Der Standpunkt der Bibel
Sollten Christen heute „in Zungen reden“?
IN RELIGIÖSEN Kreisen wird immer mehr das Zungenreden praktiziert. Gemeinden der Pfingstbewegung pflegen schon seit langem den Brauch, beim Beten stammelnde Laute zu äußern, die andere nicht verstehen können. In letzter Zeit haben Geistliche lutherischer Kirchen, der Episkopalkirche und der presbyterianischen Kirche und sogar römisch-katholische Priester diesen Brauch übernommen und treten dafür ein.
Vor einigen Jahren entstand im mittleren Westen der USA die katholische Pfingstbewegung. 1967 versammelte sich eine Handvoll „katholischer Pfingstler“ in der amerikanischen Notre Dame University. Dort kamen bis zum Jahre 1973 ungefähr 20 000 Personen zu einem jährlichen „Pfingstler-Treffen“ zusammen. Einige Wochen später fanden sich in der Loyola University von Los Angeles „katholische Pfingstler“, Junge und Alte, Priester und Nonnen, zu einer ähnlichen Konferenz ein.
Woher kommt dieses Interesse am Zungenreden? Wie in der Zeitschrift Newsweek vom 25. Juni 1973 berichtet wurde, sagte der Pfarrer der Episcopal Church of the Redeemer in Houston (Texas), Jeffrey Schiffmayer, ein Grund bestehe darin, daß „die Gläubigen der Episkopalkirche jetzt den Punkt erreicht haben, wo sie nach einem etwas volkstümlichen Christentum hungern“. Wie man in dieser Zeitschrift lesen konnte, ist bei vielen Katholiken das Zungenreden ein Ersatz für Amulette, Andachten und andere Formen der Marienverehrung geworden, die vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil als Schwerpunkte des volkstümlichen Katholizismus galten. Ein ähnliches Interesse am Zungenreden und an anderen „Gaben“ zeigt sich auf den Philippinen, in Korea, Indonesien, Japan, Malaysia und anderen Teilen der Welt.
In protestantischen Pfingstgemeinden wird oft die erregte Ansprache des Pastors durch Zustimmungsrufe aus der Zuhörerschaft erwidert. Auf dem Klavier werden harte Beatrhythmen gespielt. Verstärkt wird das Getöse noch durch Trommelschläge und rhythmisches Klatschen. Die Zuhörerschaft wogt, schwankt und stöhnt, während man vielleicht im Hintergrund ein kleines Kind Tamburin spielen hört. Das Gebet ist ein unverständliches Wimmern, das die Zeitschrift Time als „ein gewaltiges Gestammel aus Stöhnen, Ächzen und Schreien“ bezeichnete. Bei solchen Zusammenkünften werden die Bekehrten aufgefordert, „Jesus anzunehmen“ und darum zu beten, den heiligen Geist zu empfangen, der sie gemäß ihrem Glauben befähigen wird, in Zungen zu reden, die dem Menschen unbekannt sind.
Der Pfingsttag
Man spricht von „Pfingstbewegung“ oder „Pfingstlern“, weil man fälschlicherweise glaubt, daß sich diese Art Zungenrede am Pfingsttag des Jahres 33 u. Z. zugetragen hat. An diesem Tag wurden ungefähr 120 treue Nachfolger Christi mit heiligem Geist erfüllt, wie Jesus es versprochen hatte (Joh. 14:26). Sie hatten dann die übernatürliche Fähigkeit, Ausländer in deren eigener Sprache zu lehren. Diese Gabe des Zungenredens ermöglichte es ihnen, von Besuchern aus mindestens 15 verschiedenen Ländern verstanden zu werden, die zum Fest nach Jerusalem gereist waren. Sie waren von drei Kontinenten gekommen — sogar von Mesopotamien im Osten, von Rom im Westen und von Libyen und Ägypten im Süden. Jeder konnte in seiner eigenen Sprache etwas „über die großen Dinge Gottes“ hören. Viele, die das Gehörte annahmen, brachten die begeisternde Botschaft mit in ihre Heimat, so daß sie rasch über ein sehr großes Gebiet verbreitet wurde (Apg. 2:5-11).
Diese ersten Christen redeten nicht in „unbekannten Zungen“ oder „Engelszungen“, noch bedienten sie sich einer unverständlichen Rede als Gebetsform, wie es die „Pfingstler“ heutzutage tun. Sie redeten vielmehr in bekannten Fremdsprachen. So wird auch in Vigouroux’ bekanntem französischen Dictionnaire de la Bible (Wörterbuch zur Bibel) über das, was am Pfingsttag geschah, richtigerweise folgendes bemerkt: „Es ging nicht darum, erfundene Sprachen zu sprechen, unverständliche Schreie auszustoßen, Ausrufe der Verzückung von sich zu geben oder symbolische und enthusiastische Äußerungen zu machen, sondern darum, Sprachen zu sprechen, die andere Menschen kannten und beherrschten; dazu wurden zeitweise bestimmte treue Christen durch den heiligen Geist befähigt“ (Band IV, Spalte 80).
„Zungen“ werden aufhören
Gehört das Zungenreden heute zum Christentum? Die Antwort ist wichtig, ganz gleich, ob wir denken, die „Zungen“ seien Fremdsprachen so wie am Pfingsttag, oder ob wir sie wie die „Pfingstler“ als Gebetshilfe ansehen. Jemand, der meint, Christen sollten in Zungen reden, wird vielleicht sehr überrascht sein, in seiner eigenen Bibel zu lesen, daß der Apostel Paulus eigens erwähnte, die durch den Geist verliehene Gabe des Zungenredens würde nicht für immer bestehen. Er schrieb: „Seien es Zungen, sie werden aufhören“ (1. Kor. 13:8).
Viele „Pfingstler“ werden überrascht sein zu erfahren, daß nicht alle ersten Christen in Zungen redeten. Paulus schrieb an die Christenversammlung in Korinth: „Es reden doch nicht alle in Zungen?“ (1. Kor. 12:30).
Es hat tatsächlich den Anschein, daß die Versammlung in Korinth dem Zungenreden zu großen Wert beimaß. Paulus schrieb ihnen in seinem Brief, sie sollten das nicht tun. Er fragte: „Wenn ich, aber, Brüder, zu dieser Zeit käme und in Zungen zu euch redete, was würde ich euch Gutes tun ...?“ Es wäre für sie nur dann von Nutzen, wenn er seine Zungenreden in einer ihnen verständlichen Sprache erklären würde. Er sagte, daß wie bei Musikinstrumenten das Gesagte kein ‘undeutlicher Ruf’ sein sollte. Wir sollten nicht „in die Luft reden“. Er sagte, daß es „leichtverständliche Rede“ sein sollte, damit die Anwesenden wissen, „was geredet wird“ (1. Kor. 14:6-9).
In der Aufbauzeit der Christenversammlung waren solche Gaben des Geistes nötig, um in aufsehenerregender Weise zu bestätigen, daß Gottes Gunst von der jüdischen Nation gewichen war und von da an auf dieser neuen Christenversammlung ruhte (Hebr. 2:2-4). Mehr als 1 500 Jahre früher waren auf dem Berg Sinai Wunder geschehen, um zu beweisen, daß Gott bei der Einführung des jüdischen Gesetzesbundes durch Moses tatsächlich seine Hand im Spiel hatte. Sobald diese Tatsache feststand, hörten diese Wunder auf (2. Mose 19:16-19). Ähnliche Wunder kennzeichneten den Übergang der Gunst Gottes auf das neue, christliche System. Sobald diese Tatsache einmal feststehen würde, sollten auch diese Wunder aufhören.
In der Heiligen Schrift gibt es keinen Bericht darüber, daß nach dem Pfingsttag irgend jemand diese Gabe empfangen hätte, es sei denn, es waren ein oder mehrere der Apostel anwesend, die direkt von Jesus ausgewählt worden warena. Als die letzte der Personen starb, die von den Aposteln die Gaben des Geistes empfangen hatten, hörten also solche besonderen Gaben auf, wie es der Apostel Paulus vorhergesagt hatte.
Welche Gabe des Geistes blieb bestehen? Der inspirierte Apostel Paulus erwähnte, was bestehenbleiben würde. Das Zungenreden würde nicht bestehenbleiben, doch sagte er folgendes: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von diesen ist die Liebe“ (1. Kor. 13:8-13).
Herkunft des Zungenredens in Pfingstgemeinschaften
Wie verhält es sich aber mit dem Zungenreden, das heute von „Pfingstlern“ in der Christenheit praktiziert wird? Am Pfingsttag diente das Zungenreden dazu, anderen zu predigen, wogegen es heute in diesen religiösen Kreisen als eine Art Gebet betrachtet wird (Glossolalie). Solche Leute erklären, man könne in der Sprache des Menschen schon sagen „Gott ist gut“, „Gott ist Liebe“ und „Gott ist gütig“. Aber sie glauben, beim Äußern unbekannter Wörter („Vokale und Konsonanten, Vokale und Konsonanten, laßt sie fließen“, sagte ein protestantischer Prediger zu Leuten, die diese „Gabe“ nicht finden konnten) befähige sie der Geist dazu, ein „vollkommenes Gebet darzubringen“, das ohne Zungenreden nicht möglich wäre.
Donald Merrifield, jesuitischer Präsident der Loyola University, predigt auch auf diese Weise und sagt, das Zungenreden sei „eine gute Form des Gebets und des Lobpreises für Gott“.
Da jedoch der inspirierte Apostel sagte, diese Gabe würde aufhören, kann die heutige Praxis des Zungenredens nicht die gleiche Herkunft haben wie die der ersten Christen. Nicht alle Wunder, die in Jesu Namen vollbracht werden, stammen von ihm. Er sagte voraus: „Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: ,Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen prophezeit und in deinem Namen Dämonen ausgetrieben und in deinem Namen viele Machttaten vollbracht?‘ Und doch will ich ihnen dann bekennen: Ich habe euch nie gekannt!“ (Matth. 7:22, 23).
Der Präsident der Loyola University, Merrifield, der schon seit Jahren in Zungen redet, sagt: „Das Zungenreden könnte ein hysterisches oder, wie einige sagen, ein teuflisches Erlebnis sein.“
Todd H. Fast, Pfarrer der St. Clement’s Episcopal Church in Huntington Park (Kalifornien), der seit 1969 in Zungen redet, sagte: „Das Zungenreden ist umstritten. Der Teufel hat viele Möglichkeiten, uns zu beeinflussen. Wenn wir mit heiligem Geist getauft werden [wovon das Zungenreden bei den „Pfingstlern“ ein Zeichen sein soll], greift er wirklich an.“ Können wir dann annehmen, daß Jesus Personen, die diesen Brauch ausüben, „kennt“ oder anerkennt?
Die Bibel warnt vor der „Wirksamkeit des Satans mit jeder Machttat und mit lügenhaften Zeichen und Wundern“ (2. Thess. 2:9).
Intelligente Rede, nicht bloßes Stammeln von Christen erwartet
Daß das heutzutage unter „Pfingstlern“ übliche Zungenreden unbiblisch ist, bestätigte Timothy Smith, Historiker an der John Hopkins University und Geistlicher einer Pfingstgemeinschaft, bei der fünften Jahresversammlung der Society of Pentecostal Studies, die in Ann Arbor (Michigan) im Dezember 1975 abgehalten wurde. Er gab zu, daß das Zungenreden deshalb einen gewissen Reiz ausübt, weil es „etwas Geheimnisvolles an sich hat“ und „das Rationale überschreitet“. Er erklärte aber, der heutige Gebrauch des Zungenredens sei eine „Fehlleitung“, die auf einem falschen Verständnis der Heiligen Schrift beruhe. Er führte aus, daß sich die im „Neuen Testament“ erwähnten „Zungen“ auf bekannte Dialekte, nicht auf unbekannte Zungen beziehen. Er argumentierte, daß die gesamte Heilige Schrift ein Bild der „Vernunft und Klarheit“ vermittelt und daß die willkürliche Glossolalie (Zungenreden) dem Verstand entgegensteht. Smith sagte abschließend, daß es „im Neuen Testament, in der Urkirche und in der Geschichte keinen Beweis für eine derartige Glossolalie“ gibt, und forderte die Führer der Pfingstgemeinschaften auf, „in verantwortungsbewußter Weise diesem Mißbrauch mit Verstand und Aufrichtigkeit entgegenzutreten“ (Christianity Today, 2. Januar 1976).
Ja, Aufrichtigkeit sollte sich auch darin widerspiegeln, wie man das vertritt, was die Bibel sagt. Außerdem sollten wahre Nachfolger Jesu Christi mit Verstand und aus ihrem Herzen sprechen und nicht ein Stammeln äußern, das sie selbst und auch andere nicht verstehen. Christen bedienen sich einer Sprache, die den Verstand und das Herz erreicht, so daß die Zuhörer — nicht aus Sensationslust oder einer bloßen Gefühlsaufwallung, sondern verstandesgemäß — sagen können: „Gott ist wirklich unter euch“ (1. Kor. 14:24, 25).
[Fußnoten]
a Liest man über die Fälle nach, in denen diese Gabe verliehen wurde, kann man erkennen, daß dabei die Apostel anwesend waren. Die beiden Stellen sind Apostelgeschichte 10:44-46 und 19:6.