Der überwältigende Aquädukt von Segovia
WIR neigen dazu, die Errungenschaften des modernen Menschen zu bestaunen. Wissenschaft und Technik haben das Wunder vollbracht, in den Weltraum zu fliegen. Auch hat man die Geheimnisse des Atoms gelüftet. Wenn aber jemand wirklich überwältigt sein möchte, sollte er in Spanien die alte Stadt Segovia besuchen. Auf der Fahrt in Richtung Altstadt gerät man ins Staunen über ein Wunder alter Architektur und Baukunst — der Aquädukt von Segovia. Schon in alter Zeit wurde über diesen Aquädukt das Wasser von den nahe gelegenen Bergen der Sierra Fuenfria nach Segovia geleitet.
Am alten Marktplatz, dem Plaza del Azoguejo, erheben sich die Bogen des Aquädukts etwa 28 Meter hoch. Der Aquädukt führt über eine Länge von mehr als 900 Metern durch Segovia und gleicht mit seinen 166 doppelreihigen Bogen einem Vorhang, der dazu einlädt hindurchzugehen — hindurch zur Altstadt von Segovia, wo sich die Geschichte vor dem Betrachter entrollt. Der Aquädukt ist in der Tat geschichtsträchtig. Er wurde von den Römern erbaut, manche sagen, unter Kaiser Augustus (27 v. u. Z. bis 14 u. Z.), andere meinen, unter Kaiser Trajan (98 bis 117 u. Z.).
Moderne Architekten sind von diesem Bauwerk beeindruckt, und das noch mehr, wenn sie daran denken, daß die Römer es ohne Zement oder Kalk erbauten. Die Form der Steine wurde festgelegt, dann wurden sie behauen und so genau gesetzt, daß sie fast 2 000 Jahre dem Zahn der Zeit getrotzt haben. Die schmalen Säulen stehen so stolz wie eh und je. Der einzelne Bogen wurde über einem Holzrahmen angelegt, und zum Schluß wurde der Hauptstein gesetzt, wodurch das übrige des Bogens in seiner Lage blieb. Danach wurde der Holzrahmen abgebaut.
Im 17. Jahrhundert nannte man den Aquädukt El Puente del Diablo (Die Teufelsbrücke). Wie kam es dazu? Gemäß einer Legende hat der Teufel die Brücke gebaut und jeden verflucht, der die Bogen zählen wollte. Noch heute ist die genaue Anzahl der Bogen umstritten, da einige versteckt liegen können. Die gegenwärtige Zählung beläuft sich auf 166 Bogen.
Die Römer waren sich der Wichtigkeit bewußt, ihre Städte mit sauberem Wasser zu versorgen. Gemäß einem Werk wurden zum Beispiel dem alten Rom über 11 größere Aquädukte täglich etwa 320 Millionen Liter Wasser zugeleitet. Bei einem großen Teil dieser Wasserleitungen handelte es sich nicht um Brücken, sondern um Tunnel, die in Berge und Hügel gehauen wurden. Die Römer hatten das Talent, den Tunneln genügend Gefälle zu geben, damit das Wasser fließen konnte. Sie legten auch Schächte an, um zu verhindern, daß sich Lufteinschlüsse bildeten, und um die Überprüfung und Instandhaltung zu ermöglichen.
Selbst in Europa von heute „gibt es wahrscheinlich noch Überreste von über 200 dieser alten römischen Aquädukte — viele haben erstaunlichere Bogen als diejenigen in der Umgebung von Rom“ (The New Encyclopædia Britannica). Und einer dieser Aquädukte ist der überwältigende Aquädukt von Segovia.
[Bilder auf Seite 23]
Der Aquädukt von Segovia, der ohne Mörtel gebaut wurde, hat 166 Bogen
Teilansicht vom Stadtinneren aus
Das Bauwerk wurde vor fast 2 000 Jahren von den Römern errichtet