Der Standpunkt der Bibel
Kannst du dich allein auf dein Wissen verlassen?
UM IM Leben vernünftig entscheiden zu können, ist Wissen unerläßlich. Ein Mangel an Wissen kann eine Verschwendung von Zeit, Kraft und Mitteln zur Folge haben. Das gilt auch für ganz einfache Aufgaben. Der weise König Salomo sagte beispielsweise: „Wenn ein eisernes Werkzeug stumpf geworden ist und jemand seine Schneide nicht gewetzt hat, dann wird er seine eigenen leistungsfähigen Kräfte anstrengen. So ist die Anwendung von Weisheit [die auf Wissen beruht] im Hinblick auf Erfolg von Vorteil“ (Pred. 10:10).
Aber selbst wenn man in bezug auf eine bestimmte Sache über das nötige Wissen verfügt, kann man sich nicht allein darauf verlassen. Etwas anderes ist noch erforderlich. Das gilt besonders für die zwischenmenschlichen Beziehungen. Würden wir nur nach unserem Wissen handeln, könnte das zu schwerwiegenden Problemen führen.
Der Apostel Paulus erläuterte das in seinem Brief an die Korinther. In seiner Abhandlung über das Thema „Das Essen von Götzenopferfleisch“ schrieb er: „Was aber das Götzenopfer anlangt, so haben wir ja alle das Wissen. Das Wissen bläst auf; aber die Liebe baut auf. Wenn sich jemand dünken läßt, er wisse etwas, der weiß noch nicht, wie man erkennen soll“ (1. Kor. 8:1, 2, Luther, 1964).
Die Christen in Korinth wußten, daß es nur e i n e n Gott, Jehova, und nur e i n e n Herrn, Jesus Christus, gibt. Sie wußten, daß die vielen Götter und die vielen Herren, die die Nationen verehrten, in Wirklichkeit nicht existierten. Götzen waren lediglich Gegenstände aus Holz, Stein oder Metall und waren völlig machtlos. Dieses Wissen mag einige Glieder der Korinther Versammlung veranlaßt haben, im Essen von Götzenopferfleisch, d. h. von Fleisch, das vorher Götzen geopfert worden war, nichts Verkehrtes zu sehen. Die Gläubigen, die dachten, dieses Fleisch würde sich von anderem Fleisch nicht unterscheiden, hatten richtig geschlußfolgert. Die leblosen, machtlosen Götzen hatten es weder verändert noch davon Besitz ergreifen können.
Reichte das Wissen, daß die Götzen nicht existierten, aus, um zu entscheiden, ob es richtig oder falsch war, Speisen zu genießen, die Götzen geopfert worden waren? Nein. Warum nicht? Der Apostel erklärte: „Es hat aber nicht jedermann das Wissen. Denn etliche, weil sie bisher an die Götzen gewöhnt waren, essen’s als Götzenopfer; damit wird ihr Gewissen, weil es schwach ist, befleckt“ (1. Kor. 8:7, Lu).
Die Gläubigen in Korinth waren Götzendiener gewesen, und einige unter ihnen waren noch nicht so weit, daß sie nicht mehr von religiösen Gefühlen bewegt worden wären, wenn sie Götzenopferfleisch gegessen hätten. Deshalb dachten sie, es sei verkehrt, eine solche Speise zu essen. Und in ihrem Fall wäre es auch verkehrt gewesen. Zufolge ihres schwachen Gewissens waren sie nicht imstande, Speisen, die Götzen geopfert worden waren, wie jede andere Speise zu betrachten. Wir lesen in der Bibel: „Wenn er aber Zweifel hat, ist er bereits verurteilt, wenn er ißt, weil er nicht aus Glauben ißt. Tatsächlich ist alles, was nicht aus Glauben ist, Sünde“ (Röm. 14:23).
Solche Gläubige waren tief beunruhigt, wenn sie sahen, daß ein anderer Christ Speisen aß, die Götzen geopfert worden waren. Sie dachten dann, dieser Christ diene Götzen. Das konnte dazu führen, daß sie strauchelten, weil sie an etwas Anstoß nahmen, was sie als eine schwere Sünde eines ihrer Brüder betrachteten. Oder sie wurden vielleicht ermutigt, Fleisch, das Götzen geopfert worden war, zu essen, und gerieten dadurch in die Schlinge, dies mit der ehrfurchtsvollen Einstellung zu tun, die sie als Götzenanbeter gehabt hatten.
Der Christ, der lediglich nach dem gehandelt hätte, was er über die Götzen und über die Speisen, die Götzen geopfert worden waren, wußte, hätte sich somit schuldig gemacht, den geistigen Schiffbruch seines Bruders verursacht zu haben. Darauf wies der Apostel Paulus wie folgt hin: „Sehet aber zu, daß diese eure Freiheit nicht gerate zu einem Anstoß für die Schwachen! Denn wenn dich, der du das Wissen hast, jemand sähe zu Tische sitzen im Götzenhause, wird nicht sein Gewissen, da er doch schwach ist, bestärkt, das Götzenopfer zu essen? Und so wird über deinem Wissen der Schwache ins Verderben kommen, der Bruder, um des willen doch Christus gestorben ist“ (1. Kor. 8:9-11, Lu).
Derjenige, der keine Rücksicht auf das schwache Gewissen anderer nimmt, ist durch sein Wissen aufgeblasen. Er neigt dazu, andere verächtlich als übergewissenhaft zu beurteilen, und sieht nicht ein, daß eine bestimmte Handlungsweise für Personen mit einem schwachen Gewissen gefährlich sein kann. Das zeigt, daß er sich nicht allein auf sein Wissen verlassen darf, weil es ihn nicht vor einer Handlungsweise bewahrt, die anderen zur Gefahr werden kann. Nur wenn das Wissen mit Liebe gepaart ist, kann man sich darauf verlassen. Fehlt die Liebe, ruft derjenige, der über Wissen verfügt, in anderen Minderwertigkeitsgefühle hervor und beschämt sie. Sie werden durch ihn nicht ermutigt. Wer dagegen sein Wissen anwendet, um anderen zu helfen, und sich dabei von Liebe leiten läßt, erbaut sie.
Wenn sich jemand etwas auf sein Wissen einbildet und sich anderen deswegen überlegen vorkommt, ist es mit seinem Wissen in Wirklichkeit nicht weit her (1. Kor. 8:2). Er hat den Zweck gutfundierten Wissens aus dem Auge verloren, nämlich, daß es zur Förderung des Wohls und des Glücks anderer angewandt werden sollte. Und je mehr man weiß, desto deutlicher erkennt man, daß man vieles noch nicht weiß. Das mag dazu beitragen, daß man sich seiner Grenzen besser bewußt wird und nicht in die Gefahr gerät, in seinen Ansichten dogmatisch und unvernünftig zu sein.
Das Wissen kann nur dann einem guten Zweck dienen, wenn es mit Liebe zu Gott gepaart ist. Der Apostel Paulus schrieb: „Wenn aber jemand Gott liebt, so ist dieser von ihm erkannt“ (1. Kor. 8:3). Wie man seinen Glaubensbrüdern gegenüber eingestellt ist und handelt, verrät deutlich, ob man Gott liebt oder nicht. Der Apostel Johannes formulierte diesen Gedanken wie folgt: „Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Totschläger, und ihr wißt, daß kein Totschläger ewiges Leben bleibend in sich hat. Dadurch haben wir die Liebe kennengelernt, weil jener seine Seele für uns hingegeben hat; und wir sind verpflichtet, unsere Seelen für unsere Brüder hinzugeben“ (1. Joh. 3:15, 16). „Laßt uns einander weiterhin lieben, weil die Liebe aus Gott ist, und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht kennengelernt, weil Gott Liebe ist“ (1. Joh. 4:7, 8).
Das zeigt, daß man sich nicht allein auf sein Wissen verlassen kann, wenn es um die Frage geht, was in einer bestimmten Situation angebracht ist. In unseren Augen mag ein gewisses Verhalten richtig sein. Wenn wir jedoch erkennen, daß wir dadurch das schwache Gewissen eines anderen, der uns beobachtet, verletzen könnten, möchten wir sicherlich nicht darauf bestehen. Mögen wir deshalb ‘fortwährend nicht den eigenen Vorteil, sondern den des anderen’ suchen und unser Wissen dazu benutzen, ihn zu erbauen (1. Kor. 10:24).