Wir beobachten die Welt
Eine klare Linie ist gefragt
„Die antiautoritäre Erziehung hinterläßt ratlose Eltern und eine ebenso ratlose neue Generation — was ist schiefgelaufen?“ fragt Die Weltwoche. Der Autor Renato Biscioni, Experte für Erziehung und Kinderpsychologie in Winterthur (Schweiz), zieht eine negative Bilanz. „Das neue Kind, der neue Mensch ist nicht erschienen. Unter uns und um uns herum wachsen lauter Kinder heran, die verzweifelt den früheren gleichen, ... all unseren Bemühungen, der ganzen ‚neuen Erziehung‘ zum Trotz.“ Etwas Neues sei hinzugekommen: „eine erschreckende Tendenz zur Egozentrik, zur Dominanz, zur Empfindlichkeit, zum Verharren im Kleinkindlichen und zum steten Fordern“. Den Kindern keine Grenzen zu setzen hat sich als Fehlschlag erwiesen. Das „schrankenlose Ausleben momentaner Triebimpulse“ macht nicht glücklich, sagt der Autor und kommt zu folgendem Schluß: „Vielleicht ist es in zehn Jahren wieder nötig, die Befreiung des Kindes zu fordern — jetzt aber ist die Erziehung zu Rücksichtnahme und Fairneß, zu einer gewissen Form von innerer Disziplin, ja sogar zum Anstand dringend. Es muß die Erkenntnis wieder Raum gewinnen, daß Kreativität mehr ist als bloßes Schmieren, Freiheit mehr als Egozentrik und Kritikfähigkeit mehr als die Verunglimpfung des Andersdenkenden.“
Rauchen schädigt Erbsubstanz
Wie der Deutschen Universitätszeitung (10/85) zu entnehmen ist, hat man an der Universität Mainz die Wirkung des Tabakrauchs auf die Erbsubstanz untersucht. Die Verbrennungsprodukte aus einer einzigen Zigarette (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) haben bei einem Versuch etwa 20 000 Schädigungen der Erbsubstanz DNS in einem bakteriellen Testsystem ausgelöst. Die Zeitschrift Fortschritte der Medizin (23/85) bemerkt: „Überträgt man den Schädigungsmechanismus auf den Menschen, ergibt sich, daß ein Durchschnittsraucher im Laufe seines Lebens etwa 3mal 1017 DNS-Schädigungen in seinen Zellen auslöst. Da jeweils eine von 108 DNS-Reparaturen fehlerhaft ist, beschleunigt der Raucher gezielt die Mutationsrate in seinem Körper.“
Katholische Taufe durch Untertauchen
„Die Taufe nach Art des Neuen Testaments durch Untertauchen findet bei Katholiken Anklang“, meldete die amerikanische Zeitung St. Louis Post-Dispatch. Zwar würden allgemein noch immer gemäß der Tradition die Köpfe von Säuglingen und Konvertiten besprengt oder mit Wasser begossen, doch — so erklärte James T. Telthorst, Leiter des Kultusdezernats für die Erzdiözese St. Louis — werde dem völligen Untertauchen jetzt der Vorzug gegeben. In drei Kirchen der Diözese werden bei Taufen Becken zum Untertauchen benutzt. „Bei der Urkirche war die Taufe durch Untertauchen das übliche Verfahren“, gibt James T. Telthorst zu. Der Zeitungsbericht verschweigt jedoch die Tatsache, daß in der Bibel von keinem Fall einer Kindertaufe berichtet wird.
„Mogelwissenschaft“?
Kürzlich erschien das Buch Der Mogelfaktor: die Wissenschaftler und die Wahrheit von dem bekannten Fernsehmoderator Albrecht Fölsing. Zu dem Buch, in dem anhand vieler Beispiele gezeigt wird, wie der „Mogelfaktor“ in den Wissenschaftsdisziplinen sein Unwesen treibt, wird gesagt: „Heute verführen Konkurrenzdruck, Karrieresucht und der Zwang zu hektischer Publikationstätigkeit immer mehr Forscher dazu, die mühsamen Wege der Wahrheitsfindung abzukürzen, Daten zu fälschen oder gar zu erfinden. Im Mittelpunkt von Albrecht Fölsings Studie über den ‚Mogelfaktor‘ stehen berühmte und weniger bekannte Betrugsaffären und Skandale, die freilich auch auf den sogenannten normalen Wissenschaftsbetrieb manch interessantes Licht werfen.“
Auch ein Aufsatz in der Coop-Zeitung (Schweiz) beschäftigt sich mit den jüngsten Vorfällen, die die Diskussion um den Wahrheitsgehalt wissenschaftlicher Forschung entfacht haben. Einleitend heißt es: „Die Zeiten sind vorbei, da die Wissenschaft in der Öffentlichkeit praktisch unbegrenztes Vertrauen genoß. Zum Schwinden des Kredits haben einerseits verschiedene Affären um einzelne Forscher beigetragen ..., aber auch die Tatsache, daß bei politisch umstrittenen Geschäften die Experten einander kraß widersprechen. Was soll denn der Laie glauben, wenn die einen Physiker behaupten, Atomenergie sei die sicherste Sache der Welt, während ihre Kollegen in jedem Atomkraftwerk einen möglichen Katastrophenherd sehen? Und wo bleibt die Wahrheit, wenn über die Luftverschmutzung ganz unterschiedliche Zahlen verbreitet werden — je nachdem, ob sie von der Industrie oder aber von Behörden, Universitätsinstituten oder Umweltorganisationen stammen?“
Haptonomie — Spiel mit dem Ungeborenen
Der niederländische Mediziner Frans Veldman rät, „schon in der Frühschwangerschaft, spätestens aber von den ersten spürbaren Kindsbewegungen an, durch die Bauchdecke hindurch mit dem Kind zu ‚spielen‘“, meldete die Medizinerzeitschrift selecta (17/85). „Die Mutter umfaßt dabei mit den Händen zärtlich ihr Kind und lädt es mit leichten Bewegungen zu Kontaktreaktionen ein. Wenn sie dann noch mit dem Ungeborenen spricht oder singt, reagiert es spürbar: Es bewegt sich den Händen entgegen und schmiegt sich geradezu hinein.“ Auch der Vater sollte sich regelmäßig an diesem Spiel beteiligen, um so die Beziehung zu dem Kind vertiefen zu können. Selbst die positive oder negative Einstellung der Mutter wird vom Embryo im „prärationalen affektiven Bewußtsein“ wahrgenommen und dann gespeichert. Die gezielte Kontaktaufnahme mit dem Kind, Haptonomie genannt, sowie die mütterliche Aufmerksamkeit den Bedürfnissen des Ungeborenen gegenüber soll den Geburtsvorgang selbst und die spätere Entwicklung des Kindes vorteilhaft beeinflussen.
Drohen mit Licht und Hupe
Ein Autofahrer hatte durch gefährlich dichtes Auffahren und Drohen mit Fernlicht und Hupe freie Fahrt auf der Überholspur der Autobahn erzwungen. Er wurde angezeigt, und es kam zu einer Gerichtsverhandlung. Wie ist das Verhalten eines solchen Autofahrers zu beurteilen? Das Oberlandesgericht Köln urteilte wie folgt: „Ein solches Fahrverhalten um eines geringen Zeitvorteils willen ist unerträglich, so daß an der Verwerflichkeit des Handelns kein Zweifel bestehen kann.“ Der Fahrer wurde zunächst zu einer Geldstrafe von 800 DM wegen Nötigung verurteilt. Seinem Widerspruch gab das Oberlandesgericht nicht statt. Die Richter sahen in seinem Verhalten nicht nur Ausübung „psychischen Zwangs“, sondern auch „körperliche Gewalt“, die geeignet ist, dem anderen Fahrer den eigenen Willen aufzuzwingen (Az: 1 Ss 588/83).
Geschäfte mit dem All
Der Weltraum soll für einige merkwürdige Ideen von geschäftstüchtigen Erdenbürgern herhalten. So ist in Florida (USA) ein Institut für Bestattungen im Weltraum gegründet worden. Schon 1987 soll eine Rakete mit der Asche Verstorbener 3 057 km hoch über der Erde in eine Umlaufbahn gebracht werden. Die Kosten für eine Urnenbeisetzung im All werden auf umgerechnet rund 10 000 DM geschätzt.
Andere geschäftstüchtige amerikanische Firmen vermitteln jedem Interessenten einen „eigenen“ Himmelskörper. Für eine Gebühr von 25 bis 35 Dollar erhalten Sterne, die bei den Astronomen nur durch Daten von Koordinaten registriert sind, den Namen des Zahlungswilligen. Wer bezahlt, wird in einem Buch registriert, das später im Copyright-Register der Kongreßbibliothek in Washington eingetragen werden soll. Er erhält eine Urkunde, zwei Himmelskarten sowie die genauen Teleskopkoordinaten. „Sehen kann man die verkauften Sterne freilich nur mit den starken Teleskopen von Observatorien“, stellt die Neue Tiroler Zeitung fest. Zu bemerken wäre auch noch, daß eine solche Copyright-Eintragung für ein Buch keinerlei rechtlich gültigen Einfluß auf Sternnamen hat. Die offiziellen Benennungen werden nur von der IAO (Internationale Astronomische Union) in Paris vorgenommen.
Endlose Schlangen
Die Sowjetbürger verbringen jedes Jahr etwa 65 Milliarden Stunden mit dem Warten in einer Schlange, 80 Prozent davon, um sich für Lebensmittel anzustellen. Wie Wasily D. Patruschew in der Moskauer Zeitung Iswestija schreibt, entspricht die Wartezeit der Arbeitszeit von 35 Millionen Vollbeschäftigten. „Ein typischer Irrtum ist die Annahme, daß diese Warteschlangen durch einen Mangel an Waren verursacht werden“, bemerkt der Autor, der sich am Forschungsinstitut für Soziologie mit Arbeitszeit und Freizeit beschäftigt und als „Experte“ für Warteschlangen gilt. „Wir alle lieben diese Schlangen nicht, doch machen sie sich positiv in den Geschäftsbüchern bemerkbar. Sie stehen nämlich für einen lebhaften, ununterbrochenen Zustrom von Käufern und sind die Garantie dafür, daß der Verkaufsplan erfüllt wird.“ Die Iswestija veröffentlichte auch den Leserbrief eines Wirtschaftsfachmanns, der zum Ausdruck brachte, daß die Geschäfte überhaupt nicht daran interessiert seien, über ihren monatlichen Verkaufsplan hinaus größere Umsätze zu machen — „aus Furcht, zukünftig einen höheren Verkaufsplan zugeteilt zu bekommen“, was für das Geschäft mehr Arbeit bedeuten würde.
Seeräuber
Nach Angaben des luxemburgischen tageblattes hat die Piraterie im letzten Jahrzehnt „erschreckende Ausmaße“ angenommen und kostet jährlich Hunderte von Menschenleben. Betroffen sind nicht nur Bootsflüchtlinge vor der thailändischen Küste, sondern auch — vor der Westküste Afrikas und in der Karibik — moderne Frachtschiffe und die Jachten reicher Leute. „Die Besatzungen der Frachter, die ungleich ihren Vorfahren auf den Handelsschiffen des 16. und 17. Jahrhunderts den Schutz der Ladung nicht als ihre Aufgabe betrachten“, so wird bemerkt, „stehen dabei und schauen tatenlos zu. Wer eingreift, riskiert den Tod.“ Oft entern die schwerbewaffneten Seeräuber im Schutz der Nacht zu Dutzenden die auf Reede liegenden Schiffe, durchstöbern die Mannschaftsquartiere und nehmen dann von der Ladung ausgesuchte Stücke, bevor sie sich in kleinen Booten mit Außenbordmotor davonmachen.
Das „schlechte“ Gold der Inkas
Die Indianer Südamerikas verstanden sich schon vor rund 3 000 Jahren auf die Kunst des Überziehens von Kupfer mit Gold oder Silber auf elektrochemischem Wege. „Dieses physikalisch-technisch nicht einfache Verfahren mußte ohne Kenntnis der theoretischen Grundlagen gefunden werden“, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Indios wußten dennoch, wie man Gold in einer Salzlösung auflöst und es weiterverarbeitet, wobei sie eine ganz gleichmäßige Vergoldung herstellten und auch die sonst leicht abblätternde Goldhaut durch Glühen fest mit ihrer Unterlage verbanden. „Damit gelang es ihnen, reine oder farbig getönte Gold- oder Silberoberflächen auf Kupfer oder Legierungen mit geringem Edelmetallgehalt herzustellen“, heißt es. Das mußten schon die Spanier feststellen, „als sie Goldgerät oder Schmuck der Inkas und Azteken einschmolzen“. Die komplizierten und hochentwickelten metallurgischen Verfahren wurden jetzt — unter anderem mit Hilfe eines Rasterelektronenmikroskops — aufgeklärt.