcht, einen weit höheren Maßstab für den Lebenswandel als die Einhaltung formeller gesetzlicher Regeln. Liebe sucht nicht nach Schlupflöchern; sie bewahrt uns davor, schädliche Dinge zu tun, Dinge, die gesetzliche Regeln nicht ausdrücklich verbieten mögen. (Siehe Matthäus 5:27, 28.) Deshalb wird uns das Gesetz des Christus veranlassen, etwas für andere zu tun — ihnen gegenüber großzügig zu sein und ihnen Gastfreundschaft und Liebe zu erweisen —, und zwar so, wie es kein formelles Gesetz von uns verlangen könnte (Apostelgeschichte 20:35; 2. Korinther 9:7; Hebräer 13:16).
14. Wie wirkte es sich auf die Christenversammlung des 1. Jahrhunderts aus, gemäß dem Gesetz des Christus zu leben?
14 In dem Maße, wie die einzelnen Glieder der Christenversammlung des 1. Jahrhunderts gemäß dem Gesetz des Christus lebten, herrschte in der Versammlung eine herzliche, liebevolle Atmosphäre, wodurch sie relativ frei war von der strengen, nörglerischen und heuchlerischen Einstellung, die in den Synagogen der damaligen Zeit vorherrschte. Die Glieder der neugegründeten Versammlungen müssen wirklich gespürt haben, daß sie gemäß dem „Gesetz eines freien Volkes“ lebten.
15. Was unternahm Satan zunächst, um die Christenversammlung zu verderben?
15 Satan war jedoch darauf aus, die Christenversammlung von innen heraus zu verderben, genauso wie er die Nation Israel verdorben hatte. Der Apostel Paulus warnte vor wolfsähnlichen Männern, die „verdrehte Dinge reden“ und die Herde Gottes bedrücken würden (Apostelgeschichte 20:29, 30). Er mußte sich mit Judaisten auseinandersetzen, die darauf aus waren, die relative Freiheit des Gesetzes des Christus gegen die Versklavung unter das mosaische Gesetz einzutauschen, das durch Christus erfüllt worden war (Matthäus 5:17; Apostelgeschichte 15:1; Römer 10:4). Nach dem Tod der Apostel gab es kein Hemmnis gegen solche Abtrünnigkeit mehr. Deshalb griff der Abfall um sich (2. Thessalonicher 2:6, 7).
Die Christenheit verunreinigt das Gesetz des Christus
16, 17. (a) Welche Formen nahm die Verdorbenheit in der Christenheit an? (b) Zu welcher verdrehten Ansicht über den Geschlechtsverkehr führten die Gesetze der katholischen Kirche?
16 Die Christenheit wurde genauso wie der Judaismus in mehrerer Hinsicht verdorben. Auch sie fiel falschen Lehren und Sittenlosigkeit zum Opfer. Und auch ihr Bemühen, die eigene Herde vor äußeren Einflüssen zu schützen, erwies sich oft als verderblich für den verbliebenen Rest reiner Anbetung. Strenge, unbiblische Gesetze nahmen überhand.
17 Vor allem die katholische Kirche schuf Unmengen von Kirchengesetzen. Diese Gesetze waren besonders verschroben, wenn es um geschlechtliche Dinge ging. Gemäß dem Buch Sexuality and Catholicism verleibte sich die Kirche die griechische Philosophie des Stoizismus ein, dem sämtliche Formen des Vergnügens verdächtig waren. Die Kirche begann zu lehren, daß jegliches sexuelle Vergnügen sündig sei, auch bei normalen ehelichen Beziehungen. (Vergleiche im Gegensatz dazu Sprüche 5:18, 19.) Der Geschlechtsverkehr sollte allein der Zeugung dienen, nichts anderem. Daher verurteilten die Kirchengesetze jede Form der Empfängnisverhütung als äußerst schwere Sünde, für die manchmal über Jahre hinweg Buße geleistet werden mußte. Außerdem verbot man den Priestern zu heiraten, was dazu führte, daß viele von ihnen außereheliche Geschlechtsbeziehungen pflegten und manche sogar Kinder mißbrauchten (1. Timotheus 4:1-3).
18. Was zog die Zunahme an Kirchengesetzen nach sich?
18 Als sich die Kirchengesetze mehrten, wurden sie in Büchern festgehalten. Diese Bücher drängten die Bibel in den Hintergrund und ersetzten sie. (Vergleiche Matthäus 15:3, 9.) Wie der Judaismus mißtraute der Katholizismus weltlichen Schriften und betrachtete sie vielfach als Bedrohung. Diese Ansicht ging bald weit über die vernünftigen Hinweise zur Vorsicht hinaus, die dazu in der Bibel gegeben werden (Prediger 12:12; Kolosser 2:8). Hieronymus, ein Kirchenschriftsteller des 4. Jahrhunderts u. Z., äußerte den Schwur: „Herr, wenn ich je wieder weltliche Handschriften besitze oder aus ihnen lese, dann will ich dich verleugnet haben.“ Mit der Zeit ging die Kirche dazu über, Bücher zu zensieren — auch solche über nichtreligiöse Themen. Deshalb wurde im 17. Jahrhundert der Astronom Galilei gerügt, weil er geschrieben hatte, die Erde würde um die Sonne kreisen. Das Beharren der Kirche, für alles die oberste Autorität zu sein — selbst in Fragen der Astronomie —, mußte letztlich dazu führen, das Vertrauen zur Bibel zu untergraben.
19. Wodurch wurde in den Klöstern ein strenger, autoritärer Geist gefördert?
19 Besonders in den Klöstern, wo sich Mönche von der Welt abkapselten, um in Selbstverleugnung zu leben, wurden immer neue Regeln erdacht. Die meisten katholischen Klöster befolgten die „Benediktinerregel“. Der Abt (ein Begriff, der von dem aramäischen Wort für „Vater“ abgeleitet wurde) herrschte mit absoluter Autorität. (Vergleiche Matthäus 23:9.) Wenn ein Mönch von seinen Eltern ein Geschenk erhielt, lag es beim Abt, zu entscheiden, ob jener Mönch es erhalten sollte oder jemand anders. Außer gewissen Unsitten verbot eine Regel alles belanglose Plaudern und Scherzen und legte fest: „Kein Schüler wird etwas dergleichen äußern.“
20. Was zeigt, daß auch der Protestantismus einen unbiblischen, autoritären Geist entwickelte?
20 Der Protestantismus, der den Katholizismus mit seinen unbiblischen Exzessen reformieren wollte, wurde bald ebenfalls ein Meister im Aufstellen autoritärer Regeln, die keine Grundlage im Gesetz des Christus hatten. Der führende Reformator Johannes Calvin wurde zum Beispiel als der „Gesetzgeber der erneuerten Kirche“ bezeichnet. Er beherrschte Genf mit einer Vielzahl strenger Gesetze, die von „Ältesten“ durchgesetzt wurden, deren „Amt“ es laut Calvin war, „das Leben jedes einzelnen zu beaufsichtigen“. (Siehe im Gegensatz dazu 2. Korinther 1:24.) Die Kirche kontrollierte die Gasthäuser und bestimmte, welche Gesprächsthemen zulässig waren. Es gab harte Strafen für Vergehen wie das Singen respektloser Lieder oder das Tanzen.b
Aus den Irrtümern der Christenheit lernen
21. Wozu hat die Neigung der Christenheit, ‘über das hinauszugehen, was geschrieben steht’, im wesentlichen geführt?
21 Haben all diese Gebote und Gesetze die Christenheit davor bewahren können, verdorben zu werden? Ganz im Gegenteil! Heute ist die Christenheit in Hunderte von Sekten aufgesplittert, deren Spektrum von extrem streng bis extrem liberal reicht. Sie alle sind auf die eine oder andere Art ‘über das hinausgegangen, was geschrieben steht’, indem sie zugelassen haben, daß die Herde von menschlichem Denken beherrscht wird, das im Widerspruch zum göttlichen Gesetz steht (1. Korinther 4:6).
22. Warum bedeutet das Versagen der Christenheit nicht das Ende des Gesetzes des Christus?
22 Doch mit dem Gesetz des Christus wird es keinesfalls ein tragisches Ende nehmen. Jehova Gott wird niemals zulassen, daß Menschen das göttliche Gesetz austilgen. Das christliche Gesetz ist heute unter wahren Christen vollständig in Kraft, und sie haben das große Vorrecht, gemäß diesem Gesetz zu leben. Nachdem wir untersucht haben, was der Judaismus und die Christenheit mit dem göttlichen Gesetz getan haben, könnten wir uns durchaus fragen: „Wie lebt man gemäß dem Gesetz des Christus, ohne dabei in die Schlinge zu geraten, Gottes Wort durch menschliche Überlegungen und Gebote zu verunreinigen, die eigentlich den Geist des göttlichen Gesetzes untergraben? Welche ausgeglichene Ansicht sollte das Gesetz des Christus uns heute vermitteln?“ Mit diesen Fragen wird sich der nächste Artikel beschäftigen.
[Fußnoten]
a Die Pharisäer sind weitgehend für die gegenwärtige Form des Judentums verantwortlich, weshalb es nicht überrascht, daß die Juden heute noch nach Schlupflöchern in den vielen hinzugefügten Sabbatbeschränkungen suchen. Wer am Sabbat ein jüdisch-orthodoxes Krankenhaus besucht, wird beispielsweise feststellen, daß die Aufzüge automatisch in jedem Stockwerk halten, damit die Fahrgäste nicht die sündige „Arbeit“ zu verrichten brauchen, den Fahrstuhlknopf zu betätigen. Manche orthodoxe Ärzte stellen Rezepte mit einer Tinte aus, die innerhalb weniger Tage verschwindet. Warum? Die Mischna stuft Schreiben als „Arbeit“ ein, aber sie definiert „Schreiben“ als das Hinterlassen eines bleibenden Zeichens.
b Servet, der einige theologische Ansichten Calvins in Frage zog, wurde als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Wie würdest du antworten?
◻ Was ist das Wesentliche des Gesetzes des Christus?
◻ Welcher Gegensatz bestand zwischen Jesu Art zu lehren und der Lehrmethode der Pharisäer?
◻ Wie benutzte Satan einen strengen, auf Regeln bedachten Geist dazu, die Christenheit zu verderben?
◻ Welche positiven Auswirkungen hat es, gemäß dem Gesetz des Christus zu leben?
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Jesus wandte das mosaische Gesetz vernünftig und barmherzig an