Jugendliche, die Kraft besitzen, die „über das Normale hinausgeht“
DU BIST jung. Erst zwölf Jahre alt. Du liebst deine Eltern. Du hast nette Schulkameraden. Du bist ab und zu am Strand oder machst Bergtouren. Die funkelnden Sterne am Nachthimmel bringen dich immer wieder zum Staunen. Dein ganzes Leben liegt noch vor dir.
Und jetzt heißt es, du hättest Krebs. Für einen Sechzigjährigen ist solch eine Nachricht ein Schicksalsschlag. Für jemanden, der erst zwölf ist, ist sie die absolute Katastrophe.
Lenae Martinez
So erging es der 12jährigen Lenae Martinez. Sie hatte die Hoffnung, für immer auf einer paradiesischen Erde zu leben. Diese Hoffnung stützte sich auf die biblische Unterweisung, die sie von ihren Eltern, Zeugen Jehovas, erhalten hatte. Hatte sie nicht selbst in der Bibel gelesen, daß die Erde für immer bestehen wird, daß sie geschaffen wurde, damit sie auch bewohnt werde, und daß die Sanftmütigen sie für immer erben werden? (Prediger 1:4; Jesaja 45:18; Matthäus 5:5).
Und nun befand sie sich im Valley-Kinderkrankenhaus in Fresno (Kalifornien, USA). Sie war dort mit Verdacht auf eine Nierenentzündung eingeliefert worden. Untersuchungen ergaben jedoch, daß sie an Leukämie litt. Die behandelnden Ärzte beschlossen, ein Erythrozyten- und ein Thrombozytenkonzentrat zu transfundieren und unverzüglich mit einer Chemotherapie zu beginnen.
Lenae aber verweigerte Blut und Blutprodukte und erklärte, sie sei gelehrt worden, daß Gott dies verbiete, wie die Bibelbücher 3. Mose und Apostelgeschichte zeigen. „Denn der heilige Geist und wir selbst haben es für gut befunden, euch keine weitere Bürde aufzuerlegen als folgende notwendigen Dinge: euch von Dingen zu enthalten, die Götzen geopfert wurden, sowie von Blut und von Erwürgtem und von Hurerei“ (Apostelgeschichte 15:28, 29). Lenaes Eltern unterstützten sie zwar in ihrer Haltung, doch Lenae betonte, es sei ihre eigene Entscheidung, an der ihr sehr viel liege.
Die Ärzte unterhielten sich mehrmals mit Lenae und ihren Eltern. Dennoch kamen sie noch einmal an einem Nachmittag. Über diese Visite berichtete Lenae: „Ich war wegen der schlimmen Schmerzen total geschwächt und hatte ziemlich viel Blut gespuckt. Die Ärzte stellten mir dieselben Fragen, nur anders verpackt. Und ich antwortete ihnen zum wiederholten Mal: ‚Ich möchte kein Blut und keine Blutprodukte. Eher würde ich sterben, wenn es sein müßte, als mein Versprechen, das ich Jehova Gott gegeben habe, nämlich seinen Willen zu tun, zu brechen.‘“
Lenae erzählte weiter: „Am nächsten Morgen waren sie wieder da. Die Zahl der Thrombozyten sank, und ich hatte immer noch hohes Fieber. Diesmal hörte mir der Arzt länger zu. Obwohl sie mit meiner Haltung nicht einverstanden waren, sagten sie, ich sei für meine zwölf Jahre ein wirklich reifes Mädchen. Später kam mein Kinderarzt herein und meinte, es würde ihm zwar leid tun, aber in meinem Fall helfe nur noch eine Chemotherapie zusammen mit Bluttransfusionen. Er sagte, er werde später wiederkommen, und ging.
Nachdem er hinausgegangen war, mußte ich schrecklich weinen, denn er hatte sich um mich gekümmert, solange ich denken kann, und nun kam ich mir wie verraten vor. Als er später wiederkam, beschrieb ich ihm, wie ich mich fühlte: im Stich gelassen. Er war überrascht und sagte, es tue ihm leid. Es sei nicht seine Absicht gewesen, mich zu kränken. Er schaute mich an und meinte: ‚Nun, Lenae, wenn es so sein soll, dann werden wir uns im Himmel wiedersehen.‘ Er nahm seine Brille ab, sagte mir mit Tränen in den Augen, daß er mich liebhat, und drückte mich ganz fest. Ich habe mich bedankt und gesagt: ‚Das ist nett von Ihnen. Ich mag Sie auch, Doktor Gillespie, doch ich hoffe, nach meiner Auferstehung auf einer paradiesischen Erde zu leben.‘“
Dann kamen ein Arzt, eine Ärztin und ein Rechtsanwalt, sagten zu Lenaes Eltern, sie würden sich gern allein mit ihrer Tochter unterhalten, und baten sie, aus dem Zimmer zu gehen, was die Eltern auch taten. Die Ärzte gingen während des ganzen Gesprächs sehr taktvoll und freundlich mit Lenae um, und sie waren von ihrer Redegewandtheit und von ihrer tiefen Überzeugung beeindruckt.
Sie erklärten ihr, daß sie an der Leukämie sterben wird, und fügten hinzu: „Durch Bluttransfusionen können wir dein Leben verlängern. Wenn du allerdings Blut ablehnst, wirst du in wenigen Tagen tot sein.“
„Wenn ich einverstanden wäre“, fragte Lenae, „wie lange würde ich dann noch leben?“
„Etwa drei bis sechs Monate“, lautete die Antwort.
„Und was könnte ich in diesen sechs Monaten tun?“
„Du würdest wieder zu Kräften kommen. Du könntest viel unternehmen. Du könntest Disney World besuchen. Und du könntest dir noch viele andere Orte ansehen.“
Lenae überlegte kurz und erwiderte: „Solange ich lebe, zwölf Jahre lang, habe ich Jehova gedient. Er hat mir ewiges Leben in einem Paradies versprochen, wenn ich ihm gehorche. Ich werde ihm doch jetzt nicht wegen sechs Monaten Leben den Rücken kehren! Ich möchte ihm bis in den Tod treu bleiben. Dann wird er mich zu seiner bestimmten Zeit auferwecken und mir ewiges Leben schenken. Und wenn es soweit ist, werde ich genug Zeit haben, all das zu tun, wozu ich Lust habe.“
Die Ärzte und der Rechtsanwalt waren sichtlich beeindruckt. Sie lobten Lenae, gingen hinaus und sagten zu ihren Eltern, daß ihre Tochter wie eine Erwachsene rede und denke und in der Lage sei, eigene Entscheidungen zu treffen. Sie legten der Ethikkommission des Valley-Kinderkrankenhauses nahe, Lenae als reife Minderjährige anzuerkennen. Die Kommission — sie setzte sich aus Ärzten und anderen Vertretern der Gesundheitsfürsorge zusammen — und ein Professor für Ethik von der Universität Fresno entschieden, daß Lenae ihre eigene Entscheidung in Verbindung mit der Behandlung treffen dürfe. Sie hielten Lenae für eine reife Minderjährige. Man strebte keine gerichtliche Verfügung an.
Am 22. September 1993 um 6.30 Uhr — nach einer langen, schweren Nacht — starb Lenae in den Armen ihrer Mutter. Diejenigen, die in jener Nacht bei Lenae waren, werden nicht vergessen, mit welcher Gelassenheit und Würde Lenae alles ertrug. Ihrer Beerdigung wohnten 482 Personen bei, unter anderem auch Ärzte, Krankenschwestern und Lehrer, die von Lenaes Glauben und Lauterkeit beeindruckt waren.
Die Eltern und die Freunde Lenaes waren den Ärzten, den Krankenschwestern und der Krankenhausverwaltung des Valley-Kinderkrankenhauses von Herzen dankbar, daß sie die Reife dieser Minderjährigen erkannt hatten und es daher nicht nötig geworden war, den Fall vor Gericht zu bringen, um zu dieser Überzeugung zu gelangen.
Crystal Moore
Die 17jährige Crystal Moore, die im Columbia Presbyterian Medical Center (New York City) aufgenommen wurde, wurde nicht so rücksichtsvoll behandelt. Sie litt an einer entzündlichen Darmerkrankung. Bei ihrer Aufnahme ins Krankenhaus betonten Crystal und ihre Eltern immer wieder, daß sie Blut ablehnten. Crystal wollte nicht sterben; sie wünschte sich vielmehr eine medizinische Behandlung, die in Übereinstimmung mit dem biblischen Gebot ist, sich des Blutes zu enthalten (Apostelgeschichte 15:28, 29).
Das Ärzteteam, das sich um Crystal kümmerte, war davon überzeugt, daß ihr Zustand eine Bluttransfusion erforderlich machte. Ein Arzt meinte schroff: „Wenn Crystal nicht bis Donnerstag, den 15. Juni, eine Bluttransfusion erhält, wird sie am Freitag, den 16. Juni tot sein!“ Am 16. Juni lebte Crystal immer noch, und das Krankenhaus wandte sich an das zuständige Gericht des Staates New York, um eine Bluttransfusion zu erzwingen.
Bei der Verhandlung, die unverzüglich am Morgen des 16. Juni im Krankenhaus anberaumt wurde, erklärte einer der Mediziner, Crystal benötige sofort zwei Blutkonserven und später wahrscheinlich noch mindestens zehn zusätzliche. Außerdem sagte er, daß er Crystals Arme und Beine am Bett festbinden würde, falls sie sich der Transfusion widersetzen sollte. Crystal sagte den Ärzten, sie würde Zeter und Mordio schreien, sollte man versuchen, ihr Blut zu transfundieren; eine aufgezwungene Bluttransfusion sei für sie als Zeugin Jehovas so widerwärtig wie eine Vergewaltigung.
Obwohl Crystals Anwalt während der Verhandlung mehrmals darum gebeten hatte, wurde ihr nicht erlaubt, ihren Standpunkt selbst darzulegen und das Gericht so von ihrer Entscheidungsfähigkeit zu überzeugen. Crystal hatte kurz zuvor in einem Talentwettbewerb für ihre herausragenden schulischen Leistungen an der High-School einen Preis erhalten, dennoch untersagte ihr das Gericht der ersten Instanz, zu Protokoll zu geben, warum sie Blut verweigere. Das lief auf eine Absage an Crystals Rechte hinaus — das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren, auf körperliche Unversehrtheit, auf Achtung der Privatsphäre und das Recht auf Religionsfreiheit.
Das Gericht der ersten Instanz ließ Crystal ihre Aussage zwar nicht zu Protokoll geben, sprach aber etwa zwanzig Minuten lang mit ihr allein in einem Krankenzimmer. Nach diesem Gespräch sagte die Richterin, Crystal sei „offensichtlich sehr intelligent“ und „ziemlich redegewandt“; sie erklärte, Crystal sei „ganz gewiß zurechnungsfähig“ und „in der Lage, sich klar und verständlich auszudrücken“. Trotz dieser Beobachtungen weigerte sich das erstinstanzliche Gericht hartnäckig, Crystal die Entscheidung über die medizinische Behandlung selbst zu überlassen.
Am Sonntag, dem 18. Juni, wurde morgens eine Notoperation erforderlich, der Crystal auch zustimmte, doch sie weigerte sich nach wie vor, Blut zu akzeptieren. Bei der Operation verlor sie nur 90 Kubikzentimeter Blut. Trotzdem behaupteten die Mediziner, daß eventuell eine postoperative Bluttransfusion gegeben werden müßte. Ein anderer Arzt vertrat die Meinung, daß eine Transfusion unnötig sei. Er hatte in den vergangenen dreizehn Jahren immer wieder ähnliche Fälle ohne Bluttransfusionen behandelt, und in keinem Fall war eine postoperative Transfusion nötig geworden.
Am 22. Juni 1989 wurde dem Krankenhaus vorübergehend das Sorgerecht für Crystal zugesprochen, so daß Bluttransfusionen angeordnet werden konnten, jedoch nur, „wenn dies zum Schutz und zur Rettung ihres Lebens unerläßlich ist“. Die Vormundschaft endete, als Crystal aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Sie benötigte zu keinem Zeitpunkt Blut, daher wurde ihr auch keines übertragen, doch es ist schockierend, auf welche Weise sie vom Gericht behandelt wurde.
Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus bestand Crystal die Abschlußprüfung an der High-School mit Auszeichnung. Kurze Zeit später wurde sie eine Vollzeitdienerin der Zeugen Jehovas. Sie machte Führungen in der Kongreßhalle der Zeugen in Jersey City und gehörte einem Team an, das beim Neu- und Umbau von Königreichssälen mithilft.
Die Ärzte im Columbia Presbyterian Medical Center hatten jedoch behauptet, daß Crystal, erhalte sie nicht am 15. Juni eine Bluttransfusion, am 16. Juni tot sein werde; und sollte sie sich gegen eine Bluttransfusion wehren, würde man ihre Arme und Beine am Bett festbinden. Sollten Ärzte somit eine gerichtliche Anordnung für eine Bluttransfusion erwirken wollen und unverfroren erklären, daß der Patient sterben wird, falls das Gericht ihrem Antrag nicht sofort entspricht, dann sollte man ihnen von Crystal Moore erzählen.
Lisa Kosack
Die erste Nacht, die Lisa in der Torontoer Kinderklinik verbrachte, war schlimmer als ein Alptraum. Sie war um 4 Uhr nachmittags eingeliefert und sofort einer Reihe Tests unterzogen worden. Erst um 23.15 Uhr wurde sie in ihr Krankenzimmer geschoben. Lisa berichtete, was sich dann um Mitternacht ereignete. „Um Mitternacht kam eine Krankenschwester herein und sagte: ‚Ich muß dir jetzt etwas Blut geben.‘ Ich rief: ‚Ich will kein Blut haben, ich bin eine Zeugin Jehovas! Das wissen Sie doch wohl hoffentlich!‘ ‚Ja, das weiß ich‘, antwortete sie, zog unvermittelt die Kanüle aus Lisas Arm und stieß die andere hinein, durch die das Blut übertragen wurde. Ich schrie und wurde hysterisch.“
Wie herzlos und brutal dieses kranke, verängstigte 12jährige Mädchen mitten in der Nacht in einer fremden Umgebung behandelt wurde! Lisas Eltern hatten ihre Tochter in der Hoffnung in die Torontoer Kinderklinik gebracht, freundliche und kooperative Ärzte vorzufinden. Statt dessen wurde Lisa auf gemeinste Weise um Mitternacht eine Bluttransfusion aufgezwungen, obwohl sie und ihre Eltern der Überzeugung waren, daß die Übertragung von Blut oder von Blutprodukten eine Verletzung des göttlichen Gesetzes darstellt und daher zu meiden ist (Apostelgeschichte 15:28, 29).
Am nächsten Morgen versuchte das Krankenhaus, eine gerichtliche Anordnung zu erwirken, um Lisa Bluttransfusionen aufzwingen zu können. Die Verhandlung dauerte fünf Tage, und Richter David R. Main hatte den Vorsitz. Das Gericht kam in einem Krankenhaussaal zusammen, und Lisa war alle fünf Tage anwesend. Sie litt an einer akuten myeloischen Leukämie, ein Zustand, der gewöhnlich zum Tod führt, auch wenn die Ärzte sagten, in 30 Prozent der Fälle sei eine Heilung möglich. Sie verordneten eine aggressive Chemotherapie und mehrfache Bluttransfusionen — eine Therapie, die mit großen Schmerzen und entkräftenden Nebenwirkungen einhergeht.
Am vierten Verhandlungstag machte Lisa ihre Aussage. Eine der Fragen lautete, was sie bei der aufgezwungenen mitternächtlichen Bluttransfusion empfunden habe. Sie erklärte, sie habe sich wie ein Hund gefühlt, der für ein Experiment gebraucht werde, es sei ihr wie eine Vergewaltigung vorgekommen; nur weil sie minderjährig sei, würden einige Leute meinen, sie könnten mit ihr machen, was sie wollten. Es sei ihr zuwider gewesen, das Blut von jemand anders zu erhalten, und sie habe sich gefragt, ob sie Aids, Hepatitis oder eine andere Infektion bekommen würde. Vor allem jedoch habe sie sich Sorgen gemacht, wie Jehova wohl über sie denke, da sie sein Gesetz übertreten habe, das untersage, Blut einer anderen Person in den eigenen Körper aufzunehmen. Sollte so etwas jemals wieder geschehen, würde sie sich „mit aller Macht dagegen wehren, den Ständer mit der Blutkonserve umwerfen, die Kanüle aus dem Arm reißen, ganz gleich, wie schmerzhaft das ist, und Löcher in die Blutkonserve machen“.
Lisas Anwältin fragte: „Wie findest du es, daß die Children’s Aid Society deinen Eltern das Sorgerecht entziehen und es selbst zugesprochen bekommen möchte?“
„Nun, das macht mich sehr, sehr wütend. Das ist wirklich herzlos, denn meine Eltern haben mich noch nie geschlagen; sie lieben mich, und ich liebe sie, und wenn ich eine Angina, eine Erkältung oder sonst irgend etwas hatte, haben sie sich immer um mich gekümmert. Ihr ganzes Leben dreht sich um mich, und nur weil jetzt irgend jemand daherkommt und anderer Meinung ist, will man mich ihnen einfach wegnehmen, ich finde das ganz gemein und ganz unmöglich.“
„Willst du sterben?“
„Nein, wer möchte schon sterben! Aber ich habe keine Angst, wenn es so sein sollte, weil ich die Hoffnung habe, einmal ewig auf einer paradiesischen Erde zu leben.“
Kaum ein Auge blieb trocken, als Lisa mutig über ihren nahe bevorstehenden Tod sprach, über ihren Glauben an Jehova und über ihre Entschlossenheit, seinem Gesetz über die Heiligkeit des Blutes zu gehorchen.
Ihre Anwältin fragte weiter: „Lisa, würde es etwas an deiner Einstellung ändern, wenn du wüßtest, daß das Gericht dich anweisen würde, Bluttransfusionen zu nehmen?“
„Nein, ich würde dann trotzdem meinem Gott treu bleiben und auf seine Gebote hören, denn Gott ist viel höher als jedes Gericht und jeder Mensch.“
„Lisa, welches Urteil würdest du dir in deinem Fall von dem Richter wünschen?“
„Also, ich wünsche mir, daß er mich einfach zu meinen Eltern zurückschickt und daß sie wieder das Sorgerecht bekommen, dann werde ich auch wieder glücklich sein, darf nach Hause zurück und bin in einer Umgebung, in der ich mich wohl fühle.“
Und genau das entschied Richter Main. Hier einige Auszüge aus dem Urteil:
„L. hat dem Gericht deutlich und glaubhaft versichert, daß sie sich, sofern man versuche, ihr eine Bluttransfusion aufzuzwingen, mit aller ihr zu Gebote stehenden Kraft gegen diese Transfusion zur Wehr setzen würde. Sie hat gesagt, und ich glaube ihr, sie würde schreien und kämpfen und die Kanüle aus dem Arm herausreißen und versuchen, die Blutkonserve über ihrem Bett unbrauchbar zu machen. Ich lehne es ab, irgendeine Anordnung zu treffen, zufolge deren das Kind diese Qualen durchmachen müßte.“
Über die um Mitternacht aufgezwungene Transfusion sagte er:
„Ich muß feststellen, daß sie aufgrund ihrer Religion und ihres Alters gemäß Unterabsatz 15 Ziffer 1 diskriminierend behandelt worden ist. Unter diesen Umständen ist dadurch, daß man ihr eine Bluttransfusion gab, ihr Recht auf Unversehrtheit der eigenen Person gemäß Paragraph 7 verletzt worden.“
Es ist interessant, welchen persönlichen Eindruck der Richter von Lisa gewonnen hatte:
„Lisa ist ein reizendes, äußerst intelligentes, redegewandtes, höfliches, empfindsames und vor allem mutiges Mädchen. Sie besitzt Weisheit und Reife weit über ihr Alter hinaus, und ich denke, man kann mit Sicherheit sagen, daß sie all die positiven Eigenschaften hat, die sich Eltern von ihrem Kind wünschen würden. Sie hat einen gut durchdachten und festen Glauben. Nach meiner Ansicht würde jeglicher Rat, von welcher Seite er auch immer käme, oder Druck von seiten ihrer Eltern oder sonst irgend jemandes, einschließlich einer Anordnung dieses Gerichts, ihre Glaubensansichten nicht im geringsten erschüttern oder ändern. Meiner Meinung nach sollte Lisa K. die Gelegenheit erhalten, gegen diese Krankheit mit Würde und innerem Frieden anzukämpfen.“
„Antrag abgewiesen.“
Lisa und ihre Eltern verließen am selben Tag das Krankenhaus. Lisa hat in der Tat mit Würde und innerem Frieden gegen ihre Krankheit angekämpft. Sie starb friedlich zu Hause in den Armen ihrer liebevollen Eltern. Durch ihr Verhalten schloß sie sich den vielen anderen jungen Zeugen Jehovas an, die Gott den Vorrang geben. Infolgedessen wird sie zusammen mit ihnen erleben, wie sich die Verheißung Jesu erfüllen wird: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden“ (Matthäus 10:39, Fußnote).
Ernestine Gregory
Ernestine war 17 Jahre alt, als man bei ihr Leukämie feststellte. Bei der Einweisung ins Krankenhaus weigerte sie sich, in die Verwendung von Blutprodukten einzuwilligen, die die Ärzte ihr zur Unterstützung einer Chemotherapie verabreichen wollten. Wegen ihrer Weigerung und weil Ernestines Mutter die Entscheidung ihrer Tochter, eine Behandlung mit Blut oder Blutprodukten abzulehnen, unterstützte, meldete das Krankenhaus den Fall der Jugendhilfe in Chicago (Illinois, USA), die daraufhin eine gerichtliche Anordnung zur Verabreichung einer Bluttransfusion beantragte. Eine Verhandlung wurde anberaumt, in deren Verlauf das erstinstanzliche Gericht Ernestine, einen Arzt, einen Psychiater, eine Rechtsanwältin und weitere Beteiligte vernahm.
Ernestine sagte dem Arzt, daß sie Blut ablehnt. Sie habe diese Entscheidung aus eigenem Entschluß und gestützt auf das, was sie in der Bibel gelesen habe, getroffen. Auch eine gerichtlich aufgezwungene Bluttransfusion wäre eine Mißachtung des göttlichen Gesetzes und daher ihrer Meinung nach verkehrt, trotz der Autorität des Gerichts. Ferner lehne sie eine medizinische Behandlung nicht ab und wolle auch nicht sterben. Durch ihre Entscheidung zeige sie keine Todessehnsucht, keine selbstmörderische Neigung; den Tod würde sie allerdings nicht fürchten.
Dr. Stanley Yachnin war nach seiner eigenen Aussage „von Ernestines Reife und ihrem gesunden Eigenverständnis“ sowie von der Aufrichtigkeit ihrer religiösen Überzeugung beeindruckt. Zudem war er der Ansicht, daß sie sich der Art ihrer Krankheit und deren Folgen bewußt war. Aufgrund ihres Verständnisses der Lage hielt er es nicht für nötig, einen Psychiater oder Psychologen zu Rate zu ziehen.
Dennoch wurde der Psychiater Dr. Ner Littner hinzugezogen, der Ernestine, nachdem er sich mit ihr unterhalten hatte, den Reifegrad einer 18- bis 21jährigen bescheinigte. Er sagte, Ernestine würde wissen, was eine Einwilligung in eine Bluttransfusion beziehungsweise deren Verweigerung zur Folge haben könne. Sie akzeptiere die Folgen, nicht weil sie von jemand anders unter Druck gesetzt werde, sondern weil sie gemäß ihrer eigenen Überzeugung handle. Dr. Littner meinte, die Entscheidung in dieser Angelegenheit sollte Ernestine überlassen werden.
Jane McAtee, eine Anwältin des Krankenhauses, erklärte nach einem Gespräch mit Ernestine, ihrer Überzeugung nach verstehe Ernestine die Art ihrer Krankheit und scheine „absolut in der Lage zu sein, ihre Entscheidung richtig einzuschätzen und deren Folgen zu akzeptieren“.
Auch das Gericht war von Ernestines Aussage wirklich beeindruckt. Es befand, daß sie eine reife 17jährige Jugendliche sei, daß sie ihre Entscheidung aus eigenem Entschluß getroffen habe und daß sie den Ernst der Lage erfasse. Doch obwohl sie bewiesen hatte, eine reife Minderjährige zu sein, die nach hinreichender Aufklärung eine mit ihrer tiefen Überzeugung und ihren Werten in Einklang stehende weise Entscheidung in bezug auf ihre medizinische Behandlung treffen konnte, ordnete das Gericht überraschenderweise eine Blutübertragung an.
Gegen die Verfügung des erstinstanzlichen Gerichts wurde zunächst beim Berufungsgericht von Illinois Beschwerde eingelegt. Das Berufungsgericht urteilte in einer Zwei-zu-eins-Entscheidung, daß Ernestine nicht gegen ihren Willen eine Bluttransfusion aufgezwungen werden kann. Wie das Gericht schlußfolgerte, wurde ihr Recht, als reife Minderjährige Bluttransfusionen aus religiösen Gründen zu verweigern, geschützt, und zwar durch das im ersten Zusatzartikel zur Verfassung garantierte Recht auf freie Religionsausübung sowie durch das in der Verfassung begründete Recht auf Achtung der Privatsphäre.
Die Jugendhilfe wandte sich an die nächsthöhere Berufungsinstanz von Illinois. Dieses Gericht bestätigte die Entscheidung des Berufungsgerichts und entschied, daß Ernestine — obwohl eine Minderjährige — das Recht habe, eine medizinische Behandlung abzulehnen, die für sie unannehmbar sei. Es gründete seine Entscheidung auf Ernestines Grundrecht auf Selbstbestimmung über ihren Körper und auf die Doktrin über reife Minderjährige. Der Maßstab, der im Fall von Minderjährigen angelegt werden sollte, wurde von der höchsten Berufungsinstanz von Illinois in folgender Erklärung zusammengefaßt:
„Wenn klare und überzeugende Beweise vorliegen, daß die Minderjährige reif genug ist, die Folgen ihrer Handlungsweise zu erkennen und das Urteilsvermögen eines Erwachsenen auszuüben, dann spricht ihr die Doktrin über reife Minderjährige das in der üblichen Rechtsprechung begründete Recht zu, in eine medizinische Behandlung einzuwilligen oder sie abzulehnen.“
Ernestine erhielt weder eine Chemotherapie noch Bluttransfusionen; sie starb aber dennoch nicht an Leukämie, wie die Ärzte dem Gericht glauben machen wollten. Wie die anderen jungen Leute, die zuvor erwähnt wurden, blieb sie standhaft und gab Gott den Vorrang. Jeder von ihnen erhielt „Kraft, die über das Normale hinausgeht“ (2. Korinther 4:7).
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Gefahren der Bluttransfusion
Gemäß dem New England Journal of Medicine (14. Dezember 1989) kann eine einzige Blutkonserve genügend Aidsviren für 1,75 Millionen Infektionen enthalten.
Im Jahre 1987, nachdem bekannt geworden war, daß Aids durch freiwillige Blutspenden übertragen wurde, hieß es in dem Buch Autologous and Directed Blood Programs bedauernd: „Es war die bitterste Ironie in der Medizin, daß sich die kostbare, lebenspendende Gabe des Blutes als ein Instrument des Todes herausstellen konnte.“
Dr. Charles Huggins, Leiter des Transfusionsdienstes eines Krankenhauses in Massachusetts (USA), sagte: „Es [Blut] ist die gefährlichste Substanz, die wir in der Medizin verwenden.“
Die Zeitschrift Surgery Annual kam zu dem Schluß: „Die sicherste Bluttransfusion ist sicherlich die, die nicht gegeben wird.“
Da die Rückfallquote nach Krebsoperationen, bei denen Blut transfundiert wird, wesentlich höher ist, als wenn kein Blut verabreicht wird, meinte Dr. John S. Spratt im American Journal of Surgery (September 1986): „Der Krebschirurg muß eventuell Spezialist für Chirurgie ohne Bluttransfusionen werden.“
In der Zeitschrift Emergency Medicine war zu lesen: „Vielleicht sind unsere Erfahrungen mit Zeugen Jehovas so zu deuten, daß wir auf Bluttransfusionen mit all ihren potentiellen Komplikationen nicht in dem Maße vertrauen sollten, wie wir bisher glaubten, es tun zu müssen.“
Über die Weigerung von Zeugen Jehovas, sich Blut transfundieren zu lassen, hieß es in der Zeitschrift Pathologist: „Es gibt stichhaltige Gründe, ihre Behauptung trotz gegenteiliger Beteuerungen der Blutbanken zu unterstützen.“
Dr. Charles H. Baron, Professor an der juristischen Fakultät des Bostoner College, sagte über die ablehnende Haltung von Jehovas Zeugen gegenüber Blut: „Davon hat die gesamte amerikanische Gesellschaft profitiert. Dank der Tätigkeit der Krankenhaus-Verbindungskomitees der Zeugen ist es heute weniger wahrscheinlich, daß Zeugen Jehovas oder Patienten allgemein unnötig Blut übertragen bekommen.“