Die Lunge — wunderbar geschaffen
MAN kann wochenlang ohne Nahrung am Leben bleiben. Und man kann tagelang ohne Wasser auskommen. Wenn man aber die Luft anhält, merkt man schon nach wenigen Sekunden, daß einem etwas fehlt. Nur vier Minuten Sauerstoffentzug können zu Schäden im Gehirn und schließlich zum Tod führen. Ja, was der menschliche Körper am dringendsten benötigt, ist Sauerstoff.
Wir haben wahrscheinlich nicht viel Einfluß auf die Beschaffenheit unserer Atemluft. Dennoch brauchen wir Luft, und zwar augenblicklich! Wie wird unser Körper mit schmutziger, zu kalter, zu heißer oder zu trockener Luft fertig? Wie entzieht er solcher Luft den lebenerhaltenden Sauerstoff, und wie gelangt dieser in jeden Winkel des Körpers? Wie wird das Kohlendioxyd entfernt? All das ist dank unserer wunderbar geschaffenen Lunge möglich.
Die Lunge im Überblick
Die zwei Lungenflügel sind unsere Hauptatmungsorgane. Im Brustkorb sind sie gut untergebracht; dort befinden sie sich zu beiden Seiten des Herzens. Der rechte Lungenflügel ist in drei Lappen unterteilt, der linke in zwei. Jeder davon ist bis zu einem gewissen Grad von den anderen unabhängig. Deshalb können Chirurgen einen kranken Lappen entfernen, ohne daß die anderen dadurch beeinträchtigt werden. Oberflächlich betrachtet, ähnelt das Lungengewebe in seiner Struktur einem Schwamm.
Die Unterseite der Lungenflügel ruht auf dem Zwerchfell, einer kräftigen Muskelplatte, die die Brusthöhle von der Bauchhöhle trennt. Das Zwerchfell ist der Hauptmuskel der Atmung und wirkt beim ständigen Ausdehnen und Zusammenziehen der Lunge mit. Vom Zwerchfell aus erstrecken sich die Lungenflügel nach oben bis zum Halsansatz. Jeder Lungenflügel ist von einem dünnen Häutchen umschlossen. Auch die Innenseite der Brusthöhle ist mit einem solchen Häutchen, Brustfell oder Pleura genannt, ausgekleidet. Zwischen den beiden Häutchen befindet sich ein Flüssigkeitsfilm, der beim Atmen ein reibungsfreies Gleiten der Lungenflügel im Brustkorb ermöglicht.
Bis jetzt hat man in der Lunge etwa 25 bis 30 verschiedene Zellarten entdeckt. Die unterschiedlichsten Muskeln und Nerven, Knochen und Knorpel, Blutgefäße, Flüssigkeiten, Hormone und Chemikalien spielen bei der Funktion der Lunge eine wichtige Rolle. Wissenschaftler können noch nicht alle Einzelheiten erklären, doch wollen wir nun einige der vielen bekannten Merkmale kennenlernen.
Ein „Baum“ von Luftwegen
Unser Atmungsapparat besteht im wesentlichen aus einer Reihe miteinander verbundener Röhren und Durchgänge. Wenn die Luft in der Lunge ankommt, hat sie schon eine ganz schöne Reise hinter sich. Zunächst strömt sie durch Nase oder Mund in den Pharynx, das heißt den Rachen. Im Rachen überkreuzen sich Luft- und Speiseweg. Um zu verhindern, daß Speise und Flüssigkeit in die Luftwege eintreten, legt sich beim Schlucken ein kleiner beweglicher Deckel, der Kehldeckel, vor deren Eingang.
Nun gelangt die Luft in den Kehlkopf (Larynx), wo sich die Stimmbänder befinden. Daran schließt sich die fast 12 Zentimeter lange Trachea oder Luftröhre an, die in ihrer ganzen Länge durch etwa 20 hufeisenförmige Knorpelspangen versteift ist. Die Luftröhre gabelt sich an ihrem Ende in zwei jeweils 2,5 Zentimeter lange Röhren — die Hauptbronchien. Ein Bronchus führt in den rechten, der andere in den linken Lungenflügel. Dort teilen sich die Röhren weiter.
Diese Verzweigung setzt sich innerhalb der Lunge so fort, daß eine baumähnliche Struktur mit einem Stamm, Ästen und Zweigen entsteht. Bei jeder Verzweigung werden die Luftwege natürlich enger. Die Luft gelangt dann in kleine Zweige — ein Netzwerk von winzigen Gefäßen, Bronchiolen genannt, deren Durchmesser weniger als 1 Millimeter beträgt. Die Bronchiolen führen zu noch kleineren Kanälen, die die Luft in etwa 300 Millionen kleine Luftbeutel, die Alveolen, leiten. Diese Luftbeutel sind traubenförmig angeordnet und sehen wie kleine Ballons aus. Hier endet das baumgleiche Luftwegesystem, und die Luft hat ihren Bestimmungsort erreicht.
Die entscheidende Schwelle
Die entscheidende Schwelle für die eingeatmete Luft sind die hauchdünnen Wände der Alveolen. Sie sind nur 0,5 Mikrometer dünn. Das Papier dieser Zeitschrift ist etwa 150mal so dick!
Jede der winzigen Alveolen ist von einem Netz aus Blutgefäßen, den Lungenkapillaren, bedeckt. Die Kapillaren sind so eng, daß die roten Blutkörperchen nur einzeln hindurchpassen. Und die Wände sind so dünn, daß das Kohlendioxyd aus dem Blut in die Alveolen eindringen kann. Umgekehrt verhält es sich mit dem Sauerstoff. Er verläßt die Alveolen und wird von den roten Blutkörperchen aufgenommen.
Jedes einzelne rote Blutkörperchen bleibt jeweils etwa eine dreiviertel Sekunde in den Lungenkapillaren. Das läßt Kohlendioxyd und Sauerstoff genügend Zeit, die Plätze zu tauschen. Dieser Gasaustausch geschieht durch die sogenannte Diffusion. Das mit Sauerstoff angereicherte Blut gelangt über die Lungenvene schließlich in die linke Herzhälfte; von dort aus wird unser Lebenssaft in den ganzen Körper gepumpt. Alles in allem benötigt das gesamte Blut im Körper etwa eine Minute, um durch dieses ausgeklügelte System zu fließen!
Wie verläßt die kohlendioxydbeladene Luft die Lunge wieder? Ist zum Ausatmen ein separates Luftwegesystem nötig? Der „Baum“ von Luftkanälen in der Lunge ist so genial konstruiert, daß er gleichermaßen dem Einatmen wie dem Ausatmen dient. Während die Lunge beim Ausatmen ihr Kohlendioxyd „entsorgt“, können interessanterweise gleichzeitig auch die Stimmbänder zum Schwingen gebracht werden, und so entsteht der zum Sprechen erforderliche Laut.
Qualitätskontrolle
Beim Einatmen durch Nase und Mund wird die Luft einer Qualitätskontrolle unterzogen. Ist sie zu kalt, dann wird sie schnell auf die entsprechende Temperatur angewärmt. Ist sie zu warm, wird sie gekühlt. Was passiert, wenn die Luft zu trocken ist? Die Wände von Nasenhöhle, Nebenhöhlen, Rachen und den anderen Atemkanälen sind mit einer Schleimhaut, der Mukosa, ausgekleidet. Beim Einatmen trockener Luft wird Feuchtigkeit von der Schleimhaut in die Luft abgegeben. Bis die Luft die entferntesten Zipfel der Lunge erreicht hat, ist die relative Luftfeuchtigkeit auf fast 100 Prozent angestiegen. Es ist interessant, daß die Luft beim Ausatmen über die Hälfte der Feuchtigkeit wieder an die Schleimhäute zurückgibt.
Das Qualitätskontrollsystem verfügt auch über einen ausgeklügelten Luftfilter. Im Verlauf eines Tages strömen etwa 9 500 Liter Luft durch die Lunge. Die Luft ist oftmals mit Krankheitserregern, giftigen Teilchen, Rauch oder anderem Schmutz beladen. Der Atmungsapparat ist jedoch so konstruiert, daß er die meisten dieser Verunreinigungen beseitigen kann.
Zunächst fangen die Haare und die Schleimhäute in der Nase größere Schmutzteilchen ab. Außerdem wachsen an den Wänden der Luftwege Millionen von mikroskopisch kleinen, haarähnlichen Fortsätzen, die Zilien. Wie Ruder bewegen sie sich hin und her, etwa 16mal in der Sekunde, und befördern so verschmutzten Schleim von der Lunge weg. Die Lunge bedient sich auch besonderer Zellen, Alveolarmakrophagen genannt, die die Aufgabe haben, Bakterien abzutöten und gefährliche Teilchen einzufangen.
Bevor die eingeatmete Luft also das empfindlichste Gewebe der Lunge erreicht, wird sie klimatisiert und gefiltert. In der Tat ein Konstruktionswunder!
Ein automatisches System
Im Gegensatz zur Nahrungs- und Wasseraufnahme kann unser Körper der Umgebung Sauerstoff entziehen, ohne daß wir uns bewußt anstrengen müssen. Automatisch nimmt eine gesunde Lunge mit etwa 14 Atemzügen in der Minute Sauerstoff aus der Luft auf. Sogar im Schlaf arbeitet die Lunge ohne bewußte Steuerung weiter.
Vorübergehend kann dieses automatische System auch ausgeschaltet werden. Die Atmung ist daher bis zu einem gewissen Grad willkürlich steuerbar. Wer wollte schließlich, daß die Atmungsautomatik weiterarbeitet, wenn er unter Wasser schwimmt! Und ohne den Atem anzuhalten, könnte man bei 14 Atemzügen in der Minute im Falle eines Feuers kaum schnell genug aus einem mit Rauch gefüllten Raum entkommen. Natürlich läßt sich die Automatik nicht lange ausschalten. Spätestens nach ein paar Minuten wird die Lunge unvermeidlich wieder auf „Automatik“ umschalten.
Aber wodurch werden bei diesem automatischen System die Muskeln dazu angeregt, die Lunge zum Ausdehnen und Zusammenziehen zu bewegen? Das Kontrollzentrum befindet sich im Hirnstamm. Besondere Rezeptoren überwachen hier den Kohlendioxydgehalt im Körper. Steigt er an, dann werden stimulierende Signale durch ein Netzwerk von Nerven zur Atemmuskulatur geleitet.
Das macht den Atmungsapparat erstaunlich flexibel. Die Lunge kann sogar mit plötzlich wechselnden Betätigungen Schritt halten. Bei großer Anstrengung benötigt der Körper zum Beispiel ungefähr die 25fache Sauerstoffmenge und erzeugt etwa 25mal mehr Kohlendioxyd als im Ruhezustand. Jedoch gleicht die Lunge fast augenblicklich die Atemfrequenz und das Atemvolumen dem ständig wechselnden Sauerstoffbedarf an.
Auch andere ausgeklügelte Steuermechanismen tragen zur ordnungsgemäßen Lungenfunktion bei. So spielen einige für die Atmung wichtige Muskeln noch bei weiteren Funktionen wie dem Schlucken und dem Sprechen eine Rolle. Diese werden aufeinander abgestimmt, so daß sie nur selten beim Atmen stören. Und all das geht ohne jegliche bewußte Anstrengung vor sich. Es funktioniert automatisch!
Natürlich arbeitet mitunter auch die Lunge nicht richtig, besonders wenn unsere Abwehrkräfte geschwächt sind. Es gibt Krankheiten wie Asthma, Bronchitis, Lungenemphysem, Lungenkrebs, Lungenödem, Rippenfellentzündung, Lungenentzündung und Tuberkulose sowie eine Reihe von Bakterien-, Virus- und Pilzinfektionen.
Diese Krankheiten sind jedoch nicht das Ergebnis einer fehlerhaften oder mangelhaften Konstruktion der Lunge. Die meisten Lungenerkrankungen gehen darauf zurück, daß man Schmutz, Staub oder Dämpfen ausgesetzt ist, mit denen der Mensch die Umwelt belastet. Millionen leiden heutzutage an Lungenkrebs, Bronchitis oder einem Lungenemphysem, weil sie rauchen oder ihren Atmungsapparat auf andere Weise mißbrauchen.
Im Normalfall aber ist unsere Lunge ein Wunderwerk, das dem großen Schöpfer, Jehova Gott, zur Ehre gereicht. Wie der Psalmist treffend sagte, sind wir „auf furchteinflößende Weise wunderbar gemacht“ (Psalm 139:14).
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Was ist der Grund dafür?
Niesen: Ein unwillkürlicher, explosionsartiger Luftausstoß durch Mund und Nase. Nervenenden in der Nase verursachen einen Niesreiz, um störende Teilchen aus ihr zu entfernen. Auch kalte Luft löst mitunter einen Niesreiz aus. Beim Niesen entsteht ein Luftstrom mit einer Geschwindigkeit von bis zu 166 Stundenkilometern, wobei bis zu 100 000 Tröpfchen, bestehend aus Schleim und Mikroorganismen, ausgestoßen werden. Wenn man daher beim Niesen nichts vor Mund und Nase hält, kann man andere anstecken.
Husten: Ein jäher Luftausstoß, um Schadstoffe aus der Lunge zu entfernen, hervorgerufen durch Reizung der Atemwegsauskleidung. Man kann auch absichtlich husten, um Rachen und Bronchien frei zu bekommen. Wie beim Niesen können beim Husten Krankheitserreger verbreitet werden.
Schluckauf: Ein plötzliches, unwillkürliches Einatmen, verursacht durch krampfartiges Zusammenziehen des Zwerchfells. Dieses stoßweise erfolgende Zusammenziehen kann durch Störungen der Organe in der Umgebung des Zwerchfells hervorgerufen werden. Zufolge des Krampfs wird Luft durch den Kehlkopf in die Lunge gesogen. Im Kehlkopf bewegt die Luft den Kehldeckel, was die Stimmbänder zum Schwingen bringt. Dadurch entsteht das Hicksen.
Schnarchen: Ein im Schlaf entstehendes, gewöhnlich durch Mundatmung hervorgerufenes rasselndes Geräusch. Weiches Gewebe im hinteren Gaumen gerät in Schwingung, wenn Luft vorbeistreicht. Auch Lippen, Wangen und Nasenflügel können vibrieren. Wer auf dem Rücken schläft, neigt dazu, den Mund offenstehen zu lassen, wobei die Zunge die Luftwege versperrt. Man kann das Schnarchen möglicherweise vermeiden, wenn man auf der Seite schläft.
Gähnen: Ein tiefes, unwillkürliches Einatmen, vermutlich als Reaktion auf einen erhöhten Kohlendioxydgehalt in der Lunge. Das Gähnen wird als ansteckend bezeichnet, weil man gewöhnlich selbst gähnen muß, wenn man andere gähnen sieht oder hört. Auch Wissenschaftler können dieses Phänomen nicht erklären.
[Diagramme auf Seite 23]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
Rachen
Luftröhre
Hauptbronchien
Rechter Lungenflügel
Nebenhöhlen
Kehldeckel
Kehlkopf
Stimmbänder
Linker Lungenflügel
Querschnitt durch eine Bronchiole
Lungenkapillaren
Alveolen