„Tommy, sei doch endlich still!“
Ganz verzweifelt rief das eine junge Mutter, die vergeblich versuchte, ihr weinendes Kind zu beruhigen. Sie wiegte es in den Armen, fütterte es, herzte es, streichelte es, schüttelte es und suchte es immer wieder zu beschwichtigen, doch ohne Erfolg. Tommy schrie nur noch lauter.
IN DEN Ohren der Mutter klingt der erste Schrei ihres Kindes wie Musik. Doch das unaufhörliche Gebrüll eines Babys hat Eltern schon zu gewalttätigen Handlungen getrieben. So schrieb ein Arzt: „Das Schreien eines Säuglings ... kann den tüchtigsten Erwachsenen zur Verzweiflung treiben und in Ratlosigkeit versetzen.“ Manche Mütter, die noch von der Geburt her erschöpft und durch das nächtliche Füttern sowie das ständige Windelnwechseln nervlich überfordert sind, finden es schwierig, auf das Geschrei des Babys mitfühlend zu reagieren.
Doch seit Jahrhunderten schaffen es die Mütter immer wieder, ihre schreienden Kinder zu beruhigen. Auch du wirst es schaffen! Wir können zwar keine Patentlösung anbieten, doch ist es dir gewiß möglich, Nutzen aus dem Rat zu ziehen, den Eltern, Ärzte und die Bibel geben.
Auch Babys sind Menschen
Als erstes möchten wir mit dem weitverbreiteten Irrtum aufräumen, daß ein Baby formbar sei wie weicher Ton, ohne jede Individualität — ein Gegenstand, ein Spielzeug. Nein, ein Baby ist ein lebendes, atmendes Menschlein mit echten Bedürfnissen. In der Regel ist es munter, gut ansprechbar und hat eine eigene, wenn auch mit Fehlern behaftete Persönlichkeit. Obschon man es sich nur schwer vorzustellen vermag, daß ein hilfloses kleines Kind sündig ist, sagt die Bibel ganz realistisch: „Die Neigung des Menschenherzens [ist] böse ... von seiner Jugend an“ (1. Mose 8:21). Diese Worte helfen uns verstehen, daß kleine Kinder, so niedlich und süß sie sein mögen, auch listig, zornig und eifersüchtig sein können — alles Merkmale der unvollkommenen Menschheit!
Wahrscheinlich geht im Köpfchen eines Säuglings vieles vor, während er seine Umwelteindrücke einordnet und entsprechend seinen Empfindungen reagiert. Das Baby möchte dich gewinnen und im Grunde genommen sagen: „Hier bin ich! Schenk mir deine Aufmerksamkeit!“ Wie tut es das? Durch ruhig gesprochene Worte? Nein, das Kind kann nur schreien — manchmal sogar aus Leibeskräften.
Die Entstehung der Mutter-Kind-Bindung
„Als ich mein Kind zum erstenmal erblickte, empfand ich sofort eine innige Liebe zu ihm. Es sah so niedlich aus.“ So beschrieb eine Mutter von drei Kindern das, was die Ärzte vielfach als „Mutter-Kind-Bindung“ bezeichnen, den emotionellen Kontakt zwischen Mutter und Kind. Ist diese Liebe für Mutter und Kind wichtig? Ja, denn sie hilft der Mutter, die Bedürfnisse ihres Kindes zu erkennen und sich darauf einzustellen. „Kann ein Weib ihren Säugling vergessen, so daß sie sich nicht des Sohnes ihres Leibes erbarmte?“ fragte der Prophet Jesaja (Jesaja 49:15).
Diese Liebe kann sich anscheinend schon während der Schwangerschaft entwickeln, wenn die werdende Mutter spürt, daß das Kind in ihrem Leib wächst. Diese Beziehung wird stark gefördert, wenn Mutter und Kind nach der Geburt im gleichen Zimmer untergebracht werden. In vielen Krankenhäusern wird das jetzt so gehandhabt, weil Studien erkennen lassen, daß es sich günstig auf das Kind auswirkt: „Solche Kinder schreien weniger und gedeihen besser; ferner ist die Liebe der Mutter zum Kind intensiver und ihr Selbstvertrauen größer“, um nur einige Vorteile zu nennen.
Der Apostel Paulus beobachtete, wie „eine nährende Mutter ihre eigenen Kinder hegt und pflegt“ (1. Thessalonicher 2:7). Durch liebevolles Stillen erhält das Kind mehr als seinen Bedürfnissen angepaßte Nahrung. Barbara, Mutter von fünf Kindern, behauptet: „Durch das Stillen wird die Beziehung zum Kind viel enger. Meine Beziehung zu den Kindern, die ich mit der Flasche fütterte, war auch gut, aber wenn man das Kind stillt, empfindet man noch ganz anders.“ Viele Ärzte haben die gleichen Beobachtungen gemacht.
Diese Bindung mag natürlich erscheinen, doch entwickelt sie sich nicht automatisch, sondern kann gestärkt oder unterdrückt werden. Es mag Zeit und Mühe kosten, zu erreichen, daß das Kindchen auf deine Bemühungen reagiert, ganz gleich, ob es gestillt oder mit der Flasche gefüttert wird, ob die Mutter die natürliche Geburt der Geburt in der Narkose vorgezogen hat oder nicht. Aber auf die Dauer gesehen, lohnt sich die Mühe.
Was will es sagen?
Nach der Bibel ist es verwerflich, wenn jemand sein Ohr vor dem Bittruf des Geringen verstopft; doch vor dem Schreien des Babys kann man das gewöhnlich nicht (Sprüche 21:13, Herder-Bibel). Es schreit so lange, bis jemand es beruhigt oder bis es zu müde ist, weiter zu schreien. Eine Mutter gestand: „Es ist einfach unerträglich, sein eigenes Baby schreien zu hören.“ Der instinktive Wunsch, auf das Schreien zu reagieren und das Kind zu beruhigen, schafft die Voraussetzung für eine echte Kommunikation. In der Zeitschrift Redbook konnte man lesen: „Babys, deren Mutter regelmäßig auf diese Weise reagiert, gewöhnen sich daran, daß ihre Signale verstanden werden. Das weckt in ihnen den Wunsch, die Kommunikation zu intensivieren.“ Schließlich lernt das Kind sprechen. Aber wenn das Baby noch klein ist, kann es eben nur weinen. Hör gut zu! Was will es sagen? Untersuchungen haben ergeben, daß eine Mutter, die auf ihr Kind eingestellt ist, das Schreien ihres Kindes meist richtig zu deuten weiß.
Was mag deinem Kind fehlen? Säuglinge haben ein Verlangen nach Milch. Vielleicht weint dein Kind, weil es hungrig ist. Es mag sich beruhigen, wenn du es anlegst, ihm die Flasche gibst oder ihm einen Schnuller in den Mund steckst. Wie die Kinder Jakobs, so ist auch dein Kind sehr „zart“ und schreit vielleicht nur, weil es müde ist (1. Mose 33:13, 14). Hat dein Baby Fieber, oder kannst du irgendwelche andere Krankheitssymptome bei ihm beobachten? Fühlt es sich vielleicht nur deshalb nicht wohl, weil es nasse Windeln hat? Es gibt viele Gründe, warum es schreien mag.
Dein Baby hat auch emotionelle Bedürfnisse. Brauchst nicht auch du Liebe und Zuneigung? Babys benötigen davon außergewöhnlich viel. Wie kannst du diese Bedürfnisse stillen? Durch Berührung — indem du es im Arm hältst, liebkost oder krabbelst. Dr. Eleanor Hamilton schrieb: „Das Baby, das nach Körperkontakt schreit, fordert die Befriedigung eines Bedürfnisses, das so wichtig ist wie das Füttern, Windeln und Bäuerchenmachen.“ Wer dem Kind diesen wichtigen Kontakt vorenthält, „verurteilt es sozusagen zu Einzelhaft“.
Das Baby muß sich geborgen fühlen. Der Arzt Lukas erwähnt, daß Jesu Mutter eine uralte Methode anwandte, um ihren Säugling zu beruhigen: „Sie band ihn in Wickelbänder ein“ (Lukas 2:7). Das Baby wie eine Mumie einzuwickeln mag dir merkwürdig erscheinen, aber es ist ein sehr weiser Brauch. In einem Buch über Kinderpflege wird der Rat gegeben: „Man kann nervöse Säuglinge beruhigen und erreichen, daß sie besser einschlafen ..., wenn man sie in ein Moltontuch einwickelt. Sie erwachen dann nicht zufolge von ,Zuckungen‘ oder zufälligen Bewegungen der Ärmchen und Beinchen. Das Einschlagtuch sollte ziemlich fest um das Kind gewickelt werden, denn ein lose um das Kind geschlungenes Tuch irritiert es nur, anstatt es zu beruhigen.“ Das Schreien des Babys hat eine Bedeutung — vielleicht hat es Hunger oder möchte liebkost werden —, und die Mutter, die sich auf das Kind einstellt, lernt mit der Zeit, was das Schreien bedeutet.
Was tun bei Koliken
„Mein erstes Kind“, erzählt Dwan, „war das ,vollkommene‘ Baby. Aber mein zweites Kind schrie drei Monate lang fast ununterbrochen!“ Wie wirkte sich dies aus? „Das Baby beanspruchte meine ganze Aufmerksamkeit. Ich hatte für nichts anderes mehr Zeit und konnte mich kaum mit jemand unterhalten. Ich bin kein nervöser Typ, aber in dieser Zeit litten meine Nerven so, daß ich an Kolitis erkrankte.“
War das Baby „ein Tyrann“? Nein. Es hatte Schmerzen. Das Verdauungssystem eines Neugeborenen ist noch nicht ausgereift, und manch ein Säugling wird von heftigen Magen und Bauchschmerzen — gewöhnlich Kolik genannt — gepeinigt. Was kann man dagegen tun? Dr. Benjamin Spock schreibt: „Leider gibt es noch keine zuverlässige Methode, um Koliken zu lindern.“ Bisher wissen die Ärzte nur, daß die Sache mit der Zeit in Ordnung kommt, meist nach zwei bis drei Monaten. Bis es soweit ist, wirst du dich damit abfinden müssen, daß das Kind unaufhörlich schreit.
Schreit es wirklich unaufhörlich? Dr. med. T. Berry Brazelton bat Eltern, immer genau aufzuschreiben, wie lange das Kind schrie. Er berichtet: „Obschon die Eltern das Gefühl hatten, das Kind schreie Tag und Nacht, schrie es insgesamt nicht mehr als zwei Stunden täglich.“ Säuglinge spüren, wenn die Eltern nervös werden. „Je verzweifelter die Mutter versuchte, das Kind zu beruhigen, desto mehr schrie es.“
Es ist daher wichtig, daß du gelassen bleibst und beim Beruhigen des Kindes vernünftig vorgehst. Vielleicht kannst du es beschwichtigen, indem du sanft sein Bäuchlein massierst, es ein bißchen schaukelst, es stillst oder ihm die Flasche gibst, es wickelst, leise mit ihm sprichst oder ihm etwas vorsingst. Möglicherweise gelingt dir das nur für eine kurze Zeit, aber du erreichst damit etwas ganz Wichtiges: Du vermittelst dem Kind das Gefühl, geliebt zu werden, und verhinderst, daß es seelisch leidet.
Der sechsjährige Seth ist ein aufgewecktes, fröhliches und ruhiges Kind. Man kann es kaum glauben, daß er in den ersten paar Wochen seines Lebens fast nur geschrien hat. Janice, seine Mutter, erinnert sich, daß sie total verzweifelt war. Ihr Mann fügt hinzu: „Man steht auf, nimmt das Kind in den Arm, versucht es zu füttern. Aber es schreit, ganz gleich, was man tut. Das macht einen nervlich ganz schön fertig, und ich muß gestehen, daß ich das Baby manchmal am liebsten zurück ins Bettchen geworfen hätte!“ Was taten sie, um nicht durchzudrehen? Sie unterstützten sich gegenseitig. Janice erzählt: „Bruce stand mir treu zur Seite und half mir.“ Er stand nachts auch auf und beruhigte das Kind. Aber sie merkten, daß sie auch an sich denken mußten. „Manchmal reichte unsere Kraft nur noch zu einem Versuch, das Kind zu beruhigen, dann legten wir es wieder hin und ließen es schreien. Allerdings fühlt man sich dabei etwas schuldig und kommt sich selbstsüchtig vor. Aber um nicht total aus dem Gleis zu kommen, mußten wir das Geschrei gelegentlich einfach ertragen. Wir sagten uns auch stets, daß es doch einmal ein Ende nehmen werde.“
Die bereits erwähnte Dwan gibt noch einen weiteren Rat: „Erzähl deinem Mann und deinen Freundinnen von deinem Problem. Wenn sie davon wissen, sind sie oft mehr als bereit zu helfen. Achte auch auf deine eigenen emotionellen Bedürfnisse.“ Vielleicht können sich deine Nerven etwas erholen, wenn du das Kind einmal für kurze Zeit einem Babysitter überläßt. Vor allem darfst du deine geistigen Bedürfnisse nicht vernachlässigen (Matthäus 5:3). Janice meint: „Ich habe das Gefühl, daß Jehova sehr viel Mitleid mit jungen Müttern hat und ihnen hilft, wenn sie ihn darum bitten.“ (Siehe Psalm 55:22.)
Erziehen oder verziehen
Für das seelische Wohl des Kindes sind Liebe und Aufmerksamkeit unerläßlich, aber es gibt Kinder, die Aufmerksamkeit fordern, auch wenn die Kolik vorüber und der Hunger gestillt ist. Die meisten Ärzte sind sich darin einig, daß man ein Neugeborenes kaum verwöhnen kann. Aber sobald das Kind etwas älter wird, kann es sich zu einem Tyrannen entwickeln und die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern fordern.
Typisch war das Verhalten des Kleinen, über den seine Mutter namens Carmen erzählt: „Er geriet jedesmal in Wut und schrie, wenn er nicht bekam, was er haben wollte.“ Wie löste Carmen das Problem? „Wir mußten ihn strafen. Er wußte, daß er jedesmal, wenn er zu toben begann, Schläge erhielt.“ Der Gedanke, ein kleines Kind zu schlagen, mag den einen oder anderen erschrecken, Carmen aber weiß, daß die Bibel Eltern ermahnt, ihre Kinder zurechtzuweisen und in Zucht zu nehmen (Epheser 6:4, Albrecht; Sprüche 23:13). Das mag bedeuten, daß du dem Kind ab und zu einen Klaps geben mußt. Aber Carmen berichtet: „Wenn man das Kind straft, kommt es nach einer Weile und umarmt einen.“ Obschon also ein Kind Aufmerksamkeit und Liebe benötigt, wenn es gedeihen soll, darf auch eine liebevolle Zucht nicht außer acht gelassen werden.
Mit einem guterzogenen Kind kann man sich in der Öffentlichkeit auch eher zeigen. Der erste Besuch in einem Restaurant oder in einem Einkaufszentrum mit einem unerzogenen Kind kann ein fürchterliches Erlebnis sein. Christen haben außerdem die Pflicht, ihre Kinder in die religiösen Zusammenkünfte mitzunehmen, denn aus der Bibel geht hervor, daß sich nicht nur die Erwachsenen, sondern auch „die Kleinen“ versammeln müssen (5. Mose 31:12). Das Kind mag die Eltern gelegentlich in Verlegenheit bringen, weil es ab und zu schreit. Aber die Anwesenden sind gewöhnlich mitfühlend und tolerant. Und eine geplagte Mutter ist sicher dankbar, wenn jemand freundlich fragt: „Kann ich helfen?“ und ihr das Kind für eine Zeit abnimmt.
‘Aus dem Mund von Säuglingen’
Vielleicht erscheint jetzt die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß das Baby nicht schreit, weniger groß. Allerdings wird das Kind von Zeit zu Zeit einige Laute von sich geben; das ist natürlich. Bewahre jedoch ruhiges Blut, und habe Freude an deinem Kind. Lerne es kennen. Elternschaft ist eine Vollzeitbeschäftigung.
Jetzt mag das kleine Wesen noch schreien und kreischen, aber man darf nicht vergessen, daß aus dem Mund von Säuglingen auch Lobpreis hervorgehen kann, wenn die Kinder liebevoll unterwiesen werden (Matthäus 21:16). Kinder sind ein wunderbares Zeugnis für Jehovas Liebe und Weisheit; sie zählen zu seinen wertvollsten Gaben. Dein Baby wird dich manchmal zur Verzweiflung treiben, andere Male aber auch bewirken, daß du dich vor Lachen kugelst; es wird dir gelegentlich deine Nerven rauben, dich aber auch wieder sehr glücklich machen. Hege und pflege deshalb dein Baby, beruhige es, und schenke ihm vor allem Liebe. Vielleicht ist es dann für eine Weile still.
[Herausgestellter Text auf Seite 18]
„Durch das Stillen wird die Beziehung zum Kind viel enger“
[Herausgestellter Text auf Seite 19]
„Wir sagten uns auch stets, daß es doch einmal ein Ende nehmen werde“
[Herausgestellter Text auf Seite 20]
Ein Kind benötigt Aufmerksamkeit und Liebe, wenn es gedeihen soll
[Bild auf Seite 20]
„Wenn man das Kind straft, kommt es nach einer Weile und umarmt einen.“