Das Anzapfen von Kautschukbäumen — Eine Arbeit, die unser Leben berührt
Von unserem Korrespondenten in Nigeria
UM FÜNF Uhr morgens ist es im nigerianischen Regenwald dunkel und kühl. In einer Lehmhütte mitten im Wald erwacht John und streift seine Kleider über. Ausgerüstet mit einer Laterne, einem Plastikeimer und einem kurzen, gekrümmten Messer, begibt er sich hinaus in die Nacht. Während der nächsten vier Stunden geht er von Baum zu Baum und macht exakte Einschnitte in die Rinde.
Das ist der erste Schritt in einer Serie von Abläufen, die schließlich unser Leben berühren. Wieso kann man das sagen? Weil es sich bei Kautschuk, einem der wertvollsten und meistverwendeten Rohstoffe, um den Grundstoff von Gummi handelt.
Tausende von Produkten
Denken wir nur einmal über die Rolle nach, die Gummi in unserem Leben spielt. Die Sohlen und Absätze unserer Schuhe bestehen möglicherweise aus Gummi. Schaumgummi kann bei der Herstellung unserer Teppichböden und Polstermöbel verwendet worden sein. In unserer Kleidung ist höchstwahrscheinlich Gummiband verarbeitet. Wenn es regnet, greifen wir zum Regenmantel aus Gummi und zu den Gummistiefeln. Wie wär’s mit Schwimmen? Taucherbrillen, Schwimmflossen und Kälteschutzanzüge enthalten Gummi. Und wer sich nicht fürs Schwimmen begeistern kann, läßt sich womöglich lieber auf einer Gummimatratze treiben oder spielt am Strand mit einem Gummiball. Zu Hause haben wir wahrscheinlich Gummiringe, Radiergummis und Klebstoff mit Gummi. Nachts schlafen wir vielleicht auf einer Matratze und einem Kissen aus Kautschukprodukten. Wenn wir frieren, ist uns eine Wärmflasche aus Gummi nützlich.
Darüber hinaus gibt es viele Erzeugnisse, die ohne Gummibestandteile ihren Zweck sicher nicht gut erfüllen würden, wie Dichtungen, Treibriemen, Schläuche, Walzen und Ventile. Ein Auto beispielsweise hat ungefähr 600 Gummiteile. Alles in allem werden gemäß der World Book Encyclopedia 40 000 bis 50 000 Kautschukprodukte hergestellt.
Weshalb ist Gummi so nützlich? Es ist haltbar, hitzebeständig, elastisch, undurchlässig für Wasser und Luft und stoßdämpfend. Nehmen wir zum Beispiel Reifen, gleichgültig, ob sie zu einem Fahrrad, einem Auto oder zu einem Flugzeug gehören. Da sie aus Gummi bestehen, nutzen sie sich trotz des ständigen Kontakts mit dem Asphalt weder schnell ab, noch werden sie durch die Wärme, die durch die ständige Reibung erzeugt wird, unbrauchbar. Fährt man durch Pfützen, braucht man nicht zu befürchten, daß sich die Reifen vollsaugen und später verrotten; es besteht auch keine Korrosionsgefahr. Gummi sorgt nicht nur dafür, daß kein Wasser in die Reifen dringt, sondern auch dafür, daß die unter Druck stehende Luft im Innern nicht entweichen kann. Außerdem dämpft das Gummi die Erschütterungen, die von Unebenheiten der Straße herrühren. Ohne Gummi würden Reifenhersteller vor einem großen Problem stehen.
Wir werden also zustimmen, daß Latexzapfer wie John einen wertvollen Dienst leisten, der unser Leben bereichert. Natürlich stammt nicht alles Gummi von Kautschukbäumen. Ein Großteil der Produktion entfällt auf synthetischen Kautschuk. Beide Arten von Gummi haben ihre Stärken und Schwächen. Für viele Produkte eignet sich beides, und oft sind die Kosten für die Wahl ausschlaggebend. Bei anderen Erzeugnissen verwendet man eine Mischung aus Synthese- und Naturkautschuk. Die meisten Autoreifen enthalten mehr Synthese- als Naturkautschuk. Da jedoch synthetischer Kautschuk weniger hitzebeständig ist, haben die Reifen von Rennwagen, Lastwagen, Bussen und Flugzeugen einen höheren Anteil an Naturkautschuk.
Das Zapfen des Latex
Kautschukbäume gedeihen am besten in dem feuchtheißen Klima nahe dem Äquator. Ein Großteil des Naturkautschuks stammt von Plantagen in Südostasien, vor allem aus Malaysia und Indonesien. Der Rest kommt aus Südamerika sowie West- und Zentralafrika.
John zapft einen Baum erst an, wenn dieser ungefähr 6 Jahre alt ist. Er liefert dann für die nächsten 25 bis 30 Jahre Kautschukmilch und wird etwa 20 Meter hoch. Darauf begibt sich der Kautschukbaum „zur Ruhe“; allerdings kann er bis zu einer Höhe von 40 Metern weiterwachsen und ein stattliches Alter von 100 Jahren oder mehr erreichen.
Der Saft, den ein Kautschukbaum abgibt, ähnelt eher Milch als einem Autoreifen. Diese milchige Substanz, Latex genannt, enthält kleine Kautschukpartikel. Latex besteht zu etwa 35 Prozent aus Kautschuk. Der Rest ist größtenteils Wasser.
Zum Zapfen des Latex schneidet John die Rinde diagonal an. Dieser Schnitt führt im Halbkreis um den Baum. John paßt auf, daß er nicht zu tief in die Rinde schneidet, denn das würde dem Baum schaden. Sobald der Schnitt gemacht ist, beginnt der Latex zu fließen. Er rinnt entlang der Kerbe in eine Bambusschale, die John am Baum befestigt hat. Der Latex fließt ungefähr zwei bis drei Stunden.
Ein oder zwei Tage später, wenn John den Baum erneut anzapft, ritzt er die Rinde unmittelbar unter dem ersten Schnitt an. Das nächste Mal macht er wieder darunter einen Schnitt. Schließlich wird ein Feld aus der Baumrinde ausgeschnitten. John ritzt die Rinde jetzt an einer anderen Stelle an, damit dieses Feld heilen und später einmal wieder angeschnitten werden kann.
John kommt zügig voran, während er allein in dem stillen Wald arbeitet und die Bäume anschneidet, um Latex zu zapfen. Später geht er noch einmal zu jedem Baum und gießt den Latex, der sich angesammelt hat, in einen Eimer. Als nächstes gibt er Ameisensäure und Wasser hinzu. Dadurch wird der Latex dicker und koaguliert, ähnlich wie Essig Milch zum Gerinnen bringt. John trägt den Eimer auf dem Kopf zur Hauptstraße, wo ein Lastwagen von der nahe gelegenen Kautschukfabrik vorbeikommt, um den Latex einzusammeln.
John kehrt nun nach Hause zurück, wäscht sich, ißt etwas und ruht sich aus. Am späten Nachmittag, als er das Haus verläßt, ist er schick angezogen und hat eine Aktentasche in der Hand. Diesmal geht er nicht von Baum zu Baum, sondern von Haus zu Haus. Als allgemeiner Pionier hat er einen vollen Anteil am Werk des Predigens und Jüngermachens.
Während John sein erstes Bibelstudium für diesen Tag leitet, ist der Latex, den er gesammelt hat, in der Kautschukfabrik angekommen. Dort wird der Kautschuk vom Wasser getrennt, getrocknet und für die Verschiffung zu Ballen gepreßt. Bald geht er auf die Reise nach Großbritannien, Japan oder in die Vereinigten Staaten. Die weltweite Naturkautschukindustrie produziert jedes Jahr über fünf Millionen Tonnen Kautschuk. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber die Möglichkeit besteht, daß der Gummi in den Sohlen unseres nächsten Paars Schuhe von einem Baum stammt, den John angezapft hat.
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John bei seiner Arbeit, dem Zapfen von Latex
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John im christlichen Predigtdienst